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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 6: Feldsanitätswesen   (Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt

3. Wissenschaftlicher Teil.   (Forts.)

Innere Medizin - Ernährungsfragen - Seuchenlehre.
(Von Prof. Dr. His, Berlin.)

Der letzte größere Krieg, den das deutsche Volk geführt hatte, 44 Jahre vor dem Weltkriege, war von kurzer Dauer und spielte sich in zivilisiertem Lande, unter Einsatz der rüstigsten Mannschaften des aktiven und Reservealters ab. Der Weltkrieg beanspruchte auch die älteren Jahrgänge der Landwehr und des Landsturms, zum Teil sogar in der Front; er führte die Truppen in die dünn bevölkerten, wenig kultivierten Regionen Rußlands und der Balkanländer, in die subtropischen Gebiete Mazedoniens und der Türkei, in Gegenden, deren Klima ungewohnte Anforderungen stellte, und in denen seltene oder ausgestorbene Seuchen heimisch waren und unter den Kriegsverhältnissen ungewohnte Ausdehnung annahmen. Daraus erwuchsen für die Ärzte, denen die sanitäre Überwachung und die Behandlung der Truppen oblag, mannigfache neue Aufgaben, die auch den Ärzten des aktiven Heeres trotz ihrer allseitigen Ausbildung in allen Teilen des Heeressanitätswesens ungewohnt waren; die Mehrzahl der Ärzte aber gehörte der Reserve an und hatte nur eine kurzdauernde militärische Ausbildung genossen; die landsturmpflichtigen und die vertraglich angestellten Zivilärzte entbehrten einer solchen überhaupt. Dennoch haben sich alle Klassen den Anforderungen anzupassen gewußt; gerade unter den dem Heere fernerstehenden Ärzten waren viele dank einer besonderen wissenschaftlichen Ausbildung besonders geeignet, die neuen Erfahrungen zu erfassen und wissenschaftlich zu vertiefen. Als beratende Instanzen kamen bald nach Kriegsbeginn ein Beratender innerer Mediziner und ein Pathologe für jede Armee zu den Beratenden Chirurgen und Hygienikern hinzu. Diese wissenschaftlichen Instanzen wurden nach Bedarf in Front, Etappe oder Heimat verwendet, auch gelegentlich mit Spezialaufgaben betraut; ihre Aufgabe war sowohl die Beratung im Einzelfall, wie die Bearbeitung des wissenschaftlichen Materials und wissenschaftlicher Ergebnisse, wobei sie durch Einrichtung von Sonderlazaretten und Laboratorien wirksam unterstützt wurden; vor allem auch die Berichterstattung an den Chef des Feldsanitätswesens und der Austausch der Erfahrungen zwischen Feld und Heimat. Kongresse, zu denen alle abkömmlichen Heeresärzte kommandiert wurden, vereinigten u. a. 1916 die Internisten in Warschau, die Nervenärzte in München, die Pathologen in Frankfurt zu gemeinsamer und fruchtbringender Beratung. Die medizinische Fachpresse sammelte in feldärztlichen Beilagen die auf den Krieg bezugnehmenden Veröffentlichungen und stellte sie in weitgehender Weise den Truppenärzten zu. Besondere Fragen wurden in Sitzungen des Senats der Kaiser- [494] Wilhelms-Akademie in Berlin eingehend verhandelt. Besonders wertvoll auch für die Zukunft sind die Sammlungen von Röntgenplatten der Verletzungen, von pathologischen Präparaten, Abgüssen und Moulagen, die im Gebäude der ehemaligen Akademie vereinigt, zum Teil noch der wissenschaftlichen Verarbeitung harren. Nicht ganz befriedigend ist die Statistik der während des Krieges aufgetretenen Krankheiten. In der Einsicht, daß die während eines Feldzugs einlaufenden Krankheitsmeldungen unter dem Drang der Umstände naturgemäß unvollkommen bleiben müssen, wurde die Sammlung sämtlicher Krankengeschichten zwecks späterer Verarbeitung vorgesehen. Das bei der langen Kriegsdauer ins Ungemessene angewachsene Material wurde während der Unruhen der Revolution zum Teil verschleudert. Dem jetzt stark reduzierten Sanitätspersonal wird die Bearbeitung des Restes nicht mehr möglich sein. So bleiben manche, auch praktisch z. B. für die Unfallrechtsprechung wichtige Fragen noch ungelöst. Trotz dieser Unvollkommenheiten sind die gesicherten ärztlichen Erfahrungen des Weltkrieges ungemein zahlreich und bedeutsam.

Die Schwierigkeiten begannen für den Arzt schon bei der Aushebung der Diensttauglichen. Das Friedensheer stellte ausgesuchte Mannschaften von 20 bis 24 Jahren ein; schon Schönheitsfehler, wie Stottern, schlossen Militärdienst aus. Genaue Bestimmungen und große Erfahrung der Militärärzte sicherten die Auswahl. Mit Beginn des Krieges strömten Freiwillige jeden Alters und Kräftezustandes herbei; die Auswahl wurde weniger erfahrenen Ärzten anvertraut. Kriegsbegeisterung und Unkenntnis der zu erwartenden Strapazen führten viele dem Heere zu, die nach kürzerer oder längerer Zeit sich als ungeeignet erwiesen. Je länger der Krieg dauerte, um so weiter mußten die Anforderungen an den Ersatz herabgesetzt werden, bis die Erfahrung nötigte, eine scharfe, wenn auch unter der Friedenslinie verlaufende Grenze zu ziehen. In Einzelfällen konnten 14 - 15jährige Knaben und 68jährige Greise, wie etwa der Leipziger Theologieprofessor C. R. Gregory, den Anforderungen des Infanteriedienstes gewachsen sein; in der Regel aber bildet das Alter von 18 - 19 Jahren die untere, das von 40 - 45 Jahren die obere Grenze der Tauglichkeit, und schon im Landwehralter war die Befähigung zum Stellungskampf zwar erhalten, maximale Marschleistung aber nicht mehr durchweg möglich. Die äußere Körperform so wenig als früher überstandene Krankheiten allein ermöglichen ein Urteil über die Tauglichkeit; gelegentlich fanden sich ganz schwächlich gebaute, wie auch Träger früherer Lungentuberkulose unter den Ausdauerndsten. Ganz besonders schwierig war die Beurteilung solcher, die bereits im Kriege Krankheiten überstanden, Verwundungen erlitten oder durch Explosion und Verschüttung nervös geschädigt waren. Hier zeigte sich der überwiegende Einfluß der seelischen Verfassung, des "Kriegswillens", auf die Leistungsfähigkeit. Seit den ersten Kriegsmonaten fiel die Zahl der Herzleidenden auf, von denen nur wenige die bekannten Schädigungen des Herzens durch Krankheiten, Lues, Arteriosklerose aufwiesen; bei der [495] Mehrzahl war es die körperliche und seelische Erschöpfung, die sich zuerst oder ausschließlich in Herzbeschwerden äußerte. Diese Krankheitszustände waren vom Sport her nicht unbekannt, aber den meisten Ärzten doch wenig geläufig. Nachdem ihr Wesen erkannt, konnten die meisten der Kranken der Genesung zugeführt werden. Daß die sog. Erkältungskrankheiten die Truppen heimsuchen würden, war zu erwarten; ihr Zusammenhang mit Kälte und Nässe prägte sich in den Frequenzkurven der ganzen Armee wie einzelner Truppenteile aus. Im Vergleich zu der Stärke, in der diese Schädigungen auf die Truppen einwirkten, blieb indessen die Zahl der Erkrankungen hinter den Befürchtungen weit zurück. Statistisch waren sie genau so häufig wie bei den entsprechenden Altersklassen der Friedensbevölkerung. Es hatte also eine weitgehende Anpassung durch Übung und Abhärtung den erhöhten Anforderungen standgehalten. Auch die extremen Klimata des Ostens, Nordens und Südens ließen erkennen, wieweit der Mitteleuropäer sich fremdartigen Verhältnissen anzupassen vermag.

Die Ernährung der Truppen, auf Friedenserfahrungen begründet, konnte dank den Entbehrungen der Heimat bis zum Ende ausreichend erhalten werden; von den eigentlichen Hungerkrankheiten blieb die Truppe verschont. Das Studium dieser Krankheiten in der Heimat, besonders in den auf Zwangsernährung angewiesenen Anstalten, in den Gefangenenlagern hinter der Front und bei der Bevölkerung besetzter Gebiete ließ Bilder erkennen, die uns gänzlich oder wenigstens in solchem Umfange neu waren. Eine allgemein unzureichende, eiweiß- und fettarme, an Wasser reiche Kost (Rübenwinter) erzeugte Anschwellung des Körpers, Ergüsse in den Körperhöhlen, und äußerste Widerstandslosigkeit gegenüber selbst leichtesten Infektionen; ausschließliche Ernährung mit Konserven und trockenen Hülsenfrüchten, wie in Balkan und Türkei üblich, führte zu dem seit den Segelfahrerzeiten bei uns fast ausgestorbenen Skorbut. In der Heimat wirkte die Hungerblockade so, daß die Anstalten mit Zwangsernährung nahezu ausstarben und die Sterblichkeit an Tuberkulose auf das Zweieinhalbfache anstieg. Schleichhandel und Sendungen aus besetzten Gebieten haben die Gesamtbevölkerung vor ähnlicher Dezimierung bewahrt.

Ansteckende Krankheiten sind von jeher unzertrennliche Begleiter der Kriege gewesen. Enges Zusammenleben, vielfache Bewegung der Truppen und Gefangenen, der flüchtenden Bevölkerung, unhygienische Verhältnisse, Erschwerung der Reinlichkeit, der Wasserversorgung und Abfuhr sind schuld, daß die Keime leicht Verbreitung finden und schwer zu bekämpfen sind. Nun zeigt sich aber, wie groß die Vorteile sind, die aus der von Pasteur und Koch angebahnten Kenntnis der Erreger und ihrer Lebensbedingungen für die Seuchenbekämpfung erwachsen. Trotz aller Schwierigkeiten und Hemmnisse wurde zum erstenmal in einem großen Kriege erreicht, daß die Zahl der an Seuchen Verstorbenen bei weitem hinter der an Verletzungen Erlegenen zurückblieb; es ist nie vorgekommen, daß ein Truppenteil wegen Durchseuchung aus der Kampflinie zurückgezogen [496] werden mußte. Immerhin blieb die Zahl der Seuchenkranken noch recht beträchtlich und gab Gelegenheit zu reicher Beobachtung. Die Unvermeidlichkeit der Seuchen ergibt sich aus den besonderen Verhältnissen, unter denen die Truppen leben mußten. Die Erreger vieler ansteckenden Krankheiten, des Typhus, der Cholera, der Ruhr, vermehren sich im Darm und werden mit den Entleerungen ausgeschieden und verbreitet. Eine geregelte Abfuhr und das Aufsuchen der Infektionsquelle in jedem Einzelfall, die im Frieden diese Krankheiten in Deutschland nahezu ausgerottet hatten, waren im Felde nur sehr beschränkt durchführbar. Wohl wurden abseits gelegene Latrinen angelegt, deren Konstruktion die Erfindungsgabe der Ärzte lebhaft beschäftigte, aber die Verschleppung durch Stiefeln u. dgl. blieb unvermeidlich; noch weniger möglich die Beseitigung der Fliegen, der unheilvollen Verschlepper der Ruhr und anderer Darmerkrankungen. Bakteriologische Untersuchung der Kranken sowohl wie ihrer Umgebung ist um so wichtiger, als geheilte Kranke Monate und Jahre hindurch den Erreger bei sich beherbergen und für ihre Umgebung eine beständige Gefahr bilden können. Ja, es können Personen, ohne jemals selbst zu erkranken, Träger von Krankheitskeimen werden. Solche Dauerausscheider oder Bazillenträger zu ermitteln, ist nur durch Untersuchung ganzer Truppenteile möglich, erfordert viel Personal und Einrichtungen und kann deshalb nur unter besonders günstigen Bedingungen ausreichend durchgeführt werden. Daher hat man den Versuch gemacht, die Empfänglichkeit für die Ansteckung ähnlich wie bei der Pockenimpfung dadurch herabzusetzen, daß man die Widerstandsfähigkeit durch Einspritzen abgetöteter Bazillenkulturen erhöhte. Über derartige Schutzimpfungen gegen Typhus lagen Erfahrungen aus Südwest, aus Nordamerika, Indien, Japan vor; gegen Cholera waren sie in den Balkankriegen angewandt worden. Über den Erfolg sind die Akten noch nicht völlig abgeschlossen. Sicher ist, daß der Schutz nicht wie bei der Pockenimpfung fast absolut, sondern nur relativ ist; es können Geimpfte erkranken. Indessen sanken Krankheitsdauer und Sterblichkeit mit der Zahl der überstandenen Impfungen, und nachdem das ganze Heer 1916 mehrmals durchgeimpft worden war, erlosch der Typhus bis auf wenige Einzelfälle. Noch früher verschwand die Cholera. Sie stammte aus den schon vor dem Kriege verseuchten russischen Provinzen Wolhynien und Podolien, wurde von den russischen Truppen auf die Zivilbevölkerung Galiziens, von da auf österreichisch-ungarische Truppen und weithin in die Monarchie verschleppt, erreichte Herbst 1914 Schlesien, 1915 die in Galizien und Polen stehenden Truppen, erlosch aber im Februar 1916 und trat seitdem nur vereinzelt in Flüchtlingslagern auf. Die Heimat, obschon durch Gefangene und Urlauber mehrfach gefährdet, hatte kaum zu leiden. Sorgsame Überwachung der Flußläufe, der Einzelfälle und der Gefangenenlager bildete einen wirksamen Schutz. Wenn nach diesen glänzenden Erfolgen noch Zweifel an der Wirksamkeit der Schutzimpfung möglich sind, so liegt dies daran, daß außerdem die sorgsamsten hygienischen Maßnahmen durchgeführt wurden, und daß bei der seuchenhaften [497] Ausbreitung der Infektionen Dinge mitspielen, die noch wenig bekannt sind, und die bewirken, daß auch ohne menschliches Zutun Seuchenzüge ein natürliches Ende nehmen. Auffallend bleibt, daß während bei den deutschen und verbündeten Truppen die Cholera 1916 erlosch, sie in Rußland die Bevölkerung andauernd und bis zum heutigen Tage heimsucht.

Die Bilder dieser Krankheiten stehen seit langem fest; beim Typhus konnte die häufige Beteiligung der Knochen durch das Röntgenverfahren, ferner ein bis dahin unbekannter schleichender Verlauf erkannt werden. Bezüglich der Ruhr wurde die Unterscheidung der Bazillenruhr in ihren verschiedenen Formen von der den südlichen Ländern eigentümlichen Amöbenruhr gefördert. Die Behandlung dieser Krankheiten nach ihrem Ausbruch mit abgetöteten Bazillenkulturen, nach Tierversuchen aussichtsvoll, brachte keine unbestrittenen Erfolge.

Die Kleiderlaus war den Truppen in den letzten Jahren bald lästiger geworden als der Feind.
Die Kleiderlaus war den Truppen
in den letzten Jahren bald lästiger geworden
als der Feind.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 232.
Insekten als Krankheitsüberträger haben in diesem Kriege eine sehr wichtige Rolle gespielt. Merkwürdigerweise sind es nicht Flöhe, Wanzen, Kopf- und Filzläuse, sondern lediglich die Kleiderläuse. Seit 1912 waren sie in Tunis durch Nicolle, in Amerika durch dortige Forscher als Überträger des Fleckfiebers erkannt worden. Die Kriegserfahrungen haben das uneingeschränkt bestätigt. So wurde die Verlausung der Truppen, Gefangenenlager und der Zivilbevölkerung, an sich schon eine Plage, zur schwersten Gefahr. Ein Zoologe, Prof. Hase, hatte die Aufgabe, die Lebensgewohnheiten der Tiere zu erforschen und kam dabei zu mannigfachen ungeahnten Entdeckungen. So gelang die Bekämpfung des gefürchteten Fleckfiebers befriedigend, doch konnte nicht vermieden werden, daß anfangs namentlich in den überfüllten und auf so raschen Zustrom nicht eingerichteten Gefangenenlagern große Epidemien ausbrachen. Die Heimat und die im Westen und gegen Italien kämpfenden Truppen blieben bis auf Einzelfälle verschont.

Der Erreger des Fleckfiebers wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Dr. da Rocha-Lima vom Hamburger Tropeninstitut in einem kleinen Zwillingsorganismus gefunden, der im Blute kreist, von der Laus aufgenommen wird, in ihrem Mitteldarm sich vermehrt und durch Biß auf neue Personen übertragen wird. Das Gebilde ist Rickettsia benannt. Die österreichischen Forscher Weil und Felix entdeckten, daß das Blut der Fleckfieberkranken bis weit über die Rekonvaleszenz hinaus die Eigenschaft annimmt, einen Bazillus, der nicht der Erreger ist, zu agglutinieren. Diese sehr regelmäßig auftretende Reaktion ist zum wichtigen diagnostischen Hilfsmittel geworden, um so wichtiger, als das Fleckfieber bei Kindern leichte, oft übersehene Krankheit hervorruft, dennoch aber durch sie verschleppt wird. All diese Erfahrungen wurden erst im Kriege gewonnen; vorher war es unvermeidlich, daß nicht wenige Ärzte und Pflegepersonen der gefährlichen Krankheit zum Opfer fielen.

Eine weitere, durch Läuse übertragene, bei uns nahezu ausgestorbene Krankheit ist das Rückfallfieber. Bei diesem scheint aber nicht der Biß, sondern [498] das Zerkratzen der Läuseexkremente auf der Haut die Übertragung zu bewerkstelligen; daher das Freibleiben der deutschen, reinlicheren Truppen inmitten verseuchter Umgebung. Salvarsan erwies sich als fast unfehlbares Heilmittel.

Eine dritte, ebenfalls durch Läuse übertragbare Krankheit wurde überhaupt erst in diesem Kriege durch His und durch Werner beschrieben und nach den charakteristischen, alle fünf Tage erfolgenden Fieberanfällen als Fünftage- oder als wolhynisches Fieber bezeichnet. Nach Jungmann und Kuszynski wird es ebenfalls durch eine im Läusedarm sich vermehrende Rickettsia hervorgerufen. Im Russisch-Türkischen Krieg waren ähnliche Fälle beobachtet, aber als atypische Malaria gedeutet worden.

Die bisher nur vereinzelt und selten aufgetretene Weilsche Krankheit, ein mit Gelbsucht und Nierenentzündung verbundenes Fieber, trat im Westen in einigen hundert Fällen auf; es gelang Uhlenhuth und Fromme, wie auch gleichzeitig japanischen Forschern, als Erreger eine Spirochäte, eine Verwandte des Syphiliserregers, nachzuweisen. Sie wird durch Ratten und andere Tiere verbreitet und vermag durch die unverletzte Haut (etwa beim Baden) einzudringen.

Die Malaria, früher in Deutschland recht häufig, seit Jahrzehnten aber auf ganz vereinzelte Herde beschränkt, erlangte an der ganzen Ostfront, vom Baltikum bis nach Palästina, eine unerwartete Ausbreitung. Übertragen wird sie bekanntlich durch Stechmücken (Anopheles). In Rußland, Ungarn war die Krankheit heimisch, wenn auch nicht sehr verbreitet, häufiger in den Balkan- und türkischen Ländern, besonders entlang den Verkehrswegen. Die Ausbreitung zur Massenseuche wurde erst durch die Kriegsverhältnisse möglich: der Transport Kranker und erkrankt Gewesener, die jahrelang Träger der Keime bleiben und unter Umständen an Rückfällen erkranken, verbreitete den Infektionsstoff. Die Übertragung besorgten die überall, auch in Deutschland vorkommenden, in Tümpeln und Sümpfen besonders gedeihenden Anophelesmücken. Die Vorbeugungsmittel sind aus den Tropen längst bekannt; der persönliche Schutz durch Mückenschleier im Felde aber nur ausnahmsweise durchführbar, die Prophylaxe durch regelmäßig eingenommene Chinindosen versagte in einem Grade, den man nach Friedenserfahrungen nicht erwartet hatte. Teils wurde sie unvollkommen und widerstrebend durchgeführt, auch mußte, trotz der großen in Deutschland lagernden Chininmengen, doch mit Sparsamkeit über das nicht mehr zu ersetzende Material verfügt werden. Es scheint aber auch, daß die Strapazen dem Eindringen dieser wie anderer Infektionen Vorschub leisten, und an Strapazen fehlte es den in diesen warmen und wilden Gegenden kämpfenden Truppen wahrlich nicht. Auch der Erfolg der Chininbehandlung nach Ausbruch der Krankheit entsprach nicht den Erwartungen. Selbst im Tropendienst erfahrene Ärzte waren einigermaßen überrascht; die Neigung der Erreger, im Körper auch nach scheinbarer Heilung zu verharren und in Rückfällen wieder auszubrechen, war unerwartet groß. Salvarsan erwies sich bei Tertiana, aber nicht bei Tropenfieber [499] wirksam, wenn auch nicht absolut zuverlässig. In schweren Fällen bewährte sich die Einspritzung von Chinin ins Blut. Todesfälle waren recht häufig; die extreme Schwäche und Blutarmut wich erst nach langer Rekonvaleszenz und hielt Tausende monatelang fern von der Front. Neben dieser Massenseuche traten die anderen Krankheiten des Mittelmeer- und Tropengebiets ganz zurück. Höchstens das lästige, durch eine kleine, äußerst gewandt durch alle Netze schlüpfende Phlebosomusfliege übertragene Pappatacifieber mit der enormen nachfolgenden Schwäche wurde an einzelnen Orten beschwerlich.

Eingeweidewürmer waren, wie man das bei den Trinkwasser- und Abfuhrverhältnissen nicht anders erwarten konnte, an allen Fronten sehr verbreitet, richteten aber wenig Schaden an. Die in Deutschland dank der Fleischbeschau nahezu ausgerottete Trichinose erforderte in Polen einige hundert Opfer, nicht durch Tod, aber durch langwierige Schwächung; sie gab zu neuen wertvollen Beobachtungen über Verlauf und Behandlung Anlaß. Zu den Infektionskrankheiten muß vielleicht auch jene Nierenentzündung gerechnet werden, die im Frühjahr 1915 erschien und im Winter 1916/17 bis auf spärliche Einzelfälle erlosch. Dieser Verlauf beweist, daß nicht die Strapazen allein deren Ursache sein konnten, wenngleich das Vorkommen fast ausschließlich bei Mannschaften der Front auf starke Mitbeteiligung dieser Einflüsse hindeutete. Die eigentliche Ursache dieser Krankheit konnte nicht ermittelt werden.

Trotz aller Hemmnisse und äußeren Schwierigkeiten ist auch auf dem Gebiet der inneren Medizin ein gutes Stück ehrlicher und fruchtbringender Arbeit geleistet worden. Zwar können noch nicht alle Kriegserfahrungen liquidiert werden. Sie bedürfen weiterhin vielfacher Durcharbeitung und Vertiefung; aber ebenso vieles kann schon jetzt zum gesicherten Besitz gezählt werden und wird bei zukünftigen Kriegen, Kolonisationen oder Massenbewegungen mit Nutzen Beachtung und Verwendung finden.

Eine dieser Kriegslehren sei zum Schluß nochmals besonders betont: Kultur und Zivilisation schließen, je höher sie steigen, stets mehr oder weniger Gefahr der körperlichen Erschlaffung und Verweichlichung in sich. Die Fähigkeit, sich stark erhöhten körperlichen und seelischen Anforderungen anzupassen, behält der Mensch aber nur bei richtigen Training und wenn Gemeinschaftsgefühl, Kameradschaft, Pflichtbewußtsein, Disziplin und nicht zuletzt Vaterlandsliebe mitwirken. Denn schließlich ist, das lehrt der Große Krieg, nur der vollkräftige, sittlich gefestigte Mensch imstande, extreme Anstrengungen ohne dauernden Schaden zu ertragen. Für die kommenden und entbehrungsreichen Jahre an der Erhaltung der Volkskraft und Volksgesundheit mitzuarbeiten, bleibt daher eine der vornehmsten Aufgaben der deutschen Ärzte.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte