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Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung, Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen

[231] Kapitel 6: Das Militäreisenbahnwesen
(Eisenbahnen und Schiffahrt)

Oberst Stefan v. Velsen

1. Einleitung.

Eine wohlbezeugte Äußerung von Angehörigen verschiedener Entente-Staaten lautet dahin, daß ihnen die Taten des deutschen Militäreisenbahnwesens als die glänzendste Leistung Deutschlands während des Weltkrieges erschienen sind. Der Eisenbahner kann diesem Urteil nur mit Einschränkungen zustimmen. Ihm werden immer die lodernde Begeisterung, die junge Regimenter unter den Klängen des "Deutschland. Deutschland über alles" zum Angriff stürmen ließ, das zähe, pflichttreue Ausharren der Braven im Trichterfelde des Westens oder im Eis und Schnee des Ostens, die ganze geistige Erhebung, mit der Volk und Heer lange Jahre gegen eine Welt von Feinden standhielten, höher stehen, als jede organisatorische und technische Großtat.

Als eine wirkliche Großtat aber darf man mit Fug und Recht das deutsche Militäreisenbahnwesen im Weltkriege preisen. Es hat als solche auch schon während des Krieges viel Anerkennung gefunden, aber vorwiegend nur wegen einiger technischer Glanzleistungen.

Die überragende Bedeutung der Eisenbahnen für alle Gebiete der Kriegführung wurde bei Kriegsbeginn doch noch bei weitem nicht ausreichend gewürdigt. Sie wurden als eins der vielen Mittel der Kriegführung angesehen. Sie waren aber mehr, sie waren ein Teil der "lebendigen Kraft des Volkes". Diesen Ausdruck hat der erste Feldeisenbahnchef, General Groener, einmal so erläutert:

      "Sie setzt sich zusammen aus der wehrfähigen Mannschaft mal Eisenbahnen. Je weniger Eisenbahnen, desto mehr Mannschaften, desto größere Verluste. Je mehr Eisenbahnen, desto geringere Verluste im ganzen, mit desto geringeren Kräften sind große entscheidende Schlachten zu schlagen. Moderne Operationen vermag man überhaupt nicht mehr mittels der Menschenbeine auszuführen. Wo keine Eisenbahnen vorhanden sind, kann man nicht führen, [232] kann man nicht schlagen. Mit Millionenheeren wird man nur mittels der Eisenbahnen fertig."

Die breite Öffentlichkeit sah aber auch nicht, wie in dem Militäreisenbahnwesen das Zusammenwirken von Eisenbahntechnik und Kriegführung in vorbildlicher Weise durchgeführt war. Nur aus dem starken Stamm der deutschen Staatseisenbahnen konnte das Militäreisenbahnwesen sich entwickeln und immer wieder ergänzen. Ihnen waren die glänzenden betrieblichen Leistungen zu danken, die schon bei Mobilmachung und Aufmarsch Erstaunen und Stolz des ganzen Volkes waren, und die während des Krieges auf den vielen Fronten die deutsche Kampfkraft vervielfachten. Die gewaltige eisenbahntechnische Leistung stand aber wieder in so unlösbarem Zusammenhang mit den rein militärischen, strategischen, taktischen und Versorgungsmaßnahmen für das Millionenheer, daß die Heeresleitung selbst die Eisenbahnen in ihrer Hand behalten mußte. Moltke hat hierfür einmal das Wort gebraucht, daß im schnell lebenden Kriege die Kräfte der Technik und Wissenschaft nicht alliiert, sondern Vasallen der Kriegführung sein müssen.

Die nachfolgenden Darlegungen wollen die neuartige Bedeutung der Eisenbahnen für alle Seiten der Kriegführung schildern, dabei beiden Seiten des Militäreisenbahnwesens, der militärischen und der eisenbahntechnischen, gerecht werden und auf ihrem Gebiet aus dem Kriege heraus der Erkenntnis dienen, daß im Kriege nur das vertrauensvolle Zusammenarbeiten aller Kräfte und ihr edler Wettbewerb zum gemeinsamen Ziel die großen Erfolge zu zeitigen vermochte.


2. Friedensvorbereitungen.

Die militärische Bedeutung der Eisenbahnen haben seit ihren ersten Anfängen volkswirtschaftliche und militärische Schriftsteller erkannt und wissenschaftlich untersucht; List und der spätere Generalfeldmarschall v. Moltke seien als die bedeutendsten genannt. Die Kriege 1866 und 1870/71 brachten dann die ersten größeren praktischen Erfahrungen. Sie ließen bei der Entwicklung in den nachfolgenden Friedensjahren die Ausnutzung der Eisenbahnen zu Kriegszwecken in folgenden Hauptrichtungen suchen.

Für Vorbereitung und Ausführung der Militärtransporte wurden besondere Militäreisenbahnbehörden (die Eisenbahnabteilung des großen Generalstabs und die Linienkommandanturen bei allen größeren Eisenbahndirektionen) geschaffen. In den Linienkommandanturen arbeiteten ein Offizier und ein höherer Eisenbahnbeamter kollegialisch zusammen, während die Eisenbahnabteilung mit dem Reichseisenbahnamt oder den bundesstaatlichen Eisenbahnverwaltungen zur Regelung der grundsätzlichen Fragen in Verbindung trat. Die Transportanforderungen der Linienkommandanturen gingen an den bei [233] jeder Eisenbahndirektion bestimmten Bevollmächtigten für Militärangelegenheiten (Bbv.), der die betriebliche Durchführung der Transporte vorbereitete und veranlaßte. Die militärischen Maßnahmen zur Durchführung der Transporte, deren Umfang und Bedeutung meist unterschätzt werden, waren dagegen die Aufgabe des militärischen Mitglieds der Linienkommandantur oder der Eisenbahnabteilung, die sich dazu unmittelbar an die zuständigen Kommando- oder Verwaltungsbehörden (General-Kommandos und Intendanturen) wandten. - Neben dieser Sicherstellung der Militärtransporte auf den deutschen Eisenbahnen galt es für den Krieg Behörden und Formationen vorzusehen, die Eisenbahnen in Feindesland schnell wiederherstellen und betreiben sollten. Die Forderungen stellte der Generalstab; mit der Ausführung war die Inspektion der Eisenbahntruppen beauftragt. Sie verfügte für die Bauformationen in den Eisenbahn-Regimentern über eine hervorragend vorgebildete Truppe. Die Behörden (Militäreisenbahndirektionen) und die Betriebsformationen wurden aus dienstpflichtigem Personal der Eisenbahnverwaltungen gebildet; zu Kommandeuren der Militäreisenbahndirektionen und in einigen militärischen Stellen bei ihnen waren Offiziere der Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabes vorgesehen. - Ausschließlich im Generalstab aber wurde das Zusammenwirken von Heer und Eisenbahn weitergebildet. Leitend für diese Arbeit waren die vom Feldmarschall Grafen Moltke und vom Grafen Schlieffen aus der Durchforschung strategischer und taktischer Fragen entwickelten Gesichtspunkte, die folgende Aussprüche am treffendsten kennzeichnen:

      "Die Eisenbahnen haben eine militärische Bedeutung gewonnen, die sie zu den wichtigsten Mitteln der Kriegführung zählen und bei allen strategischen Kombinationen wesentlich in Betracht treten läßt"; (Moltke: Die operativen Vorbereitungen zur Schlacht).

Und:

      "Die Eisenbahnen sind zu einem Kriegsmittel, zu einem Kriegswerkzeug geworden, ohne welches die großen Armeen der Gegenwart weder aufgestellt, noch zusammengebracht, noch vorwärtsgeführt, noch erhalten werden könnten. Man fragt jetzt nicht nur nach der Zahl der Bataillone des Gegners, sondern auch nach der Zahl seiner Eisenbahnlinien; man vergleicht nicht allein die Güte und Tüchtigkeit der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Ausrüstung, sondern man stellt auch fest, was die Eisenbahnen hier und drüben leisten können. Seit 1866, vollends seit 1870 befinden wir uns somit in einer neuen Periode der Kriegführung"; (Graf v. Schlieffen: Ansprache beim 25jährigen Stiftungsfest des Eisenbahn-Bataillons I).

Auf diese neue Periode der Kriegführung waren die durch die Schule der Eisenbahnabteilung des Generalstabs gegangenen Offiziere vorbereitet. Es war somit natürlich und geboten, daß das unter tatkräftiger Mitwirkung der deutschen Eisenbahnverwaltungen und der Eisenbahntruppen geschmiedete Kriegswerkzeug der Leitung dieser Generalstabsoffiziere anvertraut wurde, als der große Kampf um Deutschlands Dasein als Großmacht begann.


[234] 3. Die ersten Aufgaben des Militäreisenbahnwesens (Mobilmachung und Aufmarsch).

Die Friedensarbeit der Militäreisenbahnbehörden und der Bahnbevollmächtigten aber hatte ihre erste Probe in der Durchführung der Mobilmachungs- und Aufmarschtransporte zu bestehen. Gewaltig allein schon war die zu befördernde Menge.

Einem Friedensheer von 760 900 Mann waren die Ergänzungsmannschaften zuzuführen, um es auf die Kriegsstärke von

    2 746 000 Mann Feldheer
    1 088 000 " Heimatheer

    Sa. 3 834 000 Mann

zu bringen. Einige hunderttausend Pferde, viele tausend Kraftwagen waren zu befördern. Dazu rollten die unübersehbaren Materialmengen für Truppenverpflegung und -ausrüstung, für die Festungen und für die Kohlenversorgung der Marine. In 17 991 Transporten wurde - mit der Masse in der Zeit vom 3. bis 7. Mobilmachungstag (4. bis 8. August) - diese riesige Bewegung durchgeführt. Ihr schloß sich der Aufmarsch an, bei dem vom 6. bis 15. Mobilmachungstag in 11 100 Transporten 3 120 000 Mann und 860 000 Pferde gefahren wurden, und zwar:

  • Das Westheer, 7 Armeen, auf 14 selbständigen Transportstraßen in das Aufmarschgebiet von Aachen bis in die Gegend von Mülhausen im Elsaß;
  • das Ostheer auf 8 Transportstraßen mit einer Armee in eine Bereitstellung in der Linie Hohensalza - Insterburg, mit einem Armee-Korps (Landwehr) nach Oberschlesien,
  • Teile des Heimatheeres als Besatzung in die Festungen.

Am 14. August stand das Westheer zum Vormarsch bereit, am 11. August war die Bereitstellung des Ostheeres durchgeführt.

Die betriebliche Leistung der deutschen Eisenbahnen war gewaltig. Nur der 1. und 2. Mobilmachungstag stand ihnen zur Verfügung, um den bürgerlichen Personen- und Güterverkehr im Friedensfahrplan abzuwickeln, um entsprechend den militärischen Bedürfnissen ihre Lokomotiven und Wagen zu verschieben und um ihr Personal auf den um die Mitternacht vom 2. zum 3. Mobilmachungstag einsetzenden Betrieb im Militärfahrplan umzustellen. Erschwert wurde dieser Übergang noch dadurch, daß schon vom 2. Tage ab nicht unerhebliche Heeresteile, die für den Überfall auf Lüttich bestimmten, immobil abbeförderten Infanterie-Brigaden und die zur Verstärkung des Grenzschutzes vorgesehenen Kavallerie-Divisionen, zu fahren waren. Trotzdem erfolgte die betriebliche Durchführung mit peinlichster Pünktlichkeit. Diese Zuverlässigkeit, mit der sich [235] die erste Betätigung des Millionenheeres vor den Augen des ganzen Landes abspielte, hat nicht wenig dazu beigetragen, das Vertrauen des deutschen Volkes in sein Heer und seine Führung zu bestärken.

Die gesicherte betriebliche Durchführung war tatsächlich auch nur dadurch möglich, daß die Eisenbahnabteilung des Generalstabs mit umfassender Übersicht über die großen Ziele der strategischen Aufgabe und über die für ihre Durchführung in Betracht kommenden militärischen Einzelheiten, aber auch mit vollem Verständnis für die eisenbahntechnischen Grundlagen die Transportanordnungen bearbeitet hatte. Für fast 30 000 Transporte lagen die Unterlagen so lücken- und fehlerlos bereit, daß die militärischen Kommandobehörden daraufhin ohne weiteres die militärischen Befehle, die Bahnbevollmächtigten den Außendienststellen der Eisenbahnen die betrieblichen Anweisungen geben konnten. Zur Bearbeitung einer derartigen Riesenaufgabe, die 42 Jahre lang für jedes Mobilmachungsjahr von neuem erfolgen mußte, hatte sich naturgemäß ein vollkommenes schematisches System entwickelt. Seine Beherrschung war für den Offizier der Eisenbahnabteilung eine Notwendigkeit, erschien aber den meisten Außenstehenden als seine Hauptaufgabe, während es nur ein erster Auftakt zu der viel umfassenderen Tätigkeit im Gebiet des Feldeisenbahnwesens war.


4. Übersicht über den Wirkungskreis des Militäreisenbahnwesens während des Krieges.

General-Feldmarschall v. Moltke hatte folgenden Erfahrungssatz nach dem Kriege 1870/71 aufgestellt:

      "Anders wie bei sonstigen Kommunikationsmitteln bilden die Eisenbahnen einen über Hunderte von Meilen reichenden, zusammenhängenden Organismus, dessen Wirksamkeit abhängig ist von dem übereinstimmenden und ineinandergreifenden Wirken und der technischen Vorbildung und Leistungsfähigkeit aller Teile. Dies macht es teilweise unerläßlich, den gesamten Betrieb der Bahnen einer mit Machtvollkommenheit ausgestatteten Militärbehörde zu unterstellen, aber auch jegliche Einmischung der Truppenbefehlshaber in den Betrieb aufs strengste auszuschließen."

Diese Gedanken waren maßgebend für die Übertragung diktatorischer Befugnisse für alle mit der Beförderung der bewaffneten Macht und ihrer Bedürfnisse zusammenhängenden Fragen an den Chef des Feldeisenbahnwesens.

Die gesamten deutschen Eisenbahnen wurden als im Kriegsbetrieb befindlich erklärt. Sie sollten zur Ausnutzung der operativen Lage auf der inneren Linie jederzeit bereit sein, größere Truppenbewegungen zwischen den verschiedenen Kampffronten auszuführen. Auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes und der Militärtransportordnung war der Feldeisenbahnchef in der Lage, nicht nur militärische Transporte aller Art anzuordnen, sondern auch Bestimmungen über die Einschränkung und Wiederzulassung des öffentlichen [236] Verkehrs zu treffen. Bei allen deutschen Eisenbahnverwaltungen, ganz besonders bei der größten, den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen, unter dem verdienstvollen Minister v. Breitenbach, fanden die militärischen Forderungen aber jederzeit soviel verständnisvolles Entgegenkommen, daß die Anordnungsbefugnis stets in vollstem Einvernehmen zwischen den zivilen Stellen und dem Feldeisenbahnchef ausgeübt wurde.

Durch ihren mustergültigen Friedensbetrieb waren die deutschen Eisenbahnen für alle militärischen Aufgaben glänzend vorbereitet. Im industriellen Westen bestand ein dichtes, leistungsfähiges Netz meist zweigleisiger Eisenbahnen, das allen Anforderungen moderner Massenheere gewachsen war. Im Osten bot nur Oberschlesien ähnlich günstige Verhältnisse, während in den übrigen rein agrarischen Grenzprovinzen das weniger dichte und, besonders in den Grenzstrecken, vielfach eingleisige Bahnnetz für den modernen Krieg, den Eisenbahnkrieg, vielfach nicht genügte.

Durch das Hineintragen des Krieges in das feindliche Gebiet waren im Westen gleich nach Kriegsbeginn die luxemburgischen, belgischen und nordfranzösischen Bahnen in deutschen Betrieb zu nehmen, im Osten vom Spätherbst 1914 ab, in größtem Umfang aber erst im Jahre 1915 große russische Eisenbahngebiete. Später traten noch hinzu der Hauptteil der serbischen Bahnen (1915), die rumänischen Bahnen in der Wallachei und in der Dobrudscha (1916). Der Betrieb wurde als deutscher Militärbetrieb eingerichtet; er unterstand dem Feldeisenbahnchef, wurde durch militärische Eisenbahnbehörden geleitet und durch militärische Betriebsformationen ausgeübt. Ihm wurden Aufgaben gestellt, die turmhoch über das hinausgingen, was in früheren Kriegen von den Eisenbahnen im besetzten Gebiet geleistet war. Dort hatte eine provisorische Betriebsführung genügt, die den Nachschub wenig zahlreicher Heere notdürftig bewältigte. Wie notdürftig, das zeigt am besten die Belagerung von Paris 1870/71, bei der die Beschießung durch die Schwierigkeit in der Heranführung der Belagerungs-Artillerie und der Munition um viele Wochen verzögert wurde.

Jetzt galt es einen Betrieb zu organisieren, der für die Durchführung operativer Massentransporte, für die Zufuhr der ins Ungemessene gesteigerten Heeresbedürfnisse aller Art, für den aus militärischen und kriegswirtschaftlichen Gründen wichtigen umfangreichen Abschub vom Feldheer und aus dem besetzten Gebiet zur Heimat, für den einen ganz ungeahnten Umfang annehmenden militärischen Reiseverkehr, schließlich selbst für den Personen- und Güterverkehr der Zivilbevölkerung betriebliche Leistungen auszuführen hatte, die hinter denen der verkehrsreichsten deutschen Strecken nicht zurückblieben, sie auf einigen Linien des westlichen Kriegsschauplatzes sogar nicht unerheblich übertrafen.

Diese Leistungen waren mit den wenigen militärischen Eisenbahn-Betriebstruppen, die nach dem Mobilmachungsplan aufgestellt wurden, nicht zu erzielen. [237] Es mußte zahlreiches Eisenbahnpersonal von den heimischen Verwaltungen zur Verfügung gestellt und, in Betriebsformationen gegliedert, eingesetzt werden. Das Zusammenarbeiten mit straff organisierten staatlichen Eisenbahnverwaltungen hat die Aufstellung dieser zivilen Betriebsformationen und ihre Eingliederung in den Militärbetrieb sehr erleichtert. Wenngleich das Fehlen von Reichseisenbahnen eine gewisse Buntscheckigkeit bei diesen Formationen zur Folge hatte, verhalf die dem Personal aller deutschen Eisenbahnverwaltungen innewohnende ernste Dienstauffassung und Pflichttreue schnell zu einheitlicher Ausübung der Tätigkeit.

Aber nicht nur für die in deutschem Militärbetrieb befindlichen Bahnen mußten vom Feldeisenbahnchef Personal und Material der deutschen Staatsbahnen in Anspruch genommen werden. Die strategischen Zusammenhänge der verschiedenen Kriegsschauplätze, das immer wiederkehrende Bedürfnis, deutsche Truppen zum Zusammenwirken mit den Verbündeten einzusetzen, schließlich die kriegswirtschaftliche Bedeutung des Warenaustausches zwischen den verbündeten Ländern und den besetzten Gebieten machten es erforderlich, daß der deutsche Feldeisenbahnchef auch auf die Verkehrswege bei den Verbündeten Einfluß nahm.

In Österreich-Ungarn waren die Bahnen im Innern ziemlich leistungsfähig; in den Operationsgebieten, besonders in Ostgalizien und in Siebenbürgen, verlangten sie aber doch während des Krieges erhebliche Erweiterungen. Für den angespannten Kriegsverkehr aber fehlte es Österreich-Ungarn in erheblichem Umfange an Lokomotiven, Wagen und Kohlen, die die deutschen Eisenbahnverwaltungen auf Anfordern des Feldeisenbahnchefs zur Verfügung stellen mußten. Für Transitzwecke spielte die Donau eine sehr erhebliche Rolle, die über einen leistungsfähigen Schiffspark, aber über sehr vorsündflutliche Umschlagsverhältnisse verfügte. Auf diesem Gebiet ist deutscherseits im Zusammenwirken zwischen Feldeisenbahnchef und Zentral-Einkaufs-Gesellschaft sehr viel gebessert worden. - Das Bahnnetz des rein agrarischen Bulgarien kam in erster Linie für die deutsche Oberste Heeresleitung als Weg nach Konstantinopel in Frage; für die Operationen gegen Rumänien 1916 erhielt es aber auch eine weitere strategische Bedeutung. Durch Aushilfe mit Personal, mit Lokomotiven und Wagen, durch Übernahme großer Bauten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, durch Einrichtung von Werkstätten und durch Betriebsführung auf der Strecke Nisch - Sofia wurde deutscherseits ausgeholfen. - Besonders große und schwer erfüllbare Anforderungen auf dem Gebiete des Verkehrswesens stellte die Türkei. Für ihre wichtigste militärische Aufgabe, die Verhinderung einer Besitznahme der Dardanellen durch die Entente und damit der gesicherten Versorgung Rußlands mit Kriegsmaterial von Westen her, konnte sie allerdings erst vom Ende 1915 ab genügend unterstützt werden. Gewaltige Schwierigkeiten aber waren zu überwinden, um die tür- [238] kischen Armeen auch nur notdürftig zu den Operationen in Klein-Asien zu befähigen. Mit der baulichen Herstellung der notwendigsten Verbindungen war nur ein erster Anfang erreicht, denn es fehlte den türkischen Bahnen in Klein-Asien für die militärischen Bedürfnisse an allem; und so mußten Personal, Betriebsmittel, Kohle, Schmier- und Reparaturmaterial aus Deutschland über Tausende von Kilometern zugeführt werden.

Auf allen Kriegsschauplätzen aber traten, um den Truppen den durch die Waffentechnik schwindelhaft gesteigerten Nachschubbedarf zuzuführen, neben die Vollbahn die Schmalspurbahnen. Die feindliche Artilleriewirkung gestattete die Benutzung der Vollbahnen in der Regel nur bis etwa 20 - 25 km hinter der vorderen Kampflinie. Von dieser Entfernung ab mußte der gesamte Nachschub mittels Kolonnen oder mit Schmalspurbahnen (Klein-, Feld- und Förderbahnen) vorgeführt werden. Die Anlage leistungsfähiger Entlade- und Umschlagbahnhöfe an den Endpunkten der Vollbahn war hierdurch nötig. Im allgemeinen wurde an den Hauptkampffronten angestrebt, die Versorgung eines jeden Divisionsabschnitts auf eine selbständige Feldbahn zu basieren; bei reichlicher Ausstattung mit Betriebsmitteln war sie leistungsfähig genug, um auch an Großkampftagen die Versorgung der Division, insbesondere mit Munition und Stellungsbaustoffen, sicherzustellen. Der Betrieb dieser Feldbahnen erfolgte in den rückwärtigen, der unmittelbaren Sicht des Feindes entzogenen Abschnitten mit Dampflokomotiven, während auf den Spitzenstrecken rauchlose, allerdings weniger leistungsfähige Benzollokomotiven verkehrten. Wo in vorderster Linie infolge feindlicher Einwirkung der maschinelle Betrieb der Feldbahn nicht mehr mit hinreichender Sicherheit durchgeführt werden konnte, mußten mit Hand- oder Pferdebetrieb bediente Förderbahnen aushelfen.

In Gebirgsgegenden (Karpathen, Mazedonien, Alpen) waren von den deutschen Bautruppen hergestellte Seilbahnen oft das einzige Mittel, um den erforderlichen Nachschub nach vorn zu bringen; ihre Leistungen blieben jedoch verhältnismäßig gering.

Die vorstehend geschilderten gewaltigen Gebiete des Feldeisenbahnwesens waren in ihrem Ersatz an Personal und Betriebsmitteln unmittelbar auf die deutschen Eisenbahnen angewiesen und schmälerten durch ihre Ansprüche an Bau- und Betriebsmaterialien aller Art - Schienen, Schwellen, Kohlen, Schmieröle seien besonders erwähnt - deren Ersatzbeschaffung. So konnte ihre Leistungsfähigkeit den besonders seit 1916 (Hindenburg-Programm) gesteigerten Anforderungen nicht mehr entsprechen. Der Feldeisenbahnchef mußte daher nach einer zweckmäßigen Entlastung der Eisenbahnen suchen, die in einer großzügig organisierten Heranziehung der Wasserstraßen unter Leitung der Schiffahrts-Abteilung des Feldeisenbahnchefs gefunden wurde.

Diese jahrelang für immer mehr sich steigernde Ansprüche ausgeübte zentrale Transportleitung auf den Eisenbahnen und Wasserstraßen Mittel- [239] Europas, die während der Besetzung der Ukraine 1918 auch die Verkehrswege Südrußlands bestimmend beeinflußte, arbeitete unter ganz eigenartigen und schwierigen Bedingungen. Während im Frieden eine stetige und allmähliche Entwicklung des Verkehrs es gestattet, den Transportapparat seinen vorhandenen oder wenigstens klar erkennbaren Bedürfnissen anzupassen, traten im Kriege die Anforderungen derart sprunghaft und dann dringend und massenhaft auf, daß nur den Ereignissen vorauseilende Maßnahmen ihnen gerecht werden konnten. Sie verlangten eine Leitung mit großer militärischer und verkehrspolitischer Phantasie und einen gegenüber Friedensverhältnissen zahlreichen Apparat, um auch überraschenden Forderungen jederzeit entsprechen zu können.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte