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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 4: Die Seelsorge im Felde   (Forts.)

A. Die katholische Seelsorge.   (Forts.)
Von Wehrkreispfarrer Franz Albert

3. Die katholische Seelsorge bei den Truppen in Standquartieren.

Im allgemeinen

Während für die seelsorgliche Tätigkeit bei den Truppen im Gefecht in den meisten Fällen die Unregelmäßigkeit die Regel wurde, vieles von der günstigen Ausnutzung eines einzigen Augenblicks, alles von den durch die Kriegslage gebotenen "militärischen Notwendigkeiten" abhängig blieb, gestattete die Ausübung der Seelsorge bei den Truppen in Standquartieren ein planmäßigeres Vorgehen, meist sogar in Anlehnung an eine bis ins einzelne geregelte Gottesdienstordnung, fast allenthalben aber die zielbewußte Anwendung der aus den geregelten Verhältnissen der Friedenszeit bekannten Seelsorgsmittel. Freilich blieben auch hier mit den allgemeinen Schwierigkeiten auch die besonderen der einzelnen Kriegsschauplätze noch groß und störend genug; aber mit dem allmählichen Ausbau der Organisation wurde schließlich auch im Operationsgebiet die Einteilung in Seelsorgsbezirke - hier meist nach Truppenteilen und Ortsunterkünften: vordere und rückwärtige Bezirke (Querschnitt), Nord- und Südbezirke (Längsschnitt) - möglich, wie sie in der Etappe und im besetzten Gebiet (im Westen bedeutend kleiner als im weitläufigen Osten) schon vorher sich als nötig erwiesen hatte. Im Operationsgebiet der Westfront hat sich in dieser Beziehung die Berufung von bodenständigen Gruppengeistlichen von dem Augenblicke an als notwendig und segensreich erwiesen, als die Divisionen selbständiger geworden, in kürzester Frist einander ablösen mußten, und nur die Generalkommandos als Gruppenkommandos mit den ihnen unterstellten Spezialtruppen als einzige bodenständige Formation dauernd auf dem gleichen Kampffeld blieben.

Innerhalb dieser Seelsorgsbezirke hatten nun die katholischen Feldgeistlichen, jeder an seiner Stelle und jeder nach dem ihm eigenen Temperament, den Truppen ihrer Feldgemeinde die Gnadenschätze zu vermitteln, wie sie die katholische Kirche in ihrem Hirtenamt, Lehramt und Priesteramt ihren Gläubigen in so reicher Fülle bietet. Zwar waren Wesenheit und Inhalt der kirchlichen Heilsverkündigung durch den Gottesdienst, die Predigt und das Sakrament unantastbar festgelegt, aber die eigenartigen Verhältnisse, Schwierigkeiten und Aufgaben, denen sich auch die katholische Feldseelsorge in diesem Kriege mit einem Male so unvermittelt gegenüber sah, haben es doch in tausend Fällen immer wieder bedauerlich erscheinen lassen, daß es sowohl von militärischer wie kirchlicher Seite an einer einheitlichen Dienstinstruktion fehlte, die sich der einzelne Feldseelsorger bei seinem Wirken zur sicheren Richtschnur hätte nehmen können. Nichts kennzeichnet die Lage besser als die bewegliche Klage des Jesuitenpaters L. Esch, des späteren Oberpfarrers der 11. Armee, die sich noch im Jahre 1917 an die Öffentlichkeit drängte:

      "Alle Mitglieder des Divisionsstabes, jeder Chefarzt eines Lazarettes, jeder Führer einer Sanitätskompagnie, [234] jeder Kolonnenkommandeur hat seine Instruktion, was er im Felde zu tun hat; für den Feldgeistlichen besteht keine Felddienstordnung. Es liegen nur Bestimmungen vor über seine Ausrüstung mit Pferden, Wagen und über seine Uniform. So gut die Militärseelsorge für den Frieden organisiert war, für den Krieg konnte so gut wie keine Vorkehrung getroffen werden. Man soll sich halten an die Militärkirchendienstordnung des Friedens und sie anpassen an die wesentlich anders gearteten Verhältnisse des Krieges. Vorbilder, nach denen man sich bilden konnte, gab es nicht. Wohl haben auch frühere Kriege ihre Feldpastoration gehabt, aber wie die Kampfmethoden andere geworden sind als 1870/71, so kann man auch nicht mehr pastorieren wie 1870/71... Auch kirchlicherseits fehlen fast alle besonderen Instruktionen für den Kriegsfall. Es ist nicht abzustreiten, daß die Kirche fast bei ihrer gesamten Gesetzgebung im disziplinaren und liturgischen Gebiete nur die Friedensverhältnisse berücksichtigt. Wie weit darf man davon sich entbunden erachten? Anfragen zu richten an die zuständige Stelle war lange nicht möglich: Zusendungen und Entscheidungen usw. des Feldpropstes erreichten uns zu Beginn des Krieges bisweilen mit einem halben Jahr Verzögerung. Die Frage über Erlaubtheit der Generalabsolution, Erlaubtheit der heiligen Kommunion, ohne nüchtern zu sein, Zahl und Zeit der im Notfall erlaubten Messen, Aufbewahrung und Behandlung des Allerheiligsten haben manchem schwere Gewissenskonflikte bereitet, zumal bedeutende Moralisten sich widersprachen. Und je nach den Verhältnissen hatte man oft wochenlang keinen Priester in der Nähe, mit dem man sich besprechen konnte."

Eine solche offizielle und allgemeinverbindliche Dienstinstruktion ist freilich, wie seit den Tagen der Befreiungskriege schon, auch in dem letzten langen Völkerkampf bis zuletzt ein frommer Wunsch der katholischen Feldgeistlichkeit geblieben. Ein teilweiser Ersatz aber wurde dennoch geschaffen, und der Verfasser glaubt nicht unbescheiden zu sein, wenn er hier daran erinnert. Zwar nur für einen einzigen, wenn auch umfangreichen Teil des östlichen Kriegsgebiets durfte er im Juli 1917 eine gedruckte "Dienstanweisung für die katholischen Etappengeistlichen der 10. Armee" und im November gleichen Jahres eine "Dienstanweisung für die katholischen Feldgeistlichen der 10. Armee" veröffentlichen, aber beide Anweisungen haben nicht nur den Weg auch zu anderen Heeresteilen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen gefunden, sie sind auch die Vorläufer eines eigenen Handbuchs für die katholischen Feldgeistlichen des preußischen Heeres geworden, das ich im Sommer 1918 "mit Genehmigung und Empfehlung der katholischen Feldpropstei" der Öffentlichkeit übergeben konnte. Und weil diese drei Veröffentlichungen so gut wie ausschließlich durch das tiefgehende Interesse und die tatkräftige Förderung des militärischen Befehlsbereichs (Generalleutnant v. Trotta gen. v. Treyden, Generalfeldmarschall v. Eichhorn, General der Infanterie v. Falkenhayn und Justizabteilung des preußischen Kriegs- [235] ministeriums) aus der Kriegstaufe gehoben worden sind, sei auf das dankbarste anerkannt, daß von seltenen Ausnahmefällen vielleicht abgesehen, die katholische Feldseelsorge im Rahmen der Kriegsmöglichkeiten von seiten der militärischen Kommando- und Verwaltungsstellen jederzeit wohlwollender Würdigung und, wo ihre Träger auf der Höhe ihrer Aufgabe standen, auch warmherziger Unterstützung sicher war, so daß auf diese Weise doch auch wieder manches von dem ausgeglichen wurde, was das Fehlen einer einheitlichen Dienstinstruktion solange zu wünschen übriggelassen hat.


Gottesdienst

Feldgottesdienst im Argonner Wald 1915.
Feldgottesdienst im Argonner Wald 1915.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 269.
Von einem bayrischen Offizier berichtet Kardinal v. Faulhaber das Wort: "Wir hatten es nicht leicht, aber wir hatten doch zwei große Freuden, die Heimatpost und unseren Feldgottesdienst." Durch die Feldpost, die die Briefe und die Gaben der fernen Lieben brachte, wurde für die Armee im Felde die Verbindung mit den Kraftquellen lebendig erhalten, die aus dem Born der Heimatliebe sprudelten; beim Feldgottesdienst wurden stets von neuem die heiligen Fäden gesponnen, die das Denken und Fühlen, das Leben und Sterben des christlichen Soldaten an seine himmlische Heimat knüpften.

Das Bild, das der katholische Feldgottesdienst auf den einzelnen Kriegsschauplätzen darbot, war ein erhebendes und mannigfaltiges, bald getragen von majestätischer Feierlichkeit, bald umhüllt von dem kriegerischen Mantel schlichtester Einfachheit. In St. Gudula in Brüssel, in der Heinrichskirche in Warschau und in der Romanowkirche in Wilna bildete die Pracht einer berühmten Kathedrale oder einer stolzen Kaiserkirche für dieses Bild einen schönen Rahmen; aber oft nicht weniger ergreifend wirkte es in den zerschossenen Dorfkirchen, in dürftigen Scheunen, armseligen Unterständen oder mitten im freien Felde. Die Kapellenautos, die aus freiwilligen Liebesgaben des katholischen Deutschlands schon im Anfang des zweiten Kriegsjahrs an die Front beordert wurden, haben sich scheinbar nur im Westen und auch da nur als Verkehrsmittel, nicht als "Kapelle" bewährt; dafür aber haben sich die katholischen Soldaten unter Führung ihrer Geistlichen oft genug selber in der Kunst versucht, in ihrer Mitte dem Dienste des Höchsten ein frommes Haus zu bauen, und zahlreiche katholische Feldkapellen, meist dicht hinter der Schützenlinie, legten beredtes Zeugnis dafür ab, daß der deutsche Soldat auch 1914 - 1918 noch nicht über das Lob hinausgewachsen war, das der Jesuitenpater Matthias Heimbach schon im Jahre 1715 als Feldgeistlicher im Lager vor Stralsund seiner braven Feldgemeinde gespendet hatte, wenn er also schrieb: "Das Lager vor Stralsund erlebt etwas, was mehr als hundert Jahre nicht mehr schauten, nämlich eine katholische Feldkapelle, die die Kunstfertigkeit der Soldaten in anerkennenswerter Weise zu erbauen verstand." Wo die heilige Handlung, durchweg bestehend aus dem heiligen Opfer, Gebet und Predigt, aber auch stattfand, bald [236] getragen von den Klängen eines Trompeter- und den Weisen eines mehrstimmigen Kirchenchors oder auch nur begleitet vom Donner der Geschütze, fast immer war sie gehoben von der ergreifenden Macht des gemeinsamen Männergesangs, dem hier bald Tausende von bärtigen Kriegern ihre Stimmen liehen, während an anderer Stelle nur eine kleine Feldfamilie von den Fesseln der Kriegsnotwendigkeiten sich frei zu machen vermochte und nun mit gedämpften Liedern den Gang der heiligen Geheimnisse umkleidete. Daß der Gottesdienst wohl durchgängig durch Parole "befohlen" wurde, lag in den Verhältnissen begründet, weil das vielfach die einzige Möglichkeit war, Ort und Zeit seiner Abhaltung den zerstreuten Truppenteilen bekanntzumachen. Verständige Feldgeistliche haben aber dabei mit Recht von vornherein auf jede "Kommandierung" von Offizieren und Mannschaften Verzicht geleistet und sich, wenigstens an der Front, im großen und ganzen kaum darüber zu beklagen gehabt, daß unter dem "freiwilligen" Gottesdienstbesuch der Zweck der heiligen Handlung allzusehr gelitten habe.

Daß die Feldverhältnisse mitunter den Wunsch und das Bedürfnis nach gemeinsamen Gottesdiensten beider Konfessionen aufkommen ließen, war vor allem beim Vormarsch vor dem Zusammenstoß mit dem Feinde oder nach einem Gefecht leicht zu verstehen. Die Form, in die sie gekleidet wurden, unterlag dann der Vereinbarung zwischen den beiden Geistlichen und der beiderseits geübte konfessionelle Takt ließ wohl leicht die richtige Mitte finden. Im übrigen war der Gottesdienst sowohl im Operations-, wie im Etappen- und besetzten Gebiete ein konfessioneller, und da nach katholischer Auffassung das heilige Meßopfer seinen Hauptinhalt und seinen Mittelpunkt bildete, fand er vorschriftsgemäß durchweg in den Morgenstunden statt, wobei allerdings die anstrengende Abhaltung zweier Gottesdienste an zwei verschiedenen Orten (Bination) für den katholischen Feldgeistlichen die Regel bilden mußte, wollte er mit einiger Regelmäßigkeit dem religiösen Bedürfnis seiner ausgedehnten Feldgemeinde Genüge leisten. Die Andachten am Nachmittag oder Abend waren nur eine Art Ergänzung des Morgengottesdienstes und auch diese fanden, den einzelnen Zeiten des Kirchenjahres (Advents-, Krippen-, Fasten-, Mai-, Herz Jesu-, Rosenkranz-, Allerseelenandachten) entsprechend, eine liebe Pflege und waren mit ihrem unerschöpflichen Reichtum an Glaubens- und Gebetsmotiven ein Jungborn, an dem der katholische Soldat vor allem sein tiefes Gemütsleben mit besonderer Vorliebe zu erwärmen und zu erneuern verstand. Die ätzende Kritik der Nachkriegszeit hat sich freilich daran gewöhnt, über manche Unzulänglichkeiten auch des katholischen Feldgottesdienstes brüsk den Stab zu brechen; fast alle diese Kritiker haben sich dabei an Äußerlichkeiten geklammert, ohne bis zu der verborgenen Quelle vorzudringen, die gerade im katholischen Feldgottesdienst ungesehen und ununterbrochen den Mut der Entsagung, der Pflichterfüllung und des Opfers in das graue Einerlei des soldatischen Kriegserlebens strömen ließ.


[237] Sakramentenspendung

Das Gold des religiösen Glaubenslebens, das der Feldgottesdienst zutage förderte, das schürfte der katholische Feldgeistliche bei der Sakramentenspendung noch sicherer und nachhaltiger aus den Tiefen der einzelnen Seele. Wer auch nur einigermaßen mit dem Wesen und der Art der Spendung des Sakraments der Buße vertraut ist, der vermag die körperlichen und geistigen Anstrengungen zu würdigen, die für den katholischen Priester im Felde mit dem Beichthören verbunden war; aber nur wenige vermögen zu ermessen, was für eine heilende und sittigende Macht von diesem Wirken im Beichtstuhl auf die katholischen Soldaten des Feldheeres ausgegangen ist, was für ein vollgerütteltes Maß von Frieden und Glück in den niedergebeugten Herzen durch das Wort lebendig wurde: "Gehe hin in Frieden, deine Sünden sind dir vergeben!" In diesem Sinne schrieb ja auch der evangelische Divisionspfarrer Rathke: "Mit stillem Neid beobachte ich im Felde, wie katholische Soldaten ihre Pfarrer manchmal förmlich überlaufen, um zu beichten, zu mir sich aber nur sehr selten einer mit wirklich innerlichen Anliegen verirrt... Wieviel Segen kann doch ein katholischer Pfarrer... stiften, wenn er ein wirklicher Seelsorger ist! Welche Einblicke in die Tiefen eines Menschenherzens kann er tun, wieviel wertvolle Anweisungen zur christlichen Lebensführung kann er geben, die in einer für die Allgemeinheit bestimmten Predigt den einzelnen mit seinen besonderen Nöten und Sünden gar nicht in so wirksamer Weise erreichen können!" - Naturgemäß war fast immer mit der Beichte der Empfang der heiligen Kommunion verbunden. Truppenkommunionen gehörten zu den weihevollsten Handlungen im Felde und wurden darum mit aller Feierlichkeit umgeben, die nach den Verhältnissen zu entfalten möglich war, und vor so manchem schweren Waffengang ist für die kämpfende Truppe die heilige Kommunion das Brot der Starken geworden, das den Braven Heldengeist vermittelte, für viele Tausende freilich auch die letzte Wegzehrung für den langen, weiten Weg in die Ewigkeit, als auf dem blutigen Schlachtfeld sich ihr irdisches Schicksal erfüllte.


Beerdigungen

Die reiche Ernte, die der Tod unausgesetzt auf den Schlachtfeldern, in den Schützengräben und den Lazaretten hielt, eröffnete dem katholischen Feldgeistlichen ein weiteres ausgedehntes Arbeitsfeld. Die für ihr Vaterland gebliebenen Helden hatten es wohl verdient, nicht nur mit militärischen, sondern auch mit allen kirchlichen Ehren bestattet zu werden. Ob es sich dabei um eine Einzelbeerdigung oder, wie nach größeren Waffengängen, um Massenbegräbnisse handelte, wo immer es anging, wurde die Einsegnung der Toten zu einer Trauerfeier ausgestaltet, bei der der Ernst des Kriegserlebens mitunter in erschütternder Weise zum Ausdruck kam. Wohl immer wurde dabei auch eine [238] Grabrede gehalten, so daß sich immer erneut Gelegenheit bot, auf das nachahmenswerte Vorbild christlicher Vaterlandstreue hinzuweisen und in den Überlebenden den Feuereifer der Pflicht immer wieder aufs neue zu entfachen.

Ein nicht immer leichtes Werk der Barmherzigkeit war auch die Benachrichtigung der Hinterbliebenen. Manch deutsches Haus bewahrt noch heute so manchen Brief, der aus der Feder eines unbekannten Feldgeistlichen floß und doch so lieb ist wie "Lebensblumen des letzten Lebenstages, die für die zeitliche und ewige Heimat blühten". Wie von selber schloß sich an solches Liebeswerk die rege Mitarbeit in der Gräberfürsorge (vor allem ihrer Feststellung und ihrem Schmuck). Bei diesem Mühen kam dem Geistlichen das pietätvolle Empfinden des deutschen Soldaten fördernd zu Hilfe, der auf allen Kriegsschauplätzen und selbst unter den schaurigsten Verhältnissen das Andenken und die Ruhestätten seiner für das gemeinsame Vaterland gefallenen Kameraden in einer Weise zu ehren verstand, die für alle Zeiten vorbildlich bleiben muß.


Sonntags-Gottesdienst in einer französischen Kirche,  die zu einem Lazarett umgewandelt wurde.
Sonntags-Gottesdienst in einer französischen Kirche, die zu einem Lazarett umgewandelt wurde.   [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 250.
Lazarettseelsorge

Wohl die beste und fruchtbarste Möglichkeit für die religiöse Beeinflussung und die individuelle Seelenführung des einzelnen bot sich dem katholischen Priester in der Seelsorge an den Verwundeten und Kranken, die in den Lazaretten des Operations- und Etappengebietes (Feld-, Kriegs- und Etappenlazaretten, Leichtkrankenabteilungen, Seuchen- und Kriegsgefangenenlazaretten, Lazarett- und Hilfslazarettzügen) mit der gleichen Hingabe geübt wurde, wie in den Lazaretten des Heimatgebiets (Festungs-, Reserve- und Vereinslazaretten). "Da öffnete sich die bangende Seele jedem freundlichen Worte, da dürstete sie nach dem Troste, den der Geistliche ihr aus dem Vorbild des leidenden Weltheilandes in seinem Opfertod voll Liebe bieten konnte, wenn der Verwundete oder Kranke zu ohnmächtig war, um selbst denken oder lesen zu können... Da suchten aber auch in Dankbarkeit die Lippen des Kranken noch zu lispeln, wenn ihm der Geistliche im harten Todeskampfe, im schweren Scheiden aus der Welt, fern von seinen Lieben voll Mitgefühl und Herzensgute ein kurzes Gebet sprach und ihm die Segnungen und Gnadenmittel seiner Kirche spendete, bevor sein Auge brach" (Aufhauser).

Dieser Zweig der katholischen Kriegsseelsorge mit seinen weihevollen Lazarettandachten und trostreichen Lazarettbesuchen würde für sich allein eine ausführliche Würdigung verdienen. Denn hier gingen innere und äußere Hilfe, geistliche und leibliche Liebesdienste Hand in Hand. Und wie verschieden auch im einzelnen die Anlagen und die Betätigungsmöglichkeiten gewesen sein mögen, zu allen Zeiten des langen Krieges hat die katholische Feldseelsorge gerade darin ihre besondere Ehre gesucht, an den Verwundeten, Kranken und Sterbenden in den zahllosen Lazaretten nichts zu versäumen, was ihrem Leibe und ihrer [239] Seele wohltun, ihre Schmerzen lindern, ihre Genesung fördern, ihre Krankheit in Segen verwandeln und den Sterbenden zur ewigen Seligkeit verhelfen konnte.


Soldatenheime

Noch heute sehe ich im Geiste die strahlenden Gesichter in meiner ersten unvergeßlichen Feldgemeinde, als es mir im Februar 1915 gelungen war, in Dannevoux ein Soldatenheim, wohl eines der ersten an der Front, zu errichten. An 10 000 Mark hatte ich zu diesem Zwecke sammeln können, an 60 Zeitungen kamen Tag um Tag fürs Heim zu mir ins Feld. Später nahm sich das Generalsekretariat der katholischen Jünglingsvereinigungen dieser schönen Aufgabe an, und bis zum 1. Januar 1918 hatte es nicht weniger als 637 Soldatenheime, 107 Kinos und Lichtbildereien, 1036 Lese- und Schreibstuben eingerichtet oder bedeutend unterstützt. Zahlreiche katholische Feldgeistliche haben der Arbeit in den Soldatenheimen einen Teil ihrer Kraft geweiht und durch Halten von Vorträgen usw. dem Feldsoldaten jene ehrbare Erholung und geistige Ablenkung zu vermitteln gesucht, die ihm noch am ehesten half, die lähmende Verdrossenheit zu bannen, die drückenden Sorgen zu tragen und den Versuchungen der Fremde leichter aus dem Wege zu gehen.


Schriftenverbreitung

Mit besonderem Eifer haben sich die katholischen Feldseelsorger neben der geistlichen auch die geistige Fürsorge der ihnen anvertrauten Truppen angelegen sein lassen und neben dem gesprochenen auch das gedruckte Wort ihren vielgestaltigen Aufgaben dienstbar gemacht. Vielfach unter persönlichen Opfern, zumeist aber unterstützt durch die karitativen Heimatorganisationen (Volksverein, Sekretariat sozialer Studentenarbeit, Verein des hl. Karl Borromäus, Arbeitsausschuß zur Verteilung von Lesestoff, Caritasverband und Kirchliche Kriegshilfe) haben sie gute Zeitschriften und Bücher mobil gemacht und ihren Gemeinden zugeleitet und dadurch bis zu einem gewissen Grade doch der oft mehr als minderwertigen Literatur entgegenarbeiten können, wie sie durch Feldbuchhandlungen usw. leider nur zu zahlreich den Weg in die Quartiere und Unterstände fand.


Kriegsgefangenenseelsorge

Auch die geistige Fürsorge für die Kriegsgefangenen, die in den zahlreichen Lagern in der Heimat und im besetzten Gebiet das schwere Los der Vereinsamung trugen, war den katholischen Militärgeistlichen eine gern geübte Pflicht. Neben Gottesdienst und Sakramentenspendung wurde vor allem auf dem Gebiet der Schriftenverbreitung an den Gefangenen ein großartiges Werk der Barmherzigkeit getan. Hier allerdings dank der großzügigen Organisation, die vor [240] allem der Volksverein für das katholische Deutschland (Literatur für Franzosen, Belgier und Engländer), der Berliner Hilfsausschuß für Gefangenenseelsorge (Literatur für Polen, Russen, Litauer, Letten und Esten) und die Kirchliche Kriegshilfe der deutschen Bischöfe in Paderborn (vornehmlich religiöse Literatur) entfaltet haben.


Zivilseelsorge

Daß sich die katholischen Feldgeistlichen jederzeit auch der nicht zum Heer gehörigen deutschen Eisenbahner, Zivilarbeiter und Hilfsdienstpflichtigen fürsorglich angenommen haben, versteht sich von selbst. Weit mehr aber verdient hervorgehoben zu werden die seelsorgliche Betreuung der Bewohner der besetzten Gebiete. Sowohl im Osten wie im Westen waren in weiten Gebieten die katholischen Pfarreien ohne Geistliche, die Herden ohne Hirten. Selbstlos und im vollen Einverständnis mit den zuständigen Militärbehörden haben sich da die katholischen Feldgeistlichen in die Bresche gestellt und sich in warmer Samariterliebe der verlassenen Bevölkerung angenommen. Freilich gehörte dazu bei der tiefgehenden Verbitterung, besonders auf dem westlichen Kriegsschauplatz, ein gesteigertes politisches Taktgefühl, aber die deutschen Feldgeistlichen haben es aufgebracht und so in Kirche und Schule mancherorts eine Wirksamkeit entfaltet, die vom Geiste der christlichen Versöhnung getragen, auch versöhnend wirkte. Das verlohnt sich besonders hervorzuheben im Hinblick auf die verhetzende Propaganda, die während des ganzen Krieges der bekannte "Katholische Ausschuß für französische Propaganda im Ausland" (Comité catholique de Propagande Française à l'Etranger) unter dem Ehrenvorsitze mehrerer französischer Kirchenfürsten vom Anfang bis zum Ende des Krieges entfaltet hat. Mit einer Hartnäckigkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, hat er neben dem Kampf mit den Waffen einen Feldzug der Lüge in Szene gesetzt, der ganz ohne allen Zweifel zu den bedauerlichsten Erscheinungen gehört, die der abgelaufene Krieg gezeitigt hat. Jedenfalls hat der genannte Ausschuß dadurch, daß er mit der deutschen Armee auch die ganze deutsche Nation als die geschworene Feindin aller Religion und Sittlichkeit vor aller Welt gebrandmarkt hat, dem deutschen Namen einen Makel angehängt, der für die Beurteilung des deutschen Volkes im ganzen Auslande bis auf den heutigen Tag von den nachteiligsten Folgen geblieben ist.


4. Schlußwort.

Diese Skizze könnte vielfach unvollständig erscheinen, würde sie nicht auch noch in Kürze zu der Frage Stellung nehmen, ob die katholische Feldseelsorge, vor allem bei der Armee im Felde, auch die segensreichen Folgen gezeitigt hat, die man von Anfang an von ihr erwartete. Dieser Frage aus dem Wege gehen, [241] hieße, sich vor ihr fürchten und das um so mehr, als auch die katholische Feldseelsorge sich leider daran hat gewöhnen müssen, aus geistlichen und weltlichen Kreisen, aus gesprochenem und geschriebenem Wort, aus Volks- und Parlamentsversammlungen Urteile und Anklagen über sich ergehen zu lassen, die zumeist ebensowenig vom Geiste liebevollen Verständnisses getragen waren, als sie einer wirklich erschöpfenden Kenntnis und einer wahrhaft objektiven Würdigung der einschlägigen Verhältnisse und der in Betracht kommenden Faktoren entsprachen.

Daß bei der Mobilmachung der katholischen Feldseelsorge manches zu wünschen übrigblieb, ist richtig, ebenso daß es in den ersten Kriegsjahren an einer straffen Organisation und bis zum Kriegsende an einer einheitlichen Instruktion gebrach. Die einzige Verhaltungsmaßregel, die die meisten Divisionen ihren Geistlichen beim Ausmarsch ins Feld zu überantworten wußten, war dem bekannten "roten Esel" entnommen und lautete: "Der Aufenthalt der Geistlichen ist in der Regel bei der großen Bagage." Was war da anderes möglich, als daß der katholische Feldgeistliche auf seine eigene Entschlußfähigkeit und Geistesgegenwart angewiesen, sich an dem zarten Faden der pastoralen Klugheit und des militärischen Takts in allen möglichen schwierigen Lagen mühsam zurechtsuchen mußte, um so den Weg zu finden, den ihn oft nichts anderes als sein Gewissen und seine Verantwortungsfreudigkeit gehen hieß? Daß es bei einer solchen Lage der Dinge manchmal auch an versäumten Entschlüssen, unrichtigen Maßnahmen oder gar bedauerlichen Entgleisungen nicht gefehlt haben mag, ist um so verständlicher, als die Mehrzahl der katholischen Feldgeistlichen aus dem geruhsamen Wirken ihrer ersten Priesterjahre plötzlich und unvermittelt sich vor einer Aufgabe sahen, zu der wahrhaftig mehr gehört als nur guter Wille und ein begeistertes Herz. Dennoch bleibt es wahr, daß die katholischen Feldgeistlichen in weit überwiegender Mehrzahl, und hier vor allem die des Friedensstandes, sich rasch und sicher in ihr schweres Amt hineingelebt und im Rahmen der durch die jeweilige Operationslage dargebotenen Möglichkeiten, allen Hemmnissen zum Trotz, dennoch ihrem Berufe gerecht geworden sind. Vom grünen Tisch und aus dem gefahrlosen Stilleben der Heimat heraus ist das Kritisieren freilich leicht; nur der aber, der die ungeahnten Schwierigkeiten des Feldzugslebens aus eigener Anschauung kennenzulernen Gelegenheit hatte, kann für das, was die katholische Feldgeistlichkeit da draußen geleistet hat und was sie erreichte, das richtige Augenmaß haben, wenn auch keine Statistik die Opfer vermeldet, die dabei gebracht werden mußten, und den stillen Segen, den sie ausgelöst. Mit Recht hebt darum P. Dreiling O. F. M. hervor: "Gegenüber den einseitigen und übertriebenen Behauptungen von dem Versagen der Religion und Moral im Weltkriege ist es notwendig, zu betonen, daß eine bedeutende Minderheit bis zum Kriegsschluß einen wahren Heroismus im religiösen und sittlichen Leben bekundete." Von den anderen aber, bei denen zuletzt doch [242] aller seelsorgerlichen Liebesmühe der Erfolg versagt geblieben, läßt sich nur mit Kardinal v. Faulhaber sagen: "Eisenpillen bringen Bluterneuerung, aber nur, wenn die Blutarmut oder Blutvergiftung nicht zu weit vorgeschritten ist."

Von Opfern wurde hier gesprochen. Das führt ganz von selbst zu den Gräbern, die auch die katholische Feldgeistlichkeit da draußen in Feindesland zurückgelassen hat, als ein überhasteter Rückzug - Gott weiß, unter welchen Verhältnissen und mit welchem Empfinden! - auch sie nach vier schweren Jahren zur Rückkehr in die Heimat zwang. Von den katholischen Feldgeistlichen des preußischen Heeres sind allein 8 vor dem Feinde auf dem Felde der Ehre gefallen: Divisionspfarrer Tiffe (31. Infanteriedivision), gefallen am 2. März 1915 im Osten; Divisionspfarrer Dr. v. Blacha (43. Reservedivision), am 18. November 1914 schwer verwundet und am 12. Mai 1915 seinen Wunden erlegen; Divisionspfarrer Dr. Schwane (22. Infanteriedivision), gefallen am 19. November 1914 bei Lodz; Divisionspfarrer Temborius (233. Infanteriedivision), gefallen am 1. Mai 1918 im Westen; Divisionspfarrer Faber (10. Infanteriedivision), gefallen am 31. Mai 1918 im Westen; Feldgeistlicher Fridolin Eisele (52. Infanteriedivision), gefallen am 5. Juni 1918 im Westen; Feldgeistlicher Kalinowski (46. Reservedivision), gefallen am 12. Juni 1918 im Westen; Divisionspfarrer Konermann (205. Infanteriedivision), am 31. Januar 1919 von den Bolschewisten in Riga erschlagen. - An Krankheit oder Erschöpfung sind weiterhin 8 katholische Geistliche gestorben: Divisionspfarrer Kaschny (12. Infanteriedivision) am 16. September 1914 im Westen; Divisionspfarrer Dr. Paulus (Generalgouvernement Brüssel) am 9. August 1916 in Brüssel; Divisionspfarrer Loselein (45. Reservedivision) am 9. September 1917; Divisionspfarrer Schäfer (Gouvernement Antwerpen) am 21. Mai 1918; Feldgeistlicher Kowalski (35. Reservedivision) am 26. Mai 1918 im Westen; Lazarettpfarrer Gottfried Eisele (Ortskommandantur 225) am 22. Juni 1918 im Westen; Lazarettpfarrer v. Kurzetkowski (Militärgouvernement Wilna) am 10. August 1918 in Wilna; Feldgeistlicher Schwarz, gestorben 11. Oktober 1918 im Kriegslazarett 266. Außerdem gefallen von bayrischen Feldgeistlichen Frick und Raith, gestorben Rackl. Ihr Andenken soll in Deutschland unvergessen sein!

Im übrigen gehört, wie so vieles andere, auch das Wirken der katholischen Feldseelsorge in den Jahren 1914 - 1918 der Geschichte an. Eine spätere Zeit wird ein reiferes und ruhigeres Urteil über sie fällen, als es die erste Zeit nach dem Kriege fertigbrachte, die heute nur zu viel von dem verbrannte, was ihr gestern noch heilig war. Jedenfalls habe ich die Überzeugung, daß, wenn auch von den Männern, die einst vor den Kanzeln und Feldaltären an ihrer Seele gesund geworden sind, gerade die edelsten und besten der grüne Rasen deckt, doch noch Zeugen jener begeisterten Tage genug am Leben blieben, die das, was sie da draußen von ihren Feldgeistlichen an religiöser Treue, vaterländischer Begeisterung sittlicher Ertüchtigung, konfessioneller Duldung und [243] sozialer Rücksichtnahme lernten, nicht für immer tot im Herzen tragen. Sie werden sich daran erinnern, sobald sie nur erst in ernstem Wollen gemeinsam wieder an die Bessergestaltung der Zukunft gehen. Und es kann für das deutsche Volk ein schönes und glückliches Haus auf den Trümmern der Vergangenheit erstehen, wenn es gebaut wird in dem Geiste, dem zu dienen die katholische Feldseelsorge bemüht und berufen war.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte