Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
[231]
Kapitel 6: Das
Militäreisenbahnwesen
(Eisenbahnen und Schiffahrt)
Oberst Stefan v. Velsen
1. Einleitung.
Eine wohlbezeugte Äußerung von Angehörigen verschiedener
Entente-Staaten lautet dahin, daß ihnen die Taten des deutschen
Militäreisenbahnwesens als die glänzendste Leistung Deutschlands
während des Weltkrieges erschienen sind. Der Eisenbahner kann diesem
Urteil nur mit Einschränkungen zustimmen. Ihm werden immer die
lodernde Begeisterung, die junge Regimenter unter den Klängen des
"Deutschland. Deutschland über alles" zum Angriff stürmen
ließ, das zähe, pflichttreue Ausharren der Braven im Trichterfelde des
Westens oder im Eis und Schnee des Ostens, die ganze geistige Erhebung, mit der
Volk und Heer lange Jahre gegen eine Welt von Feinden standhielten,
höher stehen, als jede organisatorische und technische Großtat.
Als eine wirkliche Großtat aber darf man mit Fug und Recht das deutsche
Militäreisenbahnwesen im Weltkriege preisen. Es hat als solche auch schon
während des Krieges viel Anerkennung gefunden, aber vorwiegend nur
wegen einiger technischer Glanzleistungen.
Die überragende Bedeutung der Eisenbahnen für alle Gebiete der
Kriegführung wurde bei Kriegsbeginn doch noch bei weitem nicht
ausreichend gewürdigt. Sie wurden als eins der vielen Mittel der
Kriegführung angesehen. Sie waren aber mehr, sie waren ein Teil der
"lebendigen Kraft des Volkes". Diesen Ausdruck hat der erste Feldeisenbahnchef,
General Groener, einmal so erläutert:
"Sie setzt sich zusammen aus der
wehrfähigen Mannschaft mal Eisenbahnen. Je weniger Eisenbahnen, desto
mehr Mannschaften, desto größere Verluste. Je mehr Eisenbahnen,
desto geringere Verluste im ganzen, mit desto geringeren Kräften sind
große entscheidende Schlachten zu schlagen. Moderne Operationen vermag
man überhaupt nicht mehr mittels der Menschenbeine auszuführen.
Wo keine Eisenbahnen vorhanden sind, kann man nicht führen, [232] kann man nicht
schlagen. Mit Millionenheeren wird man nur mittels der Eisenbahnen
fertig."
Die breite Öffentlichkeit sah aber auch nicht, wie in dem
Militäreisenbahnwesen das Zusammenwirken von Eisenbahntechnik und
Kriegführung in vorbildlicher Weise durchgeführt war. Nur aus dem
starken Stamm der deutschen Staatseisenbahnen konnte das
Militäreisenbahnwesen sich entwickeln und immer wieder ergänzen.
Ihnen waren die glänzenden betrieblichen Leistungen zu danken, die schon
bei Mobilmachung und Aufmarsch Erstaunen und Stolz des ganzen Volkes waren,
und die während des Krieges auf den vielen Fronten die deutsche
Kampfkraft vervielfachten. Die gewaltige eisenbahntechnische Leistung stand
aber wieder in so unlösbarem Zusammenhang mit den rein
militärischen, strategischen, taktischen und Versorgungsmaßnahmen
für das Millionenheer, daß die Heeresleitung selbst die Eisenbahnen
in ihrer Hand behalten mußte. Moltke hat hierfür einmal das Wort
gebraucht, daß im schnell lebenden Kriege die Kräfte der Technik
und Wissenschaft nicht alliiert, sondern Vasallen der Kriegführung sein
müssen.
Die nachfolgenden Darlegungen wollen die neuartige Bedeutung der Eisenbahnen
für alle Seiten der Kriegführung schildern, dabei beiden Seiten des
Militäreisenbahnwesens, der militärischen und der
eisenbahntechnischen, gerecht werden und auf ihrem Gebiet aus dem Kriege
heraus der Erkenntnis dienen, daß im Kriege nur das vertrauensvolle
Zusammenarbeiten aller Kräfte und ihr edler Wettbewerb zum
gemeinsamen Ziel die großen Erfolge zu zeitigen vermochte.
2. Friedensvorbereitungen.
Die militärische Bedeutung der Eisenbahnen haben seit ihren ersten
Anfängen volkswirtschaftliche und militärische Schriftsteller erkannt
und wissenschaftlich untersucht; List
und der spätere Generalfeldmarschall
v. Moltke seien als die bedeutendsten genannt. Die Kriege 1866 und
1870/71 brachten dann die ersten größeren praktischen Erfahrungen.
Sie ließen bei der Entwicklung in den nachfolgenden Friedensjahren die
Ausnutzung der Eisenbahnen zu Kriegszwecken in folgenden Hauptrichtungen
suchen.
Für Vorbereitung und Ausführung der Militärtransporte
wurden besondere Militäreisenbahnbehörden (die
Eisenbahnabteilung des großen Generalstabs und die
Linienkommandanturen bei allen größeren Eisenbahndirektionen)
geschaffen. In den Linienkommandanturen arbeiteten ein Offizier und ein
höherer Eisenbahnbeamter kollegialisch zusammen, während die
Eisenbahnabteilung mit dem Reichseisenbahnamt oder den bundesstaatlichen
Eisenbahnverwaltungen zur Regelung der grundsätzlichen Fragen in
Verbindung trat. Die Transportanforderungen der Linienkommandanturen gingen
an den bei [233] jeder
Eisenbahndirektion bestimmten Bevollmächtigten für
Militärangelegenheiten (Bbv.), der die betriebliche Durchführung der
Transporte vorbereitete und veranlaßte. Die militärischen
Maßnahmen zur Durchführung der Transporte, deren Umfang und
Bedeutung meist unterschätzt werden, waren dagegen die Aufgabe des
militärischen Mitglieds der Linienkommandantur oder der
Eisenbahnabteilung, die sich dazu unmittelbar an die zuständigen
Kommando- oder Verwaltungsbehörden
(General-Kommandos und Intendanturen)
wandten. - Neben dieser Sicherstellung der Militärtransporte auf den
deutschen Eisenbahnen galt es für den Krieg Behörden und
Formationen vorzusehen, die Eisenbahnen in Feindesland schnell wiederherstellen
und betreiben sollten. Die Forderungen stellte der Generalstab; mit der
Ausführung war die Inspektion der Eisenbahntruppen beauftragt. Sie
verfügte für die Bauformationen in den
Eisenbahn-Regimentern über eine hervorragend vorgebildete Truppe. Die
Behörden (Militäreisenbahndirektionen) und die Betriebsformationen
wurden aus dienstpflichtigem Personal der Eisenbahnverwaltungen gebildet; zu
Kommandeuren der Militäreisenbahndirektionen und in einigen
militärischen Stellen bei ihnen waren Offiziere der Eisenbahnabteilung des
Großen Generalstabes vorgesehen. - Ausschließlich im
Generalstab aber wurde das Zusammenwirken von Heer und Eisenbahn
weitergebildet. Leitend für diese Arbeit waren die vom Feldmarschall
Grafen Moltke und vom Grafen Schlieffen
aus der Durchforschung strategischer
und taktischer Fragen entwickelten Gesichtspunkte, die folgende
Aussprüche am treffendsten kennzeichnen:
"Die Eisenbahnen haben eine
militärische Bedeutung gewonnen, die sie zu den wichtigsten Mitteln der
Kriegführung zählen und bei allen strategischen Kombinationen
wesentlich in Betracht treten läßt"; (Moltke: Die operativen
Vorbereitungen zur Schlacht).
Und:
"Die Eisenbahnen sind zu einem
Kriegsmittel, zu einem Kriegswerkzeug geworden, ohne welches die großen
Armeen der Gegenwart weder aufgestellt, noch zusammengebracht, noch
vorwärtsgeführt, noch erhalten werden könnten. Man fragt
jetzt nicht nur nach der Zahl der Bataillone des Gegners, sondern auch nach der
Zahl seiner Eisenbahnlinien; man vergleicht nicht allein die Güte und
Tüchtigkeit der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Ausrüstung,
sondern man stellt auch fest, was die Eisenbahnen hier und drüben leisten
können. Seit 1866, vollends seit 1870 befinden wir uns somit in einer neuen
Periode der Kriegführung"; (Graf v. Schlieffen: Ansprache beim
25jährigen Stiftungsfest des
Eisenbahn-Bataillons I).
Auf diese neue Periode der Kriegführung waren die durch die Schule der
Eisenbahnabteilung des Generalstabs gegangenen Offiziere vorbereitet. Es war
somit natürlich und geboten, daß das unter tatkräftiger
Mitwirkung der deutschen Eisenbahnverwaltungen und der Eisenbahntruppen
geschmiedete Kriegswerkzeug der Leitung dieser Generalstabsoffiziere anvertraut
wurde, als der große Kampf um Deutschlands Dasein als Großmacht
begann.
[234] 3. Die ersten Aufgaben des Militäreisenbahnwesens
(Mobilmachung und Aufmarsch).
Die Friedensarbeit der Militäreisenbahnbehörden und der
Bahnbevollmächtigten aber hatte ihre erste Probe in der
Durchführung der Mobilmachungs- und Aufmarschtransporte zu bestehen.
Gewaltig allein schon war die zu befördernde Menge.
Einem Friedensheer von 760 900 Mann waren die
Ergänzungsmannschaften zuzuführen, um es auf die
Kriegsstärke von
2 746 000 |
Mann |
Feldheer |
1 088 000 |
" |
Heimatheer |
| |
Sa. 3 834 000 |
Mann |
|
zu bringen. Einige hunderttausend Pferde, viele tausend Kraftwagen waren zu
befördern. Dazu rollten die unübersehbaren Materialmengen
für Truppenverpflegung und -ausrüstung, für die Festungen
und für die Kohlenversorgung der Marine. In 17 991 Transporten
wurde - mit der Masse in der Zeit vom 3. bis 7. Mobilmachungstag (4. bis
8. August) - diese riesige Bewegung durchgeführt. Ihr schloß
sich der Aufmarsch an, bei dem vom 6. bis 15. Mobilmachungstag in
11 100 Transporten 3 120 000 Mann und 860 000
Pferde gefahren wurden, und zwar:
- Das Westheer, 7 Armeen, auf 14 selbständigen
Transportstraßen in das Aufmarschgebiet von Aachen bis in die Gegend von
Mülhausen im Elsaß;
- das Ostheer auf 8 Transportstraßen mit einer Armee in eine
Bereitstellung in der Linie Hohensalza - Insterburg, mit einem
Armee-Korps (Landwehr) nach Oberschlesien,
- Teile des Heimatheeres als Besatzung in die Festungen.
Am 14. August stand das Westheer zum Vormarsch bereit, am 11. August war die
Bereitstellung des Ostheeres durchgeführt.
Die betriebliche Leistung der deutschen Eisenbahnen war gewaltig. Nur der 1. und
2. Mobilmachungstag stand ihnen zur Verfügung, um den
bürgerlichen Personen- und Güterverkehr im Friedensfahrplan
abzuwickeln, um entsprechend den militärischen Bedürfnissen ihre
Lokomotiven und Wagen zu verschieben und um ihr Personal auf den um die
Mitternacht vom 2. zum 3. Mobilmachungstag einsetzenden Betrieb im
Militärfahrplan umzustellen. Erschwert wurde dieser Übergang noch
dadurch, daß schon vom 2. Tage ab nicht unerhebliche Heeresteile, die
für den Überfall auf Lüttich bestimmten, immobil
abbeförderten Infanterie-Brigaden und die zur Verstärkung des
Grenzschutzes vorgesehenen Kavallerie-Divisionen, zu fahren waren. Trotzdem
erfolgte die betriebliche Durchführung mit peinlichster Pünktlichkeit.
Diese Zuverlässigkeit, mit der sich [235] die erste
Betätigung des Millionenheeres vor den Augen des ganzen Landes
abspielte, hat nicht wenig dazu beigetragen, das Vertrauen des deutschen Volkes
in sein Heer und seine Führung zu bestärken.
Die gesicherte betriebliche Durchführung war tatsächlich auch nur
dadurch möglich, daß die Eisenbahnabteilung des Generalstabs mit
umfassender Übersicht über die großen Ziele der strategischen
Aufgabe und über die für ihre Durchführung in Betracht
kommenden militärischen Einzelheiten, aber auch mit vollem
Verständnis für die eisenbahntechnischen Grundlagen die
Transportanordnungen bearbeitet hatte. Für fast 30 000 Transporte
lagen die Unterlagen so lücken- und fehlerlos bereit, daß die
militärischen Kommandobehörden daraufhin ohne weiteres die
militärischen Befehle, die Bahnbevollmächtigten den
Außendienststellen der Eisenbahnen die betrieblichen Anweisungen geben
konnten. Zur Bearbeitung einer derartigen Riesenaufgabe, die 42 Jahre lang
für jedes Mobilmachungsjahr von neuem erfolgen mußte, hatte sich
naturgemäß ein vollkommenes schematisches System entwickelt.
Seine Beherrschung war für den Offizier der Eisenbahnabteilung eine
Notwendigkeit, erschien aber den meisten Außenstehenden als seine
Hauptaufgabe, während es nur ein erster Auftakt zu der viel umfassenderen
Tätigkeit im Gebiet des Feldeisenbahnwesens war.
4. Übersicht über den Wirkungskreis
des Militäreisenbahnwesens während des
Krieges.
General-Feldmarschall v. Moltke
hatte folgenden Erfahrungssatz nach dem Kriege
1870/71 aufgestellt:
"Anders wie bei sonstigen
Kommunikationsmitteln bilden die Eisenbahnen einen über Hunderte von
Meilen reichenden, zusammenhängenden Organismus, dessen Wirksamkeit
abhängig ist von dem übereinstimmenden und ineinandergreifenden
Wirken und der technischen Vorbildung und Leistungsfähigkeit aller Teile.
Dies macht es teilweise unerläßlich, den gesamten Betrieb der
Bahnen einer mit Machtvollkommenheit ausgestatteten
Militärbehörde zu unterstellen, aber auch jegliche Einmischung der
Truppenbefehlshaber in den Betrieb aufs strengste
auszuschließen."
Diese Gedanken waren maßgebend für die Übertragung
diktatorischer Befugnisse für alle mit der Beförderung der
bewaffneten Macht und ihrer Bedürfnisse zusammenhängenden
Fragen an den Chef des Feldeisenbahnwesens.
Die gesamten deutschen Eisenbahnen wurden als im Kriegsbetrieb befindlich
erklärt. Sie sollten zur Ausnutzung der operativen Lage auf der inneren
Linie jederzeit bereit sein, größere Truppenbewegungen zwischen
den verschiedenen Kampffronten auszuführen. Auf Grund des
Kriegsleistungsgesetzes und der Militärtransportordnung war der
Feldeisenbahnchef in der Lage, nicht nur militärische Transporte aller Art
anzuordnen, sondern auch Bestimmungen über die Einschränkung
und Wiederzulassung des öffentlichen [236] Verkehrs zu treffen.
Bei allen deutschen Eisenbahnverwaltungen, ganz besonders bei der
größten, den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen, unter
dem verdienstvollen Minister v. Breitenbach, fanden die
militärischen Forderungen aber jederzeit soviel verständnisvolles
Entgegenkommen, daß die Anordnungsbefugnis stets in vollstem
Einvernehmen zwischen den zivilen Stellen und dem Feldeisenbahnchef
ausgeübt wurde.
Durch ihren mustergültigen Friedensbetrieb waren die deutschen
Eisenbahnen für alle militärischen Aufgaben glänzend
vorbereitet. Im industriellen Westen bestand ein dichtes, leistungsfähiges
Netz meist zweigleisiger Eisenbahnen, das allen Anforderungen moderner
Massenheere gewachsen war. Im Osten bot nur Oberschlesien ähnlich
günstige Verhältnisse, während in den übrigen rein
agrarischen Grenzprovinzen das weniger dichte und, besonders in den
Grenzstrecken, vielfach eingleisige Bahnnetz für den modernen Krieg, den
Eisenbahnkrieg, vielfach nicht genügte.
Durch das Hineintragen des Krieges in das feindliche Gebiet waren im Westen
gleich nach Kriegsbeginn die luxemburgischen, belgischen und
nordfranzösischen Bahnen in deutschen Betrieb zu nehmen, im Osten vom
Spätherbst 1914 ab, in größtem Umfang aber erst im Jahre
1915 große russische Eisenbahngebiete. Später traten noch hinzu der
Hauptteil der serbischen Bahnen (1915), die rumänischen Bahnen in der
Wallachei und in der Dobrudscha (1916). Der Betrieb wurde als deutscher
Militärbetrieb eingerichtet; er unterstand dem Feldeisenbahnchef, wurde
durch militärische Eisenbahnbehörden geleitet und durch
militärische Betriebsformationen ausgeübt. Ihm wurden Aufgaben
gestellt, die turmhoch über das hinausgingen, was in früheren
Kriegen von den Eisenbahnen im besetzten Gebiet geleistet war. Dort hatte eine
provisorische Betriebsführung genügt, die den Nachschub wenig
zahlreicher Heere notdürftig bewältigte. Wie notdürftig, das
zeigt am besten die Belagerung von Paris 1870/71, bei der die Beschießung
durch die Schwierigkeit in der Heranführung der
Belagerungs-Artillerie und der Munition um viele Wochen verzögert
wurde.
Jetzt galt es einen Betrieb zu organisieren, der für die Durchführung
operativer Massentransporte, für die Zufuhr der ins Ungemessene
gesteigerten Heeresbedürfnisse aller Art, für den aus
militärischen und kriegswirtschaftlichen Gründen wichtigen
umfangreichen Abschub vom Feldheer und aus dem besetzten Gebiet zur Heimat,
für den einen ganz ungeahnten Umfang annehmenden militärischen
Reiseverkehr, schließlich selbst für den
Personen- und Güterverkehr der Zivilbevölkerung betriebliche
Leistungen auszuführen hatte, die hinter denen der verkehrsreichsten
deutschen Strecken nicht zurückblieben, sie auf einigen Linien des
westlichen Kriegsschauplatzes sogar nicht unerheblich übertrafen.
Diese Leistungen waren mit den wenigen militärischen
Eisenbahn-Betriebstruppen, die nach dem Mobilmachungsplan aufgestellt
wurden, nicht zu erzielen. [237] Es mußte
zahlreiches Eisenbahnpersonal von den heimischen Verwaltungen zur
Verfügung gestellt und, in Betriebsformationen gegliedert, eingesetzt
werden. Das Zusammenarbeiten mit straff organisierten staatlichen
Eisenbahnverwaltungen hat die Aufstellung dieser zivilen Betriebsformationen
und ihre Eingliederung in den Militärbetrieb sehr erleichtert. Wenngleich
das Fehlen von Reichseisenbahnen eine gewisse Buntscheckigkeit bei diesen
Formationen zur Folge hatte, verhalf die dem Personal aller deutschen
Eisenbahnverwaltungen innewohnende ernste Dienstauffassung und Pflichttreue
schnell zu einheitlicher Ausübung der Tätigkeit.
Aber nicht nur für die in deutschem Militärbetrieb befindlichen
Bahnen mußten vom Feldeisenbahnchef Personal und Material der
deutschen Staatsbahnen in Anspruch genommen werden. Die strategischen
Zusammenhänge der verschiedenen Kriegsschauplätze, das immer
wiederkehrende Bedürfnis, deutsche Truppen zum Zusammenwirken mit
den Verbündeten einzusetzen, schließlich die kriegswirtschaftliche
Bedeutung des Warenaustausches zwischen den verbündeten
Ländern und den besetzten Gebieten machten es erforderlich, daß der
deutsche Feldeisenbahnchef auch auf die Verkehrswege bei den
Verbündeten Einfluß nahm.
In Österreich-Ungarn waren die Bahnen im Innern ziemlich
leistungsfähig; in den Operationsgebieten, besonders in Ostgalizien und in
Siebenbürgen, verlangten sie aber doch während des Krieges
erhebliche Erweiterungen. Für den angespannten Kriegsverkehr aber fehlte
es Österreich-Ungarn in erheblichem Umfange an Lokomotiven, Wagen
und Kohlen, die die deutschen Eisenbahnverwaltungen auf Anfordern des
Feldeisenbahnchefs zur Verfügung stellen mußten. Für
Transitzwecke spielte die Donau eine sehr erhebliche Rolle, die über einen
leistungsfähigen Schiffspark, aber über sehr vorsündflutliche
Umschlagsverhältnisse verfügte. Auf diesem Gebiet ist
deutscherseits im Zusammenwirken zwischen Feldeisenbahnchef und
Zentral-Einkaufs-Gesellschaft sehr viel gebessert
worden. - Das Bahnnetz des rein agrarischen Bulgarien kam in erster Linie
für die deutsche Oberste Heeresleitung als Weg nach Konstantinopel in
Frage; für die Operationen gegen Rumänien 1916 erhielt es aber auch
eine weitere strategische Bedeutung. Durch Aushilfe mit Personal, mit
Lokomotiven und Wagen, durch Übernahme großer Bauten zur
Steigerung der Leistungsfähigkeit, durch Einrichtung von
Werkstätten und durch Betriebsführung auf der Strecke
Nisch - Sofia wurde deutscherseits
ausgeholfen. - Besonders große und schwer erfüllbare
Anforderungen auf dem Gebiete des Verkehrswesens stellte die Türkei.
Für ihre wichtigste militärische Aufgabe, die Verhinderung einer
Besitznahme der Dardanellen durch die Entente und damit der gesicherten
Versorgung Rußlands mit Kriegsmaterial von Westen her, konnte sie
allerdings erst vom Ende 1915 ab genügend unterstützt werden.
Gewaltige Schwierigkeiten aber waren zu überwinden, um die
tür- [238] kischen Armeen auch
nur notdürftig zu den Operationen in
Klein-Asien zu befähigen. Mit der baulichen Herstellung der notwendigsten
Verbindungen war nur ein erster Anfang erreicht, denn es fehlte den
türkischen Bahnen in Klein-Asien für die militärischen
Bedürfnisse an allem; und so mußten Personal, Betriebsmittel, Kohle,
Schmier- und Reparaturmaterial aus Deutschland über Tausende von
Kilometern zugeführt werden.
Auf allen Kriegsschauplätzen aber traten, um den Truppen den durch die
Waffentechnik schwindelhaft gesteigerten Nachschubbedarf zuzuführen,
neben die Vollbahn die Schmalspurbahnen. Die feindliche Artilleriewirkung
gestattete die Benutzung der Vollbahnen in der Regel nur bis etwa
20 - 25 km hinter der vorderen Kampflinie. Von dieser
Entfernung ab mußte der gesamte Nachschub mittels Kolonnen oder mit
Schmalspurbahnen (Klein-, Feld- und Förderbahnen) vorgeführt
werden. Die Anlage leistungsfähiger
Entlade- und Umschlagbahnhöfe an den Endpunkten der Vollbahn war
hierdurch nötig. Im allgemeinen wurde an den Hauptkampffronten
angestrebt, die Versorgung eines jeden Divisionsabschnitts auf eine
selbständige Feldbahn zu basieren; bei reichlicher Ausstattung mit
Betriebsmitteln war sie leistungsfähig genug, um auch an
Großkampftagen die Versorgung der Division, insbesondere mit Munition
und Stellungsbaustoffen, sicherzustellen. Der Betrieb dieser Feldbahnen erfolgte
in den rückwärtigen, der unmittelbaren Sicht des Feindes entzogenen
Abschnitten mit Dampflokomotiven, während auf den Spitzenstrecken
rauchlose, allerdings weniger leistungsfähige Benzollokomotiven
verkehrten. Wo in vorderster Linie infolge feindlicher Einwirkung der
maschinelle Betrieb der Feldbahn nicht mehr mit hinreichender Sicherheit
durchgeführt werden konnte, mußten mit
Hand- oder Pferdebetrieb bediente Förderbahnen aushelfen.
In Gebirgsgegenden (Karpathen, Mazedonien, Alpen) waren von den deutschen
Bautruppen hergestellte Seilbahnen oft das einzige Mittel, um den erforderlichen
Nachschub nach vorn zu bringen; ihre Leistungen blieben jedoch
verhältnismäßig gering.
Die vorstehend geschilderten gewaltigen Gebiete des Feldeisenbahnwesens waren
in ihrem Ersatz an Personal und Betriebsmitteln unmittelbar auf die deutschen
Eisenbahnen angewiesen und schmälerten durch ihre Ansprüche an
Bau- und Betriebsmaterialien aller
Art - Schienen, Schwellen, Kohlen, Schmieröle seien besonders
erwähnt - deren Ersatzbeschaffung. So konnte ihre
Leistungsfähigkeit den besonders seit 1916
(Hindenburg-Programm) gesteigerten Anforderungen nicht mehr entsprechen. Der
Feldeisenbahnchef mußte daher nach einer zweckmäßigen
Entlastung der Eisenbahnen suchen, die in einer großzügig
organisierten Heranziehung der Wasserstraßen unter Leitung der
Schiffahrts-Abteilung des Feldeisenbahnchefs gefunden wurde.
Diese jahrelang für immer mehr sich steigernde Ansprüche
ausgeübte zentrale Transportleitung auf den Eisenbahnen und
Wasserstraßen Mittel- [239] Europas, die
während der Besetzung der Ukraine 1918 auch die Verkehrswege
Südrußlands bestimmend beeinflußte, arbeitete unter ganz
eigenartigen und schwierigen Bedingungen. Während im Frieden eine
stetige und allmähliche Entwicklung des Verkehrs es gestattet, den
Transportapparat seinen vorhandenen oder wenigstens klar erkennbaren
Bedürfnissen anzupassen, traten im Kriege die Anforderungen derart
sprunghaft und dann dringend und massenhaft auf, daß nur den Ereignissen
vorauseilende Maßnahmen ihnen gerecht werden konnten. Sie verlangten
eine Leitung mit großer militärischer und verkehrspolitischer
Phantasie und einen gegenüber Friedensverhältnissen zahlreichen
Apparat, um auch überraschenden Forderungen jederzeit entsprechen zu
können.
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