Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
[401]
Kapitel 6:
Feldsanitätswesen
Generalarzt Dr. Carl Altgelt
Unter Mitwirkung von:
Generalarzt a. D. Dr. Adrian / Berlin, Marine-Oberstabsarzt Dr.
Amelung / Wilhelmshaven,
Marine-Generaloberarzt a. D. Reg.-Med.-Rat Dr. Bentmann / Karlsruhe,
Generaloberarzt a. D. Prof. Dr. Bischoff / Bremen,
Oberstabsarzt d. L. a. D. Dr. Blank / Barmen, Oberarzt Dr. Blaul /
München, Zahnarzt Dr. Bolstorff / Berlin,
Marine-Stabsarzt Dr. Eyerich / Kiel, Oberstabsarzt a. D. Dr. Gabriel / Berlin,
Generalarzt a. d. Dr. Hagen / Königsberg i. Pr.,
Generaloberarzt Dr. v. Heuß / München, Geh. Med.-Rat Generalarzt
d. R. a. D. Prof. Dr. His / Berlin,
Marine-Generaloberarzt a. D. Dr. Huß / Gunzenhausen, Geh.
San.-Rat Obergeneralarzt d. L. a. D. Prof. Dr. Körte / Berlin,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Krückmann / Berlin, Marine-Oberstabsarzt Dr.
Mann / Wilhelmshaven,
Reg.-Inspektor Mutschler / Berlin, Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Ludloff / Frankfurt a. M.,
Generaloberarzt a. D. Dr. Pannwitz (Karl) / Berlin-Tegel, Korpsstabsapotheker
Dr. Prieß / Berlin,
Marine-Generalarzt Dr. Schepers / Berlin, Oberstabsarzt a. D. Dr. Seige /
Hamburg, Facharzt Dr. Sommer / Altona,
Marine-Stabsarzt Dr. Sonntag / Kiel, Marine-Generaloberarzt a. D. Reg.-Med.-Rat
Prof Dr. zur Verth / Altona,
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Voß / Frankfurt a. M., Marine-Oberstabsarzt Dr.
Weißenborn / Berlin,
Oberstabsarzt a. D. Reg.-Med.-Rat Dr. Weyert / Berlin.
1. Einleitung.
In den 44 Friedensjahren vor dem Großen Kriege ist das deutsche
Militärsanitätswesen im Sinne der Kriegsmäßigkeit
immer mehr vervollkommnet worden. Die Entwicklung ging mit der des Heeres
Hand in Hand. Die führenden
Männer - es seien nur die Namen von Coler und von Schjerning
genannt - konnten sich dabei auf das stützen, was ihre
Vorgänger in langer und zielbewußter Arbeit geschaffen hatten. Drei
leitende Gesichtspunkte waren maßgebend:
- Den Arzt bei der bewaffneten Macht auf die denkbar höchste
Stufe wissenschaftlicher Bildung und ärztlicher Kunstfertigkeit zu bringen,
seine Hilfskräfte theoretisch und praktisch aufs beste durchzubilden,
Ärzte und Sanitätsmannschaften militärisch gründlich
zu schulen;
- die Materialausrüstung für die besonderen Verhältnisse
im Kriege wirklich brauchbar zu gestalten;
- eine in allen Teilen so leistungsfähige Organisation zu schaffen,
daß sich der Übergang aus dem Friedensverhältnis in den
Kriegszustand ohne Störung [402] vollziehen
mußte; auch den gesteigerten Anforderungen des Krieges sollte sie in jeder
Beziehung gewachsen sein.
Die Leistungen des Sanitätswesens im Großen Kriege haben
bewiesen daß diese Ziele erreicht worden sind. Daß sie erreicht
werden konnten, war in der geschichtlichen Entwicklung begründet, deren
Anfänge in Preußen auf die Zeiten der beiden Könige Friedrich
Wilhelm I. und II. zurückgehen. Ersterer hatte mit scharfem Blick
für die realen Bedürfnisse des Heerwesens die Notwendigkeit
erkannt, seiner Armee tüchtige "Ärzte" zu geben und zu diesem
Zweck wissenschaftliche Einrichtungen (das Theatrum anatomicum und
das Collegium medico-chirurgicum, sowie das
Charitékrankenhaus in Berlin) begründet, wo eine bestimmte
Anzahl von "Pensionärchirurgen" studieren konnte und nach damaligen
Verhältnissen vortrefflich am Krankenbett ausgebildet wurde. Friedrich
Wilhelm II. errichtete 1795 auf Rat seines bewährten
Generalstabsarztes Goercke die Pepinière, die man noch jetzt als den
Grundstock für das preußisch-deutsche
Militärsanitätswesen ansehen kann, da aus ihr die
"Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche
Bildungswesen" hervorgegangen ist. Diese bildete bis zu ihrer Auflösung
nach der Revolution den Mittelpunkt für alle Bestrebungen auf dem Gebiet
des Militärsanitätswesens.
In Bayern war es der Generalstabsarzt v. Eichheimer, dessen organisatorische und
wissenschaftliche Arbeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
reiche Früchte getragen hat. In gleicher Weise hat sich in Sachsen der
Korpsarzt Roth in den siebziger Jahren unvergängliche Verdienste
erworben. In den übrigen deutschen Bundesstaaten trat die Entwicklung
weniger hervor.
Für das Sanitätswesen im Kriege hatten die Feldzüge 1864,
1866 und vor allem 1870/71 wichtige Lehren gebracht. In den folgenden
außerdeutschen Kriegen waren sie, auch auf Grund der veränderten
Heeresorganisation und Waffentechnik, wesentlich erweitert worden. Die
Beobachtungen führten allmählich zu einer besonderen
"ärztlichen Kriegswissenschaft", in der alles zusammengefaßt wurde,
was mit der Organisation des Sanitätsdienstes, mit der Wirkung der
verschiedenen Waffen, mit der Behandlung und Versorgung der Kranken und
Verwundeten im Kriege, mit Unterkunft, Bekleidung, Ausrüstung,
Verpflegung, dann vor allem mit der Gesunderhaltung und der wichtigen Frage
des Krankentransports und auch mit der sanitären Materialausrüstung
in Zusammenhang stand. Wissenschaftliche Untersuchungen aller Art, verbunden
mit praktischen Versuchen (Schießversuche), schufen weitere Unterlagen
für den Sanitätsdienst im Kriege und für die
Kriegshygiene.
In der Kriegssanitätsordnung vom 27. Januar 1907, die - bis auf wenige,
durch den großen Krieg selbst gezeitigte Änderungen
organisatorischer Art - sich nach jeder Richtung hin bewährt hat,
fanden sie ihren Niederschlag.
[403] Die Ausbildung der
aktiven Militärärzte für den Krieg war durch das Studium auf
der Kaiser-Wilhelms-Akademie gesichert. Die Ärzte des
Beurlaubtenstandes erhielten während ihrer aktiven Dienstzeit die
notwendige Grundlage. In Fortbildungskursen wurde das Erlernte befestigt; durch
besondere Sanitätsübungen (Kriegsspiele) und während der
Herbstmanöver wurden die militärischen Aufgaben gründlich
bearbeitet. Durch zahlreiche Kommandos zu Universitätskliniken,
Krankenhäusern, wissenschaftlichen Instituten (vor dem Kriege zuletzt
200) war eine große Anzahl von aktiven Militärärzten
vornehmlich in Chirurgie und Hygiene aufs beste fachlich ausgebildet. Ein reiches
literarisches Leben in den Fachzeitschriften und wissenschaftlichen
Vereinigungen der Militärärzte brachte fortgesetzt Anregung zu
eingehendem Studium aller Fragen der ärztlichen Kriegswissenschaft. Das
in sich festgefügte Sanitätsoffizierkorps bildete mit den
Sanitätsmannschaften und den ihm angegliederten Militärapothekern
und Zahnärzten, wie mit den Lazarettverwaltungsbeamten den Stamm
für das große Heer aller, die im großen Kriege im
Heeressanitätsdienst tätig gewesen sind. Dabei sind reiche
Kräfte zur Entfaltung gekommen, weil man überall wetteiferte, stets
nur das Beste zu leisten. Mancher im Kriege tätige Zivilarzt fand sich an
der Front plötzlich vor militärische Aufgaben gestellt, die ihm bis
dahin natürlich fremd waren; auch sie wurden gelöst. Die
opfermutige Arbeit, die mancher von ihnen bei der Sanierung der besetzten
Gebiete und im Kampf gegen die Kriegsseuchen, vor allem in Rußland,
Polen und auf dem Balkan leistete, kann gar nicht hoch genug angeschlagen
werden. Der alleinstehende Landarzt, den seine Praxis gelehrt hatte, mit Geringem
das Notwendige zu erreichen, Chirurgie z. B. mit
behelfsmäßigen Mitteln zu treiben, wurde in der Folge oft zur
unschätzbaren Kraft, namentlich da, wo es angesichts der Schwierigkeit der
Verhältnisse darauf ankam, sich zu behelfen und entgegenstehende
Hindernisse zu überwinden. Der nachstehende wissenschaftliche Teil dieser
Darstellung (S. 478 ff.) wird
zeigen, daß trotz aller gewaltigen Mühen und Strapazen der
wissenschaftliche Geist bei den deutschen Feldärzten niemals geruht
hat.
Die der Truppe entstammenden Sanitätsmannschaften hatten in den
Sanitätsschulen der Garnisonlazarette gründliche theoretische und
praktische Ausbildung genossen; die Kapitulanten waren aufs sorgfältigste
weiter fortgebildet worden. Die Sanitätsmannschaften des
Beurlaubtenstandes frischten in mehrfachen Übungen das Erlernte immer
wieder auf. Die als Militärkrankenwärter ausgehobenen
Ersatzmannschaften erhielten während ihrer zweijährigen Dienstzeit
einen vornehmlich auf Krankenpflege und die Bedürfnisse des
Lazarettverwaltungsdienstes abzielenden Unterricht.
Wegen des fortgesetzten Abgangs durch Verwundung, Krankheit und Tod vor
dem Feinde, dann aber wegen der zahlreichen Neuaufstellungen war der Bedarf an
Sanitätsmannschaften und Militärkrankenwärtern
naturgemäß [404] dauernd sehr
groß. Um ihn zu decken, wurden bei vielen Divisionen und den
größeren Kriegslazaretten Sanitätsschulen eingerichtet, in
denen geeignete Mannschaften ordnungsgemäß zum
Sanitätsdienst ausgebildet wurden. Auch viele nachträglich für
das Heer ausgehobene Angehörige der freiwilligen Krankenpflege wurden
in den militärischen Sanitätsdienst überführt.
Die Zuteilung von Zahnärzten war für den Kriegsfall vorgesehen; das
Bedürfnis erforderte schließlich eine erhebliche Zahl. Sie haben eine
ausgedehnte und sehr ersprießliche Tätigkeit entwickelt.
Für die Militärapotheker war durch die Kabinettsorder vom 14. Mai
1902 eine neue Organisation geschaffen worden; durch scharfe Ansprüche
an ihre wissenschaftliche Bildung und sachgemäße Schulung waren
alle Vorbedingungen für erfolgreiche Tätigkeit bei den Apothekern
des aktiven wie des Beurlaubtenstandes geschaffen.
Feldsanitätsausrüstung.
(Von Korpsstabapotheker Dr. Prieß.)
Durch die Kriegssanitätsordnung vom 27. Januar 1907 war die Ausstattung
des deutschen Feldheeres mit Arznei- und Verbandstoffen, sowie
ärztlichem Gerät auf eine neue Grundlage gestellt worden, die 1910
nach Vorschlägen von Sanitätsoffizieren und
Militärapothekern in modernem Sinne weitgehende Verbesserungen erfuhr
und im Lauf des Jahres 1913 durchgeführt wurde. Die
Sanitätsausrüstung entsprach jetzt in jeder Beziehung dem Stande der
ärztlichen und pharmazeutischen Wissenschaft und den Anforderungen der
Feldverhältnisse. Die organisatorische und praktische Arbeit dabei oblag
dem beim Sanitätsamt eines jeden Armeekorps tätigen
Korpsstabsapotheker und dem Stabsapotheker des bei jedem Armeekorps
bestehenden Sanitätsdepots. So konnte die planmäßige
Sanitätsausrüstung in mustergültiger Verfassung
vollzählig mit ins Feld gegeben werden. Sie gliederte sich in die
Truppensanitätsausrüstung und in die Ausrüstung der
Sanitätsformationen (Sanitätskompagnien, Feldlazarette,
Etappensanitätsdepots). Die Unterbringung der ersteren erfolgte in den
Sanitätsbehältnissen (Sanitätstaschen, Sanitätstornister,
Sanitätskästen) und auf den Truppensanitätswagen, die der
letzteren auf den Sanitätsfahrzeugen der betreffenden Formation. Zu den
eigentlichen Sanitätsmitteln (ärztliche und Apothekengeräte,
Arzneimittel und Verbandmittel, Wirtschaftsgeräte) trat eine umfangreiche
Sonderausstattung: zahnärztliches und Röntgengerät,
Impfstoffe, Brillen, Desinfektions- und Ungeziefermittel,
Krankenverpflegungsvorrat, fahrbare Trinkwasserbereiter, Desinfektionswagen,
gebrauchsfertige Röntgenwagen, fahrbare Wäschereien und
schließlich auch im Kriege die Nachschubbestände an
Veterinärgerät und Veterinärmitteln.
Die militärische Forderung, die Sanitätsausrüstung in eine
Form zu bringen, in der sie den geringsten Platz einnahm und so die Truppe am
wenigsten [405] behinderte, hatte dazu
geführt, die Verbandstoffe in Preßstücken, die
Arzneimittel - soweit angängig - in Tablettenform
einzuführen. Die Tabletten, Ampullen, Pflaster, wie auch andere
Arzneimittelformen, in der entsprechenden Anzahl in den Sanitätsdepots
niedergelegt, wurden durch ständige Auffrischung in brauchbarem
Zustande erhalten. Nur die zum Füllen der Behältnisse erforderlichen
Arzneien und einzelne Nebenbedürfnisse waren für den
Mobilmachungsfall vertraglich sichergestellt.
Lazarettverwaltungsbeamte.
(Nach einem Bericht des Regierungsinspektors
Mutschler.)
Neben den im aktiven Dienst befindlichen Lazarettverwaltungsbeamten traten bei
der Mobilmachung in das Feldverhältnis über:
Die zu Feldlazarettbeamten ausgebildeten ehemaligen
Einjährig-Freiwilligen und Volksschullehrer, zahlreiche verabschiedete
Beamte aus dem Ruhestand, die sich wieder zum Dienst meldeten, endlich viele
Landsturm- und nicht mehr dienstpflichtige ehemalige
Einjährig-Freiwillige, die sich im Kriegsfall für den
Verwaltungsdienst zur Verfügung gestellt hatten.
Bei den Feldformationen war die Verwendung wie folgt geregelt:
Dem ersten Beamten oblag: Heranschaffung der gesamten Verpflegungs- und
Wirtschaftsgegenstände, Verpflegungsbetrieb,
Kassen- und Rechnungswesen, Regelung des Nachlasses der Verstorbenen.
Dem zweiten: die Unterbringung der Kranken, Erledigung der Arbeiten bei
Aufnahme und Entlassung der Kranken, Führung des Hauptkrankenbuches,
Schriftverkehr des Lazaretts usw. nach außen und das
Beerdigungswesen.
Beiden Beamten war entsprechendes Hilfspersonal zugewiesen.
Alle Lazarettverwaltungsbeamten haben ihre schwierige, verantwortungs- und
mühevolle Aufgabe mit peinlicher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit
erfüllt. Nur wer aus eigener Erfahrung die Fülle von
körperlicher und geistiger Arbeit bei der Einrichtung und Verwaltung der
Hilfsplätze und Lazarette im Kampfgebiet und in der Etappe kennengelernt
hat, weiß, wie sie trotz ungeheuerer Schwierigkeiten in
unerschütterlicher Ruhe den tausendfach an sie herantretenden
Anforderungen standgehalten haben, und vermag das Maß und die
Größe dieser Leistungen richtig abzuschätzen.
Hätte das deutsche Heer nicht einen so ausgezeichneten Stamm vortrefflich
durchgebildeter Lazarettbeamten besessen, der dem während des Krieges
hinzugetretenen Nachschub Stütze und Vorbild war, wäre es nicht
möglich gewesen, die für das Wohl der Kranken und Verwundeten
so bedeutsame Verwaltung der Lazarette usw. bis zum Kriegsende und
über die Stürme der Revolution hinaus so gut in Ordnung zu
erhalten, wie es tatsächlich geschehen ist.
[406] Die Verordnung vom
6. März 1872 über die Organisation des preußischen
Sanitätskorps hatte für die ganze neuzeitliche Entwicklung des
Sanitätswesens den Boden geschaffen. Mit den gleichartigen
Organisationen der Bundesstaaten schloß sich das preußische
Sanitätskorps fest zusammen. Wachsend an Zahl mit dem immer
größer werdenden Heer, mit dessen steter Vervollkommnung es
Schritt hielt, in seiner wissenschaftlichen und militärischen
Tüchtigkeit beständig fortschreitend, bildete das deutsche
Sanitätskorps bei dem in ihm herrschenden Geist ernster Pflichtauffassung
und wahrer Humanität die feste Grundlage, die das deutsche
Heeressanitätswesen in den Stand gesetzt hat, seine Aufgabe bis zuletzt zu
erfüllen.
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