Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 6:
Feldsanitätswesen
(Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt
3. Wissenschaftlicher Teil.
(Forts.)
Innere Medizin - Ernährungsfragen -
Seuchenlehre.
(Von Prof. Dr. His, Berlin.)
Der letzte größere Krieg, den das deutsche Volk geführt hatte,
44 Jahre vor dem Weltkriege, war von kurzer Dauer und spielte sich in
zivilisiertem Lande, unter Einsatz der rüstigsten Mannschaften des aktiven
und Reservealters ab. Der Weltkrieg beanspruchte auch die älteren
Jahrgänge der Landwehr und des Landsturms, zum Teil sogar in der Front;
er führte die Truppen in die dünn bevölkerten, wenig
kultivierten Regionen Rußlands und der Balkanländer, in die
subtropischen Gebiete Mazedoniens und der Türkei, in Gegenden, deren
Klima ungewohnte Anforderungen stellte, und in denen seltene oder
ausgestorbene Seuchen heimisch waren und unter den Kriegsverhältnissen
ungewohnte Ausdehnung annahmen. Daraus erwuchsen für die
Ärzte, denen die sanitäre Überwachung und die Behandlung
der Truppen oblag, mannigfache neue Aufgaben, die auch den Ärzten des
aktiven Heeres trotz ihrer allseitigen Ausbildung in allen Teilen des
Heeressanitätswesens ungewohnt waren; die Mehrzahl der Ärzte aber
gehörte der Reserve an und hatte nur eine kurzdauernde militärische
Ausbildung genossen; die landsturmpflichtigen und die vertraglich angestellten
Zivilärzte entbehrten einer solchen überhaupt. Dennoch haben sich
alle Klassen den Anforderungen anzupassen gewußt; gerade unter den dem
Heere fernerstehenden Ärzten waren viele dank einer besonderen
wissenschaftlichen Ausbildung besonders geeignet, die neuen Erfahrungen zu
erfassen und wissenschaftlich zu vertiefen. Als beratende Instanzen kamen bald
nach Kriegsbeginn ein Beratender innerer Mediziner und ein Pathologe für
jede Armee zu den Beratenden Chirurgen und Hygienikern hinzu. Diese
wissenschaftlichen Instanzen wurden nach Bedarf in Front, Etappe oder Heimat
verwendet, auch gelegentlich mit Spezialaufgaben betraut; ihre Aufgabe war
sowohl die Beratung im Einzelfall, wie die Bearbeitung des wissenschaftlichen
Materials und wissenschaftlicher Ergebnisse, wobei sie durch Einrichtung von
Sonderlazaretten und Laboratorien wirksam unterstützt wurden; vor allem
auch die Berichterstattung an den Chef des Feldsanitätswesens und der
Austausch der Erfahrungen zwischen Feld und Heimat. Kongresse, zu denen alle
abkömmlichen Heeresärzte kommandiert wurden, vereinigten
u. a. 1916 die Internisten in Warschau, die Nervenärzte in
München, die Pathologen in Frankfurt zu gemeinsamer und
fruchtbringender Beratung. Die medizinische Fachpresse sammelte in
feldärztlichen Beilagen die auf den Krieg bezugnehmenden
Veröffentlichungen und stellte sie in weitgehender Weise den
Truppenärzten zu. Besondere Fragen wurden in Sitzungen des Senats der
Kaiser- [494] Wilhelms-Akademie in
Berlin eingehend verhandelt. Besonders wertvoll auch für die Zukunft sind
die Sammlungen von Röntgenplatten der Verletzungen, von pathologischen
Präparaten, Abgüssen und Moulagen, die im Gebäude der
ehemaligen Akademie vereinigt, zum Teil noch der wissenschaftlichen
Verarbeitung harren. Nicht ganz befriedigend ist die Statistik der während
des Krieges aufgetretenen Krankheiten. In der Einsicht, daß die
während eines Feldzugs einlaufenden Krankheitsmeldungen unter dem
Drang der Umstände naturgemäß unvollkommen bleiben
müssen, wurde die Sammlung sämtlicher Krankengeschichten
zwecks späterer Verarbeitung vorgesehen. Das bei der langen Kriegsdauer
ins Ungemessene angewachsene Material wurde während der Unruhen der
Revolution zum Teil verschleudert. Dem jetzt stark reduzierten
Sanitätspersonal wird die Bearbeitung des Restes nicht mehr möglich
sein. So bleiben manche, auch praktisch z. B. für die
Unfallrechtsprechung wichtige Fragen noch ungelöst. Trotz dieser
Unvollkommenheiten sind die gesicherten ärztlichen Erfahrungen des
Weltkrieges ungemein zahlreich und bedeutsam.
Die Schwierigkeiten begannen für den Arzt schon bei der Aushebung der
Diensttauglichen. Das Friedensheer stellte ausgesuchte Mannschaften von 20 bis
24 Jahren ein; schon Schönheitsfehler, wie Stottern, schlossen
Militärdienst aus. Genaue Bestimmungen und große Erfahrung der
Militärärzte sicherten die Auswahl. Mit Beginn des Krieges
strömten Freiwillige jeden Alters und Kräftezustandes herbei; die
Auswahl wurde weniger erfahrenen Ärzten anvertraut. Kriegsbegeisterung
und Unkenntnis der zu erwartenden Strapazen führten viele dem Heere zu,
die nach kürzerer oder längerer Zeit sich als ungeeignet erwiesen. Je
länger der Krieg dauerte, um so weiter mußten die Anforderungen an
den Ersatz herabgesetzt werden, bis die Erfahrung nötigte, eine scharfe,
wenn auch unter der Friedenslinie verlaufende Grenze zu ziehen. In
Einzelfällen konnten 14 - 15jährige Knaben und
68jährige Greise, wie etwa der Leipziger Theologieprofessor
C. R. Gregory, den Anforderungen des Infanteriedienstes gewachsen
sein; in der Regel aber bildet das Alter von
18 - 19 Jahren die untere, das von
40 - 45 Jahren die obere Grenze der Tauglichkeit, und schon im
Landwehralter war die Befähigung zum Stellungskampf zwar erhalten,
maximale Marschleistung aber nicht mehr durchweg möglich. Die
äußere Körperform so wenig als früher
überstandene Krankheiten allein ermöglichen ein Urteil über
die Tauglichkeit; gelegentlich fanden sich ganz schwächlich gebaute, wie
auch Träger früherer Lungentuberkulose unter den Ausdauerndsten.
Ganz besonders schwierig war die Beurteilung solcher, die bereits im Kriege
Krankheiten überstanden, Verwundungen erlitten oder durch Explosion und
Verschüttung nervös geschädigt waren. Hier zeigte sich der
überwiegende Einfluß der seelischen Verfassung, des
"Kriegswillens", auf die Leistungsfähigkeit. Seit den ersten Kriegsmonaten
fiel die Zahl der Herzleidenden auf, von denen nur wenige die bekannten
Schädigungen des Herzens durch Krankheiten, Lues, Arteriosklerose
aufwiesen; bei der [495] Mehrzahl war es die
körperliche und seelische Erschöpfung, die sich zuerst oder
ausschließlich in Herzbeschwerden äußerte. Diese
Krankheitszustände waren vom Sport her nicht unbekannt, aber den
meisten Ärzten doch wenig geläufig. Nachdem ihr Wesen erkannt,
konnten die meisten der Kranken der Genesung zugeführt werden.
Daß die sog. Erkältungskrankheiten die Truppen heimsuchen
würden, war zu erwarten; ihr Zusammenhang mit Kälte und
Nässe prägte sich in den Frequenzkurven der ganzen Armee wie
einzelner Truppenteile aus. Im Vergleich zu der Stärke, in der diese
Schädigungen auf die Truppen einwirkten, blieb indessen die Zahl der
Erkrankungen hinter den Befürchtungen weit zurück. Statistisch
waren sie genau so häufig wie bei den entsprechenden Altersklassen der
Friedensbevölkerung. Es hatte also eine weitgehende Anpassung durch
Übung und Abhärtung den erhöhten Anforderungen
standgehalten. Auch die extremen Klimata des Ostens, Nordens und Südens
ließen erkennen, wieweit der Mitteleuropäer sich fremdartigen
Verhältnissen anzupassen vermag.
Die Ernährung der Truppen, auf Friedenserfahrungen begründet,
konnte dank den Entbehrungen der Heimat bis zum Ende ausreichend erhalten
werden; von den eigentlichen Hungerkrankheiten blieb die Truppe verschont. Das
Studium dieser Krankheiten in der Heimat, besonders in den auf
Zwangsernährung angewiesenen Anstalten, in den Gefangenenlagern hinter
der Front und bei der Bevölkerung besetzter Gebiete ließ Bilder
erkennen, die uns gänzlich oder wenigstens in solchem Umfange neu
waren. Eine allgemein unzureichende,
eiweiß- und fettarme, an Wasser reiche Kost (Rübenwinter) erzeugte
Anschwellung des Körpers, Ergüsse in den
Körperhöhlen, und äußerste Widerstandslosigkeit
gegenüber selbst leichtesten Infektionen; ausschließliche
Ernährung mit Konserven und trockenen Hülsenfrüchten, wie
in Balkan und Türkei üblich, führte zu dem seit den
Segelfahrerzeiten bei uns fast ausgestorbenen Skorbut. In der Heimat wirkte die
Hungerblockade so, daß die Anstalten mit Zwangsernährung nahezu
ausstarben und die Sterblichkeit an Tuberkulose auf das Zweieinhalbfache
anstieg. Schleichhandel und Sendungen aus besetzten Gebieten haben die
Gesamtbevölkerung vor ähnlicher Dezimierung bewahrt.
Ansteckende Krankheiten sind von jeher unzertrennliche Begleiter der Kriege
gewesen. Enges Zusammenleben, vielfache Bewegung der Truppen und
Gefangenen, der flüchtenden Bevölkerung, unhygienische
Verhältnisse, Erschwerung der Reinlichkeit, der Wasserversorgung und
Abfuhr sind schuld, daß die Keime leicht Verbreitung finden und schwer zu
bekämpfen sind. Nun zeigt sich aber, wie groß die Vorteile sind, die
aus der von Pasteur und Koch angebahnten Kenntnis der Erreger und ihrer
Lebensbedingungen für die Seuchenbekämpfung erwachsen. Trotz
aller Schwierigkeiten und Hemmnisse wurde zum erstenmal in einem
großen Kriege erreicht, daß die Zahl der an Seuchen Verstorbenen bei
weitem hinter der an Verletzungen Erlegenen zurückblieb; es ist nie
vorgekommen, daß ein Truppenteil wegen Durchseuchung aus der
Kampflinie zurückgezogen [496] werden mußte.
Immerhin blieb die Zahl der Seuchenkranken noch recht beträchtlich und
gab Gelegenheit zu reicher Beobachtung. Die Unvermeidlichkeit der Seuchen
ergibt sich aus den besonderen Verhältnissen, unter denen die Truppen
leben mußten. Die Erreger vieler ansteckenden Krankheiten, des Typhus,
der Cholera, der Ruhr, vermehren sich im Darm und werden mit den Entleerungen
ausgeschieden und verbreitet. Eine geregelte Abfuhr und das Aufsuchen der
Infektionsquelle in jedem Einzelfall, die im Frieden diese Krankheiten in
Deutschland nahezu ausgerottet hatten, waren im Felde nur sehr beschränkt
durchführbar. Wohl wurden abseits gelegene Latrinen angelegt, deren
Konstruktion die Erfindungsgabe der Ärzte lebhaft beschäftigte, aber
die Verschleppung durch Stiefeln u. dgl. blieb unvermeidlich; noch
weniger möglich die Beseitigung der Fliegen, der unheilvollen
Verschlepper der Ruhr und anderer Darmerkrankungen. Bakteriologische
Untersuchung der Kranken sowohl wie ihrer Umgebung ist um so wichtiger, als
geheilte Kranke Monate und Jahre hindurch den Erreger bei sich beherbergen und
für ihre Umgebung eine beständige Gefahr bilden können. Ja,
es können Personen, ohne jemals selbst zu erkranken, Träger von
Krankheitskeimen werden. Solche Dauerausscheider oder Bazillenträger zu
ermitteln, ist nur durch Untersuchung ganzer Truppenteile möglich,
erfordert viel Personal und Einrichtungen und kann deshalb nur unter besonders
günstigen Bedingungen ausreichend durchgeführt werden. Daher hat
man den Versuch gemacht, die Empfänglichkeit für die Ansteckung
ähnlich wie bei der Pockenimpfung dadurch herabzusetzen, daß man
die Widerstandsfähigkeit durch Einspritzen abgetöteter
Bazillenkulturen erhöhte. Über derartige Schutzimpfungen gegen
Typhus lagen Erfahrungen aus Südwest, aus Nordamerika, Indien, Japan
vor; gegen Cholera waren sie in den Balkankriegen angewandt worden.
Über den Erfolg sind die Akten noch nicht völlig abgeschlossen.
Sicher ist, daß der Schutz nicht wie bei der Pockenimpfung fast absolut,
sondern nur relativ ist; es können Geimpfte erkranken. Indessen sanken
Krankheitsdauer und Sterblichkeit mit der Zahl der überstandenen
Impfungen, und nachdem das ganze Heer 1916 mehrmals durchgeimpft worden
war, erlosch der Typhus bis auf wenige Einzelfälle. Noch früher
verschwand die Cholera. Sie stammte aus den schon vor dem Kriege verseuchten
russischen Provinzen Wolhynien und Podolien, wurde von den russischen
Truppen auf die Zivilbevölkerung Galiziens, von da auf
österreichisch-ungarische Truppen und weithin in die Monarchie
verschleppt, erreichte Herbst 1914 Schlesien, 1915 die in Galizien und Polen
stehenden Truppen, erlosch aber im Februar 1916 und trat seitdem nur vereinzelt
in Flüchtlingslagern auf. Die Heimat, obschon durch Gefangene und
Urlauber mehrfach gefährdet, hatte kaum zu leiden. Sorgsame
Überwachung der Flußläufe, der Einzelfälle und der
Gefangenenlager bildete einen wirksamen Schutz. Wenn nach diesen
glänzenden Erfolgen noch Zweifel an der Wirksamkeit der Schutzimpfung
möglich sind, so liegt dies daran, daß außerdem die
sorgsamsten hygienischen Maßnahmen durchgeführt wurden, und
daß bei der seuchenhaften [497] Ausbreitung der
Infektionen Dinge mitspielen, die noch wenig bekannt sind, und die bewirken,
daß auch ohne menschliches Zutun Seuchenzüge ein
natürliches Ende nehmen. Auffallend bleibt, daß während bei
den deutschen und verbündeten Truppen die Cholera 1916 erlosch, sie in
Rußland die Bevölkerung andauernd und bis zum heutigen Tage
heimsucht.
Die Bilder dieser Krankheiten stehen seit langem fest; beim Typhus konnte die
häufige Beteiligung der Knochen durch das Röntgenverfahren, ferner
ein bis dahin unbekannter schleichender Verlauf erkannt werden. Bezüglich
der Ruhr wurde die Unterscheidung der Bazillenruhr in ihren verschiedenen
Formen von der den südlichen Ländern eigentümlichen
Amöbenruhr gefördert. Die Behandlung dieser Krankheiten nach
ihrem Ausbruch mit abgetöteten Bazillenkulturen, nach Tierversuchen
aussichtsvoll, brachte keine unbestrittenen Erfolge.
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Insekten als Krankheitsüberträger haben in diesem Kriege eine sehr
wichtige Rolle gespielt. Merkwürdigerweise sind es nicht Flöhe,
Wanzen, Kopf- und Filzläuse, sondern lediglich die Kleiderläuse.
Seit 1912 waren sie in Tunis durch Nicolle, in Amerika durch dortige Forscher als
Überträger des Fleckfiebers erkannt worden. Die Kriegserfahrungen
haben das uneingeschränkt bestätigt. So wurde die Verlausung der
Truppen, Gefangenenlager und der Zivilbevölkerung, an sich schon eine
Plage, zur schwersten Gefahr. Ein Zoologe, Prof. Hase, hatte die Aufgabe,
die Lebensgewohnheiten der Tiere zu erforschen und kam dabei zu mannigfachen
ungeahnten Entdeckungen. So gelang die Bekämpfung des
gefürchteten Fleckfiebers befriedigend, doch konnte nicht vermieden
werden, daß anfangs namentlich in den überfüllten und auf so
raschen Zustrom nicht eingerichteten Gefangenenlagern große Epidemien
ausbrachen. Die Heimat und die im Westen und gegen Italien kämpfenden
Truppen blieben bis auf Einzelfälle verschont.
Der Erreger des Fleckfiebers wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von
Dr. da Rocha-Lima vom Hamburger Tropeninstitut in einem kleinen
Zwillingsorganismus gefunden, der im Blute kreist, von der Laus aufgenommen
wird, in ihrem Mitteldarm sich vermehrt und durch Biß auf neue Personen
übertragen wird. Das Gebilde ist Rickettsia benannt. Die
österreichischen Forscher Weil und Felix entdeckten, daß das Blut
der Fleckfieberkranken bis weit über die Rekonvaleszenz hinaus die
Eigenschaft annimmt, einen Bazillus, der nicht der Erreger ist, zu agglutinieren.
Diese sehr regelmäßig auftretende Reaktion ist zum wichtigen
diagnostischen Hilfsmittel geworden, um so wichtiger, als das Fleckfieber bei
Kindern leichte, oft übersehene Krankheit hervorruft, dennoch aber durch
sie verschleppt wird. All diese Erfahrungen wurden erst im Kriege gewonnen;
vorher war es unvermeidlich, daß nicht wenige Ärzte und
Pflegepersonen der gefährlichen Krankheit zum Opfer fielen.
Eine weitere, durch Läuse übertragene, bei uns nahezu ausgestorbene
Krankheit ist das Rückfallfieber. Bei diesem scheint aber nicht der
Biß, sondern [498] das Zerkratzen der
Läuseexkremente auf der Haut die Übertragung zu bewerkstelligen;
daher das Freibleiben der deutschen, reinlicheren Truppen inmitten verseuchter
Umgebung. Salvarsan erwies sich als fast unfehlbares Heilmittel.
Eine dritte, ebenfalls durch Läuse übertragbare Krankheit wurde
überhaupt erst in diesem Kriege durch His und durch Werner beschrieben
und nach den charakteristischen, alle fünf Tage erfolgenden
Fieberanfällen als Fünftage- oder als wolhynisches Fieber
bezeichnet. Nach Jungmann und Kuszynski wird es ebenfalls durch eine im
Läusedarm sich vermehrende Rickettsia hervorgerufen. Im
Russisch-Türkischen Krieg waren ähnliche Fälle beobachtet,
aber als atypische Malaria gedeutet worden.
Die bisher nur vereinzelt und selten aufgetretene Weilsche Krankheit, ein mit
Gelbsucht und Nierenentzündung verbundenes Fieber, trat im Westen in
einigen hundert Fällen auf; es gelang Uhlenhuth und Fromme, wie auch
gleichzeitig japanischen Forschern, als Erreger eine Spirochäte, eine
Verwandte des Syphiliserregers, nachzuweisen. Sie wird durch Ratten und andere
Tiere verbreitet und vermag durch die unverletzte Haut (etwa beim Baden)
einzudringen.
Die Malaria, früher in Deutschland recht häufig, seit Jahrzehnten
aber auf ganz vereinzelte Herde beschränkt, erlangte an der ganzen
Ostfront, vom Baltikum bis nach Palästina, eine unerwartete Ausbreitung.
Übertragen wird sie bekanntlich durch Stechmücken (Anopheles). In
Rußland, Ungarn war die Krankheit heimisch, wenn auch nicht sehr
verbreitet, häufiger in den Balkan- und türkischen Ländern,
besonders entlang den Verkehrswegen. Die Ausbreitung zur Massenseuche wurde
erst durch die Kriegsverhältnisse möglich: der Transport Kranker
und erkrankt Gewesener, die jahrelang Träger der Keime bleiben und unter
Umständen an Rückfällen erkranken, verbreitete den
Infektionsstoff. Die Übertragung besorgten die überall, auch in
Deutschland vorkommenden, in Tümpeln und Sümpfen besonders
gedeihenden Anophelesmücken. Die Vorbeugungsmittel sind aus den
Tropen längst bekannt; der persönliche Schutz durch
Mückenschleier im Felde aber nur ausnahmsweise durchführbar, die
Prophylaxe durch regelmäßig eingenommene Chinindosen versagte
in einem Grade, den man nach Friedenserfahrungen nicht erwartet hatte. Teils
wurde sie unvollkommen und widerstrebend durchgeführt, auch
mußte, trotz der großen in Deutschland lagernden Chininmengen,
doch mit Sparsamkeit über das nicht mehr zu ersetzende Material
verfügt werden. Es scheint aber auch, daß die Strapazen dem
Eindringen dieser wie anderer Infektionen Vorschub leisten, und an Strapazen
fehlte es den in diesen warmen und wilden Gegenden kämpfenden Truppen
wahrlich nicht. Auch der Erfolg der Chininbehandlung nach Ausbruch der
Krankheit entsprach nicht den Erwartungen. Selbst im Tropendienst erfahrene
Ärzte waren einigermaßen überrascht; die Neigung der
Erreger, im Körper auch nach scheinbarer Heilung zu verharren und in
Rückfällen wieder auszubrechen, war unerwartet groß.
Salvarsan erwies sich bei Tertiana, aber nicht bei Tropenfieber [499] wirksam, wenn auch
nicht absolut zuverlässig. In schweren Fällen bewährte sich die
Einspritzung von Chinin ins Blut. Todesfälle waren recht häufig; die
extreme Schwäche und Blutarmut wich erst nach langer Rekonvaleszenz
und hielt Tausende monatelang fern von der Front. Neben dieser Massenseuche
traten die anderen Krankheiten des Mittelmeer- und Tropengebiets ganz
zurück. Höchstens das lästige, durch eine kleine,
äußerst gewandt durch alle Netze schlüpfende
Phlebosomusfliege übertragene Pappatacifieber mit der enormen
nachfolgenden Schwäche wurde an einzelnen Orten beschwerlich.
Eingeweidewürmer waren, wie man das bei den
Trinkwasser- und Abfuhrverhältnissen nicht anders erwarten konnte, an
allen Fronten sehr verbreitet, richteten aber wenig Schaden an. Die in Deutschland
dank der Fleischbeschau nahezu ausgerottete Trichinose erforderte in Polen einige
hundert Opfer, nicht durch Tod, aber durch langwierige Schwächung; sie
gab zu neuen wertvollen Beobachtungen über Verlauf und Behandlung
Anlaß. Zu den Infektionskrankheiten muß vielleicht auch jene
Nierenentzündung gerechnet werden, die im Frühjahr 1915 erschien
und im Winter 1916/17 bis auf spärliche Einzelfälle erlosch. Dieser
Verlauf beweist, daß nicht die Strapazen allein deren Ursache sein konnten,
wenngleich das Vorkommen fast ausschließlich bei Mannschaften der Front
auf starke Mitbeteiligung dieser Einflüsse hindeutete. Die eigentliche
Ursache dieser Krankheit konnte nicht ermittelt werden.
Trotz aller Hemmnisse und äußeren Schwierigkeiten ist auch auf dem
Gebiet der inneren Medizin ein gutes Stück ehrlicher und fruchtbringender
Arbeit geleistet worden. Zwar können noch nicht alle Kriegserfahrungen
liquidiert werden. Sie bedürfen weiterhin vielfacher Durcharbeitung und
Vertiefung; aber ebenso vieles kann schon jetzt zum gesicherten Besitz
gezählt werden und wird bei zukünftigen Kriegen, Kolonisationen
oder Massenbewegungen mit Nutzen Beachtung und Verwendung finden.
Eine dieser Kriegslehren sei zum Schluß nochmals besonders betont: Kultur
und Zivilisation schließen, je höher sie steigen, stets mehr oder
weniger Gefahr der körperlichen Erschlaffung und Verweichlichung in
sich. Die Fähigkeit, sich stark erhöhten körperlichen und
seelischen Anforderungen anzupassen, behält der Mensch aber nur bei
richtigen Training und wenn Gemeinschaftsgefühl, Kameradschaft,
Pflichtbewußtsein, Disziplin und nicht zuletzt Vaterlandsliebe mitwirken.
Denn schließlich ist, das lehrt der Große Krieg, nur der
vollkräftige, sittlich gefestigte Mensch imstande, extreme Anstrengungen
ohne dauernden Schaden zu ertragen. Für die kommenden und
entbehrungsreichen Jahre an der Erhaltung der Volkskraft und Volksgesundheit
mitzuarbeiten, bleibt daher eine der vornehmsten Aufgaben der deutschen
Ärzte.
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