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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 6: Feldsanitätswesen   (Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt

3. Wissenschaftlicher Teil.   (Forts.)

[526] Hygiene - Gesundheitspflege.
(Von Generaloberarzt Prof. Dr. Bischoff, Bremen.)

Im Mobilmachungsplan war für jedes Armeekorps ein Hygieniker im Range eines Stabs- oder Oberstabsarztes bestimmt. Unmittelbar nach ausgesprochener Mobilmachung reiste er mit dem ins Aufmarschgebiet vorauffahrenden Generalstabsoffizier und höheren Intendanturbeamten dorthin, um es in hygienischer Beziehung zu erkunden und Vorkehrungen zu treffen, um die sich sammelnden Truppen gegen Verseuchung zu schützen. Mit Unterstützung der Lokalbehörden verschaffte er sich bis zum Eintreffen der Truppenverbände einen Überblick über die hygienischen Verhältnisse jener Gegend; vor allem unterrichtete er sich über vorgekommene ansteckende Krankheiten und die zur Verhütung der Weiterverbreitung getroffenen Maßnahmen, die er im Bedarfsfalle ergänzte, sowie über die Güte der Wasserversorgung und die vorhandenen Krankenhäuser, die als Seuchenlazarette in Frage kommen konnten.

Die seit Anfang des Jahrhunderts in den westlichen und südwestlichen Grenzprovinzen durchgeführten eingehenden Nachforschungen nach Typhusbazillenträgern hatten die Ausbreitung des Unterleibstyphus, der in jenen Gegenden stets endemisch war, erfolgreich eingeschränkt. Bei der Ansammlung von großen Menschenmengen aus allen Teilen Deutschlands auf einem verhältnismäßig kleinen Raume mußte aber damit gerechnet werden, daß unter der Truppe selbst und den zu ihr stoßenden Ersatzmannschaften sich unerkannt Bazillenträger befänden, auch konnte im Aufmarschgebiete kaum jeder Bazillenträger bekannt sein. Es war daher von besonderer Bedeutung, die vorhandenen Wasserstellen auf ihre Infektionssicherheit zu untersuchen. Nun war zwar im westlichen Deutschland, besonders in der Eifel, die Wasserversorgung in den letzten Jahrzehnten regierungsseitig dauernd vervollkommnet worden; fast sämtliche Landgemeinden hatten Zentralwasserversorgung erhalten. Daneben gab es aber Gemeinden, die im Ausbau ihrer hygienischen Einrichtungen noch zurück waren, in denen nicht ganz selten zum Teil recht minderwertige Brunnenanlagen angetroffen wurden. Solange diese Brunnen nur von den gesunden Bewohnern des Gehöftes benutzt wurden, waren sie trotz der mangelhaften Anlage ohne Schaden benutzt worden. Bei der verstärkten Inanspruchnahme während des Aufmarsches und dem häufig wechselnden Verkehr an diesen Wasserstellen konnten mangelhaft angelegte Brunnen leicht verseucht und zur Quelle von Epidemien werden. Es war daher eine Hauptaufgabe des Hygienikers, sämtliche Wasserstellen im Aufmarschgebiete eingehend zu erkunden, die verdächtigen kenntlich zu machen und sie, soweit dies möglich war, behördlich schließen zu lassen.

Während des schnellen, unaufhaltsamen Vormarsches im Sommer 1914 durch Belgien und in Nordfrankreich, wie auch im Frühjahr 1918, sowie bei den [527] Vormärschen in Rußland, in Rumänien, auf dem Balkan und in Oberitalien, lagen die ersten hygienischen Maßnahmen an der Hand allgemeiner Richtlinien vornehmlich in der Hand der Truppenärzte; bei besonderen Gelegenheiten wurden ihnen die erforderlichen Anhalte teils mittels Unterweisung durch den Korpshygieniker, teils durch Merkblätter übermittelt. Bei dem ständigen Wechsel der Quartiere und der fehlenden engeren Berührung mit der bodenständigen Bevölkerung bestanden die hygienischen Maßnahmen im wesentlichen darin, daß die Abfallstoffe unschädlich gemacht und die persönliche Körperpflege immer und immer wieder angeregt und Sorge getragen wurde, vorkommende Krankheitsfälle abzusondern und schnell aus dem Bereiche der vormarschierenden Truppen zu entfernen. Daneben dienten prophylaktische Impfungen gegen Typhus und Cholera als wertvolle Maßnahmen, sowie eine systematische Prophylaxe gegen Malaria. Nur langsam wurde das erforderliche Verständnis für die Bedeutung der Unschädlichmachung der Abfallstoffe bei der Truppe erweckt. Infolge des hohen Standes der Wohnungskultur in Deutschland, wo seit Jahren alle Groß- und Mittelstädte und viele Kleinstädte mit zentralen Einrichtungen für die Beseitigung der Abgänge versehen waren, war die überwiegende Mehrzahl der Heeresangehörigen daran gewöhnt, sich um die Abfallstoffe nicht zu kümmern. Während der unzivilisierte Mensch ohne besondere Aufforderung die Leibesabgänge mit Erde zu bedecken pflegt und fäulnisfähige Abfallstoffe durch Vergraben beseitigt, standen die überwiegend aus Städten stammenden Truppenangehörigen diesen Fragen zunächst verständnislos gegenüber. So wurden alle Ruheplätze der Truppe stark verschmutzt und boten den Fliegen die besten Brutplätze. Verschleppung von Krankheitserregern auf Nahrungsmittel und Verbreitung des Infektionsstoffes waren die Folge. Dies führte bereits im Herbste 1914 zur Ausbreitung von Ruhr, gegen die wirksame Impfungen noch nicht zur Verfügung standen.

Erhöhte Anforderungen entstanden, als der Vormarsch zum Stehen kam und langdauerndes Verweilen in gewählten oder auch aufgezwungenen Stellungen eintrat. Waren die Abfallstoffe bereits beim Vormarsch eine Quelle von Gesundheitsschädigungen, so in erhöhtem Maße beim Übergange zum Stellungskriege. Das Reinhalten der Schützengräben sowie des Geländes hinter ihnen, was zur Reinhaltung des Bodens und der Luft verlangt werden mußte, stieß auf große Schwierigkeiten. Dauernd mußten die Truppenärzte wie die Hygieniker auf Mißstände aufmerksam machen und Vorkehrungen für deren Beseitigung treffen. Erschwert wurden alle hygienischen Maßnahmen dadurch, daß der Feind jede Betätigung durch Gefechtsmaßnahmen zu stören in der Lage war und dies nach Möglichkeit ausnutzte.

In den vordersten Linien kamen als Unterkunft lediglich Erdwohnungen in Frage. Bei der außerordentlichen Durchschlagskraft der modernen Geschosse boten lediglich tief in die Erde verlegte Unterkünfte Sicherheit gegen Artillerie- [528] wirkung. Nicht nur die Wohnräume, sondern auch Krankenräume und Verbindestuben mußten tief unter die Oberfläche eingegraben werden. Hierbei wurde nicht selten das hochstehende Grundwasser hinderlich, so daß dagegen durch Betonierung Schutz geschaffen werden mußte. Beleuchtung, Erwärmung und Lüftung dieser Unterkünfte machte große Einrichtungen erforderlich. Ganz besonders aber mußten für Aufnahme der Körperabgänge und sonstiger fäulnisfähiger Abfallstoffe Vorkehrungen getroffen werden. Diese Einrichtungen mußten so angelegt werden, daß von ihnen her die Unterkünfte nicht verpestet, und daß sie unter Schutz gegen feindliches Feuer benutzt werden konnten. Nachdem die Einrichtungen eine gewisse Zeit benutzt waren, mußten sie zugeschüttet und durch Neuanlagen ersetzt werden.

Je nach den örtlichen Verhältnissen stieß der Bedarf nach geeignetem Wasser auf erhebliche Schwierigkeiten. Während in manchen Gegenden bereits durch Abessinierbrunnen ein den Anforderungen gerecht werdendes Wasser erschlossen werden konnte, waren an anderen Stellen Veredelungsmaßnahmen erforderlich. Hierzu eignete sich vielfach eine Filtration durch Kies-Kohle-Filter, durch die Enteisenung und Klärung des Wassers erreicht werden konnte. Wo hinreichend Wasser vorhanden, dieses aber infektionsverdächtig war, dienten die fahrbaren oder tragbaren Trinkwasserapparate, die seit 1900 in langwierigen Versuchen durch gemeinsame Arbeiten des hygienisch-chemischen Laboratoriums der Kaiser-Wilhelms-Akademie mit der Industrie ausgebildet worden waren, zur Gewinnung eines einwandfreien Wassers. Diese Apparate leisteten nicht selten sogar unmittelbar in der Gefechtsstellung für die Wasserversorgung vorzügliches. Wo es vollkommen an Wasser fehlte, mußte bei mäßigem Bedarfe das Wasser mittels Wasserwagen, bei größerem Bedarfe mittels Wasserleitung herangeschafft werden.

Bei der Mobilmachung waren lediglich die ständigen Truppenteile und die Reserveformationen mit fahrbaren Feldküchen ausgestattet. Die höheren Stäbe und die zahlreichen neu aufgestellten Ersatzformationen entbehrten der Feldküchen und waren auf Abkochen angewiesen. Nach und nach wurden aber alle Formationen mit Feldküchen ausgestattet. Diese stellten auf dem Marsche oder - im Stellungskriege - hinter der Front das Essen her und gaben es bei passender Gelegenheit an die Truppe ab. Erschwert wurde aber die Verpflegung der Truppe, als sich infolge der unzureichenden Ernten und der Unmöglichkeit, infolge der vollständigen Abschnürung Deutschlands Nahrungsmittel einzuführen, mehr und mehr Mangel geltend machte. Besonders im Jahre 1917, als die Ernte an Getreide und an Kartoffeln ungenügend war, war die Verpflegung unzureichend; selbst an den Fronten, deren Versorgung unter Einschränkung der Sätze für das Etappengebiet sichergestellt wurde, machten sich Nährschäden bemerkbar, die auch durch weitgehende Verwendung von Wildgemüse nur ungenügend behoben werden konnten.

[529] Besonders schwer wurde es empfunden, als das Brot, wie im Heimatgebiet, so auch im Felde eine weitgehende Verschlechterung erfuhr. Während im Frieden das Soldatenbrot aus Roggenmehl, das mit 15% Kleieauszug und 3% Mahlverlust gewonnen war, erbacken wurde, stand bereits im Winter 1914/15 nur Brot zur Verfügung, das mit Kartoffelzusatz erbacken war. 1917 mußte aber Mehl verbacken werden, das sämtliche Kleie enthielt, ja zum Teil noch außerdem einen erheblichen Kleiezusatz erfuhr. Abgesehen von der Verschlechterung hinsichtlich Geschmack und Nährwert war dieses Brot auch weniger lagerfähig, konnte aber wegen höheren Wassergehalts und langsameren Austrocknens erst nach mehrtägiger Lagerung an die Truppe ausgegeben werden. Sofern die Backmeister sich diesen veränderten Verhältnissen nicht schnell anzupassen verstanden und die Aufbewahrungsräume nicht entsprechend vergrößert und besser ventiliert wurden, traten erhebliche Verluste infolge Verschimmelns auf. Für die Hygieniker, besonders die Beratenden Hygieniker, war es ein dankbares Betätigungsfeld, auch hier mit Rat und Tat zu helfen. Dies war um so notwendiger, als bei weitem nicht alle Bäckereien berechtigten hygienischen Forderungen entsprachen, während andererseits selbst in der schlimmsten Zeit des Jahres 1917 bei richtiger Vorsicht genügend lagerfähiges Brot erzielt werden konnte.

Die Kleiderlaus war den Truppen in den letzten Jahren bald lästiger geworden als der Feind.
Die Kleiderlaus war den Truppen
in den letzten Jahren bald lästiger geworden
als der Feind.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 232.
Hohe Anforderungen an die Erfindungsgabe der Hygieniker stellte auch die Sorge für die Körperpflege. Wie in früheren Kriegen, kam es bald zu hochgradiger Verlausung der Truppe. Nicht allein in den Ländern des östlichen Kriegsschauplatzes mit niederer Kultur, auch in Frankreich und Belgien wurde die Truppe, soweit nicht einzelne auf Körperpflege und Reinigung besondere Sorgfalt verwendeten, bald von Kleiderläusen befallen. Mögen es zunächst nur solche Leute gewesen sein, die die Körperreinigung nicht genügend durchführten, so daß bei diesen Vorwürfe berechtigt waren; bald jedoch war die Gelegenheit zum Verlausen vielfach so allgemein, daß kein Mann oder Offizier davon ausgenommen war. Bereits im Herbst 1914 trat an die Hygieniker die Aufgabe, Maßnahmen zu ergreifen, die Verlausung einzuschränken und tunlichst zu beseitigen. Da aber in Deutschland die Kleiderlaus so gut wie unbekannt war, waren auch Kenntnisse über deren Biologie nicht verbreitet. Allgemein wurde angenommen, daß sich die Kleiderlaus in der Kleidung allein aufhalte und auf die Haut nur übergehe, um Nahrung zu nehmen, daß sie aber unmittelbar nach dem Blutsaugen wieder in die Kleidung zurücktrete und dort auch allein ihre Nisse ablege. Nach dieser Auffassung mußte es zum Abtöten von Läusen und ihrer Brut genügen, wenn die Kleidung allein genügend gereinigt wurde. Dies war ein schwerer Irrtum. Alle Maßnahmen gegen die Verlausung blieben ohne durchschlagenden Erfolg, solange nicht daneben auch eine geeignete Behandlung des verlausten Körpers durchgeführt wurde. So wurden denn mit dem größten Eifer dicht hinter der Front und vor allem im Etappengebiet mehr oder weniger [530] leistungsfähige Entlausungsanstalten geschaffen, welche aus Badeanstalt und Behandlungs- (Desinfektions-) Vorrichtungen für die Kleidung bestanden. Besonders große und technisch sehr vollkommene Anstalten wurden an der Landesgrenze in der Nähe der großen Übergangsbahnhöfe errichtet. In ihnen konnten ganze Truppenteile in kurzer Zeit von Ungeziefer mit Sicherheit befreit werden.

Wo dies möglich war, wurde bei der Einrichtung der Entlausungsanstalten Anschluß an vorhandene Badeanstalten oder Fabrikanlagen genommen, was besonders für die größeren Anlagen galt. Dementsprechend waren die einzelnen Anstalten hinsichtlich ihrer inneren Ausgestaltung sehr verschieden. Im Prinzip aber waren sie einander gleich: es war in ihnen allen völlige Trennung der unreinen Seite von der reinen und ein zwangsläufiger Verkehr vorgesehen, entsprechend den Erfahrungen aus der praktischen Desinfektion. Von einem Warteraum für Verlauste kamen die Leute in einen Entkleidungsraum, in dem sie sich vollständig entkleideten und ihre Leibwäsche sowie die Kleidung abgaben. In einem Haarschneideraum wurde, sofern dies erforderlich war, eine Kürzung der Haare vorgenommen. Von dort wurde ein Baderaum betreten. In ihm war Gelegenheit gegeben, unter Benutzung von Seife und Kaliumpermanganatlösung den Körper vom Kopf bis zu den Füßen unter Duschen mit genügend warmem Wasser gründlich zu reinigen. Nachdem sich die Leute mit verabfolgten Handtüchern abgetrocknet, wurden sie auf Nisse untersucht und die Lieblingsstellen, die Achselhöhlen, die stärker behaarten Gegenden an Brust, Bauch und in der Gegend der Geschlechtsteile, wie auch die Umgebung des Afters genau besichtigt. Wurden Nisse vorgefunden, erfolgte Behandlung mit grauer Quecksilbersalbe. In einem gut durchwärmten Raume hielten sich dann die Leute auf, bis ihnen die inzwischen desinfizierten Kleidungsstücke wieder zugeführt werden konnten. Den üblichen Desinfektionsmethoden (trockene heiße Luft oder strömender Dampf - Ledersachen oder andere Gegenstände, die der Hitze nicht ausgesetzt werden durften, meist durch schweflige Säure -) sicherten zwar die Abtötung des Ungeziefers, hatten aber den schweren Fehler, der besonders bei dem Mangel an Stoffen beachtet werden mußte, daß die Gewebsfaser bei wiederholter Anwendung jener Verfahren brüchig wurde und die Stoffe sich daher schnell abnutzten. Wiederholte Entzieferung, vornehmlich bei Kriegsgefangenen, war aber unerläßlich.

Eine Lösung dieser schwerwiegenden Frage schien 1917 gefunden zu sein, als die Blausäure als Entlausungsmittel eingeführt wurde. Freilich erwiesen sich die ersten Veröffentlichungen, welche sogar damit rechneten, unter improvisierten Bedingungen mit diesem Mittel arbeiten zu können, als reichlich optimistisch. Unglücksfälle waren bei sicherem Erfolg in der Abtötung des Ungeziefers nur zu vermeiden, wenn genügende Sicherheiten geschaffen wurden. Dies gilt besonders für größere Anlagen mit Dauerbetrieb. Eine sehr große und gut durchkonstruierte Entlausungsanlage für Blausäurebetrieb wurde in Riga eingerichtet. In ihr konnten im Laufe eines Tages ohne Schwierigkeiten 2000 Mann abge- [531] fertigt werden, bei verstärktem Personal waren 3000 und mehr zu behandeln. Diese Anlage ist monatelang ohne Betriebsstörung und ohne Unglücksfälle in Gang gewesen, was um so mehr für das Verfahren spricht, als das Bedienungspersonal zum Teil wie die zu Entlausenden in der überwiegenden Mehrzahl des Deutschen nicht mächtig waren, und die Leitung der Anstalt ihrerseits die lettische Sprache nicht verstand. Bei sachverständiger Anwendung und guter Konstruktion der Anstalten konnten Unglücksfälle mit Sicherheit vermieden werden. Zu bedenken war jedenfalls, daß es keine Methode gibt, welche das Entlausungsgut völlig unbeschädigt läßt und gleichzeitig so sicher wirkt, wie das Blausäureverfahren.

Wegen der gewaltigen Ausdehnung des Kriegsschauplatzes, der große Gebiete niedrig oder ganz unkultivierter Landgebiete umfaßte, war die Seuchengefahr natürlich außerordentlich groß. Demgegenüber aber hatte die hygienische Wissenschaft den deutschen Ärzten Mittel und Wege in die Hand gegeben, in ganz anderer Zielsicherheit an die Aufgabe ihrer Bekämpfung heranzutreten. Die von Robert Koch und dessen zahlreichen Schülern innerhalb der letzten Jahrzehnte aufgedeckten Wege für die Verbreitung der verschiedenen Seuchen, vor allem die Erkenntnis, daß der erkrankte Mensch und seine nähere Umgebung allein für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten verantwortlich zu machen seien, und die daraus abgeleiteten Bekämpfungsmaßnahmen führten dazu, daß trotz der so reichlich gegebenen Gelegenheit die Verluste durch Infektionskrankheiten gegenüber früheren Kriegen und im Vergleiche zu den Verlusten durch Kampfhandlungen völlig zurücktreten. Das ist um so höher zu bewerten, als der Krieg 1914/18 nicht nur hinsichtlich Ausdehnung der Kampfhandlungen alle früheren Kriege weit hinter sich läßt, sondern dabei gleichzeitig eine Anhäufung von Menschenmassen erfolgte, wie dies bis dahin nicht erlebt war. Endlich muß berücksichtigt werden, daß nicht allein bereits in ihrer Verbreitungsweise bekannte und völlig aufgeklärte Seuchen, sondern auch Krankheiten, die in Deutschland völlig unbekannt und auch in der Literatur noch nicht erschöpfend behandelt waren, zu bekämpfen waren.

Die auf Anregung von Robert Koch seit 1900 in den westlichen Provinzen des Reiches, in denen Unterleibstyphus endemisch vorkam, durchgeführten Maßnahmen einer planmäßigen Typhusbekämpfung hatten durchschlagenden Erfolg. Die Truppen überschritten die Landesgrenze aus dem Aufmarschgebiet unverseucht. Erst nachdem sie nach der Marneschlacht im Herbste 1914 mit der einheimischen Bevölkerung in nähere Berührung kam, trat in einer Division Unterleibstyphus epidemisch auf, der schnell um sich griff. Sofort eingeleitete Bekämpfungsmaßnahmen vermochten wohl die Seuche zu beschränken; allein es mußte jetzt stets damit gerechnet werden, daß von neuem diese von altersher [532] als Kriegsseuche gefürchtete Krankheit auch die deutschen Truppen auf das Ernsteste bedrohte. Die während des südafrikanischen Krieges im Hereroaufstande gewonnenen Erfahrungen sowie die in Nordamerika und in Indien erzielten Erfolge legten es nahe, durch Schutzimpfungen die Empfänglichkeit gegen die Typhusinfektion herabzusetzen. Die gegen die obligatorische Schutzimpfung erhobenen Bedenken wurden als unwesentlich abgelehnt, und es wurde eine dreimalige Impfung in achttägigen Zwischenräumen bei dreivierteljährlicher Wiederholung der Impfung befohlen. Die Daten der Impftermine wurden von der Obersten Heeresleitung bekanntgegeben, die erfolgte Impfung wurde im Soldbuche bescheinigt. Der in ungeheuren Mengen erforderliche Impfstoff wurde im Heimatsgebiete hergestellt und mit dem erforderlichen Impfgerät an die Front gesandt. Im Gegensatz zu den Erfahrungen des südwestafrikanischen Expeditionskorps waren die Reaktionen so gering, daß selbst Truppenteile unbedenklich der Immunisierung unterworfen werden konnten, die in Kampfstellung standen. Der Erfolg war durchschlagend. Es gelang in kurzer Zeit, die Weiterausbreitung des Typhus zu verhüten; die regelmäßige Wiederholung der Impfungen bewirkte, daß es während des ganzen Krieges nicht wieder zu einer Epidemie kam; vereinzelt vorkommende Erkrankungen verliefen auffällig leicht. Nach der planmäßigen allgemeinen Immunisierung hatte der Typhus seine Schrecken als Kriegsseuche verloren.

Während hinsichtlich der Typhusverhütung bereits weitgehende Erfahrungen vorlagen, war das für die Ruhr nicht der Fall. Seit Durchführung der allgemeinen städtehygienischen Maßnahmen (Kanalisation) war die Ruhr in Deutschland selten. In Ostpreußen und im westfälischen Industriebezirk trat die Ruhr endemisch auf; auf Truppenübungsplätzen wurden gelegentlich Epidemien störend, aber die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung waren noch nicht genügend ausgebaut. Es kommt auch hinzu, daß es sich bei der Ruhr nicht um einen einzigen, sondern um eine ganze Reihe von Erregern handelt. Nachdem während des Vormarsches im Westen, wie in Ostpreußen im Herbste 1914 mehrfach leichte Erkrankungen mit nur wenig Todesfällen beobachtet waren, wurden im Osten in dem folgenden warmen Sommer 1915 ausgesprochen schwere Ruhrerkrankungen in großer Zahl festgestellt. Mehr und mehr mußte die Ruhr als die eigentliche Kriegsseuche bezeichnet werden. Infolge dauernden Verschiebens der Truppen wurden im Laufe der Zeit alle Fronten annähernd gleichmäßig betroffen. Hinzu kam, daß in den besetzten russischen Gebieten unter der Zivilbevölkerung Ruhr in besonders schwerer Form wütete. Der Hauptgrund hierfür war, daß die eroberten Ortschaften in der unglaublichsten Weise verschmutzt waren. Für Beseitigung der Abfallstoffe war so gut wie nichts geschehen. Selbst in dem reich mit deutscher Bevölkerung durchsetzten Kurland herrschten meist sehr wenig erfreuliche Zustände. Bei Besetzung der Städte war oft mehrwöchige ausgedehnte Städtereinigung erforderlich. Überall herrschte im Herbst 1915 eine un- [533] gemein starke und lästige Fliegenplage. In manchen Ortschaften von Litauen war die Bevölkerung infolge Ruhr erheblich zusammengeschrumpft. Die stets einsetzenden hygienischen Maßnahmen hatten sofortigen Erfolg. In den folgenden Jahren blieb die bürgerliche Bevölkerung in den Städten von Ruhr fast frei, aber bei der in den vorderen Linien liegenden Truppe war eine Abnahme nicht nachweisbar, ja die Zahl der Ruhrfälle nahm von Jahr zu Jahr eher zu. An den dauernd im Gefechte stehenden Fronten hygienische Maßnahmen so durchzuführen, daß sie von durchschlagender Wirkung sein mußten, war nicht möglich. Trotz regelmäßigen Verteilens von Merkblättern zur Aufklärung über die Darmerkrankungen und Belehrungen über die Bedeutung der Fliegen als Verbreiter der Ruhrerreger war es nicht zu erreichen, daß die Truppe an allen Stellen die erforderlichen Maßnahmen mit der unerläßlichen Konsequenz und Genauigkeit durchführte. Es wurde wohl streng darauf gehalten, daß Aborte und Müllgruben fliegensicher angelegt wurden, daß auch sonst Brutstätten für die Fliegen möglichst vernichtet wurden, allein die Zahl der Ruhrerkrankungen blieb hoch; es trat sogar von Jahr zu Jahr eine Steigerung ein.

Bei den guten Erfahrungen mit der Schutzimpfung gegen Typhus, die auch von der Truppe trotz des anfänglichen Widerstandes gegen die Impfungen zugestanden wurden, lag es nahe, auch gegen die Ruhr Schutzimpfungen auszuführen. Hinderlich für deren Einführung war zunächst die Kenntnis, daß eine strenge Spezifität wie beim Typhus bei ihr nicht besteht. Auch bei den im Kriege beobachteten Ruhrepidemien handelte es sich nicht um den gleichen Erreger. Wenn somit ein spezifischer Impfstoff angewandt werden sollte, so schien hierfür ein Vakzin erforderlich, das alle in Frage kommenden Erreger berücksichtigte. Es bedeutete daher einen großen Fortschritt, als Prof. Böhncke seinen Impfstoff "Dysbakta" und die bis dahin mit ihm gemachten Erfahrungen bekanntgab. Mit diesem Impfstoff wurden im Sommer 1917 und 1918 umfangreiche Impfungen ausgeführt. Die Erfahrungen waren durchaus ermutigend. Es gelang stets schnell von Ruhr befallene Truppenteile praktisch ruhrfrei zu machen, während die bis dahin beobachteten Maßnahmen hygienischer Art stets ohne Erfolg geblieben waren. Auch die Zivilbevölkerung und in Gefangenenlagern wurde geimpft, stets mit dem gleichen guten Erfolge. So gelang es, am Ende des Krieges auch diese bis dahin nicht einzudämmende Kriegsseuche unschädlich zu machen.

Die Cholera hat als Heeresseuche mehrmals in früheren Kriegen bestimmend auf die Ereignisse und den Ausgang eines Feldzuges eingewirkt. Von neueren Kriegen ist dies 1866 und im Balkankriege der Fall gewesen. Auch im Weltkriege ist Cholera wiederholt in mehr oder weniger erheblichem Umfang aufgetreten. Heftig ergriffen von ihr wurden österreichische Truppen bereits im Herbst 1914, vereinzelt kamen auch bei deutschen Soldaten Erkrankungen vor. Als Heeresseuche ist aber heute die Cholera nicht mehr so wie früher verhängnisvoll. Be- [534] kanntlich treten die Erkrankungen von Beginn der Seuche an sofort äußerst stürmisch auf, so daß die Erkrankten sich nicht längere Zeit hinschleppen, ihre Erkrankung also verborgen bleibt, sondern sie werden sofort als schwerkrank erkannt und schnell aus dem Verkehr mit den Kameraden ausgeschieden. Zudem handelte es sich auch um eine in den Kriegsgebieten nicht bodenständige Seuche, so daß ständig Einschleppungen aus der bürgerlichen Bevölkerung nicht stattfanden. Endlich lagen bereits ausgedehnte Erfahrungen vor mit prophylaktischen Impfungen. Die im Herbste vorkommenden zahlreichen Todesfälle an Cholera innerhalb der österreichischen Armee wurden die Veranlassung, daß bei den auf dem östlichen Kriegsschauplatze verwandten Truppen auch gegen diese Seuche regelmäßige Schutzimpfungen durchgeführt wurden. Daneben wurde, wenn gleichwohl gelegentlich Erkrankungen vorkamen, sofort gesorgt, daß die Erkrankten schnell abgesondert wurden. Obwohl in der Umgebung von Lodz unter der einheimischen Bevölkerung wiederholt Choleraerkrankungen vorkamen, blieben die deutschen Truppen fast völlig verschont. Auch im Sommer 1915 gelang es der bei der Erstürmung von Kowno drohenden Choleragefahr schnell Herr zu werden. Unter der russischen Armee, die Kowno verteidigte, müssen nicht wenige Choleraerkrankungen vorgekommen sein. Unter den 15 großen Lazaretten, die in Kowno eingerichtet vorgefunden wurden, waren zwei allein für die Aufnahme von Cholerakranken bestimmt gewesen. Unter den dort gemachten Gefangenen wurden seit Mitte August Cholerakranke wiederholt festgestellt, auch wurden beim Einrücken einige unbestattete Choleraleichen vorgefunden. Auch an anderen Stellen der Ostfront wurden 1915 mehrmals unter den gemachten Gefangenen Cholerakranke festgestellt, so in Litauen. Stets aber gelang es, ein Übergreifen auf die deutschen Truppen und die eingeborene Bevölkerung zu verhüten.

Hohe Anforderungen an den Mut des Pflegepersonals und das Organisationstalent der Ärzte stellte eine andere, den Deutschen bis dahin so gut wie unbekannte Krankheit: das Fleckfieber. Die hauptsächliche medizinische Literatur über diese Krankheit stammte in Deutschland aus einer Zeit, in der die modernen Anschauungen über Infektionskrankheiten noch unbekannt waren. War auch aus den Veröffentlichungen französischer und amerikanischer Kolonialhygieniker bekannt, daß für die Übertragung des Infektionsstoffes Läuse eine Rolle spielten, so fehlte doch bis dahin sichere Kenntnis, inwieweit dieser Übertragungsmodus für die Verbreitung der Seuche ausschlaggebend sei. Ebenso war den Ärzten das klinische Bild dieser Krankheit aus eigener Anschauung völlig unbekannt. Endlich waren die Lebensbedingungen der Läuse unbekannt.

Unter diesen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß die ersten Fleckfieberfälle nicht richtig erkannt und zur Verhütung einer Weiterverbreitung nicht sogleich die wirksamsten Maßnahmen ergriffen wurden. Erst nach anfänglich unsicherem Tasten lernte man, daß der Kampf gegen das Fleckfieber praktisch [535] ein Kampf gegen die Laus ist. Heeresverwaltung und Ärzte strebten nunmehr danach, diesen Kampf bis ins kleinste durchzuführen. Dennoch hat es eine gewisse Zeit gedauert, bis das Verständnis allseitig erweckt war und die richtigen Methoden zur Vernichtung dieses Schädlings durchgeführt wurden. Dann aber gelang es, dem Fleckfieber seinen Schrecken als schlimmste Kriegsseuche zu nehmen. Mit besonderen Schwierigkeiten war die Bekämpfung des Fleckfiebers auf dem östlichen Kriegsschauplatz verknüpft.

Ein völliger Abschluß der Heeresangehörigen gegen die Zivilbevölkerung in den rückwärtigen Ortschaften war nicht durchzuführen, also war es unerläßlich, auch die bürgerliche Bevölkerung zu sanieren. Bei genauen Erkundungen anläßlich ansteckender Krankheiten stellte sich heraus, daß die einheimische Bevölkerung zwischen zwei Krankheitsbildern unterschied. Alle mit hohem Fieber und Benommensein einhergehenden Krankheiten (Fleckfieber, Unterleibstyphus, Rückfalltyphus, Trichinose, Lungenentzündung, Miliartuberkulose) wurden von der ungebildeten Bevölkerung gemeinhin als Typhus bezeichnet, während Erkrankungen mit Vorwiegen von Darmerscheinungen (Cholera, Ruhr, Darmkatarrhe nach Fleischvergiftungen usw.) als Cholera benannt wurden. Dieses geringe Unterscheidungsvermögen zwischen den einzelnen Krankheitsbildern erschwerte es bei Erkundungen, die zudem meist stets mit Hilfe ungebildeter, wenigstens medizinisch ungeschulter Dolmetscher durchgeführt werden mußten, auch nur annähernd einen Überblick über den Verlauf von Seuchen zu erlangen. Fast nie ließen sich Beginn und Ende einer Epidemie auch nur annähernd abgrenzen. So mußte auch die als untrüglich sichere Beobachtung vertretene Ansicht, daß Fleckfiebererkrankungen von Anfang Juni an nicht mehr vorkommen, erst im Spätherbst wieder auftreten und während des Winters ihre Höchstzahl erreichen, zunächst als erwiesen hingenommen werden. Nachdem die Laus als Überträger, und zwar als einziger Infektionsweg erkannt war, lag es nahe, das Auf und Nieder im Vorkommen von Fleckfieber zu den verschiedenen Jahreszeiten mit der Laus oder dem Grade der Verlausung in der Bevölkerung in Zusammenhang zu bringen. Tatsächlich gibt es Lebensgewohnheiten in der niederen Bevölkerung von Litauen und Polen, wo Fleckfieber endemisch ist, durch welche bestimmend auf den Grad der Verlausung eingewirkt wird. Mit dem Herannahen der kalten Jahreszeit hört die körperliche Reinigung bei der niederen Bevölkerung, die allein als Herd des Fleckfiebers in Frage kommt, so gut wie ganz auf. Ein Wechsel der Unterkleidung findet während des Winters nicht mehr statt, auch die Überkleidung wird Tag und Nacht getragen. Erst im vorgerückten Frühjahr wird an Stelle der Winterkleidung die aus waschbaren Stoffen, meist grobem Leinen bestehende Sommerkleidung angezogen und nun eine regelmäßige körperliche Reinigung wieder innegehalten. So kommt es während des Winters zu einer so hochgradigen Verlausung, wie man sie in Kulturländern höchstens bei der vagabondierenden Bevölkerung findet. Mit der [536] Zunahme der allgemeinen Verlausung wächst aber die Gefahr, daß die Infektionserreger von Erkrankten auf Gesunde übergehen und dadurch eine schnelle Ausbreitung der Seuche hervorgerufen wird.

Das nähere Studium hat aber dann ergeben, daß keineswegs Fleckfieber im Hochsommer völlig fehlt. Wo diese Krankheit endemisch vorkommt, z. B. in Warschau und Wilna, wurden auch im Sommer Erkrankungen festgestellt, doch blieben sie wegen der geringeren Verlausung meist vereinzelt, um mit der Zunahme der Verlausung in der kalten Jahreszeit zu mehr oder weniger ausgebreiteten Epidemien zu führen.

Wie bei anderen ansteckenden Krankheiten so waren auch für die Verbreitung des Fleckfiebers unter der bürgerlichen Bevölkerung die Verkehrsverhältnisse bestimmend. Die eigentliche Verkehrszeit ist im westlichen Rußland der Winter, das Hauptverkehrsmittel ist der Schlitten. Auf den meist sehr schlechten, nur selten befestigten Straßen können Lasten im Sommer mittels Wagen nur schwer befördert werden. Dagegen zieht namentlich die Handel treibende Bevölkerung während des Winters weit im Lande umher. Sie kennt abkürzende Winterwege, die über die zugefrorenen Sümpfe und Flüsse führen und mit der mächtigen Schneedecke gute Schlittenbahnen bieten.

Bei näherem Erkunden war es meist möglich, im nördlichen Litauen und auch in Kurland anscheinend ohne Zusammenhang mit früheren Erkrankungen vorkommende Fleckfieberfälle auf Zuwanderung zurückzuführen.

Daß Fleckfiebererkrankungen gelegentlich scheinbar ohne irgendeinen Zusammenhang mit früheren Erkrankungen vorkommen, erklärt sich auch daraus, daß die Krankheit gar nicht selten bei der einheimischen Bevölkerung ohne die schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens verläuft, die bei Deutschen nie vermißt wurde. Besonders bei Kindern ist dies der Fall, aber auch Erwachsene kann man mit hohem Fieber, hochrotem gedunsenen Gesicht herumsitzend antreffen, die nur schwer zu bewegen sind, das Bett aufzusuchen.

Nachdem Klarheit über die epidemiologische Eigenart des Fleckfiebers gewonnen war, war es als eine der dankbarsten Aufgaben, die Seuche planmäßig zu bekämpfen. Von den russischen Ärzten scheint in der Beziehung wenig geschehen zu sein, man sperrte meist Ortschaften, in denen Fleckfieber auftrat, scharf ab, bis die Seuche erloschen war, konnte sich aber zu aktivem Vorgehen nicht aufschwingen. Es erregte daher bei der einheimischen Bevölkerung Verwunderung, wenn deutsche Ärzte beim Ausbruche von Fleckfieber weither kamen und die Sanierung der Ortschaft in Angriff nahmen. Daß ein derartiges Interesse der armen Bevölkerung entgegengebracht wurde, war ihr neu; es diente dazu, ihr Vertrauen in die deutschen Maßnahmen zu stärken und sie gegen ihr anfangs unverständliche und unbequeme Maßnahmen willig und gefügig zu machen. Wie wenig Verständnis die einheimischen Ärzte dem Fleckfieber entgegenbrachten, geht wohl am besten daraus hervor, daß, als eine Meldepflicht an- [537] steckender Krankheiten eingeführt und desinfektorische Maßnahmen vorgeschrieben wurden, vielfach von einheimischen Ärzten große Mengen von Formaldehyd angefordert wurden, um die Räume, in denen Fleckfiebererkrankungen vorgekommen waren, zu desinfizieren. Dem russischen Arzt und dem Feldscher, der ihn meist auf dem Lande ersetzte, war eben das Verständnis, daß je nach der Eigenart einer Infektionskrankheit verschiedene Bekämpfungsmaßnahmen angezeigt sind, noch nicht aufgegangen.

Für den Verlauf der einzelnen Erkrankung war es von ausschlaggebender Bedeutung, daß, nachdem erkannt war, daß läusefreie Fleckfieberkranke in lausefreier Umgebung völlig harmlos sind, darauf verzichtet werden konnte, sie in besondere Lazarette unter Zumutung oft recht anstrengender Transporte zu verbringen. Es wurden in der Folgezeit in der betreffenden Ortschaft geeignete Häuser für die Fleckfieberkranken hergerichtet und die Bevölkerung planmäßig entlaust. Die Zahl der Todesfälle war dann eine verschwindende.

Damit bei einer so gefährlichen und leicht übertragbaren Krankheit sichere Erfolge erzielt werden, bedarf es einer exakt arbeitenden Desinfektion. Arbeitet diese nicht völlig einwandfrei, so ist sie allerdings eine große Gefahr. Es ist daher nicht statthaft, das, was während des Krieges in dem gut disziplinierten deutschen Heere bei strenger Aufsicht durchgeführt und erreicht werden konnte, ohne weiteres zu verallgemeinern; gerade in der Seuchenbekämpfung muß es zu den verhängnisvollsten Fehlschlägen führen, wenn Ergebnisse, die unter bestimmten Verhältnissen erzielt wurden, ohne weiteres auf andere Verhältnisse übertragen werden.

Ähnlich dem Fleckfieber war der Rückfalltyphus den deutschen Ärzten bei Kriegsbeginn praktisch so gut wie unbekannt, nur daß die Diagnosenstellung infolge des typischen Fieberverlaufes sehr viel leichter war und durch Nachweis der Rekurrensspirochäten im Blute eine feste Basis hatte. Auch war bereits aus früher in Deutschland gemachten Erfahrungen bekannt, daß die Verbreitung des Infektionsstoffes durch Ungeziefer erfolgt. Unter der einheimischen Bevölkerung des Kriegsgebietes war diese Seuche nicht endemisch. Sie wurde im ersten Jahre, als die Entlausung noch nicht genügend planmäßig durchgeführt wurde, gelegentlich in Gefangenenlager eingeschleppt. Die Erkrankungsziffer war dann bei der meist engen Belegung sehr bedeutend, die Sterblichkeit dagegen gering.

Hinsichtlich der Erkrankungen stand an der Ostfront die Malaria an erster Stelle. Während im Norden fast ausschließlich die Febris tertiana und nur vereinzelt daneben das Quartanfieber beobachtet wurde, wurde im Südosten und besonders auf dem Balkan und auf dem asiatischen Kriegsschauplatz die bösartige Febris tropica festgestellt. Das häufige Verschieben der Truppenteile bewirkte, daß verschiedene Malariaformen nebeneinander vorkamen und daß an Stellen, die bis dahin malariafrei waren, nach dem Verschieben Malaria gehäuft auftrat. So war besonders auffallend, daß im Norden vielfach frische Malariafälle festgestellt wurden zu einer Jahreszeit, zu der von einer Mückenplage noch keine Rede [538] sein konnte. Es handelte sich dann stets um Truppenteile, die im Herbst in Malariagegenden gewesen waren. Es muß daher als sicher angenommen werden, daß gar nicht selten die Infektion lange Zeit, vielfach mehrere Monate latent verläuft und erst beim Hinzutreten irgendwelcher die Widerstandskraft schädigender Einflüsse hervortritt. Diese verspätet auftretenden Fieberanfälle spielen jedenfalls eine größere Rolle, als vordem angenommen wurde.

Mehrfach sind auf dem östlichen Kriegsschauplatze auch Trichineninfektionen festgestellt worden, die in Deutschland selten zur Beobachtung kommen. Bei der primitiven Art der Schweinehaltung in Litauen und dem polnischen Gebiete ist es nicht zu verwundern, daß auch diese hinsichtlich der Differentialdiagnose gegen Typhus und Fleckfieber Schwierigkeiten machende Erkrankung gelegentlich vorkam. Der ausgesprochene Charakter des mikroskopischen Blutbildes gab dann Veranlassung, Muskelstückchen mittels Harpune zu entnehmen, in denen die wandernden Trichinenembryonen nachgewiesen werden konnten, wodurch die Abgrenzung gegenüber den Erkrankungen mit ähnlichen klinischen Erscheinungen gesichert war.

Die Geschichte der ärztlichen Kriegswissenschaft wird auf ihren Blättern die Leistungen der deutschen Ärzte auf dem Gebiete der Hygiene nicht vergessen. Mit diesen Leistungen haben die deutschen Ärzte nur den Dank abgestattet, den sie ihren Lehrern und Meistern, vor allem einem Robert Koch und seinen Schülern, schuldig sind.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte