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Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung, Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen

  Kapitel 10: Nachrichtenwesen und Aufklärung   (Forts.)
Oberst Walter Nicolai

5. Der vaterländische Unterricht.

Als General v. Moltke mit dem obersten Kriegsherrn Berlin verließ und die vollziehende Gewalt in der Heimat auf die Militärbefehlshaber überging, verfügte er am 13. August 1914:

      "Die geschlossene Stimmung der Parteien und die bisher einmütige Haltung der Presse für den Krieg ist für die Oberste Heeresleitung von großer Bedeutung. Sie schafft den Geist der Hingabe und Geschlossenheit für Deutschlands große Aufgabe. Dies muß während der ganzen Dauer des Krieges, mag kommen, was will, so bleiben. Die Aufsichtsbehörden, die mit der Zensur der Presse betraut sind, haben den geringsten Versuch, die Einigkeit des deutschen Volkes und der Presse durch parteipolitische Ausführungen zu stören, gleichgültig von welcher oder gegen welche Partei, sofort auf das Energischste zu unterdrücken."

Diese Verfügung zeigt, daß die Oberste Heeresleitung schon damals die Bedingungen erkannte, unter denen allein der Krieg gewonnen werden konnte. Von seinem Standpunkt aus konnte General v. Moltke damals nur auf das negative Mittel der Zensur hinweisen. Die positive Arbeit zur Erhaltung einer kampfentschlossenen Stimmung im Volke mußte er von der politischen Kriegsleitung erwarten. Da dieses unterblieb, begann unter dem General v. Falkenhayn das Drängen der Obersten Heeresleitung auf Aufklärung im Volke über die Folgen eines verlorenen Krieges. Während private Verbände und einzelne Behörden sich sehr bald einer aufklärenden Tätigkeit im Volke annahmen, trat der Reichskanzler erst im Sommer 1916 mit dem Plan hervor, durch den "Deutschen Nationalausschuß" unter dem Vorsitz des Fürsten Wedel die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Gestützt war dieser auf eigene Geldmittel, da der Reichskanzler staatliche Mittel mit der Begründung ablehnte, daß der Haushalt solche nicht vorsehe. Es war also auch dieses ein privates Unternehmen und konnte das Verlangen der Obersten Heeresleitung, daß die politische Reichsleitung sich selbst verantwortlich für die Führung der öffentlichen Meinung einsetze, nicht beseitigen. General v. Falkenhayn gelang es nicht, seine Forderung durchzusetzen. Generalfeldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff nahmen sie bei Eintritt in die Oberste Heeresleitung mit Nachdruck auf. Seit den Kämpfen vor Verdun waren Anzeichen in der Truppe bemerkt worden, die als ein schädlicher Einfluß politischer Vorgänge gedeutet werden konnten. Die Festigung der Volksstimmung wurde ein Teil des Hindenburg-Programms. Der Reichskanzler v. Bethmann, der zunächst Bereitwilligkeit zeigte, überließ aber die Ausführung den einzelnen Dienststellen, unter denen sich das Kultusministerium besonders auszeichnete. Es entstand an Stelle des bis- [510] herigen amtlichen Nichtstuns eine ungeregelte Tätigkeit vieler Behörden. Interesse und Wille zur Tat waren überall vorhanden, aber eine Führung fehlte. Ganz von selbst wurde das Kriegspresseamt zunächst der inoffizielle Mittelpunkt der aufkommenden Arbeit, an den sich alle anderen Stellen um Rat, Auskunft und Mitarbeit, auch um die Vermittlung von Geldmitteln wandten. Von unten herauf wuchs in der Heimat überall machtvoll empor, was zu schaffen die politische Reichsleitung unter dem sie lähmenden Einfluß der Parteien sich scheute. Auch beim Feldheer begannen einzelne Stellen, der Verantwortung sich bewußt, eine aufklärende Tätigkeit unter den Truppen zu entfalten. So wurde die Oberste Heeresleitung sehr gegen ihren Willen und von vornherein in der Erkenntnis, daß das, was sie übernahm, nicht ihrem eigentlichen Pflichtenkreis entsprach, gezwungen, auch auf diesem Gebiet die Führung zu übernehmen, um wenigstens die bereits entstandenen Reibungen und Schädigungen auszuschalten und alle Arbeit auf ein einheitliches Ziel zu richten.

Am 29. Juli 1917 erließ sie folgende

Leitsätze für den vaterländischen Unterricht unter den Truppen.

I. Bedeutung des vaterländischen Unterrichts.

      Das deutsche Heer ist durch den Geist, der es beseelt, seinen Feinden überlegen und seinen Verbündeten ein starker Rückhalt.
      Zu Beginn des Krieges war die Grundlage dafür Begeisterung und in langer Friedensarbeit anerzogene Manneszucht. Die drei Kriegsjahre haben diese Grundlage verschoben und erweitert. Verständliche Sehnsucht nach Heimat, Familie und Beruf kann die Kampfentschlossenheit lähmen und den Willen, bis zum endgültigen Siege durchzuhalten, abschleifen.
      Die Länge des Krieges brachte auch in zunehmendem Maße für Heimat und Heer Entbehrungen und Opfer. Je mehr diese Lasten auf den Geist des Heeres drücken, um so mehr müssen Überzeugung, Pflichtgefühl und klare Entschlossenheit Grundlage der Kampfkraft des Heeres werden.


II. Organisation.

1. Die Zusammenfassung der bereits in der Mehrzahl der Armeen geschaffenen Einrichtungen für den vaterländischen Unterricht unter den Truppen in eine einheitliche Organisation soll jene nicht binden, sondern fördern und gewonnene Erfahrungen verallgemeinern.
      Die Stimmung beim Heer und in der Heimat steht in Wechselwirkung. Deswegen muß der vaterländische Unterricht der Heimat mit dem beim Heer in Übereinstimmung gebracht werden.

2. Die Armeeoberkommandos, Generalgouvernements und stellvertretende Generalkommandos sind dafür verantwortlich, daß der vaterländische Unterricht bei den ihnen unterstellten Truppen erfolgt. Die Art des Unterrichts im einzelnen muß ihnen überlassen bleiben.

3. Die durch die Verfügung des Kriegsministeriums als Leiter der Aufklärungsarbeit unter den Truppen aufgestellten Offiziere sind die Bearbeiter und Ratgeber für den vaterländischen Unterricht bei den Armeeoberkommandos. Die Geeignetheit ist entscheidend für das Gelingen ihrer Aufgabe. Hierzu ist volle Hingabe an den Dienst, Verständnis, Arbeitskraft, eigenes Überzeugtsein von der Aufgabe, Takt und Kenntnis der Truppen selbst notwendig. Es empfiehlt sich, den Leiter des vaterländischen Unterrichts dem Generalstab zuzuteilen.

4. Es empfiehlt sich, bei den Armeeoberkommandos usw. und bei Divisionen und Etappeninspektionen eine gleichmäßige feste Organisation zu schaffen. Bei diesen Stellen ist der Truppen- [511] befehl, die Seelsorger, Intendantur, Verpflegung usw. vereinigt und damit eine Anlehnung an die Befehlsverhältnisse möglich. Einer Zersplitterung und einem Eingreifen in die Befehlsverhältnisse wird dadurch vorgebeugt. Innerhalb der Divisionen und Etappeninspektionen wird sich der vaterländische Unterricht zweckmäßig den verschiedenen Verhältnissen anpassen.

5. Bei der Truppe selbst ist der Träger des vaterländischen Unterrichts der Offizier als der berufene Führer der Truppe. Jeder Truppenvorgesetzte muß sich die Förderung des vaterländischen Unterrichts seiner Untergebenen angelegen sein lassen. Ohne nachdrücklichste Förderung sämtlicher Befehlsstellen bleibt die Tätigkeit der Unterrichtsorgane erfolglos.
      Unteroffiziere und Mannschaften, die geeignet sind, können von Offizieren zur Mitarbeit herangezogen werden. Eine selbständige Tätigkeit dürfen sie nicht ausüben.


III. Arbeitsweise.

1. Ferngehalten muß werden, was auf die Stimmung der Truppe ungünstig zu wirken geeignet ist, wie Flugblätter vom Feind und aus der Heimat.

2. Der vaterländische Unterricht darf nicht erklärliche Stimmungen eindämmen wollen, die dann nur unter der Decke verbitternd weiterwirken, sondern soll sie feststellen und zerstreuen. Nicht fortleugnen, was allgemein, sei es mit Recht oder Unrecht, geglaubt wird, dagegen aufklären und das beseitigen, was falsch und schädlich daran ist. Friedenssehnsucht ist selbstverständlich, aber Pflichtgefühl und Siegeswille müssen stärker sein.
      Die gegebene Aufklärung muß unbedingt zutreffend und zuverlässig sein. Der Erfolg des Unterrichts wird von dem zunehmenden Vertrauen abhängen.

3. In erster Linie gilt es festzustellen, welche Fragen die Truppe bewegen und der Klärung bedürfen. Heimat und Heer stehen hier in enger Beziehung. Deshalb muß der Unterricht beim Heer und in der Heimat Hand in Hand arbeiten. Die gemachten Feststellungen sind dem Kriegspresseamt bekanntzugeben. Den Stoff zum vaterländischen Unterricht besorgt das Kriegspresseamt und leitet ihn im Bedarfsfalle zu durch:
            a) die Korrespondenzen des Kriegspresseamtes,
            b) Broschüren,
            c) die Feldpressestelle,
            d) Bilder und Plakate, dem Verständnis der Mannschaft angepaßt,
            e) Flugblätter.
      Außerdem teilen die Leiter des vaterländischen Unterrichts dem Kriegspresseamt Erfahrungen bei ihrer Tätigkeit mit. Das Kriegspresseamt stellt diese Erfahrungen aus der Truppe zusammen und versendet an alle Stellen "Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht". Hierdurch werden die Erfahrungen verallgemeinert.
      Das Kriegspresseamt leitet außerdem Material zu, welches nach den Feststellungen in der Heimat zum vaterländischen Unterricht bei den Truppen geeignet scheint.

4. Die Armeeoberkommandos entscheiden, was von dem vom Kriegspresseamt überwiesenen Material zum vaterländischen Unterricht unter den Truppen verwendet werden soll. Um einen Überblick über die Bedürfnisse der Truppe zu haben, müssen die Leiter des vaterländischen Unterrichts in enger Verbindung mit den Divisionsstäben stehen.

5. Zum vaterländischen Unterricht wird das Material verwertet durch:
            a) Vorträge, Unterhaltungsabende, Feldkinos und Theateraufführungen,
            b) Feldpredigten,
            c) Armeezeitungen,
            d) Feldbüchereien,
            e) Feldbuchhandlungen.
      Die zur Erholung und Aufheiterung dienenden Maßnahmen müssen in erster Linie den fechtenden Truppen und Truppen in Ruhestellung zugute kommen.

6. Bei Abhaltung des vaterländischen Unterrichts ist eine Diskussion nicht zugelassen. Dagegen empfiehlt sich die Einrichtung von Fragekästen und Auskunftsstellen für alle Fragen, die den einzelnen Mann in bezug auf seine heimatlichen Verhältnisse betreffen.

7. Zuverlässige Urlauber werden mit Vorteil verwendet werden, vom Heer in die Heimat zu leiten, was dort zur Hebung der Stimmung beitragen kann. Das Kriegspresseamt wird dafür sorgen, daß über die Fragen, die sich als Gegenstand des vaterländischen Unterrichts bei den Truppen ergeben, auch in der Heimat Unterricht stattfindet.

8. Auf dieser Grundlage hat sich der vaterländische Unterricht den örtlichen Verhältnissen anzupassen und sich von jeder Verallgemeinerung fernzuhalten. Es wäre falsch, wenn durch den Unterricht Gedanken verbreitet würden, die der Truppe an sich zur Zeit fernliegen.

[512]
IV. Gegenstand des vaterländischen Unterrichts.

1. Es empfiehlt sich, den vaterländischen Unterricht auf das Wesentlichste zu beschränken, dieses aber dauernd mit Nachdruck zu verfolgen und die verschiedenen Mittel der Aufklärung hierauf zu vereinigen.

2. Die wesentlichsten Gebiete des vaterländischen Unterrichts sind:

  1. Die Ursachen des Krieges. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, ihre Bedeutung und die Folgen eines verlorenen Krieges, besonders auch für den deutschen Arbeiter. Die Notwendigkeit, weiter zu kämpfen, bis der Vernichtungswille unserer Gegner gebrochen und Sicherheit für die wirtschaftliche Weiterentwicklung geschaffen ist.
  2. Die Gesamtgröße unserer bisherigen Erfolge rechtfertigt Vertrauen auf endgültigen Sieg. Siegesbewußtsein, Pflichttreue und Mannesstolz sind zu fördern. Entscheidung ist schon zu unseren Gunsten gefallen. Es gilt sie endgültig zu sichern. Voraussetzungen hierfür sind gegeben. Rohstoffe und Munitionsersatz gesichert. Wirkung des U-Bootkrieges steigert sich.
  3. Notwendigkeit und Bedeutung der Führung auf allen Gebieten (militärische Regierung, Verwaltung, Industrie und Handel). Daraus Notwendigkeit der Autorität einerseits, der Unterordnung andererseits herleiten. Dabei ist besonders das Vertrauen zu Kaiser und Bundesfürsten sowie zur militärischen Führung zu vertiefen.
  4. Gegner, von unserer militärischen Unbesiegbarkeit überzeugt, setzt seine Hoffnung auf unseren wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch und auf den Auseinanderfall unserer Bündnisse.
          Schwierigkeiten der Wirtschaftslage durch Lebensmittel und Kohlen sind vorhanden und anzuerkennen, besonders in der Heimat, sie werden aber mit Sicherheit überwunden. Notwendigkeit der Lebensmittelbeschränkung und Kohleneinteilung durch Maßnahmen der Behörden ist zu erläutern. Fehler sind früher selbstverständlich aus anfänglicher Unkenntnis der zu bewältigenden Aufgaben, oft auch gerade aus dem Bestreben größter Gerechtigkeit gemacht worden. Wege und Mittel zur gerechten und vorsorglichen Verteilung werden aber angestrebt und gefunden werden. Kleinere Härten bleiben unvermeidlich, schon wegen der sehr verschiedenen Interessen von Produzent und Konsument. Ausgleich der Verstimmung zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Gegenseitiges Verständnis und Unterstützung tut not. Verwerflichkeit des Kriegswuchers. Kriegsende bedeutet nicht Ende der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Schimpfen nutzt nichts. Jeder muß selbst helfen und schaffen. Das eigene Ich muß zurücktreten vor dem gemeinsamen großen Ziel. Streiks gefährden den Sieg und kosten das Blut der Truppe. Friedensduselei verlängert ebenso wie Mißmut den Krieg. Einigkeit im Inneren macht stark, alles andere schwächt. Verständnis für das Wesen und die Leistungen unserer Verbündeten.
  5. Aufklärung darüber, daß unsere Gegner, wenn sie den Krieg als aussichtslos aufgeben müssen, versuchen werden, durch "Friedensverhandlungen" uns die Früchte unseres militärischen Sieges zu entreißen und insonderheit unsere wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu erdrosseln. Es muß jedem Soldaten klargemacht werden, daß wir auch dann bereit sein müssen, den Kampf jederzeit wieder aufzunehmen, um unser Kriegsziel, d. h. die Sicherstellung unserer Zukunft, zu erreichen. Volk und Heer muß bis zum endgültigen Friedensschluß in voller Stärke und Einigkeit hinter den Führern des Reiches stehen.
I. A.      
gez. Ludendorff.

Den Leitsätzen beigefügt waren eine

Verfügung des Generalquartiermeisters vom 25. Juli 1917.

      "Von den verschiedensten Stellen wird versucht, bei den Truppenteilen des Feldheeres politische Propaganda zu machen.
      So hat eine Zeitung sich unmittelbar an Heeresangehörige gewandt, um eine Abstimmung über Friedensziele zu veranstalten. Ferner besteht die Gewißheit, daß die unabhängige Sozialdemokratie eine die Manneszucht im höchsten Maße schädigende Wühlarbeit im Heer betreibt. Allen derartigen Versuchen ist mit höchstem Nachdruck entgegenzutreten. Insbesondere gilt es zu verhindern, daß Mitteilungen und Flugschriften in die Truppe gelangen, welche geeignet sind, [513] die unbedingte Siegeszuversicht zu mindern und das Vertrauen zu den Führern zu untergraben, und die damit für die Schlagfertigkeit des Heeres verhängnisvoll werden können.
      Eingehende Belehrung der Mannschaften durch Offiziere und Hinweis auf die Ablieferung aller derartiger Druckschriften werden in erster Linie geeignet sein, der erwähnten Propaganda entgegenzuwirken.
      Wenn im übrigen die Offiziere es weiterhin als ihre vornehmste Pflicht betrachten, durch das Beispiel ihrer Persönlichkeit, ihre Fürsorge und ihr Verständnis für ihre Untergebenen das Vertrauen ihrer Untergebenen zu gewinnen und zu erhalten, so sehe ich darin die beste Gewähr, daß die erwähnten gefährlichen Strömungen bei der Truppe nicht Eingang finden.
      Ich halte es für erwünscht, wenn sich gelegentlich der gemäß Verfügung vom 29. April 1916 vorzunehmenden Briefkontrolle die höheren Kommandobehörden einen Einblick in die Stimmung der Truppe zu verschaffen suchen. Die mit der Prüfung zu beauftragenden Personen werden bei der Verantwortlichkeit und Bedeutung ihrer Aufgabe mit besonderer Sorgfalt auszuwählen sein.
      Von den gemachten Wahrnehmungen ersuche ich, mir Mitteilung zu machen."

Die hiermit von der Obersten Heeresleitung geschaffene Organisation machte mit Bedacht Halt bei den Armeeoberkommandos für das Feldheer, bei den Generalgouvernements in den besetzten Gebieten, bei den stellvertretenden Generalkommandos in der Heimat. Eine tiefere Bindung der Organisation war nicht möglich, weil die Verhältnisse zu verschieden lagen. Selbst beim Feldheer waren im Westen, im Osten, auf dem Balkan und in der Türkei, auch an ruhigen und kämpfenden Frontteilen, sowie bei den Etappen und den kämpfenden Truppen die Lebensbedingungen nicht gleichartig. Erst recht nicht in der Heimat und in den besetzten Gebieten. Der Ausbau mußte also von den verantwortlichen Behörden den Verhältnissen angepaßt werden. Verantwortlich für den Geist der Truppen blieben die Kommandobehörden. Ihre Selbständigkeit in dieser Richtung war, wie es in den Leitsätzen hieß, nicht eingeschränkt worden. Im besonderen war die Erhaltung der Mannszucht oder etwa gar ein Einfluß auf die Gerichtsbarkeit nicht Zuständigkeitsgebiet des vaterländischen Unterrichts.

Entsprechend seiner Beteiligung an der vorhergehenden Entwicklung hatte der Chef der Abteilung III B die Leitsätze aufgestellt und ihm fiel die Leitung des vaterländischen Unterrichts, soweit die Oberste Heeresleitung daran beteiligt war, zu. Von dem Erlaß neuer Verfügungen wurde abgesehen. Die gemeinsame Aufgabe wurde durch gemeinschaftliche Besprechungen zwischen dem Chef der Abteilung III B und den Leitern des vaterländischen Unterrichts bei den Armeeoberkommandos und in der Heimat gefördert. Diese Besprechungen gaben der Obersten Heeresleitung einen unmittelbaren Einblick in die Stimmung der Truppen an allen Fronten und in der Heimat. Dieser Eindruck war der, daß das Bewußtsein von der Notwendigkeit des Auskampfes überall dort zu schwinden begann, wo die Truppen nicht unmittelbar in Berührung mit dem Feinde standen. Wo letzteres der Fall war, war die Haltung der Truppen geschlossen und gut. Der Einfluß der Heimat begann immer mehr sich geltend zu machen. Deshalb wuchs die Bedeutung der Arbeit, die in der Heimat geleistet wurde. Mit eindringlichem Ernste forderten die militärischen Führer [514] von den politischen, nun endlich die öffentliche Meinung zu führen, und sich des hier geschaffenen Werkzeugs des vaterländischen Unterrichts zu bedienen.

Fast gleichzeitig, als die Beurteilung der Kriegslage bei der Obersten Heeresleitung zur Aufstellung der Leitsätze für den vaterländischen Unterricht führte, machte im Reichstag der Abgeordnete Erzberger seinen Vorstoß gegen die Kriegführung, der mit der Friedensresolution und dem Sturz des Reichskanzlers v. Bethmann endete. Reichskanzler Michaelis sah sich zwischen zwei Feuern. Auf der einen Seite die Forderung der Obersten Heeresleitung, deren Berechtigung er durchaus anerkannte und deren Erfüllung er als eine der ersten seiner Regierungsaufgaben bezeichnete. Auf der anderen Seite der Reichstag, dessen Mehrheit unter Führung der Abgeordneten Erzberger und Scheidemann erklärte, daß der Krieg nicht durch Kampf, sondern durch Verständigung zu beenden sei. Eine klare Entscheidung zwischen diesen beiden Forderungen haben weder der Reichskanzler Michaelis, noch der Graf Hertling zuwege gebracht. Erst mit Eintritt des Abgeordneten Erzberger als Staatssekretär in die Reichsregierung wurde, wie der Pressedienst, so auch der vaterländische Unterricht ihm und damit der politischen Leitung unterstellt. Es geschah dies zu einem Zeitpunkt, als die Lage durch das Waffenstillstandsangebot bereits zur allerletzten Entscheidung drängte und es die Frage war, ob das deutsche Volk durch einen letzten einhelligen Entschluß zum Widerstand den Vernichtungswillen des gleichfalls erschöpften Feindes noch in letzter Stunde brechen wollte. Um so verhängnisvoller war es, daß die Übernahme des vaterländischen Unterrichts durch die Reichsregierung in diesem Augenblick nichts anderes bedeutete als - seine Einstellung. Von Mitte Oktober 1918 ab stand sowohl der Pressedienst wie der vaterländische Unterricht still.

Das Ziel des vaterländischen Unterrichts war, in Volk und Heer die Erkenntnis wach zuhalten, daß der feindliche Vernichtungswille nur gebrochen werden konnte, wenn sich das deutsche Volk ihm gegenüber als ein geschlossenes und zum Kampf bis zum Letzten entschlossenes Volk behauptete. Der Wille zum Kampf sollte also erhalten und immer wieder geweckt werden. Der Erreichung dieses Ziels haben sich vor allem zwei Hindernisse in den Weg gestellt: das eine war die seit dem Juli 1917 auf Verständigung gerichtete deutsche Politik, die das Aufkommen derjenigen Stimmen begünstigte, die den Weiterkampf als unnötig hinstellten, die militärischen Führer der Fortführung des Kampfes zu annexionistischen Zielen verdächtigten und damit den geistigen Wirkungskreis des vaterländischen Unterrichts nicht nur einengten, sondern auch mißtrauisch über jede Äußerung seiner Organe wachten, die etwa als gegen die Politik des Reichstags gerichtet hätte ausgelegt werden können. Es wurde vollkommen übersehen, daß zu dem Heere bestimmt, aber auch zu einem im Kampf stehenden Volk nicht von Frieden und Verständigung gesprochen werden darf, solange der Feind nicht ernsthafte Bereitwilligkeit hierzu zeigt. Das zweite Hindernis für einen schnellen [515] Erfolg des vaterländischen Unterrichts war die ungenügende Vorbereitung auf diesen Dienstzweig. Das Offizierkorps, auf dem der Unterricht aufgebaut werden mußte, war nicht ohne weiteres für ihn ausgebildet. Es konnte nicht erwartet werden, daß der vaterländische Unterricht damit, daß er angeordnet war, auch überall gehandhabt werden konnte. Es hing von der Tatkraft ab, die die einzelnen Kommandobehörden aufbrachten, wieviel geleistet wurde. Dieses war sehr verschieden. An den meisten Stellen fand der vaterländische Unterricht volle Würdigung und Verständnis. An zahlreichen Stellen fand er aber auch Zurückhaltung oder Ablehnung.

Die österreichisch-ungarische Heeresleitung vermutete zunächst einen politischen Beeinflussungsversuch, den nachzuahmen sie bei den im Heimatland bestehenden politischen Zuständen für ausgeschlossen hielt. Erst als sie sich überzeugt hatte, daß der vaterländische Unterricht die Politik aus dem Heere fernzuhalten bestimmt war und den Geist der Truppen kampfentschlossen halten sollte, griff sie zu ähnlichen Maßnahmen. Noch später eingeleitet als die deutschen und noch mehr durch die innerpolitischen Vorgänge eingeschränkt, hatten sie kaum eine Bedeutung.

Auf dem bulgarischen Kriegsschauplatz widmete sich Oberbefehlshaber General v. Scholtz dem vaterländischen Unterricht besonders sorgfältig. Auch die bulgarische Heeresleitung erkannte die Bedeutung dieses Dienstes und entschloß sich im Sommer 1918 unter besonderer Befürwortung durch den bulgarischen Kronprinzen zur Einführung. Die vom deutschen Generalstab erbetene Unterstützung wurde in jeder Weise gewährt, weil damals bereits bei der Obersten Heeresleitung sichere Anzeichen dafür vorlagen, daß die bulgarische Front einem schnellen politischen Zersetzungsprozeß unterlag. Der Entschluß der Bulgaren kam aber zu spät; er wurde auch mit zu geringen Mitteln ausgeführt, um das schon politisch zerfressene bulgarische Heer noch vor der völligen Auflösung bewahren zu können.

In der Türkei bot die große Zersplitterung der deutschen Truppen erhebliche Schwierigkeiten. Fast nur in Anlehnung an die Linien des Feldeisenbahnwesens konnte dort eine Aufklärungsarbeit unter den Truppen eingeleitet werden. Die geistige Beeinflussung der dort stehenden Truppen war also gering. Bei den Türken selbst waren es andere Momente, die in der Volksstimmung den Ausschlag gaben. Bei ihnen ist etwas dem vaterländischen Unterricht Ähnliches nicht unternommen worden.

Auf die Einzelheiten des Geleisteten einzugehen verbietet der verfügbare Raum. Die von der Obersten Heeresleitung erlassenen Leitsätze geben an, welche Wege gesucht wurden und mit welchen Mitteln sie zu erreichen versucht worden sind. Das Urteil über den Erfolg lautete sehr verschieden. Dort, wo die Leitsätze befolgt und mit der nötigen Tatkraft durchgesetzt wurden, war das Ergebnis beim Heer und in der Heimat ein gutes. Auch die Zivilbehörden im [516] Lande erkannten die Tätigkeit des unter militärischer Leitung stattfindenden vaterländischen Unterrichts an und erhoben Einspruch, als im März 1918 Pläne des Reichskanzlers Graf Hertling bekannt wurden, die die mühsam aufgebaute Arbeit auf eine neue Grundlage stellen sollten, besonders deshalb, weil der Einfluß hauptsächlich privaten Organisationen zufallen sollte. Mit Recht wurde anstatt der notwendigen Einheitlichkeit der Volksstimmung ihre weitere Zersplitterung befürchtet. Der Hauptfehler trat auch hier zutage: die Reichsregierung scheute sich, die Volksaufklärung verantwortlich in die eigene Hand zu nehmen und ihr denjenigen politischen Inhalt zu geben, den allein sie ihr geben konnte, den zu geben aber diejenigen politischen Parteien verhinderten, welche seit der Mehrheitsbildung glaubten, den Krieg durch Verständigung, anstatt durch Kampf glücklich beenden zu können.

War somit der günstige Erfolg des vielfach eingeengten vaterländischen Unterrichts unvollständig, so hat er doch auf seinen Nebengebieten für die Wohlfahrt der Truppen Außerordentliches leisten und damit indirekt für deren Stimmung Erfolg haben können. Seine materiellen Aufgaben waren beim Feldheer auch schneller in die Tat umzusetzen als die ideellen. Das Leben der Truppen wurde nach Kräften erleichtert. Dies kam besonders in Bücherei- und Zeitungswesen, in der Errichtung von Soldatenheimen, in der Ermöglichung von Theater-, Konzert- und Kinovorführungen zum Ausdruck. An vielen Stellen haben Hochschulkurse den gebildeten Kreisen des Heeres geistige Anregung und Abwechslung geboten. Besonders anerkannt wurden auch die überall eingeführten Auskunftsstellen. In diesen wurden die Heeresangehörigen in ihren häuslichen und persönlichen Sorgen von sachverständigen Vorgesetzten beraten. Diese Auskunftsstellen bestanden meist bei den Divisionsstäben, wo Juristen, Verwaltungsbeamte und Feldgeistliche neben besonders geeigneten militärischen Vorgesetzten zur Auskunftserteilung und Beratung zur Verfügung standen. Auch in den Lazaretten auf den Kriegsschauplätzen wandte der Feldsanitätschef erfolgreiche Mühe auf, die durch den vaterländischen Unterricht gebotenen Möglichkeiten den Kranken und Verwundeten zu erschließen. In den Lazaretten der Heimat wurde an einzelnen Stellen auch hierin Hervorragendes geleistet. Im allgemeinen fehlte es aber dort an zielbewußtem, einheitlichem Vorgehen. Die Oberste Heeresleitung hat es nicht unterlassen, auch darauf hinzuweisen, daß gerade hier, wo die vom Kriege am härtesten Betroffenen waren, der vaterländische Unterricht besondere Bedeutung hätte. Einen Erfolg kann der vaterländische Unterricht sich schließlich für seine Arbeit zuschreiben, die der Aufklärung und Fürsorge für die aus russischer Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden und dort vielfach in bolschewistischem Sinne Verseuchten gewidmet war.

Der vaterländische Unterricht hat manchem prächtigen deutschen Mann Gelegenheit gegeben, in seinem Kreise Mitarbeiter der militärischen Führung zu sein. Es kam dabei nicht auf Stellung und Herkunft, sondern nur auf eigenes [517] Vorbild, feste Überzeugung und klaren Willen an. Der Generalfeldmarschall von Hindenburg und General Ludendorff nahmen persönlich lebhaften Anteil. Als die Oberste Heeresleitung in Kreuznach ihren Standort hatte, befahlen sie den Vortrag des Unterrichtsoffiziers aus dem benachbarten Saarbrücken. Dieser, ein Volksschullehrer, der sich durch Selbststudium emporgearbeitet hatte, äußerlich unscheinbar, aber von starker innerer Überzeugung, hatte unter den Bergarbeitern des Saargebiets beachtenswerten Erfolg. Der Generalfeldmarschall von Hindenburg hörte von ihm allein den Vortrag, den er sonst vor den Bergarbeitern hielt, in dem er die Gründe unseres Kampfes, sowie die Folgen eines verlorenen Krieges gerade für die deutschen Arbeiter entwickelte. General Ludendorff befahl den Vortrag abends vor den versammelten Generalstabsoffizieren seiner Umgebung. Der Vortrag löste tiefen Ernst aus. Als er beendet war, erhob sich General Ludendorff sichtlich ergriffen, ging auf den Unterrichtsoffizier zu und drückte ihm fest die Hand mit den Worten: "Ich danke Ihnen für diese Weihestunde." In diesem Vorgang verkörperte sich, was die militärischen Führer mit dem vaterländischen Unterricht erstrebten. Sie fühlten sich als die Führer im Kampf gerade für den arbeitenden Teil des deutschen Volkes. Diejenigen, die ihnen die Führung nahmen, haben das Volk und nicht zuletzt den deutschen Arbeiter seiner besten Führer im Kampf gegen den äußeren Feind beraubt.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte