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Bd. 10: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Zweiter Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 1: Das Deutsche Reich
unter Kaiser Wilhelm II. (1890 - 1909)
  (Forts.)

2. Die Anfänge weltpolitischer Verflechtung 1894 - 1899.   (Forts.)

Mit dieser weltweiten Lebensluft eines neuen Zeitalters hing die Persönlichkeit des neuen Reichskanzlers an sich kaum zusammen. Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst war, als er am 29. Oktober 1894 an die Spitze der Geschäfte im Reich und in Preußen berufen wurde, schon älter (und ermüdeter) als Bismarck damals, wo er, angeblich überaltert, zum Rücktritt genötigt wurde, und seine Verdienste wie seine politische Denkweise gehörten der Vergangenheit an. Sie ruhten auf seinem Anteil an der nationalen Geschichte des letzten Menschenalters. Hatte doch schon vor mehr als zweiunddreißig Jahren Großherzog Friedrich von Baden diesen süddeutschen und liberalen katholischen Standesherrn dem König Wilhelm I. als preußischen Ministerpräsidenten, in vorbismarckscher Zeit, zu empfehlen versucht; dann hatte seine Laufbahn als bayrischer Ministerpräsident in der Zeit des Norddeutschen Bundes, als Botschafter in Paris und als Statthalter von Elsaß-Lothringen ihm reiche Erfahrung und allgemeine Anerkennung verschafft. So trat er sein verantwortungsreiches Amt mit einem stärkeren inneren Anrecht an als einst Caprivi; man konnte sogar ohne Übertreibung aussprechen, daß kein deutscher Staatsmann, vom Fürsten Bismarck abgesehen, über ein gleiches Vertrauen verfügte.1 Manche Voraussetzungen schienen günstig für seine Amtsführung zu liegen. Er trat dem Kaiser nicht, wie Caprivi, in den Formen eines militärisch-dienstlichen Verhältnisses gegenüber, sondern auf der Ebene einer fast gleichgestellten Vornehmheit, mit einer abgeklärten Altersreife; auch nach dem Bismarckschen Lager hin war er nicht belastet, sondern konnte von vornherein, da die förmliche Versöhnung des Kaisers schon vorausgegangen war, nach Friedrichsruh eine achtungsvolle gesellschaftliche Beziehung wieder anknüpfen. Der außenpolitische Kurs hatte schon im Laufe des letzten Jahres eine gewisse Rückbiegung nach der russischen Seite hin erfahren, die durch den in Petersburg erfolgten Thronwechsel erleichtert wurde; es war nicht zu erwarten, daß der Schatten der Bismarckschen Kritik noch länger störend auf die deutsche Außenpolitik fallen würde. Man mochte von der Schicksalsfügung sprechen, die durch das zeitliche Zusammenfallen der Thronbesteigung des Zaren Nikolaus II. mit dem Wechsel in der deutschen Staatsleitung gegeben war.

Freilich, Fürst Hohenlohe verfügte nach den Lebensgewohnheiten seines Alters nicht mehr über die Beweglichkeit und Aktivität, die allein dem Kaiser das Gegenpart hätte halten können, und es war die Frage, ob der lässigere [427] Rhythmus seiner Geschäftsführung den gleichen Schritt mit dem persönlichen Betätigungsdrangs des Kaisers zu halten vermochte. Gerade die Thronbesteigung Nikolaus' II. gab Wilhelm II. die Gelegenheit, in einem persönlichen Briefwechsel, der in den neunziger Jahren in der Regel nicht zur dienstlichen Kenntnis des Auswärtigen Amtes kam, die persönliche Note der Politik in Fühlung mit seinem autokratischen Verwandten nur noch stärker zu betonen: in dem Glauben, damit ein wertvolles Aktivum der Außenbeziehungen in Bewegung zu setzen, ging der Kaiser, auch seinerseits von der gefürchteten Bismarck-Kritik befreit, fortan dazu über, in der auswärtigen Politik, in der sich plötzlich ganz neue Schauplätze eröffneten, der Verführung persönlichen Eingreifens nachzugeben.

Noch während Hohenlohe zur Abwicklung seiner Statthaltergeschäfte nach seinem Amtsantritt für einige Tage nach Straßburg zurückgekehrt war, erhielt er am 17. November 1894 - in einem gleichsam symbolischen Vorgange - ein langes Telegramm Wilhelms II.: Es seien Anzeichen vorhanden, daß England demnächst im Orient aktiv zu werden beginne, sich mit Rußland über die Dardanellenfrage einige und in den chinesisch-japanischen Wirren sich in den Besitz von Shanghai zu setzen suche, was zweifellos zur Folge haben werde, daß Rußland und Frankreich gleichfalls wichtige Punkte in China besetzen würden. "Wir dürfen hierbei unter keinen Umständen zu kurz kommen oder uns überraschen lassen. Wir bedürfen gleichfalls eines festen Punktes in China, wo unser Handelsumsatz jährlich 400 Millionen beträgt. Ich schlage dazu Formosa vor... Es empfiehlt sich daher, möglichst schnell im Geheimen sich mit Japan zu verständigen und demnächst unser Geschwader mit Anweisungen zu versehen. Eile ist geboten, da, wie Ich unter der Hand erfahren habe, Frankreich bereits nach Formosa angelt."2 Die Voraussetzungen trafen zum guten Teil nicht zu, die Schlußfolgerungen aber liefen mit einer beunruhigenden Schnelligkeit ab. Schon in diesem Augenblick hielt Holstein es für angezeigt, dem neuen Kanzler eine bestimmte Marschroute anzudeuten: "Die Art, welche S. M. sich allmählich angewöhnt hat, Politik mit Hinz und Kunz zu machen, wird auf die Dauer nicht verträglich mit einem geordneten Geschäftsbetrieb sein. Ich hege die Hoffnung, daß Eure Durchlaucht von Anfang an eine günstige Änderung herbeiführen werden, da Sie auf eine diplomatische Autorität Anspruch machen können, welche dem Grafen Caprivi und Herrn von Marschall abgeht."3 Die Episode wirkt wie [428] ein erstes Vorspiel eines dienstlichen Verhältnisses, in dem sich bei aller Beobachtung der Form die eigenmächtigen Durchkreuzungen und Übergehungen immer häufiger wiederholten. Sie nehmen vielleicht auch darum einen größeren Raum ein, weil die außenpolitische Bühne, die in der Caprivi-Periode mehr von der stillen Umgruppierung der Staaten erfüllt war, nunmehr durch erregende, dramatische Vorgänge in Atem gehalten wurde.4

Indem sich der deutschen Außenpolitik unter Hohenlohe von der ersten Stunde an ein weiterer Welthorizont eröffnete, suchte sie in einer entscheidenden Voraussetzung den Kurs des März 1890 bewußt zu verlassen und an den alten Kurs wiederanzuknüpfen. Als Fürst Hohenlohe nach seinem Amtsantritt dem Fürsten Bismarck am 13. Januar 1895 einen Besuch in Friedrichsruhe abstattete, brachte dieser das Gespräch auf den Gegenstand seiner geheimsten Sorgen, auf den Rückversicherungsvertrag, den Caprivi nicht wieder erneuert habe, weil ihm die daraus folgende Politik zu kompliziert gewesen sei.5 Dieser Gedankenaustausch setzte sich in den nächsten Tagen in Berlin in merkwürdiger Weise fort. Als Graf Paul Schuwalow bei der Überreichung seines Abberufungsschreibens mit leisen Vorwürfen an die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrags erinnerte, schilderte der Kaiser seine Zwangslage im März 1890 unter dem "Ultimatum" Caprivis6 und verband damit die überraschende Frage: ob die Beziehungen nicht wiederherzustellen seien, wie sie damals bestanden. In seiner offenherzigen Weise fügte Wilhelm II. hinzu, in Friedrichsruh sei soeben dasselbe Gespräch geführt und derselbe Vorwurf gegen Caprivi erhoben worden.7 Es ist begreiflich, daß man in Petersburg die Eröffnung mit einer gewissen Genugtuung über den Wandel der Zeiten und die Verschiebung des Schwergewichtes aufnahm. Die beiden Szenen stehen, gleichsam wie ein Eingangstor, vor den Jahren der Staatsleitung Hohenlohes. Man spürt die Sehnsucht, eine Vergangenheit zu erneuern - ob eine solche Erneuerung nicht am ehesten in den Beziehungen des Reiches zum fernen Osten möglich war, die jetzt so unerwartet in den Vordergrund rückten?

In den Beziehungen zum fernen Osten hatten bisher die rein wirtschaftlichen und die kulturellen Interessen weit vorangestanden. In Japan vor allem hatten die Deutschen in der Zeit von 1886 bis 1894 einen ungewöhnlichen Bereich des Einflusses als militärische und wirtschaftskulturelle Ratgeber sich angeeignet; nach deutschem Vorbilde suchten die Japaner sich in mancher Richtung zu formen, und es war zu erwägen, ob das damit gewonnene Kapital an Sympathien sich nicht zu einer bleibenden politischen Zukunftsanlage ausgestalten ließe. Dagegen wurde Japan als selbständiger Faktor in der hohen Politik noch kaum gewertet, [429] auch dann nicht, als es kraft seiner Heeresorganisation von 1889 zu einer beachtenswerten Möglichkeit an der russischen Peripherie wurde.

Als im Juli 1894 der japanisch-chinesische Krieg ausbrach, sah auch die Reichsregierung darin eine zunächst nur Rußland und England angehende Sache, in der sie, eben wegen der Gefahr russisch-englischer Interessenkollision, nur gemeinsam mit den übrigen Großmächten friedlich einzuwirken geneigt war. Demgemäß hielt sie sich auch zurück, als die englische Politik im Oktober 1894 einen Anlauf nahm, eine gemeinsame Intervention der Mächte zugunsten Chinas herbeizuführen; wenn man sich in Berlin diesem Versuch versagte, der an der allgemeinen Zurückhaltung scheiterte, so spielte dabei eine Japan wohlwollende Haltung mit. Erst als China am 12. November die Vermittlung der Mächte auf der Grundlage der Unabhängigkeit Koreas und der Zahlung einer Kriegsentschädigung anrief, war die große politische Frage aufgeworfen. Wir haben gesehen, wie weitreichend und temperamentvoll die kaiserliche Phantasie sich sofort dieser Möglichkeiten bemächtigte.

Schon eine leise Hinwendung Deutschlands zu solchen Wünschen war von unabsehbarer Tragweite. Es handelte sich nicht nur um seine wirtschaftlich-kulturelle Stellung in Ostasien im engsten Sinne, nicht nur um die Summe der Rückwirkungen, die durch einen Anstoß von der einen Seite hier ausgelöst werden konnten. Sondern vor allem war zu bedenken, daß die Stellung Deutschlands in der noch im Fluß befindlichen Gruppierung der Mächte, insbesondere zwischen Rußland und England, durch den Zutritt dieses neuen Interessengebietes mit neuen Reibungsflächen entscheidend berührt werden konnte.8 Von jeder Kohlenstation aus, deren Namen die Welt bisher noch gar nicht vernommen hatte, konnte die große Politik eine andere Wendung nehmen. Um so mehr sahen der Kanzler und das Auswärtige Amt sich zunächst genötigt, dem stürmischen Zuruf des Kaisers mit unbedingter Mahnung zur Zurückhaltung zu begegnen. Man kam ihm nur insoweit entgegen, als für den Fall, daß europäische Mächte beim Friedensschluß besondere Vorteile anstrebten, auch Deutschland nicht leer ausgehen dürfe - im übrigen blieb jenes kaiserliche Telegramm zunächst Episode.

Erst nach Beginn der chinesisch-japanischen Friedensverhandlungen zu Anfang Februar 1895 trat die Entscheidung an die Großmächte heran. Für Deutschland enthielt sie in ihrem Kern noch eine besondere Frage, eben das Problem, das auf dem Grunde aller Politik ruhte, ob man in Ostasien seine Stellung an der Seite der englischen oder der russischen Macht nehmen wolle. So lange wie möglich bekannte man sich in Berlin zu dem Grundsatz der Zurück- [430] haltung, auch gegenüber einer dringlichen englischen Ermunterung zum Mitgehen; dabei behielt man sich für den Fall, daß dritte Mächte die Lage zugunsten eigener Vorteile ausnützen würden, einen Anspruch auf vollwichtige Kompensationen vor. Denn diese Hoffnungen spielen doch bei den weiteren diplomatischen Schritten anreizend mit. Erst als die chinesische Regierung die deutsche Intervention unmittelbar anrief, ließ die Reichsregierung sich herbei, in Tokio am 6. März den freundschaftlichen Rat zu erteilen, man möge in den Friedensbedingungen mäßig sein und namentlich von festländischen Gebietsabtretungen absehen; auf diesen Rat ging Japan, seinen freundschaftlichen Geist anerkennend, nicht ein, aber es verfehlte nicht (da es gern einen dritten Interessenten auf der Bühne sah), von sich aus zu deutschen Gebietserwerbungen in Südostchina zu ermutigen.9 Dann aber verschoben die hochgespannten und auf das Festland übergreifenden Friedensforderungen Japans vom 4. April das Bild von Grund aus. Wenn die europäischen Mächte diese Forderungen so weit zurückschrauben wollten, daß sie keiner von ihnen einen Vorwand für weitere Erwerbungen boten, so blieb allerdings auch für die deutschen Wünsche kein Raum. Aber das Stichwort für eine neue Mächtegruppierung war jetzt gefallen. Am 8. April ergriff die russische Regierung die Führung, indem sie bei den Mächten anregte, die Annexion von Port Arthur als "eine beständige Bedrohung des Friedens in Ostasien" zu bezeichnen. Diese Basis für ein allgemeines Vorgehen kam jedoch nicht zustande. Denn England, damals noch der sprunghaften Staatsleitung Roseberys unterstehend, faßte den Beschluß, eine Intervention abzulehnen, sich von den Mächten zu trennen und aus einem Beschützer Chinas - welche Rolle es bisher gespielt hatte - sich plötzlich in einen Anwalt Japans, der moderneren Macht der Zukunft, zu verwandeln.

Es war ein politisch bedeutsamer Vorgang, als die deutsche Regierung durch dieses plötzliche Umspringen Englands veranlaßt wurde, die russische Anregung zur Intervention - da man sich Japan gegenüber seit der Ablehnung vom 6. März nicht mehr verpflichtet fühlte - mitzumachen. Das eine Motiv lag in den jetzt nach außen hin zurückgestellten deutschen Zukunftswünschen: man sah in solcher Haltung "vielleicht die einzige Möglichkeit, von einem dankbaren China die Abtretung oder Vermietung eines Platzes für eine Flotten- oder Kohlenstation zu erhalten", sobald sich eine Gelegenheit dazu bieten sollte. Mindestens so ausschlaggebend war eine andere, allgemeinpolitische Erwägung. Wenn man mit Rußland im fernen Osten zusammenging, so eröffnete diese Kombination eine Aussicht, die Druckwirkung des russisch-französischen Bündnisses auf Mittel- [431] europa überhaupt abzuschwächen, "eine Entlastung unserer östlichen Grenze herbeizuführen", wie Wilhelm II. sofort formulierte. Dieser Politik hatte man schon im Jahre 1894 zugeneigt, und seit der Thronbesteigung des Zaren Nikolaus II. mochte man sich noch mehr davon versprechen, wenn man über den fernen Osten den abgerissenen Draht nach Petersburg wiederherstellte. Soeben führte der neue russische Botschafter in Berlin, Graf v. d. Osten-Sacken, sich bei dem Grafen Philipp Eulenburg mit einer Meldung über die Absicht des Zaren ein, mit Wilhelm II. "in den allerbesten Beziehungen" zu bleiben. Vor allem folge Rußland mit dem äußersten Interesse dem Kampf, den Kaiser Wilhelm in kraftvoller Art gegen die destruktiven Elemente in Deutschland führe. Mit der monarchischen Solidarität glaubte der Russe sogar eine bestimmte Zusage verbinden zu können: "Hält Kaiser Wilhelm seine dominierende Stellung aufrecht - zugleich als Hort des Friedens, denn dieser ruht wesentlich, ja fast ausschließlich in seiner Hand - so garantiert Rußland den Frieden an Deutschlands Grenze." Von solchem Entgegenkommen erwies sich Kaiser Wilhelm geradezu entzückt. Schon seine Randbemerkung malte hoffnungsfroh die Folgerungen aus: "Das so bestimmte Versprechen bezüglich der Garantie an unserer Ostgrenze, wenn wir Frieden halten, ist von so hohem Wert, und unser Dank dafür äußert sich am besten in einheitlichem Auftreten im Orient! So zeigt sich der Welt das so erwünschte Bild von Dreibund plus Rußland."10 - Wir werden sehen, mit wie vollen Segeln der Monarch in den nächsten Wochen den neuen Kurs steuern wird.

So erfolgte denn die russisch-französisch-deutsche Intervention gegen den Friedensschluß von Shimonoseki. Lobanow hatte am 17. April angeregt, zunächst an Japan in freundschaftlicher Form Vorhaltungen wegen seiner Friedensbedingungen zu richten; wenn Tokio ablehnen sollte, waren gemeinsame kriegerische Unternehmungen der drei Mächte zur See vorgesehen. Als dann am 23. April der russische, französische und deutsche Gesandte der japanischen Regierung den Einspruch gegen den Frieden amtlich mitteilten, begnügte sich der deutsche Gesandte nicht damit, sich instruktionsgemäß den Erklärungen der beiden anderen Gesandten anzuschließen, sondern fügte unter Überschreitung seiner Instruktion noch Kritik und Mahnungen hinzu, von denen er nur zur Regelung seiner Sprache Gebrauch zu machen berechtigt war. So erweckte das unüberlegte Ungeschick eines Gesandten den Anschein, als wenn Deutschland (das sich in der Sache erst den beiden anderen angeschlossen hatte) sogar energischer als diese aufzutreten wünsche. Für die Japaner und ihren Glauben an deutsche Sympathien blieb von diesem Vorgang, der nur der herrischen Sprache eines Agenten zuzuschreiben war, eine besondere Verletzung zurück, die damals leider keine amtliche Korrektur gefunden hat.

[432] Der Kaiser verfolgte inzwischen in seinem persönlichen Briefwechsel mit dem Zaren11 weiter den Weg der Annäherung. Auf die sehr allgemeinen Eröffnungen durch Osten-Sacken antwortete er ihm am 26. April: "Ich werde sicherlich alles tun, was in meiner Macht steht, um Europa ruhig zu halten, und auch den Rücken Rußlands decken, so daß niemand Deine Aktion in der Richtung des fernen Ostens behindern wird. Denn dies ist offenbar in Zukunft die große Aufgabe für Rußland, seine Aufmerksamkeit dem asiatischen Kontinent zuzuwenden und Europa gegen die Eingriffe der gelben Rasse zu verteidigen."11 In der Hoffnung, daß Deutschland irgendwo in China doch noch zu Erwerbungen schreiten und dafür die Dankbarkeit des Zaren gebrauchen könne, glaubte er, das Eisen nicht oft genug schmieden zu können. "Niemandem würde er den Versuch erlauben", so wiederholte er am 10. Juli dem Zaren, "Dich in Europa von rückwärts anzugreifen während der Zeit, da Du die große Mission erfüllst, die der Himmel Dir vorgezeichnet hat." Er vertraute Schweinitz sogar an, er habe dem Zaren sein Ehrenwort gegeben, daß er ihm den Rücken frei halten werde. Man beobachtet, wie die Phantasie des Kaisers allmählich die Wirklichkeit übersteigert, und sieht die Keimzelle des Kampfes gegen "die gelbe Gefahr" sich immer weiter entwickeln, bis dieser ganze Stimmungskomplex (der mit der früheren deutschen Japanpolitik nichts zu tun hatte) seinen Niederschlag in der ebenso pathetischen wie in hohem Grade unpolitischen Zeichnung von Knackfuß fand. Der Kaiser gab diese Bemühung auch nicht auf, als er in Ostasien (in Sachen der chinesischen Anleihe) die ersten unerfreulichen Erfahrungen mit den Russen machte - als er einen Versuch wagte, die neue Freundschaft auf die bedrohlichen französischen Rüstungen an der deutschen Westgrenze aufmerksam zu machen, erhielt er von dem zärtlich geliebten Freunde eigentlich keine Antwort.

Immerhin hatte die Verschiedenheit der Ziele, welche Rußland und Frankreich im Zweibund verfolgten, der deutschen Politik die Möglichkeit gegeben, den auf das Land der Mitte gerichteten Druck von sich abzulenken. Die Lage war zunächst so, wie sie Holstein bald darauf kennzeichnete: "Frankreich wollte die Russen in erster Linie gegen Deutschland, Rußland wollte die Franzosen jedenfalls in erster Linie gegen die Engländer verwerten. Bisher aber entspricht keiner der beiden Freunde den Erwartungen des anderen" (15. April 1894).12 Vor allem waren die Franzosen außerstande, ihre russischen Freunde zu verhindern, aus dem Zweibunde gerade das herauszuholen, was ihre Interessen förderte; aber sie waren [433] nicht gewillt, wegen einer zufälligen Konstellation ihre eigentlichen Ziele zurückzustellen. So sehr man sich in Berlin in den nächsten Jahren auf freundlichere Stimmung in Frankreich hinzuwirken bemühte, der Geist der Revanche blieb derselbe. Selbst der österreichische Außenminister hielt eine Warnung in Berlin für angezeigt, die Dinge nicht zu leicht zu nehmen;13 und gelegentlich erinnerten chauvinistische Ansprachen hochgestellter französischer Offiziere in den Grenzgarnisonen daran, daß die berechnete Liebenswürdigkeit des Kaisers doch ihr Ziel verfehlte. Einstweilen aber war gerade diejenige Konsequenz, die man in den Tagen von Toulon und Kronstadt am wenigsten hatte voraussehen können, eine Annäherung zwischen Dreibund und Zweibund oder zum mindesten eine engere Fühlung zwischen Berlin und Petersburg seit der Intervention gegen Shimonoseki im Fortschreiten begriffen, und gerade diejenige Großmacht, die bisher mit freier Hand den beiden Bündnisgruppen gegenübergestanden hatte, sollte durch eine unerwartete Wendung diesen Prozeß beschleunigen und vertiefen.

In England war inzwischen wieder der gewohnte politische Umschwung erfolgt. Als gegen Ende Juni 1895, nach dem Sturz des Ministeriums Rosebery, Lord Salisbury zum dritten Male in die Leitung des Staates einrückte, sah man in Berlin nach den Erfahrungen der letzten Jahre den Wechsel nicht ungern. Man mochte hoffen, daß der neue Minister die von seinem Vorgänger ziemlich verfahrene Außenpolitik in Bahnen zurückführen werde, die sie wieder zu näherer Fühlung mit der Dreibundspolitik bringen würden.14 Diese Erwartung sollte sich nicht erfüllen. Es stellte sich bald heraus, daß Salisbury, sei es, weil er wollte oder weil er mußte, die ganze Erbschaft der armenischen Greuelpropaganda, mit der sein Vorgänger sich den Zugang zu einer näheren Beziehung mit Rußland zu eröffnen bemüht hatte, zu übernehmen entschlossen war. Nach allem Anschein gedachte er auf diesem Wege noch einen Schritt weiter zu gehen: und wenn die Entwürfe, die seine Phantasie nach allen Seiten umhertastend zu gestalten suchte, nicht ganz feste Umrisse gewonnen haben, so bleibt es doch denkwürdig, daß sie jetzt in den Mittelpunkt der englischen Politik rückten. Und nicht minder denkwürdig ist es, daß er sie zunächst den deutschen Staatsmännern vortrug. Schon in seinen ersten Unterredungen mit dem deutschen Botschafter hatte er den bei ihm überraschenden Gedanken eines Endes der Türkenherrschaft durchblicken [434] lassen.15 Als die deutsche Regierung ihm die Berücksichtigung der italienischen Wünsche in Abessinien nahelegte, lehnte er - wie vordem schon sein Vorgänger - jede Erleichterung auf dem abessinischen Schauplatz ab, erklärte sich aber um so großmütiger bereit, dem Italiener einen Ersatz in Albanien oder in Tripolis in Aussicht zu stellen, und als er auf der deutschen Seite eine Beunruhigung wegen des albanischen Objektes bemerkte, ebenso unbekümmert Tunis und Marokko als Ersatz zu erwägen: die Türkei sei zu verfault, um noch lange existieren zu können. Immer wieder kam er auf den Gedanken zurück, man solle sich beizeiten über eine Art Verteilungsplan im Orient und am Mittelmeer vertraulich verständigen. Zwar meinte Hatzfeldt des Eindrucks sicher zu sein, daß Salisbury vor allem, soweit dies von ihm abhänge, eine Erhaltung und Kräftigung des Dreibundes wünsche, aber die leitenden Männer in Berlin wurden doch mißtrauischer, ob sich nicht gewisse Hintergedanken hinter einem so weitreichenden Plane wie diesem "Balkanbrandprojekt" verbergen möchten. Zumal Holstein sah nichts als das Bestreben, die englische Position in Ägypten durch orientalische Komplikationen, die alle Mächte erfaßten, zu erleichtern. Nur ein sehr akutes und schwerwiegendes Interesse könne es sein, das von dem Worte "Albanien" verdeckt werde; und es würde das Beste sein, wenn dieser gefährliche Plan bei dem Kaiser, dessen Besuch in Cowes damals bevorstand, auf einen festen Widerstand stoße.

Die Frage, welche letzten Ziele Salisbury mit seinem geheimnisvollen Plane einer Teilung der Türkei16 verfolgt habe, wird noch heute von der Forschung nicht eindeutig beantwortet. Es handelte sich um eine Teilung, bei der Rußland sehr gut wegkommen sollte (Konstantinopel), bei der auch Österreich (in Saloniki) und Italien, wie wir sahen, reichlich befriedigt werden, Frankreich aber isoliert werden sollte; man ließ in London durchblicken, daß Deutschland in Afrika entschädigt werden könne. Daß dieser Plan sein ägyptisches und daneben auch sein armenisches Motiv hatte, lag zu nahe, aber er zielte doch auch wohl auf eine Umgruppierung der Staatengesellschaft hin. Es war kaum zu bestreiten, daß er die Linie Roseberys in der Annäherung an Rußland fortzusetzen suchte. Sollte der Plan [435] nicht vor allem darauf gerichtet sein, das im fernen Osten sich anbahnende Zusammenwirken des Dreibundes mit Rußland, jene Träume, denen Wilhelm II. sich im Sommer 1895 begeistert hingab, zu durchkreuzen? War es Deutschlands Sache, dem sich in der asiatischen Türkei soeben ein großes Gebiet für Eisenbahnbauten zu erschließen begann, an dem entscheidenden Stoße mitzuwirken? Wohl warnte Hatzfeldt, der das Berliner Mißtrauen nicht völlig teilte: wenn man sich ganz zurückziehe, würde man auch keinen nennenswerten Einfluß auf die Entwicklung der Dinge ausüben können. Hohenlohe und Holstein aber waren, wohl mit Recht, darüber einig, es müsse vermieden werden, daß Deutschland als Vater des Teilungsgedankens vorgeschickt werde.17

Als Wilhelm II. am 5. August zu einer vertraulichen Besprechung mit Salisbury bei der Regatta in Cowes zusammentraf, verhielt er sich in der entscheidenden Frage genau nach den Direktiven des Auswärtigen Amtes.18 Den uns ihrem Sinne nach bekannten Darlegungen des Premierministers über die Unheilbarkeit des kranken Mannes setzte der Kaiser, schon verletzt durch erziehliche Artikel der englischen ministeriellen Presse, in bestimmter Form seinen Glauben an die Reformierbarkeit der Türkei entgegen. Die Unterhaltung dauerte nicht lange, aber sie hinterließ infolge ihres Verlaufes oder noch mehr infolge eines Nachspiels auf beiden Seiten gewisse Empfindlichkeiten. Der Kaiser sah das Gespräch nicht als abgeschlossen an und erwartete den Engländer am folgenden Tage zu einer bestimmten Zeit vergeblich, um es fortzusetzen. Salisbury war zwar tatsächlich durch eine Audienz bei der Königin verhindert, legte aber anscheinend auch keinen besonderen Wert auf die Fortsetzung; er wünschte sich eher zu entziehen und begnügte sich mit einem Minimum der ihm obliegenden Entschuldigung.19 Die neuen englischen Darstellungen verzeichnen als Ergebnis, daß der Kaiser seitdem eine starke Animosität gegen Salisbury zurückbehalten habe, aber auch Salisbury jene Abneigung gegen ein Bündnis mit Deutschland, [436] die noch in den letzten Jahren seiner Staatsleitung eine so bedeutende Rolle spielen sollte. Über der Besprechung, die vielleicht die Geschicke hätte anders bestimmen können, stand kein günstiger Stern. Wir lassen dahingestellt, ob die Männer, die einander entgegentraten, einen Anteil daran hatten (der Kaiser hatte ein gewisses Recht, gekränkt zu sein), oder ob es nicht vor allem der große sachliche Gegensatz war, um den es sich dabei handelte.

Erst aus den Papieren Salisburys wird man erfahren können, welche letzten Ziele er in dieser Episode, die nur bis zum Rand der Sondierung gelangt ist, tatsächlich verfolgt hat. Bis dahin möchte ich mich für die Annahme entscheiden, daß er mit seinen Sondierungen über die Teilung der Türkei ebensogut den Weg zu Rußland als zu Deutschland (mit dem er wegen des früheren Verhältnisses das Spiel zunächst begann) zu finden suchte. Daß er mit seinem Plane in die Karten des Dreibundes zu spielen gedachte, scheint mir weder aus der Vorgeschichte noch aus dem Nachspiel hervorzugehen; das brüske Verhalten, mit dem er sich dem Kaiser entzog, spricht ebenso dagegen, wie die Eilfertigkeit, mit der er schon nach einer Woche den französischen Appetit auf Marokko zu erwecken suchte (das soeben noch für Italien bestimmt gewesen war). Seine ganze Aktion läßt sich nur künstlich in einen Zusammenhang bringen, in dem der Kern eine englische Annäherung an den Dreibund gewesen sei, die Wilhelm II. und Holstein schuldhaft verpaßt hätten.20 Auch wer bei Holstein die Anlage zum Mißtrauen für allzu stark entwickelt hält, kann seinem Urteil über die Teilungspläne - "als englisches Programm erklärlich" - nicht widersprechen. Das Endziel stand dem englischen Ministerpräsidenten, der gleich darauf auch öffentlich in einer Oberhausrede - anders als vor zwanzig Jahren - an die Türkei eine Absage richtete, klar vor Augen. Sein rascher Übergang zu Frankreich deutet an, daß die Frage, ob es mit dem Dreibund oder mit dem Zweibund zu erreichen sei, für ihn nur sekundär war, und befestigte daher Holstein noch mehr in der Überzeugung, daß man angesichts einer solchen englischen Politik weniger als je die Brücken nach Rußland abbrechen dürfe. Lord Salisbury legte anscheinend Wert darauf, seine Orientpläne, für die er niemanden zu erwärmen vermocht hatte, zu den Akten zu legen, um sie bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen. So erklärte er dem deutschen Botschafter am 25. Oktober: "Sollte es dennoch infolge irgendeines russischen Vorgehens im Orient zu einer Krisis kommen, so werde er sich sofort und vor allem nach Berlin wenden, sich sofort und zunächst mit uns verständigen." Aber die Spannung, die er zu verwischen strebte, war inzwischen - und nicht durch deutsche Schuld - auf einem anderen Gebiete noch stärker hervorgetreten.

[437] Es ist charakteristisch für die deutsch-englischen Beziehungen, in ihrem labilen Zustande, daß sie immer wieder von einem anderen Ende der Weltperipherie in Unruhe gesetzt werden: im Laufe des Jahres 1895 verschob sich ihr Brennpunkt von Ostasien über den Bosporus hinweg nach Südafrika. Hier liegt das eigentliche, empfindliche Zentrum der kolonialen Rivalitäten, denn hier handelte es sich um Objekte von rasch ansteigendem Wert, und hier war der Schauplatz, auf dem die aktivsten Kräfte des britischen Imperialismus auf eine entschlossene deutsche Abwehrstellung stießen. Das deutsche Interesse beschränkte sich nicht nur auf die eigenen Kolonien, die sich nur langsam entwickelten, sondern griff auf die Burenstaaten über, die infolge der Gold- und Diamantenfunde plötzlich eine starke Anziehungskraft auf deutsche Einwanderung und noch mehr auf deutsche Kapitalanlage und Industrieausfuhr ausübten. Vor allem war es für die afrikanische Gesamtpolitik des Reiches von Bedeutung, daß die Burenstaaten, insbesondere Transvaal - in dem Ausmaß der Selbständigkeit, das ihm im Vertrage mit England vom Jahre 1884 garantiert war - erhalten blieben.

Je mehr aber in dem Geiste von Cecil Rhodes jene weitgreifenden Zukunftspläne eines afrikanischen Imperialismus aufstiegen, um so empfindlicher nahm man von Kapstadt bis Kairo die moralische Rückendeckung auf, die das Deutsche Reich den Burenstaaten und ihrer Rechtsstellung bewußt gewährte. Auch die Londoner Politik begann diese Haltung, die nur an dem status quo festhielt, als unzulässig zu betrachten, ebenso wie die Sympathien der Buren, die dadurch hervorgerufen würden. Schon in den letzten Zeiten Roseberys war es einmal zu einer Vorhaltung in Berlin gekommen. Ein zweiter Versuch im Herbst 1895 führte sogar zu einem diplomatischen Zwischenfall. Am 14. Oktober 1895 stellte der abgehende Botschafter Sir Edward Malet dem Staatssekretär von Marschall gegenüber ohne einen geschäftlichen Anlaß fest, daß es in den deutsch-englischen Beziehungen nur einen schwarzen Punkt gäbe: die deutsche Haltung in Transvaal. Er machte der Reichsregierung den Vorwurf, daß sie die Buren zu einer feindlichen Haltung gegen England encouragiere, so daß diese, des deutschen Schutzes sich sicher wähnend, in zunehmendem Maße sich feindlich stellten. Die Fortsetzung dieser Haltung gegenüber Transvaal sei auf die Dauer unerträglich und könne zu ernsten Verwicklungen führen. Ähnlich sprach der Botschafter zu dem Reichskanzler. Das war eine Warnung, wenn nicht eine Drohung. In seiner Antwort betonte Marschall, daß die deutsche Politik in Transvaal ausschließlich die Erhaltung des status quo anstrebe, es aber als eine Verletzung seiner Interessen ansehen würde, wenn der Burenstaat die ihm 1884 garantierte Selbständigkeit verlieren und zu einem Bestandteil des großen "Rhodesia" werden sollte. Er ging dann dazu über, seinerseits ein Sündenregister der englischen Kolonialpolitik aufzurollen, und gab sogar zu bedenken, ob England so viel Freunde auf der Welt besitze, daß es leichthin einem Bruche mit Deutschland zutreibe. [438] Der nach Form und Inhalt ungewöhnliche Vorstoß des englischen Diplomaten wurde vom Kaiser, der ihm einen ultimativen und kriegerischen Sinn zuschrieb, sehr ernst aufgenommen. In seiner Beschwerde gegenüber dem englischen Militärattaché führte er, sich nun seinerseits übernehmend, die Argumentation Marschalls erregt weiter: ein solches Verhalten Englands zwinge dazu, gemeinschaftliche Sache mit Frankreich und Rußland zu machen, die an der deutschen Grenze ungefähr eine Million zu stehen hätten; es war, als wenn er dem Engländer nur noch die Wahl zwischen dem vertragsmäßigen Anschluß an den Dreibund oder dem Übergang ins andere Lager stelle. Seine seit dem Frühjahr ansteigende Gereiztheit gegen England schien ein bewußt antienglisches Programm in der großen Politik zu enthüllen. Der Bericht des Obersten Swaine hinterließ daher in London einen tiefen Eindruck; er ist ein Dokument, das man aus dem psychologischen Zusammenhang des Kommenden nicht herauslösen darf.

Der Zwischenfall selbst nahm ein rasches Ende, weil Salisbury jeden Auftrag zu dem Vorgehen Malets in Abrede stellte und auf das Drängen der deutschen Regierung ihr sein förmliches Bedauern über das "Mißverständnis" aussprechen ließ. Da in einem diplomatischen Mißverständnis in der Regel ein realer Kern zu stecken pflegt, so kommt man kaum um die Vermutung herum, daß Malet in Voraussicht der sich in Südafrika anspinnenden Dinge eine Art Einschüchterung der deutschen Politik versucht habe, wobei er sich freilich in der Form peinlich vergriff und eine weitere Übersteigerung der Gegenseite auslöste. Wenn Malet gleichsam einen Auftakt zum Jameson-Einfall lieferte, so war auch eine deutliche Antwort nicht ausgeblieben.

Kaum war diese peinliche Episode verschmerzt, so erregte der Orient erneutes Mißtrauen zwischen den beiden Mächten. Man witterte jetzt vollends in Berlin, daß in London ein vorbereitetes Doppelspiel getrieben werde. Was man vom englischen Standpunkt als "splendid isolation" bezeichnete, dieses System des Lavierens, Abtastens, Ausspielens des Zweibundes und des Dreibundes, stellte sich dem deutschen Standpunkt als das Herauslösen aus einer bis dahin eindeutig genommenen Stellung und der Übergang zu undurchsichtigeren Methoden dar. Soeben noch hatte man zu bemerken geglaubt, daß die englische Seite den österreichischen und italienischen Verbündeten in der Flottendemonstration vor den Dardanellen in die vorderste Linie zu manövrieren suchte; gleich darauf vernahm man von Petersburg mit einer gewissen Empörung, daß die englische Diplomatie, augenscheinlich an dem Teilungsgedanken festhaltend, dort ein russisch-englisches Kondominat am Bosporus in Anregung gebracht habe. Am 20. Dezember hielt der Kaiser dem englischen Militärattaché dieses Verfahren in höchst temperamentvoller Weise vor: das Verhalten Englands in der letzten Zeit auf diplomatischem Gebiet sei dergestalt zweideutig und fragwürdig, daß ihm keine der Kontinentalmächte mehr über den Weg traue; falls, was er nicht annehmen könne, Englands Absicht dabei gewesen sei, die Mächte untereinander zu ver- [439] feinden und gegeneinander auszuspielen, so werde es kein Glück damit haben, sondern den Kontinent als einen festen Block sich gegenüber finden. Aus der Vorhaltung des Kaisers, die im einzelnen die Grenzen der Vorsicht - zum Kummer Holsteins - überschritt, ist zu erkennen, wie mißtrauisch man nunmehr jeden Schritt der englischen Orientpolitik beobachtete. Auf der anderen Seite erwiderte Salisbury - wir haben seine vertraulichen Äußerungen unmittelbar aus den Tagen vor Jameson-Zug und Krüger-Telegramm - das deutsche Mißtrauen mit einer gegen den Kaiser höchst gereizten Stimmung.21

Nachdem die deutsche Politik in Ostasien einen Anschluß an Rußland vollzogen und gleich darauf den englischen Teilungsgedanken abgelehnt hatte, glaubte sie sich immer mehr zu überzeugen, daß England mit seinem Vorschlag die ostasiatische Dreiergruppe zu sprengen und einen neuen Brennpunkt der Mächtegruppierung im Orient zu schaffen gedenke: dagegen war man entschlossen, die Idee des Kontinentalbundes ins Feld zu führen. Das Endziel dieser Politik ist nicht englandfeindlich, sondern lief eher darauf hinaus, den Engländer, der überall in der Welt andere Wege zu gehen suchte, durch eine verdiente Lektion wieder an den Dreibund heranzuholen. Seitdem die Isolierung Englands auch in seinem Verhältnis zu Amerika durch die Clevelandbotschaft zutage getreten war, glaubte man auch von Europa her einen starken Ton anschlagen zu dürfen. Es geht um das alte Problem: die Einordnung Englands in die in Dreibund und Zweibund gespaltene Staatengesellschaft, also um ein Spiel von höchst delikater Natur, unzweifelhaft für die deutsche Seite dadurch erschwert, daß der Kaiser selbst, infolge seiner Beziehungen zu den Höfen von London und Petersburg, jetzt in die vorderste Linie der Spielleitung eingerückt war.

Während der Kaiser diese schwierige Auseinandersetzung vornahm, war in den südafrikanischen Grassteppen in größter Heimlichkeit schon jene Abenteurertruppe auf dem Marsche, die sich vorgesetzt hatte, mit einem Gewaltstreich das Gesicht des Erdteils zu verändern. Schon kurz vor Weihnachten trafen aus Pretoria beunruhigende Nachrichten ein, aus denen zu entnehmen war, daß sich hinter dem abgeleugneten Vorstoß Malets doch noch mehr verberge. Als Marschall den englischen Botschafter am 28. Dezember auf die seitens der englischen Partei in Johannesburg drohenden Unruhen hinwies, erinnerte er erneut daran, daß man auf der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit von Transvaal nach Maßgabe des Vertrages von 1884 bestehe und in den Plänen von Rhodes eine [440] schwere Beeinträchtigung der deutschen Interessen erblicke;22 es war die letzte Warnung an die englische Regierung, in deren Mitte Mr. Chamberlain über das Kommende ohne Zweifel tief unterrichtet war. Als die Nachricht von dem Einfall der 800 Mann unter Führung Jamesons am 1. Januar in Berlin eintraf, wirkte sie zwar wie eine Bombe, aber sie stieß zugleich auf eine gleichsam dafür vorbereitete politische Einstellung.

Der Kaiser wollte sofort nach Eintreffen der Nachricht telegraphisch seinen empörten Einspruch anmelden. Dann aber folgte die zweite Nachricht von der Gefangennahme der Jameson-Truppe durch die Buren der ersten so schnell auf dem Fuße, daß die Reichsregierung instand gesetzt wurde, sich zu der vollendeten Tatsache zu äußern. So erging am Mittag des 3. Januar 1896 die berühmte Depesche Wilhelms II. an den Präsidenten Krüger mit dem Wortlaut: "Ich spreche Ihnen Meinen aufrichtigen Glückwunsch aus, daß es Ihnen, ohne an die Hilfe befreundeter Mächte zu appellieren,23 mit Ihrem Volke gelungen ist, in eigener Tatkraft gegenüber den bewaffneten Scharen, welche als Friedensstörer in Ihr Land eingebrochen sind, den Frieden wieder herzustellen und die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen24 zu wahren." Noch wenige Tage vorher hatte Königin Victoria persönlich den Zaren und den deutschen Kaiser im Namen der Menschlichkeit gegen die armenischen Greuel aufrufen wollen, jetzt lief eine andere Rechtsverwahrung zugunsten der Kleinen und Schwachen um die Welt.

Die Krüger-Depesche, anfänglich mit Begeisterung vom deutschen Volke aufgenommen, ist später, sobald die bedenklichen Folgen sichtbar wurden, als ein Akt des unverantwortlichen Monarchen, als ein typisches Beispiel seiner "Impulsivität" gescholten worden. In Wahrheit handelt es sich um einen Staatsakt, der auf normale Weise zustande kommt; der Reichskanzler trägt die konstitutionelle Verantwortung; die Mitwirkung des Kaisers vollzieht sich innerhalb der korrekten Grenzen.25 In die politische Verantwortung haben sich Hohenlohe und Marschall mit dem Kaiser zu teilen. Herr von Marschall liebäugelte schon längst mit der Idee des Kontinentalbundes, um einen gewissen Druck auf England auszuüben und es zugleich zum Dreibund herüberzuholen. Jetzt ergriff er mit einer gewissen Leidenschaft die günstige Gelegenheit zu einer Bloßstellung des skrupellosen [441] Gegenspielers: "Nun muß gehandelt werden", hieß es in seinem Tagebuch schon am 31. Dezember. Wie in dem Kongokonflikt vom Sommer 1894, der überhaupt als ein Vorspiel dieses allerdings weit heftigeren Zusammenstoßes zu deuten ist, hatte er im ersten Augenblick auch dem französischen Botschafter ein Zusammengehen der Kontinentalmächte nahe gelegt. Und wenn man in seinem Tagebuch vom 3. Januar 1896 auf den Satz stößt: "Endlich richtet S. Majestät auf meinen Vorschlag ein Beglückwünschungstelegramm an Präsident Krüger", so könnte man annehmen, daß Marschall der eigentliche Urheber gewesen, und der spätere Versuch des Kaisers, sich selbst weitgehend zu entlasten, durchaus berechtigt sei. Ein solches Bild würde aber sehr unvollkommen sein. In Wirklichkeit ging Wilhelm II. nicht nur mit dem leidenschaftlich vorwärtsdrängenden Marschall, sondern - Stimmungsmensch, der er war - er hatte sogar noch viel weiter gehen wollen. Da England sich so offensichtlich ins Unrecht gesetzt hatte, schwelgte er in gefährlichen Einfällen, wie der Übernahme des Protektorates über Transvaal, der Mobilisierung der Seebataillone, der Entsendung von Truppen nach der Delagoabai, der Abordnung eines militärischen Erkunders, der Besetzung von Lourenço-Marques - alle diese ganz unmöglichen Pläne mußten dem Kaiser erst ausgeredet werden, bevor die im Vergleich damit harmlose Glückwunschdepesche zur Annahme gebracht wurde.26 Wenn es nach dem Willen des Kaisers gegangen wäre, würde er eine noch weit schwerere Verantwortung auf sich genommen haben.

Die deutschen Staatsmänner, die zu der Krüger-Depesche zusammenwirkten, standen unter dem doppelten Eindruck des offenkundigen Rechtsbruches, der auch in deutsche Interessen einschnitt, und der Notwendigkeit, einem neuen Kurs der englischen Politik mit starker Warnung zu begegnen: über die psychologische Aufnahme und Nachwirkung der von ihnen gewählten Mittel haben sie sich weniger Gedanken gemacht. Gerade von hier aus gesehen, erwies sich die Depesche als ein schwerer Fehler.27 Der Fehler lag nicht so sehr darin, daß in der Fassung die Linie der völkerrechtlichen Korrektheit leise überschritten wurde; auch eine korrektere und vorsichtigere Fassung würde die verhängnisvolle Nachwirkung kaum vermieden haben. Denn diese ging von dem Ganzen der deutschen Aktion aus: daß der Kaiser, der Enkel der Königin Victoria, in dem Augenblick, da der gescheiterte Rechtsbruch schon eine allgemeine Verurteilung gefunden hatte, mit dem Schwerte des Rechts an die Seite der Buren trat. Wilhelm II. sprach das Urteil der Welt aus, aber daß gerade er es tat, berührte das Unwäg- [442] bare, die Empfindlichkeit einer großen Nation. So geschah es, daß man jenseits des Kanals die Schmach des Mißgeschickes vor der öffentlichen Meinung in den Zorn über den deutschen Kaiser ablenkte.

Auch alle Kritik der Krüger-Depesche darf nicht daran vorbeigehen, daß die öffentliche Meinung Deutschlands und weit darüber hinaus das mannhafte Hervortreten des Kaisers billigte. Der Reichstag verlieh dieser Zustimmung einen starken und einmütigen Ausdruck. Niemals hatte der Kaiser eine so beifällige öffentliche Meinung hinter sich. Eine realistische Staatskunst wie diejenige Bismarcks wird diesen Erfolg der Popularität als zu teuer erkauft in der Welt großmächtlicher Wirklichkeiten beanstanden. Nicht so einfach ist die Stellungnahme für jede politische Denkweise, der die Ideale der Rechtsordnung der Völker höchste Güter schlechthin sind. Wenn die deutsche Politik der Stimme der Gerechtigkeit (nicht ohne gleichzeitige Wahrnehmung ihres Interesses) freien Lauf ließ, so sollten diejenigen, die einem veredelten Völkerrecht der Zukunft als ihrem Ideale zustreben, ein solches Vorgehen nicht verurteilen, sondern eher anerkennen.

Auch war die Krüger-Depesche kein Fehler, der nicht wieder gutzumachen gewesen wäre. Ein Urteil, welches sie zum Drehpunkt macht, an dem die vorher guten Beziehungen der beiden Staaten sich zum Bösen gewandelt hätten, scheint mir zweierlei zu übersehen: daß einmal die Beziehungen schon vordem nicht so einwandfrei gut waren, und daß sie auch nachher nicht für immer verdorben wurden. Trotz der Depesche sind die deutsch-englischen Bündnissondierungen der Jahre seit 1898 doch noch möglich gewesen; wenn auch ihre Erfolgschancen in der öffentlichen Meinung wohl dauernd verringert waren, so waren sie von diesem Erlebnis aus noch nicht zerstört. Für den Augenblick hatten die Deutschen jeder Anfechtung des status quo in Transvaal einen Riegel vorgeschoben. Die Frage war nur, wie lange er hielt. Der alte Reichskanzler in Friedrichsruh verwarf das Telegramm nicht, wenn er auch den Wortlaut nicht billigte, aber er blickte in die Zukunft voraus: "Der Streit um Transvaal ist damit nicht erledigt. England wird darauf nicht verzichten, es wird seine Aktion nur vertagen."28 Und so sei vorausblickend hier gesagt: die Sühne für den deutschen Schritt sollte nicht darin bestehen, daß man am 3. Januar 1896 die englische Bündnismöglichkeit für immer verscherzte, sondern darin, daß man wenige Jahre später dem Untergang der Buren tatenlos zusehen mußte.

Zunächst aber zu den Nachwirkungen des Augenblicks. Die englische Politik setzte alles daran, um der Offensive der Depesche auf breiter Front zu begegnen. Sie stellte nicht nur ein fliegendes Geschwader gegen Deutschland in Dienst,29 sondern suchte in ihren gesamten Weltbeziehungen das Steuer mit der Richtung [443] gegen Deutschland herumzuwerfen. Am weitesten griff der Entschluß, in dem schweren Konflikt mit Amerika ungesäumt den Rückzug anzutreten; am 12. Januar ließ man in Washington vertraulich wissen, daß Großbritannien, wenn die Vereinigten Staaten eine internationale Konferenz berufen würden, zur Anerkennung der Monroe-Doktrin als eines Bestandteils des internationalen Rechtes bereit sein würde.30 In Europa aber nahm man einen Anlauf, allen Gegnerschaften gegen Deutschland die Hand zu reichen und alle Verbindungen zu dem deutschen Bündnislager abzubrechen. Selbst von Kopenhagen kamen unbestimmte Nachrichten, daß von London dort angefragt worden sei, ob Dänemark im Kriegsfalle mitgehen würde.31 Vor allem suchte man sofort die Fühlung mit Frankreich. Wenn Salisbury dem deutschen Botschafter zu verstehen gab, daß England schließlich auch ohne Ägypten fertig werden könne,32 so mochte man in Berlin daraus entnehmen, welchen Preis das Inselreich für Transvaal zu zahlen bereit war. Ob das Wort des französischen Botschafters in London: Frankreich kennt nur einen Feind, amtlich ausgesprochen wurde, mag auf sich beruhen; die Pariser Presse, der Temps an der Spitze, sollte sich bald auf die Formel einigen, daß Transvaal nicht geeignet sei, die Aufmerksamkeit Frankreichs von Elsaß-Lothringen abzulenken - und die englische Presse wußte, mit welcher Tonart sie diesen Ball aufzunehmen hatte.33 Auf der anderen Seite griff Salisbury auf den türkischen Teilungsplan zurück, von dem zu erwarten war, daß er mit der Kraft des Scheidewassers die bestehende Mächtegruppierung zersetzen würde; ähnlich wie Rosebery im April 1894 die Bindungen an die Dreibundmächte aufgelockert hatte, zog auch er die Konsequenz, die mit Österreich und Italien bestehenden Orientabkommen entweder als belanglos auszulegen oder aber formell außer Kraft zu setzen;34 ein österreichischer Versuch, die Entente zu verlängern oder zu vertiefen, wurde im Laufe des Februar 1896 abgelehnt.35 Innerhalb des Dreibundes aber blieben die Rückwirkungen der englischen Umstellung [444] nicht ganz aus; es kam doch dazu, daß Italien für gewisse Modalitäten seine Bündnisverpflichtung gegenüber Deutschland einschränkte.36

Gegenüber diesen überraschenden Umstellungsversuchen der englischen Politik hatte die optimistische Auffassung Holsteins: daß die Sache "mit einem kleinen diplomatischen Erfolg für Deutschland und einer kleinen politischen Lektion für England"37 zu Ende gehen würde, keinen Bestand. Denn in der Tiefe des englischen Volkes und nicht nur gewisser Interessenkreise blieb ein Rückstand bitterer Empfindungen. Während der Krisis hatte die von Frank Harris geleitete Saturday Review, hinter der das Kapital der südafrikanischen Minenspekulanten Cecil Rhodes, Alfred Beit und Alfred Ochs stand, zum ersten Male das früher unmögliche Wort: "Germania est delenda" sich entfahren lassen. Und bald spürt man an manchen Stellen des englischen Lebens Kräfte am Werke, die mit der Zeit in die Vorgeschichte des Weltkrieges verantwortlich eingreifen werden.

Inzwischen war die Episode der Krüger-Depesche als solche längst abgelaufen. Kaiser Wilhelm II. hatte schon nach kaum einer Woche in einem Schreiben die Königin Victoria über seine persönlichen Absichten beruhigt (woraus dann die enttäuschten Franzosen eine demütigende Unterwerfung machten), und es stellte sich alsbald heraus, daß der Zwischenfall, der eine so tiefgehende Verbitterung verursacht hatte, auf dem Kampfplatze selbst eigentlich ohne praktische politische Wirkung blieb, insofern, als weder die grundsätzliche Rechtslage in Südafrika noch der augenblickliche Rechtsstreit durch ihn verändert wurde. Auch die Ausnutzung der Spannung zum Einbringen einer Flottenvorlage, die einen Augenblick dem Temperament des Kaisers möglich schien, wurde zum Glück, vermutlich aus der naheliegenden politischen Erwägung, vermieden.38 So wurde es denn nach einigen Monaten möglich, daß wenigstens [445] der geschäftliche Verkehr in den alten Formen wiederhergestellt und ein sachliches Zusammengehen auf einem begrenzten Schauplatz durchgeführt wurde.

Am 1. März 1896 erlitt das italienische Heer durch die Truppen Abessiniens eine schwere Niederlage - das bedeutete nicht nur, daß die Leistungsfähigkeit der Dreibundmacht Italien durch diesen Schlag beeinträchtigt wurde, sondern auch, daß der Dreibundgedanke in Italien selbst eine Schwächung erfuhr. Der Rücktritt Crispis war die unmittelbare Folge. Grund genug für Kaiser Wilhelm, daß er in höchst persönlichem Stil alles daran setzte, dem König von Italien sein Mißgeschick in aller irgendwie dienlichen Weise zu erleichtern. Er kam dabei auf den glücklichen Gedanken, eine Bemühung bei England zugunsten Italiens mit dem Bestreben zu verbinden, ein normales Verhältnis zu England wiederherzustellen.39 Noch gingen allerdings die Wogen in London hoch. Es kennzeichnet die Lage, wenn der Daily Telegraph und die Times vom 6. bis 7. März den Fehlschlag einer Dreibundmacht zum Anlaß nahmen, um die Revision des Frankfurter Friedens, vorsichtigerweise als eine Aufgabe für Rußland, zur Sprache zu bringen.40 Die englische Regierung jedoch lenkte nach dieser Entgleisung ein. So wenig sie geneigt war, die aussichtslose Stellung der Italiener in Abessinien zu stützen, so nahm sie doch die Gelegenheit wahr, wenigstens die eigene Stellung im Sudan durch die Expedition nach Dongola zu verstärken und sich dabei des Rückhalts seitens des Dreibundes zu bedienen.41 Dieses Unternehmen bedingte zwischen den Kabinetten ein förmliches Begräbnis der Jameson-Krüger-Episode. So las denn Sir Frank Lascelles im Auswärtigen Amt in Berlin am 13. März einen Brief Lord Salisburys vor, in dem es hieß, er wünsche, wie in früherer Zeit, mit Deutschland auf dem Fuße gegenseitiger freundschaftlicher Beziehungen zu stehen. England wolle sich an den Dreibund anlehnen, werde aber nie ein Versprechen geben, welches für irgendeine zukünftige Eventualität die Ver- [446] pflichtung zum Kriege enthalte. So suchte der afrikanische Flügel des britischen Imperialismus, dessen Träume sich auf der Linie von Kap bis Kairo bewegten, die im Süden erlittene Schlappe zunächst im Norden auszugleichen, alles weitere der Zukunft überlassend. Die Folge war, daß die weitere Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen vornehmlich wieder von dem orientalischen und dem ostasiatischen Schauplatze beeinflußt werden sollte.

Auf dem Orientschauplatze blieb der in: Sommer 1895 eröffnete Gegensatz bestehen. Die deutschen Staatsmänner waren überzeugt, daß England noch immer auf eine Orientkrise hinarbeite42 und am liebsten die Absetzung des Sultans sehen würde.43 Vor allem nahm Lord Salisbury jede Gelegenheit wahr, um dem deutschen Gegenspieler zu verstehen zu geben, daß er sich in dem freigewählten Zustand der splendid isolation wohl befinde und keine Änderung wünsche. Daher betonte er, daß England mit Rußland und Frankreich im Mittelmeer allein fertig werden könne und den Dreibund nicht nötig habe;44 auf der anderen Seite hielt er dem deutschen Botschafter vor, daß die Berliner Politik den Dreikaiserbund, d. h. einen schon in den siebziger Jahren immer nur mit Mißtrauen beobachteten Zustand der Dinge, wiederherstellen wolle. Graf Hatzfeldt, der seit über einem Jahrzehnt in einem vertraulichen Verhältnis zu dem Ministerpräsidenten stand, setzte dieser Annahme einen Rückblick auf die deutsch-englischen Beziehungen entgegen: "Was ich aber wisse und ihm ebenso gut bekannt sein müsse, sei, daß ich mich jahrelang vergeblich bemüht hätte, die englische Regierung über ihr eigenes Interesse in bezug auf die Gruppierung der Mächte in Europa aufzuklären." Lord Salisbury gab dies bereitwillig zu, fügte aber mit einer gewissen Freundlichkeit hinzu, daß der Anschluß Englands an den Dreibund dem englischen Interesse vielleicht entsprochen hätte, daß er sich aber nicht machen lasse, "weil er einmal mit den hiesigen Traditionen im Widerspruch stehe".45

Es lag auf derselben Linie, wenn Salisbury einige Wochen später die Idee einer Verständigung mit Frankreich streifte. Der deutsche Botschafter zog aus seinen bisherigen Beobachtungen noch nicht den Schluß, daß ein positiver Plan vorliege, der vielleicht nur durch einen hohen Preis erkauft werden könne. Aber er gelangte doch zu Erwägungen, die, gerade von ihm ausgesprochen, sehr zu denken gaben. "Die heutigen vertraulichen Äußerungen des Premierministers sind aber [447] jedenfalls von hohem Interesse, weil sie darüber keinen Zweifel lassen, daß er den Gedanken einer Allianz mit Frankreich zu bestimmten Zwecken im Kopfe hat und zu verarbeiten sucht.46 Lord Salisbury ist nach meinen Erfahrungen ein Opportunist, dessen inneres Gleichgewicht durch eintretende äußere Schwierigkeiten niemals ernstlich beeinträchtigt wird, weil er von sich selbst überzeugt ist, daß es seinem erfinderischen Geiste niemals an Auswegen und Kombinationen fehlen wird, um England mit Hilfe seiner ungeheuren Flotte gegen alle denkbaren Gefahren zu decken."4748 Als im Februar 1897 zwischen Österreich und England eine Unterhaltung über die Meerengenfrage stattfand, stellte sich ein überraschender Widerspruch zwischen den früheren und jetzigen Äußerungen Salisburys heraus. Während er bis vor kurzem stets die Möglichkeit offen gelassen hatte, daß England unter gewissen Voraussetzungen Österreich im Orient zur Seite stehen werde, betonte er jetzt die Unmöglichkeit, sich im Orient mit Österreich festzulegen. Als er aber die Schuld für das dadurch in Wien hervorgerufene Mißtrauen auf Berlin zu schieben suchte, kam man hier mit Recht zu dem Ergebnis: "Je nachdem es ihm paßt, andere Kabinette einzuschüchtern oder zu ködern, läßt Lord Salisbury die eine oder die andere dieser Verständigungen am Horizonte auftauchen oder verschwinden''.49

Die aus allen diesen Symptomen erkennbare Abkühlung der deutsch-englischen Beziehungen wurde dadurch verschärft, daß die öffentliche Meinung Englands seit der Krüger-Episode ihren gereizten Ton nicht wieder aufgab. Noch im Jahre 1896 hatte ein zeitkundiger Schriftsteller es bereits unternommen, in einem Buche Made in Germany allerhand kleine Eifersüchte, die bisher eine Angelegenheit der geschäftlichen Konkurrenz waren, unter einem politischen Schlagwort für die Allgemeinheit zusammenzufassen. Wie viele deutsche Autoren habe ich früher dazu geneigt, in dieser Haltung der Presse einen ursprünglichen Ausdruck der Wirtschaftsrivalität und des Handelsneides zu sehen,50 doch habe ich mich immer mehr davon überzeugt, daß diese als primäres Motiv der Entfremdung überhaupt nicht in Betracht kommen: sie sind vielmehr als ein brauchbares sekundäres Motiv von den Führern des politischen Gegensatzes aufgegriffen und zur Bearbeitung der Massen verwendet worden.51 Wenn z. B. das [448] Organ der südafrikanischen Imperialisten und Spekulanten, die durch eine ausgesprochene antideutsche Haltung ausgezeichnete Saturday Review, am wildesten auf die deutsche Konkurrenz losschlägt, so geschieht das, weil ihre Hintermänner aus naheliegenden Gründen die große politische Wendung in der öffentlichen Meinung durchdrücken wollen. So griff sie jedes Schlagwort auf, das am europäischen Horizont auftauchte, um ihr mit der ganzen Zähigkeit eines angelsächsischen publizistischen Kreuzzuges verfolgtes Ziel zu erreichen. Am 27. August 1897
Präsident Felix Faure in Petersburg, Juli 1897.
[448a]      Präsident Felix Faure in Petersburg, Juli 1897.
hatte der Trinkspruch des Zaren Nikolaus bei dem Besuch des Präsidenten der französischen Republik zum ersten Male von den beiden befreundeten und alliierten Nationen gesprochen. Vierzehn Tage darauf schoß der berühmte Artikel der Saturday Review unter den deutschfeindlichen Organen den Vogel ab:

      "England mit seiner langen Geschichte erfolgreicher Offensiven, mit seinem wunderbaren Glauben, daß es in Verfolg seiner eigenen Interessen zugleich Licht unter den im Dunkel lebenden Völkern verbreitet, und Deutschland, Blut von demselben Blut, Bein von demselben Bein, mit einer geringeren Willenskraft, aber vielleicht einer schärferen Intelligenz ausgestattet, treten in jedem Winkel des Erdballs in Wettbewerb. In Transvaal, am Kap, in Zentralafrika, in Indien und im Orient, auf den Inseln der Südsee und im fernen Nordwesten, wo nur die Flagge der Bibel und der Handel der Flagge folgte, da steht der deutsche Geschäftsreisende mit dem englischen Handelsmann im Kampfe. Gibt es dort ein Bergwerk auszubauen, eine Eisenbahn zu bauen, einen Eingeborenen von der Brotfrucht zum Büchsenfleisch, von der Temperenz zum Branntwein zu bekehren, so kämpfen Deutsche und Engländer um den ersten Platz. Eine Million kleiner Streitigkeiten erzeugt die größte Kriegsursache, die die Welt je gesehen hat. Wenn Deutschland morgen ausgelöscht wäre, so würde es übermorgen keinen Engländer in der Welt geben, der nicht um so viel reicher wäre. Nationen haben jahrelang um eine Stadt oder um ein Erbrecht gefochten: müssen sie nicht fechten für einen Handelswert von 200 Millionen Pfund? England ist die einzige Großmacht, die Deutschland ohne furchtbare Gefahr und ohne Zweifel über den Ausgang bekämpfen könnte... Ein paar Tage nur, und die deutschen Schiffe werden auf dem Meeresgrunde liegen oder als Prisen nach England geleitet werden. Hamburg und Bremen, der Kieler Kanal und die Ostseehäfen würden unter den Kanonen Englands liegen, bis die Kriegsentschädigung gezahlt wäre. Unser Werk getan, brauchten wir weiter nichts, als Frankreich und Rußland zu sagen: Sucht euch irgendeine Kompensation. Nehmt vom deutschen Boden, was ihr wollt - ihr könnt es haben."52

[449] Man sieht: den Stoff liefert die Handelsrivalität, aber der Kern und Zielpunkt des Artikels liegt in dem zum Schluß durchbrechenden verlockenden Anerbieten an den Zweibund.

Unter dem Eindruck dieser Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen in den Jahren 1896/97 hat der Gedanke des Baues einer größeren Flotte, der schon kurze Zeit vor der Krüger-Episode ernsthaft erwogen worden war, von dem politischen Willen des Kaisers und seiner Berater, ja des überwiegenden Teiles der öffentlichen Meinung im deutschen Volke Besitz ergriffen. Aus dem Erlebnis des Januar 1896 war doch ein starkes Gefühl der Wehrlosigkeit zur See zurückgeblieben, und hinter dem Einzelfall hatte sich mit einem Schlage etwas Allgemeineres, die innere Problematik, die verborgene Abhängigkeit des ganzen Kolonialbesitzes und der ganzen überseeischen Handelswerte des Reiches eindringlich und demütigend enthüllt. Man konnte sich nicht mehr darüber hinweg täuschen, daß die deutschen Kolonien, ohne alle maritimen Machtmittel einzig kraft der hegemonischen Stellung des Bismarckschen Reiches in den Jahren 1884/85 erworben, mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten nur dann sicher behauptet werden könnten, wenn Deutschland auch über Seestreitkräfte in einem für eine Großmacht nennenswerten Umfange verfügte. Wie konnte man hoffen, die stark wachsende Handelsflotte und die ununterbrochen fortschreitende Festlegung von Kapitalien und Errichtung von Anlagen in Übersee gegen alle Gefahren zu sichern, wenn das Reich, wie es der Fall war, als (nach Österreich-Ungarn) schwächste der Großmächte zur See vier sog. Schlachtschiffe - in Wahrheit nur schwere Küstenverteidiger - und vier kleinere Panzerschiffe in Dienst stellen konnte.53 Und ließ sich schließlich erwarten, daß man bei dieser Unvergleichbarkeit mit wirklicher Seemacht von einer Großmacht wie Großbritannien jemals ernst genommen werden würde - da man an der für sie entscheidenden Stelle überhaupt nicht "Macht" war, so war es unvermeidlich, daß man als Bundesgenosse zu leicht wog, in Streitfragen aber kurz und ungnädig abgefertigt wurde.

So lauteten die Grundgedanken, die der neue Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred Tirpitz, der am 31. März 1897 von der ostasiatischen Station zurückgekehrt war, mit einer seltenen Verbindung von Sachlichkeit und Feuer verkündete. Mit ihm betrat einer der bedeutendsten Männer, willensmäßig vielleicht die stärkste Persönlichkeit des nachbismarckschen Zeitalters, die Bühne der Öffentlichkeit. Ein unvergleichlicher Organisator und ein umstrittener Politiker, hat er mit seinem Werke und seinem Wollen tiefe Spuren in der Geschichte Wilhelms II. hinterlassen, wie er selbst mit dessen Schicksal auf das stärkste verbunden bleibt. [450] Es war ein denkwürdiger Tag, der 15. Juni 1897, der das zehnte Regierungsjahr Wilhelms II. eröffnete, als Tirpitz dem Kaiser einen Immediatvortrag über seinen großen Flottenplan hielt, der durch seinen zweckmäßigen Aufbau, seine überzeugende Begründung, seine geschickte Mittelverteilung allen seinen Vorgängern überlegen war. Der Plan fand das Einverständnis des Kaisers. Mit der Geschlossenheit seiner Natur, der von Schwung getragenen Sachkunde und auch mit politischen Illusionen, die er aber immer wieder in gewissen Grenzen zu halten wußte, hat Tirpitz von diesem Tage an einen Einfluß begründet, dem Wilhelm II. dauernder gefolgt ist als jedem anderen seiner Berater.

Tirpitz hatte seinem Flottenplan den Leitsatz "Stärkung unserer politischen Macht und Bedeutung gegen England" zugrunde gelegt. Wenn der Kaiser sich mit diesem Gedanken "absolut einverstanden" erklärte, so glaubte er nach den politischen Erfahrungen der letzten Jahre, zumal aber seit der Krüger-Depesche, dazu Ursache genug zu haben. Liest man in einer Randbemerkung des Kaisers vom 31. Juli 1897 die Worte: "Nach der Anerkennung der Überlegenheit der deutschen Industrie wird deren Vernichtung in Bälde von Albion angestrebt und unzweifelhaft erreicht werden, wenn nicht energisch und rasch ein starker Flottenbau bei uns dem Urteil vorbeugt: ceterum censeo naves esse aedificandas —" so hört man in der Schlußwendung noch eine Erinnerung an den ersten Artikel der Saturday Review nachklingen und zu dem - in dieser Form sehr übertriebenen! - Bilde des englischen Vernichtungswillens gegenüber seinem Konkurrenten beitragen. In dem psychologischen Zusammenhange sind diese Dinge bei der Entstehung des Tirpitzschen Flottenplanes nicht zu streichen; und man könnte sich schon vorstellen, daß, als der Admiral am 15. September 1897 dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe seinen Vortrag über die nunmehr fertig ausgearbeitete Flottenvorlage hielt, er ihm gleichzeitig den einige Tage vorher erschienenen zweiten Artikel der Saturday Review (vom 11. September) überreichte, dessen maßlose Herausforderung wir oben wiedergegeben haben.54

Daß die Idee der Flottenvorlage auf den politischen Gegensatz gegen England als Kern der deutschen Außenpolitik abzielte, würde eine durchaus irrige Annahme sein. Allerdings will sie in jeder Auseinandersetzung mit England dem von deutscher Seite vertretenen Standpunkt ein größeres Schwergewicht geben, um ihn entsprechend zur Geltung zu bringen. Schon in dem erwähnten Gutachten von Tirpitz, Anfang des Jahres 1896, war der Gedanke ausgeführt worden: "Selbst der größte Seestaat würde entgegenkommender gegen uns sein, wenn wir 2 - 3 gute und hochgeschulte Geschwader in die Waagschale der Politik und dementsprechend nötigenfalls in diejenige des Konflikts zu werfen imstande wären" - eine Vorform des späteren problematischen "Risikogedankens". Das alles ist [451] zunächst eine Zukunftserwägung, die wenig für einen Staat besagt, der bis zum 1. April 1905 während des Sexennats lediglich 11 Linienschiffe, 5 große und 17 kleinere Kreuzer auf Stapel zu legen sich vorsetzt. Selbst diese Zukunftsmöglichkeiten besaßen damals für die Engländer nicht den geringsten Grad von Beunruhigung, ganz abgesehen davon, daß es ihnen noch als unbewiesen galt, ob die Deutschen überhaupt imstande wären, eine solche Flotte aus eigenen Kräften zu bauen und auszurüsten, zu organisieren und auszubilden.55 Im übrigen waren damals in den deutsch-englischen Beziehungen die akuten Reibungsflächen fast verschwunden, es war der Augenblick, in dem Südafrika aus dem deutschen Interessenkreise wieder ganz zurückzuweichen begann und in der Ferne China in den Vordergrund des Mächtespiels rückte; in den Wochen nach der Verabschiedung der Flottenvorlage fingen die Engländer zum ersten Male wieder an, einen vertraulicheren Ton anzuschlagen.

Unmittelbar vor dem Amtsantritt des Staatssekretärs Tirpitz hatte der Reichstag eine bescheidene Vorlage abgelehnt. Im März 1898 bewilligte er mit großer Mehrheit eine weitausschauende, langfristige Vorlage von sehr viel größerem Umfange. Dieser politische Umschwung ist nicht allein dem agitatorischen Geschick von Tirpitz zuzuschreiben, der, wie der Kaiser ihm nachrühmt, das Riesenwerk fertiggebracht habe, nicht nur ein Volk von "50 Millionen widerhaariger, nicht informierter, übelgelaunter Deutscher", sondern auch die Mehrheit der Minister zu seiner Ansicht zu bekehren. Es war auch nicht nur das starke Lebensinteresse des Handels und der Industrie, das sich mit der Flotte verband, nicht allein das Erleben dieser Jahre, in denen immer wieder von neuem durch aufregende Geschehnisse in der Welt einem sehr binnenländisch gewordenen Volke das Wesen der Seemacht eingehämmert wurde. Es war das nationale Bewußtsein selbst, aus dem dieser Umschwung hervorging, das nationale Bewußtsein, das, im Reiche saturiert und in seinen Kontinentalgrenzen wieder fest eingeengt, über See nach größeren Schauplätzen der Betätigung sucht - es war der politische Sinn eines Volkes, das in dem Reiche häufig genug nur die monarchische Repräsentation mit ihrem höfischen Glanz, die Intrigen der höfisch-ministeriellen Cliquen und den kleinlichen Streit der Parteien sah und von einer tiefen Sehnsucht nach einem weiteren und freieren Horizont, nach einem Jungbrunnen für das ganze Leben der nationalen Gemeinschaft erfüllt war.

[452] Der alte Hohenlohe war von Hause alles andere eher als ein Phantast und "Marinist". Wenn er sich jetzt für die Schlachtflotte aussprach und einem alten, von schwarzen Bedenken erfüllten bayrischen Freunde die sachliche Notwendigkeit zu erweisen suchte,56 ging er vor allem davon aus, es sei ungerecht, dem Kaiser vorzuwerfen, daß er die Flotte aus Laune oder zu seinem Vergnügen baue:57 "Er tut nichts anderes als das ausführen, was das deutsche Volk seit hundertfünfzig Jahren angestrebt hat." Das war gerade in seinem Munde keine Redensart. Selbst einer der Senioren der alten liberalen Nationalpartei, konnte er den historischen Nachweis führen. So stellte sich ihm der Lauf der Vergangenheit dar: das friedliche, unbedeutende, machtlose Dasein in der Zeit des Bundestages, das eines Tages dem deutschen Volke nicht mehr genügte: "es wollte einheitlich gestaltet sein und eine Rolle in der Welt spielen"; und dann nach Burschenschaft und Nationalverein, der ganze Weg von 1848 bis 1871, bis zur Gründung des Reiches; und als dieses Reich Mittel brauchte, um zu leben, der Übergang vom Freihandel zum Schutzzoll, der mächtige Aufschwung von Industrie und Außenhandel; und nun die Notwendigkeit, alle diese Werte der Nation durch eine Flotte von Rang zu schützen. In diesen Dingen lag allerdings ein tieferer historischer Zusammenhang, und wenn der alte pessimistische Münchner Freund des Kanzlers sich jetzt auch nicht mehr überzeugen ließ, so mußte er doch gestehen, selbst im Jahre 1846 in einem Drama die schönen Worte ausgesprochen zu haben: Deutschland müsse eine Seemacht werden, Gott habe die Meere an unseren Küsten nicht ausgegossen, damit fremde Kiele sie durchfurchen sollten.

Das alles hatte der Engländer Lord Lytton schon 1874 vorausgesehen, wenn er die Frage aufwarf: Gibt es in der Geschichte irgendeinen Fall eines binnenländischen Staates, der plötzlich die militärische Vorherrschaft in Europa gewinnt, ohne sich mittels seiner militärischen Stärke und seines Ansehens zu bemühen, eine Seemacht zu werden? Aber man kann keine Seemacht sein ohne Kolonien.58


1 [1/426]So Holstein an Hohenlohe, 26. 10. 1894. Denkwürdigkeiten Hohenlohes 3, 2. ...zurück...

2 [1/427]Große Politik 9, 245 f. ...zurück...

3 [2/427]Daß es sich um ein Novum (wenigstens dem Grade nach) handelt, zeigt das spätere Schreiben Holsteins an Eulenburg vom 25. 12. 1895 an: "Warum mischt sich S. M. jetzt in die auswärtigen Sachen. Er hat das bisher nicht in der Weise getan... andererseits hat S. M. den Eindruck, daß Er mit Hohenlohe machen kann, was er will...! Nach meiner Empfindung sollte Hohenlohe jetzt einen letzten energischen Versuch machen, Wandel zu schaffen, indem er den Kaiser darauf hinweist, daß direkte diplomatische Eingriffe S. M. nicht möglich sind." Haller, Aus dem Leben des Fürsten Philipp zu Eulenburg, S. 184. ...zurück...

4 [1/428]Hohenlohe, Denkwürdigkeiten 3, 15. ...zurück...

5 [2/428]Denkwürdigkeiten 2, 519. ...zurück...

6 [3/428]Siehe oben S. 390. ...zurück...

7 [4/428]Schuwalow an Giers 5./17. Januar 1895, Berliner Monatshefte, April 1932, S. 349 ff. ...zurück...

8 [1/429]Der Kaiser rechnete von vornherein damit, daß an dem ostasiatischen Gegensatz "die berühmte Entente cordiale mit Rußland von Rosebery" zerfallen würde. Sein Endziel dabei war ursprünglich: "Und England kehrt schließlich reumütig in die Arme des Dreibundes heim." Randbemerkung Wilhelms II. zum 19. März 1895, Hohenlohe 3, 52. ...zurück...

9 [1/430]Vicomte Aoki erklärte in Berlin am 2. April 1895: "es sei gar kein Grund vorhanden, warum England und Rußland allein in China Landerwerbungen machen sollten; Deutschland könne ganz gut für sich eine Provinz im Südosten Chinas beanspruchen; ein solcher Besitz sei viel schätzenswerter als unsere ganzen Kolonien in Afrika. Wir würden dort miteinander schon fertig werden." Große Politik 9, 260. ...zurück...

10 [1/431]Gr. Pol. 9, 349, 351. ...zurück...

11 [1/432]Mit diesem Briefwechsel setzte ein systematisches Eingreifen in den Geschäftsgang der Außenpolitik ein. Der Brief vom 26. April wurde dem Reichskanzler erst am 12. Mai bekannt; Hohenlohe, Denkwürdigkeiten 3, 63. Auf die Beschwerde Hohenlohes sagte der Kaiser zu, nicht mehr ohne sein Wissen an den Zaren schreiben zu wollen; Schweinitz, Briefband S. 327. Am 25. August klagte Holstein von neuem, daß die Korrespondenz mit dem Zaren die Aktion des Auswärtigen Amtes lähme; Haller, a. a. O., 178. ...zurück...

12 [2/432]Große Politik 11, 339. ...zurück...

13 [1/433]"Der Revanchegeist sei keineswegs im Erkalten, das wäre ein verhängnisvoller Irrtum, die Verbrüderung beider Heere, Flotten, Lehrkörper, Studenten und anderer Volkskreise und Stände haben wesentliche Fortschritte gemacht." 23. Oktober 1896. (Große Politik 11, 374.) ...zurück...

14 [2/433]Kaiser Wilhelm II. an Königin Victoria am 12. Juli 1898: "Confidence in British foreign policy which had become a little difficult to understand under Rosebery is greatly strengthened again." Buckle, Letters to Queen Victoria, 3, 2, S. 535. Es ist anzunehmen, daß die Verpflichtungen von 1887 bzw. 1890 (Italien und Österreich gegenüber) mit der Staatsleitung Salisburys wieder ins Leben traten. ...zurück...

15 [1/434]Zuerst 10. Juli: "Es konnte ein Augenblick kommen, wo Rußland und England einmal wieder in der Sache übereinstimmen, und das würde dann das Ende der türkischen Herrschaft bedeuten." (Große Politik 10, 40 f.) ...zurück...

16 [2/434]Als die deutsche Regierung am 21. Oktober 1902 auf die Teilungspläne Salisburys von 1895 zurückkam, antwortete Lansdowne am 6. November 1902, es scheine ein Mißverständnis vorzuliegen, "da nach zurückgelassenen Aufzeichnungen des Premierministers derselbe nicht direkt eine Teilung vorgeschlagen, sondern bei dem morschen Bau des Ottomanischen Reiches nur hypothetisch (Randbemerkung Holsteins: »Nein. Nach Hatzfeldts Mitteilungen handelt es sich einfach um den Entwurf eines Teilungsplanes«) die Folgen erörtert hätte, die bei einem etwaigen Zusammenbruch desselben eintreten würden". Entsprechend Lansdowne zu Wilhelm II., Große Politik 18, 484, 438. - Zur Klärung vgl. man das Telegramm Salisburys nach Petersburg vom 25. Januar 1898 über China und Türkei: "Wir streben keine Gebietsverteilung an, sondern nur eine Teilung des Übergewichts." ...zurück...

17 [1/435]E. Jäckh, Kiderlen, a. a. O. 1, 131. ...zurück...

18 [2/435]Das Material über die Besprechung von Cowes ist sehr dürftig. Hatzfeldts Bericht vom 7. August, Große Politik 10, 25, Erzählung des Kaisers an Schweinitz, Briefband, S. 325 ff. Bemerkungen von Holstein (25. August) und Eulenburg (22. August) bei Haller, a. a. O. Sir Valentine Chirol, The British Foreign Policy 3, 275, dazu Große Politik 17, 01. Waldersee, Denkwürdigkeiten 2, 356. Die in den Lebenserinnerungen des Frhr. v. Eckardstein 1, 212 ff., 2, 287, 3, 64 ff. gegebenen Notizen sind durch so grobe Unrichtigkeiten entstellt, daß sie mit allen Folgerungen als wertlos erscheinen. Dem Publizisten Chirol war später erzählt worden, der Vorschlag der Teilung der Türkei wäre vom Kaiser ausgegangen, und Salisbury habe sich der Erörterung nur durch schleunige Abreise entziehen können. Als Holstein ihm im Jahre 1901 die Akten zeigte, gestand er: "Man war doch bisher gewöhnt anzunehmen, daß dem Worte eines Premierministers Glauben zu schenken sei." - Wenn der Kaiser sich im Jahre 1898 auf die Briefe beruft, die er an Salisbury gerichtet, und auf die Gespräche, die er mit Salisbury gehabt habe, so kann sich das nur auf die Zeit vor dem Juli 1895 beziehen. ...zurück...

19 [3/435]Sie erfolgte erst auf eine Mahnung der Königin Victoria an Salisbury, Letters of Queen Victoria 3, 2, S. 547 f. ...zurück...

20 [1/436]Diese Einordnung beherrscht die Darstellung von Fr. Meinecke, Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems. Der Plan Salisburys muß zunächst vom englischen Interesse aus verstanden werden; wenn man ihn von der Bündnisfrage her - im Grunde aus einer späteren Problemstellung - vorwiegend zu deuten sucht, verliert er sein wahres Gesicht. ...zurück...

21 [1/439]Salisbury an Dir. Arthur Bigge, 24. Dezember 1895: "He has got into his head that we are intriguing against him. It is an extraordinary delusion, but it may be wise to take precautions against it" und am 29. Dezember 1895 (auf den Vorschlag der Königin Victoria, einen Brief an den Kaiser zu schreiben): "From what I have seen of his character, I should rather dread giving him umbrage. He has not recovered from the intoxication of his accession to power; it is rather growing worse. But I repeat that she knows him infinitely better than I do." Letters of Queen Victoria, 3, 2, S. 582 f. ...zurück...

22 [1/440]Wie sehr man darin recht hatte, geht aus dem späteren Geständnis von Rhodes hervor: "Meine Aktion bedeutete nicht Engländer gegen Holländer. Aber wir wollten das deutsche Element nicht haben, und die Regierung von Pretoria mußte gehen." Rhodes an Harcourt 14. 5. 1896, Michell, Rhodes Bd. 2. ...zurück...

23 [2/440]Diesen Passus beanstandete Bismarck in privater Kritik, da er das Deutsche Reich und Transvaal auf eine gleiche völkerrechtliche Ebene verlege. ...zurück...

24 [3/440]Statt "das Ansehen Ihrer Regierung" nachträglich durch Marschall verschärft; ob auf Andringen des Kaisers? - Die "Unabhängigkeit" bestand nur nach Maßgabe des Vertrages von 1884. ...zurück...

25 [4/440]Zuletzt: Fr. Thimme, "Die Krüger-Depesche." Europäische Gespräche Nr. 3 (Mai/Juni 1924). Hans Hallmann, Krüger-Depesche und Flottenfrage (1927). ...zurück...

26 [1/441]Anscheinend hat der Kaiser unter einer späteren Einwirkung den Versuch gemacht, das Telegramm in der letzten Minute noch aufzuhalten. Vgl. Thimme, a. a. O. S. 26 f. ...zurück...

27 [2/441]Fr. Thimme urteilt: "Der eigentliche Fehler lag darin, daß man für die Depesche nicht eine Form gefunden hat, die zwar hinsichtlich des englischen Vorgehens in Transvaal ein »bis hierher und nicht weiter« in sich schloß, aber doch auf das englische Nationalgefühl nicht als eine schwere Provokation wirkte." Ob die Quadratur des Zirkels sich in dieser Situation überhaupt lösen ließ? ...zurück...

28 [1/442]Bismarcks sämtliche Werke 9, 462. ...zurück...

29 [2/442]A. v. Tirpitz, Erinnerungen, S. 59. ...zurück...

30 [1/443]Mc. Elroy, Grover Cleveland 2, 198 f. ...zurück...

31 [2/443]Große Politik 11, 59. ...zurück...

32 [3/443]Große Politik 11, 55. Über Courcel 11, 338, 343. Dazu "die kaltlächelnde Kritik des Fürsten Lobanow über die Stellung der Parteien in jener Angelegenheit" (Große Politik 13, 62). ...zurück...

33 [4/443]Schon am 19. Januar 1896 war Marschall von allen Illusionen geheilt: "Der Gedanke, daß ein zeitweiliges Zusammengehen der Kontinentalmächte das beste Mittel sei, um die eine oder andere zwischen dem Kontinent und England anhängige Streitfrage womöglich ohne Krieg lediglich durch diplomatischen Druck zu erledigen, stellt sich als unpraktisch heraus angesichts der Haltung Frankreichs." Große Politik, 11, 83. ...zurück...

34 [5/443]Vgl. Aufzeichnung Marschalls vom 22. Januar 1896: "Jetzt sei England sogar bemüht, eine Balkankrisis, mit evidenter Kriegsgefahr verbunden, herbeizuführen, ohne daß bisher irgendwelche ernste Anzeichen dafür sprächen, daß England seine eigene Beteiligung an einem Kampfe der Kontinentalmächte zum Gegenstand eines... Abkommens machen wolle." (Große Politik 12, 1, S. 47.) ...zurück...

35 [6/443]Große Politik 13, 3-11. ...zurück...

36 [1/444]Pribram, a. a. O. 1, 227. "Bereits 1896 hat Italien in Berlin und Wien den Entwurf einer Note mitteilen lassen, nach welcher es den casus foederis nicht als gegeben ansehen wollte, falls England und Frankreich gegen eine der beiden mit Italien alliierten Mächte oder beide sich zu Feindseligkeiten verbinden sollten." Vgl. dazu Große Politik 11, 272 ff. Wenn man sich in Berlin auch nicht auf eine Zustimmung zu diesem Schritte einließ, so konnte man über die Gesinnung, die bei dieser Eventualität von dem Bündnispartner zu erwarten war, nicht im Zweifel sein. ...zurück...

37 [2/444]Große Politik 11, 49. ...zurück...

38 [3/444]Die Annahme von Fr. Thimme, a. a. O., S. 20, daß die Krüger-Depesche und die von ihr hervorgerufene Volkserregung damals der Marine und besonders dem "sprungbereiten" Admiral Tirpitz den Anstoß zum Entwurf einer großen Marinevorlage gegeben hätten (danach auch O. Hammann, Deutsche Weltpolitik [1890 - 1912] und Theodor Wolff, Das Vorspiel [1924]), ist in doppeltem Sinne unrichtig. Vgl. O. Hallmann, Krüger-Depesche und Flottenfrage (1927). Einerseits schwebte die Frage der Flottenerweiterung schon seit längerem; im Dezember 1895 hatte bereits das Oberkommando der Marine eine Denkschrift vorgelegt, und schon damals erhielt Tirpitz vom Kaiser den Befehl, sich zu dieser Denkschrift zu äußern, was um die Jahreswende 1895/96 geschah. Anderseits blieb der ganze Plan eine Episode. Der Kaiser ging wohl einen Augenblick darauf aus, die Gelegenheit zu nutzen. Schon am 14. Januar war er überzeugt, daß er gegen die Reichsregierung, den Bundesrat und den Reichstag allein stehen würde. Er verhehlte sich vermutlich auch nicht, daß eine so enge Verknüpfung von Transvaal und Flotte sehr bedenklich werden könne. Unter den befragten Reichstagsabgeordneten hatte Herr v. Levetzow auch geltend gemacht, man würde im Reichstage die Forderung als Kriegsvorbereitung gegen England auffassen und sie aus diesem Grunde viel entschiedener ablehnen. ...zurück...

39 [1/445]Der scharfe Tadel Holsteins an diesem Schritt scheint kaum berechtigt, die Haltung Hohenlohes eher das Richtige zu treffen. Der Anlaß zu einem Vorstoß gegen den Kaiser wäre nicht glücklich gewählt gewesen. Hohenlohe 3, 187 - 211. ...zurück...

40 [2/445]Man nahm in Berlin diese Presseleistung sehr ernst. In einem Erlaß Hohenlohes an Eulenburg vom 7. März 1896 heißt es: "England versucht eine Ablenkung durch die elsaß-lothringische Frage zu erreichen, nachdem die armenische und arabische Frage nicht zu dem gehofften Kontinentalkriege geführt haben. Dies bestätigt meine Überzeugung, daß England durch sein krampfhaftes, allerdings ziemlich aussichtsloses Bestreben, Kriege, an denen es nicht teilzunehmen braucht, herbeizuführen, eine Gefahr für den europäischen Kontinent werden kann." Große Politik 11, 125 f. ...zurück...

41 [3/445]Es war die natürliche Folge, daß Frankreich, seine Extratour vom Januar 1896 vergessend, sich jetzt erneut bemühte, eine Fühlung mit Deutschland herzustellen, und ebenso natürlich, daß es, nach den jüngsten Erfahrungen, dabei auf Ablehnung stieß. ...zurück...

42 [1/446]Vgl. noch Balfour 25. März 1898: "daß die englische Regierung in den armenischen und asiatischen Fragen nur dem Zwang der öffentlichen Meinung nachgebe und niemals den Zweck verfolgt habe, eine internationale Verwicklung herbeizuführen." Randbemerkung Kaiser Wilhelms II.: "Damit reden sie sich im richtigen Augenblick immer heraus." ...zurück...

43 [2/446]Hatzfeldt 29. Juli 1896. (Große Politik 12, 189.) ...zurück...

44 [3/446]Hatzfeldt an Hohenlohe am 8. Juni 1896. (Große Politik 13, 8, S. 51.) ...zurück...

45 [4/446]Hatzfeldt an Hohenlohe am 10. Dezember 1896. (Große Politik 12, 65 ff.) Randbemerkung des Kaisers Wilhelm II.: "Dann muß England auch die Konsequenzen auf sich nehmen." Die Äußerung Salisburys ist für diejenigen lehrreich, die an ein englisches Beitrittsangebot zum Dreibund im Sommer 1895 glauben. ...zurück...

46 [1/447]Randbemerkung Kaiser Wilhelms II.: "Dasselbe ist ja auch unsere Pflicht und müssen auch wir in ein besseres Verhältnis zu Gallien kommen." ...zurück...

47 [2/447]Desgleichen: "und schließlich dabei andere zum Kastanienholen zu bekommen." ...zurück...

48 [3/447]Hatzfeldt an Hohenlohe am 20. Januar 1897. Große Politik 12, 1, S. 260. ...zurück...

49 [4/447]Hohenlohe an Eulenburg am 6. Februar 1897. Große Politik 12, 1, S. 78 ff. ...zurück...

50 [5/447]So führt auch Salisbury selbst am 18. Dezember 1897 (Große Politik 13, 45) den unfreundlichen Ton der englischen Presse darauf zurück, daß die öffentliche Meinung "hauptsächlich wohl wegen der dem englischen Handel sehr nachteiligen kommerziellen Rivalität Deutschlands uns wenig günstig gesinnt sei". ...zurück...

51 [6/447]Vgl. die Äußerung Harcourts an Chamberlain vom 17. 11. 96: "Ich war sehr erfreut, daß Sie das unsinnige Schreckgespenst des Ruins unseres Handels durch den deutschen Wettbewerb zertreten haben." Gardiner, Harcourt 2, 403 f. Die Rolle der Wirtschaftsrivalität wird durch eine Berliner Dissertation von Fräulein Angelika Banze 1932 behandelt werden. ...zurück...

52 [1/448]Die Urheberschaft scheint mir nicht Sir Alfred Mond oder überhaupt einem politisch-geschäftlichen Interessenten zuzuschreiben zu sein, sondern viel eher einem Literaten wie dem Herausgeber Frank Harris (so Bernadotte Schmitt, England and Germany S. 265). Ist dem so, dann hat er der Verhetzung der Völker in beispielloser Weise gedient und der deutschen Flottenpropaganda ihr wertvollstes Agitationsstück geliefert. ...zurück...

53 [1/449]Hurd and Castle, German Sea Power (1913). S. 115. ...zurück...

54 [1/450]Tirpitz legt noch am 25. 11.1908 den Artikel dem Reichskanzler vor, als historischen Beweis, daß nicht die Flotte, sondern die Wirtschaftsrivalität der letzte Grund für die deutsch-englische Spannung sei. In Wahrheit beweist er nur die Deutschfeindlichkeit der südafrikanischen Kolonialen. ...zurück...

55 [1/451]Wie man darüber in England dachte, wird aus einem Schreiben Salisburys an Lansdowne vom 21. April 1897 (Lord Newton, Lansdowne, S. 145 f.) ergötzlich sichtbar. Er lehnte einen Burenkrieg ab, weil er dessen große Unpopularität in Holland fürchtete. Wenn in den nächsten Jahren die junge Königin der Niederlande einen unter dem Einfluß Kaiser Wilhelms stehenden Prinzen heirate, so werde der folgende Fall eintreten: "The Germans will get out of the Dutch some form of KriegsVerein (!) which may enable them to man their fleet with Dutch sailors. His great ambition is to have a fleet, but until he gets a maritime population he cannot have a fleet. Some control over Holland is very necessary to him." Salisbury hatte immer noch den Holland-Komplex (s. oben S. 214). ...zurück...

56 [1/452]Hohenlohe an Frhr. v. Völderndorff 7. Nov. 1897. Denkwürdigkeiten 2, 531; 3, 400 f. ...zurück...

57 [2/452]Wohl schon eher ausgesprochen, als die Engländer das Wort von "Willie's toy" aufgriffen. ...zurück...

58 [3/452]Der Leitartikel der Times vom 28. 3. 1898 zeigte volles Verständnis für die Berechtigung, ja Notwendigkeit der deutschen Seerüstung, vgl. Kerkenberg, "The Times" und das deutsch-englische Verhältnis (1925) S. 47. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte