Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 7: Das
Feldkraftfahrwesen (Forts.)
Hauptmann Walter Sußdorf
3. Das Jahr 1915.
Im Verlaufe des Winters 1914/15 hatte die Unordnung auf dem Gebiete des
Kraftfahrwesens namentlich im Westen weiter zugenommen. Zahlreiche
Truppenteile besaßen überplanmäßig eigene Wagen und
nutzten diese in weitestem Umfange aus. Nach und von Deutschland entwickelte
sich ein lebhafter Kraftwagenverkehr; Verwundete wurden im Kraftwagen gleich
bis in ihre Heimat befördert, während von dort zahlreiche Personen
Liebesgabentransporte, den Kraftwagen hauptsächlich mit Zigarren,
Zigaretten und Zeitungen beladen, auf die größten Entfernungen bis
heran an die Front ausführten. Dieser Raubbau an Betriebsstoffen und vor
allem an kostbarer Bereifung konnte so nicht weitergehen; auch aus
Gründen der Spionageabwehr war energische Abhilfe geboten. Der
Generalquartiermeister im Großen Hauptquartier, dem die Erhaltung der
Schlagkraft des Heeres oblag, nahm sich im Frühjahr 1915 mit Hilfe eines
in seinen Stab berufenen sachverständigen Offizieres der Kraftfahrtruppe
der Abstellung dieser Mißstände tatkräftig an. Zunächst
wurden heerespolizeiliche Bestimmungen für den Kraftwagenverkehr im
Operations- und Etappengebiet herausgegeben. Jedes Kraftfahrzeug mußte
in eine bei den Armeen zu führende Nachweisung aufgenommen werden,
sowie mit einer Erkennungsnummer und einer besonderen Ausweiskarte versehen
sein. Der Führer eines Kraftfahrzeugs hatte sich durch einen
Militärführerschein und, wenn er keine Offiziere im Wagen
beförderte, durch einen besonderen Fahrauftrag seiner vorgesetzten Stelle
auszuweisen. Zur Beaufsichtigung des Kraftwagenverkehrs wurden
bodenständige und fliegende Überwachungsstellen eingerichtet. So
kam schon etwas Ordnung in das wilde Fahren auf den Straßen hinter der
Front.
Im März 1915 setzte der Generalquartiermeister dann allgemeine
Richtlinien für die Regelung des Kraftfahrwesens innerhalb des Feldheeres
fest. Hierbei wurde unter Hinweis auf die Notwendigkeit des Sparens für
eine längere Kriegsdauer allgemein eine Einschränkung des
Kraftwagenverkehrs gefordert, die Einziehung der zahlreichen
überetatsmäßigen Fahrzeuge angeordnet und der unmittelbare
Verkehr vom Kriegsschauplatze nach der Heimat untersagt; die Benutzung der
noch zugelassenen Fahrzeuge war auf rein dienstliche Zwecke zu
beschränken. Für die Durchführung der Richtlinien wurde
für seinen Bereich das Armeeoberkommando verantwortlich gemacht, das
auch besondere Bestands- und Verbrauchsnachweisungen zu führen und
dem Generalquartiermeister zur Kontrolle einzureichen hatte. Die
eigenmächtige [348] Neuaufstellung von
Kraftfahrverbänden bei den Armeen wurde verboten, der Ersatz von
Personal und Gerät aus der Heimat neu geregelt und seine
gleichmäßige Verteilung auf die einzelnen Armeen sichergestellt.
Zum Berater des Oberkommandos in allen Kraftfahrangelegenheiten wurde der
Kommandeur der Kraftfahrtruppen der Armee bestimmt und diesem auch zwecks
einheitlichen Einsatzes die gesamten im Armeebereiche befindlichen
Kraftfahrverbände unterstellt; außerdem wurde ihm das
Aufsichtsrecht über alle Kraftfahrzeuge der Armee in technischer
Beziehung eingeräumt. Diese straffe Zusammenfassung unter einer
sachverständigen technischen Dienststelle hat sich für die ganze
Dauer des Krieges ausgezeichnet bewährt und später auch als Muster
für andere technische Heereszweige gedient.
Unterdessen hatte der Krieg mit seinen Bedürfnissen die Kraftfahrtruppe
vor zwei neue Aufgaben gestellt. Die eine war die Unterstützung der
Feldpost in der Beförderung ihrer Postsachen und Pakete, die mit
Pferdefahrzeugen allein nicht mehr zu bewältigen war. Bei jeder Armee
wurde daher ein Postkraftwagenpark eingerichtet, während den
höheren Stäben einzelne Postkraftwagen mit Sortiereinrichtung
beigegeben wurden. Für letztere fanden vorzugsweise die bisher dem
Verkehr auf den heimischen Überlandlinien dienenden Kraftomnibusse
nach entsprechendem Umbau Verwendung. Vorzugsweise der Einführung
des Kraftwagens im Feldpostdienst ist es zu danken, daß sich die
unzulänglichen Verhältnisse auf diesem Gebiete so schnell gebessert
haben.
Die zweite, wichtigere Aufgabe war die Hilfeleistung im Sanitätsdienst der
Truppe. Es befanden sich an der Front wohl schon einzelne Krankenkraftwagen,
die meist durch freiwillige Spenden beschafft und einzelnen Truppenteilen
gestiftet waren, eine planmäßige Ausstattung der
Sanitätsformationen des Feldheeres mit Kraftfahrzeugen war
ursprünglich aber nicht vorgesehen gewesen, da Erfahrungen
hierüber so gut wie nicht vorlagen. Gerade aber die Verhältnisse des
Stellungskrieges machten es notwendig, Kranke und Verwundete von der Front
möglichst schnell zu den rückwärts gelegenen Lazaretten und
den Einladestellen in die Sanitätszüge der Eisenbahn
abzubefördern. Es galt, für diese Aufgabe einen neuen
Kraftwagentyp herauszubringen, der in einem
Personenwagen-Untergestell mit einem Motor mittlerer Stärke und
kräftiger Luftgummibereifung, sowie besonderem Aufbau gefunden wurde
und imstande war, gleichzeitig entweder vier liegende oder acht sitzende
Verwundete zu befördern. Später kam außerdem noch ein
leichter zweirädriger Anhänger mit guter Federung zur
Einführung, der drei liegende Verwundete aufnehmen und zu einem oder
mehreren an Sanitäts- und Lastkraftwagen angehängt werden konnte;
er hat sich infolge seiner zweckmäßigen Bauart für den
Verwundetenabschub besonders bewährt. Mit Hilfe leichter Lastkraftwagen
wurde das Vorbringen von Verbandmitteln und Sanitätsgerät aller
Art aus [349] dem
Etappen-Sanitätsdepot zu den Sanitätsformationen der Truppe
bewerkstelligt. Ferner wurden Röntgen- und Desinfektions-Kraftwagen
gebaut und der Explosionsmotor schließlich noch als Antrieb bei
elektrischen Beleuchtungseinrichtungen für Verbandplätze und
Operationsräume verwendet. Alle im Sanitätsdienst verwendeten
Fahrzeuge faßte man zwecks einheitlicher Leitung und technischer
Beaufsichtigung bei jeder Armee zu einer Sanitätskraftwagenabteilung
("Sanka") zusammen. Ihre Stärke wechselte je nach Zahl der bei der Armee
eingesetzten Divisionen; es war für jede Division ein
Sanitätskraftwagenzug, bestehend aus
8 - 10 Sanitätskraftwagen und einem Führerwagen,
vorgesehen. Die Sanka wurde unter Führung von Fachoffizieren als
Kraftfahrverband aufgestellt; über die Verwendung ihrer Fahrzeuge
bestimmten die Sanitäts-Dienststellen je nach der Kampflage.
Für die sonstigen Nachschubbedürfnisse, wie Beförderung
kleinerer Mengen von Munition, von Nahkampfmitteln, frischem Fleisch und
Mehl, nötigenfalls auch kleinerer Truppenabteilungen wurde jedes Korps
mit einer aus Lastkraftwagen verschiedener Tragfähigkeit
zusammengestellten Korps-Kraftwagenkolonne neu ausgerüstet; die Art
ihres Einsatzes blieb dem Generalkommando überlassen. Auch hier
bewährte sich die Zusammenfassung der ursprünglich bei einzelnen
Truppen zerstreuten Wagen in einer geschlossenen Formation unter
sachverständiger Aufsicht, da hierdurch die Möglichkeit
größerer Ausnutzung der Fahrzeuge je nach dem wechselnden
Bedürfnis der Truppe, sowie besserer Instandhaltung in technischer
Beziehung gegeben war. Für die Zwecke der Etappe wurde in
ähnlicher Weise eine "Kraftwagenstaffel" gebildet, deren Einrichtungen
außer für militärische auch für die verschiedensten
technischen und wirtschaftlichen Aufgaben (z. B. Betrieb von
Motorpflügen, Bau von Kraftstationen, Sägewerken usw.)
nutzbar gemacht wurden.
Für die Zwecke des Generalgouvernements Belgien und gleichzeitig zur
Unterstützung der Feldtruppe wurde in Brüssel eine Leitung des
Kraftfahrwesens mit Zweigstellen in verschiedenen belgischen Städten
eingerichtet. Ihr Bestreben war vor allem, die in Belgien noch vorhandenen
Vorräte an Kraftfahrzeugen, Gummi und Betriebsstoffen restlos zu erfassen
und sie der Heimat oder den Armeen an der Front zur Verfügung zu stellen.
Später sind von ihr mit Hilfe der vorgefundenen Einrichtungen ehemaliger
belgischer Automobilfabriken auch Reparaturarbeiten für die
Kraftfahrzeuge des Feldheeres in großem Stile ausgeführt
worden.
Die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1915 an der Westfront, namentlich in der
Champagne und an der Lorettohöhe, erforderten wiederholt den schnellen
Einsatz aller verfügbaren Kraftfahrtruppen. Bei den überraschend
einsetzenden Offensiven der Entente mußte die erste Aushilfe meist von den
benachbarten Armeen geleistet werden; die geringe Zahl der Kraftwagenkolonnen
[350] ließ es noch nicht
zu, für die Oberste Heeresleitung eine Reserve für besondere,
unvorhergesehene Fälle zu schaffen. Durch überlegene
Artilleriewirkung auf die rückwärtigen Verbindungen suchte der
Feind den Nachschub auf den Straßen zur Front nach Möglichkeit zu
unterbinden, wodurch die Tätigkeit der Kraftfahrtruppe erheblich erschwert
wurde. Im besonderen fiel ihr die Aufgabe zu, wegen des empfindlichen Mangels
an Artilleriemunition an der Front die beschränkten zur Verfügung
stehenden Munitionsreserven mit Kraftwagen jeweils nach den bedrohten
Abschnitten zu verschieben. An den nicht angegriffenen Fronten wurde auf
Veranlassung der Obersten Heeresleitung mit dem Einsatz der
Kraftwagenkolonnen und sonstigen Kraftfahrverbände gespart; man suchte
sich durch Ausnutzung des Voll-, Feld- und Förderbahnnetzes zu helfen,
um die Kraftfahrzeuge für den stets erhofften Bewegungskrieg zur
Verfügung zu haben.
Dieses Aufsparen gestattete es, im Frühjahr und Sommer 1915 zahlreiche
leistungsfähige Kraftfahrverbände aus dem Westen herauszuziehen
und den östlichen Armeen für ihren sich immer größer
ausgestaltenden Feldzug gegen Rußland zur Verfügung zu stellen.
Dies geschah in einem Umfange, daß der Schwerpunkt des
militärischen Kraftfahrwesens während dieser Zeit
vorübergehend nach dem Osten verschoben war. Die vom Westen
kommenden Kraftfahrverbände wurden überwiegend der neu
aufgestellten 11. Armee zugeführt, wo sie den Nachschub für die
nach dem Durchbruch bei Gorlice siegreich vorgehende Heeresgruppe Mackensen
übernahmen. Die schlechten Wegeverhältnisse in Galizien stellten
dabei hohe Anforderungen an Personal und Gerät. Dem Vordringen der
deutschen und österreichischen Armeen war leider nach wenigen Wochen
durch die gebotene Rücksichtnahme auf die rückwärtigen
Verbindungen zu früh ein Ziel gesetzt; die schwierigen und vielleicht von
Anfang an nicht genügend vorbedachten Verhältnisse des
Nachschubs ließen es zu keiner kriegsentscheidenden strategischen
Operation kommen. Ein wichtiger Erfolg dieses Feldzuges lag im übrigen
darin, daß die Russen die Besetzung der galizischen Ölfelder
aufgeben mußten. Wenn deren Erzeugnis naturgemäß auch
hauptsächlich Österreich zufiel, so konnte doch in der Folgezeit
monatlich eine bestimmte Zuweisung an galizischem Fliegerbenzin an das
deutsche Heer erfolgen, das sonst den Vorräten für den
Kraftwagenbetrieb hätte entzogen werden müssen.
Auch auf der nördlichen Hälfte des östlichen
Kriegsschauplatzes wurde das Vorgehen der deutschen Armeen durch die
Kraftfahrverbände unterstützt. Da nur wenige brauchbare
Straßen zur Verfügung standen, mußten sich die
Kraftfahrer - "Hindenburgs schwarze
Gesellen" - meist auf grundlosen, tief ausgefahrenen Wegen mühsam
vorarbeiten, um den vorwärts drängenden Truppen Munition in
Gewaltmärschen zuzuführen. Infolge der
übermäßigen Inanspruchnahme war der Verschleiß an
Kraftfahrgerät außerordentlich hoch, so daß die Neuerzeugung
[351] der Heimat
vorübergehend dem östlichen Kriegsschauplatz restlos zur
Verfügung gestellt werden mußte.
Ende Mai 1915 war Italien in die Reihe der Feinde getreten; hiervon wurde
allerdings in erster Linie Österreich betroffen, dessen Armeen nunmehr
auch die Abwehr des italienischen Heeres übernehmen mußten. Zu
ihrer Unterstützung wurde an der Südgrenze Tirols das
größtenteils aus bayerischen Truppen zusammengestellte deutsche
Alpenkorps bereitgestellt. Wie sollte sich aber mitten im Hochgebirge seine
Versorgung gestalten? Eisenbahnlinien standen nur in beschränktem
Umfange zur Verfügung, dafür war jedoch ein brauchbares
Straßennetz vorhanden. Infolgedessen war es möglich, mit Hilfe
leichter gummibereifter Kraftwagenkolonnen Munition und Verpflegung bis zur
Übernahme durch Gebirgs- und Tragtierkolonnen vorzuführen.
Neben dieser eigentlichen Nachschubtätigkeit wurde der Kraftfahrtruppe in
Tirol aber noch eine Aufgabe operativer Art gestellt, nämlich die schnelle
seitliche Verschiebung von Infanterie- und Maschinengewehrtrupps unter
Ausnutzung der längs der Front laufenden Straßen, um
gefährdete Punkte der an und für sich nur schwach besetzten
Alpenfront im Bedarfsfalle schnell zu verstärken. Diese Aufgabe wurde
glänzend gelöst; man bildete aus starken, besonders hergerichteten
Personenkraftwagen bewährter Fabrikmarken besondere Fahrabteilungen,
die zur Aufnahme geschlossener taktischer Verbände ausreichten und ihre
schnelle Beförderung nach den Weisungen der Truppenführung
durchführten. Erfordert schon an und für sich das Fahren mit
Personenkraftwagen in geschlossenen Abteilungen große Geschicklichkeit
und angespannte Aufmerksamkeit, so stellen diese auf den steilen und
unübersichtlichen Gebirgsstraßen der Hochalpen ausgeführten
Transporte eine besonders schwierige Fahrleistung dar. Leider war es nicht zu
vermeiden, daß der Gummiverbrauch der Fahrabteilungen ein
außerordentlich großer war; er riß ein weiteres Loch in die
schon an und für sich geringen Bestände. Der Einsatz des
Alpenkorps in Tirol fand ein Ende, als im November seine Verwendung im
Feldzuge gegen Serbien erforderlich wurde; mit ihm kam auch ein Teil der
zugehörigen Kraftwagenkolonnen nach Südungarn, während
die Personenwagen-Abteilungen noch einige Zeit dem österreichischen
Heere zur Verfügung gestellt, dann aber mit Rücksicht auf die
Gummiknappheit gänzlich aufgelöst wurden.
Die im Feldzuge gegen Serbien benötigten Kraftwagenkolonnen wurden im
übrigen hauptsächlich aus der Ostfront herausgezogen; im Hinblick
auf die ungünstigen Verhältnisse des Kriegsschauplatzes und die
vorgeschrittene Jahreszeit wurde auch hier auf Auswahl gut bereifter
Gummikolonnen besonderer Wert gelegt. Leider haben sich die gehegten
Erwartungen nicht erfüllt, da durch den tagelangen Regen die Straßen
in Südungarn und Nordserbien derart aufgeweicht waren, daß an eine
nutzbringende Tätigkeit der Kraftfahrverbände im Anfang
überhaupt nicht zu denken war. Weder die Kolonnen [352] noch einzelne
Fahrzeuge brachten es fertig, in dem zähen Schlamm der Straßen, die
diese Bezeichnung eigentlich gar nicht mehr verdienten, vorwärts zu
kommen, und tagelang wurden oft nur wenige Kilometer zurückgelegt. Alle
erdenklichen Mittel wurden versucht, man zog einen Kraftwagen mit Hilfe des
anderen, spannte Tiere und Menschen an langen Schlepptauen vor die Wagen,
alles vergebens! Die schweren Wagen versackten immer wieder in dem
grundlosen Boden.
[376a]
Ochsen als Vorspann für ein Personenauto in
Palästina.
|
Schließlich entschloß man sich, einen Teil der
Fahrzeuge auf die Eisenbahn zu setzen, um die Straßen wenigstens
für den Verkehr mit Pferde- und Ochsengespannen, sowie für die
Tragtierkolonnen frei zu machen. Sehr erhebliche Materialverluste sowohl an
Fahrzeugen wie an der so kostbaren Gummibereifung waren die Folge der
geschilderten Zustände. Erst im weiteren Verlaufe des serbischen
Feldzuges, als die Straßen bei eintretender Kälte zufroren, kam ein
planmäßiger Einsatz der Kraftfahrverbände zustande. Nach
Abschluß der Kampfhandlungen wurde ein Teil von ihnen zur
Verfügung der Obersten Heeresleitung gestellt und später nach dem
Westen abbefördert. Ein erheblicher Teil mußte aber an der Front
gegen Saloniki zurückbleiben, um dort die Versorgung der deutschen und
bulgarischen Divisionen zu übernehmen, eine bedauerliche
Kräftezersplitterung, die sich bis zum Schlusse des Krieges sehr nachteilig
bemerkbar gemacht hat.
Vergleicht man den Umfang des Feldkraftfahrwesens am Ende des Jahres 1915
mit dem Stand bei Beginn des Krieges, so ergibt sich, daß sich seine
Entwicklung außerordentlich rasch vollzogen hat. Die Zahl der
Kraftfahrverbände war inzwischen nahezu verdoppelt, Organisation und
Ausrüstung der Truppe vervollkommnet worden; der wiederholte Einsatz
auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und die hierbei gewonnenen
Erfahrungen hatten wertvolle Fingerzeige gegeben.
Neben dem Ausbau der eigentlichen Kraftfahrtruppe war aber auch die
Motorisierung der anderen Waffen in Angriff genommen worden. Die
erhöhte Leistungsfähigkeit des mechanischen Zuges sowie die
Möglichkeit, bei seiner Anwendung Menschen und Pferde zu sparen, waren
hierfür ausschlaggebend gewesen. In erster Linie war es die schwere
Artillerie des Feldheeres, die sich des Kraftzuges zur Fahrbarmachung schwerer
und schwerster Geschütze bediente. Schon im Frieden waren hierin
Versuche angestellt worden; aber erst der eiserne Druck der
Kriegsnotwendigkeiten förderte die praktische Lösung dieser
bedeutungsvollen Aufgabe. Die heimischen Kraftfahrzeugfabriken brachten
leistungsfähige, 80 bis 100 PS starke Kraftzugmaschinen mit
Zweirad- oder Vierradantrieb heraus, die jetzt an Stelle der schwerfälligen
Dampfpfluglokomotiven vor die Spezialanhängewagen, auf denen man
Bettung, Lafette und Rohr des für den Transport auseinandergenommenen
Geschützes beförderte, gespannt wurden. Mit Hilfe von
Radgürteln war es den Kraftzugmaschinen möglich, sich unter nicht
zu ungünstigen Verhältnissen auch auf weichem Boden
außerhalb [353] der festen Straße
zu bewegen. Beim Instellungbringen der schweren Anhänger wurde meist
von einer sinnreich konstruierten, motorisch angetriebenen Seilwinde Gebrauch
gemacht. Eine andere Lösung war die, daß man mit Hilfe eines
"Lastenverteilergeräts" das Geschütz im ganzen transportierte, indem
man es durch ein besonderes Tragewerk in der Schwebe zwischen Motorwagen
und Anhänger hielt, wodurch eine besonders schonende Behandlung des
Materials erzielt wurde; auch das Instellungbringen war dadurch wesentlich
vereinfacht. Besonders für unbespannte Batterien älterer
Konstruktion sowie für solche aus Beutegeschützen machte man sich
diese Art des Geschütztransportes mit Vorteil zunutze.
Auch bei einem Teil der Minenwerferwaffe wurde das Kraftfahrzeug
eingeführt, um ihre Beweglichkeit und schnelle Bereitschaft als
Kampfreserve zu erhöhen.
Die Fliegerformationen waren bei Veränderung ihres Standortes
gänzlich auf die Fortbewegung mittels Kraftfahrzeugen angewiesen, wobei
Gerät und Personal auf den Lastkraftwagen selbst verladen und die
fahrbaren Flugzeuggestelle hinten einfach angehängt wurden. Durch
reichliche Ausstattung der Fliegerabteilungen mit Personenkraftwagen sorgte man
im übrigen dafür, daß das Ergebnis der Erkundungsflüge
vom Flughafen mit größter Beschleunigung zu den Stäben und
Kommandostellen gelangte und der zurückgekehrte Beobachter diesen
gegebenenfalls auch persönlich seine Eindrücke darlegen konnte. Bei
Feldluftschifferabteilungen fanden Lastkraftwagen zum Gasnachschub
|
Verwendung. Ferner wurde ein großer Teil der Flugabwehrformationen
motorisiert, damit die Flugabwehrkanonen jederzeit ihren Standpunkt
verändern und überraschend auftreten konnten; dabei wurde das
Flakgeschütz entweder gleich auf dem Motorwagen fest aufgebaut
oder - beim schweren Kaliber - auf einem Sonderanhänger
montiert und dieser dann von einer Kraftzugmaschine geschleppt.
Eine besondere Rolle spielte das Kraftfahrzeug wegen seiner großen
Beweglichkeit naturgemäß bei der Nachrichtentruppe, die sich seiner
zum schnellen Leitungsbau sowie zur Beförderung der Mannschaften und
des Nachrichtengeräts bediente. Mittlere und schwere Funkenstationen
wurden in Spezialkraftwagen eingebaut, die der Truppe bei einem Vormarsch,
sich gegenseitig überschlagend, zu folgen vermochten, so daß der
Funkverkehr nicht unterbrochen werden brauchte.
Es war nicht zu vermeiden, daß durch diese immer mehr zunehmende
Motorisierung des Heeres der Brennstoffverbrauch außerordentlich in die
Höhe schnellte. Bereits im Sommer 1915 war infolge des unerwartet hohen
Verbrauchs bei den Operationen im Osten sowie wegen des erheblichen Bedarfs
für wirtschaftliche Zwecke in der Heimat eine ziemliche Knappheit an
Betriebsstoffen, besonders an Benzol, eingetreten.
Glücklicher- [354] weise waren noch
Bestände an Spiritus vorrätig, aus denen man durch Vermengen mit
Benzol ein Gemisch herstellte, das - wenn auch unter einigen technischen
Schwierigkeiten - für die Verbrennung im Fahrzeugmotor brauchbar
war; es kam zunächst für den westlichen Kriegsschauplatz zur
Ausgabe. Da die heimische Ernährungslage aber eine restlose Verwendung
der zur Spiritusbereitung dienenden Kartoffeln für die menschliche und
tierische Ernährung erforderlich machte und daher auf eine
Ergänzung der von vornherein beschränkten Spiritusvorräte
nicht zu rechnen war, mußte die Betriebsstoff-Versorgung des Feldheeres
auf andere Weise sichergestellt werden. An erster Stelle stand hierbei die
Begrenzung der monatlichen Verbrauchsmenge für den einzelnen
Kraftwagen, wodurch allerdings die freie Verfügbarkeit über das so
wichtige Kriegsmittel schwer beeinträchtigt wurde. Die ernste
Betriebsstofflage ließ jedoch keine andere Wahl und die Oberste
Heeresleitung mußte sich schweren Herzens entschließen, die
Kontingentierung des Verbrauches an Benzin und Benzol sowie an Benzolspiritus
für das Feldheer ab 1. September 1915 in Kraft treten zu lassen. Jede
Armee erhielt monatlich nur noch soviel Betriebsstoff zugeführt, als ihr
nach dem Verteilungsschlüssel entsprechend der Zahl der bei ihr
befindlichen Fahrzeuge zustand. Dem Armee-Ober-Kommando blieb es
überlassen, seinerseits die ihm zugeteilte Gesamtmenge je nach den
Kampf- und sonstigen Bedürfnissen auf die mit Kraftfahrzeugen
ausgerüsteten Stäbe und Truppen abzustufen. Auch bei Motoren
für wirtschaftliche Zwecke des Heeres trat eine erhebliche Kürzung
des Brennstoffsatzes ein; Sägewerke, landwirtschaftliche Betriebe, Anlagen
zum Auspumpen und Beleuchten der
Schützengräben u. a. wurden davon betroffen.
Für den Kraftwagenverkehr in der Heimat traf das Kriegsministerium
einschränkende Bestimmungen, deren Erfolg allerdings nicht immer
zufriedenstellend war. Immerhin war die Zahl der noch im Verkehr innerhalb
Deutschlands befindlichen Kraftfahrzeuge Ende dieses Jahres bereits auf weniger
als ein Fünftel des Friedensstandes herabgedrückt.
Während so auf der einen Seite auf größte Sparsamkeit im
Verbrauch hingearbeitet wurde, geschah andererseits alles, um die Vorräte
auf diesem Gebiete zu vermehren. Die gegen Vorkriegszeit stark
zurückgebliebene Benzolerzeugung der heimischen Kokereien wurde
planmäßig gesteigert, ja man ging sogar dazu über, in den
großstädtischen Gasanstalten dem Leuchtgas die wenigen in ihm
noch vorhandenen Benzolbestandteile zu entziehen. Als gegen Ende des Jahres
die Vorräte an Spiritus erschöpft waren, mußte im Felde
wieder Reinbenzol zur Verwendung kommen, das im Winter wegen seiner
Neigung zum Einfrieren mit einem Zusatz von Toluol und Benzin versehen
wurde. Im übrigen wurde gerade mit Benzin sehr sparsam umgegangen, es
blieb überwiegend den schnellaufenden Motoren der Flugzeuge und
Lenkluftschiffe vorbehalten.
[355] In gleicher Weise wie
der Betriebsstoffknappheit wurde auch der Gumminot ernsteste Beachtung
geschenkt. Die Losung war auch hier: Äußerste Sparsamkeit im
Verbrauch! Dies galt sowohl für die Luftreifen der
Personen- wie für die Vollreifen der Lastkraftwagen. Wenn auch bereits die
im Frühjahr 1915 vorgenommene Einziehung der
überplanmäßigen Fahrzeuge einen merklichen
Rückgang der Verbrauchszahlen mit sich gebracht hatte, sah sich die
Oberste Heeresleitung doch bereits im Sommer dieses Jahres im Hinblick auf die
längere Dauer des Krieges zu weiteren durchgreifenden Maßnahmen
gezwungen. Zunächst wurden alle starken Personenkraftwagen, die
bekanntlich besondere Gummifresser sind, aus der Front herausgezogen und nach
Hause geschickt, die Benutzung der übrigen Personenkraftwagen nach
Möglichkeit eingeschränkt. Die hierdurch frei werdende Bereifung
kam den Sanitätskraftwagen zugute. Für Lastkraftwagen wurde, um
die Lebensdauer ihrer Gummireifen zu verlängern, die Nutzlast um 20%
herabgesetzt; der hiermit verbundene Ausfall in der Tragfähigkeit der
Kolonnen und Einzelwagen mußte in Kauf genommen werden. Im
übrigen wurde allgemein für Lastkraftwagen sparsamste
Verwendung vorgeschrieben, solange die Kampfverhältnisse dies nur
irgend zuließen, und an ihrer Stelle auf den Ausbau der
Feld- und Förderbahnen hingearbeitet. Für besonders schwere
Transporte, wie Eisenschienen, Holz, Schotter usw. wurden in der Heimat
Dampfstraßenlokomotiven, die ohne Gummibereifung auskamen, in
Auftrag gegeben; ihre Anfertigung ging jedoch nicht so schnell vonstatten, als
daß sie eine nennenswerte Entlastung für den Einsatz der
Lastkraftwagen hätten bringen können. Im übrigen war die
Absicht, Gummi zu sparen, mit Veranlassung für die im Herbst zur
Einführung gelangende Betriebsstoffkontingentierung des Feldheeres
gewesen, da man den Reifenverbrauch selbst, wegen der verschiedenartigen
Straßen- und Geländeverhältnisse sowie wegen der
veränderlichen Beschaffenheit des Gummis, nicht gut einheitlich begrenzen
konnte; nahm man aber dem Kraftwagen durch Vorenthaltung des Betriebsstoffes
die Möglichkeit zum Fahren, so sparte man auf diesem mittelbaren Wege
auch an seiner Bereifung. Im übrigen wurde streng darauf gesehen,
daß alte, unbrauchbar gewordene Reifen gesammelt und nach der Heimat
geschickt wurden, wo der Altgummi in einem besonderen Verfahren aufgearbeitet
wurde und als wichtiges Streckmittel bei der Anfertigung neuer Reifen nochmals
Verwendung fand. Trotz aller dieser Maßnahmen verschlechterte sich die
Gummilage von Monat zu Monat, zumal die Einfuhr fast gänzlich zum
Erliegen kam. Die Folge davon war, daß die Menge des für die
einzelnen Verbrauchergruppen zur Verarbeitung freigegebenen Rohkautschuks
von Monat zu Monat herabgesetzt werden mußte. Um so
größer waren die Hoffnungen, die man auf die von der chemischen
Industrie (Leverkusen) aufgenommenen Versuche zur Herstellung
künstlichen Gummis setzte. Aber diese Versuche brauchten Zeit, und es
blieb zunächst nichts anderes übrig, als ihre praktischen Ergebnisse
in Geduld abzuwarten.
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