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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 6: Feldsanitätswesen   (Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt

3. Wissenschaftlicher Teil.   (Forts.)

Nerven- und Geisteskrankheiten.
(Von Oberstabsarzt Dr. Weyert, Berlin.)

Im folgenden sollen diejenigen Formen der Gehirn- und Nervenkrankheiten besprochen werden, hinsichtlich derer der große Krieg besondere Erfahrungen gebracht hat oder deren Lehre durch die Beobachtungen im Kriege wesentlich erweitert worden ist. Es bleiben also grob-mechanische Verletzungen [512] des Gehirns und Rückenmarks mit Verlust oder Zerstörung wichtiger Zentren, Nervenbahnen usw. und deren Folgezustände (Störung oder Verlust der Sprache, des Gesichts, Gehörs, Lähmungen aller Art usw., Siechtum infolge geistiger Verblödung usw.) außer Betracht.

Mit der Bezeichnung "Kriegsneurosen" werden nach einem im Kriege eingebürgerten Gebrauch alle - schon aus dem Frieden bekannten - funktionellen Störungen des Nervensystems bezeichnet.

Die physiologischen Erscheinungen der Ermüdung hat jeder Kriegsteilnehmer an sich selbst beobachtet. Sie konnten, besonders nach langdauernden, starken körperlichen und seelischen Anstrengungen, einen recht erheblichen Grad erreichen; charakteristisch für diese physiologische Ermüdung war aber die Ausgleichbarkeit durch einen Urlaub; ja bereits im Ruhequartier schwanden die Erscheinungen rasch.

Schwerer zu bewerten waren bereits die Erschöpfungserscheinungen im Sinne der Neurasthenie Beards. Die Erscheinungen charakterisieren sich als hochgradiges Erschöpfungsgefühl, Versagungsgefühl, als schwere, dauernde Ermüdungserscheinungen mit Nachlassen der Spannkraft. Infolge des Fehlens eines ruhigen Ausgleichs zeigte sich ein Krankheitsbild von Schlaflosigkeit, innerer Unruhe, innerer Spannung, Gefühl banger Erwartung; dabei Stimmungswechsel, besonders Depression, Weinerlichkeit; allgemeine Apathie, Interesselosigkeit usw. Diese Erschöpfungserscheinungen konnten naturgemäß nur bestimmte Organe treffen; am bekanntesten sind die Herzneurose und die Neurosen des Magen- und Darmkanals. Diese Organneurosen können derart das Krankheitsbild einer organischen Erkrankung des Herzens bzw. Magen-Darm-Kanals darbieten, daß die zugrunde liegende allgemeine Neurasthenie übersehen oder nicht genügend beachtet wird. Oft fällt es recht schwer, eine organische Erkrankung auszuschließen, da ja die Organneurosen oft dieselben Symptome zeigen, die den organisch bedingten Erkrankungen eigen sind. So wurden während des Krieges häufig Fehldiagnosen gestellt, und die späteren Untersuchungen ergaben, daß z. B. von Herzmuskelschwäche keine Rede war, vielmehr eine nervöse Störung zugrunde lag.

Einer Dauerermüdung, sei es allgemeiner Natur (Neurasthenie), sei es einer solchen bestimmter Organe (Organneurosen, Herzneurosen, Magen-Darmneurosen usw.) bei einem vorher nervengesunden Menschen stehe ich durchaus skeptisch gegenüber; in diesen Fällen handelt es sich nach meiner Überzeugung entweder um eine auf inneren Ursachen beruhende Nervosität bzw. Hysterie, die schon vorher bestanden hat, oder aber zum mindesten um eine psychophysisch minderwertige Struktur der betreffenden Organe (siehe S. 514).

Nur in einem Falle blieb ohne weiteres eine unmittelbare Kriegsschädigung zweifelsfrei: bei den Neurosen nach Gehirnerschütterung, den sog. Kommotionsneurosen. Bei schwerer, grob-mechanischer Gewalteinwirkung auf den Schädel, [513] einem Aufschlagen des Kopfes, Weggeschleudertwerden des ganzen Körpers mit direkten oder indirekten Insulten auf den Schädel kommt es erfahrungsgemäß zu einer - klinisch gesprochen - Gehirnerschütterung, die anatomisch durch molekulare Veränderungen der Gehirnmasse bedingt ist, zu kleinen und kleinsten Blutungen mit Lähmungen, Sprachstörungen, Doppeltsehen. Es besteht anfangs eine mehr oder weniger lange andauernde tiefe Bewußtlosigkeit mit nachfolgender, oft über das Ereignis hinausreichender Erinnerungslosigkeit. Erbrechen, schwere Kopfschmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl, Mattigkeit, langsame Erholung werden selten vermißt. Auf dieser Grundlage entwickelt sich dann häufig ein neurasthenischer Symptomenkomplex mit leicht hypochondrischen Zügen, depressiver Verstimmung, Neigung zum Weinen und Veränderungen des Pulses. Recht bemerkenswert ist die psychische Unbeeinflußbarkeit, das allmähliche Abklingen oft erst nach vielen Wochen und die Neigung zum Rückfall.

Es muß aber eine Gehirnerschütterung wirklich vorangegangen sein; und schwere Folgezustände der geschilderten Art werden nur dann anzunehmen sein, wenn auch die Gehirnerschütterung wirklich erheblich war. Das betreffende Individuum wird sich also in Lazarettbehandlung, zum mindesten in Revierbehandlung für längere Zeit befunden haben. Ich erwähne dieses deshalb, weil die Bezeichnung "Kopfschuß", der wir so häufig bei ehemaligen Kriegsteilnehmern begegnen, oft irreführt. Der Laie nennt auch die oberflächlichste Weichteilverwundung oder Verletzung im Gesicht oder am Kopf "Kopfschuß". Die genaue Erhebung der Vorgeschichte wird oft ergeben, daß der Betroffene nach der Verwundung überhaupt nicht bewußtlos war, sogar zu Fuß eine lange Entfernung zum nächsten Hauptverbandplatz, zum Feldlazarett zurücklegen konnte, ja nicht selten überhaupt bei der Truppe verblieb. Hier handelt es sich also bei später behaupteten Folgezuständen nicht um eine organisch bedingte Erschütterungs- (Kommotions-) Neurose, sondern vielmehr um psychogene Symptome, die sich nicht selten auch auf die oben geschilderten, anatomisch bedingten Krankheitserscheinungen aufpfropfen.

Ebenso wie eine Erschütterung des Gehirns gibt es auch eine Erschütterung des Rückenmarks, gleichfalls mit Schädigung der Marksubstanz. Hier gilt im wesentlichen dasselbe wie bei der Gehirnerschütterung.

Bereits erwähnt habe ich die endogene Nervosität und Hysterie. Die Trennung beider ist nicht immer möglich, ist oft nur willkürlich. Beide Krankheiten gehen ineinander über. Das Charakteristische beider besteht eben darin, daß sie ausgesprochen auf inneren Ursachen beruhen, also endogen, nicht exogen bedingt sind. Charakteristisch für sie ist die allgemeine Herabsetzung der geistigen Leistungsfähigkeit, die reizbare Schwäche, infolge deren der Mensch auf Eindrücke der Außenwelt und auf Störungen seines Körpers viel stärker und kräftiger reagiert als ein Gesunder, die Beeinflußbarkeit, die Schwankungen der Stim- [514] mungen, der Überschwang des Empfindens, die einseitige Gefühlsbetonung, wozu bei dem Hysteriker noch ein Bedürfnis zur Pose, seine Begeisterungsfähigkeit für alles Unerwartete, Ungewöhnliche, der Mangel für objektive Kritik, der hysterische Charakter hinzukommt.

Im Kriege traten diese Neurosen in zwei Formen in Erscheinung: als Schreckneurosen und als eigentliche Unfallneurosen. Zur ersten Gruppe gehörten die meist nach einer starken seelischen Erschütterung (Verschüttung, Granateinschlag usw.) akut einsetzenden Zustände von Taubheit, Stummheit, Lähmungen bzw. Reizzuständen und Zuckungen einzelner Muskelgruppen (Zitterer, Schütteler, Torkeler) mit ihrer ungeheuren Mannigfaltigkeit. Während aber bei dem Gesunden alle diese Schreckwirkungen als reflektorische Erscheinungen rasch abklingen, trat bei dem Neurotiker eine Festsetzung der ursprünglichen Erscheinungen ein. Im Gegensatz zu dieser Schreckneurose entwickelten und steigerten sich die eigentlichen Unfallneurosen immer mehr. Die Kranken zeigten ein mürrisches, verdrossenes, querulierendes Verhalten und neigten immer mehr zur Übertreibung und Simulation. Solche Fälle wurden meist, wie auch schon im Frieden, nach ganz leichten Verletzungen beobachtet; außerdem bei einer Unzahl von Herz-, Magen-, Darm-, Ischias-, Rheumatismuskranken.

Schreckwirkungen, die das im Frieden Gewöhnte ganz beträchtlich übertreffen, sind an und für sich noch nichts Krankhaftes; pathologisch ist - wie gesagt - erst die Festsetzung der ursprünglichen Erscheinungen. Um dieses näher zu erläutern und verständlich zu machen, möchte ich ausgehen von der Frage: "Was brachte der Krieg?" Er brachte:

  • Eine Häufung enormer körperlicher und seelischer Strapazen (körperliche Anstrengungen, Schlafenthaltung, Ernährungsstörung, Einfluß von Kälte und Hitze, Schreck, Aufmerksamkeitsanspannung mit Angst und Furcht); dazu
  • eine Unsumme von schweren und schwersten Verletzungen, mit denen der ganzen Lage nach seelische Erregungen fast immer verknüpft sein mußten; ferner
  • eine ebenfalls außergewöhnlich große Zahl von ausschließlichen Traumen akuter und chronischer Art; endlich
  • sehr viele Fälle, bei denen die Möglichkeit einer Verletzung am Körper neben einem starken psychischen Schock vorlag.

Alle diese Schädigungen hätten, nach der allgemeinen Laienauffassung, imstande sein können, schwere Neurosen zu erzeugen. Vom ärztlichen Standpunkt ist aber einer derartigen Auffassung entgegenzuhalten: Die Zahl der im Kriege erworbenen Neurosen war und ist verhältnismäßig klein, so weit es sich um begründete Einwirkung von Kriegsschädigungen handelte; verhältnismäßig selten traten Symptome von Neurosen bei Soldaten mit schweren Körperverletzungen auf; und Schreckneurosen und Unfallneurosen wurden in den Gefangenenlagern kaum beobachtet, obgleich in den feindlichen Heeren genau wie in Deutschland, wahrscheinlich häufiger, die erwähnten Neurosen vorgekommen sind.

[515] Im Gegensatz zu früheren Auffassungen verlegte man im Verlauf des Krieges den Schwerpunkt der Krankheitserscheinungen der Neurosen immer mehr in die psychischen Vorgänge. Die Mehrzahl der klinischen Bilder nach einer Schockwirkung ist rein psychogen, und alle beobachteten Symptome ordnen sich ein in Zustände, deren krankhafte Entstehung nach den klinischen Erfahrungen aus Kriegs- und Friedenszeit als psychisch bedingte Zustände angesehen werden müssen. Ob der erste, die Krankheitserscheinungen festlegende Vorgang nicht bewußt ist und im Affekt liegt, ob ein unbewußt wirkender, durch die Stammesentwicklung bedingter (phylogenetischer) Instinkt, Selbsterhaltungstrieb usw. unklar, gefühlsmäßig, instinktmäßig sich geltend macht und fixierend wirkt, bei allen den Fällen, in denen die hochentwickelte Neurotikerbehandlung keine Beseitigung der Symptome erzielen konnte, war nach meiner Überzeugung die Festlegung der Erscheinungen durchaus bewußt. Hier war die Schreck- und Unfallneurose mit Recht eine Zweckneurose: die "Flucht in die Krankheit" schützte vor einer erneuten Rückkehr ins Feld. Und allmählich richteten sich die Begehrungsvorstellungen auf die Rente. Die Rente wurde eben das Ziel der Zweckneurose. Also genau die gleichen Verhältnisse wie im Frieden bei der Friedensunfallneurose, diesem Produkt der sozialen Gesetzgebung, die jetzt begünstigt wird durch die heutigen traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse. Bei dem Mangel an Arbeitsmöglichkeiten soll die Rente den Lebensunterhalt ermöglichen. Für den Laien und auch für den Mediziner ist es nicht leicht, sich alle diese krankhaften Erscheinungen als rein seelisch bedingt zu erklären, und doch ist durch die Hypnose bekannt, welche tiefgehenden, scheinbar organisch bedingten Veränderungen willkürlich hervorgerufen und ebenso rasch zum Schwinden gebracht werden können.

Bei den Kriegsneurosen kamen noch weitere Momente hinzu. In der ersten Zeit des Krieges gelangten diese Kranken regelmäßig in die Heimat. Man konnte beobachten, wie ungünstig gerade die Heimat auf die weitere Entwicklung einwirkte. Planloses Mitleid und Verweichlichung setzten ein, das Bestreben der Familie, diesen scheinbar so schwer geschädigten Nervenkranken zu hegen, zu pflegen und alle Schädlichkeiten von ihm fernzuhalten. Galt doch der Nervenschock als etwas fast Mystisches, und noch nach dem Kriege konnte man beobachten, wie reichlich all diesen Schüttlern, Zitterern Gaben zuströmten. Wäre großzügig die Allgemeinheit dahin aufgeklärt worden, daß es sich hier um Lebensschwächlinge handelt, daß Nervenschock weiter nichts besagt als Schreckwirkung, von der sich der Befallene nicht loslösen will oder kann, so hätten die Kriegsneurosen rasch abgenommen. Das zeigte die Erfahrung, als am Schluß des Krieges die Neurotiker nicht mehr bis in ihre Heimat gelangten, vielmehr in Sonderlazaretten, meist schon in der Etappe, ihrer Individualität entsprechend behandelt wurden. Die Erfolge dieser Neurotikerlazarette waren vorzüglich. Es gelang so manchen Neurotiker zu heilen, d. h. die krankhafte [516] Reaktion auf ein schreckbetontes Ereignis zu beseitigen bei Fällen, die in der ersten Zeit des Krieges als kriegsunbrauchbar mit Rente entlassen und später zur Behandlung wieder eingezogen worden waren.

Wenn dieses nicht immer gelang, so waren eben die Rentenbegehrungsvorstellungen stärker als alle Therapie. In nicht wenigen Fällen traten auch erst neurotische Erscheinungen zutage, nachdem die Betreffenden wegen irgendwelcher leichten Erkrankungen oder Verwundungen in die Heimat gelangt waren und hier die verständliche, wenn auch unmännliche Scheu vor einem erneuten Hinausgehen in das Feld sich geltend machte. Geistvoll wurde einst gesagt: bei dem Neurotiker ist die Schwere der Erkrankung umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung von der kämpfenden Truppe. Dieses gilt einerseits für alle, die hinter der Front, in der Etappe, in der Heimat Dienst taten und prozentual viel stärker an Kriegsneurosen erkrankten als die Grabenkämpfer; andererseits lehrte die Erfahrung, daß die neurotischen Erscheinungen statt besser, immer schwerer wurden, je mehr sich der Betreffende der Heimat näherte.

Ich habe im vorhergehenden vielleicht zu sehr das akute Ereignis als krankheitsauslösend betont. Das ursächliche Moment ist nicht immer ein akut, sondern nicht selten ein chronisch wirkendes, d. h. es wird in dem ersten Falle sich mehr um Schreckneurosen, im letzteren Falle mehr um Unfallneurosen handeln. Dem Trauma als exogenem, d. h. von außen her wirkendem Faktor steht die geistige und körperliche Verfassung des Betroffenen als bedeutsames inneres Moment gegenüber. Neurotische Zustände entwickeln sich um so intensiver und rascher, je geringer die Widerstandskraft des Betroffenen ist. Nicht immer war die Verschlechterung der Konstitution erworben, speziell nicht draußen erworben durch Überanstrengung, Strapazen, Erschöpfung, sondern es waren doch unter den Kriegsteilnehmern eine erhebliche Zahl leistungsverminderter Menschen. Hier standen vorangegangene körperliche Krankheiten, Infektionen, Alkohol und Tabakmißbrauch neben den angeborenen Dispositionen der Psychopathen. Diese psychischen Vorbedingungen, die der einzelne in den Krieg mitbrachte, waren vielleicht das allerentscheidendste Moment. Nur insofern kann heute noch die früher weit übertriebene Bedeutung der Erblichkeit interessieren, als "Belastung" eine Verschlechterung der "psychophysischen Struktur" mit sich bringt. Die weiteren Beobachtungen in und vor allem nach dem Kriege zeigen völlig beweisend, daß die psychopathische Konstitution, die seelische Unterwertigkeit oder Minderwertigkeit Grundlage der oben geschilderten Störungen ist, daß alle geschilderten exogenen Faktoren gegenüber der Anlage nur eine verhältnismäßig untergeordnete Bedeutung besitzen.

Durch die hochentwickelte Neurotikerbehandlung gelang es immer mehr, die akuten, scheinbar so schweren Schreckfolgen zu beseitigen, oft in einer einzigen hypnotischen Sitzung. Der weitere Lebenslauf des Mannes beim Militär, in Lazaretten ließ dann jedoch immer deutlicher die psychopathische Konstitution [517] zutage treten. Man muß sich vergegenwärtigen, daß im Frieden durch das jahrelange enge Beieinanderleben in der Kaserne, vorher schon durch die Musterungen, durch die Möglichkeit einer guten Erhebung der Vorgeschichte, die engen Beziehungen der Truppenärzte zu ihrer Formation es ungleich leichter gelang, den Psychopathen frühzeitig als solchen zu erkennen. Mit den ganz anderen Verhältnissen im Kriege lernten die Vorgesetzten, wohl auch die Kameraden, den einzelnen weniger genau kennen; es sind daher in zahllosen Fällen psychopathische Erscheinungen übersehen oder doch den Ärzten nicht bekannt geworden. Für manchen Psychopathen aber war der Krieg ein "Stahlbad"; so mancher erschien anfangs in keiner Weise auffällig und ließ erst, nachdem die anfängliche Begeisterung, das Neuartige, das Reizvolle verflogen war, psychopathische Züge hervortreten. Durchaus folgerichtig vertrat daher das preußische Kriegsministerium die Auffassung, daß die Grundlage aller dieser Schreck- und Unfallneurosen eine psychopathische Konstitution sei, daß durch einen Unfall (Verschüttung, Granatexplosion usw.) bestimmte Erscheinungen als Reaktionen ausgelöst werden und daß nur für diese Erscheinungen Dienstbeschädigung oder Kriegsdienstbeschädigung anzunehmen sei. Waren diese Erscheinungen (z. B. hysterische Stummheit, Taubheit, Bewegungsstörungen) beseitigt, so war auch die Dienstbeschädigung ausgeglichen. Für die zugrunde liegende psychopathische Konstitution, die naturgemäß unverändert weiter bestand, lag eine Dienstbeschädigung nicht vor. Nach den Kriegserfahrungen halte ich für erwiesen, daß als Grundlage der Kriegsneurosen eben die psychopathische Konstitution, zum mindesten eine Verschlechterung der psychophysischen Struktur vorgelegen hat, auf deren Boden bzw. durch die überhaupt erst die Festlegung von Schreckeindrücken usw. in neurotischem Sinne möglich wurde.

Es ist nachdrücklich zu berücksichtigen, daß die jetzigen sozialen Zeitverhältnisse, der Zerfall des früheren Autoritätsstaates und der jetzt völlig verkannte Begriff der persönlichen Freiheit Hemmungen in Fortfall gebracht haben, die früher eben durch den Autoritätsstaat geschaffen waren. Nach meiner Überzeugung wird also weniger der Krieg mit seinen unmittelbaren Schädigungen psychisch auffällige Erscheinungen bedingt haben, als vielmehr indirekt der verlorene Krieg und die Revolution mit ihren Folgen.

Es liegen also soziale Schädigungen vor, die nicht im eigentlichen Sinne von dem Arzt zu würdigen sind.

Ebensowenig brachte der Krieg naturgemäß etwas Neues über die psychischen Defektzustände, den angeborenen Schwachsinn. Alle die Elemente, die im Frieden vom Heeresdienst ausgeschlossen wurden, konnten nicht vom Kriegsdienst zurückgestellt werden, schon allein deshalb nicht, weil das Musterungsgeschäft weniger gründlich war. Es reagierte also der Schwachsinnige genau so, wie schon früher, abnorm auf außergewöhnliche Anlässe, der empfindliche (erethische) Imbezille durch Erregungszustände, Verwirrtheitszustände, Davon- [518] laufen usw., der schlaffe (torvide) Imbezille durch gesteigerte depressive Erscheinungen (Selbstmordversuche). Der Schwachsinn selbst blieb genau so, wie die psychopathische Konstitution, durch den Krieg unbeeinflußt. Die anerkannte Dienstbeschädigung bezieht sich, wie nochmals zum Schluß nachdrücklich hervorgehoben sei, immer nur auf die ausgelöste Reaktion. Ich erkenne an, daß es für den Laien schwer ist, sich diese rein medizinischen Folgerungen zu eigen zu machen. Er wird geneigt sein, in all diesen geschilderten Neurotikern, Psychopathen reine Kriegsopfer zu sehen. Man muß sich grundsätzlich vorhalten: die psychopathische Konstitution als biologische Grundlage, jedoch als Ursache heute noch bestehender Fixation der mannigfachen neurotischen Äußerungen; die sozialen Zeitverhältnisse; die Rentenbegehrungsvorstellungen, den schädigenden Einfluß planlosen Mitleids. Dann wird auch der Laie nicht immer den Krieg verantwortlich machen für jede Nervenerkrankung, jede nervöse Störung, sondern wird sich eine mehr kritische, objektive Auffassung aneignen.

Das Verdienst des Altmeisters der Psychiatrie Kraepelin ist es, auf den einheitlichen Ausgang einer ganzen Gruppe von Geisteskrankheiten hingewiesen zu haben, die während ihres Verlaufs äußerst verschiedenartige Zustandsbilder zeigen. Er erkannte diese scheinbar so verschiedenartigen Krankheiten als eine einheitliche Psychose und benannte sie Jugendirresein (Dementia praecox), da sie fast ausschließlich das jugendliche Lebensalter, etwa bis zum dreißigsten Jahre betrifft.

Es handelt sich nun um die Fragen: Hat das Jugendirresein bei Kriegsteilnehmern einen anderen Verlauf genommen, als man es im Frieden sah und hat die Zahl der Erkrankungen zugenommen? Beide Fragen sind mit einem glatten "Nein!" zu beantworten. Das Jugendirresein beruht auf biologischen Ursachen und nimmt seinen schicksalsmäßigen Verlauf, wobei exogene Faktoren - also auch alle Schädigungen des Krieges - eine durchaus untergeordnete Rolle spielen. Das hinderte allerdings nicht, nach dem Grundsatze: in dubio pro aegroto regelmäßig dann Kriegsdienstbeschädigung anzuerkennen, wenn die ersten Erscheinungen des Jugendirreseins in unmittelbarem Anschluß an schwere Verwundungen, schwere Erkrankungen usw. sich zeigten, ein Verfahren, das ja auch schon im Frieden geübt wurde.

Die Frage, ob Gehirnerweichung oder Lähmungsirresein (Dementia paralytica), Gehirnsyphilis (Lues cerebri) und Rückenmarksschwindsucht (Tabes dorsalis) durch Kriegsstrapazen verursacht werden könnten, beschäftigte bereits nach dem Kriege 1870/71 Fachkreise. Namhafte Forscher bejahten damals diese Frage. Inzwischen hat die fortschreitende Forschung und Erkenntnis gezeigt, daß die Syphilis eine Grundbedingung der Paralyse und auch der Tabes ist; [519] ohne Syphilis keine Paralyse und keine Tabes! Die Frage kann also jetzt nur dahin lauten, ob den Kriegsschädigungen irgendein die genannten Krankheiten verschlimmernder Einfluß zuzumessen ist. Ein jeder Beobachter hatte Gelegenheit, Fälle zu sehen, in denen die Paralyse bei Kriegsteilnehmern rascher zum Tode führte, als es den Durchschnittserfahrungen entsprach. Derartige Fälle wurden auch im Frieden schon beobachtet; immerhin mag für diese ein Einfluß des geleisteten Kriegsdienstes auf das Lähmungsirresein im Sinne einer Verschlimmerung zugegeben werden. Diesen vereinzelten Fällen steht jedoch die Mehrzahl der Fälle gegenüber, in denen der Verlauf der Paralyse genau der gleiche war wie früher. Auch hat die Zahl der Paralysen nicht zugenommen. Ein Einfluß der Kriegsschädigungen auf Entstehung und Verlauf der Paralyse ist daher meines Erachtens nicht vorhanden.

Dasselbe findet im wesentlichen auf die Gehirnsyphilis Anwendung. Nur in den wenigen Fällen, in denen nach einem nennenswerten Schädeltrauma sich die Erscheinungen einer Gehirnsyphilis zeigten, ist ein Kriegseinfluß anzunehmen.

Wesentlich schwieriger liegen die Verhältnisse bei der Rückenmarksschwindsucht. Hat doch die Erfahrung lange vor dem Kriege gelehrt, daß körperliche Anstrengungen, Durchnässungen, Erkältungen den Verlauf der Tabes ungünstig beeinflussen. Mit Recht hat man daher den erwähnten Faktoren von jeher Bedeutung bei der Entstehung der Tabes beigemessen. Auch hier hat der Krieg keine restlose Klärung gebracht. Es ist unmöglich, zu entscheiden, ob nicht so mancher Kriegsteilnehmer bereits vor der Einziehung die Anfangserscheinungen des Leidens gezeigt hat, indem z. B. die schießenden Schmerzen als Rheumatismus, die gastrischen Krisen als ein Magenkatarrh gedeutet wurden; oft wurde auch absichtlich die Wahrheit verschwiegen und somit war die Vorgeschichte nicht einwandfrei. Es hat von jeher schnell und ungünstig verlaufende Fälle gegeben, ebenso wie solche von mehr stationärem Verlauf, ganz gleich, welche Berufs- und sonstigen Schädigungen der Betreffende durchzumachen hatte. Es läßt sich aber nicht bestreiten, daß so mancher Fall von Rückenmarkschwindsucht ohne die großen körperlichen Anstrengungen usw. des Kriegsdienstes vielleicht nicht entstanden wäre. Das muß jedoch mit aller Vorsicht gesagt werden. Ich habe einige Offiziere beobachtet, die trotz einer Tabes im Anfangsstadium bei der Truppe blieben, alle Schädigungen der obenerwähnten Art durchmachten, bei denen aber trotzdem das Leiden einen ausgesprochenen stationären Verlauf zeigte. Und man hat nicht beobachtet, daß die Rückenmarkschwindsucht bei Kriegsteilnehmern einen schwereren Verlauf nahm, als man es im Frieden im allgemeinen zu beobachten Gelegenheit hatte. Schließlich hat auch die Tabes - soweit von Erfahrungen berichtet worden ist - an Zahl nicht zugenommen.

[520] In Laienkreisen ist Epilepsie (genuine Epilepsie, idiopathische Epilepsie) von alters her identisch mit Krampfanfällen, eine Auffassung, die noch aus einer Zeit stammt, in der man Symptome für Krankheiten nahm. Die Krampfanfälle sind - ärztlich gesprochen - eben nur ein Symptom allgemeiner oder umschriebener Hirnkrankheit. Epileptische Krampfanfälle kommen vor bei Gehirnerweichung, Gehirngeschwülsten, Hirnabszessen, bei Hirnsyphilis, Hirnhautentzündung, Alkohol-, Blei-, Morphiumvergiftung, Zuckerharnruhr, Nierenentzündung und anderen. Unter "genuiner Epilepsie" versteht man ein chronisches, meist progressives Gehirnleiden, dessen Hauptsymptom eine anfallsweise, plötzlich auftretende Störung des Bewußtseins darstellt. Motorische und andere Reizerscheinungen sind häufig, aber keineswegs in allen Fällen vorhanden. Neben den vorübergehenden, oft aber nicht immer periodischen Anfallssymptomen zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle eine allmähliche Umwandlung des ganzen geistigen Wesens, die manchmal mehr den Charakter, in anderen Fällen auch die Intelligenz des Erkrankten betrifft (epileptische Degeneration) und bei den schweren Formen des Leidens zuletzt in hochgradigem Blödsinn von eigenartiger Färbung endet. Es handelt sich also um ein bestimmt umrissenes Krankheitsbild. Vereinzelt auftretende epileptische Anfälle sind also nicht beweisend für Epilepsie. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß im Hinblick auf das Fehlen bzw. die Schwierigkeit der Beschaffung von einwandfreien Vorgeschichten während des Krieges Zweifel berechtigt sind, ob die Diagnose Epilepsie stets zu Recht gestellt sein wird. Es ergibt sich aber noch eine weitere Schwierigkeit: die Abgrenzung der Epilepsie von der Hysterie. Hysterische Krampfanfälle sind ja dem Laien hinreichend bekannt. Man findet in den Lehrbüchern seit Jahren alle Symptome erwähnt, die den epileptischen Anfall von dem hysterischen unterscheiden: das plötzliche Einsetzen, Hinstürzen, mehr oder weniger schwere Verletzungen, besonders Bißverletzungen der Zunge und der Lippe, Abgang von Urin und Kot, Pupillenstarre, Blutungen in die Schleimhäute usw. Wertvoller als der Anfall oder die Anfälle ist das ganze psychische Verhalten als Unterscheidungsmerkmal. Zu den typischen Charakteranlagen des Epileptikers gehört seine Gewissenhaftigkeit, sein krankhaft gesteigertes Pflichtgefühl, andererseits eine krankhafte Wandertriebneigung so mancher Epileptiker, die Neigung, sich herumzutreiben und Neues zu erleben. Aus diesen Eigenschaften erklärt sich die "Kriegsfreudigkeit" so vieler Epileptiker, aus welcher Eigentümlichkeit heraus so viele ihre Krankheit verschwiegen haben und immer wieder zur Fronttruppe gelangt sind. Die epileptischen Anfälle treten auch unabhängig von äußeren Momenten auf. Bei dem Hysteriker waren die gewaltigen erregenden Momente des Felddienstes, wie starke Beschießung, Granateinschlag, Fliegerangriff usw., regelmäßig die auslösenden Gelegenheiten; bei anderen genügten schon die seelischen Erregungen des Ausbildungsdienstes, bei anderen allein schon die Tatsache der Einberufung zum Militär. Epileptische [521] Anfälle treten durchaus unregelmäßig auf; der Hysteriker demonstriert, wenn auch unbewußt, seine Symptome, auch Anfälle aus seinem Willen zur Krankheit heraus, indem die hysterische Psyche den günstigen Zeitpunkt für das In-die-Erscheinung-Treten ihrer Äußerungen wählt. Recht charakteristisch für die Mitwirkung von Willensmomenten war auch die hin und wieder gemachte Beobachtung, daß Leute, die sich im Lazarett irgendeine Disziplinwidrigkeit hatten zuschulden kommen lassen, bei welcher aber eine Bestrafung auf Wohlverhalten ausgesetzt wurde, obgleich sie vorher mehrere Anfälle bekommen hatten, keine weiteren mehr darboten.

Gleichfalls nicht der Epilepsie zuzurechnen sind die "reaktiv psychogenen" Anfälle. - Schließlich sind von der Epilepsie noch abzuzweigen die sog. "affektepileptischen" oder "reaktiv-epileptischen" Anfälle, da diese bei Psychopathen, Degenerierten, Epileptoiden als Reaktion auf äußere erregende Ereignisse auftreten.

Der Vollkommenheit halber seien auch als nicht zur Epilepsie gehörend die psychasthenischen Anfälle zu nennen, bei welchen es sich um körperlich schwache Leute mit empfindlichem Gefäßnervensystem handelt, die im Anschluß an starke körperliche Überanstrengungen, aber auch an psychische Erregungen mit einfachen Ohnmächten und mehr oder minder ausgedehnten Zuckungen zusammensinken, wobei das Bewußtsein meist nicht völlig geschwunden ist.

Die weitere psychiatrische Betrachtung des Lebens von Kranken, die wegen Tobsucht (Manie) oder wegen depressiven Irreseins in einer Anstalt waren, ergab, daß die genannten Krankheitsbilder nur Erscheinungsformen eines einzigen Krankheitsvorganges darstellten. Man benannte die Krankheit periodisches, auch zirkuläres Irresein. Sicher fällt es oft schwer, eine physiologische Reizbarkeit von der leichten Form der Manie und die physiologische Depression von dem depressiven Irresein zu trennen. Die Trennung von Weib und Kind und Heimat, die Sorgen um das Schicksal der Familie schufen eine tiefgreifende physiologische Grundlage für das Entstehen von Depressionszuständen. Jedoch tritt erfahrungsgemäß das zirkuläre Irresein nach inneren Gesetzen ohne irgendwelche erkennbare Veranlassung auf und verschwindet auch wieder. Aber es ist ja auch weiterhin keine ganz seltene Erfahrung, daß einzelne Fälle doch gelegentlich sich an einen körperlichen oder auch psychischen Insult anschließen können, an einen schweren Unfall, eine erregende Situation. Bei der langen Dauer des Krieges war es auch nicht verwunderlich, daß Fälle, die trotz früherer manisch-depressiven Beschwerden einige Zeit ungestört Dienst leisteten, doch schließlich wieder erkrankten. Immerhin war das zirkuläre Irresein selten. Nur die einzelne Attacke kann als durch den Krieg ausgelöst angenommen werden, ohne daß das manisch-depressive Irresein an und für sich in seinem gesetzmäßigen weiteren Verlauf - eben dem periodenweisen Verlaufe - beeinflußt wird.

[522] Von besonderer Bedeutung wurden im Kriege die Alkoholpsychosen. Bei der Mobilmachung wurde bekanntlich ein Alkoholverbot erlassen. Jedoch fielen den Truppen bei dem siegreichen Vordringen im Beginn des Krieges große Alkoholvorräte in die Hände, auch wurden alkoholische Liebesgaben als Schutz gegen Kälte und Nässe vielfach ins Feld gesandt. Je länger der Krieg dauerte, desto teurer und seltener wurde der Alkohol, auch wurden in den Kantinen usw. nur beschränkte Mengen abgegeben. Im Jahre 1918 hatte die Truppe dann eigentlich nur noch vorübergehend bei den Offensiven Gelegenheit, an den erbeuteten Vorräten sich zu berauschen, aber dann auch nur einzelne und diese auch nur für kurze Zeit. So waren echte Alkoholpsychosen, insbesondere Delirium tremens, Alkoholhalluzinose, Alkoholparanoia, durchaus selten.

Eine Zusammenfassung der vorstehenden Ausführungen ergibt in Kürze folgendes:

Die Geistes- und Nervenkrankheiten beruhen ausgesprochen auf Ursachen, die vom Körper selbst ausgehen, endogen sind, d. h. auf einer biologischen Anlage. Allen von außen her wirkenden exogenen Faktoren, allen Schädigungen selbst so gewaltiger Art, wie sie der Krieg brachte, kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu, sei es, daß das Krankheitsbild eine bestimmte Färbung (Kriegsfärbung) erhielt, sei es, daß bestimmte Symptome, z. B. bei den Neurotikern, ausgelöst wurden. Nur auf dem Boden einer bereits vorhandenen Anlage ließ der Krieg Nerven- und Geisteskrankheiten sich entwickeln. Man erkennt daraus, eine wie unendliche Anpassungs- und Leistungsfähigkeit das menschliche Gehirn und Nervensystem besitzt, indem es die schweren Strapazen, Schädigungen und seelischen Eindrücke wieder auszugleichen vermochte.

Es mag aus meinen Darlegungen der Eindruck gewonnen sein, daß eine unendlich große Zahl von Nerven- und Geisteskrankheiten vorgekommen und daß infolgedessen auch eine psychopathische Veranlagung sehr häufig ist. Diese Auffassung ist einzuschränken. Zwar sind die Neurotiker recht aufdringlich, besonders in der Großstadt, vor Augen getreten, und mancher wird daher ihre Zahl für recht stattlich halten. Aber die Neurotiker strömen vorzugsweise in den Städten, besonders in den Großstädten, zusammen, da sie hier leichtere Existenzmöglichkeiten finden durch Bettelei, Straßenhandel usw., als auf dem flachen Lande oder aber in der Kleinstadt, wo der einzelne genauer bekannt ist, mithin auch Arbeitsscheu, hysterisches Gebahren leichter erkannt werden. Wenn auch die Zahl der Neurotiker, der Geisteskranken absolut stattlich ist, so handelt es sich doch um relativ kleine Zahlen im Vergleich zu den zahlreichen Millionen, die während des Krieges in der Heimat und im Felde, mit und ohne Waffe, Dienst getan haben. Ich bin auch überzeugt, daß die heutigen, so unbefriedigenden, so schweren wirtschaftlichen Verhältnisse gerade bei so manchem Neurotiker [523] Festlegung seiner Erscheinungen bedingen. In langjährigem ärztlichem Dienste im Felde habe ich immer wieder voll Bewunderung und Hochachtung erfahren, welch tüchtiger Kern, welch gute Eigenschaften im deutschen Soldaten steckten, und voll Bewunderung habe ich jetzt nach dem Kriege in meiner amtlichen Tätigkeit gesehen, mit wieviel Entschlossenheit, Geduld und Fleiß die Schwerkriegsbeschädigten, die Amputierten, Verstümmelten usw. den Kampf um das Dasein aufgenommen haben. Gegenüber all diesen lebenstüchtigen Menschen ist die Zahl der Lebensschwächlinge und geistig Kranken immerhin klein, ich glaube kleiner als in den Reihen der Feinde. Die Mehrzahl des deutschen Volkes ist nervengesund, nervengesund vor dem Kriege gewesen und trotz des Krieges mit all seinen Schrecken auch nervengesund geblieben. Alle die Auswüchse der letzten Zeit sind Schlacken, die dem wahren Bilde des Volkes anhaften, Schlacken, die aber abfallen werden, ohne das wirkliche Bild zu zerstören oder nachhaltig zu schädigen, wenn das deutsche Volk erst sich wieder auf sich selbst besinnt.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte