Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 6: Das
Militäreisenbahnwesen
(Eisenbahnen und Schiffahrt)
(Forts.)
Oberst Stefan v. Velsen
8. Betrieb und Verkehr.
Die Umsetzung der militärischen Eisenbahntransporte jeder Art in die Tat
lag im Felde wie in der Heimat in allen ihren Einzelheiten auf den Schultern des
Eisenbahnbetriebs. Dabei ist der Begriff Betrieb im weitesten Sinne zu [319] fassen: er
umschließt die leitende Tätigkeit der Betriebsabteilungen der
Generaldirektionen und Direktionen, die überwachende der
Betriebsabteilungen und Ämter und die ausführende der
Außenstellen, den Maschinenbetriebsdienst mit entsprechender Gliederung
der Instanzen, die bauliche Erhaltung aller Bahnanlagen, das
Sicherungs- und Fernmeldewesen und endlich die umfangreiche Erhaltung des
gesamten Fahrzeugparks und der maschinellen Einrichtungen.
Der Militärbetrieb der Eisenbahnen auf den Kriegsschauplätzen
wurzelte mit seiner gesamten inneren Kraft in dem in zäher Friedensarbeit
zu höchster Vollendung entwickelten Organismus der deutschen
Staatseisenbahnen. Die Erscheinungsform des Militärbetriebs auf den
einzelnen Kriegsschauplätzen zeigte den gegebenen Verhältnissen
entsprechend äußere Verschiedenheiten. Überall aber trat als
selbstverständliches und wesentliches inneres Merkmal in Erscheinung: ein
in der Heimat unbekanntes Maß von Selbständigkeit und eigener
Verantwortlichkeit bis in die untersten Stellen; daraus folgend stolzes
Verantwortungsgefühl und eine Dienstfreudigkeit, die oft unmöglich
Scheinendes zur Durchführung brachte; als Gegenstück dazu,
besonders im Anfang des Krieges, oft ein Beiseiteschieben der heimatlichen,
peinlich genauen, aber notwendigen Dienstvorschriften, die erst allmählich
wieder zu dem für die Bewältigung verwickelter und großer
Aufgaben unbedingt nötigen Ansehen gebracht werden konnten.
Die Betriebskompagnien, die bei Kriegsbeginn zunächst die eroberten
Strecken zu übernehmen hatten, waren durchaus nicht einheitlich aus
geschulten Eisenbahnern nach streng fachlichen Gesichtspunkten
zusammengestellt, und der militärische Dienstgrad stand oft in
unliebsamem Mißverhältnis zu der im heimischen Eisenbahndienst
erworbenen Befähigung. Die Tatkraft des in allen Schichten sehr
jugendlichen Personals und sein Pflichtbewußtsein überwanden
solche Mängel und ließen die Truppe allmählich zum
vollwertigen, in keiner Lage versagenden Betriebskörper werden. Die im
Verhältnis zur vorliegenden Aufgabe anfangs unvermeidlich große
Kopfzahl konnte nach und nach auf das Maß zurückgeführt
werden, das sich bei voller Ausnutzung jedes einzelnen nach seinen
Fähigkeiten ergab.
Die sehr bald nach Kriegsbeginn neben den Betriebskompagnien zur
Beherrschung des gewaltig wachsenden Eisenbahngebietes im Westen
eingesetzten zivilen Betriebskolonnen waren eisenbahntechnisch günstiger
zusammengesetzt. Sie waren 300 Köpfe stark und umfaßten unter
Führung eines höheren Eisenbahnbeamten das unter
gewöhnlichen Verhältnissen zum Betrieb von 50 km
Hauptbahnstrecke nötige, sorgfältig nach Dienstzweigen aus
heimischen Zivileisenbahnern zusammengestellte Personal. Ebenso erfolgte die
Zusammenstellung der für die Wiederherstellung und den Ausbau des
Telegraphen- und Fernsprechnetzes, der
Signal- und Sicherungsanlagen und für die Bahnunterhaltung gebildeten
Baukolonnen nach streng fachlichen Gesichtspunkten. Auch die zur Unterhaltung
der bald sehr zahlreichen Lokomotiven Ende August
auf- [320] gestellten 12 je 100
Mann starken Werkstattkolonnen enthielten nur durchgebildetes
Fachpersonal.
War die fachliche Zusammensetzung dieser Zivilkolonnen der der
Betriebskompagnien überlegen, so hatten sie mit Schwierigkeiten anderer
Art schwer zu kämpfen; ihnen fehlte die feldmäßige
Ausrüstung und die Organisation für geordnete Verpflegung,
Unterbringung und Bekleidung. Es beweist den ausgezeichneten Kern des
Personals, daß unter solchen äußeren Umständen der
Dienst nie nennenswert gelitten hat, und daß im allgemeinen der einzelne
Mann, der oft genug, ohne den Halt, den sonst das feste Gefüge der Truppe
bietet, auf sich gestellt war, Disziplin und Ordnung wahrte.
Der hier gekennzeichnete Unterschied zwischen militärischem und
Zivilpersonal drückte sich nicht nur in der Zusammensetzung und
Gliederung der Formationen, sondern auch in den Disziplinarverhältnissen,
der Uniformierung und der Besoldung aus. Er ist oft als schwerer Mißstand
empfunden worden. Seine Beseitigung war nicht möglich; doch gelang es
allmählich durch die Zusammenfassung der militärischen
Verbände einerseits, der Kolonnen andererseits in Ämtern nach dem
Muster der heimischen Eisenbahnämter klare Verhältnisse zu
schaffen und die Unzuträglichkeiten weitgehend auszuschalten.
Den militärisch besetzten Ämtern fiel im allgemeinen der Betrieb der
im Frontbereiche liegenden Spitzenstrecken zu. Die Zivilämter schlossen
sich rückwärts an. In Serbien und Rumänien wurden durchweg
militärische Formationen verwandt. Das Gepräge der
Betriebsführung wurde dadurch in seinem Wesen nicht geändert.
Auf allen Kriegsschauplätzen wurde das deutsche Betriebspersonal nach
und nach durch eingeborene Hilfskräfte und Kriegsgefangene in weitestem
Umfange ergänzt. Dadurch ist eine große Entlastung der Heimat
erreicht worden. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen dem
deutschen Stammpersonal und den Hilfskräften war in den verschiedenen
Dienstzweigen auf den einzelnen Kriegsschauplätzen sehr verschieden. Im
Großkampfgebiet der Westfront ließ die Sicherheit des Betriebs und
die Geheimhaltung der Transporte nur beschränkte Zuziehung
Nichtdeutscher zu. In den weiten Gebieten Rußlands, die kurz vor dem
Frieden von Brest-Litowsk in deutsche Hand kamen, konnte man sich damit
begnügen, verhältnismäßig wenig zahlreiche deutsche
Aufsichtskräfte auf alle Dienststellen zu verteilen. Die Masse des Personals
bildeten dort die vorhandenen russischen Eisenbahner. In der Ukraine vollends
mußte der deutsche Einfluß auf allgemeine Betriebsleitung und
vereinzelte Kontrolltätigkeit beschränkt bleiben. Das
Werkstättenpersonal konnte auf allen Kriegsschauplätzen in sehr
weitgehender Weise aus fremden Kräften gewonnen werden. Der deutsche
Arbeiter wurde hier überall zum Führer der heimischen
Arbeitergruppen. Es zeigte sich, wie außerordentlich fachlich brauchbar und
selbständig der einzelne war, sobald er vor eine bestimmte Aufgabe mit
eigener Verantwortung gestellt [321] wurde. Es wurde auf
den Kriegsschauplätzen so eine Entwicklung des Werkstättenwesens
erreicht, die die Heimat ganz außerordentlich entlastete, und in der
Sparsamkeit bei der Verwendung deutschen Aufsichtspersonals geradezu
vorbildlich war.
Entsprechend der Ausdehnung der einzelnen Netze war die Zahl der im
Feldeisenbahndienst tätigen Kräfte gegen Ende des Krieges sehr
bedeutend. Insgesamt waren es nach S.293/295, die die weitere
Verteilung angeben, 442 000 Mann.
Zum Vergleiche sei angeführt, daß die Bayrischen Staatseisenbahnen
1913 über ein Personal von 67 000, die
Preußisch-Hessischen über ein solches von 560 000
Köpfen verfügten.
Wie der Kern des Personals, so stammte auch das rollende Material für die
Bahnen in Feindesland zum größten und besten Teil aus der
deutschen Heimat. Keine der kriegführenden Mächte wäre
außer Deutschland imstande gewesen, solche Mengen an Lokomotiven und
Wagen während des Krieges außerhalb der Landesgrenze in den
Dienst des Heeres zu stellen und gleichzeitig das heimische Wirtschaftsleben
aufrechtzuerhalten. Während die Gegner einschließlich Amerika nur
mühsam den Eisenbahnbetrieb im eigenen Lande aufrechterhalten konnten,
war Deutschland in der Lage, neben dem Militärbetrieb auf
21 000 km Vollspur- und 4 000 km Schmalspurbahnen
in einem Gebiete, das an Umfang die Größe des Reiches weit
übertraf, auch noch seine Verbündeten in großzügiger
Weise mit Lokomotiven und Wagen zu unterstützen. Daß solche
Kraftentwicklung äußerster Anstrengung bedurfte, und zwar um so
mehr, als rollendes Material für Kriegszwecke im Frieden nicht besonders
bereitgestellt worden war, ist einleuchtend. Eine sehr willkommene
Unterstützung war es unter diesen Umständen, daß bei dem
großen Vormarsch im Herbst 1914 reiche Beute an Lokomotiven und
Wagen in deutsche Hände fiel. Zwar war das beste belgische und
französische Material mit den feindlichen Truppen abgerollt; was
zurückblieb, versperrte zunächst in besorgniserregender Weise
Strecken und Bahnhöfe und schien größtenteils unbrauchbar.
Nach wenigen Monaten hatten die
Militär-Eisenbahnwerkstätten des Kriegsschauplatzes das
Beutematerial zum größten Teil wieder dem Betrieb
übergeben. Im Osten war die Beute zunächst spärlich. Erst
beim letzten großen Vormarsch fiel massenhaft Breitspurmaterial in
deutsche Hände. Es war die Veranlassung dazu, auf den zuletzt in Betrieb
genommenen russischen Strecken von der Umnagelung auf deutsche Spur
abzusehen. In Rumänien und Serbien fanden sich einheimische
Betriebsmittel in namhafter, aber keineswegs ausreichender Zahl vor.
Ende Juli 1918 waren auf den Kriegsschauplätzen rund 4800 vollspurige
deutsche und 2960 vollspurige Beutelokomotiven sowie 330 deutsche und 610
erbeutete schmalspurige Lokomotiven vorhanden.
Die Inbetriebnahme der Bahnen in Feindesland schloß sich überall
dem Fortschritt der Operationen des kämpfenden Heeres unmittelbar an.
Meist mußten die ersten dringlichen Transporte an Munition und anderem
unent- [322] behrlichen Nachschub
einsetzen, sobald die Instandsetzung der zerstörten Bahnen ein Befahren
überhaupt gestatteten. Ohne Fahrplan, ohne Telephon oder Telegraph
zwischen den Betriebsstellen fühlten sich die ersten Züge nach vorn
durch, oft auf Holz als Brennstoff und für die Wassernahme auf
Bäche und Tümpel angewiesen.
Diesen für den Betrieb schwierigsten Zeitabschnitt galt es so schnell wie
möglich zu überwinden; denn er barg stets die Gefahr der
völligen Verstopfung der Strecke in sich, insbesondere bei eingleisigen
Bahnen oder wenn von zwei Gleisen erst das eine fahrbar gemacht war. Auf den
Bahnhöfen wurden die nötigen
Kreuzungs-, Überholungs- und Abstellgleise durch Auswechseln der
zerstörten Weichen angeschlossen, die
Brennstoff- und Wasserversorgung der Lokomotiven behelfsmäßig
gesichert, Personal auf die Bahnhöfe verteilt, die allernotwendigsten
Signal- und Sicherungseinrichtungen getroffen und mit allem Nachdruck an die
Instandsetzung des Nervensystems des Eisenbahnbetriebs, der
Telephon- und Telegrapheneinrichtungen, herangegangen. Die
Fernverständigungsmöglichkeit war auf den
Kriegsschauplätzen mit seinen zunächst unbekannten
Verhältnissen und seinen plötzlichen und unvorhergesehenen
Anforderungen eine Vorbedingung für die Erfüllung jeder
Eisenbahnaufgabe in noch weit höherem Maße als in der Heimat. Der
Gang der Ereignisse brachte es mit sich, daß die ersten Einrichtungsarbeiten
des Betriebs fast stets unter dem harten Druck der Bedürfnisse der Front
standen. Die kämpfende Truppe verlangte nach Ersatz, Munition und
Nachschub, sie forderte Abbeförderung der Verwundeten und Gefangenen.
Für die Schwierigkeiten, die den nachdringenden Eisenbahnern ein
zerstörtes, von Personal und Material entblößtes und auch in
unbeschädigtem Zustande für die vorliegenden Aufgaben
ungeeignetes Netz bot, hatte die schwerringende Truppe wenig
Verständnis.
Die Zeitspanne der ersten behelfsmäßigen Betriebsführung
abzukürzen, war ein wichtiges Erfordernis. Es spornte zu
äußerster Kraftanstrengung an.
In wenigen Tagen meist, unter besonders schwierigen Verhältnissen, wie
auf den langen eingleisigen Strecken des Ostens, in wenigen Wochen, gelang es,
aus dem ungeordneten Betriebszustande sich zu einigermaßen klaren
Verhältnissen durchzuringen.
Die Dienstbezirke wurden abgegrenzt, ein roher Fahrplan aufgestellt,
Höhe- und Lagepläne der Bahnanlagen aufgenommen,
Wohngelegenheit für das Personal beschafft, die Ergänzungen der
baulichen Anlagen eingeleitet und für die Erhaltung und den Betrieb der
Lokomotiven die nötigen Einrichtungen getroffen. Langer und zäher
Arbeit bedurfte es aber, um allmählich die Leistungsfähigkeit zu
erreichen, die den immer wachsenden Anforderungen der Truppe entsprach. Im
Westen mußten aus den für die deutschen Militärzüge
zu kurzen Gleisanlagen Bahnhöfe neuzeitlicher Art entwickelt werden, im
Osten war Umgestaltung der unübersichtlichen und weitläufigen
Breitspuranlagen der [323] russischen
Bahnhöfe nach deutschen Grundsätzen nötig. Während
Nebenanlagen, wie Wasserstationen, Bekohlungsanlagen, Lokomotivschuppen,
Drehscheiben, Werkstätten usw. im Westen reichlich zur
Verfügung standen, fehlte im Osten fast alles. Die Russen hatten auf ihrem
Rückzug 1915 im Zerstören gründlichste Arbeit geleistet.
Wiederherstellung von Grund auf mußte hier im ganzen Tausende von
Kilometern umfassenden Netz geleistet werden.
Das Ziel, den Betrieb in Feindesland so zuverlässig und
leistungsfähig wie in der Heimat zu gestalten, wurde im wesentlichen auf
allen Kriegsschauplätzen im Verlauf des Krieges erreicht.
Augenfällig trat dies im Verkehr der
D-Züge in Erscheinung, die die Heimat mit den entferntesten Punkten des
Operationsgebietes schon bald nach der Besitzergreifung verbanden.
Vervollkommnung des gesamten technischen Apparats, strenge
Durchführung einheitlicher Dienstvorschriften, Sorge für das
Personal und seine fortgesetzte Weiterbildung waren die hauptsächlichsten
Mittel zur Erreichung der geforderten Leistungsfähigkeit. Ganz besondere
Bedeutung gewann das Werkstättenwesen, das so gefördert wurde,
daß selbst für die deutschen Lokomotiven der schwer arbeitenden
Heimat die Unterhaltungslast zum großen Teil abgenommen werden
konnte.
Die Aufgaben der Eisenbahn auf den Kriegsschauplätzen schwollen mit
Eintritt des Stellungskrieges überall zu einem Umfang an, der alle
früheren Mutmaßungen übertraf. Die anfangs sehr im
Vordergrund stehenden Truppentransporte für operative Zwecke traten
später hinsichtlich der Anspannung des Betriebs mehr zurück gegen
den sonstigen Massenverkehr an Menschen und Gütern, den die
Millionenheere mit sich brachten. Die stoßweise Belastung durch die
Truppentransporte blieb zwar immer eine besondere Kraftprobe; es handelte sich
häufig um Hunderte von Zügen, die, auf wenige Tage und Strecken
zusammengedrängt, neben dem sonstigen notwendigen Verkehr mit
größter Pünktlichkeit hindurchgepreßt werden
mußten. Doch war die Bereitstellung der Zugkräfte, des
Fahrpersonals und des erforderlichen Wagenmaterials so eingespielt, daß
die Aufstellung von Wagenreserven trotz der größeren Leistungen
immer mehr eingeschränkt werden konnte. Es bedeutete das einen
großen Fortschritt gegenüber den ersten Kriegsmonaten, wo im
Westen bis 30 000 Wagen für Truppenverschiebungen abgestellt
bereitstanden, die nicht weniger als 300 km Gleis für sich
beanspruchten. Die Schnelligkeit, mit der Truppenverschiebungen im
Frontbereich eingeleitet und durchgeführt wurden, erreichte eine
außerordentliche Stufe. Die Arbeit war bei allen mitwirkenden Stellen bis
ins einzelne vorbereitet und verteilt. In besonders gefährdeten Abschnitten
waren stets alarmfertige Bereitschaftszüge aufgestellt.
Die Geschwindigkeit der Truppenzüge wurde im ersten Kriegsjahre von
22½ - 30 km in der Stunde auf 40 km gesteigert;
später ging man infolge der starken Abnutzung der überanstrengten
Lokomotiven wieder auf 30 km zurück. Der Fahrplan erfuhr den
Bedürfnissen des Krieges entsprechend auch sonst [324] weitgehende
Umgestaltung. An Stelle des Militärfahrplans, der dem Aufmarsch und den
unmittelbar folgenden Transporten zugrunde lag, wurde ein "Bedarfszugfahrplan"
entwickelt. Er enthielt das feste Netz der auch auf den Kriegsschauplätzen
mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Schnell- und Personenzüge und
neben diesen möglichst viel nach Bedarf zu belegende Pläne geringer
Geschwindigkeit, in denen der gesamte Nachschubverkehr und eintretendenfalls,
den Güterverkehr verdrängend, die Truppentransporte gefahren
wurden. Die feste Belegung bestimmter Bedarfspläne und ihre Anpassung
an die vorliegenden Zwecke führten nach und nach zu einer großen
Zahl regelmäßig verkehrender Züge aller Art.
Die Bewältigung des immer mehr ins Riesenhafte sich steigernden
Nachschubs stellte dem Betrieb seine schwerste Aufgabe. Front und Etappe
wurden immer mehr zu Großverbrauchern von Massengütern.
Gewaltige Mengen an Baumaterial für Wege und Feldbefestigungen, Holz,
eisernen Trägern, Zement, Schotter,
Eisenbahn-Oberbaustoffen, Kohle waren neben dem unmittelbaren Bedarf der
Truppe an Lebensmitteln, Kleidung, Munition, Geräten aller Art,
Sanitätsmaterial, Post usw. nach vorne zu bringen. Der
anfängliche Tagesbedarf der Westfront von wenigen Zügen steigerte
sich im Frühjahr 1918 auf fast 10 000 Wagen, die aus Deutschland
nach Frankreich rollten. Dazu traten einige tausend Wagen, die im besetzten
Gebiete für die Front aufkamen. Der Eisenbahnnachschub allein im Westen
erforderte damit eine Wagenzahl, die die Ausfuhr über alle deutschen
Seehäfen des Jahres 1913 um mehr als das Dreifache übertraf; und
diese Mengen mußten auf den wenigen Eisenbahnstrecken, die über
die deutsch-belgische, deutsch-luxemburgische und
deutsch-französische Grenze führten, befördert werden.
War es bei den Truppenverschiebungen die Plötzlichkeit der Anforderung
und die Pünktlichkeit der Ausführung, die den Betriebsapparat aufs
höchste anspannten, so traten beim Nachschub die fortwährenden
Änderungen nach Umfang und Ziel erschwerend in Erscheinung. Mit dem
Auswechseln der Divisionen wechselte auch ein großer Teil des anrollenden
Nachschubs seinen Bestimmungsbahnhof.
Die Rangieraufgaben und die Weiterleitung der Wagen waren entsprechend
umfangreich und verwickelt. Sammelstationen, Weiterleitungsstellen,
Eisenbahn-Etappenstraßen, Frontverteilungsbahnhöfe und
Ausladestellen wurden betrieblich nach sorgfältig durchdachtem System in
Zusammenhang gebracht. Bei Großkämpfen pflegte die Ausladung
vorne zu stocken. Um Verstopfung der Zulaufstrecken zu vermeiden, wurde in
solchen Fällen die Verladung des Nachschubs schon in der Heimat gesperrt
und rollendes Gut auf geeigneten Bahnhöfen abgefangen. Nur die durchaus
zuverlässige, mit fast augenblicklicher Wirkung arbeitende
Überwachung der Nachschubtransporte vom Erzeuger in der Heimat bis
zum Verbraucher im Schützengraben in Verbindung mit [325] den zur
Überwachung des Zugdienstes an gefährdeten Engpässen
wirkenden Zugleitungen konnten verhindern, daß in schweren Zeiten ein
Versagen der Eisenbahnen durch Festfahren und damit eine Katastrophe für
die Armee eintrat. Eine in dieser Beziehung besonders ernste Lage ergab sich
mehrfach auf dem für die eintretende Belastung ungeeigneten russischen
Bahnnetz und auf den langen Etappenstraßen nach dem Balkan und nach
Rumänien.
Leichter als der Verkehr nach der Front gestaltete sich der Abschub.
Der Abtransport der Kriegsgefangenen, die Räumung bedrohter Gebiete
von Bevölkerung und Material stellten aber auch hier besondere Aufgaben,
die in einzelnen Fällen, wie beim Beziehen der Siegfriedstellung im Westen
im Februar 1917, zu weit ausgedehnten Betriebsleistungen
allergrößten Stils führten.
Ein ständig und sehr sorgfältig zu behandelnder Verkehr in der
Richtung nach der Heimat ergab sich aus dem Abschub der Verwundeten und
Kranken. Ein System von Lazarett- und Leichtkrankenzügen verband alle
Teile der Kriegsschauplätze mit der Heimat.
Da der Umfang der Transporte in Richtung nach der Heimat stets kleiner war als
umgekehrt, erforderte die Rückführung der Leerwagen besondere
Aufmerksamkeit. Die Schwierigkeiten, die sich dabei ergaben, konnten nicht
immer ganz zufriedenstellend gelöst werden.
Neben den Truppentransporten und dem Nach- und Abschub bildete der schon
früher besprochene Urlauberverkehr und die Ersatztransporte eine dritte
große Verkehrsleistung.
Das Wesentliche des Militär-Eisenbahnbetriebs war die unmittelbare
Wechselwirkung zwischen den Forderungen der Kriegslage und der
Leistungsfähigkeit der Bahn. An Stelle des gleichmäßig breiten
Stroms des öffentlichen Verkehrs, den der heimische Betrieb zu
bewältigen hat, folgten sich auf den Kriegsschauplätzen in
unregelmäßigen Stößen mehr oder weniger starke
Wellen. Größte und schnellste Anpassungsfähigkeit des
gesamten Betriebsapparates einerseits, schärfste Beobachtung und
Regelung der entstehenden Aufgaben andererseits und ihre möglichste
Anpassung an die Aufnahmefähigkeit der Eisenbahnen, nötigenfalls
durch rücksichtslose Sperrung weniger wichtigen Verkehrs,
Abschnürung des Urlauberverkehrs, Zurückdämmung des
Nachschubs, Einschränkung der Truppenverschiebungen auf das
erforderliche Maß, das waren die leitenden Gedanken, unter deren
Herrschaft die Durchführung der militärischen Eisenbahntransporte
stand und nach denen der Betrieb arbeitete.
Solcher festen Regelung und Zumessung der militärischen Aufgaben
entsprach eine scharfe Zwangswirtschaft des unvermeidlichen öffentlichen
Verkehrs in den besetzten Gebieten. Er war insbesondere im Kohlengebiete
Belgiens und Nordfrankreichs bedeutend und diente überwiegend mittelbar
auch Kriegszwecken. Die Wagengestellung des öffentlichen Verkehrs
unterlag strengen [326]
Genehmigungsvorschriften. Der Reiseverkehr der einheimischen
Bevölkerung wurde in dem Umfange zugelassen, als er mit den
Bedürfnissen des Heeres vereinbar war.
Bei aller gebotenen Einschränkung war es in den besetzten Gebieten doch
möglich, dem berechtigten Bedürfnis der Bevölkerung soweit
zu genügen, daß die notwendigste Versorgung aufrechterhalten
blieb.
Die Gebühren für die Eisenbahnleistungen, welche seitens der
einheimischen Bevölkerung zu entrichten waren, schienen, verglichen mit
den damaligen Sätzen in Deutschland, hoch. Eine Deckung der
Selbstkosten brachten sie aber nicht.
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