Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 7: Das
Feldkraftfahrwesen (Forts.)
Hauptmann Walter Sußdorf
2. Die Mobilmachung. Das Jahr
1914.
Den Mobilmachungsvorarbeiten entsprechend vollzog sich bei Beginn des
Krieges die Aushebung der Kraftfahrzeuge sowie die Aufstellung der
Kraftfahrverbände im allgemeinen planmäßig und ohne allzu
große Anstände. Der Kriegsgliederung entsprechend wurden an der
Westfront Kraftfahrtruppen für 7 Armeen, darunter 1 bayerische, an der
Ostfront für 1 Armee aufgestellt. Außerdem wurden
Kraftwagenkolonnen für Kavallerie-Divisionen und
Jäger-Bataillone, sowie einige Sonderformationen, z. B. der
Kraftwagenpark des Großen Hauptquartiers, Festungskraftwagenparks
u. a. mobil gemacht. Insgesamt standen bei Kriegsbeginn für das
Feldkraftfahrwesen zur Verfügung: 114 mobile Kraftfahrformationen, rund
200 Offiziere, 8000 Mann, 4000 Kraftfahrzeuge (einschließlich der den
Kommandobehörden und Sonderwaffen zugeteilten Wagen).
Infolge des unerwartet schnellen Vorgehens des deutschen Heeres, teilweise vor
beendeter Mobilmachung, wurden von Anfang an große Ansprüche
an die Bewältigung des Nachschubs gestellt. Dies führte an
verschiedenen Stellen zu behelfsmäßigen
Maßnahmen - z. B. zur Beförderung schwerer
Artillerie-Munition in Personenkraftwagen -, die nicht immer zum Besten
des wertvollen Kraftfahrgeräts dienten; aber die Eigenart der
Kampfverhältnisse im August 1914, bei Belagerung der belgischen
Festungen wie bei den Begegnungskämpfen, verlangte schnelles
tatkräftiges Handeln. Es stellte sich bald heraus, daß für
zahlreiche nicht vorgesehene Aufgaben und für Truppenbedürfnisse
aller Art Kraftfahrzeuge in viel größerem Umfange gebraucht
wurden, als ursprünglich angenommen war, und daß auch die
planmäßige Kraftwagenausrüstung der
Kommandobehörden und Stäbe für einen Vormarsch, wie er
auf dem westlichen Kriegsschauplatze vor sich ging, durchaus ungenügend
war. Die Truppe half sich dadurch, daß sie sowohl deutsche, wie vor allem
zahlreiche belgische und französische Fahrzeuge, die erbeutet oder
beschlagnahmt wurden, über die vorgesehene Stärkenachweisung
hinaus in Betrieb nahm; zu ihrer Bedienung geeignete Wagenführer waren
innerhalb der Truppe bald gefunden. Eine bereits Anfang September 1914 von der
Obersten Heeresleitung ausgesprochene Mahnung, mit Kraftfahrgerät,
Betriebsstoff und Gummi sparsam umzugehen, verhallte zunächst
ungehört, konnte man doch noch überall Gummi [343] und Benzin in
Hülle und Fülle den zurückgelassenen Heeresbeständen
des Feindes und den Vorräten des Landes entnehmen. Eine
planmäßige Bewirtschaftung dieses wertvollen Beutegutes wurde
infolge der schnell wechselnden Kampfverhältnisse zunächst
unterlassen.
Unterdessen marschierte die deutsche Armee in breiter Front unaufhaltsam
vorwärts, so daß sich bald Schwierigkeiten im Nachschub von
Munition und Verpflegung ergaben. Die Inbetriebnahme der Eisenbahnen konnte
dem Vormarsch zunächst nicht überall folgen, da vielfach erst die
das Bahnnetz beherrschenden Festungen und Sperrforts niedergekämpft
werden mußten und die Beseitigung der vom Feinde auf seinem
Rückzug vorgenommenen nachhaltigen Zerstörungen des
Bahnkörpers und der Kunstbauten geraume Zeit erforderte. Inzwischen
mußte das Kraftfahrzeug einspringen und nur mit seiner Hilfe gelang es,
den täglich immer größer werdenden Abstand zwischen
Eisenbahnendpunkt und vormarschierender Truppe wenigstens
einigermaßen zu überbrücken. Die Folge war, daß die
Kraftwagenkolonnen vom ersten Tage an aufs äußerste in Anspruch
genommen wurden; trotz glühender Augusthitze und quälendem
Staub waren sie unermüdlich und ohne Unterbrechung im Betrieb.
Besonders empfing auch die deutsche Heeresreiterei in Erfüllung ihrer
Aufgaben eine wertvolle Unterstützung durch die beigegebenen
Kavallerie- und Jäger-Kraftwagenkolonnen. Hinterhältige
Überfälle belgischer Freischärler auf einzelne Fahrzeuge,
sowie bei Patrouillenfahrten unvermutetes Zusammentreffen mit dem Feind
erforderten zahlreiche Verluste; auch ganze Kolonnen fielen vereinzelt
feindlichen Streifabteilungen zum Opfer.
Wenn es im weiteren Verlaufe des Vormarsches im allgemeinen auch gelang, auf
dem linken Flügel und in der Mitte der vormarschierenden Heeresfront die
rückwärtigen Verbindungen mittels Kraftwagen sicherzustellen, so
reichte die Zahl der Kolonnen auf dem rechten Flügel der Heeresfront (1.
und 2. Armee) für die hier ganz besonders weiten Entfernungen nicht aus,
so daß sich hier bereits in den ersten Tagen der Marneschlacht ein
empfindlicher Mangel an Munition, bald auch an Verpflegung bemerkbar machte.
Als die Oberste Heeresleitung den Abbruch des Kampfes und das
Zurückgehen der deutschen Armeen von der Marne anordnete, wurden
überall die verfügbaren Kraftfahrzeuge nach vorn gezogen, um mit
ihrer Hilfe die beim Rückmarsch aufzugebenden Lazarette und
Munitionslager schleunigst zu räumen. Diesen Auftrag hat die
Kraftfahrtruppe, teilweise unter erheblichen eigenen Verlusten, aufopfernd
durchgeführt und im übrigen noch die den Rückzug deckenden
Nachhuten tatkräftig unterstützt.
Auf der Gegenseite machte in diesen Tagen der Franzose das erste Mal Gebrauch
vom Kraftwagen zur Durchführung einer größeren operativen
Aufgabe. Es war am 8. September am Unterlauf des Ourcq, wo die
französische 6. Armee Manoury, von der angreifenden deutschen 1. Armee
aufs [344] äußerste
bedrängt, in ihrer gefährlichen Lage dadurch eine wertvolle
Unterstützung erhielt, daß General Gallieni in Paris
Truppenverstärkungen auf von der Straße weggeholten
Kraftfahrzeugen (Autodroschken und Kraftomnibussen) verladen und mit
größter Beschleunigung auf das Schlachtfeld heranführen
ließ, eine Maßnahme, die in kürzester Frist erfolgreich zur
Durchführung gelangte.
Nach Abbruch der Schlacht wurden die deutschen Armeen von der Marne hinter
die Aisne zurückgenommen; der Stellungskrieg griff Platz. Damit traten
neue Aufgaben an die Kraftfahrtruppe heran; ihr fiel jetzt hauptsächlich das
Vorbringen von Pioniergerät und Baustoffen aller Art zum Ausbau der
Stellung an der Front zu, wobei die Kraftwagen, soweit es die
Straßenverhältnisse und die feindliche Artilleriewirkung
zuließen, gleich möglichst weit nach vorn fuhren, um ein
nochmaliges Umladen zu vermeiden. Daneben blieben auch weiterhin
Munitions- und Verpflegungstransporte zur Front zu leisten. Besondere
Bedeutung erhielt das Kraftfahrzeug an Stelle fehlender Pferdeausrüstung
beim Marinekorps, sowie für die Zwecke der Seekriegführung in
Flandern. Das Kraftrad begann sich das Operationsgebiet zu erobern und in
Ergänzung des Fernsprechers ein wertvolles, stets verwendungsbereites
Nachrichtenmittel zu werden.
Im Osten war die im Mobilmachungsfall vorgesehene Ausrüstung der hier
operierenden Truppen mit Kraftfahrformationen von vornherein
ungenügend gewesen; allerdings waren die Verhältnisse für
den Einsatz von Kraftfahrzeugen auf dem östlichen Kriegsschauplatz
infolge Fehlens ausreichender Straßenzüge oft von vornherein sehr
beschränkt. Das Kraftfahrzeug ist, von Spezialkonstruktionen abgesehen,
nun einmal an die feste Straße gebunden, wenn es die Leistungen erzielen
soll, zu denen es seine Bauart befähigt. Trotzdem hat der Kraftwagen,
soweit er vertreten war, von Anfang an auch im Osten eine bedeutsame Rolle
gespielt. Als während der verschiedenen Angriffsfeldzüge im
Winterhalbjahr 1914/1915 die technischen Nachrichtenmittel noch unvollkommen
vertreten waren, griff die Truppenführung auf den Personenkraftwagen als
unter den gegebenen Umständen zuverlässigstes Mittel zum
Überbringen von Befehlen und Nachrichten zurück. Trotz feindlicher
Einwirkung und schlechtester Wegeverhältnisse, trotz Schnee und Eis
haben hier die Führer der Personenkraftwagen - eine neuzeitliche Art
von Meldereiter -, darunter auch die Angehörigen des Freiwilligen
Automobilkorps, Hervorragendes geleistet.
Die Abgabe geschlossener Kraftfahrverbände aus dem Westen war bei dem
großen Bedarf an solchen für den Vormarsch daselbst zunächst
nicht möglich, und es bedurfte erst einer dringenden Anforderung von
seiten des Oberbefehlshabers Ost, um Kraftwagenkolonnen in
größerer Zahl zugeteilt zu bekommen. So kam es, daß Mitte
November im Vormarsch auf Lodz und Lowicz beim Fehlen einer Eisenbahn und
infolge der langen Nachschubstrecken ohne
Kraft- [345] wagenkolonnen die
Versorgung des Heeres und damit sein weiteres Vorgehen ernstlich in Frage
gestellt war. Die benötigten Formationen wurden dann teils aus dem
Westen herausgezogen, teils in der Heimat neu aufgestellt und den
östlichen Armeen beschleunigt zugeführt.
Der Einsatz der vom westlichen Kriegsschauplatz eintreffenden
Kraftfahrverbände stieß jedoch auf große Schwierigkeiten. Die
Lastkraftwagen waren meist für russische Wegeverhältnisse zu
schwer, brachen vielfach durch die dünne Straßendecke durch und
wühlten sich dann im Sande ein, ohne recht vorwärts zu kommen. Es
bedurfte daher an vielen Stellen umfangreicher Wegebesserungen, um einen
Verkehr mit Lastkraftwagen überhaupt zu ermöglichen. Oft
mußten in mühseliger Arbeit erst kilometerlange
Knüppeldämme und hölzerne Fahrbahnen angelegt werden.
Als im Winter Schnee und Kälte einsetzten, ergaben sich neue
Anstände, zumal die Fahrzeuge infolge der beschränkten
Unterbringungsmöglichkeit zumeist im Freien standen und daher dauernd
der Gefahr des Einfrierens ausgesetzt waren; während eines längeren
Aufenthaltes und in der Nacht konnte man dieser Gefahr nur durch wiederholtes
Anwerfen der Motore vorbeugen.
Alle diese Schwierigkeiten verdoppelten sich für diejenigen
Kraftfahrformationen, die der im Januar 1915 neugebildeten deutschen
Südarmee in den Karpathen zugeteilt wurden. Zu den Unbilden des Winters
kamen hier nun noch die fahrtechnischen Schwierigkeiten auf den
Gebirgsstraßen mit ihren starken Steigungen und scharfen
Krümmungen hinzu. Trotzdem für diesen Kriegsschauplatz
besonders Dreitonner-Lastkraftwagen aus dem Westen ausgesucht worden waren,
stellte sich bald heraus, daß selbst dieser Typ für die dortigen
Verhältnisse noch zu schwer war, so daß der Nachschub für
die deutsche Südarmee auf die größten Schwierigkeiten
stieß. Die österreichischen Bundesgenossen waren mit ihren leichten,
mit Luftbereifung ausgerüsteten kleinen Lastkraftwagen wesentlich besser
daran und auch an das Fahren im Gebirge mehr gewöhnt. Trotzdem haben
sich die deutschen Kraftfahrer damals in den Karpathen und später auch in
den Alpen wacker gehalten und sich mit ihren Fahrzeugen auf den
Hochgebirgsstraßen bald mit einer Sicherheit bewegt, als ob sie es nie
anders gewohnt gewesen wären.
Die im Laufe des Jahres 1914 auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung
vorgenommene Aufstellung zahlreicher neuer Divisionen erforderte
vorausschauende Maßnahmen zur Befriedigung des zu erwartenden
erhöhten Nachschubbedarfs an der Front und bedingte daher von
vornherein die Aufstellung weiterer Kraftwagenkolonnen in der Heimat.
Hierdurch, sowie durch die starke Inanspruchnahme der Fahrzeuge beim
Feldheere, wurden schon in den ersten Kriegsmonaten ungeahnte Anforderungen
an Kraftfahrpersonal und -material bei der Heimat gestellt, die von dieser aber im
allgemeinen noch gedeckt werden konnten. Zur Befriedigung des
Personalbedarfes wurden [346] mehrere immobile
Ersatzabteilungen formiert, während der Geräteersatz mit Hilfe von
immobilen Kraftwagendepots und Hilfsdepots, die bei den deutschen
Kraftfahrzeugfabriken eingerichtet wurden, bewerkstelligt wurde.
Personenkraftwagen waren in Deutschland noch vorrätig, Lastkraftwagen
jedoch inzwischen ziemlich restlos ausgehoben; daher mußte die
Gesamtproduktion der heimischen Lastkraftwagenfabriken auf Monate hinaus
für Zwecke des Feldheeres mit Beschlag belegt werden. Die
Betriebsstofflage gab zunächst noch zu keinem Bedenken Anlaß.
Durch Beschlagnahme aller Benzinlager bei Ausbruch des Krieges waren
verhältnismäßig reiche Vorräte
(rd. 76 000 t) erfaßt worden; leider hörte aber der
Zufluß von Benzin aus Galizien, das inzwischen von den Russen besetzt
worden war, sowie aus Rumänien, das sich gegen die Mittelmächte
in der Benzinausfuhr abschloß, gänzlich auf. Besser lagen die
Verhältnisse beim Benzol, da dessen Erzeugung in Deutschland nach einem
starken Niedergang in den ersten Kriegsmonaten bald wieder in erfreulicher
Zunahme begriffen war. Man belieferte daher das Feldheer vorwiegend mit
Benzol und konnte daneben mit dessen Hilfe auch noch den wichtigsten Bedarf
des Inlandes an Betriebsstoffen für wirtschaftliche Zwecke (Landwirtschaft
für Druschzwecke, chemische Fabriken, Fettextraktion usw.) decken.
Auch auf dem Gebiet der Schmiermittelversorgung lagen die Verhältnisse
anfangs nicht ungünstig, zumal hier zahlreiche Ersatzmittel verwendet
wurden.
Bedenklich stimmte dagegen der alle Erwartungen übersteigende hohe
Verbrauch an Kraftwagenbereifung. Vorläufig konnte zwar der Bedarf noch
aus Vorräten der Heimat, sowie durch Neuanfertigung aus den beim Fall
der Festung Antwerpen erbeuteten Rohgummivorräten gedeckt werden;
aber wie lange konnte dies noch der Fall sein, wenn es nicht gelang, neue Mengen
aus dem Auslande hereinzubringen? Die Aussichten für die Einfuhr waren
aber äußerst gering, da die Entente Kautschuk zur Kriegskontrebande
erklärt hatte und seine Verschiffung scharf überwachte, ja nicht
einmal den Deutschland benachbarten neutralen Ländern die Ausfuhr der
bei ihnen lagernden, von deutscher Seite bereits gekauften und bezahlten
Vorräte gestattete. Von besonderem Wert war es im übrigen,
daß die immobile Inspektion der Kraftfahrtruppen bald nach Kriegsbeginn
die Vereinheitlichung der Abmessungen für die Kraftwagenbereifung
tatkräftig in die Hand nahm, gab es doch bei Ausbruch des Krieges etwa
100 verschiedene Größen für
Personen- und über 50 Größen für Lastkraftwagenreifen.
Es braucht nicht weiter dargelegt zu werden, daß es einfach
unmöglich war, für alle diese Abmessungen immer genügend
Ersatzreifen auf den einzelnen Lagern zu halten und daß darunter
naturgemäß die Schlagfertigkeit der auf die Kraftwagenbenutzung
angewiesenen Stäbe und Truppen erheblich leiden mußte.
Allmählich konnte aber im Laufe des Krieges die Zahl der
Reifengrößen an der Front bis auf etwa 6 für
Personenkraftwagen und 8 für
Lastkraftwagen - [347] entsprechend der
jeweiligen Motorstärke und
Tragfähigkeit - herabgedrückt werden, wodurch die
Gummiversorgung der Heeresfahrzeuge entscheidend gebessert wurde.
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