Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 3: Die Etappe
(Forts.)
Oberstleutnant Karl Schroeder
8. Die Kräfte der
Etappe.
Für die mannigfachen Aufgaben des Nachschubs und der wirtschaftlichen
Betriebe stand an Personal den Etappeninspektionen anfangs so gut wie nichts zur
Verfügung. Nur zum Güterbodendienst waren ihnen einige
Eisenbahn-Magazinarbeiterkompagnien zugeteilt, die zu den Eisenbahntruppen
zählten und sich aus Güterbodenarbeitern ergänzten. Sie
fanden auch Verwendung im Magazindienst. Bald wurden sie, den
Wünschen ihrer Leute folgend, die bei dem Ausdruck "Arbeiterkompagnie"
Verwechselungen mit den im Frieden bestehenden Strafarbeiterabteilungen
befürchteten, in Etappenhilfskompagnien [252] umbenannt. Ihre Zahl
war absolut ungenügend; es hatte z. B. die große
Etappeninspektion 6 zum Schluß nur eine einzige derartige
Kompagnie. Auch ihre Zusammensetzung änderte sich allmählich
durch anderweitige Verwendung der Eisenbahner, Herausziehen der
kriegsverwendungsfähigen Leute usw., so daß
schließlich kaum noch ein wirklicher Eisenbahnarbeiter in ihnen enthalten
war. Für den Sammeldienst wurden dann, wie schon erwähnt,
besondere Sammelkompagnien gebildet, die eine Zeitlang bei der
Rückführung von Gütern wertvolle Dienste leisteten, dann
aber den Etappen zugunsten ihrer Aufgaben im Operationsgebiet wieder entzogen
wurden. Die Etappenhilfskompagnien und Sammelkompagnien wurden
später in je ein Etappenhilfsbataillon bei jeder Inspektion
zusammengefaßt. Diese Maßregel erwies sich für ihre
eigentliche Tätigkeit als unnötig, da schließlich selbst bei
großen Inspektionen nur noch eine Kompagnie zurückblieb. Der Stab
war aber den Etappeninspektionen trotzdem hochwillkommen, da sie ihn
anderwärts bei den vielen nicht im Etat stehenden und doch notwendigen
Behörden und Wirtschaftsbetrieben gut gebrauchen konnte.
In allen diesen Stellungen waren eine Menge Offiziere, Unteroffiziere und
Mannschaften beschäftigt, die teils aus den Landsturmtruppen, teils von
sonstigen Stellen, z. B. heimischen Ersatztruppenteilen abkommandiert
waren, teils auch ohne weiteres über den Etat geführt wurden. Um
hier Ordnung zu schaffen, war die Bildung besonderer Truppen unbedingt
notwendig. So entstanden im Sommer 1916 die Wirtschaftskompagnien, die dazu
dienen sollten, für Verstärkung der Behörden,
bodenständige Ortskommandanturen, Landwirtschaft, Bauwesen,
Forstwirtschaft, industrielle Betriebe und Rückführung die
nötigen Kräfte, d. h. nur die unbedingt nicht anders zu
ersetzenden Leiter, Techniker, Vorarbeiter usw. zu stellen, während
die Masse der Arbeiter nach wie vor den Gefangenen und Landeseinwohnern zu
entnehmen war. Diese Wirtschaftskompagnien erwiesen sich als absolut
notwendig und leisteten sehr Gutes. Nur hätte ihr Etat, abweichend vom
Schema der fechtenden Truppe, mehr Offiziere und Unteroffiziere im
Verhältnis zu den Mannschaften enthalten müssen, da sie in erster
Linie Leiter und Führer zu stellen hatten, für die eine gehobene
militärische Stellung zur Hebung ihres Ansehens und zur Förderung
ihrer Leistungen absolut nötig gewesen wäre. Es ist dem Betrieb
nicht förderlich, wenn der Leiter eines großen Werkes, das
beispielsweise 10 bis 12 deutsche Soldaten, 200 - 300 Gefangene
und 600 - 800 Landeseinwohner beschäftigt, nur Gefreiter
oder Gemeiner ist. Die Zahl der aufgestellten Wirtschaftskompagnien erwies sich
sehr bald als zu gering und konnte auch bei dem in Deutschland herrschenden
Mangel an Arbeitskräften nicht erhöht werden. Als ungemein
nützlich erwies sich Aushilfe durch die Angehörigen der
Genesungsabteilungen. Diese, nach den Etappen- und Sanitätsvorschriften
im Anschluß an Lazarette gedacht, um einige Rekonvaleszenten noch eine
Zeitlang [253] neben ihrer Erholung
nützlich zu beschäftigen, wuchsen sich zu großen
Organisationen aus, die den Etappen schließlich Hunderte, ja sogar
Zeitweise einige Tausend der so dringend notwendigen Arbeitskräfte
zuführten. Dabei war der von Fernstehenden immer wieder
geäußerte Verdacht, daß diese Leute zulange dem Waffendienst
entzogen würden, durchaus unbegründet; denn die Inspektionen
sorgten im Interesse des Ganzen immer wieder dafür, daß keine
kriegsbrauchbaren Leute dem Waffendienst entzogen wurden, wenn auch die
unteren Behörden manchmal in begreiflichem Egoismus versuchten,
brauchbare Kräfte solange als möglich zu behalten.
Eine sehr wertvolle Hilfe waren die Kriegsgefangenen,25 die in besonderen
Kriegsgefangenenbataillonen mit je einer Landsturmkompagnie als Bewachung
und Kriegsgefangenenkommandos (kleinere Bataillone mit halben
Bewachungskompagnien) zusammengestellt waren. Zur Leitung des gesamten
Gefangenendienstes und Kontrolle der Bataillone wurde fast bei allen
Inspektionen ein Stabsoffizier als Gefangeneninspekteur eingesetzt. Die
Verquickung dieser Stellung mit dem Landsturminspekteur, wie sie später
bei der Etatisierung erfolgte, bewährte sich (s. S. 215) nicht. Sehr
schwierig gestaltete sich die Frage der Unterbringung der Gefangenen, besonders
bei häufigem Wechsel der Arbeitsstelle, da Sicherheit gegen Flucht und
möglichst gute Ausstattung der Unterkunft bei den primitiven zur
Verfügung stehenden Mitteln sehr schwer zu vereinigen waren. Schulen,
Fabrikräume, Scheunen wurden ausgebaut oder besondere Baracken
aufgestellt. Bei der Bekleidung war die Ausstattung mit Schuhzeug am
schwierigsten. Sorge für Gesundheitszustand (Bäder und
Entlausungsanstalten, Revierstuben), Aufbesserung und schmackhafte
Zubereitung der gelieferten, der Lebensmittellage in Deutschland entsprechend
natürlich nicht übermäßig reichlichen Nahrung,
Beschaffung von Unterhaltung, wie Musikinstrumente, Spiele, Lektüre und
von Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen in Kantinen
mußten dazu dienen, das wertvolle Arbeitermaterial zu erhalten und den
Gefangenen die nach deutschen Begriffen auch dem Feind zukommende
menschliche Behandlung
zuteil werden zu lassen, an der es Deutschlands Gegner
leider den gefangenen Deutschen gegenüber fehlen ließen. Einen
kleinen Kampf gab es für die Etappeninspektionen manchmal mit den
arbeitgebenden Stellen, wenn diese ohne Rücksicht auf die
Leistungsfähigkeit der Gefangenen sie zur Vollendung bestimmter Arbeiten
über Gebühr anstellen wollten, weil jede glaubte, die eine Ausnahme
gerade in ihrem Falle schade nichts, und nicht beachtete, daß solche
Ausnahmen, wenn man sie nicht verhinderte, leicht zur Regel werden
konnten.
Im Jahre 1918 wurden schließlich auch die zu längeren
Freiheitsstrafen verurteilten deutschen Soldaten zu
Militärgefangenenkompagnien zusammen- [254] gestellt und den
Etappeninspektionen unter je einem Vorstand
oder - bei größerer
Anzahl - einem Kommandeur mit mehreren Vorständen zugeteilt.
Ihre Leistungen waren natürlich nicht gerade glänzend; aber es war
doch besser, diese Kräfte im Dienst des Krieges zu verwenden, statt sie
nutzlos in der Heimat zu füttern. Und die Aussicht, bei Ergreifung im
feindlichen Feuer als Sträfling arbeiten zu müssen, nahm manchem
feigen Drückeberger den Anreiz zur Fahnenflucht. Bedauerlich war es,
daß die Truppen vielfach kein Verständnis für diese
Einrichtung zeigten und dem Aufsichtspersonal seinen schon an sich schweren
Dienst durch Schöntun mit den Gefangenen und sogar Unterstützung
von Fluchtversuchen erschwerten.
Auch Helfer und Helferinnen wurden, soweit irgend möglich, zum Dienst
in der Etappe herangezogen, um militärische Kräfte für andere
Zwecke freizumachen. Bei jeder Etappeninspektion befand sich ein Offizier mit
dem nötigen Personal als Beauftragter des Kriegsamts, der die
Anforderungen an Helfern den einheimischen Kriegsamtsstellen zuleitete, die
Überwiesenen auf die einzelnen Dienststellen verteilte und die sich aus dem
Hilfsdienstgesetz ergebenden Rechte der Helfer gegenüber den
beschäftigenden Dienststellen zu wahren hatte. Eine Referentin besonders
hatte einerseits die Interessen der Helferinnen zu wahren, andererseits auch durch
Aufsicht und Belehrung diese in den richtigen Bahnen zu erhalten. In jedem
Etappenort, der mehrere Helferinnen beschäftigte, wurden besondere
Heime unter Leitung von Heimleiterinnen eingerichtet, die den Helferinnen nicht
nur Unterkunft und Verpflegung gewähren, sondern auch Unterhaltung,
geistige Nahrung und die Möglichkeit zu gemütlichen Stunden in
deutschem Kreise bieten sollten. Für erholungsbedürftige
Helferinnen war in Durburg (Provinz Luxemburg) ein Erholungsheim vom
Generalgouvernement Belgien eingerichtet, das auch den nicht zum
Generalgouvernement gehörigen Helferinnen der Westfront zugute kam.
Wo irgend möglich, wurde auch angestrebt, den Helferinnen und den
jugendlichen männlichen Helfern durch Unterricht verschiedenster Art
Gelegenheit zur Weiterbildung zu verschaffen.
Trotz aller Bemühungen der Beauftragten des Kriegsamts hatte die
Einstellung von Helfern nicht den gewünschten Erfolg. Zunächst
hatten sie mit einer Feindschaft der militärischen Angestellten der
Behörden und Betriebe zu kämpfen, die ihnen ihre großen
Bezüge neideten, da sie die Gründe nicht würdigten, die
Veranlassung waren, einer jungen Helferin für die gleiche Arbeit
6 - 8 Mark zu zahlen, für die der Landsturmmann, der
zu Hause eine Familie zu ernähren hatte, nur seine 56 Pfennig am
Tag bekam. Vor allem aber war eine genügende Zahl brauchbarer Helfer
nie zu haben. Die jugendlichen waren noch die besten, aber natürlich nur
im Ordonnanzdienst zu brauchen, vor allem aber war die Gefahr moralischer
Verderbnis für sie zu groß. Wenn dann aber gar verlangt wurde,
Fachleute und sogar solche in leitenden Stellungen durch [255] Helfer zu ersetzen, so
scheiterte das fast immer kläglich; denn einmal hatten diese ihren
militärischen Untergebenen und den Einwohnern gegenüber nicht die
nötige Autorität, und vor allem gab es keinen
nicht-waffendienstfähigen tüchtigen Ingenieur, Kaufmann oder
Handwerker, der nicht bereits in der Heimat an wichtiger Stelle vollauf
beschäftigt war. Bei der Kriegsamtstelle Magdeburg wurde besonders
für solches fachmännisch gebildete Personal eine Vermittlungsstelle
eingerichtet. Obwohl aber die Etappenbehörden immer darauf hingewiesen
wurden, sich an diese zu wenden, hatte die Stelle fast nie die verlangten
Kräfte zur Verfügung, und wenn nach mehrmonatigem Warten
z. B. für einen verlangten Chemiker als Leiter einer großen
Ätznatronanlage und Seifenfabrik ein Drogist angeboten wurde, der auch
eine Art von chemischem Laboratorium gehabt hatte, so ermutigte das nicht
gerade zu weiteren Versuchen mit Helfern dieser Art.
Die Helferinnen haben in Bureaus teilweise recht Gutes geleistet, und viele von
ihnen, besonders auch gebildete - Studentinnen und
ähnliche - waren eine wertvolle Stütze ihrer Dienststellen;
leider aber war auch eine sehr große Anzahl nur aus Abenteurerlust oder
gereizt von dem hohen Verdienst ins Feld gekommen, eignete sich meist nicht
besonders für ihren Dienst und schädigte durch ihren
außerdienstlichen Lebenswandel den Namen der Helferinnen im Heere und
das Ansehen des Deutschtums im Ausland. Putzsucht und die Sucht, die
vornehme Dame zu spielen, brachten charakterschwache Mädchen auf
abschüssige Bahn und machten alle Bemühungen der sich unendlich
Mühe gebenden Referentinnen und Heimleiterinnen zwecklos.
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