Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 6:
Feldsanitätswesen
(Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt
3. Wissenschaftlicher Teil.
(Forts.)
[500] Augen und
Ohren.
Augen.
(Von Prof. Dr. E. Krückmann, Berlin.)
Die Chirurgie gründete ihre Kriegsbereitschaft auf die Lehren und
Erfahrungen früherer Kriege. Anders die Augenheilkunde. Vor und in dem
Kriege 1870/71 befand sich die Augenheilkunde als Wissenschaft erst in den
Anfängen ihrer Entwicklung. Es gab damals auf deutschen
Universitäten nur wenige Lehrstühle für dieses Fach. Auch
waren die Augenverletzungen des siebziger Krieges nur in sehr geringem
Ausmaße Gegenstand einer erhaltenden Behandlung gewesen. Die
Infanterie- und Schrapnellkugeln vernichteten ein getroffenes Auge in der Regel
vollständig. Ebenso scheinen auch die Granatsplitterzerstörungen an
der Augengegend in jenen Zeiten durchschnittlich wesentlich größer
und umfangreicher gewesen zu sein, als während des Weltkrieges. Soweit
sich über die Granatenverwundungen noch etwas Brauchbares in Erfahrung
bringen läßt, wurde durch diese Art von Verletzungen wohl in den
meisten Fällen das ganze Auge zertrümmert. Die Kriege, welche
hinterher von anderen Mächten geführt wurden, brachten zwar
manche neuen Einzelkenntnisse, doch nichts von grundsätzlicher
Bedeutung. Weder im Russisch-Japanischen, noch im Balkankriege gestatteten
die Verhältnisse ein regelrechtes Arbeiten der Augenärzte. War
demnach die Augenheilkunde unvergleichlich ärmer an Kriegserfahrung als
die Chirurgie, so genoß sie dieser gegenüber den Vorteil, sich im
größeren Umfange auf Friedenserfahrungen stützen zu
können. Die Verletzungen mit kleinen
Geschoß- und namentlich mit Granatsplittern, deren Behandlung den
wichtigsten Raum28 in der augenärztlichen
Tätigkeit im Felde einnahm, sind durchaus ähnlich den
Eisensplitterverletzungen, wie sie vorher schon zahlreich bei Industriearbeitern
beobachtet waren. Die ebenfalls nicht seltenen Sprengschußverletzungen im
Bergwerks- und Steinbruchbetrieb gleichen durchaus den Wirkungen von
Explosionsgeschossen im Kriege.
Das Rüstzeug, welches die deutschen Augenärzte aus diesen
Friedenserfahrungen für die Aufgaben des Krieges mitbrachten, war
mannigfacher Natur. In der Zwischenzeit hatte man gelernt, Wunden des Auges
und insbesondere auch solche, welche den Augapfel breit eröffnen, durch
Nähte an den äußeren Hüllen zu verschließen.
Reichen die Nähte an der Augenkapsel wegen der ungünstigen
Gestalt der Wunde zum Verschluß nicht aus, so kann durch Loslösen
der zarten Bindehaut ein Lappen gebildet und über die Wunde
hinübergezogen werden, um den Wundspalt nach Art eines
Heftpflasterstreifens zu bedecken. Diese in den letzten Jahrzehnten ausgebildete
und geübte Methode [501] hat manches Auge
gerettet, denn ein gut gesicherter Verschluß der Wunde gewährt
Aussicht auf Dauerheilung, ganz abgesehen davon, daß er die
entzündlichen Keime vom Augeninnern fernhält. Sind jedoch im
Anschluß an die Verletzung Entzündungserreger in das Augeninnere
gelangt und daraufhin eine Entzündung oder Eiterung aufgetreten, wird nur
in den seltensten Fällen ein verletztes Auge erhalten bleiben
können.
Die Hauptaufgabe der Kriegsaugenheilkunde bildete die Entfernung von kleinen
Fremdkörpern und besonders von Splittern, die in das Augeninnere
eingedrungen waren. Diese Fremdkörper stammten meistens aus
Granatverletzungen, sei es, daß vom Geschoß Splitter abgetrennt und
in das Auge hineingetrieben, sei es, daß von losgelösten
Sprengstücken andere kleine Fremdkörper mitgerissen und in das
Augeninnere hineingeschleudert wurden. Verweilt ein Splitter im Auge
längere Zeit, so zerstört er dieses in der Mehrzahl der Fälle, sei
es durch seine physikalischen und chemischen Wirkungen, sei es durch die
Tätigkeit der ihm anhaftenden Entzündungserreger. Als
Vorbedingung für die Entfernung des Fremdkörpers gilt die genaue
Feststellung seines Sitzes und seiner Beschaffenheit. Zunächst interessiert
es prinzipiell, ob der Fremdkörper von Stahl bzw. Eisen oder aus anderen
Stoffen zusammengesetzt ist. Diese grundsätzliche Unterscheidung wird
ermöglicht durch eine Magnetnadel, die an einem Seidenfaden hängt
und von einer Glashülse geschützt wird, den sogenannten
Eisenspäher (Sideroskop). Befindet sich im verletzten Auge ein
Stahl- oder Eisensplitter, so gibt die Magnetnadel einen erkennbaren Ausschlag,
der dort am größten zu sein pflegt, wo der Fremdkörper
gelagert ist. Diese Ortsbestimmung bedarf aber noch der Bestätigung durch
die Röntgenaufnahme, denn es ist von besonderer Wichtigkeit, ob der
Fremdkörper im Augapfel selbst haften geblieben ist, oder ob er diesen
doppelt durchschlagen und die Augenhöhle aufgesucht hat. Da eine einzige
Aufnahme hierüber einen genügenden Überblick nur selten zu
geben vermag, so ist eine Anzahl von Meßverfahren ausgearbeitet worden,
um aus zwei senkrecht aufeinanderstehenden Aufnahmen den Sitz des
Fremdkörpers zu errechnen. Sehr gut bewährt haben sich auch die
stereoskopischen Aufnahmen. Um die Lage des Fremdkörpers zum
Augapfel im Stereoskopbild bequem ablesen zu können, gilt es noch,
diesen auf der Platte zur Anschauung zu bringen. Hierzu dient eine dem Augapfel
genau angepaßte Bleiglasscheibe, die in Art eines Kunstauges
vorübergehend der Hornhaut aufgelegt wird. Sie zeichnet sich auf der Platte
mit genügender Schärfe ab. Kleine an verschiedenen Stellen
aufgesetzte Bleistreifen erleichtern als Orientierungsmarken die
Lagebestimmung.
Ist durch die Magnetnadel der Fremdkörper als eiserner oder
stählerner erwiesen und durch die stereoskopische Röntgenaufnahme
sein Sitz im Augapfel selbst festgestellt, dann wird der Fremdkörper mit
Hilfe von Elektromagneten entfernt. Diese Elektromagneten haben verschiedene
Formen und Größen. Sie [502] beruhen zum Teil auch
auf verschiedenen Herstellungsprinzipien. In der Wirkungsweise dienen sie dem
gleichen Zweck. Hat der Fremdkörper nicht zu schweren Verletzungen
geführt und hat er keine Krankheitskeime mit sich ins Augeninnere
gerissen, dann kann nach seiner Entfernung häufig vollständige
Heilung erreicht werden. Doch auch in weniger günstigen Fällen
gelingt es oft bei rechtzeitiger Operation einen mehr oder minder großen
Rest von Sehvermögen zu erretten. Es mag nicht unbeachtet bleiben,
daß die Röntgenaufnahme, die Verwendung des Elektromagneten
und des Eisenspähers deutsche Erfindungen sind.
Unvergleichlich weniger günstig sind die Aussichten des ärztlichen
Eingriffes gegenüber den nichtmagnetischen Fremdkörpern. Zwar
lassen sich aus dem vorderen Augenabschnitt derartige Fremdkörper
verhältnismäßig häufig herausziehen. Wesentlich
schwerer ist es aber, Fremdkörper aus dem Glaskörper zu entfernen,
da man hier völlig im Dunkeln arbeiten muß. Derartige Operationen
stellen die höchsten Anforderungen an die Geschicklichkeit des
Augenarztes, und dennoch bleibt ihr Erfolg im wesentlichen
Glückssache.
Eine gewisse Ausnahmestellung nehmen die kleinen Kupfersplitter ein, wenn die
Wunde keimfrei geblieben ist. Es hat sich herausgestellt, daß sie nach
einiger Zeit wandern können und ohne Anrichtung eines wesentlichen
Schadens von innen her die Augenhüllen zu durchbohren vermögen,
so daß sie vielfach mit Leichtigkeit herausziehbar werden.
Die Verletzung eines Auges kann unter Umständen auch die Unversehrtheit
des nichtverletzten Auges auf das schwerste gefährden, und zwar dann,
wenn sich in dem verletzten Auge schleichende Entzündungen der
Regenbogenhaut und Aderhaut entwickeln, die auf das gesunde Auge
überspringen. In den meisten Fällen pflegt dann dieses zu zweit
erkrankte Auge nahezu rettungslos zu erblinden. Die nähere Ursache dieser
bösartigen Erkrankung - sympathische Ophthalmie
genannt - ist unbekannt geblieben. So viel ist aber erwiesen, daß das
unverletzte Auge nahezu mit Sicherheit erhalten bleiben kann, wenn das verletzte
Auge bei den ersten Zeichen der gefürchteten Entzündung durch
Operation entfernt wird. Es kann mit Befriedigung festgestellt werden, daß,
dank der Verbreitung dieser Erkenntnis, die Zahl der an sympathischer
Ophthalmie Erblindeten sich auf einige wenige Unglücksfälle
beschränkte, trotz der wohl nach Hunderttausende zählenden
Augenverletzungen.
Muß ein verletztes Auge entfernt werden, so trifft den Verletzten, neben
dem Verlust des Sehvermögens und gelegentlich schwerer noch als dieser,
die damit verbundene Entstellung. Schon seit Jahrzehnten hat es die deutsche
Kunstglasbläserei in der Herstellung von Glasaugen zu hoher Vollendung
gebracht. So konnten die Kriegsverletzten zur Minderung der Entstellung mit
Kunstaugen versehen werden. Erheblich schwieriger ist die Beseitigung
derjenigen Entstellungen, welche durch ausgedehnte Zerstörungen der
Lider und [503] der umgebenden Teile
des Gesichtes geschaffen werden. Neue Erfindungen und Entdeckungen helfen
hier nicht viel weiter, da ein künstlicher Ersatz zerstörter
Gesichtsteile durch plastische Massen eine weitgehende Verbreitung sich nicht zu
erwerben vermochte. Maßgebend allein waren
chirurgisch-plastische Eingriffe. Die plastischen Operationen mußten
vielfach in mühseliger Kleinarbeit ausgeführt werden, und
tatsächlich ist auch auf diesem Gebiete seitens der Augenärzte Gutes,
oft erstaunlich Gutes geleistet worden. Hier berührte sich das Arbeitsgebiet
des Augenarztes mit dem des chirurgischen Plastikers und dem des
Kieferchirurgen. Allerdings waren die Plastiken nicht jedermanns Sache, zumal
manchen Ärzten die Übung fehlte, da augenärztliche
plastische Gesichtsoperationen vor dem Kriege wegen Mangel an Gelegenheit zu
ihrer Ausführung zu großen Ausnahmen gehörten.
Außerdem entschied im Einzelfalle die Geschicklichkeit, die
Erfindungsgabe, das ästhetische Gefühl und die Umsicht des
Operateurs.
Von seuchenartigen ansteckenden Augenkrankheiten blieb das deutsche Heer
glücklicherweise verschont. Die Gefahr ihrer Ausbreitung war nicht gering.
Die bekannteste und bedeutungsvollste unter den ansteckenden Augenkrankheiten
ist die ägyptische Augenkrankheit. Im Orient und in Rußland zu
Hause, ist sie wahrscheinlich von den Napoleonischen Heeren auf ihren
Kriegszügen über größere Teile Europas verbreitet
worden. Im russischen wie im österreichisch-ungarischen Heere war sie
auch im Frieden ein stets gefürchteter Gast. In Deutschland war ihre
Verbreitung dank der Bekämpfungsmaßnahmen des Staates auf das
äußerste eingeengt. Endemisch war fast nur die Provinz
Ostpreußen befallen; doch wurde auch hier die Anzahl der
Krankheitsfälle infolge der systematischen Behandlung und Ausrottung
allmählich wesentlich vermindert.
Es lag die Gefahr nahe, daß die deutschen Truppen sich in den verseuchten
Gegenden infizierten und daß durch die russischen und rumänischen
Kriegsgefangenen eine Weiterverbreitung in Deutschland erfolgte. Diese Gefahr
wurde vermieden, doch können hierfür die Augenärzte wohl
nicht in erster Reihe das Verdienst beanspruchen. Die Hauptsache liegt in dem
hohen Stande der Sauberkeit und in der allgemeinen Gesundheitspflege im
deutschen Heere, sowie in der planmäßigen Organisation der Kriegsgefangenenbehandlung. Immerhin hat das rechtzeitige Erkennen und die
richtige Behandlung von vereinzelten Fällen, die sich zunächst den
Augenärzten vorstellten, zu diesem erfreulichen Ergebnis beigetragen.
Erwähnt sei noch, daß die ausländischen Berichte das
verhältnismäßig häufige Vorkommen der
ägyptischen Augenkrankheit namentlich unter den farbigen Feinden
verzeichnen.
Eine eigenartige Sehstörung bedarf noch der besonderen Beachtung, die
sogenannte Nachtblindheit. Bereits während des ersten Kriegsjahres kam in
rascher Aufeinanderfolge eine größere Anzahl von
Frontdiensttuenden in augenärztliche Beobachtung, die sich nach ihrer
Angabe bei eintretender Dämmerung [504] und namentlich bei
Nacht in unbekannten Gegenden nicht mehr zurechtzufinden vermochten. Die
Augenheilkunde kennt eine Krankheit, deren wichtigstes Kennzeichen in einem
schlechten Sehen bei herabgesetzter Beleuchtung besteht und die auch epidemisch
aufzutreten pflegt. Diese Krankheit kam vorwiegend, und man kann wohl sagen
fast ausschließlich, zu Hungersnotzeiten vor. In Deutschland war sie
praktisch so gut wie unbekannt. Es war begreiflich, daß man zunächst
und besonders in nichtfachärztlichen Kreisen die Besorgnis hegte, diese
oder doch eine ähnliche Form von Nachtblindheit vor sich zu haben. Die
fachärztlichen Untersuchungen ergaben aber bald die Irrigkeit dieser
Annahme, denn diese von früher her bekannte Form der Nachtblindheit
weist auch krankhafte Veränderungen an den äußeren Teilen
des Auges auf, die hier nicht beobachtet wurden. Weiter ist die Erscheinung des
schlechten Sehens bei herabgesetzter Beleuchtung auch noch bei einer Reihe von
andersartigen Augenerkrankungen festgestellt. Hier handelt es sich dann aber
vielfach um ererbbare Veränderungen des Augenhintergrundes. Diese sind
verhältnismäßig selten und für den Facharzt ohne
weiteres zu erkennen. Die damit Behafteten wären überdies gar nicht
eingestellt worden. Außerdem können auch die Kurzsichtigen
höheren Grades nicht selten ein schlechtes Dämmerungssehen
zeigen.
Beunruhigend wirkte hauptsächlich die Angabe der sogenannten
Nachtblinden, daß ihnen das schlechte Sehen bei herabgesetzter
Beleuchtung erst seit einiger Zeit, und zwar erst seit dem Kriege aufgefallen sei,
während sie früher über derartige oder ähnliche
Störungen nicht zu klagen hatten. Man stand daher anfänglich unter
dem Eindruck, daß man es mit frischen Erkrankungen zu tun hätte,
die durch die besonderen Verhältnisse des Krieges hervorgerufen sein
könnten. Die weiteren Forschungen erwiesen aber, daß die
massenhaften und scheinbar plötzlichen Leiden folgendermaßen zu
erklären seien. Bei dem großen Menschenbedarf dieses Krieges
mußten die Anforderungen an den Gesundheitszustand der Einzustellenden
im Vergleich zum Friedensstandpunkt teilweise erheblich gemindert werden.
Auch war es angesichts der großen Menge der zu Untersuchenden nicht
immer durchführbar, mit der im Frieden geforderten Genauigkeit
vorzugehen. Es gelangten daher viele Personen zur Einstellung, deren
Gesundheitszustand gelegentlich weit verschieden war von demjenigen des
Friedensheeres. Darunter befand sich offenkundig eine größere
Anzahl von Personen mit angeborenem herabgesetztem Dämmerungssehen.
Nun waren die Anforderungen an das Dämmerungssehen im heutigen
Mitteleuropa recht gering geworden, soweit es sich um normale Zeiten handelte.
Besonders der Großstädter kam kaum jemals in die Lage, sich
unbekannte Wege im Dunkeln suchen zu müssen. Die meisten der
Betroffenen waren sich deshalb vor dem Kriege ihres Gebrechens gar nicht
bewußt geworden. Erst die besonderen Anforderungen des Krieges,
insonderheit die Nachtgefechte, lehrten sie ihre Unbeholfenheit und ihre
Hilflosigkeit erkennen. Im Anfang wurde diese Erscheinung [505] vielfach ohne
besonderes Nachdenken hingenommen. Mit der Zeit zeigten sich aber die
Geländeschwierigkeiten häufig unüberwindlich. Gleichzeitig
trug das Beispiel der gesunden Kameraden zu der Ansicht bei, daß es sich
vermutlich um eine Krankheit oder, richtiger gesagt, um einen anormalen Zustand
handle. Es kamen noch einige weitere Umstände hinzu. Ängstliche
Menschen sind auch bei durchaus normalem Sehvermögen im Dunkeln
unsicherer als andere. Eine gewisse seelische Ansteckung ist unter den besonderen
Verhältnissen des Krieges begreiflich, ohne daß deshalb schon ein
bewußter Mißbrauch vorzuliegen braucht. Schließlich
dürfte auch eine kleinere Anzahl von Fällen vorgekommen sein, bei
denen das Dämmerungssehen nur im geringfügigen Maße
herabgesetzt war und bei denen sich dieser an sich harmlose Zustand unter
Einwirkung von starken und gehäuften Anstrengungen und Aufregungen,
sowie bei schlechter Ernährung zeitweise erheblich verschlechterte. Diese
Fälle besserten sich aber bei Ruhe und guter Ernährung stets in
kürzester Zeit. Auf Grund eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen
kam man augenärztlich zu dem übereinstimmenden Ergebnis,
daß eine besondere Form der Nachtblindheit als Kriegserkrankung nicht
besteht. Es konnten daher die leichten und somit harmlosen Fälle dem
Kriegsdienst wieder zugeführt werden, während andere eine
Verwendung an Stellen fanden, an denen ihr Gebrechen sich nicht weiter
störend geltend machte. Bald hörten auch die neuen
Krankmeldungen auf. Von Interesse erscheint wiederum die Feststellung,
daß die gleichen Erscheinungen auch in den feindlichen Heeren bemerkbar
waren.
Eine besondere Aufgabe erwuchs den Augenärzten durch die
Prüfung von Brechungsfehlern, wenn die Einstellung von Kurzsichtigen,
Übersichtigen und Stabsichtigen in Frage kam. Neben der Pflicht, den
Brechungsfehler und damit die Art der Verwendbarkeit des Mannes festzustellen,
war es weiterhin von Bedeutung, durch die Verordnung der richtigen Gläser
einen möglichst hohen Grad von Sehvermögen und somit auch von
Dienstbrauchbarkeit zu erreichen. Gewisse Schwierigkeiten ergaben sich aus dem
Umstande, daß beim Zielen der Blick durch die Randteile des Augenglases
fällt. Die Benutzung der Randteile führt nun aber bei den
gewöhnlichen Brillengläsern, und besonders bei den stärker
brechenden, sehr häufig zur falschen Beurteilung einer Richtung, da
hauptsächlich nur durch die mittleren Teile des Glases ein scharfes Bild zu
erzielen ist. Es gelang einer Kommission, an der auch die Augenärzte
beteiligt waren, einen Gläserschliff festzustellen, der diese Nachteile
vermeidet, dessen Preis für den Massenbedarf des Heeres erschwinglich
und leicht und schnell zu beschaffen war. Ein solcher Einheitstyp des
Brillenglases ermöglichte auch raschen Ersatz bei Verlust eines Glases. Der
Einheitstyp des Brillengestelles mußte weiterhin unter der Gasmaske
Verwendung finden können, d. h. das Glas durfte weder durch den
Sitz noch durch Beschlagenwerden seinen Zweck, die Sehleistung zu korrigieren,
verlieren. Für rasche und zuverlässige
Augen- [506] untersuchung, sowie
für die richtige Brillenversorgung der Heerespflichtigen sorgte die
Heeresverwaltung im weiteren Verlauf des Krieges in umfassender Weise. Jeder
Division wurde ein Augenarzt zugeteilt. Er wurde mit einem Vorratskasten von
Brillengläsern und -gestellen, die sofortigen Austausch oder Ersatz der
Gläser gestatteten, ausgerüstet.
Es mag nicht überflüssig erscheinen, noch derjenigen
Maßnahmen zu gedenken, welche den schwer Augenverletzten zur
Erleichterung ihres Schicksals gewidmet werden konnten, wenn die Heilkunst im
engeren Sinne nichts mehr zu leisten vermochte. Kurz vor dem Kriege hatte die
Firma Zeiß
Fernrohrbrillen und Fernrohrlupen geschaffen, welche in
praktischer Form eine Vergrößerung bei jedem Abstande
ermöglichen. Diese Instrumente erwiesen sich für eine Anzahl von
schwer Augenverletzten, welche nach Verlust eines Auges auch am anderen Auge
nur noch einen geringen Rest von Sehvermögen besaßen, als sehr
nützlich. Es gelang auf diese Weise bei einer Reihe von sehuntüchtig
Gewordenen das Lesen und Schreiben wieder zu ermöglichen. Immerhin ist
das Verwendungsbereich dieser Instrumente bei Verletzten, die handarbeitenden
Ständen angehörten, nur ein beschränkter geblieben. Bei der
Arbeit in der Fabrik wurden diese Instrumente von den Verletzten vielfach als
lästig befunden und beiseitegelegt.
Vor die schwerste, vielleicht aber auch vor die dankbarste Aufgabe wurden die
verantwortlichen Stellen gestellt, als es galt, das Schicksal der Kriegserblindeten
zu bessern, besonders im Hinblick auf ihre Erwerbsfähigkeit. Leider hat die
Zahl der Kriegserblindeten 3000 überschritten. Während man sich
früher für den im späteren Lebensalter Erblindeten im
allgemeinen darauf beschränkte, seine wirtschaftliche Existenz durch
Rentengewährung einigermaßen sicherzustellen, setzte man sich bei
dem Kriegserblindeten die Ziele von vornherein höher. Man wollte ihn, um
ihm das Ertragen seines Verlustes zu erleichtern, soweit als irgend möglich,
wieder arbeitsfähig machen. Aus früherer Zeit kannte man für
die Blindgeborenen oder die im früheren Lebensalter Erblindeten nur eine
kleine Anzahl von geeigneten Gewerben, wie Bürstenbinderei,
Besenbinderei, Korbflechterei und allenfalls noch Seilerei. Für das Lesen
und Schreiben der Blinden stand die tastbare Punktschrift zur Verfügung.
Auch das Erlernen der Schreibmaschinenschrift bietet dem Blinden keine
erheblichen Schwierigkeiten. Zunächst wurden diese Einrichtungen an
verschiedenen größeren Augenstationen geschaffen, damit sich die
Kriegserblindeten diese Kenntnisse möglichst noch während der Zeit
ihres Lazarettaufenthalts aneignen könnten. Die üblichen
Blindenhandwerke fanden jedoch nicht bei allen Kriegserblindeten Anklang. Ihre
gründliche Erlernung erforderte längere Zeit. Ältere Leute
zeigten sich vielfach abgeneigt, nach ihrer Entlassung aus dem Heeresverbande
noch einmal in die Lehre zu gehen. Erschwerend wirkte auch die vielverbreitete,
wenn auch nicht völlig begründete Ansicht, daß die genannten
[507] Handwerke, die von
früher her ja überwiegend von körperlich Minderwertigen
ausgeübt wurden, im schlechten Ansehen stünden. Man strebte
deshalb danach, den Kreis der für den Kriegserblindeten geeigneten
Erwerbsmöglichkeiten zu erweitern und ferner den Kriegsblinden, soweit
irgend tunlich, unter ähnlichen Verhältnissen arbeiten zu lassen, wie
vor seiner Erblindung. Es gelang vielfach in geradezu überraschender
Weise für die Kriegserblindeten eine große Anzahl von neuen
Arbeitsgelegenheiten in der Industrie zu finden. Das Bedienen von automatisch
arbeitenden Maschinen, wie Pressen, Stanzen, Bohrern, für die Blinden
erwies sich als durchaus möglich und daß ihre Leistungen denen der
Sehenden recht nahe kommen können. Weiter zeigte sich, daß die
Bedienung von geeigneten Telephonzentralen eine für intelligentere Blinde
durchaus passende Beschäftigung darstellt. Es fehlt der Raum, um die
mannigfaltigen neuen Beschäftigungsarten zu beschreiben, in welche die
Kriegserblindeten mit Erfolg eingeführt werden konnten. Es genüge
der Hinweis, daß sich schließlich für jeden Kriegserblindeten,
der, abgesehen von seiner Erblindung, gesund war, eine passende
Beschäftigung finden ließ, sofern er einigermaßen einen guten
Willen zeigte.
Ohren.
(Von Professor Dr. Voß, Frankfurt a. M.)
In großen Umrissen gebe ich nachstehend ein Bild von der Bedeutung der
Ohrenheilkunde im Weltkrieg; ich hebe dabei das heraus, was der Krieg an
Neuerrungenschaften auf diesem Fachgebiet gebracht hat. Begreiflicherweise
werden die Verletzungen den Vorrang vor den Erkrankungen einnehmen, weil
erstere, als spezifische Kriegsfolgen, die letzteren sowohl an Zahl wie an
Bedeutung überwiegen.
Unter den das Gehörorgan betreffenden Verletzungen stehen, wie
überall, die durch Schuß an erster Stelle, während sich solche
durch Stich und Hieb nur auf vereinzelte Fälle beschränken. Je nach
der Art, der Richtung und lebendigen Kraft des Geschosses waren entweder nur
einzelne Teile oder mehr weniger das gesamte Gehörorgan an der
Verletzung beteiligt.
Infanteriegeschosse waren es vorzugsweise, durch die die Ohrmuschel betroffen
wurde, wobei die Verletzungen zwischen kleinen fast unsichtbaren
Durchlöcherungen und teilweisen bzw. vollkommenen Abreißungen
der ganzen Muschel schwankten. Natürlich hatten auch Granatsplitter und
stumpfe Gewalteinwirkungen letzteres Ereignis zur Folge.
Die Bedeutung von Verletzungen des Gehörganges liegt, abgesehen von
etwaigen Nebenverletzungen, z. B. des Gesichtsnerven, Trommelfells oder
des Kiefergelenks, vorzugsweise in dessen nachträglicher teilweiser
Verengerung bzw. seinem völligen Verschluß. Hierdurch kann eine
dauernde Herabsetzung der Hörfähigkeit oder eine gefährliche
Eiterverhaltung bei Mittelohreiterungen [508] hervorgerufen werden,
Gründe genug, warum mehrere erfolgreiche operative Verfahren zu deren
Beseitigung angegeben wurden.
Am Trommelfell fanden sich am häufigsten indirekte Verletzungen, die
ihrer Zahl nach an zweiter Stelle der Gesamtverletzungen des Gehörorgans
stehen. Sie sind vorzugsweise Folgen der Luftdruckschwankungen bei
Abschuß und Einschlag größerer Geschosse, wie Minen,
Granaten, Schrapnells usw., und können in ihrer Größe
zwischen kleinsten punktförmigen Einrissen und Defekten der ganzen
Membran schwanken. Im allgemeinen war die Heilungstendenz dieser
Trommelfelldurchlöcherungen eine auffallend gute; in anderen
Fällen kam es, bisweilen als Folge einer unzweckmäßigen
Behandlung durch Ausspülungen, zu nachträglichen
Mittelohreiterungen, die einen ziemlich bösartigen Charakter trugen.
Während die Ohrentrompete Verletzungen nur sehr selten ausgesetzt war,
waren Mittelohr und Warzenfortsatz ein sehr häufiges Ziel von Geschossen,
und zwar konnte man an ihnen zwischen
Streif-, Durch-, Prell- und Steckschüssen unterscheiden.
Streif-, Prell- und Steckschüsse betrafen vorzugsweise den Warzenfortsatz,
während an den Durchschüssen auch das Mittelohr oft beteiligt war.
Der Verlauf des Schußkanals war letzterenfalls meist ein solcher von vorn
nach hinten mit Einschuß im Gesicht und Ausschuß hinter dem Ohr.
Infolge der hierbei stattfindenden Zersplitterungen des Knochens, der nicht
seltenen gleichzeitigen Eröffnung des inneren Ohres, der
Schädelkapsel und der von außen oder von der Ohrtrompete her
ständig drohenden Ansteckungsgefahr durch hineingelangende Eitererreger
waren diese Verletzungen stets als ernst anzusehen und unterlagen deshalb meist
einer möglichst frühzeitigen und ausgiebigen operativen
Behandlung.
Direkte Schußverletzungen des inneren Ohres gehörten zu den
Seltenheiten. Sie verdienen ein besonderes Interesse einmal dadurch, daß
damit die in ihm gelegenen nervösen Endorgane des
Hör- und Gleichgewichtsnerven betroffen und deren Funktion dadurch
erheblich geschädigt oder gänzlich aufgehoben wird, ferner aber
dadurch, daß das innere Ohr in unmittelbarer Nachbarschaft des Gehirns
gelegen und seine Verletzung daher sehr häufig mit einer solchen des
Schädelinhaltes vergesellschaftet ist oder als Überleitungsweg
lebensgefährlicher Infektionen vom Mittelohr nach dem
Schädelinnern dient.
Ohne daß der Betreffende vom Geschoß direkt betroffen wird, kann
es infolge von Geschoßexplosionen zur Innenohrschwerhörigkeit
kommen. Der Ansicht derer, die auf Grund von entsprechenden Experimenten
annehmen, daß diesem Vorkommnis meist organische Verletzungen
(Zerreißungen, Blutungen) der häutigen und nervösen
Endelemente im inneren Ohr zugrunde liegen, steht die auf ein reiches klinisches
Beobachtungsmaterial gestützte Anschauung anderer Autoren
gegenüber, nach der es sich bei Explosionsschwerhörigkeit
großenteils um Schädigungen meist ohne jede organische Grundlage
[509] handelt, die auf
entsprechende psychische Behandlung der Heilung zugänglich sind.
Letztere Annahme fand eine wesentliche Stütze in Gestalt der durch eine
Explosion taubstumm Gewordenen, denen in überwiegender Mehrzahl
durch rein seelische Einwirkung Gehör und Sprache wiedergeschenkt
werden konnte.
Die entzündlichen Erkrankungen des Gehörorgans, besonders die
akuten Mittelohreiterungen, bekamen im späteren Verlauf des Krieges
einen entschieden bösartigeren Charakter, was sich durch Zunahme
schwerer lebensgefährlicher Komplikationen dokumentierte. Schuld daran
trug die Unterernährung der Bevölkerung und die dadurch
herabgesetzte Widerstandskraft.
Einen wichtigen Faktor für die Entstehung von Ohrenleiden bildeten die
Kriegsseuchen, von denen Typhus und Fleckfieber im Vordergrunde stehen.
Abgesehen von den bei beiden beobachteten entzündlichen Erkrankungen
des Mittelohrs und Warzenfortsatzes, die öfters operative Eingriffe
erforderlich machten, fand sich öfters eine ohne Beteiligung des Mittelohrs
auftretende Schwerhörigkeit, die von entzündlichen
Veränderungen der Hirnhäute ihren Ausgang genommen hatte. Die
gleiche Ursache der dabei beobachteten Schwerhörigkeit oder Taubheit
läßt sich mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit auch
noch bei einer großen Reihe anderer Kriegsseuchen annehmen, von denen
die epidemische Genickstarre, Malaria, Influenza, Ruhr, Mumps die wichtigsten
sind.
Aus der Reihe der nicht durch Kriegsseuchen hervorgerufenen
Kriegserkrankungen des Gehörorgans greife ich als besonders wichtig die
bei der Kriegsnierenentzündung beobachtete Schwerhörigkeit heraus,
die nach verschiedenen übereinstimmenden Beobachtungen in einer
gewissen Parallelität zu der bei diesen Kranken festgestellten
Hautwassersucht stand. Die von mir in einem Fall vorgenommene mikroskopische
Untersuchung der Gehörorgane bestätigte die klinische Annahme,
daß sich in diesen die Ursache für die Schwerhörigkeit nicht
finde. Sie mußte mithin in wassersuchtähnlichen
Veränderungen der weichen Hirnhäute gesucht werden.
Entzündungserscheinungen an Gehirn und Hirnhäuten sind es
offenbar auch, die an den bei Sonnenstich beobachteten
Hörstörungen Schuld trugen. Man nimmt an, daß diese
Erscheinungen durch das Eindringen der langwelligen Lichtstrahlen in die
Hirnsubstanz verursacht sind.
An den Kampfgasvergiftungen war das Ohr sehr selten beteiligt. Vereinzelt
wurden Mittelohrentzündungen dabei beobachtet, die als Folge der
Schleimhautreizung der oberen Luftwege aufzufassen sind. Einige Male konnte
man noch längere Zeit nach der Vergiftung Gleichgewichtsstörungen
mit Kopfschmerzen und Schwindel nachweisen, die entweder auf Blutungen in
die Hirnsubstanz oder auf eine direkte durch die Blutbahn vermittelte Giftwirkung
auf den Gleichgewichtsnerven zurückzuführen waren.
Die bei Fliegern beobachteten Erscheinungen von Ohrensausen, Ohrenschmerzen,
Übelkeit, Erbrechen, Schwerhörigkeit waren zum Teil auf die
wechseln- [510] den
Luftdruckverhältnisse im Gehörgang und Mittelohr bei
Auf- und Abstieg, den Lärm des Motors bzw. auf
Blutdruckveränderungen während des Fliegens
zurückzuführen.
Was das wechselseitige Verhalten alter Ohrenleiden zu Kriegsschädigungen
betrifft, so sind die Anschauungen darüber nicht völlig geklärt.
Das gilt zunächst von Trommelfellzerreißungen. Während ein
Autor der Ansicht ist, daß das normale Trommelfell nicht die ihm
zugeschriebene große, das krankhaft veränderte nicht die ihm
zugeschriebene verminderte Widerstandskraft besitzt, kommt ein anderer zu dem
Schluß, daß ein normales Trommelfell Druck von 1,5 bis 2
Atmosphären aushält, ein auch nur im geringsten Grade
verändertes durch den Bruchteil einer Atmosphäre
durchlöchert wird.
Die bereits vor dem Krieg aufgeworfene Frage, ob alte Mittelohrleiden
Schallschädigungen des inneren Ohres begünstigen oder verhindern
können, hat (entgegen der Annahme mancher Autoren) durch den Krieg
eine Klärung nicht erfahren.
Ziemlich allgemeine Zustimmung findet die Anschauung, daß eine
Innenohrverletzung leichter zustande kommt, wenn keine gleichzeitige
Durchlöcherung des Trommelfells auftritt. Andererseits aber wird darauf
hingewiesen, daß auch eine Durchlöcherung nicht mit Sicherheit vor
schwerer Innenohrläsion schützt. Der Annahme, daß alle sog.
Otosklerotiker, d. h. Kranke, deren Schwerhörigkeit auf einer
Knochenneubildung an der Kapsel des inneren Ohres meist mit Verwachsung des
Steigbügels im ovalen Fenster beruht, durch den Kriegsdienst eine
Verschlechterung des Gehörs erfuhren, muß auf Grund verschiedener
einwandfreier Beobachtung widersprochen werden. Die Möglichkeit
solcher Verschlimmerungen durch die Einflüsse des Krieges, namentlich
solcher, die das Innenohr betreffen, wie Schall, Explosionen,
Verschüttungen, soll damit natürlich nicht in Abrede gestellt werden.
Ich selbst sah eine solche Verschlimmerung, die sich an Typhusschutzimpfung
anschloß und mit jeder solchen zunahm. Unsicherer blieb schon, ob
intensive Durchnässungen Verschlechterungen herbeiführen
können. Hingegen konnte ich bei einem Angehörigen der Marine
wesentliche Zunahme seiner Schwerhörigkeit durch einen langdauernden
dienstlichen Aufenthalt an der See feststellen.
Eine reichliche Bestätigung durch den Krieg aber fand die Erfahrung,
daß Erkrankungen des inneren Ohres, die auf Giftwirkungen,
Infektionskrankheiten, Berufsschädigungen usw. beruhen, zu einer
weiteren Verschlimmerung infolge von
Schall- oder Explosionseinflüssen bzw. von Schädelverletzungen
direkt prädisponieren.
Es lassen sich alle die Maßnahmen operativer ober nichtoperativer Art hier
nicht anführen, die zur Behebung der besprochenen Schädigungen
des Hörorgans dienten und vielen dieser Unglücklichen nicht nur das
Gehör, sondern auch das Leben rettete.
[511] Nur auf zwei wichtige
Hilfsmittel sei noch hingewiesen, deren Anwendungsgebiet bei hochgradiger
organischer Taubheit da anfängt, wo die ärztliche Kunst
aufhört. Ich meine erstens den Gebrauch eines der aus der Friedenspraxis
bekannten Hörrohre, deren sich eine nicht unbeträchtliche Zahl
solcher Kriegsbeschädigten mit Erfolg bedient.
Das zweite derartige Mittel war oder ist die Teilnahme an einem Ablesekursus.
Solche wurden während des Krieges in einer großen Anzahl von
Orten des Heimatgebiets eingerichtet und haben sehr viel Gutes gestiftet.
Manchem dieser unglücklichen Kranken ist es nur dadurch
ermöglicht worden, sich soweit mit der Umgebung zu verständigen,
um den Lebensunterhalt selbständig erwerben zu können.
Keinesfalls aber kam oder kommt die Verwendung von Ablesekursen in Frage bei
Schwerhörigen oder Tauben, deren Leiden rein seelisch bedingt ist. Hier
würde eine solche Behandlung direkt eine der beabsichtigten
entgegengesetzte Wirkung ausüben und nur dazu beitragen können,
die Taubheit zu fixieren, anstatt sie zu beheben, weil der Betreffende dadurch in
seiner Annahme, organisch taub zu sein, bestärkt würde. Zur
Beseitigung dieser Art von Taubheit steht eine große Anzahl anderer
Methoden, die auf eine psychische Wirkung abzielen, zu Gebote. Diese
gehören aber ausschließlich in die Hände des Facharztes, der
selbstverständlich auch allein die Entscheidung darüber zu
fällen vermag, welche Art von Hörstörung im Einzelfalle
vorliegt, um danach die Wahl in seinen therapeutischen Hilfsmitteln zu treffen.
Mancherlei Beobachtungen deuten darauf hin, daß sich unter den scheinbar
organisch im Kriege Ertaubten noch einzelne rein seelisch Erkrankte befinden,
denen durch eine entsprechende Behandlung noch jetzt geholfen werden
könnte.
Die Forderung, alle Rentenempfänger mit Schwerhörigkeit einer
erneuten Nachuntersuchung zu unterwerfen, erscheint deshalb in deren eigenstem
Interesse durchaus gerechtfertigt.
Die Aufgaben, die der Weltkrieg der Ohrenheilkunde stellte, waren ganz
gewaltige. Auch auf unserem Gebiet hat sich der Krieg vielfach als
schöpferischer Neuerer bewährt. Die deutschen Ohrenärzte
haben Grund, mit Genugtuung auf das von ihnen in wissenschaftlicher und
praktischer Hinsicht während des Weltkrieges Geleistete
zurückzublicken.
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