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Bd. 9: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Erster Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 2: Das Deutsche Reich
unter der Staatsleitung Bismarcks 1871 - 1890
  (Forts.)

[190] 3. Die Begründung des deutschen Bündnissystems 1876 - 1883.

Die Situation des Deutschen Reichs in der europäischen Staatengesellschaft verfiel einer gründlichen Abwandlung, sobald der orientalische Fragenkomplex wieder in Bewegung geriet, der während der letzten Jahrhunderte die ungeklärten Beziehungen der Mächte wiederholt in stärkeren Fluß gebracht und zu festerer Gruppierung genötigt hatte. Sobald Rußland die Stunde einer großen Aktion gekommen glaubte - es mochte sein, daß schon seine Intervention im Alarm von 1875 dem Zwecke einer gewaltsamen Erkundung des Vorgeländes gedient hatte -, durfte es darauf rechnen, daß die Balkanstaaten mit richtiger Witterung schon die erforderlichen Tatsachen liefern würden, um mit der Türkei eines jener herkömmlichen diplomatischen Spiele einzuleiten, die sich von Reformnoten zu ultimativen Forderungen und kriegerischen Schritten zu steigern pflegten. Sobald nur die ersten Vorboten eines so schweren Gewitters am Horizonte sichtbar wurden, mußten alle Mächte, und zumal diejenigen, die sich in Orientfragen als interessiert betrachteten, sich auf das Heraufziehen einer großen und unabsehbaren europäischen Verwicklung einrichten und zunächst einmal den Bestand ihrer politischen Beziehungen nachprüfen. Das galt auch für das Deutsche Reich, obwohl es an sich weder Traditionen noch Interessen noch auch Wünsche in der Orientpolitik besaß. Aber es war das Reich der Mitte, auf allen Seiten von jenen Interessenmächten umgeben und schon aus diesem Grunde - auch das alte Preußen hatte diese Rückwirkung in den letzten Generationen immer wieder erfahren müssen - in einer Orientkrisis trotz aller Entfernung von dem Objekt doch in den Mittelpunkt des Ringens hineingezogen. Wohl bot das Wiederaufleben der orientalischen Frage den einen unschätzbaren Vorteil, daß sie den deutsch-französischen Gegensatz für längere Zeit in die zweite Linie der beherrschenden Fragen rückte und dadurch eine Entlastung der deutschen Politik anbahnte. Auf der andern Seite aber trug die Wendung doch auch die Möglichkeit ernster Gefahren in sich, weil jede kriegerische Entwicklung, die sich an dem alten Brandherd Europas entzündete, im weiteren Verlaufe die Einigkeit der im Dreikaiserverhältnis zusammengefaßten Ostmächte zu erschüttern oder zu sprengen drohte und schlimmstenfalls sich mit dem Motiv des deutsch-französischen Gegensatzes kombinieren konnte.

[191] Sehr frühzeitig und mit vollkommener Klarheit erfaßte Bismarck die Möglichkeiten und die Aufgaben, die sich für ihn aus diesen Voraussetzungen ergaben. In seinem Geiste begannen sich die großen Linien eines geschlossenen und sich immer mehr vertiefenden Gedankenganges zu gestalten, der sich heute nach allen Seiten hin durchleuchten läßt. Die unantastbare Grundlage war die absolute Uninteressiertheit Deutschlands an allen Machtobjekten, die im Orient in Frage kommen konnten, und der feste Entschluß, in keinem Stadium eigene deutsche Wünsche anzumelden1 oder ein Sonderinteresse an der Art der zwischen den Nächstbeteiligten zu vereinbarenden Ordnung der Einzelfragen zu verraten; aus diesem Grunde wünschte man in Berlin die orientalische Frage nicht als eine europäische, christliche zu behandeln, an der auch Deutschland gleichsam als Partner beteiligt gewesen wäre. In dieser grundsätzlichen Zurückhaltung lag die Stärke des Bismarckschen Spiels, die freiere Beweglichkeit gegenüber allen anderen interessierten Mächten, die, sobald ihr Stichwort fiel, an ihre Rolle zu denken hatten. Dieser Eine wollte unter allen Umständen in der Hinterhand der europäischen Machtauseinandersetzung bleiben - selbst Frankreich, das bei der Lage der Dinge zu einer ähnlichen abwartenden Haltung genötigt war, konnte sich seiner Orientinteressen doch nicht in gleichem Grade entäußern.

Von dem Standort dieser grundsätzlichen Enthaltsamkeit aus kam es für den Reichskanzler nicht auf die Türkei und die einzelnen Orientfragen, sondern in erster Linie auf das Verhältnis der Mächte untereinander, auf ihre aus der Orientkrise sich entwickelnde Gruppierung an: die künftige Stellung des Deutschen Reichs innerhalb der europäischen Staatengesellschaft, sie ist es, die im Mittelpunkt seines ruhelos wogenden Gedankenspiels steht. Wenn sich der status quo im Orient (den zu wahren er bereit gewesen wäre) nicht aufrechterhalten ließ, dann wollte er die Hand dazu bieten, auf die Befriedigung gewisser Wünsche von Rußland, Österreich und England auf Kosten der als Ganzes nicht mehr zu rettenden Türkei hinzuwirken, dergestalt, daß jede dieser Mächte ihre nächsten Absichten erreichte, ohne damit die Kreise der anderen zu stören; und zwar konnte seine Politik sich nicht darauf beschränken, auf den Ausgleich des Interessengegensatzes zwischen den beiden Partnern im Dreikaiserverhältnis hinzuarbeiten, sondern sie hatte von vornherein auch England in den Kreis ihrer Berechnungen einzubeziehen. Nur dann war das eigentliche Endziel zu erreichen: statt des zu vermeidenden Konfliktes der Mächte untereinander, der auf die Dauer das Deutsche Reich in sich hineinziehen mußte, die Befriedigung aller Wünsche, soweit sie nebeneinander durchführbar waren. Indem jede der Mächte auf diese Weise eine unausgesprochene Kompensation für den Machtaufstieg des Deutschen [192] Reiches erhielt, wurde sie gleichsam mit ihm ausgesöhnt. Wenn man den Hintergedanken dieser friedlichen Vermittlungspolitik darin gesehen hat, die Isolierung des ohnehin vorsichtig zurückhaltenden Frankreich fortzusetzen, so verstand sich die Absicht Bismarcks von selbst, der Pariser Revanchepolitik jede Anknüpfungsmöglichkeit während der Orientkrise zu verbauen. Im übrigen würde auch eine Beteiligung Frankreichs an den Orientinteressen sich in seine Gedankengänge durchaus eingeordnet haben. Letzten Endes sagte er sich, daß alle einzelnen Machtkompensationen im Augenblicke nebeneinander bestehen mochten, aber auf die Dauer wieder neue Gegensätzlichkeiten, wie sie aus dem unerschöpflichen Schoße der Orientpolitik aufstiegen, erzeugen mußten - diese Folgeerscheinungen waren die Sache der einzelnen Mächte und ihrer politischen Verantwortlichkeit.

Es war die Gleichgewichtspolitik der uninteressierten Macht der Mitte, deren Leitmotiv die eigene Sicherheit und der mit dieser Sicherheit zusammenfallende Friede Europas waren - die Politik einer unbedingten Neutralität und Unparteilichkeit nach drei Seiten hin, einer unbedingten Sachlichkeit, die schon durch das leise Mitspielen eines persönlichen Motivs aus ihrer Bahn abgelenkt werden konnte. Schon in dem ersten Krisenjahr legte Bismarck sich die Richtpunkte seines Programms in einer Niederschrift fest: "Die Frage, ob wir über die orientalischen Wirren mit England, mehr noch mit Österreich, am meisten aber mit Rußland in dauernde Verstimmung geraten, ist für Deutschlands Zukunft unendlich viel wichtiger, als alle Verhältnisse der Türkei zu ihren Untertanen und zu den europäischen Mächten. Es erfordert für uns eine große Vorsicht und eine gänzliche Abstraktion von den gemütlichen Regungen, welche die Vorgänge im Orient, und welche das mehr oder minder geschickte Verhalten der einzelnen Mächte in uns hervorrufen können, wenn wir uns das Kapital an guten Beziehungen, welche wir mit England, Österreich und Rußland besitzen, nach Möglichkeit erhalten wollen. Wir dürfen keinen Teil desselben aufs Spiel setzen, wenn wir nicht durch eigene deutsche Interessen oder sonst unausweichlich dazu genötigt werden."2 In immer neuen Abwandlungen vertieft sich das Bild seiner letzten Ziele in Bismarcks politischer Phantasie. Beim Beginn des Russisch-Türkischen Krieges schloß er eine Niederschrift über die für Deutschland wünschenswerten Ergebnisse der Orientkrise mit den Worten: "wenn ich arbeitsfähig wäre, könnte ich das Bild vervollständigen und feiner ausarbeiten, welches mir vorschwebt: nicht das irgendeines Ländererwerbs, sondern das einer politischen Gesamtsituation, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden."3

Aus der einstigen Blut- und Eisenpolitik war eine Politik der Erhaltung geworden, die den Weltzusammenhang um der eigenen Sicherheit willen, die [193] zugleich den Weltfrieden verbürgt, gestalten will - das statische Motiv beherrscht eine Konzeption, die im Laufe der Zeit immer großartigere, aber auch verwickeltere Formen annehmen wird. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Bismarck seinen Weg schon beschritten, bevor die Orientkrise zum Ausbruch kam: er würde in erster Linie den Ausbruch eines Krieges vermieden haben, der mit vielen unberechenbaren Möglichkeiten des Ausgangs belastet war. Aber er verlor das Endziel nicht aus den Augen, als der Krieg europäische Dimensionen annahm. So einfach und durchsichtig das Programm des ehrlichen Maklers war, auf das er schon in den zweiundeinhalb Jahren vor dem Berliner Kongreß hinsteuerte, so schwer war es durchzuführen: der Weg durch die wechselnden Konstellationen, durch die sich kreuzenden Einflüsse der Mächte und Persönlichkeiten hindurch erforderte seine ganze Meisterschaft. Die Durchführbarkeit seiner Politik wird freilich davon abhängen, ob die deutsche Vermittlung auf allen Seiten ohne Mißtrauen aufgenommen werden wird, vor allem, ob die Machtziele Rußlands in der Orientkrise sich überhaupt in einem derartigen wohlabgewogenen System der Kompensationen befriedigen lassen, oder ob die russische Politik, von elementaren Kräften vorangestoßen, nicht alles daransetzen wird, die deutsche Macht und den deutschen Kaiser auf dem Wege weitausschauender Pläne hinter sich herzuziehen, die letzten Endes nur durch die schwersten Erschütterungen Europas verwirklicht werden konnten.

Aus der Entwicklung der europäischen Politik in den Jahren 1876 bis 1878 sind im folgenden nur diejenigen Momente herauszuarbeiten, die für die deutsche Außenpolitik von charakteristischer Farbgebung oder von nachwirkender Tragweite sind. Der Verlauf der Orientkrise als solcher hat für die Aufgaben unserer Darstellung nur insofern Bedeutung, als er auf die Entschließungen der deutschen Politik zurückwirkt, und ich wage geradezu ein Wort Bismarcks auch für mich anzuführen: "und nehmen wir unsere Stellung dazu nur nach den Erwägungen, die uns selber angehören".4

Als die Unruhen in Bosnien und der Herzegowina die Mächte vor die Frage stellten, auf die Türkei durch eine Reformnote eine gemeinsame Nötigung auszuüben, hatte Bismarck sich zunächst streng zurückgehalten und seinen beiden Bundesgenossen im Dreikaiserverhältnis die Verständigung über die nötigen Schritte überlassen, die dann in der Note Andrássys vom 30. Dezember 1875 ihren Ausdruck fand. Von diesem Augenblick an rückte die Stellungnahme sämtlicher Mächte zu der Reformnote und ihren praktischen Folgen in den Vordergrund. So fühlte Bismarck jetzt das lebhafte Bedürfnis, das Terrain seiner regelmäßigen Fühlung mit den Mächten über den bisherigen Kreis hinaus zu erweitern; er mußte sich auf alle Möglichkeiten einrichten, die unter den Mächten aus Anlaß ihrer öffentlichen oder geheimen Orientinteressen hervortreten konnten; er war insbesondere nicht frei von Sorge, daß auch die öster- [194] reichisch-russische Gemeinschaft zu einer Intimität führen könne, bei der Andrássy einem deutschfeindlichen slawischen oder klerikalen Ministerium Platz machen würde. Alle diese Erwägungen erklären seinen Entschluß, in den ersten Tagen des Januar 1876 eine überraschend direkt angelegte Sondierung bei England vorzunehmen.5 Sie lief auf den mit allem Nachdruck vorgetragenen Wunsch hinaus, in einen vertraulichen Meinungsaustausch über die Orientkrise und die Note Andrássys einzutreten.

Was die Stellung Deutschlands betraf, so betonte Bismarck seine völlige Uninteressiertheit und den Wunsch, zunächst den status quo im Orient, vor allem aber den Frieden in Europa aufrechtzuerhalten. Indem er ein gewisses Mißtrauen gegen die "ehrgeizigen Politiker" in Österreich und Rußland nicht verhehlte, versicherte er in warmen Worten, daß für Deutschland die Freundschaft von England ebenso wesentlich sei wie die der beiden Kaisermächte und erklärte sich vor allem bereit, die englische Orientpolitik im Interesse des allgemeinen Friedens zu unterstützen. Dabei ließ er allem Anschein nach fallen, daß, wenn die andern ihren territorialen Gewinn suchten, für England seine Stellung in Ägypten6 zu erwägen sein würde. Womit er einen Punkt berührte, der seit dem Ankauf der Suezkanal-Aktien durch Disraeli ein unausgesprochenes Geheimnis der englischen Politik war.

Der Gedanke Bismarcks war, die ihm unbekannten Absichten Englands in der Orientfrage zu ermitteln, die in jedem Falle österreichisch-russischen Zusammen- oder Auseinandergehens auch für Deutschland von ausschlaggebender Bedeutung werden mußten; nach seiner eigenen Angabe wollte er den Engländern zu Gemüte geführt wissen, daß sie kein größeres Interesse hätten, als "die Existenz eines mächtigen und friedlichen Deutschlands und ihre guten Beziehungen zu demselben". Er dachte, Disraeli und Derby zum Sprechen zu bringen. Aber in den englischen Staatsmännern war das Mißtrauen von 1875 noch zu lebendig, als daß sie offen auf diese Annäherung eingegangen wären [195] oder auch nur geschäftlich den plötzlich hingeworfenen Ball aufgenommen hätten. Lord Derby antwortete erst am 12. Februar auf die entsprechenden Eröffnungen des Botschafters in einer so zurückhaltenden und gemessenen Haltung, wie sie seiner Natur entsprach, und auch die anscheinend geneigtere Stimmung Disraelis, der tiefer in die Psychologie Bismarcks eingedrungen war,7 führte ihn nicht wesentlich über seine Linie hinaus. Als wenn ein direktes Bündnisangebot gemacht worden wäre, setzte er seinem Botschafter auseinander, daß England keine ausschließenden Bündnisse wolle, und daß die Prinzipien der englischen Politik ihren Abschluß nicht zuließen; ein Eintreten für den europäischen Frieden könne zwar durch ein herzliches Einvernehmen zwischen Deutschland und England gefördert werden, aber man könne diesen Weg nicht gehen, ohne eine klarere Kenntnis der Motive, die Bismarck zu seinen Eröffnungen geführt hätten, und der Erwartungen, die er sich von ihnen verspräche. Damit verschwand der erste Versuchsballon dieser Annäherungspolitik in den Lüften; mit lebhafter Erregung hat die Kronprinzessin Victoria, die übrigens auch an Bismarcks Bündnisabsichten glaubte, ihrer Mutter gegenüber das Verhalten der englischen Politik bedauert.8 Noch auf dem Berliner Kongreß hat Bismarck dem englischen Premierminister mehr als einmal die kühle und eindeutige Absage, die er damals erhalten habe, mit stillem und erziehlichem Vorwurf vorgehalten.9

Die Episode bleibt denkwürdig als ein erstes Vorfühlen in der Richtung auf eine vertrauliche deutsch-englische Aussprache, das sich in mehreren Stufen wiederholen wird, ja man darf in ihr eines der ersten Glieder in jener langen Kette von Anläufen sehen, die weit über die Zeit von Bismarcks Staatsleitung hinausreichen.

So blieb dem Reichskanzler zunächst nichts anderes übrig, als auch weiterhin den Ostmächten eine Verständigung untereinander zu überlassen. Er beteiligte sich an dem Berliner Memorandum vom Mai 1876, in dem die scheinbare Einigkeit der Kaisermächte in der orientalischen Frage öffentlich festgelegt wurde; man schien noch auf der Linie des Dreikaiserverhältnisses vorzugehen, aber ohne eine Fühlung mit dem sich abseits haltenden England. Er ließ aber gleich darauf, auf dem Umwege über den dynastischen Briefwechsel mit der Königin Victoria, die englischen Staatsmänner wissen, daß Deutschland nur auf Grund des Dreikaiserverhältnisses mit den beiden Ostmächten zusammenwirke [196] und das Verlangen nach einem gemeinsamen Vorgehen mit England hege.10 Man erkennt von neuem, wie stark das Bedürfnis Bismarcks war, seinen Bündnispartnern nicht ohne eigene Rückendeckung in der Welt gegenüberzutreten.

Sobald dann die Serben und Montenegriner um Anfang Juli losschlugen, im geheimen von den Russen ermutigt, mußten Rußland und Österreich sich untereinander über die weiteren Ziele ihrer Orientpolitik einig werden. In der Zusammenkunft der beiden Monarchen zu Reichstadt am 8. Juli kamen sie überein, im Falle einer Niederlage der Balkanstaaten den Bestand von Serbien und Montenegro, sowie ihr Reformprogramm aufrechtzuerhalten; für den Fall aber, daß der Angriff zu einem Zusammenbruch der Türkei führen sollte, nahmen sie den Anfall des größeren Teils von Bosnien und der Herzegowina an Österreich und der Donaumündungen an Rußland in Aussicht. Die Tatsache, daß der eigentliche Inhalt dieses Abkommens auf russischen Wunsch vor Deutschland geheimgehalten wurde, bestärkte Bismarck in seinem Mißtrauen gegen österreichisch-russische Intimitäten; wenn man in Petersburg vorzog, die deutsche Politik vor vollendete Tatsachen zu stellen, hatte er um so mehr ein Interesse, den Kreis seiner Fühlungen zu erweitern. Während Kaiser Wilhelm geneigt war, die russische Auffassung auch in London zu vertreten, zog der Kanzler es vor, zunächst einen selbständigen Meinungsaustausch mit England herbeizuführen.11 So nahm er die ergebnislos gebliebene Politik vom Januar wieder auf und eröffnete am 22. Juli dem englischen Botschafter von neuem, wenngleich in mehr akademischer und zurückhaltender Weise: "Deutschland sei selbst zwar ohne Interessen im Orient, trotzdem drohten ihm von dort zwei Gefahren: die eine bestehe in der Möglichkeit eines Konfliktes zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, die andere in einer derartigen Verständigung beider Staaten, die eine Umwälzung der von Andrássy vertretenen äußeren und der damit verknüpften inneren Politik zu bewirken vermöchte. Deutschland habe daher den Wunsch, eine Schädigung der österreichisch-ungarischen Monarchie im Orient hintanzuhalten und werde allen Einfluß aufbieten, daß zwischen Österreich und Rußland Einigkeit erhalten bliebe."12

Aber statt den Zusammenbruch zu erleben, der in Reichstadt schon in Rechnung gestellt worden war, drangen die Türken siegreich in Serbien vor; schon Ende Juli 1876 war der Feldzug so gut wie zu ihren Gunsten entschieden. Damit rückte die Möglichkeit, ja die Unvermeidlichkeit eines Eingreifens Rußlands in den Krieg immer näher, es war nur eine Frage der Zeit, wann und [197] unter welchen Umständen die ganze orientalische Angelegenheit in ihrem gefürchteten Zusammenhange aufgerollt werden würde. Das ging auch die deutsche Politik an. Denn die russische Staatskunst, belehrt durch die unzureichenden Vorbereitungen, mit denen sie sich zweimal in diesem Jahrhundert in das Abenteuer des Türkenkrieges gestürzt hatte, wollte diesmal die große Unternehmung nur unter gesicherter europäischer Rückendeckung wagen; und für jeden der Schritte, die im weiteren Verlaufe zum Kriege führen konnten, war nicht nur nur die Haltung der Interessentenmächte, sondern die des Deutschen Reiches als eines für die Entscheidungen der anderen sehr maßgeblichen Faktors die stärkste aller Voraussetzungen; es galt also, Deutschland möglichst früh und verbindlich auf der eigenen Seite festzulegen. Darin lag für die russische Politik der Kern der diplomatischen Vorbereitung des Türkenkrieges. Und so beginnt eine Reihe von Aktionen, in denen immer dringlicher die Gewissensfrage in Berlin gestellt wurde: eine Welle des russischen Forderns nach der anderen, immer höher ansteigend, immer sichtbarer über den Kopf des Reichskanzlers hinweg auf die persönlichen Empfindungen des alten Kaisers zielend, drohte das Programm Bismarcks, die deutsche Mittlerstellung in der Hinterhand, zu überfluten: von dem Monarchen gedachten der Zar und Gortschakow zu erlangen, was die deutsche Staatsräson, so wie Bismarck sie vertrat, ihnen versagte.

Diese Politik wurde am 6. August mit dem Antrage Gortschakows eröffnet, Deutschland möge als uninteressierte Macht die Initiative zur Einberufung einer Konferenz oder eines Kongresses der sechs Großmächte ergreifen. Wer die grundsätzliche Einstellung Bismarcks kennt, wird durch die Motive nicht überrascht sein, aus denen er den Kaiser bestimmte, den Kongreßvorschlag und die den Deutschen zugedachte Rolle abzulehnen. Er fürchtete, daß ein Kongreß, auf dem sich die auf dem Grunde liegende Wahlverwandtschaft der Interessen Österreich - Englands und Rußland - Frankreichs stärker herausarbeiten würde, Deutschland in die undankbare und schwierige Lage eines Schiedsrichters versetzen könne. Das widersprach gerade dem deutschen Interesse: "da wir nicht geneigt sein können, von Hause aus und fest und rücksichtslos eine der beiden Parteien zu ergreifen und festzuhalten, so hätten wir die beste Aussicht, daß unsere drei Freunde, Rußland, Österreich, England, den Kongreß in übler Stimmung für uns verließen, weil keiner so von uns unterstützt worden, wie er es erwartete".13

Um den Zaren Alexander aber über diese Absage, die den ersten Akt des russischen Plans empfindlich durchkreuzte, zu beruhigen, veranlaßte Bismarck den Kaiser, den Feldmarschall von Manteuffel zu den russischen Manövern nach Warschau zu entsenden. Er sollte aller Verstimmung durch die ausdrückliche Versicherung vorbeugen, daß Deutschland sich "unter keinen Umständen zu feindlichen, auch nur diplomatischen Manövern gegen Rußland hergeben würde", [198] und den ihm persönlich sehr geneigten Zaren in der Überzeugung bestärken, daß "wir, wie auch seine Entschließung ausfallen möge, ihm die freundschaftliche Gesinnung bewähren, die er uns 1864, 66 und 70 tatsächlich bewährt hat". Es ist bemerkenswert, daß Bismarck, wenn er selbst das Thema der preußischen Dankesschuld berührte, das hernach in immer vernehmlicheren Tönen von der andern Seite angeschlagen werden sollte, doch jede Verpflichtung dahin begrenzte, daß er nur von freundschaftlicher Gesinnung, nicht von freundschaftlichen Diensten sprach. Es mag sein, daß Manteuffel sich seines Auftrages mehr schwungvoll-militärisch als diplomatisch-exakt entledigt hat; er soll den Zaren nicht nur zum Türkenkrieg ermutigt, sondern von den gegen Österreich geleisteten Diensten so gesprochen haben, wie man am russischen Hofe das Maß der erwarteten Gegendienste auslegte.14

Amtlich ging Gortschakow noch nicht so weit, solche Forderungen zu stellen, aber er ließ keinen Zweifel, was er unter den deutschen Diensten verstand: "Krieg verlange er ja nicht von uns, aber wesentlich zur Erhaltung des Friedens werde es dienen, wenn das mächtige Deutschland prononcierter hervorträte und die Welt sähe, daß es Rußlands gerechten und interesselosen An- und Absichten in Erledigung der orientalischen Frage beiträte." Er verlangte für das, was er "eine besondere und getrennte Stellungnahme Rußlands" nannte, im voraus die Zusicherung der deutschen Mitwirkung, er wollte für ein Spiel, dessen weiteren Verlauf er selbst in Händen hielt, die Autorität Bismarcks von vornherein ausspielen, um alle europäischen Widerstände mit dieser geschlossenen Phalanx zu überwinden. In Berlin mußte man sich sagen, daß man durch eine so sichtbare und verkündete Unterstützung Rußlands aller Wahrscheinlichkeit nach Österreich zu England treiben und damit jetzt schon zu einer Spaltung der Mächte beitragen würde, an deren Ende für die deutsche Politik ein sehr unerwünschter Zwang zur Parteinahme stehen könnte. Seitdem am 1. September auch der russische Oberbefehlshaber der Serben, General Tschernajew, von den Türken vernichtend geschlagen war und nur eine schleunige Waffenruhe die Serben zu retten vermochte, verfiel Gortschakow auf immer dringlichere geschäftliche Methoden, um die deutsche diplomatische Haltung in verbindlicher Form an seiner Seite festzulegen. Er hatte am 12. September einen Antrag auf mehrmonatlichen Waffenstillstand gestellt, der auf den Widerstand Andrássys gestoßen war - der Deutsche sollte endlich Farbe bekennen.

So ließ er am 14. September durch seinen Berliner Botschafter dem deutschen Reichskanzler zwei formulierte Fragen vorlegen, an deren Stellung Bismarck schon formell einen Mangel an Takt rügte: was die Haltung Deutschlands sein würde, wenn Rußlands Würde es nötige, auf eigene Hand vorzugehen, und weiter, welche diplomatischen Schritte Bismarck vorschlagen würde, wenn er Bedenken hätte, den russischen Konferenzweg zu beschreiten. Noch einmal [199] suchte Bismarck der Auseinandersetzung auszuweichen, indem er den Kaiser zu einer weitgehenden Erklärung an den Großfürsten Nikolaus veranlagte: Rußland könne, bei einem Angriff auf die Türkei, auf die wohlwollende Neutralität des Deutschen Reiches fest rechnen; man werde in Berlin bemüht sein, die anderen befreundeten Mächte mit dem Einschreiten Rußlands zu befreunden und ihnen gegenüber die eigene Überzeugung betätigen, daß der Zar ohne eigennützige Hintergedanken nur den Schutz der Christen gegen die türkische Barbarei erstrebe. Bismarck konnte geltend machen, daß eine solche Zusicherung unter Umständen, wo Deutschland gar kein eigenes Interesse zu vertreten habe und über das Programm Rußlands vollkommen im Dunkeln sei, schon sehr weit gehe, vielleicht weiter, als eine Großmacht lediglich zur Betätigung ihrer Freundschaft und Dankbarkeit gegen die Person eines Souveräns einer andern in den letzten Dezennien gegangen sei. Aber er sollte erfahren, daß der Leiter der russischen Außenpolitik, weit entfernt, sich durch noch so herzliche Allgemeinheiten abfinden zu lassen, ganz bestimmte und weitausschauende Forderungen an das deutsche Handeln stellte. Schon am 25. September hatte der deutsche Militärbevollmächtigte General von Werder auf Veranlassung Gortschakows in Berlin auf Antwort gedrängt, und als Bismarck, unwillig über diese Gestaltung des Geschäftsganges, die Frage hinhaltend behandelte, lief am 1. Oktober 1876 ein Telegramm Werders in Berlin ein, das ohne Umschweife mitteilte: der Kaiser von Rußland habe dem Deutschen Kaiser in seiner Antwort15 und dem Feldmarschall von Manteuffel mündlich gesagt, er hoffe, daß, wenn es zum Kriege mit Österreich kommen sollte, Kaiser Wilhelm gerade so handeln würde, wie er es selbst im Jahre 1870 getan; der Zar spreche ihm fast täglich davon und wünsche dringend eine Bestätigung.

So ließ denn Rußland alle Hüllen fallen, die seit dem Beginn der Orientkrise seine letzten Ziele verdeckten, und nannte mit Namen, was man von der deutschen Freundschaft verlangte. Eine große Reihe von Aufzeichnungen und Erlassen Bismarcks verrät die tiefe Erregung, mit der er die an Nötigung grenzende Fragestellung aufnahm. Er sah die Parität in dieser Art großmächtlicher Geschäftsführung verlorengehen und hätte am liebsten diesen preußischen General abberufen, da er sich gewissermaßen in der Gewalt Gortschakows befinde, der ihn unter der Maske freundschaftlicher Formlosigkeit durch den Zaren mißbrauche. Er konnte sich das Vorgehen Gortschakows nur als eine Falle erklären: wenn er nein sage, ihn beim Zaren zu verhetzen, wenn er aber ja sage, von dieser deutschen Bindung in Wien beliebigen Gebrauch zu machen. Denn man verlangte in Petersburg eine deutsche Erklärung, Österreich im Kriegsfalle preiszugeben, obgleich vor einigen Wochen erst ein russisch-österreichischer Staatsvertrag in der Orientfrage geschlossen war und russische Beschwerden gar nicht vorlagen. [200] Man wollte einen deutschen Blankowechsel auf lange Sicht und auf alle Schicksalsfälle, mit dem man von Petersburg auf die schwebenden Verhandlungen mit Österreich nach Belieben drücken oder sie abbrechen konnte. Wie war von Bismarck, dessen Hauptziel die Erhaltung des Friedens und die Freundschaft zwischen Rußland und Österreich war, zu verlangen, daß er selbst die Entstehung eines Bruches erleichtere, der die deutsche Politik vor das schwerste Dilemma stellen mußte! Sollten die Methoden des Druckes, die Gortschakow im Jahre 1875 zugunsten Frankreichs ausgeübt hatte, jetzt nach Jahresfrist zuungunsten Österreichs wiederholt, ein Verhältnis der beiden Mächte begründen, in dem die eine Seite die Autonomie ihrer Politik mit einer vasallenmäßigen Gefügigkeit vertauscht hätte?

Wäre es überhaupt für Bismarck möglich gewesen, sich so unbedingt Rußland zu verschreiben? Die erste Folge wäre gewesen, daß die deutschfreundliche Staatsleitung Andrássys einem Regimente Platz gemacht hätte, in dem die Revanchestimmungen, die noch im Sommer 1870 dem Durchbruch nahe gewesen waren, sich noch einmal durchgesetzt hätten; wie stark diese Strömungen in Wien noch in den siebziger Jahren am Hofe, im Militär, im Hochadel waren, ist heute fast vergessen, mußte damals aber als ein ernster Faktor in Rechnung gestellt werden. Der nächste Schritt dieser föderalistisch-klerikalen Opposition wäre die Wiederaufnahme der Verbindung mit Frankreich gewesen: das Zusammenfließen der beiden Revancheströmungen von 1866 und 1870/71 - das, was Bismarck seit dem letzten Kriege so vorbedacht zu vermeiden suchte - würde sich ganz natürlich ergeben, und jeder österreichisch-französischen Kombination würde sich England als der natürliche Bundesgenosse gegen Rußland dargeboten haben. Die Verbindung der Westmächte mit Österreich, die Krimkriegssituation, war eine der Möglichkeiten, die Bismarck am stärksten beunruhigte, wenn er unter dem Albdruck der Koalitionen litt: wenn sie einst sich mit der Front gegen Rußland gebildet hatte, so mußte ihre Wiederkehr den Hauptstoß auf die deutsche Mitte als das vorgeschobene und leichter erreichbare Bollwerk Rußlands richten - daß dieses Deutschland, mit der alleinigen Rückendeckung Rußlands, dadurch vollends in russische Abhängigkeit geraten wäre, wird nach der bisherigen Entwicklung keines Nachweises bedürfen.

Die Antwort auf die unheilvolle Gewissensfrage vom 1. Oktober ist erst einen Monat später durch den Botschafter von Schweinitz dem Zaren und dem Fürsten Gortschakow eröffnet worden. In ihrem Kern war das unvermeidliche Nein, das die deutsche Regierung aussprechen mußte, von der Meisterschaft Bismarcks in eine verbindliche und paritätische Form gehüllt worden: Unser erstes Bedürfnis sei, die Freundschaft zwischen den großen Monarchien zu erhalten, welche der Revolution gegenüber mehr zu verlieren, als im Kampfe untereinander zu gewinnen hätten. Wenn dies zu unserem Schmerze zwischen Rußland und Österreich nicht möglich sei, so könnten wir zwar ertragen, daß unsere Freunde gegeneinander Schlachten verlören oder gewönnen, aber nicht, daß einer von [201] beiden so schwer verwundet oder geschädigt werde, daß seine Stellung als unabhängige und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. - So die klassische Formulierung der Gedanken und Erinnerungen.16

Die Gegenfrage, die Schweinitz im mündlichen Auftrage Bismarcks zu stellen hatte, eine vertragsmäßige Garantie Elsaß-Lothringens, wurde von Gortschakow mit leichter Handbewegung zur Seite geschoben. Eine große Rolle hat diese Sondierung, die Schweinitz von Hause aus für zwecklos hielt, nicht gespielt, und vollends ist deutscherseits nie die Rede davon gewesen, für diese Garantie weitgehende Zusicherungen für den Krieg zu geben.17 Dem Botschafter war ausdrücklich verboten worden, vertragsmäßige Zusicherungen zu geben, die uns dauernd binden würden. Ein Eingehen auf die Garantie würde die Russen der wertvollen französischen Karte für immer beraubt haben. Gortschakow war durch die Antwort der deutschen Regierung durchaus unbefriedigt: "Wir erwarteten große Dinge von Ihnen, und Sie bringen nichts, was wir nicht schon längst wüßten." Auch der Zar nahm die verhüllte Absage sehr ernst auf. Schweinitz verließ den Hof in der unangenehmen Empfindung, daß der Kaiser in ihm einen säumigen Schuldner sehe, dem es leicht wäre zu zahlen, der aber aus verborgenen Gründen den Gläubiger nicht aus der Verlegenheit ziehen wolle.

Gortschakow begründete seine Anforderungen an die deutsche Politik mit dem Satze, daß Rußland als uneigennütziger Mandatar Europas handele. Bismarck blieb diesem Argument gegenüber kühl. Europa hat sich niemals, hielt er seinem alten Gönner entgegen, die Mühe gegeben, uns zu verpflichten, seit Jahrhunderten nicht, und im Jahre 1870, angesichts des ungerechtesten Krieges in der Mitte dieses selben Europas, hat seine Stimme sich nicht vernehmen lassen.18 Dieser Fiktion entgegenzutreten, hielt er für eine Aufgabe der deutschen Politik, aber auch für die einzige, in welcher wir von Rußland dissentieren müßten. Er war bereit, die meisten russischen Anliegen zu erfüllen, nur nicht eine generelle Verpflichtung ins Ungewisse zu übernehmen, nur nicht den Versuchen des russischen Kanzlers zu unterliegen, "das politische Gewicht Deutschlands für unausgesprochene Zwecke zu gewinnen und uns zu bewegen, einen Wechsel in blanco zu zeichnen, den Rußland ausfüllen und Österreich und England gegenüber verwerten oder doch benutzen will".19 Dieser russischen Politik gegenüber, die ihn hinter sich herzuziehen suchte, brauchte er europäische Gegengewichte, die [202] vor allem die Unabhängigkeit seines politischen Handelns sicherstellten, und er wußte längst, daß sie in England zu finden waren.

Hier war inzwischen die Stimmung der leitenden Männer umgeschlagen. Schon schaute die immer lebendige Phantasie Disraelis, die seit Monaten die "unnatürliche" Verbindung des Dreikaiserverhältnisses sich ihrem Ende nähern sah, nach der Möglichkeit einer Verständigung mit Deutschland aus. Wie wäre es, schrieb er vertraulich am 17. Oktober an seinen unbeweglichen Außenminister, wenn wir einen Vertrag mit Deutschland schließen könnten, zur Aufrechterhaltung des allgemeinen status quo, nicht eine Offensiv- und Defensivallianz? Das würde uns in Konstantinopel beruhigen und Bismarck von seinem wirklichen Schreckbilde, der Möglichkeit eines englisch-französischen Bündnisses und dem Verluste der zwei Provinzen befreien. Wir wünschen Frankreich nicht schwächer, als es ist; aber als es stärker war, machte es uns genug zu schaffen. Trotz aller Schwierigkeiten kam er zu dem Ergebnis, die Sache müsse gemacht werden, denn sie würde alles "für unsere Lebenszeit" sicherstellen. Von innerer Unruhe getrieben, kam der Premierminister immer wieder auf seine Idee zurück. Er griff schon stärker in den Bereich Lord Derbys ein, wenn er ihm am 3. November zu erwägen gab: Wir müssen, wenn wir einen langen Frieden zu erhalten wünschen, zu irgendeiner Verständigung mit irgendeiner europäischen Macht gelangen. Die Schwierigkeiten der Verständigung mit Deutschland mögen groß sein, aber Odo Russell sollte angewiesen werden, keine Gelegenheit zu versäumen, mit Bismarck in diesem Sinne zu sprechen. In diesem Zusammenhange geschah es, daß der englische Delegierte zur Botschafterkonferenz in Konstantinopel, Lord Salisbury, seinen Reiseweg über Berlin wählte. Der Reichskanzler nahm die Gelegenheit wahr, sich mit dem ihm noch unbekannten Staatsmanne, der in der Orientfrage eine aktivere Politik wollte als Lord Derby, sehr offenherzig über die Stellung der Mächte in der Orientfrage auszusprechen. Der Engländer nahm vor allem den Eindruck mit, daß Bismarck zwar den russisch-türkischen Krieg nicht verhindern wolle, wohl aber einen Zusammenstoß zwischen Rußland und England zu vermeiden wünsche, weil Deutschland dann in eine schwierige Lage kommen würde, sei es Rußland, sei es England gegenüber: "an dem großen Tage der Revanche, der beständig in seinen Gedanken lebt". Daß Bismarck auch die ägyptische Anregung fallen ließ, hatte keine Nachwirkung. Von Bedeutung aber war, daß man sich vertrauensvoll näherte und sich verstand - auch die persönliche Fühlung war seitdem erleichtert.20

Gleich darauf ging der Reichskanzler dazu über, die Nachwirkung seiner letzten Eröffnung an Rußland durch ein vorsichtiges Anrufen der deutschen Öffentlichkeit zu verstärken. Als er am 1. Dezember 1876 den Vorstand des Reichstages [203] zu einem Essen bei sich empfing, griff er zu dem ungewöhnlichen Mittel eines längeren Vortrages in diesem Kreise, der trotz des privaten Charakters der Öffentlichkeit nicht unbekannt bleiben sollte. In diesem Vortrage, der die absolute Neutralität Deutschlands in der Orientfrage betonte, wurde die schwerwiegende Warnung nicht unterdrückt: "Wenn jedoch die Integrität Österreich-Ungarns gefährdet sein würde, ergebe sich für Deutschland die Zwangslage, für die Monarchie einzutreten, deren lebensgefährliche Verwundung er nicht dulden könne."21 Es war die Formel, mit der Bismarck in Petersburg auf die ihm gestellte Gewissensfrage geantwortet hatte. Man wußte fortan in Deutschland und in Österreich, aber auch in England, daß an dieser Stelle eine Grenze für die deutsche Politik in ihrem Verhältnis zu Rußland liege.

Der ergebnislose Verlauf der Botschafterkonferenz in Konstantinopel (23. Dezember bis 20. Januar) war nicht dazu angetan, die deutsch-russischen Beziehungen zu verbessern; während Bismarck die sich vertiefende Intimität der russischen und der französischen Delegierten mit Mißtrauen verfolgte, beklagte sich der Russe heftig darüber, daß die deutsche Vertretung nicht unbedingt die Fühlung mit den russischen Forderungen pflege. Man sah sich in Petersburg schon in den Krieg hineintreiben und zu der endgültigen Auseinandersetzung mit Österreich genötigt, ohne dafür über den deutschen Blankowechsel verfügen zu können.

Diese Unsicherheit der russischen Politik wirkte sich nicht nur im geschäftlichen Umgang der Kabinette aus. Am 16. Januar 1877 ließ sich der Zar Alexander dazu hinreißen, dem deutschen Botschafter gegenüber mit solcher Heftigkeit die mangelhafte Unterstützung Rußlands seitens der deutschen Politik zu tadeln, daß er sogar die Formen darüber außer acht ließ. Bismarck wies zwar den General von Schweinitz an, aus Staatsklugheit jede Empfindlichkeit über die Formverletzung zu unterdrücken, aber er verhehlte sich nicht, daß sie nur das äußere Symptom einer innerlich veränderten Gesinnung sein könne. Seit Jahr und Tag, so vertraute er seinem Botschafter an, könne er sich dem Eindruck nicht verschließen, "daß unsere Neigung, uns für die praktisch wertvollen Dienste Rußlands im Jahre 1870 dankbar zu erweisen, bei Rußland kein freundliches Entgegenkommen findet. Man akzeptiert unsere Gefälligkeiten wie eine Pflicht und verkehrt mit uns nicht auf dem Fuße gegenseitiger Gleichheit." Gortschakow stoße die deutsche Freundschaft zurück, "weil seine und des Generals Ignatiew persönliche Neigungen mehr nach Paris als nach Berlin gravitieren". Die ganze schlechte Behandlung, die uns seit der Botschafterkonferenz zuteil geworden, beruhe einmal auf der russischen Annahme, "als ob wir wegen der Leichtigkeit Rußlands, sich mit Frankreich zu verbünden, des russischen Wohlwollens in dem [204] Maße bedürftig wären, daß wir uns gefallen lassen müßten, was immer uns von dort her zuteil werden mag". Aber zur Erklärung reiche auch dieses Motiv nicht aus, es müsse schon das Element persönlicher Ranküne hinzutreten. Und nun steigt zum ersten Male aus dem sorgenerfüllten Geiste des Staatsmannes eine ganz neue Vision auf: "Wenn es Gottes Wille ist, daß dieses Element (persönlicher Ranküne) auf die Entschließung eines so mächtigen Monarchen, wie des Kaisers von Rußland, entscheidend einwirkt, so müssen wir, so gut wir können, einen schweren Kampf bestehen, den wir nicht suchen. Wir werden ihn ungern fechten, aber mit dem Gottvertrauen, welches ungerechte Angriffe dem davon Betroffenen zu verleihen pflegen. Wenn wir aber uns der russischen Politik so bedingungslos hingeben wollten, daß wir uns darüber mit England, Österreich und anderen Staaten definitiv entfremdeten, so müßten wir zu der russischen Politik dasselbe Vertrauen haben wie zu unserer eigenen." - Wir beobachten, wie sein Mißtrauen in diesen Monaten unaufhaltsam im Ansteigen begriffen war.

So blieb das letzte Wort der deutschen Politik wohlwollende Neutralität.22 Aber eben weil sie nur diese Neutralität und nicht mehr bot, warf man ihr vor, daß sie tatsächlich der Gegenseite ihre Dienste gewähre. Seit dem Abbruch der Botschafterkonferenz in Konstantinopel beschuldigte die Petersburger und Moskauer Presse den Reichskanzler in immer heftigerer Sprache, daß er die Türkei zum Widerstand ermutige. Schon sprach man von neuen Allianzen an Stelle derjenigen, die sich nicht bewährt hätten; schon war auch in Paris der unvermeidliche Widerhall solcher Stimmungen bemerkbar; und es liefen sogar beunruhigende Nachrichten über russische Rüstungen an der deutschen Grenze um. Mochten diese auch übertrieben oder falsch sein, eine Tatsache stand fest: die Saat Danilewskijs von 1870/71 begann aufzugehen. Seine Denkweise sickerte jetzt aus den Motiven, die in der Außenpolitik Gortschakows längst bemerkbar waren, in die öffentliche Meinung des nationalen und liberalen Rußlands nieder, sie wurde eine Macht, die man von oben her bald gewähren ließ, bald zu respektieren sich genötigt sah. Es war ein denkwürdiger Tag in der russischen Geschichte, als Zar Alexander II. am 10. November 1876 jene Moskauer Rede hielt, in der er von dem für die "slawische Sache" vergossenen Blute und der Zuversicht sprach, daß Rußland seinem Rufe folgen werde, wenn die Ehre des Landes es erfordere. Der Einfluß der Slawophilen auf die Außenpolitik wurde damit feierlich anerkannt, das europäisch-großmächtliche Terrain verlassen. Die slawische Sache erregte immer stürmischeren Widerhall in der russischen Gesellschaft und öffentlichen Meinung. Dieser russische Nationalismus, jetzt als Macht von der Autokratie anerkannt, begann sich auch in der Bewertung der deutschen Politik auf [205] die Tonart Gortschakows abzustimmen; schon fehlte es nicht an Anspielungen auf die mächtigen falschen Freunde, die Rußland im Stiche ließen, und sie mußten um so schädlicher wirken, als sie der öffentlichen Meinung Frankreichs zu irrigen Anschauungen Anlaß gaben.

Man beobachtet, wie die sich verdunkelnde Gesamtlage Bismarck veranlaßte, die Pflege der Beziehungen zur anderen Seite nur um so sorgfältiger in die Hand zu nehmen. Zu seiner persönlichen Information ließ er dem Botschafter von Schweinitz am 30. Januar 1877 schreiben: durch Rußlands Haltung fänden wir uns absolut genötigt, uns mit Österreich und England in Beziehungen einzulassen, die bisher vermieden seien, und gehe es so weiter, auf Abreden mit Österreich Bedacht zu nehmen. Wenn der Reichskanzler erst Seiner Majestät Vortrag über die Sache gehalten, werde er wahrscheinlich in der Lage sein, die alte Idee eines organischen Bündnisses mit Österreich wieder aufzunehmen und dabei auf Englands guten Willen rechnen zu können.23 Das mochte, aus verschiedenen Gründen, im Moment noch verfrüht sein, es verrät aber das wachsende Bedürfnis nach einer Fühlung mit der anderen Seite. So nahm denn Bismarck in den nächsten Tagen in vertraulichen Gesprächen mit dem englischen Botschafter das schon öfter berührte Thema des Bündnisses wieder auf; jedenfalls glaubten die Engländer wieder neue Vorschläge für eine "Offensiv- und Defensivallianz" herauszuhören. Aber auch im englischen Kabinette hatte die weitausschauende Konzeption Disraelis noch keineswegs über das alte Mißtrauen gesiegt, das immer wieder auftauchte.24

Jeder blickte jedem scharf auf die Hände. Es würde eine irrige Annahme sein, daß Bismarck die einzelnen russischen Schritte, die diplomatisch der Kriegserklärung vorangingen, nicht auf das kräftigste unterstützt hätte. Vielmehr hielt er an seiner Linie fest, ohne sich durch kleinen Ärger oder große Sorgen, weder durch die ungeduldigen Vorwürfe Gortschakows noch durch die Berichte über russisch-französische Koketterien, von ihr abdrängen zu lassen. Er wollte an sich den Krieg zwischen Rußland und der Türkei nicht verhindern; schon darum nicht, weil er fürchtete, daß das "eiternde nationale Gift" des Panslawismus, wenn es keinen Abfluß nach der Türkei fände, auf Österreich-Ungarn übertragen werden könnte.25 Mochte man ihm in London, wo man mehr von ihm verlangte, auch nachsagen, daß er die Russen in den Türkenkrieg verwickeln wolle, er war überzeugt, daß man jetzt den Dingen ihren Lauf lassen müsse. Sowohl den freundschaftlichen Ermutigungen als den besorgten Warnungen gegenüber, die der persönlich bewegte alte Kaiser nach Petersburg gelangen zu lassen neigte, riet [206] er von jeder Art noch so wohlgemeinter Einwirkung auf den Zaren ab, da sie die zukünftigen deutsch-russischen Beziehungen gefährden könne: nehme man etwa in Petersburg unter solchem Eindruck Abstand vom Kriege, so würden später die Vorwürfe gegen die Mächte nicht ausbleiben, die zum Verzicht auf einen für Rußland ehrenvolleren Ausgang beigetragen hätten. Somit suchte er in diesem Stadium jeden deutschen Schritt zurückzuhalten, der die Dinge lenken wollte. Ihre Verantwortung mußten die Russen selber tragen. In diesem Sinne suchte der Kanzler sogar dem General Ignatiew im März 1877 den Sinn des Schillerwortes: "Und setzet Ihr nicht das Leben ein" zu erläutern. Lag eine entschlossene Politik Rußlands vor, dann war das Deutsche Reich bereit, ihre Schritte im einzelnen zu unterstützen, ohne ihr die Verantwortlichkeit für das ganze Unternehmen abnehmen zu können - alles weitere, wenn es zum Kriege kam, hing von den russischen Erfolgen und den russischen Endzielen ab, konnte auch von der deutschen Politik nur von ihrem Interesse aus, im Rahmen ihrer gesamten großmächtlichen Beziehungen, bewertet werden.

Für diese Politik begann eine neue Epoche, als am 24. April 1877 die russische Kriegserklärung erging. Der Botschafter von Schweinitz urteilt über die Weltlage in diesem historischen Momente: "Noch niemals seit der Zeit, in welcher Peter der Große zum ersten Male die Waffen ergriff, um die Glaubensgenossen auf der Balkanhalbinsel gegen den Islam zu schützen, hatte Rußland einen Türkenkrieg unter so günstigen Umständen begonnen; noch niemals war das diplomatische Feld so wohl vorbereitet und gut bestellt gewesen. Hierzu hatte freilich Fürst Bismarck mehr beigetragen als Fürst Gortschakow; durch seine Politik, seine Erfolge und guten Dienste war die Arena im Vergleich zu 1828 und 1853 so verändert und so gesäubert worden, daß sich Rußland seinem Gegner allein gegenübersah und keine Störung zu fürchten brauchte, solange es sich in den von ihm selbst gesteckten Grenzen hielt." In dieser Unterstützung der russischen Politik in den letzten Monaten hatte Bismarck sich in den Grenzen seines Programmes der unparteiischen Neutralität gehalten. Ununterbrochen hielt der Steuermann sein Auge auf den ganzen Horizont der europäischen Mächte gerichtet. Als die englische Note vom 6. Mai die Grenzen bezeichnete, innerhalb deren England seine Neutralität im Orient würde bewahren können, war der Reichskanzler äußerst ungehalten, daß Kaiser Wilhelm, seinen menschlichen Gefühlen nachgebend, sich sogar dem französischen Botschafter gegenüber zu einer Kritik der Note hinreißen ließ.26

Schon näherte sich der weltgeschichtliche Moment, in dem die Großmächte endgültig in ihre Stellungen einrückten. In dem patriotischen Hochgefühl, mit dem Rußland in den Krieg eintrat, lüftete auch die russische Presse das "Geheimnis", das der amtlichen Außenpolitik Gortschakows seit Jahren zugrunde lag. Bezeichnend dafür sind die von einer fanatischen und drohenden Logik durchzogenen [207] politischen Aufsätze Dostojewskis. In einer bald nach Kriegsausbruch veröffentlichten Geschichtsphantasie ging er davon aus, daß die Sicherheit, welche die Deutschen durch ihre Siege gewonnen zu haben glaubten, doch sehr zweifelhaft sei:27

      "1870/71 haben ja die Deutschen eigentlich nicht Frankreich besiegt, sondern nur Napoleon und seine Institutionen. Nicht immer werden in Frankreich die Heere so schlecht organisiert und kommandiert werden, nicht immer werden dort Usurpatoren herrschen, die aus dynastischen Interessen gezwungen sind, solche klägliche Fahrlässigkeit zu dulden, daß ein reguläres Heer sich nicht ein paar Monate im Felde erhalten kann. Nicht immer wird sich auch ein Sedan wiederfinden, nicht immer werden dort so wenig begabte Generäle wie MacMahon oder solche »Verräter« wie Bazaine sein... Und dazu kommt dann noch zum Überfluß, sagen wir, das Naturgesetz hinzu: Deutschland ist doch in Europa immerhin das Land, das in der Mitte liegt: wie stark es also auch sein mag - auf der einen Seite bleibt Frankreich, auf der anderen Rußland. Es ist ja wahr, die Russen sind vorläufig noch höflich. Wie aber, wenn sie plötzlich erraten, daß nicht sie das Bündnis mit Deutschland brauchen, wohl aber Deutschland das Bündnis mit Rußland; und überdies noch: daß die Abhängigkeit von dem Bündnis mit Rußland allem Anschein nach die verhängnisvolle Bestimmung Deutschlands ist, und besonders seit dem Deutsch-Französischen Kriege."

Der große nationale russische Epiker hatte zwar keine nachweisliche Fühlung mit der russischen Außenpolitik, aber er sprach Dinge aus, die in der russischen Gesellschaft von Mund zu Mund gingen und den Leitern der Außenpolitik nicht fremd blieben.

Man stelle sich vor, wie eine solche halb lockende, halb drohende Sprache auf die aufhorchende Seele Bismarcks wirkte, die, empfindlich wie ein Manometer, die leiseste Zunahme der europäischen Spannung registrierte. Er spielte in diesen ersten Kriegswochen von neuem mit dem Gedanken, die Engländer, wenn sie Absichten auf Ägypten hätten, darin zu ermutigen, nicht etwa um sie gegen Rußland zu treiben, sondern um einen Ausgleich auf freundschaftlicher Basis zwischen England und Rußland damit anzubahnen: "Wenn England und Rußland auf der Basis, daß ersteres Ägypten, letzteres das Schwarze Meer hat, einig würden, so wären beide in der Lage, auf lange Zeit mit Erhaltung des status quo zufrieden zu sein, und doch wieder in ihren größten Interessen auf eine Rivalität angewiesen, die sie zur Teilnahme an Koalitionen gegen uns kaum fähig macht".28 Immer wieder kehren seine Gedanken zurück zu dem Albdruck der Koalitionen, der damals schon ein Thema der französischen Presse - und im Grunde auch in der Seele Dostojewskis, in den Methoden der russischen Diplomatie die große Rechnung war.

In jenen Wochen hatte Bismarck seinen langen Urlaub angetreten, um der großen Welt zu entgehen, den täglichen Rückfragen der Diplomaten und der [208] Notwendigkeit, mitten in den Ungewißheiten der kriegerischen Ereignisse immer unmittelbar auf jede Frage zu reagieren. Fortan wurde er in seinen hinterpommerschen Wäldern der große Unsichtbare, scheinbar der Aktion auf der europäischen Bühne entrückt, tatsächlich aber mit der Macht des Unsichtbaren sein Gewicht erhöhend bis zu dem Moment, wo er wie das Schicksal selber hervortrat. Zu Beginn, am 20. Mai 1877, hatte er vertraulich eine vielleicht von heimlichen Wünschen nicht freie Prognose gestellt: "Alle diejenigen, welche den Krieg lokalisieren wollten, müßten wünschen, daß den Russen der Sieg nicht zu leicht würde. Gelinge es den Russen, rasch bis Konstantinopel vorzustoßen, so werde es für England und Österreich kaum möglich sein, neutral zu bleiben. Je länger dagegen der Kampf an der Donau fortdaure, desto wahrscheinlicher sei es, daß ein allgemeiner Krieg verhindert werde."29 So sollte es kommen. Nach dem Donauübergange sollten die russischen Heere zwar in den ersten Wochen rasch vorankommen, ja, den Balkan überschreiten; schon verkündeten die Häupter der panslawistischen Propaganda, die Stunde sei da, in der die Hegemonie aus den Händen des altersschwachen Europas an das Slawentum übergehe, und ließen entsprechend ihre Kriegsziele in die Höhe schnellen. Dann aber setzte mit den vergeblichen Stürmen auf Plewna am 20. und 30. Juli der Stillstand des Vormarsches ein, bis tief in den Winter hinein. Auf dieser Grundlage einer langwierigen, in solchem Umfange doch kaum erwarteten Verschleppung der militärischen Entscheidung sollte die eigentliche Auseinandersetzung der Großmächte in ihr entscheidendes Stadium treten.

Schon beim Beginn dieser Periode, am 11. August, hatte Bismarck seinem Kaiser gegenüber voll Genugtuung das Fazit der sich verändernden Lage gezogen. Nach einigen für den Empfänger bestimmten Wendungen über sein Mitgefühl mit den russischen Niederlagen, wog er befriedigt die Rückwirkungen der Ereignisse auf die deutsche Stellung in Europa ab: "Für Eurer Majestät Politik scheint wenigstens eine Frucht schon gewiß zu sein, die der richtigen Würdigung der deutschen Freundschaft in der öffentlichen Meinung Rußlands. Die vorjährigen Bestrebungen des Fürsten Gortschakow und anderer antideutscher Politiker, eine uns feindliche Fühlung zunächst mit Österreich und dann nach Belieben mit Frankreich zu finden, Deutschland aber in der Meinung des russischen Volkes und Heeres zu diskreditieren, sind definitiv mißlungen; wir sind mit England in gutem Einvernehmen geblieben, und die früher deutschfeindlichen Moskauer wollen eine Adresse an Eure Majestät richten; die Freundschaft Österreichs haben Eure Majestät in Ischl gestärkt, und die bisher unermüdlichen Verleumder der deutschen Politik finden mit ihren Fabeln über Kriegsgelüste keinen Anklang mehr." - Er konnte jetzt aufatmen. Von Woche zu Woche und von Monat zu Monat wuchs die Entlastung der deutschen Politik, wuchs das Umworbensein. Schon in den ersten Kriegswochen hatte Disraeli vorwurfsvoll [209] seinen Außenminister Derby gefragt: wenn er nichts tun wolle, weshalb er dann Bismarcks Angebot nicht angenommen habe; und immer lebhafter kam er fortan auf den Gedanken zurück, eine Verständigung mit Deutschland zu suchen. Immer erregter blickte er nach dem deutschen Kanzler, von dem es hieß, daß man in Petersburg und in Wien keinen Schritt tue, ohne ihn, den Herrn der Situation, zu befragen.30 Und auf der anderen Seite wurde der Ton der Musik, die jetzt aus Rußland nach Deutschland herüberklang, um so wärmer, je tiefer der verlustreiche Krieg der Russen sich in den Winter hineinzog. Derselbe Dostojewski, der im Mai noch mit dunkler Drohung das deutsche Geheimnis, seine Mittellage zwischen Rußland und Frankreich, enthüllt hatte, erging sich jetzt in dithyrambischer Sprache über ein ewiges Bündnis zwischen Rußland und Deutschland. "Die Idee des wiedervereinigten Deutschland ist groß und stolz und reicht bis in die Tiefe der Jahrhunderte. Doch was will denn Deutschland mit uns teilen? Die ganze westliche Menschheit ist sein Objekt, für sich hat es die ganze westliche Welt Europas bestimmt: statt der römischen und romanischen Idee soll die germanische die Führung übernehmen. Uns aber, Rußland, überläßt es den Osten. Zwei großen Völkern ist es bestimmt, das Angesicht der ganzen Welt zu verändern. Das ist kein menschliches Hirngespinst, das ist kein menschlicher Ehrgeiz, der sich das erdacht: so setzt sich die Welt selbst auseinander."

Solche Weltherrschaftspläne entstehen leichter in den Köpfen von Literaten als von verantwortlichen Staatsmännern, und niemand auf der Welt wäre weniger empfänglich dafür gewesen als der gefürchtete Träger der Blut- und Eisenpolitik, der nur die friedliche und sichere Behauptung seiner Schöpfung unter den Mächten der Erde, so wie wir sie kennen, als das Ziel seines Handelns vor Augen hatte. Diesem Leitstern allein folgte seine Politik, als nach dem Fall Plewnas im Dezember 1877 der russische Vormarsch von neuem einsetzte; am 22. Januar 1878, nachdem die letzte türkische Armee aus dem Felde verschwunden war, nahmen ihre Vortruppen Adrianopel und erreichten das Marmarameer. Schon um Weihnachten hatte die Pforte die Hilfe Englands angerufen. Sie stand vor ihrem Ende, wenn nicht die Mächte dazwischentraten. Der Moment war eingetreten, bis zu dem auch England nach dem Rate Bismarcks seine Aktion vertagt hatte.

Die Zeit war für Bismarck erschienen, aus dem Dunkel seiner ländlichen Verborgenheit hervorzutreten. Er hatte schon Ende Dezember Bennigsen zugesagt, auf eine etwaige Interpellation über die außenpolitische Lage im Reichstage zu antworten, und eine spätere formelle Anfrage gutgeheißen.31 Zum erstenmal machte das Deutsche Reich eine große europäische Krisis durch, ohne direkt an ihr beteiligt zu sein, aber doch der Gefahr ausgesetzt, in sie hineingezogen zu werden. Da hatte Bismarck zu der nationalen Gemeinschaft zu sprechen, [210] die ihm als Führer unbedingt vertraute, aber als Nation auch den Anspruch erhob, zu wissen, wohin er sie führen wolle, zu seinen Deutschen, die, ohne eigentliche Tradition in diesem höchsten Erleben, allzu leicht geneigt waren, sich von Sympathien und Antipathien, von den flüchtigen Impulsen eines außenpolitischen Dilettantentums leiten zu lassen. Und auch ihnen konnte das Eigentlichste kaum gesagt werden, weil seine Worte zugleich die Resonanz der aufhorchenden Welt fanden, die darauf brannte, hinter den kampfbereiten Interessentenmächten einen überlegenen Willen zu erkennen, der diesen Kampf vielleicht unmöglich mache. Jedes seiner Worte konnte von unabsehbarer Tragweite für die europäische Staatengesellschaft werden.

In diesen letzten Wochen seiner Varziner Zurückgezogenheit rang er unablässig mit sich über die Form, die er seinem Auftreten geben wolle. Auf einem Spazierritt in den ersten Februartagen fragte er seinen Begleiter: er suche nach einem prägnanten Worte, das die Stellung Deutschlands gegenüber den Verwicklungen im Orient einleuchtend charakterisiere. Deutschland erstrebe nicht, etwa nach dem Vorbilde Napoleons III., die Rolle eines Schiedsrichters in Europa, sondern wolle nur die Hand bieten, zerrissene Fäden wieder anzuknüpfen und das Anrufen der ultimo ratio regum nach Möglichkeit zu verhindern oder doch hinauszuschieben. Da sei ihm die Figur des "Mittler" in Goethes Wahlverwandtschaften eingefallen, der überall auftauche, wo ein ehelicher Zwist zum Ausbruch gekommen, um einem Scheidungsprozeß entgegenzuwirken und durch sein Zureden die erbitterten Ehegatten wieder zusammenzubringen. Er ließ im Weiterreiten die Formel notieren: "Wir wollen uns in Europa auf die Rolle des Mittlers aus den Wahlverwandtschaften beschränken." Auf dem Ritte am andern Tage kamen ihm Zweifel, ob den Abgeordneten eine so genaue Kenntnis der Literatur zuzutrauen sei, daß sie diese Anspielung sofort verständen; wenn es nicht zuträfe, sei es besser, einen Vergleich aus dem Geschäftsleben zu nehmen. So ließ er schreiben: "Wir wollen in Europa nur die Rolle eines Maklers ohne Proxenetikum spielen." Am dritten Tag ließ er auch den klassischen Rechtsbegriff als nicht jedem geläufig fallen und entschloß sich zu der "Rolle eines ehrlichen Maklers", der das Geschäft wirklich zustande bringen wolle, das klinge einfacher und sei allgemein verständlich. Also mühte er sich, den Sinn seines Werkes auch in die bleibende Formel für die Gemüter der Menschen zu gießen.

Auf diesen Ton stimmte er die große Rede vom 19. Februar 1878, die in der Geschichte des Reichstages dieselbe Stellung behauptet wie in der Geschichte der europäischen Diplomatie. Nach der Begründung der Interpellation durch Bennigsen, der als Haupt der einstigen Nationalpartei das Zusammengehen mit Österreich warm betonte, besprach Bismarck mit einer die Welt verblüffenden Offenheit die Lage, die Forderungen von San Stefano, den Konferenzvorschlag, das Programm des ehrlichen Maklers, nach allen Seiten Öl auf die hochgehenden Wogen der Rivalität und der Eifersucht unter den Mächten gießend. Er scheute [211] sich nicht, in wohlabgewogenen Sätzen die Beziehungen zu den einzelnen Mächten zu berühren, die seit einem Lustrum bestehende Einigkeit der drei Kaiserhöfe, die aber auch dem vertrauten Verhältnis entspreche, in dem Deutschland mit einem anderen Hauptinteressenten, mit England, lebe, mit dem kein Streit denkbar sei: "ich schmeichle mir deshalb, daß wir auch zwischen England und Rußland unter Umständen ebensogut Vertrauensperson sein können, als ich es sicher bin, daß wir es zwischen Österreich und Rußland sind, wenn sie sich nicht von selbst einigen können". Er wisse, daß er sehr viele Erwartungen täusche, aber er sei nicht der Meinung, "daß wir den napoleonischen Weg zu gehen hätten, um, wenn nicht der Schiedsrichter, auch nur der Schulmeister Europas sein zu wollen". Zum Schluß dann, weit über den Moment hin ausgreifend, gleichsam an die erste Thronrede des Reiches von 1871 wieder anknüpfend, ein Bekenntnis zur Friedenspolitik in Europa: "Nur für den Schutz unserer Unabhängigkeit nach außen, unserer Einigkeit unter uns und für diejenigen Interessen, die so klar sind, daß, wenn wir für sie eintreten, nicht bloß das einstimmige Votum des Bundesrats, sondern auch die volle Überzeugung, die volle Begeisterung der deutschen Nation uns trägt - nur einen solchen Krieg bin ich bereit, dem Kaiser anzuraten." In der Debatte gab der verdeckte Angriff Windthorsts, der im großdeutschen Stile den weltgeschichtlichen Gegensatz zwischen dem germanischen und slawischen Element unvorsichtig betonte, dem Kanzler eine erwünschte Gelegenheit, mit polemischen Spitzen und höchst transparenten historischen Parallelen seine Gedanken zu vertiefen.

Der Eindruck der Rede in Europa war ungeheuer. Er genoß längst den überlegenen Ruf, wie Salisbury es damals formulierte, immer zu wissen, was er wolle, und manchmal es auch zu sagen. Selbst im Lager der Gegner stand man unter diesem Bann. Gambetta, der sonst von dem deutschen Kanzler nur als dem "monstre" zu sprechen pflegte, schrieb anderntags:

      "Ich bin entzückt, bezaubert, es ist gerade das, was ich gewünscht und erwartet hatte. Es ist wahrlich mehr, als wir hoffen durften von dem phantastischen und gewalttätigen Geiste des genialen Abenteurers, der das neue Deutschland mit Eisen und Feuer geschaffen hat. Jetzt steigt in diesem Manne die strahlende Morgenröte des Rechts empor. Es steht jetzt bei uns, von den Umständen, den Dispositionen, den ehrgeizigen Rivalitäten Nutzen zu ziehen, um unsere berechtigten Rückforderungen zu stellen und, im Einverständnis mit ihm, die neue Ordnung zu begründen."32

Und so hat denn auch die französische Geschichtschreibung den feinsten psychologischen Ton getroffen, um die Rede des 19. Februar zu charakterisieren:

      "Eine einzigartig kühne Lektion, die vielleicht zum ersten Male aus der diplomatischen Leistung ein Werk des hellen Tageslichtes macht und ihr alle Vorteile [212] einer überlegten und berechneten Publizität verleiht. Seine bewunderungswürdige Kraft besteht darin, mitten in Kampf und Polemik, in der Erwiderung an die Gegner, die seinen Sinn übertreiben, die Nuancen zu unterscheiden, die Grenzen zu bezeichnen, die Grade und Feinheiten festzustellen, die ihm seine eigentümliche Physiognomie geben und ihm die volle Autorität über Menschen und Dinge verleihen. Der große Staatsmann vollbringt in dieser enormen und weitausholenden, stoffüberladenen und von gedrängten Gedanken überschwellenden Rede das wahre Meisterwerk des politischen Diplomaten."33

Ja, es ist vor den Augen des mit unerhörter Spannung aufhorchenden Europa das neue Bild eines Bismarck, der weit über die Streitfragen des Moments hinweg seinem Zeitalter die Möglichkeiten eines neuen Geistes der Politik und der Staatengesellschaft offenbart.

Die ehrliche Maklerschaft war schon in diesem Augenblick vor ihre ersten Aufgaben gestellt. Sobald die zu erwartenden russischen Friedensbedingungen bekannt wurden, hatte Andrássy den Antrag auf Berufung einer Konferenz oder eines Kongresses gestellt, und alsbald waren die Fragen des Ortes und der Kompetenz des Kongresses lebhaft umstritten. Als Gortschakow am Tage der Veröffentlichung des Friedens von San Stefano (3. März) sich für Berlin erklärte (um Wien zu vermeiden), blieb Bismarck nichts anderes übrig, als die Genehmigung seines Kaisers für die Wahl einzuholen, obwohl er nicht verkannte, wie er nach London wissen ließ, "daß wir hier am Ort mit aller Reserve doch sachlich mehr engagiert würden und eine gewisse politische Verantwortung trügen, die wir für Deutschland lieber vermieden gesehen hätten und durch Abhaltung der Konferenz an einem anderen Orte auch leichter hätten vermeiden können". Er gab aber jeden Widerstand auf, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß er irgend etwas zur Herbeiführung der Verständigung Dienliches unterlassen hätte; er mochte sich auch sagen, daß die Bedenken durch die Vorteile der geschäftlichen Leitung und Einwirkung aufgewogen würden. Aber bevor sich die Arena der großen Machtprobe öffnete, schien die Bedingung, unter der England an dem Kongresse allein teilzunehmen sich bereit erklärte, die Vorlegung des Friedenstextes von San Stefano in seinem ganzen Umfange, und die russische Weigerung, diese Bedingung zu erfüllen, alles in Frage zu stellen. Die englischen militärischen Maßnahmen, der Rücktritt Lord Derbys und die Übernahme des Auswärtigen Amtes durch Lord Salisbury, die zunehmende Erregung der englischen öffentlichen Meinung ließen zeitweilig den kriegerischen Ausgang als möglich erscheinen. Bei der Nähe, in der sich die russischen Truppen und die englische Flotte an der Küste des Marmarameers gegenüberstanden, war nicht einmal mit Sicherheit zu sagen, ob die Kanonen nicht durch einen verhängnisvollen Zufall von selber losgehen würden. In dieser Spannung entschloß sich Bismarck am [213] 9. April, die Vermittlung zu einer gleichzeitigen Zurücknahme beider Truppenkontingente zu übernehmen und, während der Abwendung dieser nächsten Gefahr, auf eine unmittelbare Aussprache zwischen Rußland und England hinzuwirken. Auf beiden Seiten wurde sein Eingreifen mit Dankbarkeit aufgenommen: "Bismarck ist erwacht." Seine Gestalt rückte in den Mittelpunkt, und die von ihm vertretene Macht sah sich von allen Seiten umworben. Als Graf Schuwalow auf der Durchreise nach London Bismarck in Friedrichsruh besuchte, "stellte er noch einmal die Frage eines russisch-deutschen Schutz- und Trutzbündnisses", und Bismarck erläuterte offen die Schwierigkeiten, die sich für ihn aus der Rücksichtnahme auf Österreich-Ungarn ergäben.34 Aber auf der andern Seite sprach sich auch Lord Salisbury - auf einem langen Wege zu solcher Erkenntnis herangereift - für eine entente cordiale zwischen Deutschland und England aus: "Es gibt keine Länder, die so wenig Rivalitäten und so viele Gemeinsamkeiten haben, und deswegen keine, zwischen denen eine Verständigung so gut sein würde. Wir sind tatsächlich die einzige Nation nördlich der Alpen, die mit ungeteilter Genugtuung auf die Stellung zu blicken vermag, die das Deutsche Reich erreicht hat."35 Diese Erkenntnis hatte viel Mißtrauen und Ressentiment überwinden müssen - auf ein Angebot von englischer Seite aber würde Bismarck in diesem Augenblick, ähnlich wie Schuwalow gegenüber, mehr von den Schwierigkeiten, die entgegenständen, als von den Gründen, die es empfahlen, gesprochen haben. Er sah seine Aufgabe nicht darin, den Konflikt durch Parteinahme zu vertiefen, sondern durch Vermittlung zu überbrücken. Im Sinne seines beim Beginn des Krieges aufgestellten Zukunftsbildes wirkte er darauf hin, daß Rußland und England sich zunächst in einer Aussprache zu zweien einigten, deren Ergebnis die unumgängliche Voraussetzung und die Grundlage des Kongresses sein mußte: er hatte die Mächte jetzt da, wo er sie schon vor Jahresfrist hatte haben wollen.

Es war ein großer historischer Moment, als die leitenden Minister und Diplomaten der Mächte in Berlin zu einem Kongreß zusammentraten. Nicht nur die orientalische Krisis, die seit mehr als zwei Jahren die Mächte in Spannung hielt, ging jetzt ihrer endgültigen Lösung entgegen. Auch jene dunkle Unsicherheit, die seit der Errichtung des Deutschen Reiches über der europäischen Staatengesellschaft gelastet hatte, war abgelöst durch eine Anerkennung der deutschen Machtverhältnisse auf allen Seiten. Sobald Fürst Bismarck die Leitung des Kongresses übernahm, konnte die Parole ausgegeben werden: Jetzt ist der Friede gesichert - nicht in dem heimtückischen Sinne, in dem Gortschakow diese Worte im Mai 1875 gegen das Deutsche Reich ausgespielt hatte, sondern in dem Sinne, [214] in dem Bismarck seinen Weg durch das Gedränge der großmächtlichen Interessen zu bahnen entschlossen war.

Das Vertrauen Europas zu der Macht der Mitte als der zuverlässigsten Bürgschaft des Friedens siegte endgültig über die Furcht vor einer uferlosen Eroberungssucht des Deutschen Reiches und seines gewalttätigen Kanzlers, die in jenen Jahren in immer neuen Verkleidungen die Gemüter beunruhigt hatte. Die Mär von den preußischen Raubgelüsten auf Holland, von den Franzosen schon während der Luxemburger Krisis in London verbreitet,36 war lange Zeit von den Engländern in allen Lagern gelehrig aufgenommen worden; die Königin Viktoria mußte erst durch ihren Botschafter von der Unwahrscheinlichkeit des lächerlichen Gerüchts überzeugt werden, ihre eigenen Staatsmänner konnten einen deutschen Hinweis auf ihre ägyptischen Interessen sich nur aus solchen bösen nachbarlichen Hintergedanken erklären und ließen sich an den seltsamsten Beweisstücken für ihren Irrglauben genügen. Selbst als man sich in London von der Natürlichkeit des deutsch-englischen Bündnisses überzeugt hatte, tat man es mit dem Vorbehalt, die Lage würde sich ändern, wenn es je den Deutschen in den Kopf kommen sollte, Kopenhagen oder Rotterdam zu wünschen, und fiel immer wieder in die seltsame Vorstellung zurück, daß man doch noch in den nächsten Jahren für die Unabhängigkeit Hollands würde fechten müssen.37 Lord Salisbury war ganz erstaunt, daß die ihm in Paris vom Herzog von Decazes zugeflüsterten Besorgnisse, Bismarck sei bereit, über Deutsch-Österreich herzufallen, in Wien von Andrássy jedenfalls nicht geteilt wurden;38 dafür warnte der Erzherzog Albrecht die russischen Staatsmänner vor einem plötzlichen Überfall der Deutschen,39 und der Zarewitsch Alexander wagte noch im Juni 1880 dem deutschen Kronprinzen von der feststehenden Absicht Bismarcks zu sprechen, die baltischen Provinzen zu annektieren.40 Wird man sich wundern, wenn die Phantasie Disraelis die Frage auswarf: wo liegen Bismarcks Kompensationen, im österreichischen oder im russischen Deutschland, oder möchte er Seepolitik treiben und mit den Engländern zusammen die Wacht des Hellespontes und der Symplegaden übernehmen?41 Zu der politischen Atmosphäre der siebziger Jahre [215] gehört das System dieser Verleumdungen,42 bei dem die Urheber und die Gläubigen niemals ausstarben - erst der Verlauf der Orientkrise und die Haltung Bismarcks auf dem Berliner Kongreß, auf dem der gefürchtete Gründer des Deutschen Reiches als der sichtbare Bürge einer uneigennützigen Friedenspolitik erschien, sollte eine Reinigung herbeiführen und das wahre Bild des europäischen Politikers Bismarck an die Stelle jener berechneten Verzerrungen setzen.

Denn jetzt lag das wirkliche Verhältnis vor aller Augen. Während alle übrigen sich vergrößerten oder sich zu vergrößern suchten, nahm die Politik der ehrlichen Maklerschaft für Deutschland nur eine einzige "Kompensation" in Anspruch: eine friedliche Auseinandersetzung in der Staatengesellschaft, in der die Reibungsflächen, unter Entlastung des Zentrums, in die Peripherie geschoben und der französischen Revanche alle europäischen Anknüpfungsmöglichkeiten genommen wurden. Was Bismarck seit dem Ausbruch der orientalischen Krisis erstrebt hatte, war eine neue Ordnung Europas, die Begründung einer dauernden Interessengemeinschaft zwischen der deutschen Sicherheit in der Mitte und dem Frieden Europas.43

Aber kommt in diesem Urteil nicht vielleicht die nationale Eigenliebe der Deutschen zum Ausdruck? Hören wir daher einen Vertreter derjenigen Nation, gegen die sich die Friedenspolitik Bismarcks vornehmlich zu decken suchte. Der französische Politiker und Geschichtschreiber Gabriel Hanotaux beurteilt das Geheimnis der europäischen Politik Bismarcks im Zeitalter des Berliner Kongresses mit den Sätzen:

      "In dieser feierlichen Stunde hat der Fürst, seine Leidenschaften beherrschend, sein Urteil gebildet und seinen Entschluß gefaßt. Was er will, ist eine solide Organisation von Mitteleuropa, die fähig ist, im Notfalle nach beiden Seiten hin standzuhalten, unabhängig von englischer Einmischung, ohne sich ihr gerade feindlich zu zeigen. Er hat sich zur Aufgabe gesetzt, Vertrauen zu erwecken und zwischen den anderen das Mißtrauen zu nähren. Alles dies durch die einfachsten, direktesten Mittel, die sich gleichsam aus dem Laufe der Dinge ergeben. Er tut dem Geschicke keine Gewalt an, er beobachtet es, drängt es und läßt es selbständig handeln, so wie Sokrates es mit den Geistern seiner Schüler machte. Die Umstände kamen ihm dabei zu Hilfe. Die Lage ist so, daß er mit unabweisbaren Notwendigkeiten zu tun hat, und er ist verständig genug, sie gewähren zu lassen; er hat mit Personen zu tun, mit Eitelkeiten und Empfindlichkeiten, die er als feiner Menschenkenner mit einem Blick überwacht und [216] benutzt."44

Man braucht nicht jede Nuance dieses Urteils zu billigen, um das Ganze anzunehmen: das Innerste einer Diplomatie, die den natürlichen Lebensbedürfnissen der Mächte ihren Lauf läßt und sie nur in ihrem Verhältnis zueinander auszugleichen sucht, läßt sich nicht treffender in Worte fassen.

Es kann nicht die Aufgabe dieser Darstellung sein, den Gang, die Krisen und das Ergebnis der Verhandlungen auf dem Kongreß zu analysieren, nur die Richtung, die Bismarck dem Verlaufe als Präsident gab, sei mit einigen Strichen festgehalten. Die großen Entscheidungen waren in Wirklichkeit schon zwischen England und Rußland und zwischen Österreich und Rußland gefallen, und es konnte sich nur noch darum handeln, das prinzipiell Zugestandene in der Einzeldurchführung zur allgemeinen Annahme zu bringen. Für die deutsche Leitung ergab sich daraus die Aufgabe, die Politik des Ausgleichs, die sie in den letzten Jahren verfolgt hatte, jetzt in der Stunde der Abrechnung mit festen Nerven durchzuführen: Österreich nach bestem Können zu fördern, aber nur bis zu der bekannten Grenze: keinen Bruch mit Rußland, also bis zu derselben Grenze, die man den russischen Ansprüchen gegenüber mit Rücksicht auf Österreich innegehalten hatte und halten wollte. Dasselbe gilt von dem Ausgleich zwischen Rußland und England. Der führende russische Geschäftsbevollmächtigte Graf Schuwalow hat nach Abschluß des Kongresses betont, daß es nur der deutschen Unterstützung verdankt werde, wenn der Kongreß nicht unter Abbruch der Verhandlungen zum Kriege geführt habe; in drei Angelegenheiten (Abgrenzung von Bulgarien, Sandschak, Batum) namentlich seien die Verhandlungen lediglich dadurch wieder in Fluß geraten, daß es Bismarck durch persönliches Eingreifen gelang, die englisch-österreichischen Beschlüsse in einem Rußland erwünschten Sinne umzugestalten.45 Auf die ihm von Petersburg entgegengehaltene Frage, warum er mit der mächtigen Unterstützung Bismarcks nicht bessere Resultate erziele, hat Schuwalow darauf hingewiesen, daß dieser sich, in der Absicht, ein Scheitern des Kongresses zu vermeiden, genötigt sehe, zwischen den drei Mächten zu lavieren, und darum nicht immer energisch genug in seinem Wohlwollen für die russische Seite sei.46 Daß Bismarck grundsätzlich die Rolle des ehrlichen Maklers festhielt, wird von keiner Seite bestritten, es war nur die Frage, ob er auf dieser Linie den Ansprüchen der russischen Politik Genüge tun werde. Denn sein Entschluß, an dem er in den vergangenen Jahren ohne Unterbrechung festgehalten hatte, nicht so weit mit den russischen Wünschen zu gehen, daß er sich dadurch Österreich und England entfremde und den Anstoß zu feindlichen Koalitionen gebe, dieser Entschluß wurde auch während des ganzen Kongresses behauptet.

[217] Er hatte jetzt den eigentlichen europäischen Gegenspieler Rußlands, Lord Beaconsfield, zur Seite und sich gegenüber, mit dem ganzen Gewicht seiner langen politischen Erfahrung und der von ihm vertretenen Macht. Und dieser Führer der englischen Politik, dem Grabe schon nahe, war gewillt, große Politik zu machen, wie er denn bewußt aus der freihändlerisch-liberalen Staatspraxis des England der non-intervention in eine machtpolitisch-imperialistische Ära zurücklenkte. Wenn Bismarck den Blick der englischen Staatsmänner immer wieder auf Ägypten zu richten versucht hatte, so lag darin für Beaconsfield (nicht aber für Salisbury) ein Grund, den Wink, dessen Folgen die englische Politik mit der französischen Politik veruneinigen konnten, lieber zu überhören. Aber auch unabhängig davon war jetzt die Möglichkeit eines deutschen Bündnisses als eines für England erstrebenswerten Zieles immer nähergerückt.

Die Berührung Bismarcks mit Beaconsfield, den er vor sechzehn Jahren nur einmal gesehen hatte, war ihm ein neues Erlebnis. Die persönliche Auseinandersetzung mit Gortschakow und Andrássy war ihm seit Jahren vertraut; der Weg, den er zwischen den beiden Partnern des Dreikaiserverhältnisses zu gehen hatte, war von ihm in ungezählten Definitionen abgesteckt und die Formen des Umgangs schließlich der europäische Stil der kontinentalen Diplomatie. Beaconsfield war eine ganz andersartige Folie des deutschen Kanzlers. Die Spannung in dieser Berührung war, bei der Verschiedenheit der politischen Charaktere und der geistigen Naturen, größer, der Eindruck, den der eine auf den andern machte, auf beiden Seiten etwas viel Persönlicheres. Wie haben sich doch die literarischen Künste Disraelis bemüht, um der Königin Viktoria ein lebensvolles Bild von dem mächtigen Führer des Deutschen Reiches zu geben! Wie befremden ihn zunächst diese "Monologe im Stile des Rabelais", die der Kanzler ihm hält; wie horcht er auf die Redeweise eines Staatsmannes, "der so spricht, wie Montaigne schreibt", auf die Konversation des Gefürchteten, der in seiner feinen und hohen Stimme so viele schreckliche und unmögliche Dinge sagt, deren Kühnheit ihn erbleichen läßt! Scheinbar erschüttert meldet er seiner dafür äußerst empfänglichen Königin, wie jener ihm unvorsichtig rät, niemals Fürsten und Höflingen zu trauen - was dieser seltsamen Abart eines anglo-jüdischen Höflings den willkommenen Anlaß gibt, dem reinen und gerechten Herzen seiner Souveränin eine wortreiche Huldigung zu Füßen zu legen. Jedes Wort Bismarcks erregt seine Aufmerksamkeit; so, wenn er die Erwerbung Cyperns als einen weisen Schritt und einen Fortschritt lobt, der populär sein werde, "denn die Nationen lieben Fortschritt". Der Engländer hat in den nächsten Jahren in seinem letzten Roman Endymion in dem Grafen Ferroll das Abbild eines Staatsmannes gezeichnet, der eine ganz originelle, fast exzentrische Denkweise besitze und fast nie einen Fehler mache - man sieht, wie auch ihn das persönliche Erlebnis bis zuletzt beschäftigt hat.

[218] Bismarck behandelte den anderen mit ausgesuchtem Entgegenkommen und sichtbarem Respekt. Als er am 21. Juni, dem Höhepunkt der Kongreßkrisis, sich überzeugte, daß Beaconsfield wirklich in der bulgarischen Grenzfrage eine ultimative Haltung eingenommen habe, ließ er sich sofort zu einer ganz persönlichen Einladung herbei und veranstaltete eine vertrauliche Aussprache bei der Pfeife - nach diesem Eindruck führte er das Nachgeben Rußlands herbei. Er ging in solchen Aussprachen in seiner Weise weit aus sich heraus; mehrfach kam er auf die Episode vom Januar 1876 zurück, wo er sich England angeboten, aber erst nach sechs Wochen von Lord Derby eine Ablehnung erfahren habe. Daß er aber mitten in den Kongreßverhandlungen so weit gegangen sein soll, dem Engländer einen ernsthaften Bündnisvorschlag zu unterbreiten, hat alle Zeugnisse und Erwägungen gegen sich.47 Wohl aber tat Bismarck alles, um die persönliche Grundlage des Verhältnisses sicherzustellen, auch durch die Anregung eines vertraulichen Briefwechsels - er wollte die bleibende Rückendeckung, um jedem Druck von russischer Seite begegnen zu können.

Denn es stellte sich bald heraus, daß die Russen das mit deutscher Hilfe auf dem Kongreß Erlangte doch nur an den überspannten Forderungen messen würden, die sie vor dem Ausbruch des Krieges im voraus an die deutsche Hilfe gestellt hatten. Fürst Gortschakow, der während des Kongresses hinter dem Rücken Schuwalows in Privatbriefen an den Zaren über den Kongreßverlauf berichtete, verfolgte nur das eine Ziel, sich zu entlasten und die Allerhöchste Verstimmung gegen den deutschen Reichskanzler zu schüren. Noch von Berlin aus hatte er dem Zaren nachgewiesen, daß es eine Illusion sein werde, weiterhin auf das Verständnis der Dreikaisermächte zu rechnen. "Das ist auch meine Meinung", bestätigte ihm der Zar, der sich schon gelehrig gewöhnte, von dem Kongreß als "der europäischen Koalition gegen Rußland, unter Führung des Fürsten Bismarck" zu sprechen.48 Die Slawophilen erbitterten sich auf das höchste, daß Österreich-Ungarn ohne einen Schwertschlag slawische Gebiete, wie Bosnien und die Herzegowina, von dem Kongresse heimgebracht habe; aber weder der Zar [219] noch Gortschakow hatten den Mut, ihnen zu gestehen, daß sie selbst der Habsburgischen Monarchie schon lange vor Beginn des Krieges die beiden Provinzen vertragsmäßig überantwortet hätten, und daß sie, ohne diese Abfindung, gar nicht in der Lage gewesen wären, Krieg gegen die Türkei zu führen. Die Slawophilen erhoben die leidenschaftlichsten Vorwürfe, daß man sich auf dem Kongreß zu so einschneidenden Veränderungen des Friedens von San Stefano, vor allem im Schicksal Bulgariens, hatte bereitfinden lassen; und wiederum wagten weder der Zar noch Gortschakow wahrheitsgemäß zu erklären, daß diese Abänderungen auf den geheimen Abmachungen beruhten, die Rußland im Mai 1878 mit England geschlossen hatte, um einem zweiten Kriege zu entgehen, in dem die Bestimmungen von San Stefano in alle Winde zerflattert wären.

Wenn aber in dieser Erbitterung Rußlands das Ergebnis bestand, muß man da nicht zu dem Schlusse kommen, daß die ehrliche Maklerschaft Bismarcks ihren Zweck verfehlt hatte, wenn sie nicht gar ein Fehler gewesen sein sollte, wie sogar von konservativer Seite gesagt worden ist, der einzige handgreifliche Fehler in seiner Außenpolitik?49 Aber hätte er den Zusammentritt des Kongresses in Berlin ablehnen sollen, wie nachträgliche Kritik verlangt, um eine Überstimmung Rußlands unter seinem Vorsitz zu vermeiden? Rußland würde es ihm erst recht nicht vergeben haben, wenn er der russischen Politik den einzig möglichen ehrenvollen Rückzug aus den Positionen von San Stefano unmöglich gemacht hätte. Oder hätte er auf dem Kongreß eine unbedingtere Haltung an der russischen Seite, selbst in Fragen, in denen Rußland vorher schon den Rückzug angetreten hatte, einnehmen sollen? Dann würde Deutschland gegenüber einer englisch-österreichisch-türkischen Front, die sich in jedem Augenblick durch Frankreich hätte verstärken können, als der einzige Anwalt einer im Moment kampfunfähigen Macht dagestanden haben. Wenn es aber damals jede englisch-österreichische Fühlung verscherzt hätte, wie würde dann wohl der russische Druck von 1879 auf die isolierte deutsche Politik ausgefallen sein? Oder aber wäre es richtig gewesen, schon lange vor dem Kriege die von Rußland verlangte unbedingte Gefolgschaft zu leisten und es gleichmütig in Kauf zu nehmen, daß eine solche um fremder Interessen willen im Osten festgelegte deutsche Politik einer feindseligen Einkreisung der anderen Mächte verfallen wäre? Man braucht die Fragen nur aufzuwerfen, um bald zu sehen - was Bismarck gern der Opposition im Reichstage entgegenhielt -, daß die Kritik leicht und die Kunst schwer ist. Besonders leicht auch die Kritik, die aus einer späteren Situation heraus urteilen möchte.50 Jeder weittragende politische Entschluß hat seine un- [220] vermeidlichen Kehrseiten, und das Verlockende, das in dem politischen Besserwissen zu liegen scheint, kommt in irgendeinem späteren geschichtlichen Abschnitt sicher auf seine Kosten. Immer wieder war Bismarck, in fast monoton sich wiederholenden Situationen, auf denselben herrischen Geist der russischen Politik gestoßen. Voll befriedigen konnte er ihre Ansprüche nur durch Unterwerfung, früher oder später. Er hat immer von neuem den Versuch gemacht, sowohl das traditionelle deutsch-russische Verhältnis zu behaupten als auch die Autonomie der deutschen Außenpolitik sicherzustellen: dieses Verfahren gipfelt in dem Berliner Kongreß. In dem folgenden Jahre mußte er endgültig erkennen, daß der Gedanke der ehrlichen Maklerschaft nicht dazu ausreichte, die russische Freundschaft zu erhalten.


1 [1/191]Auch nicht in anderen Teilen Europas. Selbst ein so verständnisvoller Mitarbeiter Bismarcks, wie Schweinitz, dachte gelegentlich an eine Verbesserung der deutsch-russischen Grenze. Die Engländer vollends konnten von dem Gedanken nicht loskommen, daß holländische oder andere Pläne in der Seele Bismarcks schlummern müßten. ...zurück...

2 [1/192]Diktat vom 14. 10. 76. Gr. Pol. 2, 64 f. ...zurück...

3 [2/192]Gr. Pol. 2, 154. ...zurück...

4 [1/193]27. November 1876. ...zurück...

5 [1/194]Es gibt über die Anfänge der Annäherung Bismarcks an England eine ausgedehnte Literatur, doch sind die früheren Forschungen von F. Rachfahl, H. Rothfels, Bismarcks englische Bündnispolitik, 1924, Fr. Frahm, "England und Rußland in Bündnispolitik," Arch. f. Pol. u. Gesch. 8, 382 (1927) überholt, seitdem das erst neuerdings durch David Harris, "Bismarck's advance to England," The Journal of modern history (Sept. 1931), S. 441 - 456, das wichtigste Material der Forschung zugänglich gemacht worden ist. Die viel erörterte Frage der noch sehr im Dunkeln liegenden Mission Buchers, die kurze Zeit vorher, Mitte Dezember 1875, stattgefunden haben soll, tritt gegenüber diesem Material fast in den Hintergrund. Es mag sich um eine auf privatem und diskretem Wege erfolgende Einleitung und Unterstützung des amtlichen Schrittes vom Januar 1876 gehandelt haben. ...zurück...

6 [2/194]Die Erwähnung Ägyptens findet sich merkwürdigerweise nur in dem Erlasse, in dem Bülow dem Botschafter in London über die Sondierung Bismarcks berichtet; nicht aber in den Berichten von Lord Odo Russell selbst. Es mag aber sein, daß dieser gerade eine Anspielung auf Ägypten mit Rücksicht auf seinen auch in dieser Frage mißtrauisch zurückhaltenden Chef absichtlich unterdrückt hat. ...zurück...

7 [1/195]Disraeli an Derby 15. 2. 76: "You have to deal with a man, who is dangerous, but who is sincere; and who will act straightforward with an English Minister...; a man, too, very sensitive and impulsive. The step he is now taking is one which he has long and often meditated." Buckle, Disraeli 6, 21. ...zurück...

8 [2/195]Kronprinzessin Victoria an Königin Victoria: "...He (Bismarck) would have given anything for a hearty response to his overtures... he got no answer." Ponsonby a. a. O. 143. ...zurück...

9 [3/195]Vgl. S. 218. ...zurück...

10 [1/196]Die Antwort Disraelis in seinem Schreiben an Königin Victoria vom 18. Juni 1876 (Buckle 6, 33) ist entgegenkommend, ohne aber an das Anerbieten anzuknüpfen. ...zurück...

11 [2/196]Vgl. außer dem bekannten Aktenmaterial: Georg Wittrock, "Gorčakov, Ignatiev och Šuvalov." Historisk tidskrift 1931, S. 1 - 117. ...zurück...

12 [3/196]Karolyi an Andrássy, 22. 7. 1876. E. v. Wertheimer, Andrássy, 2, 329. Es ist unbekannt, wie die Engländer damals reagierten. ...zurück...

13 [1/197]Bismarck an Bülow, 14. August 1876. Den Russen waren die deutschen Fühler in London nicht verborgen geblieben, vgl. G. Wittrock a. a. O., S. 92. ...zurück...

14 [1/198]Schweinitz. Briefband, S. 115, 116. ...zurück...

15 [1/199]Das trifft auf den Brief des Zaren an Kaiser Wilhelm I. vom 26. August/7. September 1876 keinesfalls zu. ...zurück...

16 [1/201]Die ausführliche Instruktion für Schweinitz vom 23. Oktober enthält die (nicht zu wörtlicher Wiedergabe bestimmte) Formulierung: "Ebenso tief aber würde es die Interessen Deutschlands berühren, wenn die österreichische Monarchie in ihrem Bestande als europäische Macht oder in ihrer Unabhängigkeit derart gefährdet würde, daß einer der Faktoren, mit denen wir im europäischen Gleichgewicht zu rechnen haben, für die Zukunft auszufallen drohe." ...zurück...

17 [2/201]Denkwürdigkeiten von Schweinitz, I. 355 ff., 361, II. 86, 89, f. Briefwechsel 121, 141. ...zurück...

18 [3/201]Bismarck an Gortschakow, 14. November 1876. ...zurück...

19 [4/201]9. November 1876. ...zurück...

20 [1/202]Buckle, Life of Disraeli, 6, 81, 88. Die Berichte Salisburys (Gw. Cecil, Life of the Marquess of Salisbury. II. 99) und die Aufzeichnungen Bismarcks geben nur zusammen ein deutliches Bild von dem Hergang der Besprechungen. ...zurück...

21 [1/203]H. v. Poschinger, Fürst Bismarck und die Parlamentarier 1, 110 - 116. Fortsetzung am 2. Dezember 1, 118 ff. Der letzte Satz auch wörtlich in dem Erlaß an Graf Stolberg vom 12. Dezember 1876. E. v. Wertheimer, Andrássy 2, 367. ...zurück...

22 [1/204]Das war auch die Antwort Kaiser Wilhelms I., als Großfürst Konstantin ihm am 21. Januar vortrug, der Zar müsse für den Kriegsfall wissen, ob er Freundschaft oder Feindschaft zu erwarten habe. ...zurück...

23 [1/205]Bülow an Schweinitz 30. 1. 77 (Denkwürdigkeiten I, 383 Anm. 7). Ob in Wien damals tatsächlich solche Schritte folgten, läßt sich nicht ermitteln. ...zurück...

24 [2/205]Tagebuch Gathorne-Hardy's vom 11. 2. 77. Gwendolin Cecil, Salisbury II, 127. 129. Buckle, Disraeli, 6, 123 ff. ...zurück...

25 [3/205]E. v. Wertheimer, Andrássy 2, 404 f. ...zurück...

26 [1/206]Über seine damalige Auseinandersetzung mit dem Kaiser vgl. oben S. 162. ...zurück...

27 [1/207]Die deutsche Weltfrage und anderes. Mai 1877. ...zurück...

28 [2/207]Diktat vom 15. Juni 1877. Gr. Pol. II, 153. ...zurück...

29 [1/208]Tiedemann a. a. O., S. 142. ...zurück...

30 [1/209]Buckle, Disraeli, 6, 141. 144. 148 f., 178. 188 f., 194. ...zurück...

31 [2/209]Über ihre Vorgeschichte vgl. oben S. 169. ...zurück...

32 [1/211]Hanotaux, Histoire de la France contemporaine, 4, 62. ...zurück...

33 [1/212]Hanotaux, 4, 329 ff. ...zurück...

34 [1/213]Ged. u. Erinn. 2, 224. ...zurück...

35 [2/213]Salisbury an Odo Russell 10. April 1878. Übrigens meinte Salisbury in dieser Zeit, daß Bismarck doch im Grunde zu dem antirussischen Wege neige, und daß nur sein "Herr" unbelehrbar sei. Gw. Cecil, 2, 242, 253. ...zurück...

36 [1/214]H. Oncken, Die Historische Rheinpolitik Napoleons III, Bd. 2, 235. ...zurück...

37 [2/214]Buckle, Disraeli 6, 104. (29. November 1876.) Bericht Münsters 12. Juni 1877, Große Politik 2, 153. Gw. Cecil, Salisbury 2, 127, 129. Für die Untergründe solchen Geschwätzes kennzeichnend ist die Erzählung in dem Schreiben Salisburys an Odo Russell 14. Januar 1880: "Daß es am deutschen Hofe eine Partei gibt, die ernstlich auf die Besitznahme Hollands blickt, entnehme ich aus einer Bemerkung der kleinen Herzogin von Connaught zu mir, sie fürchte, es werde ein Zankapfel werden. Sie sprach zweifellos nach dem, was sie ihren Vater (Prinz Friedrich Karl) sagen gehört." ...zurück...

38 [3/214]Salisbury an Derby, 26. November 1876. ...zurück...

39 [4/214]Lord Odo Russell an Derby, 12. Februar 1876. ...zurück...

40 [5/214]Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 117, 135 f. Der Botschafter meinte, daß die Hälfte aller politisierenden Russen ebenso dächte wie der Thronfolger. ...zurück...

41 [6/214]Disraeli an Derby 4. September 1876. Buckle, Disraeli 6, 53. ...zurück...

42 [1/215]Graf Münster berichtete am 28. Juni 1877 aus London: "Die Besorgnis vor deutschen Vergrößerungsplänen wird hier fortwährend von Frankreich aus genährt, und auch von russischer Seite ist entschieden in diesem Sinne gewirkt worden." ...zurück...

43 [2/215]Die Auffassung Buckles, Disraeli 6, 386, mit dem Berliner Kongreß sei die Führung von dem autokratischen Europa des Dreikaiserbundes auf das freie Europa übergegangen, sucht ein innenpolitisches Schlagwort - dessen Verwendung übrigens die Opposition der englischen Liberalen schwerlich den Tories zugestanden haben würde - auf die von ganz anderen Kräften bewegte Außenpolitik der Mächte zu übertragen. ...zurück...

44 [1/216]G. Hanotaux, Histoire de la France contemporaine 4, 352. ...zurück...

45 [2/216]Berchem an Bismarck, 22. Juli 1878. - Radowitz an Bismarck, 8. August 1878. Große Politik 2, 336. 3, 4. ...zurück...

46 [3/216]Gorjainow, Le Bosphore et les Dardanelles, S. 378. ...zurück...

47 [1/218]Die Erzählung des Freiherrn Hermann v. Eckardstein, Lebenserinnerungen usw. (1920) 1, 104, Bismarck habe dem Lord Beaconsfield in einem kritischen Moment des Kongresses den Vorschlag eines deutsch-englischen Bündnisses gemacht, der wohlwollend aufgenommen worden und zu weiteren geheimen Beratungen mit Andrássy zu dritt geführt habe, hat - zumal in der weiteren Ausmalung - alle Wahrscheinlichkeit gegen sich. Sie wird an keiner Stelle bestätigt in dem gleichzeitigen sehr eingehenden Briefwechsel Beaconsfields mit Königin Victoria, und eher widerlegt durch die Tatsache, daß auch sein rückblickender Brief an die Königin vom 27. September 1879 nichts Derartiges erwähnt. Auf der anderen Seite ist das Angebot weder in die damalige politische Situation Bismarcks noch in seine Geschäftsführung auf dem Kongreß mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit einzuordnen. Die kritische Zuverlässigkeit Eckardsteins reicht auch nicht aus, den Glauben zu erwecken; da er seine Erzählung auf den Privatsekretär Beaconsfields, den späteren Lord Rowton, zurückführt, so bliebe vielleicht ein Kern, der auf einer Kombination einzelner Kongreßsituationen mit der Sondierung vom September 1879 beruht. ...zurück...

48 [2/218]Gorjainow, 380. Radowitz an Bismarck, a. a. O. ...zurück...

49 [1/219]Von Senfft-Pilsach, Aus Bismarcks Werkstatt, S. 45. J. v. Eckardt, Lebenserinnerungen II, 40-45, 86. ...zurück...

50 [2/219]So hat René Pinon, L'Europe et la jeune Turquie (Paris 1911, S. 445 ff.), die Meinung vertreten, daß eine Verwirklichung von San Stefano Europa dreißig Jahre Balkanwirren hätte ersparen können, und daß Fürst Bismarck einen großen politischen Fehler gemacht hätte, als er zuließ, daß der russischen Begehrlichkeit entgegengetreten wurde. Dieses Urteil wäre nur unter der Voraussetzung richtig, daß irgendwelche Aussicht bestanden hätte, daß die Großmächte, besonders England, einer solchen Ausdehnung des russischen Einflusses bis zum Ägäischen Meer ruhig zugesehen haben würden. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte