Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
[337]
Kapitel 7: Das
Feldkraftfahrwesen
Hauptmann Walter Sußdorf
1. Die Entwicklung bis 1914.
Von allen neueren Gebieten des Heerwesens hat wohl kaum eines während
des Weltkrieges einen solchen Aufschwung genommen, wie das Kraftfahrwesen;
hier sind im Verlaufe des Feldzuges außerordentliche Anforderungen
gestellt worden, wie sie anfangs wohl niemand für möglich gehalten
hätte.
Als der Krieg ausbrach, war die Verwendung des Kraftfahrzeuges, zumal des
Nutzkraftwagens, in Deutschland noch durchaus in der Entwicklung begriffen. Es
war ja auch erst ein Menschenalter her, daß die Ingenieure Benz und
Daimler - unabhängig voneinander - erstmalig ein durch
Verbrennungsmotor angetriebenes Straßenfahrzeug herausgebracht hatten.
Wie so oft, war die deutsche Erfindung zunächst im Auslande,
hauptsächlich in Frankreich, weiterentwickelt worden und erst später
von dort wieder nach Deutschland zurückgelangt. Das Kraftfahrzeug wurde
dann auch hier in seiner Konstruktion bald so weit gefördert, daß es
in der Reihe der technischen Kriegsmittel Aufnahme finden konnte. Immerhin lag
dieser Zeitpunkt bei Kriegsbeginn erst wenige Jahre zurück.
Militärische Versuche waren auf diesem Gebiete seit dem Jahre 1899
vorgenommen worden; hierbei war weniger der Personenkraftwagen zu erproben
gewesen, da man seine Entwicklung der Industrie und dem Sport überlassen
und sich darauf beschränken konnte, diesen Werdegang zu verfolgen und
zu begleiten. Dagegen hatte die deutsche Heeresverwaltung rechtzeitig die
große Bedeutung des Nutzkraftwagens, vor allem des Lastkraftwagens
erkannt und sich seiner Durchbildung und Einbürgerung tatkräftig
angenommen.
Mannigfaltig waren die verschiedenen Anwendungsformen, die für das
Kraftfahrzeug im Falle eines Krieges nach dem damaligen Stande der Technik in
Betracht kamen.
Der Personenkraftwagen hatte sich dank der Leistungsfähigkeit der
deutschen Automobilindustrie in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege bereits
im öffentlichen Verkehrsleben allgemein eingebürgert und zur
Geltung gebracht. Nach Lage der Verhältnisse stand zu erwarten, daß
er bei seiner [338] im wesentlichen
abgeschlossenen Konstruktion und guten Betriebssicherheit auch den im
Ernstfalle an ihn zu stellenden Anforderungen voll entsprechen würde. Im
Felde konnte er als leistungsfähiges Verkehrsmittel vorzugsweise zur
Befehls- und Nachrichtenübermittlung auf weite Strecken Verwendung
finden. Eine weitere Aufgabe für ihn war die Beweglichmachung der
höheren Kommandobehörden und Stäbe, sowie der
Führer einzelner selbständiger Verbände und Sonderwaffen.
Hierbei ergab sich für die auf seine Benutzung angewiesenen Personen eine
außerordentliche Ersparnis an Zeit wie an geistigen und körperlichen
Kräften. Dann konnten sich die höheren Truppenführer seiner
aber auch mit Vorteil bedienen, um sich entweder persönlich an Ort und
Stelle über die Verhältnisse auf dem Kampffelde zu unterrichten und
mit den nachgeordneten Kommandobehörden Rücksprache zu
nehmen oder sich durch Entsendung von Verbindungsoffizieren zur Truppe und
Heranholen von Mitkämpfern aus der Schlacht schnell ein lebendiges Bild
von der Lage an der Front zu verschaffen. Umgekehrt ermöglichte es der
Personenkraftwagen den unteren Truppenführern, ohne weiteren Zeitverlust
bei der vorgesetzten Dienststelle persönlich zum Vortrag zu erscheinen
oder sich mit Nachbartruppenteilen über die notwendigen
Maßnahmen zu besprechen.
Der Kraftomnibus war erst wenige Jahre vor dem Kriege in größerem
Umfang als öffentliches Verkehrsmittel in Stadt und Land zur Anwendung
gekommen. Er konnte im Felde zur schnellen Beförderung kleiner
Truppenabteilungen sowie zum Abtransport von Kranken und Verwundeten
herangezogen werden und war nach Anbringung entsprechender Vorrichtungen
auch zum Transport von frischem Fleisch geeignet.
In gleicher Weise wie der Personenkraftwagen war auch das Kraftrad vor dem
Kriege bereits überall eingeführt; es galt aber in seiner Bauart noch
nicht als voll kriegsbrauchbar. Als sein Verwendungsgebiet war daher
ursprünglich nur die Etappe vorgesehen, wo es neben anderen Organen den
Befehlsdienst unterstützen sollte.
Der Lastkraftwagen hatte sich im Verhältnis zu den übrigen
Kraftfahrzeugen nur langsam entwickelt. Man hatte zu unterscheiden:
Lastkraftwagen mit elektrischem Antrieb, mit Antrieb durch Dampfmaschine und
durch Verbrennungsmotor. Elektrische Wagen schieden wegen ihrer
Abhängigkeit von örtlichen Ladestellen für eine Verwendung
in Feindesland von vornherein aus, wogegen Dampfwagen, besonders
Dampfstraßenlokomotiven und Dampfpflüge, im Felde als
Zugmaschinen für schwerstes Artilleriegerät in Betracht kamen. Sie
besaßen zwar nur einen geringen Fahrbereich und niedrige
Geschwindigkeit, konnten sich aber, wenn nötig mit Hilfe einer Seilwinde,
auch außerhalb der festen Straße bewegen. Schwierigkeiten bereitete
die Wasserversorgung der Maschinen; auch ließ die weithin sichtbare
Dampfentwicklung ihre Verwendung in der Nähe der Front nicht zu. Alle
diese Nachteile [339] waren vermieden beim
Lastkraftkraftwagen mit Verbrennungsmotor; ihm fiel daher die Hauptrolle
für den Dienst beim Feldheere zu. Seine besonderen Vorzüge waren
einmal weiter Fahrbereich infolge der Möglichkeit, Betriebsstoff (Benzin
oder Benzol) ohne Schwierigkeit auch für längere Fahrstrecken mit
sich zu führen, dann beträchtliche Fahrgeschwindigkeit und
erhöhte Ladefähigkeit, Eigenschaften, die er vor allem dem
pferdebespannten Fahrzeuge gegenüber voraus hatte. Der Lastkraftwagen
ermöglichte daher ein schnelles Heranschaffen der
Truppenbedürfnisse auf größere Entfernungen
(75 - 100 km) zur Front sowie einen raschen Abschub des
dort nicht mehr benötigten Kriegsgeräts, der Kranken und
Verwundeten nach rückwärts. Alles dies mußte der
Beweglichkeit der Truppe zugute kommen und damit die höhere
Führung wesentlich freier machen in ihren Entschlüssen.
Von den motorisch angetriebenen Lastkraftwagen befanden sich im Frieden die
verschiedensten Typen im Gebrauch. Für militärische Zwecke am
wertvollsten war der Lastkraftwagen mit hoher Nutzlast (4 t), die sich bei
Verwendung eines Anhängewagens auf das Doppelte erhöhen
ließ. Die Heeresverwaltung hatte der Konstruktion dieses schweren
Typs - Armeelastzug genannt - bereits frühzeitig ihr
Augenmerk zugewandt; zusammen mit der Industrie wurden in den Jahren
1899 - 1907 die Grundlagen für eine betriebssichere und
wirtschaftliche Bauart geschaffen und die von den deutschen Automobilfabriken
hergestellten Fahrzeuge in zahlreichen Versuchsfahrten erprobt. Entscheidend
für die Einbürgerung war aber die Gewährung einer staatlichen
Beihilfe gewesen, welche die Heeresverwaltung für die Beschaffung und
den Betrieb eines Armeelastzuges gewährte, wofür sich der Halter
des Wagens auf die Dauer von 5 Jahren verpflichten mußte, das Fahrzeug
jederzeit in kriegsbrauchbarem Zustande zu erhalten und es bei einer
Mobilmachung unter Mitgabe aller Ersatzteile und
Ausrüstungsstücke den militärischen Stellen sofort zur
Verfügung zu stellen. Die staatliche Subventionierung hatte den Erfolg,
daß Anfang 1914 bereits mit einer Verwendung von etwa 650
Armeelastzügen aus Privatbesitz zur Aufstellung militärischer
Kraftwagenkolonnen im Mobilmachungsfalle bestimmt gerechnet werden
konnte.
Außer diesen schweren Lastzügen befand sich noch eine Anzahl
Dreitonner-Lastkraftwagen im Lande, ein Typ, der bei Kriegsausbruch noch in der
Erprobung begriffen war, sich wegen seiner guten Beweglichkeit und
großen Fahrgeschwindigkeit vorzugsweise zur Verwendung bei
Kavallerie-Divisionen eignete und daher vielfach auch
Kavallerie-Lastkraftwagen genannt wurde. Die sonst noch vorhandenen leichten
Lastkraftwagen (Lieferungswagen) besaßen militärisch nur einen
untergeordneten Wert.
Der Übergang auf den Kriegsstand mußte sich auf dem Gebiete des
Kraftfahrwesens unter besonders erschwerten Verhältnissen vollziehen.
Kein Staat war auch nur annähernd in der Lage, den Bedarf an
Kraftfahr- [340] zeugen, den er
für den Krieg hatte, schon im Frieden bereitzustellen. Abgesehen davon,
daß man die Kosten für Anschaffung, Unterbringung und
Instandhaltung so zahlreicher Fahrzeuge nicht aufwenden konnte, wäre ein
solcher Wagenpark bei der ständig fortschreitenden Entwicklung der
Kraftfahrzeugtechnik auch konstruktiv bald veraltet gewesen. Jeder Staat war
daher im Kriegsfalle auf die Aushebung der im Lande befindlichen
Kraftfahrzeuge angewiesen. Hierfür mußten also schon im Frieden
umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden. Soweit es sich um
Personenkraftwagen und Krafträder handelte, war an ihnen nach der
Statistik kein Mangel. Ungleich schwieriger lagen die Verhältnisse bei
Deckung des Bedarfs an Lastkraftwagen. Hier war es erforderlich, die Erfassung
jedes nur einigermaßen kriegsbrauchbaren Wagens genau vorzubereiten und
dafür zu sorgen, daß an den im voraus bestimmten
Mobilmachungsorten möglichst einheitliche Typen zusammenkamen. Die
Besitzer der subventionierten Armeelastzüge wurden mit genauen
Anweisungen versehen, wohin sie am ersten Mobilmachungstage ihre Fahrzeuge
in Marsch zu setzen hatten. Alle übrigen Kraftwagen sollten durch
vorbereitete Kommissionen unter Abschätzung ihres Wertes am Standorte
ausgehoben und auf Grund der im einzelnen festgelegten
Stärkenachweisungen den mobil werdenden Stäben und Truppen
zugeteilt werden.
Besondere Kriegsvorbereitungen waren wegen der Abhängigkeit
Deutschlands vom Ausland noch auf dem Gebiete der Brennstoffversorgung zu
treffen gewesen. Der Versuch, die notwendigen Sicherheiten für die
Beschaffung von Benzin in Verbindung mit dem von der Regierung im Jahre
1913 eingebrachten Reichsmonopol auf Leuchtöl zu erhalten, war leider an
politischen Rücksichten gescheitert. Dagegen hatte die Heeresverwaltung
im Frühjahr 1914 mit den vier größten
Benzin-Handelsgesellschaften wegen Einlagerung eines größeren
Brennstoffvorrates Verhandlungen aufgenommen, die bei Ausbruch des Krieges
zwar noch nicht zum Ziel gelangt waren, aber die Gesellschaften veranlaßt
hatten, in Erwartung des baldigen Vertragsabschlusses schon immer
größere Benzinmengen aus dem Auslande einzuführen.
Daneben stand Deutschland in gewissen Mengen aber auch ein im Inlande
erzeugter Betriebsstoff, das bei der Verkokung der Kohle aus dem Steinkohlenteer
gewonnene Benzol zur Verfügung. Da seine Erzeugung jedoch mit der
Kohlen- und Eisenproduktion eng verknüpft und deren Aufrechterhaltung
im Falle eines Krieges zweifelhaft war, wurde diese Art von Brennstoff zur
Deckung des errechneten Kriegsbedarfs nicht planmäßig in Rechnung
gestellt, sondern als stille Reserve betrachtet. Bei der langen Dauer des Krieges ist
es später gerade dem Benzol zu danken gewesen, daß man in der
Betriebsstoffwirtschaft überhaupt durchhalten konnte.
Für Sicherstellung des Gummibedarfs waren, trotzdem es sich auch hier um
einen ausländischen Rohstoff handelte, besondere Vorkehrungen nicht
[341] getroffen. Man
rechnete damit, daß die im Lande befindlichen Vorräte an
Rohkautschuk und fertiger Kraftwagenbereifung für Kriegszwecke
ausreichen würden. Hierin gab man sich, wie die Folgezeit erwies, einer
schweren Täuschung hin; man hatte allerdings, wie auch an anderen
Stellen, in keinem Falle eine mehrjährige Dauer des Krieges in Betracht
gezogen.
Vorbedingung für eine erfolgreiche Verwendung der Kraftfahrzeuge im
Felde war eine in ernster Friedensarbeit ausgebildete Kraftfahrtruppe; ihr Umfang
war bei Kriegsbeginn allerdings noch außerordentlich bescheiden.
Außer einigen wenigen Fahrzeugen bei höheren
Kommandobehörden und Sonderwaffen, gab es nur 1
Kraftfahr-Bataillon, das am 1. Oktober 1911 aufgestellt wurde, nachdem vorher
nur eine schwache Abteilung für Versuchszwecke bestanden hatte. Zwei
Jahre später trat zu den 3 Kompagnien des
Kraftfahr-Bataillons noch eine vierte hinzu, die mit
Kavallerie-Lastkraftwagen ausgerüstet war. Die Aufgabe der aktiven
Truppe im Frieden bestand in erster Linie darin, den für den Krieg
benötigten Mannschaftsbestand unter sachverständigen
Führern heranzubilden und im Mobilmachungsfalle die Stämme
für die aufzustellenden Kriegsformationen abzugeben. Ferner hatte sie die
technischen Neukonstruktionen auf dem Gebiete des Kraftfahrzeugbaues auf ihren
militärischen Wert hin zu prüfen, sowie die verschiedenen
Fahrzeugtypen durch eingehende Versuche und feldmäßige
Fahrübungen auf eine möglichst hohe Stufe der Kriegsbrauchbarkeit
zu bringen.
Als mobile Organisation war bei jeder Armee ein Kommandeur der
Kraftfahrtruppen, eine Anzahl Kraftwagenkolonnen und ein Kraftwagenpark
vorgesehen. Dem Kommandeur sollte die Leitung und Beaufsichtigung der
Kraftfahrverbände, den Kolonnen das Vorbringen von
Heeresbedürfnissen aller Art, namentlich von Munition und Verpflegung,
zufallen, während der Kraftwagenpark die motorisch betriebenen Fahrzeuge
der Armee mit Brennstoffen, Bereifung, Ersatzteilen und Werkzeug zu versorgen,
fahrunfähig gewordene Kraftwagen auszubessern oder zu ersetzen sowie
den Bedarf an Kraftfahrpersonal zu decken hatte. Für kleinere
Instandsetzungsarbeiten sollten die Kolonnen über eigene fahrbare
Werkstätten verfügen, deren hauptsächliche Einrichtung schon
im Frieden als Feldgerät niedergelegt war. Als Fassungsvermögen
einer Kraftwagenkolonne war das Doppelte einer pferdebespannten
Munitions- oder Proviantkolonne vorgesehen; die tägliche Marschleistung
konnte dieser gegenüber unter günstigen Verhältnissen auf das
Dreifache veranschlagt werden. Als weiterer Vorteil für den mechanischen
Zug war zu buchen eine nicht unbedeutende Ersparnis an Personal und eine
erhebliche Verkürzung der Marschlängen auf der Straße,
verteilte sich doch bei einer Kraftwagenkolonne die gesamte Nutzlast von
54 t auf nur 9 Armeelastzüge.
Außer der eigentlichen Truppe, dem Kraftfahr-Bataillon, bestand noch ein
freiwilliges Automobilkorps, das sich aus nicht dienstpflichtigen
Mit- [342] gliedern des
Kaiserlichen Automobilklubs zusammensetzte, die sich auf Grund besonderer
Vereinbarungen verpflichtet hatten, auf Anfordern mit ihren eigenen
Personenkraftwagen beim Heere in Kriegs- und Friedenszeiten Dienst zu tun.
So trat die Kraftfahrtruppe nach noch nicht dreijährigem Bestehen als die
jüngste Waffe der deutschen Armee in den Krieg.
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