Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Bearbeitet von
Ministerialrat Konrad Lau, Generalmajor Erich v. Flotow,
Oberstleutnant Karl Schroeder, Vizeadmiral Bernhard Rösing,
Oberpostrat Hermann Senger, Generalarzt Dr. Carl Altgelt,
Stabsapotheker Dr. Rudolf Hanslian, Stabsveterinär Dr. Kurt
Schulze
und Oberstabsveterinär Dr. Wilhelm Otto
[v]
Einleitung
Was der Krieg forderte, erfand die Wissenschaft, verwirklichte die Technik und
machte kampfverwendungsfähig die Organisation.
Dieser Satz aus der Einleitung des ersten Bandes der Heeresorganisationen1 gilt nicht nur für jenen Teil, der
die für den Kampf selbst arbeitenden Organisationen behandelt, sondern in
ebenso entscheidender Form für den hier vorliegenden zweiten Teil,
obschon er Organisationen zur Darstellung bringt, die bei den
Kriegs- und Kampfhandlungen nicht zu unmittelbarer Auswirkung kommen. Ein
Heer kann - vor allem in einem vierjährigen furchtbaren Ringen
gegen eine gewaltige Übermacht - nur dann kampffähig
bleiben, wenn es körperlich leistungsfähig erhalten wird. Ein durch
Entbehrung, Hunger und mangelnde gesundheitliche Fürsorge
geschwächtes Heer muß naturgemäß immer einem
körperlich vollkräftigen Gegner unterliegen. Die Sorge um den
Lebensunterhalt des Heeres muß überdies nach Masse und
Güte sehr viel weiter gefaßt sein als im Frieden, weil die
Ansprüche an die körperlichen und seelischen Leistungen jedes
einzelnen Mannes - wenn auch in der Stärke in den
aufeinanderfolgenden Zeiträumen
wechselnd - immer unendlich viel größer und vor allem ganz
anders geartet sind. Überlegene Geisteskraft und zähe
Willensanstrengung können allerdings für kurze Zeitspannen in
stärkster Erregung und höchster Not die Schwäche des
erschöpften Körpers überwinden; sie werden aber mit dem
Körper schnell zusammenbrechen, wenn diesem die zu seiner Arbeit
nötigen Unterhaltsmittel vorenthalten werden. Körperliche Kraft ist
und bleibt die unentbehrliche Grundlage auch für geistiges und seelisches
Handeln; die zu ihrer Erhaltung notwendigen Organisationen sind somit ein
wichtiger, ein unentbehrlicher Bestandteil der Kriegführung.
Die Sicherung des Lebensunterhalts der Heere bildet deshalb immer eine
Vorbedingung des kriegerischen
Erfolgs - der Begriff "Lebensunterhalt" im weitesten Umfange genommen.
Die Anforderungen, die im Weltkriege an das deutsche Volk zur Sicherstellung
der Lebensbedürfnisse seiner Soldaten gestellt wurden, sind so
riesengroß gewesen, daß nur entschlossener, unerschütterlicher
Opfermut sie zur Erfüllung bringen konnte; so riesengroß, daß
nur vorzüglich arbeitende, nie ermüdende Organisationen ihnen
gerecht zu werden vermochten. Die Organisationen haben die ihnen gestellte
Aufgabe, wenn auch in karger [vi] Form, restlos
erfüllt; den vernichtenden Wirkungen der Hungerblockade hat aber die
Heimat nicht bis zum Schluß standhalten können, hat der Wille des
Volkes nach mehr als vierjähriger erbitterter Gegenwehr erliegen
müssen. Der furchtbare Ausgang des Krieges vermag aber das Heldentum,
das lange Jahre hindurch seine Gesamtheit und bis zum Schluß immer noch
große Massen des Volkes beseelte, nicht zu schmälern.
So singt auch dieser Band, der vom Kämpfen, Siegen und Sterben in
gewaltigen Schlachten nichts zu sagen weiß, ein erschütterndes Lied
vom Heldentum des deutschen Volkes; und er bringt ein fesselndes Bild von dem
im Volke lebendigen Organisationsvermögen, von der bis zum eigenen
Zusammenbruch schaffenden Pflichttreue, von dem erhebenden
Verantwortungsgefühl in all den Tausenden von Männern, die dieser
stillen, schlichten, entsagungsvollen, unbeachteten und vielfach durch Undank
gelohnten Arbeit unermüdlich ihre ganze Kraft widmeten. Das Volk
weiß von dieser Aufopferung nichts; die Kämpfer an der Front sahen
sie als selbstverständlich an; die Kriegsgeschichte kündet von ihren
Taten kaum. Und doch gehören auch sie zu den unersetzlichen Helfern,
ohne die das Heldentum der Frontkämpfer unmöglich gewesen
wäre. Es ist eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn man die Erinnerung an sie
in die Zukunft hinüberrettet - auch um dieser Zukunft willen. Denn
es sähe um das deutsche Volk, um seine heutige und seine zukünftige
Lebensmöglichkeit noch viel trauriger, noch viel hoffnungsloser aus, als es
der Fall ist, wenn jene pflichttreuen Männer und Frauen nicht ihre
verantwortungsvolle Arbeit in einem nie hoch genug einzuschätzenden
Maße getan hätten.
Das Heer sollte dauernd kampffähig, also jederzeit allen, auch den
schwersten Anstrengungen gewachsen sein. Die Kriegsrücksichten, die
Kriegsforderungen mußten also vor allem maßgebend sein für
die Leistungen, die die Fürsorge um den Lebensunterhalt der Soldaten zu
erfüllen hatte. Die zwölf Millionen deutscher Männer, die in
den vier Jahren ins Feld gezogen sind, wollten kräftig genährt,
praktisch gekleidet, trefflich ausgerüstet, gesundheitlich gut betreut werden.
Schon im kleinen Familienkreise begreift diese Forderung Sorgen in sich, die
Überlegung und Arbeit meistern müssen. Und die Verpflegung
großer Massen in modernen Anlagen und Betrieben verlangt, soll sie sich
reibungslos vollziehen, sorgsames Planen, raschen Entschluß und
energische, zielbewußte Arbeit. Und
doch - wie verschwindend klein sind selbst diese Betriebe gegenüber
dem täglichen Unterhalt der Millionen, die in stete Kampfbereitschaft
verstrickt, selbst an des Leibes Notdurft nicht denken durften und deren
Erfüllung voll Vertrauen von anderen erwarten mußten. Welch
beherrschender Überblick über das Ganze und welche unendlich
peinliche Sorge auch um das Kleinste waren erforderlich zu dem Ziel,
täglich die ungeheuren Mengen an Lebensmitteln zur rechten Zeit und am
rechten Ort verzehrfähig bereitzustellen, die gewaltigen Massen an
Bekleidung und Ausrüstung überall da
aus- [vii] gabefähig zu
halten, wo sie das Heer in immer wechselnder Form in Sommer und Winter, in
Hitze und Eis, für Tag und Nacht, im Wasser Flanderns und in dem ewigen
Schnee der Alpen, im hochkultivierten Frankreich, im halbkultivierten Polen und
im kulturlosen Mesopotamien verlangte, und die Pflege zu bewirken für die
Verwundeten und Erkrankten, für die Opfer des Krieges!
Die Ansprüche, die aus den Bedürfnissen des Krieges erwuchsen,
wurden für Deutschland gesteigert durch die Beschränkung der
Quellen, aus denen sie erfüllt werden sollten. Im Kriege 1870/71 hatte diese
Sorge nur eine geringe Rolle gespielt. Das, was die kleine damalige Armee
brauchte, konnte beinahe ganz die Heimat decken, und der geringe Rest war
über die offenen Grenzen und die offene See ohne Schwierigkeit in jeder
gewünschten Menge zu bekommen. Der Krieg war kurz; aber selbst bei
längerer Dauer hätte die damals nur wenig verminderte
Einwohnerzahl der Heimat sich kaum durch eine verminderte Erzeugung der vom
Heere verlangten Bedürfnisse wirklich empfindlich fühlbar gemacht.
Jetzt im Weltkriege waren schon durch die völlig veränderten
Arbeitsverhältnisse der Friedenszeit ganz andere, sehr viel
ungünstigere Grundlagen entstanden, und die mannigfaltigen,
hochgesteigerten Bedürfnisse des Krieges wirkten in gleicher Weise
nachteilig auf die heimatliche Erzeugung ein. Alle Grenzen der
Mittelmächte waren schon nach kurzer Zeit von den Gegnern gesperrt und
die See für die Zufuhr, selbst der für die nichtkämpfende
Bevölkerung bestimmten Zufuhr, rechtswidrig durch die englische
Blockade verschlossen. Zu diesem militärischen Abschneiden jeder Zufuhr
durch die Gegner trat aber sehr bald auch die indirekte Unterbindung durch den
übermächtigen politisch-militärischen Druck auf die neutralen
Staaten - die Mittelmächte waren damit ganz isoliert. War so schon
vom ersten Kriegstage an durch die Abhängigkeit von ausländischer
Zufuhr die Versorgung des Heeres stark erschwert, so mußte die
völlige Unterbindung letzten Endes unweigerlich zum Hungertode
führen, wenn es nicht gelang, durch eine bis aufs höchste gesteigerte
Streckung der eigenen Erzeugnisse und durch peinlichste Ausnutzung auch der
geringsten Mittel so lange durchzuhalten, bis dem Gegner militärisch der
Frieden abgerungen werden konnte.
Mit zusammengebissenen Zähnen hat das deutsche Volk und mit ihm sein
Heer Jahre hindurch gehungert, um den unerbittlichen, grausamen Feinden sich
nicht zu unterwerfen; es hat Dinge zu seiner Nahrung verwendet und zur
Streckung der Lebensmittel benutzt, die man im Frieden als ungeeignet verworfen
hatte, bis die Erschöpfung zu groß wurde und mit der
körperlichen auch die seelische Widerstandskraft zerbrach. Mit der Heimat
hungerte das Heer - ein Wunder deutscher Organisation aber bleibt es,
daß sie den Zeitpunkt seines körperlichen Niederbruchs länger
zu verzögern verstand, als die seelische Erschöpfung der Heimat.
Äußerste Sparsamkeit, Aushilfe durch mehr oder minder gute
Ersatzmittel, gewissenhafte Bewirtschaftung der besetzten Gebiete und [viii] Ausnutzung auch der
letzten eßbaren Reste, Wiederauffrischung und Wiederverwendung auch der
letzten wollenen Lumpen, des letzten Metallstücks waren die Mittel, um ein
solches Ziel zu erreichen.
Nicht nur die eigene Bevölkerung, nicht nur die eigenen Soldaten wollten
versorgt werden. Die Verbündeten, die Kriegsgefangenen, die
Bevölkerung der besetzten Gebiete zehrten mit an den kargen
Vorräten, die der deutschen Heeresverwaltung zur Verfügung
standen. Immer wieder mußte Deutschland aushelfen, selbst mit solchen
Bedürfnissen, an denen seine Erzeugung ärmer war als die seiner
Verbündeten, weil diese sich der sparsamen Bewirtschaftung nicht zu
fügen verstanden. Und daß Deutschland die Hungerblockade gegen
seine Greise, Frauen und Kinder nicht durch rücksichtsloses Abschieben
oder Verhungernlassen der Bevölkerung Belgiens und Nordfrankreichs
erwiderte, ist der beste Gegenbeweis für die infame Lüge der ihm zur
Last gelegten Kriegsverbrechen.
Zu der Sorge um die Aufbringung des ungeheuren Bedarfs für
Ernährung, Bekleidung und Ausrüstung aber trat die weitere
große Sorge um deren geregelte Zuführung einmal an die an den
Brennpunkten der Großkämpfe zusammengedrängten
Menschenmassen und zum anderen an die in kleinste Einheiten verzettelten
Männer in allen Erdteilen. Heer und Flotte waren dieser ungleichen
Verteilung der Streitkräfte unterworfen; denn auch die deutschen
Kämpfer in den
Kolonien, in Mesopotamien und Palästina, in der
deutschen Nordsee und im Stillen Ozean konnten nur dann ihre Pflicht
erfüllen, wie sie es taten, wenn der Nachschub zu Lande und zu Wasser,
wenn Etappe und Troßwesen und Feldpost aufopferungsvoll sich in ihren
Dienst stellten.
Zu der Sorge um Aufbringung und Nachschub der Lebensbedürfnisse
mußte endlich hinzutreten die hingebende Sorge um die Verwundeten und
Erkrankten, um Mensch und Tier. Die Gewißheit, daß Deutschlands
Sanitätswesen und die Kunst seiner Ärzte im Frieden auf
höchster Stufe standen und im Kriege stehen würden, hat sich in
glänzendster Weise gezeigt. Durch sie wurde das furchtbare Elend, das mit
den Gewaltäußerungen des Krieges stets verbunden bleibt, auf ein
erträgliches Maß gemindert. Der Helfersinn deutscher Männer
und Frauen hat im Zeichen des Roten Kreuzes daran stärksten Anteil
gewinnen können.
Und tierärztliche Kunst und Sorge half nicht nur die für das Heer
zum Kampf unentbehrlichen Tiere, Pferde, Hunde und Brieftauben, in
erträglicher Zahl verwendungsfähig zu halten, sondern auch den zur
Ernährung von Heimat und Heer notwendigen Viehbestand in den Frieden
hinüber gegen Seuchen zu schützen.
Spielte schon die Sorge um Ernährung und Bekleidung des Heeres sich
immer ab im engsten Zusammenhang mit den gleichen Bedürfnissen der
heimatlichen Bevölkerung, so wirkt die ärztliche Sorge um Mensch
und Tier darüber hinaus in besonderem Maße auch in die Gegenwart
und Zukunft hinein. Daß während des Krieges und vor allem nach
dem Kriege, trotz des Zusammenbruchs [ix] und des Lösens
aller Bande von Zucht und Ordnung, die Ausbreitung der außerhalb der
deutschen Grenzen von jeher stark grassierenden Seuchen ausblieb, die unter der
seelisch erschöpften, durch Hunger geschwächten
Bevölkerung verheerend gewütet haben würden, ist ein
bleibendes und auf lange Zeit wirkendes Verdienst der unermüdlichen
Sorge der Ärzte um die Bevölkerung der besetzten Gebiete. Ob das,
was dort in Feindesland an Mensch und Tier in peinlichster Pflichterfüllung
und aufopfernder Sorge von deutschen Männern geschah, heute noch
weitergeführt wird, ist zweifelhaft. Deutschland muß es aber eben
diesen Männern danken, daß dem großen Sterben im Kriege
nicht trotz der furchtbaren Erschöpfung noch ein größeres
Sterben nach dem Kriege gefolgt ist.
Die Organisationsgabe der Deutschen hat in der Sorge um den Unterhalt des
Heeres eine harte Probe erfolgreich bestanden. Wohl waren Vorbereitungen
für den Krieg auf Grund früherer Kriegserfahrungen und
sorgfältigster Friedensüberlegungen getroffen; sie mußten sich
unzulänglich erweisen gegenüber den ungeahnten
Größen-, Massen- und Raumverhältnissen des Weltkrieges.
Aber schnell und geschickt paßten sie sich den ungeheuren Steigerungen an.
Und traten sie auch bescheiden in ihrer Arbeit hinter dem Heldentum der
Kämpfer zurück, oft getadelt und selten gelobt, so darf das Volk ihre
auch heute noch nachwirkende Tätigkeit nie vergessen; ein gerechteres
Urteil ihrer Arbeit wäre seine Pflicht.
Neben ihrem Wirken offenbaren die nachfolgenden Seiten aber auch in
erschütternder Form ein Bild der furchtbaren Not, unter der Deutschlands
Bevölkerung, seine Menschen und seine Tiere, durch den grausamen
Vernichtungswillen seiner vor schlimmstem Rechtsbruch nicht
zurückschreckenden Feinde gelitten
hat - Qualen und Nöte, unter denen es unerbittlich auch heute noch
gehalten wird. Daß das deutsche Volk diese furchtbare Qual mehr als vier
Jahre hindurch überwinden konnte und erst kurz vor dem physischen Tode
seelisch zusammenbrach, ist die Äußerung eines Opfermuts, der nur
ganz selten in der Menschheitsgeschichte zu verzeichnen ist. Das zeigt eine
Größe des Heldentums, die voll zu würdigen erst einer
späteren Zukunft beschieden sein, die dann aber auch von seinen Gegnern
bewundert werden wird.
Max Schwarte
[x - xiv] [Anm. d. Scriptorium:
im Original findet sich auf den hier folgenden Seiten die Inhaltsübersicht
für Bd. 7, welche wir in diesem unserem Online-Nachdruck hier wiedergegeben
haben.]
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