Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 9: Die höchsten
Kommando-
und Verwaltungsbehörden
(Forts.)
A. Die obersten Kommandobehörden des
Landheeres. (Forts.)
Von Oberstleutnant Hermann Cron
[428] 3. Die
höheren Kommandobehörden 1914.
Die Übersetzung der Befehle und Anordnungen der Obersten Heeresleitung
in die Tat war die Aufgabe der Armee-Oberkommandos. Bei Zuspitzung
der Entscheidung hatte Feldmarschall v. Moltke noch bei
Königgrätz, Gravelotte und Sedan die Führung auf dem
Schlachtfelde übernehmen können. Das war im Weltkriege
ausgeschlossen; selbst bei der großen Schlacht in Frankreich im
Frühjahr 1918 handelte es sich für die Oberste Heeresleitung nicht
um unmittelbare taktische Schlachtführung. Andererseits stellten aber die
Massenheere ganz andere Anforderungen an die Energie der Obersten
Heeresleitung, um die Einheitlichkeit der ganzen Kampfhandlungen zu sichern;
sie erforderten statt der allgemeinen Direktiven von 1870 in den Zeiten
größter Entscheidungen, wie die ersten Kriegswochen zeigten,
schärfere Befehle und dazu auch eine solche Nähe, daß
Übersicht und Eingreifen stets gewahrt blieben.
Die Einrichtungen in den Stäben der höheren
Kommandobehörden beruhten auf gemeinsamer Grundlage. Die Leitung
der Geschäfte lag beim Generalstabe, der bei Armeen und Armeekorps aus
mehreren Offizieren unter einem besonderen Chef des Generalstabes, bei den
Divisionen aus einem Generalstabsoffizier (zeitweise aus zwei) bestand. Im
allgemeinen bestanden bei sämtlichen höheren
Kommandobehörden im Jahre 1914 folgende Abteilungen:
- Abteilung I zur Bearbeitung aller Angelegenheiten, die sich auf die
Operationen und taktische Maßnahmen bezogen, unter dem Ersten
Generalstabsoffizier (Ia).
- Abteilung II für alle Personalsachen und Mannschaftsersatz unter dem
Ersten Adjutanten (IIa).
- Abteilung III für Gerichtswesen und Rechtsangelegenheiten unter
einem Militärjustizbeamten.
- Abteilung IVa für Intendanturwesen,
Besoldungs-, Rechnungs- und Kassensachen, Verpflegung und Bekleidung unter
einem Intendanten.
- Abteilung IVb für Sanitätswesen unter einem
Militärarzt.
- Abteilung IVc für Veterinärwesen unter einem
Veterinäroffizier.
- Abteilung IVd für Seelsorge unter einem evangelischen oder einem
katholischen Feldgeistlichen; nur die höchsten Behörden hatten
Vertreter beider Bekenntnisse bei sich.
Ordonnanzoffiziere, die gleichzeitig als Dolmetscher dienten, wurden im
Bureaudienst mit verwendet, soweit es ihr Dienst beim Kommandeur
zuließ. Ein Kommandant des Hauptquartiers bzw. Divisionsstabsquartiers
vervollständigte die Reihe der allen höheren
Kommandobehörden gemeinsamen Einrichtungen.
Grundsatz war, daß für alle diese Stellen im Stabe bei wichtigen
Angelegenheiten der Chef des Generalstabes - bei der Division der
Generalstabsoffizier - [429] die
unumgängliche Zwischeninstanz zum Oberbefehlshaber
(Kommandierenden General, Divisionskommandeur) bildete, um so die
Vorbedingung für die notwendige Einheitlichkeit des Zusammenarbeiten zu
sichern. Daher fand Vortrag zunächst beim Generalstabschef und dann in
dessen Beisein beim Führer statt. Im übrigen aber sorgten die
Geschäftsordnungen dafür, daß laufende Sachen und Dinge,
die keiner grundsätzlichen Entscheidung bedurften, im Rahmen der
allgemeinen Weisungen des Chefs von den bearbeitenden Stellen
selbständig erledigt wurden.
Die Stellung der leitenden Generalstabsoffiziere war eine sehr
verantwortungsvolle. Soweit sie nicht aus der eigenen Initiative des Führers
hervorgingen, entsprangen ihrer geistigen Arbeit die Anregungen zu den
Entschließungen, die sie ihrem Kommandeur vorschlugen; sie sorgten
für die Ausführung des Führerentschlusses in allen seinen
Einzelheiten, für das Zusammenwirken aller Teile des Befehlsbereichs und
für Ergänzung und Versorgung ihres Verbandes mit allem zur
Kriegführung Notwendigen. Das erforderte viel Takt, nicht nur
gegenüber dem Kommandeur, hinter den der Generalstabsoffizier
unbedingt zurücktreten mußte, sondern auch gegenüber
denjenigen Mitgliedern des Stabes, die, obwohl vielfach einer höheren
Rangstufe angehörend, dennoch in Rücksicht auf die Einheitlichkeit
der verantwortungsvollen Arbeit dem leitenden Generalstabsoffizier sich bis zu
einem gewissen Grade unterordnen mußten. Daher begann das 1914
geltende Taschenbuch für den Generalstabsoffizier4 mit den Worten: "Viel leisten, wenig
hervortreten, mehr sein als scheinen, das muß sich jeder
Generalstabsoffizier zum Wahlspruch nehmen."
Für den Oberbefehlshaber, den Kommandierenden General und den
Divisionskommandeur bedeutete der Generalstabsoffizier also eine wesentliche
Entlastung von allen führertechnischen Dingen. Die Leitung der
Operationen selbst aber, der endgültige Entschluß, die
Geltendmachung der Autorität gegenüber den untergeordneten
Befehlsstellen, also die ganze ungeheure Schwere der Verantwortung, lagen
durchaus und allein beim Führer. Deshalb trugen auch alle operativen und
taktischen Befehle, sowie alle Anordnungen grundsätzlicher Art stets die
Unterschrift des Kommandeurs. Die oft geradezu entscheidende
persönliche Beeinflussung der Truppe fiel dem Führer allein zu.
Bei der Armee erledigte der Chef des Generalstabes alle sonstigen
Angelegenheiten selbständig unter Zeichnung "Von seiten des
Armee-Oberkommandos". Da das Armeegebiet einschließlich seiner Etappe
einen großen Verwaltungsbezirk darstellte und da die Armee für die
Versorgung ihrer Korps mit Bedürfnissen aller Art verantwortlich war, so
stand dem Generalstabschef - ähnlich wie bei der Obersten
Heeresleitung - ein Oberquartiermeister zur Seite, der diese Aufgaben im
Rahmen der vom Chef gezogenen Richtlinien selbständig erledigte.
Gleichzeitig war der Oberquartiermeister der Vertreter des Chefs.
[430] Die Spezialwaffen
hatten je einen Stabsoffizier von der Fußartillerie vom
Ingenieur- und Pionierkorps und von den Telegraphentruppen als ihre Vertreter im
Armee-Oberkommando. Ihnen lag es ob, den technischen Rücksichten bei
der Verwendung ihrer Waffe Beachtung zu verschaffen. Ein Bahnbeauftragter des
Feldeisenbahnchefs beriet das Oberkommando in Transportangelegenheiten und
führte dessen Anträge dem Chef des Feldeisenbahnwesen zur
Erledigung zu.
Bei sämtlichen Armeen im Oberkommando befand sich ein General der
Pioniere, um größere technische Aufgaben, besonders bei
Belagerungen, zu leiten und durchzuführen. Für die entsprechenden
Zwecke der schweren Artillerie waren bei zwei Armeen Generale der
Fußartillerie, bei den übrigen je ein
Fußartilleriebrigadekommando
oder -regimentsstab attachiert. In Übereinstimmung mit den
planmäßigen Aufgaben der Armeen verfügten diese
Kommandostellen über mehr oder weniger
Pionier- und Fußartilleriebelagerungsformationen. d. h. über
Pionierregimenter und Pionierbelagerungstrains, über schwere
Fußartilleriebataillone und -batterien, Parkkompagnien und
Werkstätten der Belagerungsartillerie.
Armeearzt, Armeeveterinär, Armeeintendant, der Kommandant des
Hauptquartiere und der Kommandeur der Stabswache unterstanden dem
Oberquartiermeister.
Den Generalkommandos fehlte diese letztgenannte Stelle. Daher hingen
sämtliche Abteilungen des Stabes unmittelbar vom Chef des Generalstabes
ab. Seine vier Generalstabsoffiziere bildeten die Abteilungen Ia bis Id, von denen
Ia die Operationen und taktischen Angelegenheiten, Ib die
rückwärtigen Verbindungen und Ic das Nachrichtenwesen
bearbeitete, während Id zur Unterstützung des Ia bestimmt war. Als
pioniertechnischer Berater fungierte der Bataillonskommandeur des
Pionierbataillons, dessen drei Kompagnien auf die beiden Divisionen verteilt
waren. Der Kommandeur der Korpsfernsprechabteilung stellte im Benehmen mit
dem 3. Generalstabsoffizier (Ic) die Drahtverbindung zu den Divisionen
her. Der Kommandant des Feldgendarmerietrupps sorgte in Verbindung mit dem
2. Generalstabsoffizier (Ib) für die Ausübung der
Heerespolizei im Rücken des Korps.5 Bei den
aktiven Generalkommandos befand sich je ein Kommandeur der
Munitionskolonnen und der Trains, bei den Reservekorps dagegen, die in dieser
Beziehung geringer ausgestattet waren, vereinigte ein Kommandeur beide
Stellungen in sich. Der verwaltungstechnischen Trennung nach
Munitionskolonnen und Trains stand die taktische Einteilung in I. und
II. Staffel gegenüber, von denen jede einen [431] Teil der Kolonnen und
Trains enthielt, so daß beispielsweise der Kommandeur der
Munitionskolonnen verwaltungsmäßig Vorgesetzter sämtlicher
Munitionskolonnen und zugleich taktisch Führer der I. Staffel
war.
Der Divisionsstab von 1914 ist durch die allgemeinen Angaben
über die höheren Kommandobehörden genügend
charakterisiert. Besondere Erwähnung verdient jedoch der Umstand,
daß er keinen Veterinär besaß. Da die großen Bagagen
sämtlicher Truppen der Division für Marsch und Gefecht
zusammengezogen wurden, so zählte auch ein Führer der
großen Bagage zum Divisionsstabe; er empfing seine Weisungen vom
Generalstabsoffizier.
Der Kavalleriedivisionsstab zeigt die gleiche Zusammensetzung wie der
Stab einer Infanteriedivision. Da aber die weitaus größere
Selbständigkeit einer Kavalleriedivision auch eine entsprechende taktische
Mehrarbeit bedingte, so war sie mit zwei Generalstabsoffizieren ausgestattet, von
denen der jüngere zur Entlastung des älteren diente und von diesem
seine Aufgaben erhielt.
Um das einheitliche Zusammenwirken von mehreren Kavalleriedivisionen zu
erreichen, waren die Stellen der vier Höheren
Kavalleriekommandeure geschaffen worden. Ihre Stäbe entsprachen
denen eines Generalkommandos, jedoch ohne Feldverwaltungsbehörden,
denn sie bildeten lediglich taktische Zentralstellen für die im übrigen
selbständigen Divisionen.
4. Befehlsverhältnisse 1914.
Die Oberste Heeresleitung hatte die Kriegführung im Osten dem
Oberbefehlshaber der 8. Armee mit weitgehender Selbständigkeit
übertragen. Als dort die Operationen nicht nach ihrem Wunsche verliefen,
griff sie korrigierend durch Befehl ein und veranlaßte durch das
Militärkabinett die Bestimmung eines neuen Oberbefehlshabers und eines
neuen Generalstabschefs. Im Westen wollte die Oberste Heeresleitung den
entscheidenden Schlag führen und die dazu planmäßig
eingesetzten sieben Armeen selbst lenken. Sie tat es mittels allgemeiner
Weisungen - Direktiven - nach dem Vorbilde des Feldmarschalls
Moltke aus den Jahren 1866 und 1870. Dazu hielt sie sich, darin von dem
Vorbilde des großen Meisters abweichend, wohl im Hinblick auf die
Frontbreite des Aufmarsches, an einem weit hinter der Front gelegenen
Zentralpunkte auf und versah je nach der Lage die sieben Oberkommandos durch
Funkspruch oder Kraftwagenüberbringer mit Befehlen. Die Entscheidung
suchte sie sowohl durch das einheitliche Zusammenwirken der Armeen auf der
ganzen Front als ganz besonders durch das Schwergewicht des rechten
Flügels zu erreichen; über Reserven hinter diesem Flügel
verfügte sie aber, entgegen dem ursprünglichen Schlieffenschen
Plan, nicht. Die in der Heimat zurückgehaltene Nordarmee, das
verstärkte IX. Reservekorps, wurde, sobald sich die Haltung
Dänemarks entschieden hatte, nach Belgien nachgeführt und der
rechten Flügelarmee unter- [432]
stellt - zu spät, um in der Marneschlacht mitkämpfen zu
können. Zur Zeit der Krisis an der Marne entsandte der Chef des
Generalstabes des Feldheeres einen mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten
Generalstabsoffizier zu den Oberkommandos, begab sich also praktisch im
entscheidenden Augenblicke der unmittelbaren, persönlichen Leitung. Das
Verhängnisvolle dieser Maßnahme ist bekannt.
Die Armeen waren je nach der ihnen zugedachten Rolle in der
Gesamthandlung mit einer verschiedenen Zahl von Korps ausgestattet. Die
stärkste, die 2. Armee, zählte 7 Korps, die schwächste, die 7.
Armee, deren 3. Die Oberkommandos befahlen an die Generalkommandos und an
ihre Etappeninspektion. Den Einfluß auf die Schlacht sicherten sie sich
durch entsprechendes Ansetzen der Korps und durch Ausscheiden geschlossener
Einheiten als Reserven. Auch die sogenannten Armeetruppen erhielten ihre
Weisungen vom Oberkommando unmittelbar; zu ihnen zählten die
Belagerungsformationen, die Armeetelegraphenabteilung, das Funkerkommando
mit seinen beiden Funkenstationen, die
Feldluftschiffer- und die Fliegerabteilung.
Der Kommandierende General, bei aktiven Korps die verantwortliche
Stelle für die Ausbildung im Frieden, stellte den Hauptträger in der
Leitung des Kampfes dar. Er verfügte über 2 Infanteriedivisionen
und - bei aktiven Korps - über 1 Bataillon schwerer
Feldhaubitzen. Diese schwere Artillerie gab ihm Gelegenheit, durch Zuteilung an
eine der beiden Divisionen den Schwerpunkt des Kampfes auf die ihm geeignet
erscheinende Stelle zu legen. Außer den Divisionen und der schweren
Artillerie empfingen unmittelbaren Befehl vom Generalkommando der
Korpsbrückentrain, der zuweilen auch einer Division untergeordnet wurde,
die Fernsprechabteilung, der Scheinwerferzug, die Fliegerabteilung und die
Kommandeure der Munitionskolonnen und der Trains. Diese Formationen pflegte
man als Korpstruppen zu bezeichnen. Den Reservekorps fehlten das
Fußartilleriebataillon, der Korpsbrückentrain, der Scheinwerferzug
und die Fliegerabteilung.
Die Schlachteinheit bildete die Infanterie- oder die
Reservedivision. Unmittelbar befahl der Divisionskommandeur an seine
beiden Infanteriebrigadekommandeure, an das Kavallerieregiment, an die
Feldartilleriebrigade - bei Reservedivisionen an das
Feldartillerieregiment - an die Pionierkompagnie nebst Brückentrain
und an die Sanitätskompagnie. Auch der Führer der aus einem Teil
der Munitionskolonnen und Trains des Korps bestehenden Gefechtsstaffel war an
die Weisungen der Division gebunden.
Bei sämtlichen Befehlen bildete die taktische Unterstellung das
maßgebende Verhältnis. Das blieb auch während des ganzen
Krieges unverändert. Neben diesen Unterordnungsbeziehungen aber
bestand für die technischen Waffen, das Sanitätswesen und das
Gebiet der Heeresversorgung noch ein zweiter, ein waffendienstlicher bzw.
verwaltungsmäßiger Weg, auf dem die den Behörden
bei- [433] geordneten
Waffenvorgesetzten ihren besonderen technischen Einfluß geltend machen
und auf dem umgekehrt die technischen Bedürfnisse der Truppe an die
Spezialvorgesetzten gelangen konnten. Schematisch ergibt sich dabei etwa
folgendes Bild:
[433]
Befehlsverhältnisse des
Armee-Oberkommandos.
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