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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 4: Die Seelsorge im Felde   (Forts.)

A. Die katholische Seelsorge.   (Forts.)
Von Wehrkreispfarrer Franz Albert

2. Die katholische Seelsorge bei den Truppen im Gefecht.

War es auch ein volles Maß von wachsenden Pflichten und wechselnden Aufgaben, das auf den Schultern des katholischen Feldgeistlichen bei den Truppen im Felde lag, die Höhepunkte auch des priesterlichen Erlebens im Kriege waren unstreitig die großen Kampfhandlungen, und zwar gleicherweise die hitzigen Gefechte des unberechenbaren Bewegungskrieges, wie die furchtbaren Angriffs- und Abwehrschlachten des langen, atemraubenden Stellungskrieges. Wie sie von der kämpfenden Truppe einen ins Ungemessene gesteigerten moralischen Wert erheischten, so überantworteten sie auch den Trägern der katholischen Feldseelsorge Pflicht und Gelegenheit, ihr Höchstes und Bestes zu leisten, um die nationale Begeisterung des Heeres in die lichte Sphäre der Religion zu heben und den Soldaten mit jener Kraft zu umgürten und mit jenem Geist zu wappnen, die das Wollen und Können auch des einzelnen sicher in die schwere Rüstung des Heldenmuts der Tat, des Leidens und des Opfers wachsen ließen. Dem katholischen Feldgeistlichen, der aufgehend in dieser Pflicht und durchdrungen von diesem schweren Beruf die ihm anvertrauten Truppen von den [228] Beschwernissen des Marsches und der Dürftigkeit der Quartiere bis in das Toben der Schlacht begleitete, um dort, wenn es not tat, selber das Diakonat der Todesbereitschaft auszuüben, fiel damit eine dreifache gewichtige Aufgabe zu: die Sorge für die Kämpfenden, die Verwundeten und die Toten.


Die Sorge für die Kämpfenden

Wie es die Erfahrung früherer Kriege gewesen, so war es bei der braven schlesischen Division, mit der ich dem Feinde entgegenzog, und so wird es vielfach gewesen sein! Als die ersten feindlichen Kugeln zischten und die ersten Granaten über die Felder surrten, senkten sich die Köpfe und die Herzen zitterten. Es ist der erste kritische Augenblick einer nahenden Schlacht, er packt die Gemüter bis in die Tiefe und spannt die Nerven bis zum Versagen. Diese Krisis wird es immer zu überwinden geben, wo im Bewegungskriege eine Truppe zum erstenmal das Pulver riecht oder wo im Stellungskriege die Wucht eines konzentrierten Feuerüberfalls auch den letzten Mann die ganze Schwere der kommenden Ereignisse ahnen läßt. Darum steht ja auch geschrieben: "Wenn die Schlacht herannaht, soll der Priester vor die Kampfreihe treten und also zum Volke reden: Höre Israel, du kämpfest heute gegen deine Feinde; dein Herz fürchte sich nicht; zage nicht, weiche nicht, noch habe Angst vor ihnen; denn der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte und wird für dich gegen deine Widersacher streiten, damit er dich vor der Gefahr errette" (5. Mos. 20, 2. 3).

Die rechtzeitige Vorbereitung der katholischen Soldaten auf eine bevorstehende Entscheidung war demnach die erste und die wichtigste Aufgabe, die der katholische Feldgeistliche bei der kämpfenden Truppe zu erfüllen hatte. Beim Vormarsch und im Bewegungskriege, wo die militärischen Ereignisse sich überhasteten und alles oft nur an der Gunst oder Ungunst eines einzigen Augenblickes hing, mußte der katholische Feldgeistliche froh sein, wenn es ihm in rascher Entschließung noch gelang, die einzelnen Truppenteile durch eine kurze, anfeuernde Ansprache, verbunden mit der Erteilung der allgemeinen Lossprechung oder sog. Generalabsolution, im Vertrauen auf den Beistand des Allmächtigen mit überlegenem Siegeswillen zu beseelen. Es sind das immer tiefgehende feierliche Momente gewesen, die wohl keinem aus dem Gedächtnis entschwunden sind, der sie einmal miterleben durfte.

Indessen, während im Bewegungskriege die flammende Begeisterung und das leuchtende Vorbild der Mutigen auch die Schwachen zu kühnem Handeln mit sich riß, erheischte der Stellungskrieg, daß bei dem einzelnen Feldsoldaten Kraft und Mut und Zuversicht aus tiefer seelischer Quelle flossen, wenn sie auf die Dauer nicht langsam versiegen und versagen sollten. In diesem Kriege des Wartens, der Geduld, der Langsamkeit und der Überlegung galt es vor allem, die Willenskraft zu stählen und die Truppe zur Übung jenes stillen Opfer- [229] geistes anzuhalten, der sich in der Stunde der Gefahr auch den schwersten Prüfungen gewachsen zeigte. In ruhigen Gefechtsabschnitten und bei ruhigerer Gefechtslage ist es bei einigem Organisationstalent auf allen Kriegsschauplätzen möglich gewesen, die Truppe nicht nur mit regelmäßigem Gottesdienst, sondern auch mit allen Mitteln der Seelsorge zu betreuen. Über die Tätigkeit im eigentlichen Schützengraben herrschte freilich mancherorts die Anschauung, daß dort eine planmäßige Seelsorge nur in bescheidenem Ausmaße möglich war; aber trotzdem hat die Mehrzahl der Feldgeistlichen doch mit Recht gesteigertes Gewicht darauf gelegt, auch mit der Truppe der vordersten Front dauernd in enger Fühlung zu bleiben, um auch nach außen teilzunehmen an ihren Nöten, und um dann auf Grund der gewonnenen Erfahrung mit der Wortverkündigung beim Gottesdienst mitten in der Soldaten Herz zu treffen und nicht über ihre Köpfe hinweg zu predigen. Wer die Verhältnisse kennt, der weiß, daß der deutsche Soldat im Felde für nichts empfänglicher war, als wenn er den Feldgeistlichen sah, wie er seine Getreuen auch "vorne" in den Schützengräben besuchte, um wie an ihren täglichen Sorgen und Mühen, so auch an ihren ständigen Gefahren teilzunehmen.

Aber oft genug wuchsen die Alltagssorgen des Soldaten ins Ungemessene, und zwar in den Zeiten der schweren und andauernden Stellungskämpfe, zumal wenn sich diese durch erhöhte Gefechtsbereitschaft in Erwartung eines feindlichen oder durch Truppenkonzentrationen vor dem Einsetzen eines eigenen Angriffs frühzeitig genug angekündigt hatten, um dem einzelnen Zeit zu lassen, seinen grübelnden Gedanken nachzuhängen. Neben reifer Umsicht und gründlicher Ausnutzung aller Gelegenheiten, gehörte in solchen Zeiten die äußerste Anspannung aller geistigen und körperlichen Kräfte dazu, wenn der katholische Feldgeistliche alle Truppenteile gleichmäßig durch den Empfang der hl. Sakramente auf alle kommenden Möglichkeiten vorbereiten wollte. Wenn je, dann waren in solchen Lagen die Schleußen des Himmels offen, und es ist gar nicht zu sagen, was für ein Kapital von innerer Seelenruhe und heldenmütiger Widerstandskraft durch das priesterliche Wirken in den Seelen aufgespeichert wurde, obwohl es oft genug Gelegenheit bekam, zumal in den furchtbaren Materialschlachten des Westens, auch die Glut der härtesten Feuerprobe zu bestehen.

War eine Schlacht geschlagen, den Waffen eine günstige Entscheidung zuteil geworden, löste ein kurzer feierlicher Dankgottesdienst, bei dem der Feldgeistliche mit einem kernigen Dankgebet dem Lenker der Schlachten die Ehre des Sieges zollte, immer eine nachhaltige Wirkung aus. Ich kenne jedenfalls einen Soldatenpfarrer, dem nach den heißen Tagen der Schlacht von Longwy bei einer solchen Gelegenheit die Soldaten mit Tränen in den Augen die Hände drückten und dem sein Divisionskommandeur am Abend mit erhobenem Glase die Worte zurief: "Wir beide, Herr Pfarrer, sind von heute ab die besten Freunde!" So [230] ist oft eine einfache, schlichte Kirchenfeier, nach schweren Erlebnissen der Gunst eines glücklichen Augenblicks abgetrotzt, das unsichtbare Ferment geworden, das den katholischen Feldgeistlichen mit seiner braven Feldgemeinde in einer Weise verkettet hat, die während des ganzen Krieges sich bewährte und, wie im gedachten Falle, auch noch segensreich fortwirkt bis auf den heutigen Tag.


Die Sorge für die Verwundeten

Gerade in den Höhestunden höchstgesteigerter militärischer Kraftentfaltung und aufregendsten soldatischen Kriegserlebens berühren sich die aktive und die passive Anspannung aller Kräfte des Leibes und der Seele bis zur gegenseitigen Verschwisterung; denn dann ist der Augenblick gekommen, in dem neben dem Heldentum der Tat, das mit stürmender Hand, koste es, was es wolle, dem Schicksal den Lorbeer des Sieges zu entwinden sucht, das Heldentum des Entsagens und Duldens seine stillen Triumphe feiert. Meist noch mitten im tosenden Schlachtenlärm, oft auch abseits in schweigender Einsamkeit liegen dann so viele Brave vom feindlichen Blei getroffen, die die Walstatt mit ihrem Blute röten und die nun nichts mehr in die Wagschale des Sieges zu legen vermögen, als die Opferkraft ihres Leidens. Was bedarf es da für helfender und erbarmender Samariterliebe, um neben und mit den Ärzten, die alle Mittel ihrer fortgeschrittenen Kunst an den Wunden des Leibes versuchen, so vielen Verwundeten mit jener "Kraft aus der Höhe" (Luk. 24, 49) die Seele zu panzern, in der sie still und stark und geduldig wird, auch dem bittersten Weh mit männlicher Festigkeit seine schlimmsten Stachel zu nehmen. Daß die katholische Feldseelsorge in allen Phasen des hinter uns liegenden Ringens durchdrungen war von dieser barmherzigen Samariterliebe, ist anerkannt, und wenn sie überhaupt auf einem Gebiet ihres weitverzweigten Tätigkeitsfeldes ihre ganze segensvolle Kraft zur Geltung brachte, dann war es auf dem Gebiet der geistlichen Fürsorge für die Verwundeten und Sterbenden.

Hatte irgendein Waffengang seine blutigen Opfer gefordert, dann suchte und fand der katholische Feldgeistliche jedenfalls neben den Ärzten im Dienst der Verwundeten ein dankbares Feld der Betätigung. Wo es so viele Wunden, Schmerzen und Leiden gab, galt es für ihn mehr denn je, dem Soldaten in den Stunden körperlicher und geistiger Verlassenheit mit den Tröstungen der Religion und den Werken der Liebe nahe zu sein, um nicht nur als Priester, sondern auch als Mensch und Kamerad ein offenes Ohr zu zeigen für alle Wünsche, ein tröstendes Wort für jede Klage und eine hilfsbereite Hand für jeden auch noch so schweren Liebesdienst. Vorab in den Zeiten des siegreichen Bewegungskrieges haben wohl die meisten Feldgeistlichen es als ihre Pflicht betrachtet, auch schon den in der Gefechtslinie hilflos zurückgebliebenen Schwerverwundeten ihren geistlichen Beistand angedeihen zu lassen. Mit Stola und [231] Krankenöl schritten sie nicht selten die Schlachtfelder ab und kamen dadurch in die Lage, nicht nur manchen Sterbenden auf den Weg in die Ewigkeit zu rüsten, sondern auch die Krankenträger auf so manchen Verwundeten aufmerksam zu machen, der sonst vielleicht da draußen Rasttag für immer gehalten hätte, oder auf ärztliche Hilfe so lange hätte warten müssen, bis es für ihre heilende Wirkung zu spät gewesen wäre.

War aber nach Eintritt oder in Voraussicht größerer Verluste der militärische Befehl ergangen, Truppen- oder Hauptverbandplätze einzurichten - später trat nicht selten der gegen das feindliche Feuer notdürftig sichernde Sanitätsunterstand an ihre Stelle -, dann wartete hier auf den katholischen Feldgeistlichen eine Aufgabe, die oft genug an seine Nervenkraft die größten und schwierigsten Anforderungen stellte. Das war vor allen Dingen in den ersten Kriegsmonaten der Fall, wo ein einziger Feldgeistlicher im ausgedehnten Bereich einer ganzen Division oft überall und nirgends sein mußte, um der Aufgabe gerecht zu werden, die jeder neue Schlachttag meist bis tief in die Nacht hinein an ihn stellte. Denn von den Verbandplätzen rief den katholischen Feldgeistlichen die Pflicht auch unmittelbar hinüber in die vorgeschobenen Feldlazarette, die meist in der Nähe, wenn auch nicht mehr unmittelbar im Gefechtsbereich, in geeigneten Ortschaften untergebracht waren und den Schwerverwundeten eine geregelte Lazarettpflege angedeihen ließen, bis ihre Rückbeförderung in die Kriegslazarette des Etappen- oder die Reservelazarette des Heimatgebiets möglich war. Gewiß war draußen am Feinde das gegenseitige Ringen immer hart und schwer; aber hier auf dem grobscholligen Acker unter den niedrigen Zeltplanen, dort in der dunklen Scheune oder weiter in jener halbzerschossenen Kirche auf den harten Tragbahren und dem spärlichen Stroh spielte sich ein noch viel schwereres Ringen ab, das Ringen mit dem Tode. Da hat auch der katholische Feldgeistliche bei mancher letztwilligen Verfügung mitzuwirken, manche schwere Botschaft in die Heimat zu bestellen und so manchen anderen Liebesdienst zu leisten Gelegenheit gehabt. Bei den Leidenden und Verwundeten, ja, da war das Feld, auf dem auch die katholischen Feldgeistlichen Heldenmut an den Tag legen konnten. Daß er in ihren Reihen lebte, vermag die Tatsache zu beweisen, daß ihrer eine ganze Anzahl auch dann noch den Stätten des Elends und des Wehs nicht den Rücken wandten, als in Augenblicken strategischer Umgruppierung die eigene Truppe zum Rückzuge blies, um bis zu gelegenerer Zeit mit dem schwer errungenen Boden auch die bedauernswerten Verwundeten in der Hand des nachdrängenden Feindes zu lassen. Wohl stand das rote Kreuz, das sie auf ihrer Armbinde trugen, unter dem Schutze der Genfer Konvention (Art. 9); aber manche von ihnen haben die Härten und Nöte der Gefangenschaft doch in einer Weise zu kosten bekommen, die man vordem, wenigstens in deutschen Landen, nach der schönen Theorie von der Menschlichkeit im Kriege nicht so leicht für möglich gehalten hätte.


[232] Die Sorge für die Toten

Wer vor dem Feinde stirbt, der stirbt nie, dem ist der unauslöschliche Dank seines Vaterlandes geweiht; dem winkt neben dem kriegerischen Lorbeer irdischen Heldenruhms die unvergängliche Palme ewigen Siegerlohns. Denn wo der Glaube an Gott und die Liebe zum Vaterlande sich zu dem größten Opfer zusammenfanden, das ein Mensch für seine Brüder zu bringen vermag, da war der Tod auf dem Felde der Ehre ein heiliges Sterben, das die Weihe der Religion und der christliche Glaube nicht umsonst in höhere Regionen hebt. Der katholische Feldgeistliche, der in Freud und Leid, als Priester und Kamerad dem katholischen Feldsoldaten in Kampf und Streit, in Weh und Wunden bis zu seinem Tode auf dem Schlachtfeld tröstend und helfend zur Seite stand, machte sich darum auch die Sorge für die Toten zur unabweisbaren Ehrenpflicht. Durch die übernatürliche Tröstung der kirchlichen Gnadenmittel hatte er auf so manchem brechenden Kriegerauge noch den milden Schimmer seliger Verklärung leuchten sehen; nun schritt er, zunächst natürlich im Bewegungskriege, nach allen Richtungen das weite Schlachtfeld ab, sprach
Beerdigung des Leutnant d. R. Barm.
 
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  Beerdigung des Leutnant d. R. Barm.

Beerdigung des Leutnant d. R. Barm.
den Segen der Kirche über Freund und Feind, weihte die Ackerfurche, das Grab oder den Graben, die ihre sterblichen Reste umschließen sollten, und schloß, mochte seine Liebesmühe dem Freunde oder Feinde gelten, vor den in Eile aufgeworfenen Hügeln oft noch mitten im Schlachtenlärm als erster den Frieden.

Wer auch nur eines der blutigen Schlachtfelder in den heißen Augusttagen des ersten Kriegsjahres zu schauen bekam, der weiß, wie laut und eindringlich damals die Sorge für die Bergung und Beerdigung der Gefallenen nach mitleidigen Herzen und nach tätigen Händen schrie. Mir selber steht noch heute der Anblick des Schlachtfeldes von Longwy wie ein Bild des Entsetzens vor den Augen. Aber auch der Trost ist lebendig geblieben, den ich mit meinem evangelischen Kollegen damals im Herzen spürte, als es allen Schwierigkeiten zum Trotz in kürzester Zeit gelang, den Toten ein christliches Grab zu bereiten und eine Stätte wieder betretbar zu machen, über der wie eine atemraubende Wolke der Pesthauch greulicher Verwesung lag. Im späteren Verlauf des Krieges haben allerdings die mehr geregelten Verhältnisse und die vorbildlich organisierte Gräberfürsorge den Feldgeistlichen die ersten und die dringendsten Sorgen für die Bergung der Toten und die Herrichtung der Gräber vom Herzen genommen; aber auch da ist bis zuletzt ihrer aufopfernden Initiative noch Spielraum genug geblieben, vor allem durch die Feststellung und den Schmuck der Gräber das Gedächtnis der gefallenen Helden im Gedenken der Überlebenden wach zu halten und damit so viele niedergebeugte Brüder und Schwestern im deutschen Heimatland des großen Trostes gewiß zu machen, daß ihre besten und liebsten Toten nicht unbeweint und vergessen in fremder Erde ruhen mußten.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte