Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 6:
Feldsanitätswesen
(Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt
3. Wissenschaftlicher Teil.
(Forts.)
Haut- und Geschlechtskrankheiten.
(Von Dr. A. Sommer, Altona.)
Während die meisten Spezialgebiete der Medizin sich für die
wissenschaftlichen Fragen in einem kommenden Krieg schon in Friedenszeiten
vorbereitet hatten, waren derartige Vorkehrungen für das Gebiet der
Haut- und Geschlechtskrankheiten nicht getroffen worden. Man hatte mit so einer
langen Dauer des Krieges nicht gerechnet, insbesondere nicht daran gedacht,
daß während eines jahrelangen Stellungskampfes in Feindesland
unbedingt nähere Berührung der Soldaten mit der
Zivilbevölkerung stattfinden mußte, die vor allem die Gefahr
geschlechtlicher Infektion in hohem Maße in sich barg. Die
Erkrankungsziffer für Geschlechtskrankheiten war zu
klein - fünfjähriger Durchschnitt 1907/12:
19,9 -, als daß in dieser Hinsicht Bedenken hätten
erhoben werden müssen.
Daher bedurfte es besonderer Arbeit, die sich den neuen Verhältnissen
anpassen mußte, um eine eigene Kriegshygiene der Geschlechtskrankheiten
durchzuführen.
Sie gliederte sich in zwei Gebiete: Behandlung der geschlechtskranken Personen
unter den deutschen Heeresangehörigen sowohl wie der
Zivilbevölkerung, und Verhütung der Geschlechtskrankheiten bei
beiden Gruppen.
Beim Ausrücken der Truppen im August 1914 blieben die
Geschlechtskranken zurück, sie folgten erst nach, nachdem sie geheilt
waren. Während des Bewegungskrieges war der Zugang aus
verständlichen Gründen gering. Aber schon Anfang 1915, nach dem
Übergang zum Stellungskriege, trat die Notwendigkeit der Einrichtung von
Speziallazaretten für Geschlechtskranke hervor. [524] Ein Teil der Soldaten
hatte sich gelegentlich von Urlauben in der Heimat oder durch
Geschlechtsverkehr mit der weiblichen Bevölkerung im besetzten Gebiet
infiziert. Zugang im ersten Kriegsjahr beim Feldheer 15,2.
Die Abteilungen für Geschlechtskrankheiten, welche zunächst
Feldlazaretten angegliedert waren und meist dicht hinter der Front lagen, wurden
sehr bald in das rückwärtige Etappengebiet verlegt und dort als
Sonderlazarette mit Fachärzten als behandelnden Ärzten eingerichtet.
Die Kranken wurden hier nach den Erfahrungen der modernen Wissenschaft
behandelt. Je nach der Kampftätigkeit der einzelnen Armeen kehrten die
Kranken zur Nachuntersuchung bzw. Nachbehandlung in die Speziallazarette zu
bestimmten Zeitpunkten zurück, so daß jedem Kranken die
Möglichkeit zur ausreichenden Behandlung und endgültigen Heilung
gegeben war. Um die Ansteckungsquelle zu erfassen, wurde jeder Kranke nach
der Infektionsquelle gefragt, damit man ihrer habhaft werden und weitere
Infektionen verhindern konnte (Meldedienst). - So entstand auch bald die
Notwendigkeit im besetzten Gebiet, Lazarette für geschlechtskranke Frauen
einzurichten.
Jede Armee wies bald ein oder mehrere dieser Lazarette auf, in denen die Frauen,
ebenfalls von deutschen Fachärzten unter Mithilfe von Ärzten der
Zivilbevölkerung, streng abgesondert, behandelt und erst nach
vollkommener Heilung wieder entlassen wurden. In diesen Frauenlazaretten
wurde großes Gewicht auf wirtschaftliche Betätigung der Frauen
gelegt, wie landwirtschaftliche Arbeit, Näh- und Handarbeit usw.,
um sie möglichst an Arbeit zu gewöhnen und aus den Armen der
Prostitution zu befreien. Aber nicht nur durch eine intensive Behandlung konnte
man eine Verminderung der Geschlechtskranken erreichen, sondern vor allen
Dingen durch hygienische Maßnahmen. Durch belehrende und
aufklärende Vorträge wurden den Soldaten immer wieder die
Gefahren der Geschlechtskrankheiten für die Gesundheit des einzelnen und
das Glück der Familie vorgehalten. Die geschlechtliche Enthaltsamkeit
wurde den Soldaten dadurch erleichtert, daß öffentliche
Schaustellungen verboten wurden, welche geeignet waren, Sinnlichkeit und
Geschlechtslust zu erwecken; ebenso wurden Wirtschaften und Kaffees mit
Damenbedienung geschlossen. Absteigequartiere und Kuppelei wurden
aufgehoben; die Wohnungen der Prostituierten und Bordelle wurden aus der
Nähe von Kasernen und Massenquartieren weggelegt. Durch
Anschläge auf Bahnhöfen, in Quartieren und in Soldatenheimen
wurden die Soldaten vor dem Geschlechtsverkehr gewarnt und auf die Gefahren
der Geschlechtskrankheiten aufmerksam gemacht. Gesundheitsbesichtigungen
fanden alle 14 Tage bis 4 Wochen statt. Um den Soldaten Gelegenheit zu geben,
sich fachärztlich beraten zu lassen, wurden in den größeren
Städten Beratungsstellen und Ambulatorien eingerichtet. Den Soldaten,
welche es wünschten, wurden Schutzpackungen gegen
Geschlechtskrankheiten ausgehändigt.
[525] Ebenso wie für
die deutschen Heeresangehörigen bestanden auch für die
Zivilbevölkerung bestimmte Richtlinien für die Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten. Als Prostituierte galt jede Frauensperson, welche
nachweislich mit mehr als einem Manne verkehrte; das
Gewerbsmäßige spielte keine Rolle, allein der rein hygienische
Standpunkt war maßgebend. Um eine geregelte
Prostitutionsüberwachung durchführen zu können, brauchte
man eine Sittenpolizei, welche dem Sittenpolizeiarzt (Facharzt) als
ausführendes Organ zur Auffindung der Infektionsquelle und zur
Vorführung der Prostituierten zur Verfügung stand. Jede
Frauensperson, bei der die Kontrolle für notwendig befunden wurde, wurde
auf Verlangen des Sittenpolizeiarztes von dem Kommandanten unter Kontrolle
gestellt und bekam ein Kontrollbuch, das Personalbeschreibung der Inhaberin,
Lichtbild und eine Bescheinigung über jede Untersuchung durch den Arzt
enthielt. Die Prostituierten wurden wöchentlich zweimal untersucht.
Die Soldaten wurden vor dem Einlaß in die sittenpolizeilich scharf
überwachten Bordelle einer Gesundheitsbesichtigung durch einen
Sanitätsunteroffizier unterzogen und konnten beim Verlassen des Hauses
durch den Sanitätsunteroffizier prophylaktische Maßnahmen an sich
vornehmen lassen.
Nicht nur den Frauen in Feindesland wurde ärztliche Hilfe gewährt,
sondern es wurden auch Lazarette für Männer der feindlichen
Bevölkerung eingerichtet, um so einen geschlossenen Ring in der
Behandlung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten zu erzielen. Den
landeseingesessenen Ärzten und Apothekern wurde die Behandlung von
Geschlechtskrankheiten untersagt. Um die Frauen des besetzten Gebiets vor der
Prostitution zu bewahren, setzte in verschiedenen Armeen bald eine rege
Fürsorgetätigkeit, welche zum Teil von seiten der deutschen
Behörden, zum Teil auch unter Mitwirkung der landeseingesessenen
Zivilverwaltung arbeitete, ein. So manches junge Mädchen in Feindesland
ist durch diese Fürsorgetätigkeit vor dem moralischen Fall bewahrt
geblieben und hat sich seine Gesundheit erhalten. Andere wieder sind auf einen
geordneten Lebensweg zurückgeführt worden.
Wenn es eine Zeitlang auch den Anschein hatte, als hätten die
Geschlechtskrankheiten während des Krieges stark zugenommen, so
wurden durch die oben angeführten Maßnahmen doch bald ein
Stillstand erreicht. (Zugang im zweiten Kriegsjahr beim Feldheer 15,8, im
dritten 15,4, im vierten 20,2.) Es waren auch schon Vorkehrungen
getroffen worden, die das Einschleppen der Geschlechtskrankheiten nach
Deutschland bei der Demobilisierung verhindert hätten. Im Herbst 1918
kehrte jedoch bei der überstürzten Demobilisierung ein Teil noch
ansteckender Geschlechtskranker aus dem Felde nach Deutschland zurück
und entzog sich jeder ärztlichen Nachuntersuchung und Behandlung.
Darauf ist zu einem gewissen Teil die starke Verbreitung der
Geschlechtskrankheiten nach dem Kriege zurückzuführen.
|