Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 3: Die Etappe
(Forts.)
Oberstleutnant Karl Schroeder
6. Etappen-Sanitäts-
und -Veterinärwesen.16
Der Etappenarzt leitete eines der umfangreichsten Gebiete des Etappendienstes.
Seine am meisten in die Augen fallende Tätigkeit war die Einrichtung der
Kriegslazarette durch Einsatz der ihm unterstellten Kriegslazarettdirektoren mit
ihren Kriegslazarettabteilungen. Die Kriegslazarette, die im Westen meist in
Klöstern, weniger in den oft sehr dürftig und
unzweckmäßig eingerichteten einheimischen Hospitälern,
vorzügliche Punkte für ihre Einrichtung fanden, wurden häufig
bald zu Musteranstalten ihrer Art. Je nach Größe und Einrichtung
vereinigte ein großes Kriegslazarett Abteilungen für Verwundete und
Kranke verschiedenster Art oder bot besonderen Krankenklassen, wie
Typhus-, Ruhr- und Geisteskranken Unterkunft und Pflege. Die Lazarette dienten
sowohl den Frontkämpfern, als auch den Angehörigen der Etappe.
Eine schematische Trennung in Kriegs-, Etappen- und Seuchenlazarette, wie sie
die Vorschriften vorsahen, fand selten statt. Im Stellungskrieg nahmen die
Kriegslazarette auch oft die unmittelbar vom Schlachtfeld mit Autos
herbeigeschafften Verwundeten als "Feldlazarette" in erste Pflege. Einrichtung
für Spezialbehandlung aller Art, besonders die verschiedenen
Bestrahlungen, und wirtschaftliche Einrichtungen (Ökonomie,
Wäschereien usw.) und Anlagen für Unterhaltung oder
Erheiterung der Kranken (Gärten, Kinos, Schwimmbäder,
Büchereien usw.) machten den Betrieb eines solchen Lazarettes recht
mannigfaltig. Von der Etappe eingerichtete Erholungsheime in Schlössern
oder Landhäusern in schöner Gegend sorgten für
Wiederherstellung der Dienstfähigkeit Schwacher [227] und Genesender. Die
Krankentransportabteilung übernahm das Abbefördern der Kranken
und Verwundeten in die rückwärtigen Lazarette der Etappe und in
die Heimat, Einrichtung von Krankensammelstellen, von
Verbands- und Erfrischungsstellen, Betrieb der
Lazarett-, Hilfslazarett-, Vereinslazarett- und Leichtkrankenzüge auf der
Vollbahn, Einrichtung und Betrieb von Sanitätskraftwagen,
Lazarettschiffen, Krankenzügen auf Kleinbahnen aller Art und Feldbahnen.
In Belgien und dem französischen Industriebezirk von Lille wurde zur
Entlastung der Hauptbahn von den Straßenbahnen für den
Verwundetentransport reichlich Gebrauch gemacht. Den Umfang der
Geschäfte kennzeichnet, daß bei der Etappeninspektion 6 vom
9. April bis 9. Mai 1918, also in einem Monat, betrugen:
- Gesamtabtransport aus dem Armeebereich durch
Krankentransportabteilung (mit Lazarett- und Leichtkrankenzügen)
58 000 Mann.
- Frontzugang bei den Krankensammelstellen (nur Verwundete und Kranke,
die nach ihrem Abgang von der Truppe zum erstenmal eine Krankensammelstelle
passieren) 94 900 Mann.
- Gesamtdurchgang bei den Krankensammelstellen (außer den
obengenannten auch solche, die auf dem Weg aus den Kriegslazaretten in die
Heimat die Krankensammelstellen passieren) 164 000 Mann.
- Durchschnittliche Belegung der Kriegslazarette während der Schlacht
bei Armentières 35 000 Mann.
- Durchschnittliche Belegung der Krankensammelstellen während der
gleichen Schlacht 15 000 Mann.
- Ende April 1918 umfaßten die Etappensanitätsformationen der
6. Armee: 285 Ärzte, 31 Zahnärzte, 40 Apotheker, 24 Geistliche, 77
Inspektoren, 423 Sanitätsunteroffiziere, 950
Militärkrankenwärter, 310 Trainsoldaten, 900 Schwestern und 550
freiwillige Krankenpfleger.
- Außerdem waren noch etwa 1500 Eingeborene mit
Reinigungsarbeiten usw. beschäftigt.
Der "beratende Hygieniker" und der "beratende Innere Mediziner"
unterstützten den Etappenarzt in ihren Spezialfächern. Vor allem
unterstützte durch großzügigen Bau von
Entlausungs- und Badeanstalten die Etappe die Arbeit der Ärzte.
In jedem Standort der Etappentruppen von einiger Bedeutung gab es
Badeeinrichtungen; die großen Übernachtungsstellen für
durchgehende Transporte wurden mit solchen ausgestattet, jedes
Gefangenenlager, jede Unterkunft eines Zivilarbeiterbataillons hatte
Entlausungs- und Badeanstalten; vor allem aber wurden großzügige
Einrichtungen dieser Art überall da geschaffen, wo von der Front
zurückgezogene Truppen in Unterkunft lagen. Einige solcher Anstalten
ermöglichten es, gleichzeitig mehrere hundert Mann gründlich
körperlich zu reinigen und ihre Kleider zu desinfizieren. Vielfach fand man
[228] sogar auf
Eisenbahnwagen, vereinzelt auch auf Kraftwagen fahrbare Brausebäder, die
auch den Truppen zeitweise ein Bad ermöglichten, die nicht über
eigene Badeanstalten verfügten. Daß der Gesundheitszustand trotz
der Massenheere in diesem Kriege bei den deutschen Truppen so gut war, wie
noch nie in einem Kriege zuvor, ist nicht zum kleinsten Teile der hingebenden
Arbeit auch der Etappensanitätsbehörden zu verdanken.
Dem beratenden Hygieniker war ein bakteriologisches Laboratorium zugeteilt. Ein
chemisches Laboratorium diente zur
Nahrungsmittelkontrolle - eine um so wichtigere Einrichtung, als die
Fleischbeschau in den feindlichen Ländern weniger streng
durchgeführt war als in Deutschland.
Das Etappensanitätsdepot war ein Riesenwarenhaus zur Ergänzung
der gesamten Sanitätsausrüstung und auch Werkstätte zur
Ausführung von Reparaturen an Sanitätsmaterial. Ausstattung und
Verwaltung waren mustergültig.
Außer der Fürsorge für die Kranken und Verwundeten und
für den Gesundheitszustand der Truppen lag dem Etappenarzt und seinen
Organen auch die überall dringend notwendige hygienische
Überwachung der Zivilbevölkerung und die Bekämpfung von
Seuchen und Geschlechtskrankheiten unter dieser ob. Trübe Erfahrungen
zwangen zu scharfem Anhalten der oft lässigen einheimischen Ärzte
zu Meldungen über ansteckende Krankheiten, Kontrolle der Dirnen,
Überwachung der Bordelle, im Osten auch zur Einrichtung von
Entlausungsanstalten für die Bevölkerung. Sehr häufig
mußten die deutschen Ärzte überhaupt, da die einheimischen
geflohen waren, auch die ärztliche Versorgung der Bevölkerung im
Etappengebiet mit übernehmen, das Etappensanitätsdepot die
Versorgung der einheimischen Apotheken mit Medikamenten. Dem Etappenarzt
unterstellt waren auch die im Bereich der Etappe tätigen Organe der
freiwilligen Krankenpflege, über die in den Abschnitten
"Feldsanitätswesen" und "Rotes
Kreuz" eingehend berichtet wird.
Für die Durchführung der Seelsorge im Etappengebiet befanden sich
bei den Kommandanturen und Kriegslazarettabteilungen
Kommandantur- und Lazarettpfarrer. Etatsmäßig waren
zunächst nur die letzteren; den Kommandanturen sollten nach Bedarf
Lazarettpfarrer überwiesen werden. Es zeigte sich jedoch sehr bald,
daß auch, abgesehen von den Lazaretten, für Geistliche im
Etappengebiet genug zu tun war, und es wäre wohl notwendig gewesen,
jede Kommandantur ohne weiteres mit Kommandanturpfarrern auszustatten. Bei
geringer Inanspruchnahme konnte es der Inspektion unbenommen bleiben, sie dort
zu verwenden, wo mehr Bedarf war, wie z. B. am Etappenhauptort. Je ein
evangelischer und katholischer Geistlicher war (neben seiner übrigen
Tätigkeit) der Etappeninspektion als Referent für Seelsorge zugeteilt
und hatte insbesondere Vorschläge für Verwendung der Geistlichen
und Benutzung einheimischer Kirchen für den Gottesdienst der Truppen zu
machen. Es ge- [229] hörte viel Takt
und große Gewandtheit dazu, hierbei Reibungen zu vermeiden und dem
religiösen Bedürfnis des einer anderen Konfession, wie die
Bevölkerung, angehörenden Teils der Truppen Rechnung zu tragen,
ohne die Empfindungen der Bevölkerung und ihrer Geistlichkeit zu
verletzen. Besonders einige katholische Geistliche haben sich hierbei großes
Verdienst durch geschickte Verhandlungen mit den zuständigen
Bischöfen erworben. Vielfach nahmen sich die Geistlichen, wo sie
Bevölkerung ihrer Konfession trafen, aber einheimische Seelsorger nicht
vorhanden waren, auch der Einwohner an und sorgten für Gottesdienst und
Unterricht der Kinder. Für die Seelsorge der Israeliten befand sich bei jeder
Armee ein Armeerabbiner, der entweder dem
Armee-Oberkommando oder der Etappeninspektion zugeteilt war.
Die dem Etappenveterinär obliegende Tätigkeit
(Veterinärdienst bei den Etappentruppen und den Etappenviehdepots,
Einrichtung und Betrieb von Pferdelazaretten, chirurgischen und
Seuchenlazaretten, und von Pferdeerholungsheimen) steigerte sich
außerordentlich. Der Durchschnittsbestand an Pferden war z. B. in
der Etappe der 6. Armee in den Pferdelazaretten 3000, in den
Pferdeerholungsheimen 7 - 800 Pferde. Was hierbei von vielen
Veterinären, abgesehen von ihrer fachwissenschaftlichen Tätigkeit,
in organisatorischer, ja sogar in bautechnischer Beziehung geleistet wurde,
verdient alles Lob. Erschwerend erwies sich vor allem der Mangel an
militärischen Pferdepflegern, so daß Gefangene und
unzuverlässige Landeseinwohner eingestellt werden
mußten. - Eine außerordentlich wichtige Aufgabe erwuchs
ihnen durch die Verhinderung von Viehseuchen, tierärztliche
Überwachung der Pferde und des Viehs der Einwohner, Mitwirkung bei
Pferdeaushebung, sowie durch die Einrichtung von Deckstationen und Kontrolle
der Pferdezucht. Hierzu mußten aus den Veterinären der
Etappentruppen besondere Kommandanturveterinäre kommandiert werden.
Um die Fronttruppen von der Seuchenbekämpfung zu entlasten, wurde
diese lediglich in der Etappe durchgeführt, und dazu alle
seuchenverdächtigen Pferde sofort dorthin abgeschoben. Die im Heere
auftretenden Seuchen, die gegen sie durchgeführten Maßnahmen und
die erzielten großen Erfolge sind im Abschnitt
"Veterinärwesen"
behandelt.
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