Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
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Kapitel 5: Der
Karpathenwinter
Feldmarschalleutnant Josef Metzger
Die Vorgänge des Karpathenwinters können hier nur in ihren
Hauptzügen und in ihren Folgen gekennzeichnet werden. Als wesentliches
Merkmal dieser Winterkämpfe ist vor allem die zahlenmäßige
Überlegenheit des Feindes hervorzuheben. Sie war im tatsächlichen
Gefechtsstand noch weit fühlbarer als in der Zahl der Divisionen.
Die Meldungen für den 30. Dezember 1914 ergaben für alle
österreichisch-ungarischen Streitkräfte der Ostfront einen
Kampfstand von 270 000 Gewehren. Davon standen 90 000 der 1.
und 2. Armee in Russisch-Polen, blieben also 180 000 Gewehre für
die ganze Front von der Weichsel bis zur rumänischen Grenze. Bei vielen
Divisionen waren die Stände auf Regimentsstärke gesunken; es
mußten Monate vorübergehen, ehe sie wieder Brigadestärke
erreichen konnten. So groß waren trotz zugeführter Ersätze die
Abgänge während der ersten fünf Kriegsmonate im ungleichen
Kampf gegen den übermächtigen russischen Angriff, der nur durch
Vervielfältigung der eigenen Kräfte, durch größte
Beweglichkeit und durch wiederholten Einsatz derselben Truppen an anderer
Stelle abgewehrt werden konnte.
Die russischen Kräfte in Galizien und in der Bukowina mit ihrem
Gefechtsstand von etwa 500 000 Mann waren mehr als doppelt so stark.
Für die Neujahrszeit 1915 kann dieses Verhältnis als sicher gelten,
im Laufe des Winters besserte es sich nach und nach zugunsten der
Verbündeten. Wenn auch die Stände der Russen trotz enormer
Verluste durch Heranführen von Truppen aus Polen bis Ende Januar um
100 000 Mann und bis Ende April noch um weitere 100 000 Mann
anstiegen, so erreichten doch auch die k. u. k. Armeen durch
Einreihen von Ersätzen, durch die Verschiebung der 2. Armee und eines
Teiles der 1. Armee in die Karpathen und durch Heranziehen von drei Korps der
Balkanstreitkräfte bis zum 10. März 1915 in Galizien und in der
Bukowina einen Kampfstand von 380 000 Mann, zu dem noch etwa
50 000 Mann deutscher Kampftruppen traten. Grell beleuchten diese
Zahlen die Ungunst der Lage zu Beginn des Jahres 1915.
Damals schien es mit dem Einbruch der Russen über das Gebirge nach
Ungarn ernst zu werden. Der Westflügel der 3. Armee mußte die
Abwehr an den Ondavafluß zurückverlegen; in der Duklafurche
drängte der Feind [91] lebhaft nach; in der
Neujahrsnacht ging der Uzsokpaß verloren. Nun mußte auch
östlich davon die Gruppe Hofmann, die im Herbst wiederholt erfolgreich
ins Karpathenvorland vorgestoßen hatte und am Vereckesattel hielt, hinter
den Hauptkamm weichen. Bei der Armee Pflanzer-Baltin
in den östlichen
Waldkarpathen hatten sich die Neuformationen und Landsturmtruppen unter der
festen Hand ihres Armeeführers zwar konsolidiert; es konnte aber nicht
erwartet werden, daß sie ohne ausgiebige Verstärkung durch
Linientruppen auf die Dauer ihre schweren Aufgaben erfüllen
könnten.
In der Bukowina hatte Oberst Fischer mit einer Handvoll Gendarmen und
Freikorps im Oktober Czernowitz gegen vielfache Übermacht genommen
und sich dort bis zum 26. November gehalten, wurde aber doch im Laufe des
Monats Dezember in den Südteil des Landes
zurückgedrängt.
In der Karpathenschlacht konnten die geringen Kräfte die Abwehr des
Gegners durch bloß passives Verhalten keinesfalls erreichen.
Schließlich mußte es - wenn sie dieses Verfahren
einschlugen - den Russen gelingen, mit ihrer Übermacht die
dünnen Linien zu durchstoßen, wo es ihnen beliebte. Als
Hauptrichtung der feindlichen Offensive war die Duklasenke schon jetzt
erkennbar. Dort bot das Gebirge die geringsten Schwierigkeiten, dort führte
der nächste Weg nach Budapest. Wenn dort der Stoß über die
Karpathen hinweggelangte, so war es dem Feinde leicht, die östlich davon
stehenden österreichisch-ungarischen Armeen vom Herzen des Staates
abzudrängen. Ließen sie die Russen ungestört gewähren,
so war die Niederlage unausbleiblich, um so mehr, als die reine Abwehr mit
schwacher Kraft auf großer Front fortwährende Verschiebungen und
Anstrengungen zum Stopfen der Lücken, zum Begrenzen feindlicher
Einbrüche erforderte und mit der Zeit an die Truppen viel höhere
Anforderungen stellte, als der Angriff, der die feindliche Übermacht nicht
so augenfällig zur Geltung kommen ließ und der Truppe das
Gefühl innerer Überlegenheit bewahrte.
Manche Erscheinungen der Abwehrkämpfe dieser Zeit rechtfertigten das
Bestreben der Führung, über das passive Verfahren, das die Truppe
zu zermürben drohte, möglichst bald hinwegzukommen. Zum
Eindruck des rücksichtslosen Einsatzes der russischen Übermacht
gesellten sich die schweren Leiden und Entbehrungen im winterlichen Gebirge
und andere Einflüsse, welche die Widerstandskraft der vielsprachigen
k. u. k. Wehrmacht herabsetzen mußten, wenn man diese
Einflüsse nicht durch die positive Tat und durch den Erfolg auszuschalten
vermochte.
In den unwirtlichen Waldgebieten, wo nur die selbstgeschaffene Unterkunft
notdürftigsten Schutz gewährte, in dem unentrinnbaren Elend von
Kälte und Nässe waren auf die Dauer die Anforderungen an die
Selbstverleugnung und Festigkeit des Einzelnen ungeheure; die Versuchungen,
sich der Gefahr und dem Gleichmaß drückender Leiden zu entziehen,
waren mannigfach und groß. Wo täglich Hunderte den Erfrierungstod
starben, da genügte auch ein [92] mäßiger
Frostschaden an Hand oder Fuß, um in ärztliche Behandlung, in ein
warmes Spital, vielleicht auf Wochen nach Haus zu kommen, bis der schreckliche
Winter vorbei war!
Viele Tausende der Kämpfer, deren Heimat in dem von den Russen
besetzten Gebiete lag, wußten Weib und Kind und Hab und Gut dort hinter
den feindlichen Linien. Durch Flugblätter, durch russische Gefangene und
Überläufer erfuhren sie, daß man dort drüben jeden frei
heimkehren ließ nach seinem Haus und Hof hinter der russischen Front,
wenn er sich gefangen gab. Ersätze tschechischer Regimenter brachten die
im Hinterlande mit allen Mitteln des Verrats propagierten Schlagworte mit in die
Front: der Russe käme als Befreier, als Schirmherr aller Slawen, als Bruder
und Freund! Da war es nötig, alles aufzubieten, um zu verhindern,
daß das Werkzeug brüchig werde! Denn mit seiner Wehrmacht
mußte unfehlbar auch das Vaterland in Trümmer gehen.
Nebst der Lage an der eigenen Front und der Ehrenpflicht, der eingeschlossenen
Festung Przemysl zu helfen, nebst der Rücksicht auf den inneren Zustand
des Heeres drängte auch die Gesamtlage der Mittelmächte zu
aktivem Handeln. Schon warf die Interventionspolitik Italiens ihre ersten Schatten
voraus; der Verlust der Bukowina und der Mißerfolg gegen Serbien
beeinflußte sichtlich die Haltung Rumäniens. Diese beiden
"Verbündeten" näherten sich zusehends dem jenseitigen Ende ihrer
Neutralität.
Die Entente verstärkte ihre Flotten vor den Dardanellen, der Angriff auf die
Türkei stand offenbar bald bevor.
Im Westen waren nach dem Mißlingen der Ypernoffensive zwar alle
feindlichen Gegenstöße abgewiesen worden, auch der große
Generalangriff Joffres in der zweiten Dezemberhälfte war auf der ganzen
Front siegreich abgewehrt, - aber die Möglichkeit, dort einen
entscheidenden Erfolg zu erringen, schien in weite Ferne gerückt.
Anfangs Januar stand bei der Heeresleitung der Entschluß fest, in der
Karpathenfront den linken Flügel der 3. Armee für die Abwehr in der
Duklasenke zu stützen und östlich davon in der Richtung auf
Przemysl, Sambor und Stryj den Angriff zu führen, dem sich auch die
Offensive der Armee Pflanzer-Baltin in den östlichen Waldkarpathen
anzuschließen hatte.
Die Kräfte hierfür wurden teils der 1. Armee aus Polen, teils den
Balkantruppen entnommen. Überdies wurden drei deutsche
Infanteriedivisionen, welche die deutsche Oberste Heeresleitung zur
Verfügung stellte, im Verein mit
österreichisch-ungarischen Kräften zwischen der Armee
Pflanzer-Baltin und der Armee Boroević als deutsche Südarmee
unter Befehl des Generals der Infanterie v. Linsingen eingeschoben. Dieser
Armee fiel der Stoß über Stryi und Dolina zu, während
westlich davon der rechte Flügel der k. u. k. 3. Armee
über den Uzsokpaß in der Richtung auf Sambor, deren Mitte
über Sanok [93] gegen Przemysl
vorzugehen hatte. Die Armee Pflanzer-Baltin, der vom Balkan das kroatische
XIII. Korps zugeführt wurde, hatte die Bukowina wiederzunehmen,
über Stanislau vorgehend in die nach Ost laufenden Verbindungen der
Russen hineinzustoßen und das Durchkommen der deutschen
Südarmee durchs Gebirge zu erleichtern.
Das Heranführen der genannten Verstärkungen nahm die ersten drei
Januarwochen in Anspruch. Mit der größten
Verantwortungsfreudigkeit betrieb das Kommando der Balkanstreitkräfte
unter Erzherzog
Eugen - besonders dessen Generalstabschef
Feldmarschalleutnant Alfred Krauß - den Abtransport der Truppen
aus Syrmien. Sie wurden nicht nur willig gegeben, sondern als am Balkan
entbehrlich für den Hauptkriegsschauplatz angeboten. Nur das XV. und
XVI. Korps blieben noch an der Balkangrenze, damit diese für den Fall
eines serbischen Angriffs oder eines Konflikts mit Italien nicht gänzlich
unbewehrt sei. Auch die 1. Armee an der Nida tat ebenso wie später die 4.
Armee in Westgalizien das Möglichste, um durch Ausbau ihrer Stellungen,
durch Strecken der Verbände Divisionen für die
Karpathenkämpfe freizumachen, von deren Ergebnis Sein oder Nichtsein
abhing. Nirgends hat es an verständnisvollem Eingehen auf die
notwendigen Forderungen gefehlt.
Die deutsche Oberste Heeresleitung, deren Sorgen vielseitig waren, verfuhr mit
ihren Mitteln sparsam. Sie hatte die Überzahl der Westgegner in Frankreich
zu bekämpfen; sie mußte auch mit der Notwendigkeit rechnen, durch
eine neue Balkanoffensive den Weg nach der Türkei gewaltsam zu
öffnen, die mit Kriegsmaterial nur dürftig versehen war und nicht
dauernd in ihrer Isolierung den feindlichen Angriffen preisgegeben werden
konnte. Schließlich stand die deutsche Heeresleitung auch unter dem
Eindruck, daß die Russen seit dem Herbst wieder in Ostpreußen
eingedrungen waren. Das Oberkommando des deutschen Ostheeres wollte nun
dort einen großen Schlag gegen den russischen Nordflügel
führen; dafür stellte die Oberste Heeresleitung bis Anfang Februar
vier Armeekorps bereit. Für die Karpathen blieb es zunächst bei den
drei Divisionen der deutschen Südarmee und bei der Zuteilung deutscher
Kavallerie zur Armee Pflanzer-Baltin. Auch für diese Truppen war man
deutscherseits wegen des Winters im ungewohnten Gebirgsland und wegen der
den Verhältnissen nicht angepaßten Ausrüstung besorgt. Den
Bedenken wurde durch Zuteilung von Gebirgsartillerie, von leichten Trains und
Tragtieren Rechnung getragen.
Die Sparsamkeit der deutschen Obersten Heeresleitung hat sich - das
läßt sich heute rückschauend
sagen - später gut bezahlt gemacht. Sie behielt für das
Frühjahr die starken Kräfte verfügbar, die notwendig waren,
um dem Kriege gegen Rußland die entscheidende Wendung durch den
großen Angriff zu geben, für den der Entschluß zu Anfang des
Jahres 1915 noch nicht gereift war.
[94] In Russisch-Polen
konnte die 2. Armee nicht vor dem Monat Februar freigemacht werden. So
mußte eben Ende Januar in den Karpathen mit den Kräften
geschlagen werden, die zur Stelle waren.
Am 23. Januar und an den folgenden Tagen nahmen
österreichisch-ungarische Truppen den Uzsoksattel und den
Vereckepaß, deutsche Truppen den Wyszkower Sattel im Sturm, die Mitte
der 3. Armee (V. Korps Feldzeugmeister v. Puhallo, XVIII.
Feldmarschalleutnant v. Tschurtschenthaler) drangen siegreich bis zum
oberen San vor. Schwere Schneestürme, zahlreiche
rückwärtige Höhenstellungen der Russen verzögerten
das weitere Vorwärtskommen.
Noch vor Ende Januar setzten die Russen zum Hauptangriff in der Duklasenke
und über Mezölaborcz an, wozu auch sie seit Neujahr ihre
Vorbereitungen getroffen hatten. Der linke Flügel der 3. Armee wurde bis
Sztropko und bis über Mezölaborcz zurückgedrängt; er
bedurfte der Verstärkung durch das bei der 4. Armee in Westgalizien rasch
freigemachte XVII. Korps Křitek, um die Lage zu festigen. Der starke
feindliche Druck erweiterte sich nun auch gegen die im Angriff bis über
den oberen San vorgedrungene Mitte der 3. Armee, die, aus westlicher Richtung
bedroht, wieder auf den Hauptkamm des Gebirges ausweichen mußte.
Wie früher der eigene, so kam jetzt auch der russische Angriff Mitte
Februar vorübergehend zum Stehen; örtlicher Raumgewinn beim
Korps Hofmann der Südarmee änderte nichts an der Gesamtsituation.
Mezölaborcz wiederzunehmen, gelang der Armee Boroević
nicht.
Raumgreifend entwickelte sich indessen seit
dem 1. Februar die Offensive der
Armee Pflanzer-Baltin. In metertiefem Schnee wurden die Ostkarpathen
überschritten; eine Gruppe Generalmajor v. Lilienhof drang
über Kirlibaba und Jakobeny in die Bukowina ein, eine andere Feldmarschalleutnant Czibulka ging über den Tartarenpaß entlang der
nach Delatyn - Stanislau führenden Bahn und beiderseits
dieser vor. Die Bukowinagruppe warf die Russen rasch von Stellung zu Stellung;
am 17. Februar war Czernowitz wiedergenommen, über 30 000
Gefangene waren eingebracht. Nach West einschwenkend, unterstützte
diese Gruppe sodann das durch hartnäckigsten Widerstand
verzögerte Vorgehen des Nachbarkorps auf Delatyn. Geschicktes
Zusammenwirken getrennter Angriffskolonnen öffnete den Weg über
Kolomea - Nadworna nach Stanislau, das am 20. Februar genommen
wurde.
Ohne Aufschub ließ der Armeeführer den linken Flügel
westwärts an die Straße
Kalusz - Dolina vorrücken, um der deutschen Südarmee
den Weg über Wyszkow von hinten zu öffnen. Dieses Ziel war aber
nicht mehr erreichbar. Die Sorge um ihre bedrohten östlichen
Verbindungen veranlaßte die Russen, die bisherige Dnjestrgruppe durch
starke Infanterie und Kavallerie, teils aus den Westkarpathen und aus
Westgalizien, teils aus Russisch-Polen zu verstärken [95] und als 9. Armee
auszugestalten, deren tatkräftiger Führer, General Letschitzki, nun
zum Gegenangriff schritt: von Nord auf Stanislau und von West umfassend
über Dolina.
Stanislau ging wieder verloren, aber schon auf einem Tagmarsch südlich
gelang es, den Stoß aufzufangen; Verstärkungen wurden von der 4.
Armee herangeführt und alle weiteren Angriffe der Russen blutig
abgeschlagen.
Dieser Feldzug der Armee Pflanzer-Baltin im Osten hat nicht nur die Befreiung
der Bukowina und erheblichen Raumgewinn nebst etwa 60 000
Gefangenen und großer Kriegsbeute eingebracht, er hat auch die gespannte
Lage in den Westkarpathen in hohem Maße entlastet, den Feind vom
Erreichen seines Hauptzieles abgelenkt und starke russische Kräfte vom
Entscheidungskampf um dieses Ziel ferngehalten. Das Verharren der Armee
Pflanzer-Baltin in der Stellung südlich Stanislau empfanden die Russen als
Bedrohung ihrer Flanke und setzten dort dauernd starke Kräfte ein, um
dieser Gefahr vorzubeugen. Allerdings war auch die rechte Flanke
Pflanzer-Baltins recht gefährdet. Der Dnjestr war ein unsicheres Hindernis
von äußerst schwankendem Wasserstand; er bot nur bedingten Schutz
und zwischen Dnjestr und Pruth konnte die Ostflanke empfindlich gefaßt
werden. Der Armeeführer nahm die Gefahr auf sich und blieb, wo er
war.
Gleichzeitig mit der Operation gegen den linken Flügel der Russen fand im
Norden der deutsche Angriff gegen die in Ostpreußen eingedrungene
russische 10. Armee statt; er führte zur Winterschlacht in Masuren. Mit zwei
Armeen doppelt umfassend angelegt, meisterhaft geleitet und von den Truppen in
einer Zeit schwerster Schneestürme glänzend durchgeführt,
brachte die Schlacht einen vollen taktischen Erfolg.
Als Mitte Februar die Angriffe der Russen gegen die 3. Armee zum Stehen
kamen, wurden zunächst in Gegenstößen örtliche
Erfolge errungen. Auch der rechte Flügel der 4. Armee führte bei und
südlich Gorlice Entlastungsangriffe; für ein Durchstoßen der
feindlichen Front waren damals die verfügbaren Kräfte nicht stark
genug, die Lage war dafür nicht reif.
So rasch es die dürftige Leistungsfähigkeit der Karpathenbahnen
erlaubte, wurde die 2. Armee Böhm-Ermolli aus
Russisch-Polen herangeholt und zwischen die 3. Armee und die deutsche
Südarmee vom Lupkower bis zum Uzsoker Sattel eingeschoben; ihr XII.
Korps Köveß beließ sie dauernd bei der Armee Woyrsch in
Polen.
Regengüsse, Tauwetter und grundlose Wege verhinderten leider das
Heranbringen eines großen Teiles der Artillerie und verzögerten die
Bereitstellung zum Angriff, der mit Rücksicht auf die Lage der Festung
Przemysl äußerst dringend war. Mit der Verpflegung der Besatzung
konnte nur bis Anfang März sicher gerechnet werden, Strecken der
Rationen und Schlachten der Pferde vermochte nur wenig über Mitte
März hinüberzuhelfen. Am [96] 25. Februar konnte
endlich der dem Entsatzzweck dienende, geradeaus auf Przemysl zielende, vom
General v. Tersztyanszky geführte Angriff der 2. Armee beginnen.
Westlich schloß sich diesem Angriff bei Lupkow der rechte Flügel
der 3. Armee, östlich in der Richtung auf Stryj die deutsche
Südarmee an. In schweren Kämpfen wurde der obere San wieder
erreicht, der linke Flügel der 2. Armee erstürmte mehrere
hintereinander angelegte russische Höhenstellungen nächst der
Straße über Baligrod. Bei Lupkow waren die Fortschritte gering, auch
die Anfangserfolge der Südarmee brachten kein entscheidendes Ergebnis;
die tiefe Einbeulung der russischen Front, welche die 2. Armee durch Einsatz
starker Kräfte in der Richtung auf Baligrod erzielt hatte, konnte nicht zu
einem Durchbruch erweitert werden. Schon in der ersten Märzwoche, die
einen Kälterückfall mit schweren Schneestürmen zeitigte, war
das Nachlassen der eigenen Stoßkraft unverkennbar; es äußerte
sich im Übergang zum mühseligen, langwierigen Sappenangriff, zum
Stellungskrieg. Vom 10. März an brachte ein starker Gegenstoß der
Armee Brussilow gegen den am weitesten vorgedrungenen Teil der 2. Armee die
ganze Offensive zum Stehen; Przemysl konnte nicht mehr gerettet werden. Ein
letzter Versuch der Besatzung, am 19. März den Zernierungsring
ostwärts zu durchbrechen, scheiterte an der feindlichen Übermacht
und an der Erschöpfung der vom Hunger entkräfteten Truppen. Am
22. März wurden die Werke samt Geschützen und Munition
gesprengt und die Trümmer der Festung dem Feind überlassen.
Obgleich seit Jahren keine Mittel mehr auf den zeitgemäßen Ausbau
von Przemysl gewidmet werden konnten, obgleich weder wirkungsfähiges
Artilleriematerial noch ausreichende Truppen zu seiner Verteidigung
verfügbar waren, hat es sich doch ruhmvoll gehalten, wie keine zweite
Festung im Weltkrieg. Lüttich wurde im Handstreich genommen,
Antwerpen fiel im gewaltsamen Angriff, die kleinen französischen
Festungen an der Nordostgrenze wurden innerhalb weniger Tage erobert. In
Rußland fielen Nowogeorgiewsk und Kowno, Iwangorod und Brest in
kürzester Zeit. Bukarest wurde von den Rumänen kampflos
preisgegeben.
Przemysl, vom General der
Infanterie Kusmanek von Burgneustätten und
Feldmarschalleutnant Tamasy verteidigt, trotzte während der ersten
Belagerung im September und Oktober 1914 der russischen 3. Armee, welche die
vergeblichen gewaltsamen Angriffe in der ersten Oktoberwoche mit ungeheuren
Verlusten bezahlte. Nach der zweiten Einschließung, anfangs November,
band die Festung durch fast fünf Monate die russische 11. Armee. Durch
erfolgreiche Ausfälle hemmte Przemysl die Bewegungsfreiheit der Russen
knapp hinter ihrer Karpathenfront und bedrohte ihre Verbindungen, bis der
Hunger die Widerstandskraft der tapferen Besatzung brach.
Am 20. März begannen die Russen einen neuen großen Angriff gegen
die 3. Armee, den sie nach und nach durch Heranziehen der gesamten
frei- [97] gewordenen Przemysler
Belagerungsarmee nährten und auf die ganze Front der 2. Armee
ausdehnten. Beharrlich versuchten sie es, durch fortgesetzte Massenangriffe bei
Tag und bei Nacht mit dem Opfer größter Verluste die zähe
verteidigten Karpathenlinien zu durchreißen.
Mühsam hielt sich am Südausgang der Duklasenke der linke
Flügel der Armee Boroević, dem die 4. Armee mit den Tiroler
Kaiserjägerregimentern zu Hilfe kam. Hart bedrängt war die Mitte
und besonders der rechte Flügel der 3. Armee bei Mezölaborcz; der
im Feuerkampf oft bewährten Kavallerie und der tapferen Wiener
Landsturmbrigade Oberst Brauner gelang es in hartnäckigsten
Kämpfen, den Durchbruch der Russen zu hindern, aber wiederholte
feindliche Einbrüche im Raume des X. Korps, General Hugo
v. Meixner, südlich Mezölaborcz machten die Lage
äußerst kritisch und steigerten die Spannung von Tag zu Tag. Noch
mehr erhöhte sich die Gefahr, als in den letzten Märztagen auch die
2. Armee vor wiederholten, weit überlegenen Angriffen der Russen auf den
Karpathenkamm und sogar auf die Südabhänge
zurückgenommen werden mußte; nun war auch der Uzsokpaß
durch Umfassung ernstlich bedroht.
In der Erkenntnis, daß jede neue Lücke der dünnen Front ihn
dem Ziele näher brachte, setzte der Feind mit schonungslosem Einsatz
frischer Truppen seinen Druck fort. Er wußte, daß es an
Kräften zum Schließen solcher Lücken fehlte und daß
ein Zerreißen der Karpathenfront unabsehbare Ergebnisse versprach.
Indessen wurden aber vom Armee-Oberkommando die Vorbereitungen getroffen,
um an der empfindlichsten Druckstelle nächst der über
Mezölaborcz führenden Bahnlinie das Schicksal im Gegenstoß
zu wenden. Die deutsche Oberste Heeresleitung stellte für diesen Zweck
das Beskidenkorps (drei Infanteriedivisionen) unter General der Kavallerie
v. der Marwitz zur Verfügung. Nördlich Homonna
versammelt, wurde es im Verein mit dem X. Korps in den Ostertagen zum
Gegenangriff eingesetzt, der vollen Erfolg brachte. Unter schwersten blutigen und
Gefangenenverlusten wurden die Russen zurückgeworfen; gleichzeitig
wehrte die 2. Armee alle weiteren feindlichen Angriffe ab. Die deutsche
Südarmee eroberte am 9. April mit deutschen Truppen den Zwinin, am 24.
mit dem Korps Hofmann den Ostry, Eckpfeiler des russischen Widerstandes.
Mit der Osterschlacht war der letzte große Durchbruchsversuch der Russen
nach Ungarn endgültig gescheitert. Die Karpathenschlacht war zu Ende.
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