Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 6: Das
Militäreisenbahnwesen
(Eisenbahnen und Schiffahrt)
(Forts.)
Oberst Stefan v. Velsen
9. Die Ausnutzung der
Wasserstraßen.
Schon im Frieden waren für größere Betriebsgebiete der
schiffbaren Wasserstraßen des Inlandes sogenannte
Wasser-Linienkommandanturen gebildet. Sie arbeiteten zusammen mit dem
Bevollmächtigten für Militärangelegenheiten bei jeder
Strombauverwaltung, mit den örtlichen militärischen Stellen, mit den
Korpsintendanturen und mit den Schiffahrtsunternehmern. Die
Linienkommandanturen legten die Mobilmachungstransporte fest, für die
dann die Korpsintendanturen die Verträge mit den Unternehmern
abschlossen.
Mit der Mobilmachung wurden bei den Wasser-Linienkommandanturen
Wasser-Transportabteilungen unter einem höheren Baubeamten gebildet.
Die Ausnutzung der Wasserstraßen des besetzten Gebiets war
zunächst Aufgabe der Baudirektionen bei den Etappeninspektionen.
Die deutschen Wasserstraßen standen mit denen der östlichen und
südöstlichen Kriegsschauplätze in Zusammenhang,
während die Flüsse und Kanäle in Belgien und Nordfrankreich
durch Holland von dem deutschen Wasserstraßennetz getrennt waren. Aus
diesen geographischen Verhältnissen heraus nahm die Entwicklung der
Schiffahrt während des Krieges in der Heimat, dem Osten und.
Südosten einerseits und in Belgien und Nordfrankreich andererseits einen
verschiedenen Verlauf.
1914 und 1915 spielte die Schiffahrt weder in der Heimat noch im besetzten
Gebiet eine nennenswerte Rolle. Die Eisenbahn war noch in der Lage, alle
Anforderungen zu befriedigen. Es machte sich aber doch fühlbar, daß
in der Leitung der Schiffahrtsbehörden nur Baufachleute vertreten waren.
Verkehrssachverständige würden wohl schon früher die
kommenden Aufgaben erkannt und aus ihrer Erfahrung heraus die für die
Vorbereitung und Durchführung notwendige Werbetätigkeit entfaltet
haben.
Nur in Ostpreußen entwickelte sich ein lebhafter militärischer
Schiffahrtsverkehr auf Pregel, Deime und Haff, der sich beim Fortschreiten der
Operationen auf den Niemen und auf die Ostsee bis Libau und Windau ausdehnte.
Hier bearbeiteten eine Königsberger
Reederei- und Speditionsfirma und die von der [327]
See-Transportabteilung des Reichs-Marineamtes geschaffene
Wasser-Transportabteilung des Gouvernements Libau die
Schiffahrtstransporte.
Schon Ende 1915 wurde aber beim Feldeisenbahnchef die wachsende
Inanspruchnahme der deutschen Eisenbahnen fühlbar, und aus der Sorge,
ob sie auf die Dauer den ständig steigenden Anforderungen würden
entsprechen können, wurden die Linienkommandanturen angewiesen, auf
vermehrte Heranziehung der Schiffahrt hinzuwirken. Dies blieb aber, vorwiegend
infolge der unzureichenden Organisation des Wassertransportwesens,
zunächst ohne durchgreifenden Erfolg.
Um das Zusammenarbeiten der Wasserstraßen mit der Eisenbahn zu
fördern, wurde dann im März 1916 die Schiffahrtsgruppe bei der
Eisenbahnabteilung des stellvertretenden Generalstabs geschaffen. Sie sollte nach
ihrer Dienstanweisung in erster Linie den
Nach- und Abschub zu den Armeen des Ostens auf dem Seewege und den
Binnenwasserstraßen regeln. Außerdem hatte sie im Inlande die
Ausnutzung der Wasserstraßen für Militärtransporte und
kriegswirtschaftliche Transporte zu fördern.
Im Sommer 1916 wurde der Schiffahrtsgruppe durch eine Verfügung des
Kriegsministeriums das Recht übertragen, von seiten der
Militärverwaltung die Verträge über Ermietung und Ankauf
von Schiffen abzuschließen. Da die Durchführung
kriegswirtschaftlicher Transporte auf den Wasserstraßen vielfach dadurch
erschwert wurde, daß auf diesen die Frachten höher waren als auf den
Eisenbahnen, wurde die Schiffahrtsgruppe vom
Reichs-Schatzamt ermächtigt, in geeigneten dringenden Fällen den
Unterschied zwischen Bahn- und Wasserfracht auf die Reichskasse zu
übernehmen.
Durch die sich vom Herbst 1916 ab verschärfenden
Transportschwierigkeiten vermehrte sich die Bedeutung der Wassertransporte und
damit das Arbeitsgebiet der Schiffahrtsgruppe. Dem wurde durch den Ausbau der
letzteren zur Schiffahrtsabteilung beim Chef des Feldeisenbahnwesens, mit dem
Sitze in Berlin, Rechnung getragen. Unter ihr arbeiteten die Schiffahrtsgruppen:
"Ost" in Berlin für den Seeverkehr und die Binnenschiffahrt des Ostens,
"West" in Duisburg für den Rhein und die sonstigen Wasserstraßen
West- und Süddeutschlands, "Donau" in Wien für die
Donauschiffahrt. Gegen Ende des Krieges traten noch hinzu: "Nord" in Riga
für Livland, Kurland und Litauen, "Warschau" für Polen, "Kiew"
für die Ukraine, und eine besondere Schiffsleitung in Cherson für
den unteren Dnjepr. Die taktischen Verhältnisse an der elsässischen
Front machten es schließlich erforderlich, hier einen Militärbetrieb
unter der Militär-Kanaldirektion 2 in Straßburg
einzurichten.
Um dem Mangel an schiffahrtskundigen Leuten abzuhelfen, wurde 1917 das
Schiffer-Ersatzbataillon aufgestellt; außerdem stellte das
Reichs-Marineamt über 3000 Marinemannschaften zur
Verfügung.
Die Beschaffung der Betriebsmittel (Kohle, Schmier- und Leuchtmittel,
Ausrüstungen) für die Schiffahrt wurde mit der Zeit immer
schwieriger. Daher [328] wurde vom 1. August
1917 ab der Schiffahrtsabteilung vom Reichs-Kohlenkommissar die Beschaffung,
Abgabe und Kontrolle der Bunkerkohle für
See- und Binnenschiffahrt übertragen. Für die sonstigen Artikel
wurden zunächst Betriebslager eingerichtet, dann in Verbindung mit den
zuständigen Kriegsgesellschaften auch die Belieferung der Binnenschiffahrt
übernommen.
Die Transporte wurden von der Schiffahrtsabteilung an Reedereifirmen vergeben
und diese auf den Hauptstromgebieten zu Kriegsvereinigungen
zusammengeschlossen. Jede Vereinigung bildete einen Frachtausschuß, mit
dem die Verhandlungen geführt wurden. Die Interessen der Kleinschiffer
wurden zunächst dadurch berücksichtigt, daß ein Teil ihrer
Kähne - anfangs etwa 600 - in Dauermiete genommen
wurden. Diese und 77 Fracht-, 166 Schleppdampfer, die ebenfalls dauernd
gemietet wurden, verwendete die Schiffahrtsabteilung hauptsächlich dazu,
um auf den ausländischen Wasserstraßen einen eigenen Betrieb
einzurichten, da die Privatschiffahrt Bedenken trug, dort ihre Schiffe
einzusetzen.
Die Schiffahrtsabteilung war so allmählich über den Rahmen einer
militärischen Transportbehörde herausgewachsen. Für ihre
erweiterte Tätigkeit fehlte ihr aber noch die
öffentlich-rechtliche Grundlage. Diese erhielt sie durch zwei
Bundesratsverordnungen vom 18. August 1917. Die eine gab ihr das Recht,
Höchst- und Mindestpreise für
Transport- und Umschlagleistungen festzusetzen, private Betriebsmittel
zwangsweise heranzuziehen und Lade- und Löschzeiten zu regeln; sie
ermächtigte den Reichskanzler zur Einrichtung von
Preisprüfungsämtern für die Binnenschiffahrt auf Antrag der
Schiffahrtsabteilung. Durch die zweite Verordnung wurde die
Schiffahrtsabteilung ermächtigt, die Besitzer von Binnenschiffen auch ohne
ihre Zustimmung zu Betriebsverbänden zusammenzuschließen;
hierdurch erst wurde eine vermehrte Inanspruchnahme auch der Kleinschiffer
ermöglicht.
Die Schiffahrtsabteilung beförderte in erster Linie Massengüter
(Brenn- und Baustoffe, Nahrungs- und Futtermittel).
Kies- und Steinschlag, sowie Holz wurden in großem Umfang besonders
dem besetzten westlichen Gebiet zugeführt. Holz aus dem Osten wurde bis
Magdeburg gebracht und dort, da der Mittellandkanal von Hannover bis zur Elbe
fehlte, für die Westfront auf die Eisenbahn verladen. Einen großen
Umfang hatten die Kohlentransporte für den östlichen und den
südöstlichen Kriegsschauplatz.
Da die Weiterführung der an den Seeplätzen eingehenden
Massengüter mit der Binnenschiffahrt oder auf der Eisenbahn zur Schonung
des Transportapparats von zentraler Stelle geleitet werden mußte, wurde die
Schiffahrtsabteilung 1917 mit der Regelung der Erztransporte beauftragt.
Das große Ziel, die Entlastung der Eisenbahnen durch die Binnenschiffahrt,
ist von der Schiffahrtsabteilung trotz vieler Schwierigkeiten, die besonders in der
verspäteten einheitlichen Gestaltung dieses Teils des Transportapparats
lagen, doch in vollem Umfange erreicht worden.
[329] Auf dem
abgeschlossenen Wasserstraßengebiet von Belgien und Nordfrankreich
hatten die Baudirektionen zunächst die Zerstörungen beseitigt und
dann jede in ihrem Gebiet einen kleinen
Nach- und Abschubverkehr eingerichtet. Sollten größere Leistungen
erzielt werden, so mußte nach der
Kriegs-Etappenordnung verfahren werden, nach der Wasserstraßen als
durchgehende Verbindungen von besonderer Bedeutung für die
Heeresversorgung dem Feldeisenbahnchef übertragen werden konnten.
Dies geschah im Februar 1916, und der Feldeisenbahnchef bildete die
Militär-Kanaldirektion in Brüssel. Sie wurde der
Militär-Generaldirektion der Eisenbahnen in Brüssel angegliedert.
Bis zum Oktober 1916 hatte sie die Schiffahrt auf den Wasserstraßen
Nordfrankreichs und Belgiens (im Generalgouvernement nur, soweit sie der
Heeresversorgung diente) übernommen. Die bauliche Instandsetzung und
Instandhaltung im Etappen- und Operationsgebiet - etwa
1600 km - war ihr ebenfalls übertragen.
Die Militär-Kanaldirektion gliederte ihr Gebiet in 4
Betriebsämter:
Kanalbetriebsamt |
I |
in Gent, |
" |
II |
in Lille, |
" |
III |
in St. Quentin (später Barlaimont, Le Cateau und Charleroi), |
" |
IV |
in Sedan. |
Unter diesen arbeiteten Hafenämter - durchschnittlich 25 - und an den
wichtigsten Lade-, Lösch- und Durchgangsplätzen Meldestellen.
Der Militär-Kanaldirektion unterstand eine Baukompagnie. Neben der
laufenden Instandhaltung und der Beseitigung kleinerer Zerstörungen, die
feindliches Feuer und Fliegerwirkung hervorriefen, hatte sie im Frühjahr
1918 die Wiederherstellung der in Besitz genommenen Wasserstraßen
auszuführen. Die Leie und Somme waren bereits Anfang Juli, die Aisne
Ende Juli wieder voll betriebsfähig. Bei den Rückzügen im
Frühjahr 1917 und im Herbst 1918 fiel der Baukompagnie die
Zerstörung der Wasserstraßen zu.
Jedes Betriebsamt verfügte über eine Betriebskompagnie, die die
Meldestellen, einen Teil der Schleppdampfer und die im feindlichen Feuerbereich
verkehrenden Kähne besetzte. Aus ihnen wurden die Vorarbeiter für
Werften und Werkstätten entnommen. Im übrigen wurde für
die Schiffsbesatzungen und für die Werften und Werkstätten Schiffer
und Arbeiter aus dem besetzten Gebiet - durchschnittlich
10 000 - angeworben.
Die Beförderung erfolgte auf beschlagnahmten Kähnen des besetzten
Gebiets - etwa 2900. An Stelle der ortsüblichen Treidelei wurde
soviel wie möglich Schleppdampferbetrieb eingerichtet; von den 360
Dampfern der Militär-Kanaldirektion waren rund 250 in Deutschland oder
in Holland gekauft oder ermietet. Zum Treideln hatte die
Militär-Kanaldirektion anfangs 600 Pferde, die später durch
Zugochsen ersetzt wurden. Im Bereich des
feind- [330] lichen Feuers wurde
mit Motorbooten geschleppt. - Dem Betrieb dienten ferner Krananlagen,
Lade- und Löschvorrichtungen.
Zur Instandhaltung und Instandsetzung der Betriebsmittel waren 20 Werften und
Reparaturwerkstätten eingerichtet.
Befördert wurden in erster Linie Massengüter, und zwar nach einem
Transportprogramm, das monatlich mit der
Militär-Generaldirektion der Eisenbahnen aufgestellt wurde. Vom April
1916 bis Juni 1918 wurden den Armeen 12 000 000 t auf
durchschnittlich je 100 km zugeführt. Die Höchstleistung an
Tonnen wurde im März 1918 mit 717 000, die an
Tonnen-Kilometern im Mai 1918 mit 70 000 000 t/km
erreicht. Außerdem wurden im Durchschnitt monatlich befördert:
Personen: 40 000, meist Truppen von der Front und
Verwundete;
Güter für die Zivilbevölkerung: 80 000
t, meist Kohlen.
An zehn Stellen der Front fanden Spitzentransporte im feindlichen Feuerbereich
statt. Hier konnte meist nur nachts gefahren werden. Monatlich wurden so
durchschnittlich 25 000 t (Munition, Verpflegung, Baustoffe)
befördert.
Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz hat die Schiffahrt die Eisenbahnen in
großem Umfang entlastet und ergänzt.
Die deutsche Heeresleitung war besonders auf Grund der Kriegserfahrungen von
1870/71 mit der Ansicht in den Weltkrieg gegangen, daß die Eisenbahnen
allein in der Lage sein würden, allen Anforderungen der
Kriegführung zu entsprechen. Nachdem der Weltkrieg zum Stellungskrieg
und damit zum Materialkrieg geworden war, mußte die Heranziehung der
Wasserstraßen improvisiert werden. Das ist in einer Weise gelungen,
daß die gefundenen Wege ebenso wie die Leistungen als vorbildlich
angesprochen werden können.
10. Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege auf
Eisenbahnen und Wasserstraßen.
Der Kranken- und Verwundetentransport war nur insofern Sache der
Militär-Eisenbahnbehörden, als es sich um die Transportorganisation
und die Beförderung selbst handelte, während die ärztliche
Seite dieses Dienstes in den Händen des
Feld-Sanitätschefs und seiner Organe lag.2 Hier sollen
nur einige Angaben über Sanitätsdienst bei
Eisenbahnbehörden und Truppen und über Hygiene des Verkehrs
gemacht werden.
Für den Sanitätsdienst bei den
Militär-Eisenbahndirektionen hatten sich besondere Grundsätze
entwickeln müssen, je mehr Zivil-Eisenbahnpersonal herangezogen wurde.
Diese Grundsätze wurden den heimatlichen Verhältnissen mit ihren
Bahnärzten nach Möglichkeit
angepaßt. - Die sanitätsdienstlichen Aufgaben für die
Militär-Eisenbahn-Direktionsärzte wuchsen beträchtlich durch
die Verwendung von Gefangenen im Eisenbahnbau. Da die Hungerblockade
[331] nicht gestattete, die
Ernährung nach der Leistung zu bemessen, so mußten die
Ärzte immer wieder die aus militärischen Gründen von den
Gefangenen zu fordernden Bauleistungen mit ihrer Leistungsfähigkeit in
Einklang zu bringen suchen.
Die hygienischen Maßnahmen mußten sich in erster Linie den
durchweg mangelhaft ausgestatteten Bahnhöfen des besetzten Gebiets
zuwenden; Wasch- und Badeeinrichtungen, Unterkunftsräume für
das Personal, Verbesserung der Latrinen waren nicht nur in Rußland und
Polen, sondern auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz
erforderlich. - Für die großen Truppenverschiebungen vom
Osten nach dem Westen wurden besondere Maßnahmen organisiert. Sobald
Cholera- oder Typhusfälle unter den zu befördernden Truppen
gemeldet waren, wurde eine besondere Desinfektion der Eisenbahnstrecke mit
Kalkmilch durchgeführt; außerdem fand in diesem Fall noch eine
besondere Zugdesinfektion mit heißer Kreosolseifenlösung
statt. - Bei den Einzureisenden wurde Entlausung vor der Eisenbahnfahrt
möglichst schon bei Antritt der Reise, spätestens vor Eintritt in den
D-Zug gefordert. Über den Entlausungsschein ist viel geschimpft und viel
gespottet worden, und doch gehörte er mit zu den wichtigsten Mitteln, die
die Verschleppung von Seuchen in die Heimat verhindert
haben. - Am Bau großer Entlausungsanstalten an der Ostgrenze, der
Einrichtung von Entseuchungszügen, den
Quarantäne-Maßnahmen auf den östlichen Grenzstationen
u. dgl. m. wurde beratend mitgearbeitet.
Einige besondere Aufgaben auf dem Gebiet des Sanitätsdienstes und der
Hygiene hatten die Stabsärzte bei den Generalstabsoffizieren des
Feldeisenbahnchefs in Wien, Sofia und Konstantinopel zu erfüllen.
Für den Stabsarzt beim Generalstabsoffizier des Feldeisenbahnchefs Wien
bot die Fürsorge für die in den ungarischen Häfen eingesetzten
deutschen Formationen und Gefangenenkompagnien besondere Schwierigkeiten;
sie waren durch Ungezieferplage, Typhus und Malaria recht gefährdet.
Für den Stabsarzt in Sofia waren ebenfalls die Verbände in den
Donauhäfen die Sorgenkinder; außerdem oblag ihm die hygienische
Überwachung des Reiseverkehrs zwischen dem Orient und den
Mittelmächten. Die Stellung des Stabsarztes beim Generalstabsoffizier des
Feldeisenbahnchefs in Konstantinopel war die schwierigste, nicht nur wegen der
Gefährdung der deutschen Eisenbahnformationen durch die im
türkischen Heer und Volk weitverbreiteten ansteckenden Krankheiten,
sondern auch wegen der Verteilung der deutschen Eisenbahner auf das ganze
riesige Land. Am gefährlichsten war die
Malaria-Epidemie im Jahre 1916 bei den im Taurus und Amanus arbeitenden
Bautruppen. Sie gefährdete die Fortführung der Arbeit zeitweise
ernstlich, doch gelang es durch strenge hygienische Maßnahmen
(Prophylaxe), allmählich eine Besserung zu erzielen.
Der Erfolg der ärztlichen Arbeit bei den
Militär-Eisenbahnbehörden war ein großer. Können der
Feldsanitätschef und seine Organe für sich das große Verdienst
in Anspruch nehmen, daß sie es verstanden haben, mit dem Rüstzeug
[332] der modernen Hygiene
das Ausbrechen oder wenigstens die Weiterverbreitung der großen
Heeresseuchen zu verhindern, so dankt das deutsche Volk den Ärzten der
Militär-Eisenbahnbehörden, daß weder durch die
Truppentransporte noch durch die Einzelreisenden, besonders die Urlauber, noch
schließlich durch die Transporte des Millionenheeres der Gefangenen
ansteckende Krankheiten in Deutschland eingeschleppt
wurden. - Bei den Eisenbahntruppen entsprach der Krankenstand im
allgemeinen dem der Etappentruppen. Die im westlichen Kampfgebiet
eingesetzten Eisenbahntruppen und Zivileisenbahner erlitten in nicht
unerheblichem Umfange Verwundungen, besonders durch Fliegerangriffe. Bei
den Zivilarbeiter-Bataillonen und den Kriegsgefangenen lagen die
Verhältnisse, sowohl durch die völlige Verständnislosigkeit
der Belgier und insbesondere der Russen für die einfachsten Forderungen
der Hygiene wie durch die unzureichende Ernährung, trotz ärztlicher
Fürsorge teilweise recht ungünstig.
Die Wohlfahrtspflege für die Militär- und Zivileisenbahner, die auch
den reisenden Heeresangehörigen in recht erheblichem Umfange zugute
kam, sei hier nur kurz erwähnt. Ihr dienten besonders die
Eisenbahnerheime, die je nach Bedürfnis - bei der
Linienkommandantur Brüssel
z. B. 18 - eingerichtet waren. Sie boten billige Verpflegung,
Schreib- und Lesezimmer, Unterhaltung (Billard, Musikinstrumente, in einzelnen
sogar Kinos). Durch Vorträge, fremdsprachlichen Unterricht u. dgl.
wurde für die Weiterbildung Gelegenheit geboten. Für
Durchreisende war vielfach Wohngelegenheit in Einzelzimmern vorhanden.
Mit der Einstellung weiblicher Hilfskräfte in größerem
Umfange wurden Helferinnenheime eingerichtet. Sie boten nicht nur
Aufenthaltsräume für die Freizeit, sondern waren Pensionen, in
denen die Helferinnen Wohnung und Verpflegung fanden.
Für bedürftige Militär- und Zivileisenbahner und
Vertragsarbeiter und für ihre Hinterbliebenen gab es besondere
Unterstützungsfonds. Teilweise flossen ihre Mittel aus dem Etat der
Militär-Eisenbahndirektion. Einen nicht unerheblichen Teil aber verdankten
die Militär-Eisenbahner der hochherzigen kameradschaftlichen
Hilfsbereitschaft der Beamten und Arbeiter der
Preußisch-Hessischen Eisenbahner-Gemeinschaft und der
Reichseisenbahnen.
11. Die Verwaltungstätigkeit der
Eisenbahn- und Schiffahrtsbehörden.
Die Verwaltung bei den Militär-Eisenbahnbehörden lag in den ersten
Kriegsmonaten ganz in den Händen der
Militär-Eisenbahndirektionen und betriebführenden
Linienkommandanturen. Sie war eine zweiseitige. Die rein militärische
Verwaltung in bezug auf Kassen- und Besoldungswesen, Verpflegung und
Bekleidung der Militär-Eisenbahndirektionen und der unterstellten
Militär-Eisenbahnformationen und in bezug auf Einrichtung und Betrieb
[333] der
Kriegs-Verpflegungsanstalten war Sache der Intendantur. Die durch die
Betriebsführung gegebene sachliche Verwaltung wurde durch die
Fachabteilungen II (Betrieb und Streckenunterhaltung), III
(Maschinen- und Werkstättenwesen), IV
(Telegraphen- und Fernsprechwesen), V (Verkehrswesen und Hauptkasse)
ausgeübt.
Der Feldeisenbahnchef im Großen Hauptquartier hatte selbst kein
Verwaltungsorgan. Es stellte sich aber schon im Herbst 1914 auf dem westlichen
Kriegsschauplatz, wo drei Militär-Eisenbahndirektionen und drei
betriebführende Linienkommandanturen nebeneinander eingesetzt waren,
das Bedürfnis heraus, einige Zweige der Verwaltung nach einheitlichen
Gesichtspunkten zu behandeln. Die für den Mobilmachungsfall geltenden
Bestimmungen über die Verwendung von Beamten im Heeresdienst
genügten für die Zivil-Eisenbahnformationen nicht; ihre
Personalangelegenheiten, Besoldungsbestimmungen, disziplinare Unterstellung
u. dgl. m. bedurften einer einheitlichen
Regelung. - Für die Wiederaufnahme des öffentlichen
Personen- und Güterverkehrs im besetzten Gebiete waren Vorkehrungen zu
treffen. - Aber auch für den Militärverkehr wurde das
Bedürfnis nach einem für den ganzen Kriegsschauplatz
gültigen Verfahren immer fühlbarer.
Für die Erledigung dieser Aufgaben wurde durch Befehl vom 24. Oktober
1914 der "Deutsche Eisenbahn-Verwaltungsrat in Brüssel" geschaffen, der
sich aus höheren und mittleren Eisenbahnbeamten unter einem zivilen
Präsidenten zusammensetzte. Ihm war folgender Geschäftskreis
zunächst zugewiesen:
Verkehrsdienst (Beförderungsdienst und Tarifwesen),
Abfertigungsdienst,
Kassendienst,
Angelegenheiten des zivilen Eisenbahnpersonals.
Bald wurden ihm auch Verwertung des Grundeigentums, pachtweise
Überlassung militärisch unwichtiger Strecken an
Transportgesellschaften und die einheitliche Regelung des
Werkstättenwesens übertragen.
Die fortschreitende Entwicklung aber drängte immer weiter zu einer
Vereinheitlichung der Eisenbahnen des westlichen Kriegsschauplatzes zu einem
geschlossenen Ganzen. Das Finanz- und Bauwesen, soweit es die Gesamtheit der
besetzten belgisch-französischen Bahnen betraf, bedurfte einer zentralen
Leitung; und auch eine einheitliche Regelung des Wagenumlaufes im
Anschluß an das den Wagendienst sämtlicher deutschen Bahnen
regelnde Eisenbahn-Zentralamt in Berlin wurde erforderlich. Eine Behörde,
die auch noch diese Arbeitsgebiete übernahm, hatte den Machtbereich und
Wirkungskreis einer staatlichen Zentral-Eisenbahnbehörde; deshalb wurde
durch Verfügung vom 23. Mai 1915 der Verwaltungsrat zur
"Militär-Generaldirektion der Eisenbahnen" in Brüssel erweitert.
Im Osten war die Entwicklung der Verwaltungsbehörden der Eisenbahnen
eine ganz gleiche. Am 1. Oktober 1915 wurde ein Verwaltungsrat der [334] russischen Bahnen in
Warschau eingesetzt; seine Umwandlung zur
"Militär-Generaldirektion Warschau" erfolgte am 1. Februar 1916.
Im Südosten blieb die im Herbst 1915 in Nisch eingesetzte
Militär-Eisenbahndirektion 7 zunächst in allen
Verwaltungsfragen selbständig; und erst als in der Wallachei und in der
Dobrudscha auch rumänische Eisenbahnen von deutschen
Militär-Eisenbahnbehörden übernommen worden waren,
wurde am 6. April 1917 ein Eisenbahn-Verwaltungsrat der im deutschen
Militärbetrieb befindlichen Bahnen des südöstlichen
Kriegsschauplatzes in Bukarest eingesetzt. Bei der großen räumlichen
Trennung der einzelnen Militär-Eisenbahngebiete im Südosten
konnte ihm nur die Aufgabe einer Zentralstelle für
Abrechnungs- und Verkehrsangelegenheiten zufallen. Er hatte weiterhin für
alle deutschen baulichen und betrieblichen Aufwendungen, die auf dem
südöstlichen Kriegsschauplatz für die verbündeten
Staaten gemacht wurden, Abrechnungsgrundlagen zu schaffen. Schließlich
wurde ihm noch die Kohlenversorgung der besetzten südöstlichen
Gebiete übertragen. - Da die Stellung des Verwaltungsrats den
militärischen und auch den zivilen Dienststellen der Verbündeten
gegenüber recht schwierig blieb, erfolgte am 1. Februar 1918 seine
Umwandlung in eine "Militär-Generaldirektion Bukarest", an deren Spitze
ein Offizier im Range eines Brigadekommandeurs trat.
Über die Bedeutung der Verwaltungstätigkeit bei den
Militär-Generaldirektionen geben wohl folgende Zahlenangaben ein
Bild:
Übersicht
über Einnahmen und Ausgaben des
Feld-Eisenbahnbetriebes
während des Krieges 1914/1918. |
|
|
Einnahme |
|
Ausgabe |
|
Mk. |
|
Pf. |
Mk. |
|
Pf. |
|
Militär-Eisenbahndirektion 1 |
21 726 343 |
54 |
65 143 101 |
61 |
Militär-Eisenbahndirektion 2 |
8 634 627 |
53 |
79 419 023 |
— |
Militär-Eisenbahndirektion 3 |
19 511 012 |
65 |
69 909 714 |
81 |
Militär-Eisenbahndirektion 4 |
55 338 055 |
67 |
44 094 533 |
80 |
Militär-Eisenbahndirektion 5 |
36 895 412 |
29 |
140 397 958 |
12 |
Militär-Eisenbahndirektion 6 |
12 315 049 |
81 |
39 685 851 |
67 |
Militär-Eisenbahndirektion 7 |
19 326 836 |
04 |
51 030 128 |
10 |
Militär-Eisenbahndirektion 8 |
19 921 868 |
76 |
79 115 262 |
32 |
Militär-Eisenbahndirektion 9 |
288 |
40 |
221 796 |
38 |
Militär-Eisenbahndirektion 11 |
9 814 115 |
54 |
20 976 740 |
37 |
Militär-Generaldirektion Brüssel |
276 084 433 |
44 |
990 172 831 |
39 |
Militär-Generaldirektion Warschau |
67 849 355 |
03 |
174 465 844 |
27 |
Militär-Generaldirektion Bukarest |
41 919 129 |
97 |
158 209 498 |
84 |
Eisenbahn-Zentralstelle Kiew |
46 122 |
25 |
3 061 |
— |
[335] Dabei ist zu
berücksichtigen, daß für den militärischen
Personen- und Güterverkehr auf den Bahnen im besetzten Gebiet keine
Beförderungsgebühren erhoben wurden; die Einnahmen stammen im
wesentlichen aus dem öffentlichen Verkehr. In den Ausgaben sind nicht
enthalten die persönlichen Gebührnisse für das
militärische Personal und die Ausgaben für Materialien aller Art, die
von den heimischen Beschaffungsstellen zugeführt und bezahlt wurden.
Für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden des
Feldeisenbahnchefs mit der Heimat waren die Schaffung einer besonderen
Eisenbahnabteilung im Kriegsministerium und des
Eisenbahn-Ersatzparks sehr vorteilhaft. In ersterer wurden seit 1. Juli 1917 alle
Verwaltungs- und Organisationsfragen der
Militär-Eisenbahnbehörden behandelt, die bisher getrennt bei vier
Abteilungen des Kriegsministeriums bearbeitet worden waren. Der
Eisenbahn-Ersatzpark war die Zentral-Nachschubstelle für
Eisenbahngerät aller Art.
Die Verwaltungstätigkeit der Schiffahrtsbehörden des
Feldeisenbahnchefs war einfacher, da die Schiffstransporte vorzugsweise durch
private Unternehmer ausgeführt
wurden. - Zentral-Abrechnungsstelle war das bei der Schiffahrtsabteilung
befindliche Rechnungsamt, während die Außendienststellen nur die
Rechnungen prüften. Dagegen war die
Militär-Kanaldirektion in Brüssel, die ein eigenes
Wasserstraßennetz und eine eigene Flotte zu verwalten hatte, in
Verwaltungsangelegenheiten der
Militär-Generaldirektion in Brüssel angegliedert.
12. Rückblick.
Es ist wahrlich ein großes Gebiet, das die vorstehende Skizze des
Militär-Eisenbahnwesens im Weltkriege zusammenfassend darzustellen
versucht hat. Weit in seiner räumlichen Ausdehnung von einer Kampffront
zur anderen und sie untereinander verbindend, vielseitig aber auch in seinen
verschiedenen Betätigungsgebieten. Einzelheiten, die dem
Mitkämpfer eine liebe Erinnerung gewesen wären, die aber auch
wissenschaftlich ein Interesse beanspruchen dürften, konnten daher nur
flüchtig erwähnt werden.
Während des Krieges befand sich das Militäreisenbahnwesen in allen
seinen Gliedern in rastloser Arbeit und in ständiger Fortentwicklung. Auch
der Einzelne, besonders der in leitender Stellung Befindliche, wurde in immer
wieder neuem Wirkungskreis auf fremden Kriegsschauplätzen verwendet.
So konnten nur in Ausnahmefällen die Ergebnisse der Arbeit geordnet und
zusammengefaßt werden; eine wissenschaftliche Untersuchung der
einzelnen Fragen aber mußte man überhaupt auf eine spätere
Zeit zurückstellen.
Zu diesen Aufgaben ist die vorstehende Darstellung nur eine Einleitung. Sie darf
aber als solche einige grundsätzliche Gedanken unterstreichen, die die
weiteren Arbeiten nur vertiefen, nicht verändern können.
[336] Das
Heeres-Transportwesen, in erster Linie die Eisenbahnen, stehen in einem so
untrennbaren Zusammenhang mit allen Erscheinungen der Kriegführung,
daß das Studium der Kriegsgeschichte, strategische Erwägungen,
taktische Entschlüsse, organisatorische oder Verwaltungsmaßnahmen
unfruchtbar sind, wenn die modernen Verkehrsmittel nicht ausreichend
berücksichtigt wurden. Es ist kein gewaltsames Bild, wenn behauptet wird,
daß die Entwicklung der Eisenbahnen in gleichem Umfang, wenn auch in
anderer Weise, die Kriegführung umgestaltet hat wie die Erfindung des
Pulvers.
Es darf aber nicht allein bei militärischem Studium der Kriegserfahrungen
bleiben. Noch einmal darf das kluge Moltkesche Wort zitiert werden, daß
die Kräfte der Technik und Wissenschaft im Kriege Vasallen der
Kriegführung sein müssen. Vasallen, nicht Knechte. Es ist Vorrecht
und Ehrenpflicht des Vasallen, in eigenem Rüstzeug und mit
selbstgebildetem Aufgebot zu erscheinen. Auch bei der in Zielen und Mitteln
beschränkten Wehrfähigkeit, die Deutschland heute besitzt, wird ein
von solchem Geiste getragenes Zusammenarbeiten der Eisenbahnen mit dem
Heere unerläßlich sein.
Dem nicht fachmännisch an den Schilderungen des
Militäreisenbahnwesens im Weltkriege Interessierten haben die
Ausführungen aber hoffentlich ein Teilbild der gewaltigen Leistung des
deutschen Volkes in Waffen gegeben, an dem er sich in der Zuversicht freuen
kann, daß die in vier schweren Jahren bewährten guten Kräfte
unseres Volkes in dem Schutthaufen des Zusammenbruches nicht erstickt
sind. - Diese Freude sollte aber nicht alles sein.
Die Schilderungen verbreiten hoffentlich die Erfahrung des Weltkrieges in weiten
Kreisen des Volkes, daß Heer und Eisenbahn untrennbare Bestandteile
seiner Verteidigungsrüstung sind. Zu ihrem Zusammenwirken aber sind,
das haben die vorstehenden Darlegungen wohl ausreichend gezeigt, zwei
Grundbedingungen unerläßlich: Disziplin im Heere, denn
Zuchtlosigkeiten, schon Eigenmächtigkeiten, schädigen den
empfindlichen Mechanismus der Eisenbahnen - und Pflichttreue bei den
Eisenbahnern. Nur sie sichert die ungewöhnlichen Leistungen des
Militär-Eisenbahnwesens, die die Not des Vaterlandes immer wieder
fordern wird.
|