Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
[422]
Kapitel 9: Die höchsten
Kommando-
und Verwaltungsbehörden
A. Die obersten Kommandobehörden des
Landheeres.
Von Oberstleutnant Hermann Cron
1. Einleitung.
Kurz war einst der Weg zwischen dem Feldherrn und dem Krieger in der Front.
Noch die Armee Friedrichs des Großen kannte im Frieden nur die
Einteilung in Regimenter. Verhältnismäßig klein waren die
Heere, die die Schlachten schlugen. Ähnlich wie Cäsar vor dem
Treffen seine Legionäre durch persönliche Ansprache anfeuerte,
durchritt der große Preußenkönig die Reihen seiner
Truppen.
Das Zeitalter der französischen Revolution brachte die Verwendung
größerer Massen. Sie mußten für Unterkunft, Marsch
und Gefecht gegliedert werden, um handlich zu bleiben. Es entstanden die aus
Infanterie, Kavallerie und Artillerie gebildeten Divisionen und, seit dem Jahre
1800, die Armeekorps als Zusammenfassung von
2 - 3, zuweilen auch von
4 - 5 solcher Divisionen. Gleichzeitig entwickelten sich
Generalstäbe zur Unterstützung der Führer. Noch aber war es
dem Feldherrn möglich, an entscheidender Stelle seinen persönlichen
Einfluß auf den Soldaten auszuüben. Napoleon I. wird darin
vorbildlich bleiben. Sein Generalstabschef war ihm Gehilfe, er selbst voll und
ganz Feldherr.
Anders in den Kriegen von 1866 und 1870. Die Massenheere und die
räumliche Ausdehnung der Kriegsschauplätze ließen diese
Form der Kriegführung nicht mehr zu. In den entscheidenden Schlachten
wirkten mehrere Armeen zusammen, durch Direktiven der Obersten
Führung zu einheitlichem Handeln auf dem Schlachtfelde
zusammengeführt. Diese, als "Oberste Heeresleitung" bezeichnet, war von
den einzelnen Teilen der Front weiter entfernt als früher. Dem
königlichen Bundesfeldherrn stand ein Generalstabschef mit dem bereits im
Frieden vortrefflich organisierten preußischen Generalstabe zur Seite,
dessen Organe sich auch in den Armee-Oberkommandos, den Generalkommandos
und bei den Divisionsstäben befanden. Der Generalstabschef übte die
Tätigkeit des Führers im Namen seines Königs aus.
[423] Dieses
Verhältnis blieb auch im Weltkriege bestehen. Der Chef des Generalstabes
des Feldheeres war in der Tat der für alles verantwortliche Mann, wenn er
auch zu wichtigen Entscheidungen der kaiserlichen Zustimmung bedurfte. Der
Abglanz seiner Stellung fiel auch auf die Generalstabschefs der Armeen, deren
Bedeutung im gleichen Maße stieg, wie die einzelne Armee im Weltkriege
oft die Gesamtstärke der Heere früherer Zeiten übertraf. Im
Jahre 1756 war das preußische Heer mit 120 000 Mann ins Feld
gerückt; im Jahre 1870 zählten die drei deutschen Armeen
zunächst insgesamt 384 000 Streiter, während bei
Kriegsbeginn 1914 über zwei Millionen, in 8 Armeen gegliedert, das
Feldheer bildeten. Friedrich der Große schlug die Schlacht bei Leuthen mit
einer 35 000 Mann starken Armee, indes 1914 jedes deutsche Armeekorps
45 500 Köpfe, jedes Reservekorps deren 37 000
zählte.
Die gleichzeitige Verwendung derartiger Massen mit schnellfeuernden Waffen in
ununterbrochen sich fortsetzenden Kampfhandlungen hatte eine
äußerst sorgfältige Organisation zur Voraussetzung. Die
ungeahnte Entwicklung auf dem Gebiete der technischen Kampfmittel, der
Maschinengewehre, der Artillerie, der Minenwerfer, der Gaskampfmittel, der
Luftkampfmittel, des Nachrichtenwesens und der Kraftwagen während
eines langjährigen Krieges ohne Ruhepausen im feindlichen Lande unter
gleichzeitiger Blockade der eigenen Heimat erforderte einen gewaltigen Ausbau
der Gliederung und Leitung. Vor allem mußten die Nervenzentren des
Heeres, die obersten Kommandobehörden, intakt erhalten und den
jeweiligen Erfordernissen angepaßt werden, sollte es dauernd
kampffähig bleiben.
Dem deutschen Volke ist die gewaltige geistige Arbeit der Obersten Heeresleitung
nur in ihren Ergebnissen, in ihren Anordnungen und Befehlen zur Kenntnis
gekommen. Die ungeheuere Arbeit selbst, die die einheitliche Führung und
die richtige Verwendung der Millionen erforderte, blieb ihm verborgen. Das
Wirken der Obersten Heeresleitung in das rechte Licht zu stellen und es in der
Erinnerung lebendig zu erhalten, ist um so mehr Pflicht, als gerade ihre geniale
Verwendung des stärksten, aber auch empfindlichsten Kriegsmittels,
nämlich der im Heere verkörperten Volkskraft, die Feinde
veranlaßte, durch das Friedensdiktat es dieser seiner Seele, des
Generalstabes, zu berauben.
2. Die Oberste Heeresleitung 1914.
Das geistige Haupt der obersten Führung, der Chef des Generalstabes
des Feldheeres, trat, den monarchischen Einrichtungen des Reiches
entsprechend, in seinen Befehlen nicht immer persönlich hervor, sondern
verschwand oft unter der sachlichen Bezeichnung "Oberste Heeresleitung". Am
Sitz der Obersten Heeresleitung, im Großen Hauptquartier, befanden sich
im Gefolge des Obersten Kriegsherrn, des Kaisers, der Reichskanzler, der Chef
des Admiral- [424] stabes, der
Kriegsminister und der Chef des Militärkabinetts. Mit diesen Stellen
mußte der Generalstabschef als mit gleichgeordneten verhandeln; bei
Meinungsverschiedenheiten entschied der Kaiser. Die großen
Anfangserfolge stärkten naturgemäß die Stellung des
Generalstabschefs, die auch nach dem Rückschlag an der Marne nichts von
ihrem Nimbus verlor, sondern gerade damals einen Machtzuwachs erfuhr, indem
der neue Generalstabschef zunächst die gleichzeitige Verwaltung des
Kriegsministeriums in der Hand behielt.1
Auf den Seekrieg hatte der Generalstabschef keinen Einfluß, wohl aber
stand er in dauernder Verbindung mit dem Chef des Admiralstabes. In Fragen
welche die Land- und Seekriegführung gemeinsam berührten, wurde,
nach General v. Falkenhayn,2
stillschweigend angenommen, daß die Stimme des Generalstabschefs
ausschlaggebend wäre. In der Praxis regelte sich das Zusammenwirken der
Landmacht und der Flotte, wie bei der Eroberung der baltischen Inseln, durch
Vereinbarungen der beiden höchsten Chefs.
Die Kriegführung in
den Kolonien lag in der Hand des
Staatssekretärs des Reichskolonialamtes, der angesichts der
Abschnürung der Mittelmächte von der Außenwelt seine
Einwirkung jedoch kaum geltend machen konnte.
Von entscheidender Bedeutung für die reibungslose Leitung des nach
Millionen zählenden Heeres war es, daß der Generalstabschef
über einen zweckmäßig eingerichteten Stab von Mitarbeitern
verfügte. Im preußischen Generalstabe hatte Feldmarschall
v. Moltke, wie schon erwähnt, bereits vor dem Kriege 1870/71 eine
solche Organisation geschaffen. Sie wurde später von ihm und seinen
Nachfolgern so zweckmäßig ausgebaut, daß sie auch im
Weltkriege tadellos arbeitete und in ihren Grundzügen bis zum Kriegsende
beibehalten werden konnte.
Unmittelbar unter dem Chef des Generalstabes des Feldheeres standen vier mobile
Generalstabsabteilungen und der Generalquartiermeister mit mehreren
Verwaltungschefs.
Die Zentralabteilung sichtete die eingehenden Schriftstücke und
leitete sie den bearbeitenden Stellen zu. Dinge von besonderer Wichtigkeit
unterbreitete sie sofort dem Generalstabschef unmittelbar. In ihr Gebiet fiel auch
die - mit dem Militärkabinett
gemeinsame - Bearbeitung aller persönlichen Fragen des
Generalstabs, die man unter der Bezeichnung "Personalien" zusammenfaßt,
so daß man sie als eine Adjutantur im großen betrachten darf.
An Bedeutung die erste Stelle nahm, wie schon ihr Name sagt, die
Operationsabteilung ein. Sie bearbeitete die vom Chef geplanten
Operationen und überwachte ihre Ausführung. Ferner hatte sie die
Kriegsgliederung auf dem laufenden zu erhalten und ihre Veränderungen zu
bewirken - Operation [425] und Kriegsgliederung
stehen in innigstem Zusammenhang und in stärkster Abhängigkeit
voneinander. Wie die Operationen des Heeres stets der Lage angepaßt, also
verändert werden müssen, so darf auch die ursprüngliche
Kriegsgliederung nicht starr festgehalten werden. Am augenfälligsten trat
diese Wechselwirkung nach der Marneschlacht 1914 zutage: Übergang von
der Offensive zu einer zunächst nur vorübergehend gedachten
Verteidigung und gleichzeitiges Herausziehen von Verbänden einzelner
Armeen zum Einsatz an anderer Stelle, sowie das Herumwerfen dreier
Armeen - 4., 6. und 7. - von der Mitte bzw. dem linken Flügel
nach dem rechten. Solche gewaltigen Veränderungen in der
Heereseinteilung, die von Kriegsjahr zu Kriegsjahr umfangreicher wurden und
deren Hauptschwierigkeit in der zweckmäßigen Verteilung der
unzähligen kleinen und Sonderformationen bestand, lassen sich nur
durchführen, wenn die Kriegsgliederung des ganzen Heeres trotz seiner
Größe bis in seine kleinsten Teile jederzeit gleich einem
aufgeschlagenen Buch der Obersten Heeresleitung vor Augen liegt. Ihre genaue
Kenntnis läßt sich als entscheidende Grundlage von den
Operationsentwürfen und Entschließungen ebensowenig trennen, wie
die Überwachung der Organisation der Verbände und Truppen, die
dritte der großen Aufgaben der Operationsabteilung, die auch eine dauernde
enge Verbindung mit den Heimatbehörden erforderte. Außerdem
wirkte sie bei allen wichtigen Fragen mit, die die Kriegführung mittelbar
beeinflussen konnten. Ihr Bureau war gleichzeitig dasjenige des
Generalstabschefs, ein Umstand von großer praktischer Bedeutung.
Die Kenntnis über die vermutliche Verteilung der feindlichen
Streitkräfte vermittelte die Nachrichtenabteilung. Sie bearbeitete
die Streitmittel der feindlichen und neutralen Staaten und beschäftigte sich
mit der Kriegführung von der Seite des Gegners aus. So schuf sie der
Operationsabteilung die Grundlagen für die von ihr vorzuschlagenden
Entschlüsse.
Der Abteilung III B lag
die Beschaffung aller Nachrichten von eigener,
neutraler und feindlicher Seite für die Nachrichtenabteilung ob; gleichzeitig
hatte sie die Spionage des Gegners zu verhindern und zu täuschen. Die
Unterrichtung der Presse gehörte gleichfalls zu ihren Aufgaben.
Die Politische Abteilung überwachte die Militärpolitik
beim Feinde und bei den Neutralen, eine Arbeit von der höchsten, oft
entscheidenden Wichtigkeit. Kennzeichnend hierfür ist der Einfluß
des Eintritts Italiens, Bulgariens, Rumäniens und Amerikas in den Krieg,
dessen Wirkung im voraus richtig in Rechnung zu stellen geradezu
Lebensnotwendigkeit bedeutete.
Der Generalquartiermeister war ursprünglich als Vertreter des
Chefs des Generalstabes gedacht. Er hat diesen nach der Marneschlacht 1914,
wennschon nur ganz vorübergehend, auch tatsächlich vertreten.
Später aber blieb er auf seine eigentliche Tätigkeit auf dem Gebiete
der Heeresversorgung beschränkt. [426] Diese leitete er nach
den allgemeinen Weisungen des Generalstabschefs in voller Verantwortlichkeit
selbständig. Er gab die Richtlinien für die Tätigkeit des
Munitions-, Feldeisenbahn-, Feldtelegraphen-, Feldsanitäts-,
Verpflegungs-, Etappen- und Feldpostwesens. Die höchsten
Verwaltungschefs dieser Dienstzweige mit Ausnahme der Etappenspitzen
befanden sich bei ihm im Großen Hauptquartier. Auch die mit der
Heeresversorgung auf das engste zusammenhängende Verwaltung der
besetzten Gebiete erfolgte unter der selbständigen Leitung des
Generalquartiermeisters.
Dem Chef des Feldmunitionswesens lag die Bereitstellung und
Heranführung des Nachschubs an Waffen und Munition ob. Nach den
Bedarfsmeldungen der Armee-Oberkommandos oder der Etappeninspektionen
beorderte er im Benehmen mit der Operationsabteilung die Munitionszüge
und eisenbahnfertigen Geräte- und Sprengmunitionsnachschübe nach
vorn, soweit sie nicht den Armeen bereits in ihren Sammelstationen zur
Verfügung gestellt waren, und veranlaßte durch das Allgemeine
Kriegsdepartement des Kriegsministeriums die Bereitstellung weiterer
Mengen.
Der Chef des Feldeisenbahnwesens verfügte über die
Militäreisenbahnbehörden, Bau- und Betriebsformationen. Im
gesamten Kriegsgebiet3 wurde der Eisenbahndienst von ihm
geleitet, wobei es sich, außer um Inbetriebnahme, oft um umfangreiche
Wiederherstellungsarbeiten und Neubauten handelte. Auch die Ausnutzung der
Wasserstraßen zur Entlastung der Bahn gehörte zum Arbeitsgebiet
des Feldeisenbahnchefs. Die (bereits erwähnten) großen
Umgruppierungen und der Nachschub erforderten im weitesten Maße seine
Mitwirkung.
Die telegraphische Verbindung aller Heeresteile untereinander und des Heeres mit
der Heimat fiel der Sorge des Chefs der Feldtelegraphie zu. Er regelte
das Funken-, Telegraphen- und Fernsprechwesen im Operationsgebiet und auf der
Etappe. Unmittelbar im Hauptquartier verfügte er über eine
Funkenstation und eine Fernsprechabteilung zur Verbindung mit den
Armee-Oberkommandos.
Der Chef des Feldsanitätswesens war der oberste Vorgesetzte des
gesamten Sanitätspersonals. Er gab die leitenden Gesichtspunkte für
den Sanitätsdienst, für Pflege und Abtransport der Verwundeten.
Dazu regelte er im Einvernehmen mit dem Feldeisenbahnchef die Verteilung der
Lazarettzüge und Lazarettschiffe. Auch die Freiwillige Krankenpflege
gliederte er in den Heeressanitätsdienst ein. Nach den Meldungen der
Armee- und Etappenärzte bestimmte der Feldsanitätschef die
heimischen Lazarette, in die der Strom der [427] Verwundeten der
einzelnen Korps und der verwundeten Kriegsgefangenen abfloß,
während er selbst durch die Medizinalabteilung des Kriegsministeriums
fortlaufend über die Zahl der Lagerstellen in den Lazaretten des
Heimatgebiets unterrichtet wurde.
Das Verpflegungswesen lag in der Hand des Generalintendanten als
Vorgesetzten der Feld- und Etappenintendanturen und des Kriegskassenpersonals.
In sein Arbeitsgebiet fiel alles, was auf
Besoldungs-, Kassen- und Rechnungswesen Bezug hatte. Die Armeeintendanten
meldeten ihm täglich über den Verpflegungszustand ihrer Armeen.
Auf Grund dieser Angaben leitete der
Generalintendant - unter Berücksichtigung des den Armeen im
feindlichen Lande zur Verfügung stehenden
Vorrats - den voraussichtlichen Bedarf der Armeen ihren
Etappeninspektionen mit der Eisenbahn aus der Heimat zu. Hierfür gebot er
über die Vorräte derjenigen Sammelstationen, die keiner Armee
zugeteilt waren, und über die ihm vom Kriegsministerium zur
Verfügung gestellten Vorräte. Um über diese dauernd
unterrichtet zu sein, hielt er ständige Verbindung mit dem
Armeeverwaltungsdepartement des Kriegsministeriums.
Der Feldoberpostmeister organisierte und überwachte das
Feldpostwesen und den Dienst der Feldpostanstalten.
Die Weisungen an die den Armeen unterstellten Etappeninspektionen
ließ der Generalquartiermeister diesen durch die
Armee-Oberkommandos zugehen. Ebenso verfuhren auch die obengenannten
Chefbehörden, sofern nicht dringende Umstände das
abgekürzte Verfahren des unmittelbaren Verkehrs notwendig machten.
Als Berater in den besonderen Fragen ihrer Waffen befanden sich der General
von der Fußartillerie und der General des
Ingenieur- und Pionierkorps und der Festungen als zugeteilt im Großen
Hauptquartier. Sie waren, bezeichnend für die anfängliche geringe
Einschätzung der Technik, zunächst in die zweite Staffel des
Hauptquartiers eingeteilt und traten trotz des sofort einsetzenden Festungskampfes
in der ersten Bewegungsperiode des Feldzuges nicht in Wirksamkeit.
Die guten Beziehungen der Obersten Heeresleitung zur verbündeten
Donaumonarchie pflegte ein zum
österreichisch-ungarischen Oberkommando entsandter
Bevollmächtigter General der Obersten Heeresleitung, der
für die Einheitlichkeit der gesamten Operationen wirken sollte, über
die Ereignisse bei dem Bundesgenossen berichtete, Mißverständnisse
beseitigte und auf Maßnahmen und Vorkommnisse achtete, die den
deutschen Interessen zuwiderliefen. Zum gleichen Zwecke befand sich ein
k. u. k. General im deutschen Hauptquartier. In der zunächst
noch neutralen Türkei stellte die schon vor dem Kriege eingerichtete
Deutsche Militärmission in Konstantinopel eine sehr wirksame
militärpolitische Vertretung dar. Bei den sonstigen neutralen Staaten waren
Militärattachés beglaubigt, die zum Generalstabe zählten.
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