Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 5: Die
Nachrichtenmittel (Forts.)
Hauptmann Rudolf Schmidt
5. Die Ansprüche der verschiedenen
Fronten.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatze hatten die ersten beiden Kriegsjahre
mit ihrem langanhaltenden Bewegungskriege, den gewaltigen Vormärschen
und plötzlichen Rückzügen ganz besonders hohe
Anforderungen an die hier zunächst stiefmütterlich ausgestatteten
und spärlicher vorhandenen Telegraphentruppen gestellt. Der
Entschlußkraft und Erfindungsgabe der Führer von
Nachrichtenverbänden bot sich hier ein weites Feld. Später wurden
die Stellungskriegsverhältnisse denen im Westen ähnlich, sowohl
was die ruhigen als auch die Hauptangriffsfronten anging
(Narocz-See, Baranowitschi, Brussilow-Offensive). Und trotzdem brachte es die
ganze Natur der Lage und des Landes mit sich, daß auch die schwersten
Kämpfe hier erträglicher schienen als im Westen.
Die vielen eigenen Offensiven, Vormärsche,
Flußübergänge, weitreichende schnelle Verfolgungen in
unwegsamem Gelände, aber auch die rückgängigen
Bewegungen in Polen boten der Nachrichtentruppe reichlich Gelegenheit, immer
in Bewegung zu bleiben und Abwechslung zu erleben. Die Expeditionen [226] nach Finnland und
Ösel, die streifzugartige Kriegführung gegen die Bolschewisten,
stellten die Nachrichtentruppe vor neue Aufgaben, die aber dank der
Dienstfreudigkeit und Hingebung von Führern und Truppen restlos
gelöst wurden. Während im Westen alles unbeweglich im
Stellungskriege festlag, mußte für die Unternehmungen im Osten die
Truppe wieder beweglich gemacht werden. Die gern gesehenen braven
Panjepferde erschienen, und bald konnte der Führer die Fülle seiner
wirklich mit Pferden versehenen und vorwärtsfahrenden Fahrzeuge nicht
mehr übersehen.
Der ganze Charakter der Ostkämpfe, wohl auch die Natur des Gegners,
brachten es trotz der schweren Kämpfe und der großen
Anstrengungen, die durch das Klima und das unwirtliche Land noch vermehrt
wurden, mit sich, daß sich jede Truppe freute, wenn sie aus dem
blindwütigen Massen- und Materialanprall im Westen herauskam und sich
im Osten betätigen konnte. Die Stimmung hob sich, das Selbstvertrauen
wuchs und neu gestärkt erschien man wieder im Westen, um den
neidischen dort gebliebenen Kameraden von dem buntbewegten Feldzugsleben im
Osten zu erzählen.
[224a]
Bulgarische Telephon- und Beobachtungsstation an der
Salonikifront.
|
Ganz andere Forderungen stellte wieder der Südosten, Serbien, Albanien,
Thrazien und Rumänien an die Nachrichtentruppe. Ochsengespanne,
Tragetiere in den serbischen Bergen, Pferde, Kraftwagen bei dem raschen
Vordringen in der rumänischen Ebene. Hier kamen die Funkenstationen
richtig zur Geltung, hier konnten sie den Fernsprecher ersetzen! Auch das
Blinkgerät leistete wieder Vortreffliches.
Und welche Abteilung nun erst das Glück hatte, den Feldzug in Italien zu
erleben! Wie gern hätte da jeder mitgemacht. Keine leichte Arbeit war es
für den Nachrichtenchef, für den Gebirgskrieg konstruierte
Funkstellen und Fernsprechtrupps mit Tragetieren und Gebirgskarren
bereitzustellen und so die Truppe für den Alpenkrieg zu organisieren. Dank
der Funkenstationen riß die Verbindung nicht ab, als der Fernsprecher dem
schnellen Vormarsch in der Po-Ebene nicht schnell genug folgen konnte.
Auf dem asiatischen Kriegsschauplatze wurden nur freiwillige
Nachrichtentruppen verwandt. Zum Teil waren in den Verbänden
Führer und Unteroffiziere deutsch, der Rest des Verbandes Eingeborene.
Diese Mischung gab in sprachlicher und militärischer Beziehung ganz
erhebliche Schwierigkeiten. Syrien, Palästina,
Sinai-Halbinsel, Mesopotamien und Persien waren das Reich der Funker. Auf
dem Gerippe der festen Funkstellen von Damaskus, Aleppo, Jerusalem sich
aufbauend, dehnte sich ein weitmaschiges Funknetz aus. Bagdad mußte
leider aufgegeben werden. Funker begleiteten die kühnen Expeditionen
nach Persien und Afghanistan.
Welcher Funkeroffizier hätte wohl je daran gedacht, wenn er auf dem
Tempelhofer Feld im Frieden seine Funkenstation exerzierte, daß er einst
im Wüstensand unter dürftigem Sonnensegel sehnsüchtig die
Heimatstimmen aus [227] der Luft abhören
würde, während dicht dabei seine Wüstenschiffe prustend und
käuend lagen?
Nur wenige Waffengattungen sind in diesem Kriege so herumgekommen und als
die äußersten Vertreter des Deutschtums aufgetreten wie die
Angehörigen der Nachrichtentruppe.
Ob es die Krim, der Kaukasus, Palästina, Persien, Italien, Frankreich und
Finnland waren, die Nervenstränge der deutschen Kriegsmacht und der
obersten Führung dorthin waren die Nachrichtenverbindungen. Und wenn
der Leistungen der tapferen
Verteidiger der Kolonien gedacht wird, sollen die
Leistungen der Funkenstationen, der Heliographen- und Signalstationen, des
Fernsprechers und Telegraphen, die dort unter den schwierigsten
Verhältnissen betrieben wurden, unvergessen bleiben.
So war mit Ausgang des Krieges die Nachrichtentechnik erst richtig zur vollen
Kraft gelangt. Die Erfahrungen auf diesem Gebiet häuften sich;
Großes war in Vorbereitung, kam aber nicht mehr zur Ausführung, da
von August 1918 ab die unheilvollen Ereignisse sich überstürzten
und der jähe Kriegsschluß allem Streben und Arbeiten ein Ziel
setzte.
6. Das militärische Nachrichtenwesen bei
Kriegsschluß.
Zu dem bei Kriegsbeginn allein im Heere an Nachrichtenmitteln vorhandenen
Fernsprechapparat, den leichten und schweren bespannten
Funkentelegraphen-Stationen waren im Verlauf des Krieges der Klopfer,
Fernschreiber und Schnelltelegraph, Erdtelegraph, Utel (unabhörbarer
Telegraph), Abhörstationen,
Kraftwagen-Funkstellen, Funkenkleinstationen jeder Art, Richtempfangsstationen,
Blinkgerät, Flugzeug- und Luftschiffunkstationen, Brieftauben, Hunde,
Licht-und Schallsignale, Nachrichtenminen (hohle Geschosse, die im Innern die
geschriebene Meldung bargen und einige
100 - 1000 m weit geschossen werden konnten)
hinzugekommen. Eine Fülle von Apparaten verschiedenster Art und
Anwendung, die zeigen, wie vielseitig und schwierig der Dienst der
Nachrichtentruppe war. Das zu Kriegsbeginn mehr zufällig entdeckte
Gebiet des planmäßigen Abhörens feindlicher
Funksprüche durch Funkenstationen, die Entzifferung des Textes und
Auswertung für die Führung war zu einem über alle
Kriegsschauplätze sich erstreckenden, bis ins feinste ausgearbeiteten
System geworden, das mit Hilfe des besonderen Funkenempfangsdienstes und der
Richtempfangsstationen der Führung die wichtigsten Unterlagen für
die Erkundung der feindlichen Kräfte und ihrer Verschiebungen bot. Es
wurde ergänzt durch die Tätigkeit der die feindliche Front
abtastenden Graben-Abhörstationen. Die Skizze der
Nachrichtenverbindungen einer Landwehrdivision (s. Anlage 2)
zeigt den Umfang dieser Anlagen.
Wenn einst im frisch-fröhlichen Bewegungskrieg alter Art durch
Kavallerie-Divisionen, Aufklärungs-Eskadrons und Patrouillen die
Nachrichten über den [228] Feind eingebracht
wurden, so wurde im Weltkriege die Fern- und teilweise die Nahaufklärung
durch die Nachrichtenmittel der Nachrichtentruppe und den Flieger
übernommen. Auch der Feind nutzte die Nachrichtentechnik in
ähnlicher Weise. Er war dank seiner unerschöpflichen Rohstoffe und
des innigeren Zusammenhanges, der bei ihm zwischen Führung und
Technik bestand, sogar in der Anwendung dieser Mittel manchmal weiter als das
deutsche Heer, obwohl die deutschen Techniker den seinen weit überlegen
waren. Auch er hörte den deutschen Funkverkehr und die
Ferngespräche in der vorderen Linie ab, wobei er in letzterem Falle
vielleicht mehr Ergebnisse hatte als die deutschen Nachrichtler. Denn schwer war
es, die Truppe zur Vorsicht bei den Gesprächen auf
den - sämtlich abhörmöglichen
Leitungen - zu bringen.
Immerhin konnten, wie auch schon an früherer Stelle näher
ausgeführt, durch planmäßige, zur Täuschung
aufgebaute Funkenstationen und geschickt vorgetäuschte
Telephongespräche in Verbindung mit sonstigen
Täuschungsmaßnahmen in manchen Fällen, besonders vor den
Offensiven in Italien 1917 und beim großen Frühjahrsangriff 1918,
die eigenen Absichten derart verschleiert werden, daß der Gegner
irregeführt und von der eigentlichen Angriffsstelle abgelenkt wurde.
Auch darin liegt eine Verwendung der Nachrichtenmittel, die bei Kriegsbeginn
kaum glaubhaft gewesen wäre.
Die Telegraphentruppe war 1914 mit 550 Offizieren und 5800 Mann ins Feld
gerückt, durch die Mobilmachung erhöhte sich die Zahl auf rund 800
Offiziere und 25 000 Mann.
Bei Kriegsschluß war sie stark: |
4 381 |
Offiziere, |
185 000 |
Mann. |
An Formationen waren vorhanden:
a) bei Kriegsbeginn: |
7 |
Etappen-Telegraphendirektionen, |
7 |
Armee-Telegraphenabteilungen, |
36 |
Kriegs- und Divisions-Fernsprechabteilungen, |
8 |
Festungs-Fernsprechkompagnien, |
2 |
Fernsprechzüge besonders, |
7 |
Funkerkommandos, |
36 |
Funkenstationen, |
7 |
Etappen-Fernsprechdepots, |
9 |
Telegraphen-Ersatzbataillone, |
b) bei Kriegsschluß: |
52 |
Heeresgruppen- und Armee-Fernsprechabteilungen, |
304 |
Gruppen- und Divisions-Fernsprechabteilungen, |
15 |
Festungs-Fernsprechabteilungen, |
[229]
377 |
Fernsprechzüge besonders, |
247 |
Funkerabteilungen, |
46 |
Funkenstationen besonders, |
250 |
Fliegerhafenstationen, |
66 |
Blinkerzüge, |
über 1000 |
Brieftaubenschläge, |
272 |
Abhörstationen, |
8 |
Meldehundstaffeln, |
22 |
Nachrichtenparks, |
28 |
Nachrichtenschulen, |
25 |
Nachrichten-Ersatzabteilungen. |
Außerdem hatte man sich endlich im Sommer 1918 entschlossen,
überall vom Armee-Oberkommando nach rückwärts die
männlichen im Nachrichtendienst beschäftigten Kräfte zur
Verwendung bei den Front-Nachrichtentruppen herauszuziehen, wo sie dringend
benötigt wurden, und sie durch weibliche Kräfte zu ersetzen. Um
eine Wiederholung der nicht sehr erfreulichen Zustände des Hilfsdienstes
zu vermeiden, sollten diese Nachrichtlerinnen straff in militärische
Organisationen zusammengefaßt werden.
Dieses weibliche Nachrichtenkorps war bei Kriegsschluß erst in der
Aufstellung begriffen und trat nicht mehr in Tätigkeit. Es hätte sicher
Vorzügliches geleistet, wenn man von dem im Jahre 1919 im
ostpreußischen Grenzschutz verwendeten freiwilligen weiblichen
Nachrichtenkorps darauf schließen kann. Bedauerlich ist es nur, daß
erst so spät die hemmenden Vorurteile bei den leitenden Stellen gegen eine
derartige Erfassung der Volkskräfte fielen.
Die Front-Nachrichtentruppe rückte mit ihren Divisionen und Korps in die
Heimat. Die im rückwärtigen Gebiete befindlichen unterschieden
sich leider nicht von den übrigen
Etappen- usw. Truppen.
Hierbei zeigte es sich, daß für eine Truppe, in der jeder einzelne als
Folge seiner dienstlichen Verwendung oft
tage- und wochenlang allein ohne Aufsicht an verantwortungsvoller Stelle steht,
gerade der beste Ersatz gut genug ist.
Von der Nachrichtentruppe und der Reichs-Telegraphenverwaltung war im
Verlauf des Krieges über ganz Europa und einen Teil Asiens ein
Nachrichtennetz (Telegraphen,
Fernsprech- und Funknetz) gebaut worden, wie es die Welt noch nie gesehen hatte
(s. Anlage 1).
[Beilage zu Bd. 6]
Linienkarte der vorhandenen Telegraphen-Fernsprech- u.
Fernschreiber-Leitungen
vom Großen Hauptquartier nach dem Stande vom 1. Januar
1916. [Vergrößern]
|
Nach dem Westen führten die größten Leitungszüge
über Magdeburg - Hannover -
Düsseldorf - Herbesthal, über
Coblenz - Eifel - St. Vith, über
Frankfurt a. M. - Kreuznach -
Saarbrücken oder Trier. Nach dem Osten über
Berlin - Königsberg - Kowno -
Riga - Helsingfors, über
Thorn - Kowno - Wilna, über
Posen - Warschau - Brest-Litowsk nach Kiew, über
Breslau - Budapest - Nisch - Sofia -
Konstantinopel nach Aleppo und Bagdad, über
Bukarest - Konstanza nach Konstantinopel. Das Funknetz stand mit
Amerika bis zu dessen [230] Kriegseintritt (Station
Tukkerton), mit den Kolonien bis zu ihrer Eroberung in Verbindung.
Die Gesamtmengen an verbrauchtem Leitungsmaterial, also Draht und Kabel,
ergaben eine Leitungslänge von 6 Millionen Kilometer. Die Drahtmenge
würde ausreichen, um längs des Äquators 130 Leitungen zu
ziehen.
7. Rückblick und
Ausblick.
"Sichere und schnelle taktische Durchführung strategischer Dispositionen
ist einer der wichtigsten Grundsätze der Kriegskunst." Je ausgedehnter die
Räume sind, in denen die kriegerischen Operationen stattfinden, je
größer die Massen, die darin bewegt werden
müssen - auf die heutigen Verhältnisse in der Reichswehr
angewandt: je kleiner die Massen - desto größere Bedeutung
fallen den technischen Nachrichtenmitteln zu. Eigentlich hätte dies in der
heute doch so technisch denkenden und fühlenden Zeit ganz klar sein, auch
mühelos aus den Kriegsereignissen selbst gefolgert werden müssen,
und doch war dem nicht so. Im Gegensatze zu den Engländern, Franzosen
und Amerikanern herrschte im deutschen Heere noch während des Krieges
(und oft gerade in den berufenen Kreisen) eine Art
gefühlsmäßiger Abneigung gegen alles Technische, in
gewisser Weise erklärlich, aber doch manchmal recht hemmend.
Im Gegensatz zu dem früheren Nebeneinanderhergehen der
Nachrichtenmittel, hat der Krieg die gegenseitige Ergänzung aller
Nachrichtenmittel gebracht. Den Befehl, die Meldung sicher und schnell an Ort
und Stelle zu bringen, war die Hauptsache, und hierzu war jedes Mittel recht. War
zu erwarten, daß das eine Nachrichtenmittel versagen könnte, so
setzte der Führer zur Ergänzung gleich ein anderes, für diesen
Fall geeigneteres ein; von seinem Verständnis für die Eigenart jedes
Falles hing es ab, ob er das richtige wählte. Der Sinn der Bezeichnung
"Nachrichtentruppe" ist daher auch der, daß von ihr alle Nachrichtenmittel
benutzt werden, um den Führerwillen und die Nachrichten vom Feinde zu
übermitteln. Alle Stellen, alle Truppen eines Heeres benötigen
Nachrichtenverbindungen. Diese sind gewissermaßen die Nerven, die erst
die Funktionen der einzelnen Glieder, der Infanterie, Artillerie usw.
auslösen. Sie durchdringen die ganze Armee. Die Kenntnis der
Nachrichtenmittel und das Verständnis für das Nachrichtenwesen
müssen daher Allgemeingut eines brauchbaren Heeres werden. Ohne diese
Kenntnisse und ohne weitgehendes Verständnis bei Führer und
Truppe wird auch die beste sonstige militärische Ausbildung nicht mehr
anwendungsfähig sein.
So mögen die Kriegserfahrungen im Nachrichtenwesen voll ausgenutzt
werden. Und wenn auch der "Frieden von Versailles" die praktische Ausnutzung
heute unmöglich macht, so vermag er nicht, einer geistigen Verarbeitung
und Auswertung Fesseln anzulegen.
|