Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
[98]
Kapitel 6: Der Frühjahrs- und Sommerfeldzug
1915
gegen Rußland
Feldmarschalleutnant Josef Metzger1
Als anfangs April die Entspannung an der russischen Front eintrat, mußten
die verbündeten Heeresleitungen Deutschlands und
Österreich-Ungarns unverweilt neue Entschlüsse von
größter Tragweite fassen. Für diese Entschlüsse war der
Druck der Gesamtlage maßgebend.
Im Westen hatten die Ereignisse des Winters nichts Wesentliches am Charakter
des Stellungskrieges geändert; die Januarschlacht bei Soissons war ein
schöner örtlicher Erfolg der Deutschen, die Februarschlacht in der
Champagne ein lokaler Mißerfolg der Franzosen, deren Angriff nach
geringem Anfangsergebnis gänzlich steckenblieb. Die Zunahme der
englischen Rüstungen und der amerikanischen Materialzufuhr mußte
aber im Laufe des Jahres 1915 das Kräfteverhältnis noch mehr
zuungunsten der Deutschen verschieben.
Gegen die Türkei waren bisher alle Dardanellenangriffe der Entente
gescheitert. Da es jedoch den Engländern, welche die Inseln vor dem
Eingang zu den Meerengen in der Hand hatten, am 25. April gelang, Truppen auf
der Halbinsel Gallipoli zu landen, mußte die weitere Entwicklung der Dinge
mit Besorgnis verfolgt werden. Den Türken fehlte es an Kriegsmaterial
für dauernden Widerstand, und ohne Eröffnung eines sicheren
Landweges war es nicht dahin zu bringen. Das dringende Bedürfnis, diese
Verbindung herzustellen, ließ vorübergehend bei der deutschen
Obersten Heeresleitung den Wunsch eines Angriffs auf Serbien in den
Vordergrund treten. Er unterblieb vorläufig, weil Bulgarien sich noch nicht
zum Mitgehen entschließen konnte und das k. u. k.
Armee-Oberkommando mit Rücksicht auf die Lage an der
Südwestgrenze damals noch nicht auf diesen Gedanken einzugehen
vermochte.
Das Verhältnis zu Italien verschärfte sich zusehends. Der Verlauf der
Verhandlungen über die Abtretung großer Teile Südtirols
ließ - trotz des weitesten Entgegenkommens - keinen Zweifel
mehr über die Absicht des bisherigen Verbündeten, zum Schwert zu
greifen. Die Bemühungen Deutschlands,
Österreich-Ungarn zu größter Nachgiebigkeit zu veranlassen,
um womöglich zu [99] verhindern, daß
ein wohlgerüsteter Großstaat sich zur Überzahl der Feinde
gesellte, waren durchaus begreiflich und in der deutschem Wesen entsprechenden
Auffassung begründet, daß auch der Treubruch seine Grenzen
habe.
Dieser Treubruch aber hatte keine Grenzen und mehr als Zeitgewinn konnte
Nachgeben nicht erzielen. Das lag in der Psychologie des Falles, der als typische
Erpressung erkennbar war. In Italien verschmähte man sogar die bei der
Entente sonst mit Erfolg geübte und weit in die Nachkriegszeit wirksame
Bemäntelung selbstsüchtiger Absichten mit Schlagworten über
heilige Pflichten, über Schutz der Gerechtigkeit u. dgl.; ganz
unverblümt bezeichnete man den sacro egoismo als Triebfeder der
Intervention. Da konnte auch vollstes Eingehen auf alle Forderungen des
Erpressers auf die Dauer nichts nützen! Das
Armee-Oberkommando Teschen war der Überzeugung, daß auch das
Eingehen auf die geforderte sofortige Besetzung Südtirols durch die
Italiener dem Kriege nicht vorbeugen und nur das Ergebnis haben konnte,
daß man sich schon vor Beginn des Kampfes aller Vorteile begab, welche
der Besitz dieses Landes für die Verteidigung wie für den Angriff
bot.
Da überdies damals auch der Gedanke auftauchte, Rumänien durch
die Abtretung der Bukowina zu gewinnen, so waren die dem Schriftwechsel
dieser Tage entnommenen Worte gewiß berechtigt: "Wer jetzt auf Raub
ausgeht, will die Beute gesichert haben und hält dies
selbstverständlich nur durch die volle Niederwerfung des Beraubten
für möglich." Die Ereignisse der Kriegszeit, insbesondere aber die
Vorgänge seit dem Jahre 1918, haben es deutlich erwiesen, daß diese
Überzeugung zutreffend war und auch heute keiner Revision bedarf.
Während im April 1915 noch das Möglichste geschah, um das
Eingreifen Italiens zu verzögern und die Erwägungen und
Besprechungen über das künftige gemeinsame Handeln noch im
Zuge waren, gelangten viele Bruchstücke russischer Funksprüche zur
Kenntnis der Heeresleitung, die als dringende Klagen und Anforderungen von
Mannschafts- und Munitionsersätzen entziffert wurden. Sie ließen
erkennen, daß besonders bei der russischen 3. Armee Stände und
Material in den monatelangen vergeblichen Anstrengungen der Karpathenschlacht
stark verbraucht waren und nur langsam ersetzt werden konnten.
Hier bot sich die Aussicht, gegen eine mürbe Front mit
zusammengefaßter Kraft einen durchgreifenden Erfolg zu erreichen; rasches
Zugreifen war nötig, mehr als örtliche Überlegenheit an der
für die Entscheidung erwählten Stelle war angesichts der russischen
Überzahl nicht möglich.
Nach kurzer voller Verständigung kam der Entschluß zustande, einen
kräftigen Schlag gegen die Russen zu führen, um die Bedrohung im
Osten endgültig abzuschütteln. Bis Ende April war unter Generaloberst v. Mackensen die deutsche 11. Armee aus acht deutschen
Infanteriedivisionen, denen drei weitere folgen sollten, nebst dem
österreichisch-ungarischen VI. Korps Feld- [100] marschalleutnant Arz
v. Straußenburg und der 11.
Honved-Kavalleriedivision neu formiert und angriffsbereit, um bei Gorlice die
russische Front zu durchstoßen und, entlang der Beckenreihe
Jaslo - Krosno - Sanok vorgehend, die feindlichen
Karpathenstellungen bis Lupkow unhaltbar zu machen. Nördlich der 11.
Armee wurde die 4. Armee unter Erzherzog Josef Ferdinand mit sechs
Infanteriedivisionen zum Angriff in Richtung über Tarnow
zusammengeschoben; sie war an die Befehle Mackensens gewiesen.
Südlich sollte der Nordflügel der 3. Armee, X. Korps
Feldmarschalleutnant Martiny - 4 Infanteriedivisionen - den
Angriffsstoß im Gebirge begleiten.2
Am 2. Mai um 10 Uhr vormittags begann nach vierstündigem
Wirkungsschießen der Artillerie der Angriff. Die russischen Befestigungen
und die Widerstandskraft der darin eingerichteten Truppen waren der
überwältigenden Wirkung des zusammengefaßten schweren
Geschützfeuers nicht gewachsen; zum Halten der zweiten und dritten
feindlichen Linie kam es nicht mehr, der Durchbruch gelang vollständig.
Am Nachmittag des 2. Mai waren die Angriffstruppen der 11. Armee
einschließlich des österreich-ungarischen VI. Korps, das die
Pustki-Höhe erstürmte, in ihren Gefechtsstreifen im vollen Vorgehen
über Gorlice und die brennenden Erdölquellen dieses Raumes. Eine
ungeheure schwarzblaue, pinienförmige Wolke
beschattete - weithin sichtbar - das Schlachtfeld.
Auch der 4. Armee brachte der 2. Mai an beiden Flügeln durchgreifende
Erfolge. Am Südflügel brach das IX. Korps Feldmarschalleutnant
Kraliček in hartem Kampfe weit über den Bialafluß vor; am
Nordflügel gelang es der kombinierten Infanteriedivision
Feldmarschalleutnant v. Stöger-Steiner nach überaus
geschickten Vorarbeiten der Pioniere, den Dunajez nachts zu forcieren und den
Erfolg im Laufe des Tages gut auszubauen. Vor der Armeemitte leisteten die
Russen auf dem festungsartig ausgestalteten Bergmassiv südlich Tarnow
hartnäckigsten Widerstand. Es bedurfte ausgiebiger Artillerievorbereitung
am 3. Mai, ehe sich das tapfere Tiroler XIV. Korps Roth dieses
Hauptstützpunktes der feindlichen Front bemächtigen konnte.
Als am 4. Mai die russische Front auch im Tarnower Raum durchbrochen war, als
der Angriff der 11. und 4. Armee in raschem Fortschreiten blieb und ihr Druck
den überstürzten Rückzug der russischen 8. Armee aus der
Karpathenfront bis Lupkow veranlaßte, da war es für die
verbündeten Heeresleitungen klar erkennbar, daß das nächste,
bescheidene Ziel des Durchbruches von Gorlice-Tarnow voll erreicht war. Der
örtliche Umschwung der Lage im Osten war gelungen. Wieweit es
möglich werden konnte, den Anfangserfolg zu benutzen und ins
Große auszugestalten, das blieb von der Gesamtlage der
Mittelmächte abhängig, die in diesen Tagen eine wesentliche
Verschärfung erfuhr.
[101] Auf der
Rückkehr vom Schlachtfeld erreichte den Erzherzog Friedrich am 4. Mai
die Nachricht, daß Italien den Dreibundvertrag als erloschen erklärt
hatte. Nun war der Schleier zerrissen; jeder Zweifel war ausgeschlossen, der
Zeitraum bis zum Eingreifen Italiens offensichtlich nur nach Tagen zu bemessen.
Es galt, das weitere Verhalten dem Ernst der Lage anzupassen. Fortführen
des eben siegreich begonnenen Angriffes im Osten war dringend
erwünscht, Abziehen der für einen Schlag im Südwesten
nötigen Kräfte mußte den Erfolg gegen Rußland in Frage
stellen. Deutsche Kräfte waren - von dem für Tirol formierten
divisionsstarken Alpenkorps abgesehen - gegen Italien nicht
verfügbar. Der Italiener hatte mit seinem ganzen vollkräftigen, in den
letzten Monaten erheblich verstärkten, wohlausgebildeten und
wohlgerüsteten Heere völlig freie Hand zu tun, was er wollte. Es war
bekannt, daß er Südtirol umfassend angreifen und gleichzeitig mit
seiner Hauptkraft über den Isonzo stoßen werde. Der Gedanke, ihn in
das Landesinnere eindringen zu lassen, um gegen ihn beim Heraustreten aus dem
Gebirge in die Becken von Laibach und Villach - Klagenfurt einen
entscheidenden Schlag zu führen, war ohne Mitwirkung von etwa 10
deutschen Infanteriedivisionen unausführbar. Die Lage der
Donaumonarchie war anscheinend verzweifelt: ihr letzter Kampf schien
unmittelbar bevorzustehen.
Der Entschluß, für den der Heeresleitung in Teschen die ungeheure
Last der Verantwortung zufiel, lautete: den Angriff gegen Rußland vereint
mit dem deutschen Ostheer weiterzuführen, als ob nichts vorgefallen
wäre, die Balkangrenzen völlig entblößen und das XV.
und XVI. Korps nebst allen erlangbaren
Landsturm-, Freiwilligen-, Standschützen- und Besatzungsformationen
zusammenzuraffen, um die 460 km lange italienische Front defensiv zu
halten.
Der Entschluß war schwer. Heute erscheint er selbstverständlich,
denn er hat sich bewährt: die Russen wurden geschlagen, die Serben
rührten sich nicht und die Italiener blieben rettungslos stecken. All das
konnte damals im günstigsten Falle erhofft werden, aber nach menschlicher
Voraussicht und Berechnung zu erwarten war es nicht!
Die Erinnerung an die damalige schwere Zeit voll Arbeit und Sorgen wird erhellt
durch die folgenden Ereignisse, die damals noch im Schoße der Zukunft
lagen, die aber nur möglich wurden durch ganz außerordentliche
Leistungen der k. u. k. Wehrmacht im Südwesten, durch eine
Zuversicht und Beharrlichkeit bei Führung und Truppe, die der heroischen
Haltung des deutschen Heeres im Westen gleichkam. Das jahrelange harte Ringen
gegen vielfache Übermacht im aufreibenden
Hochgebirgs- und Karstkrieg findet an anderer Stelle zusammenfassende
Darstellung von kundiger, berufener Hand. Hier genügt die Feststellung,
daß die siegreiche Abwehr der ersten Anstürme am Isonzo und in
Tirol die Voraussetzungen dafür schuf, daß der Durchbruch von
Gorlice - Tarnow den Auftakt bildete für den
größten Angriffsfeldzug des [102] Weltkrieges, für
eine Reihe erfolgreicher Schlachten der verbündeten Heere im Nordosten,
die den Sommer des Jahres 1915 füllten und die Verbündeten tief in
|
Feindesland führten, für eine Offensive, die an Raumgewinn,
insbesondere aber an Gefangenenzahlen und an Beute in der Kriegsgeschichte
aller Zeiten ihresgleichen sucht.
Während die bisherigen, notgedrungen dürftigen
Verteidigungsmaßnahmen gegen Italien eilig ergänzt wurden, wuchs
im Mai der galizische Erfolg rasch ins Gewaltige. In dem Maße, als das
Vordringen der 4. und 11. Armee sowie des X. Korps gegen Osten die russische
Karpathenfront ins Wanken brachte, gingen die schwergeprüften Truppen
der 3. Armee Boroević, dann der 2. Armee Böhm-Ermolli sofort zum Angriff und zur Verfolgung über und
erkämpften sich den Austritt aus dem Gebirge. Beute und
Gefangenenzahlen stiegen ins Abenteuerliche. Vergeblich suchte die russische
Führung den Wislokabschnitt auszunutzen, um dem Unheil Einhalt zu tun.
Die Verfolgungsschlacht bei Sanok und Rzeszów vom 8. bis 11. Mai
erhöhte die Niederlage der Russen, die selbst die von Natur ungemein
starken Stellungen des Südflügels im Gebirge gegenüber der
Angriffskraft der 2. und 3. Armee nicht zu halten vermochten. Die nächste
Folge dieser Niederlage war der Rückzug der russischen Front in Polen
nördlich der Weichsel und das weitere Abbröckeln der
Karpathenfront, so daß sich auch Linsingens Südarmee der
allgemeinen Offensive anschließen konnte.
Schon am 14. Mai erschienen die Verfolger vor Przemysl und der Sanstrecke
beiderseits Jaroslau. Auf die Festung und den unteren San gestützt, hofften
die Russen, mit Hilfe herbeieilender Verstärkungen der Verfolgung nicht
nur einen festen Damm entgegenzusetzen, sondern das Geschick im Gegenangriff
wenden zu können. Die rasche Wegnahme des Brückenkopfes
Jaroslau durch den Kopf von Mackensens Stoßkeil, preußische Garde
und Korps Arz, und der Gewinn einer brückenkopfartigen Stellung am
jenseitigen Ufer bis 16. Mai durchkreuzte die russischen Pläne empfindlich.
Anderseits wurden diese aber durch die Operationspause gefördert, welche
die Verbündeten nach ihrem Eintreffen vor der neuen, sorglich befestigten
Stellung der Russen einschalten mußten, um den Nachschub
sicherzustellen, dem die Zerstörung der Brücken und Bahnobjekte
schwere Hindernisse bereitete. Diese bis 24. Mai währende Pause benutzte
Mackensen, um seine Stellungen östlich Jaroslau beträchtlich
vorzuschieben und im Verein mit dem rechten Flügel der 4. Armee auch
nördlich der Lubaczowka bei Sieniawa einen Brückenkopf auf dem
jenseitigen Ufer zu gewinnen. Erzherzog Josef Ferdinand schob seine 4. Armee an
die befestigte Linie Nisko - Machow heran, mit welcher sich die
Russen die Möglichkeit von Flankenstößen aus dem
San - Weichselwinkel zu sichern suchten. Vom 18. Mai an setzten
an dieser Front und später gegen den Brückenkopf Sieniawa an Kraft
stets wachsende Vorstöße ein, welche die Truppen des Erzherzogs
Josef [103] Ferdinand auf eine
harte Probe stellten. Sie bestanden sie glänzend, mit Ausnahme der
Verteidiger von Sieniawa, tschechischer Truppen, deren Unzuverlässigkeit
am 27. zum Verlust der wichtigen Stellung führte.
Nördlich der Weichsel stellten die Russen ihren Rückzug ein, als sie
Anschluß an die Stellung im San - Weichselwinkel gefunden
hatten. Der etwas unvorsichtig nachdrängende Nordflügel der 1.
Armee Dankl erlitt am 16. bei Opatow einen Rückschlag, und es bedurfte
schwerer Kämpfe, bis die Gefahr gebannt war, daß sich die Russen in
die entstandene Lücke zwischen der 1. Armee und der Armeegruppe
Woyrsch einschoben.
Während Mackensens Südflügel sich vor dem
Brückenkopf von Radymno und der Nordfront von Przemysl festsetzte,
umklammerte die 3. Armee Boroević die
West- und Südfront der Festung, deren Vorfeldstellung sie geräumt
fand, so daß es den Anschein hatte, als ob die Russen nicht an ernsten
Widerstand dächten. Ein Angriff des X. Korps auf das Werk Pralkowce,
nur mit Feldartillerie eingeleitet, belehrte am 16. eines besseren. Die 2. Armee
Böhm-Ermolli fand die Russen in starken Stellungen auf der Landschwelle
zwischen dem San bei Przemysl und den Dnjestrsümpfen.
Man hätte glauben sollen, daß die Russen ihren Ostflügel
hinter dem Abschnitt des Dnjestr aufstellen würden. Sie hatten jedoch, um
ein Gegengewicht zu schaffen, am 9. Mai eine mächtige Offensive gegen
die 7. Armee Pflanzer-Baltin eingeleitet, zu welchem Zweck sie die 9. Armee
Letschitzki mit Teilen der bei Odessa versammelten, für den Angriff auf
Konstantinopel bestimmten Reservearmee verstärkten. In schweren,
heldenmütigen Kämpfen begrenzten Pflanzer-Baltins Truppen die russischen Anfangserfolge in der Schlacht am Pruth.
So gering der Raumgewinn war, wollten ihn die Russen mit Rücksicht auf
Rumänien nicht wieder preisgeben und blieben südlich des Dnjestr in
einer Linie, die über Stryj an den Pruth verlief.
Am 24. Mai begann der allgemeine Angriff der Verbündeten, der bei der
Armee Mackensen unter hervorragender Mitwirkung des VI. Korps Arz zur
Wegnahme des Brückenkopfes Radymno und namhaftem Raumgewinn
jenseits des San führte. Diesem erfolgverheißenden Anfang der
Schlacht bei Przemysl folgten indessen schwere Tage, welche die am 27. Mai
begonnenen und bis 6. Juni mit großer Wucht geführten
mächtigen Gegenangriffe der Russen gegen
Nordost- und Nordfront des Keiles Mackensens und gegen die 4. Armee der
obersten Führung bereiteten. Indessen mühten sich die Truppen
Böhm-Ermollis in heißen Kämpfen, die starken Stellungen auf
der Landschwelle zu bezwingen, wofür viel zu wenig schwere
Geschütze zur Hand waren.
Am 26. Mai trat auch die Südarmee in den entscheidenden Kampf ein, der
sich nach Anfangserfolgen gleichfalls zu einem schweren Ringen um die
russischen Hauptstellungen gestaltete. Letschitzki trachtete, durch einen
Flankenangriff namhafter Teile seiner 9. Armee der Schlacht bei Stryj eine andere
[104] Wendung zu geben.
Der zähe Widerstand des Korps Feldmarschalleutnant Hofmann vereitelte
diese Absicht; gleichzeitig verleideten Vorstöße des
Westflügels Pflanzer-Baltins der russischen 9. Armee die Abgabe weiterer
Verstärkungen an die Kämpfer bei Stryj, deren Geschick mit dem
Durchbruch der Mitte am 31. durch die Truppen des Generals der Infanterie Graf
Bothmer, dabei die 38. Honved-Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Csanady,
besiegelt wurde. Am 3. Juni war der Sieg an der ganzen Front der
Südarmee errungen, doch mußte ihr Ostflügel zu einem
Flankenstoß abschwenken, um Pflanzer-Baltin zu helfen, da Letschitzki die
Niederlage bei Stryj durch einen Vorstoß über den Pruth bei
Sadzawka wettzumachen suchte. Wenn ihm die 7. Armee auch bald enge
Schranken setzte, bedurfte sie nach den langwierigen verlustreichen
Kämpfen doch endlich einer Entlastung.
Mittlerweile trat auch in der Schlacht bei Przemysl eine Wendung ein. Am 30.
Mai war endlich schwere Artillerie vor der Festung eingetroffen und
beschoß vom Morgen an die Südwestfront. Als gegen Abend die
Infanterieregimenter Nr. 9 und 45 das Werk Pralkowce erstürmten,
waren die Russen überzeugt, daß hier der Hauptangriff drohe,
während sie die nachmittags eröffnete Beschießung der starken
Nordfront für eine Demonstration hielten. Die Hauptmasse der
Verteidigungsartillerie an der Südwestfront einsetzend, erzwangen sie wohl
die Räumung des Werkes, verloren aber am 31. nachmittags den Abschnitt
von drei Werken der Nordfront an die deutschen Truppen. Alle Gegenangriffe am
1. Juni vermochten den Fall dieser ganzen Front nicht zu hindern. Am 2. wurde
auch die zweite Stellung überwunden, worauf die Verteidiger in der Nacht
abzogen. Am 2. Juni begann aber auch ein einheitlicher Angriff der 2. Armee
Böhm-Ermolli und des rechten Flügels der seit dem 25. Mai nach
Abgehen des Generals v. Boroević auf den italienischen
Kriegsschauplatz vom Feldzeugmeister v. Puhallo befehligten 3. Armee.
Am 4. früh durchbrachen das IV. Korps Tersztyanszky, und das deutsche
Beskidenkorps v. d. Marwitz die russischen Stellungen auf der
Landschwelle bei Husakow. Die Verfolgung stieß jedoch bald auf eine neue
starke Stellung bei Mosciska, die sich vor der Front der 11. Armee an die
Lubaczowka und hinter diesem Gewässer bis Sieniawa am San fortsetzte.
Sie zu überwinden, bedurfte es längerer Vorbereitungen.
Während dieser Pause galt es, eine Neuordnung der Kräfte
vorzunehmen. In der engen Front östlich Przemysl stauten sich die Massen
der 2. und 3. Armee, hingegen war vorauszusehen, daß beim
Weiterschreiten der Offensive die zur Deckung der Nordflanke gegen Polen
bestimmte 4. Armee, durch die schweren Kämpfe der letzten Zeit sehr
geschwächt, namhafter Verstärkung bedürfen werde. Die 3.
Armee, die schon im Mai das VII. Korps nach Kärnten abgegeben hatte,
wurde aufgelöst, die Hauptkraft zur 4. in Marsch gesetzt, der Rest der 2.
einverleibt. Puhallo übernahm den Befehl über die 1. Armee, die
inzwischen seit dem Abgehen des Generals Dankl nach Tirol der General Karl
Frhr. v. Kirchbach [105] geführt hatte.
Die 44. Schützendivision, das Kärntner
Gebirgs-Schützenregiment gingen an den Isonzo, zwei
Kaiserjägerregimenter und ein Kaiserschützenregiment nach Tirol
ab.
Der Ostflügel der Verbündeten schritt inzwischen von Erfolg zu
Erfolg. Das Korps Feldmarschalleutnant Szurmay von
Stryj-Drohobycz den auf den Dnjestr langsam weichenden Russen nachsendend,
ließ Linsingen das Korps Graf Bothmer samt der 38. Honved-Infanteriedivision den Brückenkopf Zurawno am 5.
erstürmen und über den Dnjestr bis an den unteren Zwirz bei
Bukaczowce vorstoßen. Feldmarschalleutnant Hofmann und General der
Infanterie v. Gerok, rechter Flügel der Südarmee, mit der
Entlastung Pflanzer-Baltins beauftragt, schlugen die Russen am 5. und 6. im
Treffen bei Kalusz, worauf sich Hofmann nach weiteren glücklichen
Gefechten vor den starken Brückenkopf
Halicz - Jezupol legte, Gerok am 8. in Stanislau einzog.
Kaum merkte Pflanzer-Baltin die Einwirkung seines Nachbars, als er auch schon
am 7. die ganze 7. Armee zum Angriff vortrieb, der bis Mitte Juni den Besitz der
Russen südlich des Dnjestr auf die Gegend von Czernelica
beschränkte, selbst aber an einzelnen Stellen, namentlich bei Zaleszczyki,
auf dem nördlichen Ufer festen Fuß faßte. Der rechte
Flügel warf den Feind über die Ostgrenze der Bukowina nach
Beßarabien, bedrohte sogar Chotin, fand aber im Gefecht bei Raszkow
energischen Widerstand und mußte hinter die Grenze
zurückgenommen werden, um die ohnehin sehr lange Front nicht allzu
stark zu lockern.
Der russischen Führung bereitete das Vordringen Szurmays und Bothmers
an und über den Dnjestr die größte Sorge, da sie Lemberg und
den Rücken der Hauptkräfte in Galizien bedrohten. Hierher warf sie
deshalb alle erlangbaren Verstärkungen und fiel am 7. zunächst
Szurmay, am 8. aber auch Bothmer an. Ersterer geriet in große
Bedrängnis, worauf Linsingen das Korps Bothmer hinter den Dnjestr
zurücknahm und den größten Teil Szurmay zu Hilfe sandte.
Dieser brachte es bis 10. Juni so weit, mit dem rechten Flügel bei Litynia
zum Gegenangriff übergehen zu können. Als abends die deutschen
Helfer von Zurawno her flankierend eingriffen, wandte sich das Blatt
gänzlich. Die Russen mußten bald für den Brückenkopf
Zydaczow, ja selbst für jenen von Mikolajow bangen. Nun erwachte ihre
äußerste Energie. Vergeblich stemmte sich Szurmay am 13. gegen
einen Durchbruch bei Derzow. Am 14. sah sich die ganze Kampfgruppe unter
starkem feindlichen Druck aus dem Vorfeld von Zydaczow
zurückgedrängt, am 15. mußte Szurmay ein
beträchtliches Stück gegen Stryj Raum geben.
Die Ereignisse bei den Hauptkräften behoben die hier unleugbar
eingetretene Krise. Generaloberst v. Mackensen leitete am 12. Juni die
Schlacht bei Mosciska - Lubaczow mit der Wiedereroberung von
Sieniawa ein, wobei sich neben deutschen Truppen die 26.
Schützendivision Feldmarschalleutnant Lischka
be- [106] sonders auszeichnete.
Am 13. brachen Böhm-Ermolli, Mackensen und der rechte Flügel
des Erzherzogs Josef Ferdinand im weiten Raume von Mosciska bis Piskorowice
am San zum allgemeinen Angriff vor. Wieder schlug der Stoßkeil
Mackensens, die Mitte der 11. Armee, hiebei das Korps Arz, beiderseits der
Straße Radymno - Lemberg eine Bresche. Die Russen
versuchten, eine vorbereitete zweite Stellung Sadowa
Wisznia - Krakowiec - Oleszyce zu halten, doch wurde sie am
14. von Mackensen im Raume Lubaczow tief durchbrochen; das IX. Korps
Kraliček des Erzherzogs Josef Ferdinand erstürmte nach schwerem
Kampfe den Flügelstützpunkt Piskorowice am San. Damit war die
Schlacht gewonnen, wenn auch der Feind bei Sadoma wisznia dem
Andrängen Böhm-Ermollis noch am 15. standhielt.
Die Russen, die aus politischen Gründen Lemberg unbedingt halten
wollten, setzten ihre Hoffnungen auf die seit Monaten sorgfältig ausgebaute
Stellung hinter der Linie der Wereszyca, dann im Bergland westlich des
Bug-Bassins bis in die Gegend von Narol miasto, wo der Anschluß an den
starken Abschnitt der Tanew-Niederung hergestellt war. Anrollende
Verstärkungen erhöhten die Zuversicht der Verteidiger. Die
stürmische Verfolgung zwang sie, am 16. starke Kräfte in
Nachhutkämpfen aufzubieten, um den Trains Zeit zum Abfließen und
den Truppen zum Besetzen der neuen Stellung zu verschaffen.
Böhm-Ermolli hatte harte Arbeit, rang sich jedoch bis zum Abend an die
Wereszyca durch, ja, es gelang sogar dem Infanterieregiment Nr. 102 bis
Mitternacht, den Westteil von Grodek zu erstürmen. Der linke Flügel
der 11. Armee hatte nordöstlich Lubaczow heftige Kämpfe zu
bestehen, namentlich aber der Erzherzog Josef Ferdinand, der die Hauptkraft der
4. Armee östlich des San ansetzte und dessen Vordringen die Russen
besonders starken Widerstand leisten mußten, um den Rückzug
über die Niederungen der Zlota und des Tanew durchführen zu
können. Erst am 17. brachte der Durchbruch bei Cewkow die Verfolgung in
rascheren Gang, die den Ostflügel am 18. vor die russische Hauptstellung
bei Cieszanow, die Mitte nach heißen Kämpfen vor den
Übergängen in der Gegend von Tarnogrod und bei Ulanow an den
Tanew führte. Böhm-Ermolli stritt inzwischen um die wenigen
Übergangsstellen an der Wereszyca, um die Vorbedingung für einen
Angriff auf die russische Stellung zu schaffen, wobei er die Hauptkraft auf den
Nordflügel verlegte. Besonders denkwürdig war der Kampf um
Grodek, der nach fünfzigstündiger ununterbrochener Dauer mit dem
Erfolg der unermüdlichen Angreifer endete.
Unbeirrt durch heftige Angriffe, welche die Russen gegen den linken Flügel
der 11. Armee führten, stellte Mackensen deren am 17. vor der russischen
Stellung angelangte Hauptkraft zu einem planmäßigen Durchbruch
über Magierow gegen Zolkiew und Rawaruska bereit, der am 19. mit
gewohnter Meisterschaft durchgeführt wurde. Das Korps Arz bedeckte sich
hierbei ganz besonders mit Lorbeer. Gleichzeitig trat auch die Armee
Böhm-Ermolli zum entscheidenden [107] Angriff an, den die
Entwicklung aus den wenigen schmalen Übergängen
ungemein schwierig gestaltete. Eine Gruppe, die zur Unterstützung
Szurmays südlich der Dnjestrsümpfe vorgesandt worden war und
dieser am 17. und 18. zu beträchtlichem Raumgewinn gegen den
Übergang von Mikolajow verholfen hatte, drängte am 19. die Russen
bei Kolodruby über den Fluß und folgte ihnen auf das Nordufer nach.
Das V. Korps Feldmarschalleutnant Goglia erzwang den Übergang
über die Wereszyca nächst der Mündung, die Armeemitte
drang von Grodek vor, der starke Nordflügel erstürmte die
Stellungen bei Wielkopole und in der Nacht die Höhe bei Stradcz. Auch die
Schlacht bei Grodek - Magierow war für die Russen verloren,
die sich nunmehr an die von ihnen eifrigst verstärkten Werke von Lemberg
klammerten, von wo einerseits eine Stellung hinter dem Szczerek zum
Brückenkopf Mikolajow, anderseits über
Zolkiew - Rawa ruska zu dem bisher unerschüttert
gebliebenen Westflügel in der Tanewfront Verbindung herstellte.
Die verfolgenden Verbündeten stießen noch am 20. an die neue
Front, deren heftiger Widerstand alsbald lehrte, daß nicht Nachhuten,
sondern die Hauptkräfte gegenüberstanden. In der Nacht zum 21.
versuchte General Iwanow mit einem starken Gegenangriff im günstigen
Gelände am obersten Tanew sein Glück, doch machten rasch
herbeigeholte Reserven des Erzherzogs Josef Ferdinand die Anfangserfolge bald
zunichte. Die Führung der Verbündeten ließ die Russen gar
nicht recht zur Besinnung kommen, sondern setzte unverweilt die
Südarmee zum Vorstoß über den Dnjestr bei Zurawno an, die
2. Armee hatte die Szczerek-Stellung und namentlich mit dem starken
Nordflügel die Westfront von Lemberg anzugreifen, der
Südflügel der 11. Armee über Zolkiew vorzustoßen.
Diese Anordnungen führten am 22. zu einem vollen Erfolg in der Schlacht
bei Lemberg. Böhm-Ermolli konnte um 4 Uhr nachmittags, nachdem der
Heldenmut der Wiener 13. Schützendivision Feldmarschalleutnant Kreysa
am frühen Morgen mit der Erstürmung des Werkes Rzesna polska
den Durchbruch der ersten und zweiten Widerstandslinie eingeleitet hatte, den
Einzug in die Hauptstadt Galiziens halten, während seine Truppen sich
bereits in der Verfolgung östlich der Stadt befanden. Unter dem Eindruck
der Niederlage trat der Südflügel der Front westlich der Weichsel
den Rückzug an, auch der bisher zäh gehaltene
San - Weichselwinkel wurde geräumt, der Ausgangspunkt
zahlreicher Vorstöße, deren Abwehr durch den Westflügel der
4. Armee die Absicht, die große Front zu entlasten, vereitelt hatte.
Auch Pflanzer-Baltin hatte in diesen kritischen Tagen schwere Kämpfe zu
bestehen, da Letschitzki das Äußerste daran setzte, seine
Kräfte zugunsten der Hauptarmee wenigstens indirekt zur Geltung zu
bringen. Am 16. begann eine Reihe von Durchbruchsversuchen bei Rarancze
gegen Czernowitz, doch die beßarabische Front hielt unverdrossen stand,
selbst als ihr die Russen durch einen Dnjestrübergang bei Uscie Biskupie
die Nordflanke abgewannen. Nicht [108] minder hatten sich die
am Nordufer des Flusses bei Zaleszczyki, Potok zloty und Koropiec festgesetzten
Truppen zahlreicher Angriffe zu erwehren.
Mit dem Siege bei Lemberg war jener Raum zurückgewonnen, aus
welchem die österreichisch-ungarische Heeresleitung bei Kriegsbeginn die
große Offensive eingeleitet hatte.3 Es war
naheliegend, den damaligen Plan, für den jetzt allerdings weit
günstigere Verhältnisse vorlagen, abermals zur Ausführung zu
bringen, so sehr auch die Not der Türkei zu energischem Auftreten auf dem
Balkankriegsschauplatz drängte. Die Gelegenheit war allzu günstig,
der in Polen mit ansehnlichen Kräften noch westlich der Weichsel
stehenden russischen Heeresmacht durch gleichzeitigen Angriff der sie im
Norden, Westen und Süden umklammernden Fronten einen schweren
Schlag zu versetzen. Überdies konnte die Offensive nicht abgebrochen
werden, solange die Russen in jenem Zentralraum standen, aus dem sie nach
Gutdünken gegen irgendwelche Teile der langen Fronten mit
Übermacht vorstoßen konnten.
Um dem Stoße aus Galizien nach Polen, der die geringsten
natürlichen Hindernisse bei dem Kesseltreiben zu überwinden hatte
und als der entscheidende Akt betrachtet werden mußte, Sicherheit
für Rücken und Ostflanke zu verschaffen, war es nötig, in
Galizien ostwärts den Verteidigungsabschnitt der Zlota Lipa und des
Bug zu gewinnen, welche Aufgabe Böhm-Ermolli und der Südarmee
übertragen wurde, während Mackensen mit der 11. und 4. Armee
zwischen Bug und Weichsel nordwärts vorrücken sollte.
Die russische Führung hatte das größte Interesse, dem
Vordringen der Verbündeten gegen Osten den zähesten Widerstand
entgegenzustellen, sei es auch nur, um Zeit zum Abtransport der
angehäuften Vorräte, insbesondere des großen Stapelplatzes
Krasne zu gewinnen. Die Hauptkraft der 8. und der noch am Szczerek haltende
Nordflügel der 11. Armee sollten deshalb im nächsten
günstigen Geländeabschnitt: der von Bobrka kommende
Zufluß der Chodorower Teiche und deren Abfluß zum Dnjestr, dann
der nächst Dzwinogrod entspringende Zufluß des Peltew, erneuert
Stellung nehmen. Um eine geordnete Festsetzung und technische Herrichtung zu
ermöglichen, nutzten die Truppen im Rückzug alle geeigneten
Örtlichkeiten zu zähem Widerstande aus. Jede Armee sandte ein
Korps an den nächsten Abschnitt der Gnila Lipa voraus, um dort
Vorbereitungen für eine zweite Verteidigungsschlacht zu treffen.
Da Böhm-Ermollis 2. Armee am 23. die Vorrückung an der ganzen
Front fortsetzte und namentlich mit dem weit vorgedrungenen starken
Nordflügel bemüht war, der vorgebogenen russischen Mitte in
Flanke und Rücken zu kommen, Linsingen, in der Nacht zum 23. mit der
Südarmee den Dnjestr beiderseits Zurawno überschreitend, die
Südflanke der Russen bedrohte, kam [109] es sofort wieder zu
einem großen Waffengange, der Schlacht bei
Bukaczowce - Bobrka. Während der Südflügel
der 2. Armee, V. Korps Feldmarschalleutnant Goglia, XVIII. General der
Kavallerie v. Ziegler, am 23., 24. und 25. schwer kämpfte, um sich
bis an die russische Hauptstellung bei Bobrka vorzuarbeiten, führte die
russische 8. Armee mächtige Gegenstöße gegen den
Nordflügel, die 11. Armee gegen die Südarmee, wo sie am 24. der
19. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Mayer übel mitspielte. Am
Abend des 25. war indessen die Angriffskraft der 11. Armee gebrochen, die ganze
Südarmee auf dem Nordufer des Dnjestr, so daß die Bedingungen
für den allseitigen entscheidenden Angriff gegeben waren, den
Böhm-Ermolli für den 26. anordnete.
Generalfeldmarschall v. Mackensen hatte inzwischen die Neugruppierung
für den Vormarsch nach Norden vollendet. Sein rechter Flügel war
unter lebhaften Kämpfen nordwärts bis an die mittlere Rata
aufgeschwenkt, das durch die Gruppe Feldmarschalleutnant Kreysa (13.
Schützendivision, 31. Infanteriedivision) am Nordflügel der 2.
Armee abgelöste Beskidenkorps zum Schutze der Ostflanke des
großen Stoßes bereit. Der Westflügel der 4. Armee, den
weichenden Russen unmittelbar folgend, stand am unteren San; jenseits der
Weichsel hatten sich Puhallos 1. Armee und der Südflügel der
Armeegruppe Woyrsch an die neuen Stellungen herangeschoben, welche die
Russen, im Rückzug die Abschnitte der Opatowka und oberen Kamienna
nur zu vorübergehendem Widerstand ausnutzend, zur Deckung der
Weichselübergänge Annopol und Jozefow in der Linie
Zawichost - Ilza verteidigten.
Der 26. Juni gestaltete sich in der Schlacht bei Bukaczowce - Bobrka zu einem
sehr schweren Kampftag. Die Russen, obwohl an Munitionsknappheit leidend,
schlugen sich vorzüglich und sparten nicht mit Gegenstößen.
Trotz örtlicher Erfolge der Verbündeten, so namentlich beim V.
Korps südlich Bobrka, brachten die bis in die Nacht fortdauernden
Kämpfe keine Entscheidung. Doch am Morgen des 27. war die russische 8.
Armee im vollen Rückzug hinter die Gnila Lipa, auf die
Höhen von Przemyslany und in die nördlich anschließende, bis
Kamionka strumilowa am Bug reichende Stellung. Die 11. Armee leistete
vormittags noch Widerstand, bis das siegreiche Vordringen des linken
Flügels der Südarmee, dabei die 38.
Honved-Infanteriedivision v. Csanady, sie auch zum Rückzug
nötigte. Kämpfe mit Nachhuten füllten den ganzen Tag.
Entscheidend für die russische Führung, die Schlacht abzubrechen,
waren offenbar die von Mackensen über den Nordflügel der 8.
Armee erzielten Erfolge.
Denn am 26. Juni trat auch die 11. Armee an der ganzen Front zum Angriff an,
links angeschlossen der Ostflügel des Erzherzogs Josef Ferdinand. Heftiger
Widerstand war in dem von zahlreichen Tiefenlinien durchzogenen Raume
zwischen dem Quellgebiet der Rata und dem obersten Tanew zu
überwinden. Gleichzeitig leitete Puhallo links der Weichsel bei Gliniany
einen [110] Durchbruch in der
Richtung gegen Tarlow ein, der wohl Erfolg hatte, doch wütende
Gegenangriffe des Feindes auf sich zog. Begreiflicherweise setzten die Russen
hier alle Kräfte ein, um weiteres Vordringen zu verwehren, das den im
Zuge befindlichen Rückmarsch ihrer 4. Armee hinter die Weichsel
empfindlich zu stören drohte.
Mackensens 12½ Korps stand die russische 3. Armee gegenüber, die
einschließlich je eines Korps der 8. und 4. Armee am
Ost- und Westflügel 13 Korps zählte. Dazu gesellte sich die
Bedrohung der Ostflanke der Verbündeten aus dem ausgedehnten
Bugbrückenkopf Dobrotwor unterhalb Kamionka strumilowa, hinter dem
man starke Kräfte in Versammlung wußte. Deshalb mußten
dem Vordringen des rechten Flügels Zügel angelegt werden.
Dagegen drang die Mitte von Rawa ruska kräftig vor und erreichte
am 27. die Reichsgrenze. Dem linken Flügel und dem Ostflügel der
4. Armee, XVII. Korps Křitek, IX. Kraliček, leisteten hingegen die
Russen im Raume um Narol miasto beharrlichen Widerstand. Bedeutete
doch sein Verlust die Umgehung der starken Tanewstellung. In der Nacht zum 28.
durchbrach das XVII. Korps die Front bei Narol miasto. Gleichzeitig trat
der Feind vor der ganzen Front der 11. Armee überraschenderweise den
Rückzug an. Munitionsmangel hatte ihn dazu genötigt und alle auf
den Flankenstoß aus Dobrotwor aufgebauten Pläne durchkreuzt.
Die sofort eingeleitete Verfolgung bescherte nur dem rechten Flügel der 11.
Armee ernstere Kämpfe. Vor jenem des Erzherzogs Josef Ferdinand
versuchten sich die Russen wohl hinter dem obersten Tanew zu setzen, stoben
aber fluchtartig davon, als sie die Artillerie der Verbündeten am 28. unter
konzentrisches Feuer nahm. In der folgenden Nacht räumten die Russen
auch die nun unhaltbar gewordene Stellung hinter dem Tanew und dem unteren
San. Den Verbündeten stand der Weg auf die Siegesfelder des Vorjahres
offen. Westlich der Weichsel wichen die Russen in der Nacht zum 30. in die Linie
Tarlow - Ilza zurück, räumten indessen bald auch den
Raum südlich der unteren Kamienna vor Puhallos Truppen und angesichts
des Vordringens der 4. Armee auf dem jenseitigen Weichselufer.
Am 30. Juni stieß die Heeresgruppe Mackensen auf eine neue starke
Stellung der Russen auf dem Lubliner Landrücken mit der Labunka, dem
Porbach und der Wyznica vor der Front. Wieder mit Munition versehen, setzten
sie den Verfolgern allerorten ernsten Widerstand entgegen. Offenbar wollten sie
es hier auf einen entscheidenden Kampf ankommen lassen, in dem ein
Flankenstoß über die Bugstrecke
Sokal - Krylow eine wichtige Rolle spielen sollte. Nur unter harten
Kämpfen konnten das beiderseits der Huczwa vordringende VI. Korps Arz
und die deutschen Truppen des rechten Flügels die
gegenüberstehenden Feinde gegen den Bug zurücktreiben, hinter
dem sich laut übereinstimmenden Nachrichten starke feindliche
Kräfte sammelten. Dies zeitigte den Entschluß, die westlich der
Weichsel infolge Verengerung des Frontraumes [111] entbehrlich gewordene
1. Armee Puhallo zur Flankendeckung an die
Bug-Strecke bei Sokal zu verschieben. Generalfeldmarschall v. Mackensen
ließ die Bewegung des rechten Flügels der 11. Armee einstweilen
einstellen; der linke Flügel hatte das Vorgehen der 4. Armee gegen Lublin
und längs der Weichsel zu unterstützen.
Allzu kühnes Vorgehen des X. Korps Martiny nach Krasnik führte
am 1. Juli zu einem Rückschlag. Dieser und schwere Kämpfe, die
das XVII. Korps im Verein mit dem deutschen X. Korps am Porbach zu bestehen
hatte, lehrten, daß es eines kräftigen, wohlvorbereiteten Stoßes
bedürfe, um den Feind ins Wanken zu bringen. Erzherzog Josef Ferdinand
wählte hierzu das Gelände beiderseits der Bystrzyca, wo
Feldmarschalleutnant Roth v. Limanowa-Lapanow am 3. mit fünf
Infanteriedivisionen und starker Artillerie angriff, die Front durchbrach und
über Kielczewice vordrang. In Auswertung dieses Erfolges wurde Krasnik
am 4. wieder genommen, der linke Flügel gewann Übergänge
über die Wyznica, der rechte beträchtlich Raum nördlich des
Por. Die Opfer, die der Durchbruch kostete, setzten die ohnedies schwachen
Stände ungemein herab. Der Verbrauch an Streitern war eben sehr
groß und fraß gierig die nachkommenden Ersätze. So hatte
z. B. die beim VI. Korps eingeteilte 12. Infanteriedivision, die keineswegs
zu den opferreichsten zählte, von Anfang Mai bis Ende August einen
Abgang von 35 000 Mann, 230 auf je 100(!) des Sollstandes von
15 000 Streitern. Charakteristisch ist hierbei, daß sich die
Abgänge beim preußischen Gardekorps, das die gleichen
Kämpfe wie das VI. Korps bestand, überdies noch einen sehr
blutigen mit der russischen Garde, zu jenen des VI. Korps wie 3 : 4
verhielten, ein Hinweis, welch größere Achtsamkeit im Gefechte
nicht nur bei höherer und niederer Führung, sondern selbst beim
einzelnen Mann auf deutscher Seite herrschte.
Die dünnbesetzten Fronten des Durchbruchskeiles wurden plötzlich
von zwei eiligst herangebrachten russischen Divisionen angefallen und
zerschlagen. Diese Wendung in der zweiten Schlacht bei Krasnik schuf eine
höchst kritische Lage. Von der nach Osten rollenden 1. Armee
mußten die 4. Infanteriedivision, die halbe 2. Kavalleriedivision und die
polnische Legion auf das Schlachtfeld geworfen werden, Generalfeldmarschall
v. Mackensen ließ die Vorrückung gänzlich einstellen.
Dank den Verstärkungen und der passiven Haltung der Russen, die auf eine
Ausnutzung des ihnen plötzlich gewordenen Erfolges gar nicht vorbereitet
waren, endete die Schlacht am 10. Juli mit verhältnismäßig
wenig Raumverlust der vorgeprellten Mitte.
Inzwischen hatten Linsingen und Böhm-Ermolli die infolge geschickter
russischer Gegenstöße sehr wechselvolle Schlacht an der
Gnila Lipa und bei Kamionka strumilowa geschlagen. Sie begann am 28.
Juni, als die verfolgenden Armeen vor der neuen Stellung anlangten.
[112] In die Kampffront der
Südarmee trat auch das Korps Hofmann nach Bezwingung des starken
Brückenkopfes Halicz ein. Schon in der Nacht zum 23. Juni hatte dessen
Brigade Oberst v. Bolzano (Infanterieregiment 81 und 88) oberhalb Halicz
den Dnjestr überschritten, um die Besatzung auch auf dem Nordufer zu
bedrohen. Heldenmütig hielt sie sich gegen die von allen Seiten
heranstürmenden Russen. Am 26. Juni war endlich genug Artillerie vor der
Südfront, um die Werke sturmreif zu schießen, am folgenden Tage
wurden sie eine Beute der Infanterie, die bis in die Stadt vordrang. Der Ausgang
der Schlacht bei Bukaczowce - Bobrka hatte die Russen zur
gänzlichen Räumung des südlichen Dnjestrufers
veranlaßt. Harter Arbeit bedurfte es noch, ehe das Nordufer gewonnen und
schließlich der Feind aus den jenseitigen Befestigungen vertrieben war.
Dem Andringen der Südarmee wich der Feind in der Nacht zum 2. Juli
hinter die Narajowka, wo er jedoch keinen langen Halt fand. Von der
Südarmee und dem linken Flügel
Pflanzer-Baltins hart angepackt, mußte er hinter den starken und gut
befestigten Abschnitt der Zlota Lipa zurück, an welcher die
Verfolger am 4. Juli eintrafen. Am selben Morgen verschwand auch die russische
8. Armee, die Böhm-Ermolli viel zu schaffen gemacht hatte, hinter die
obere Zlota Lipa, die Olszanica und den Bug. Aufwärts Kamionka
strumilowa auf dem westlichen Bugufer zurückgebliebene Kräfte
wurden am 6. und 7. Juli vom Nordflügel der 2. Armee vertrieben. Nur ein
stark ausgebauter Stützpunkt bei Derewlany trotzte noch längere Zeit
den Angreifern.
Die Heeresgruppe Böhm-Ermolli hatte das ihr gesteckte Ziel erreicht und
sollte nunmehr die erreichte Linie befestigen, um Kräfte für Zwecke
des großen Vorstoßes nach Polen freizubekommen. Zunächst
wurde das vor dem Brückenkopf von Dobrotwor liegende Beskidenkorps
vom Korps Szurmay abgelöst, dieses sodann von der Gruppe
Feldmarschalleutnant Czibulka, worauf Szurmay in den Verband der beiderseits
der Ratamündung und gegenüber Sokal aufmarschierenden 1. Armee
trat. Die Südarmee gab drei deutsche Infanteriedivisionen an
Generalfeldmarschall v. Mackensen ab, der an seinem rechten Flügel
zwischen Krylow am Bug und dem Quellgebiet der Wolica eine neue
"Bug-Armee" formierte. Ihr Kommando erhielt Linsingen. An die Spitze der
Südarmee trat Graf Bothmer.
So stand Mitte Juli ein mächtiges Kriegsinstrument für den
Vorstoß nach Polen bereit. Da die Russen zu gleicher Zeit den
Rückzug auf dem westlichen Weichselufer antraten, kamen auch bei der
Heeresgruppe Prinz Leopold v. Bayern die Ereignisse ins Rollen.
Gleichzeitig ergriffen die Armeen Gallwitz und Scholtz die Offensive gegen die
Nordfront Polens, später die Armee Eichhorn gegen Kowno. Auch
Pflanzer-Baltin hatte den Befehl erhalten, durch Angriffe der 7. Armee zur
allgemeinen Bedrängnis der Russen beizutragen. Er ließ den General
Freiherrn v. Rhemen mit dem XIII. Korps [113] über die unterste
Zlota Lipa, das III. Korps Feldmarschalleutnant v. Krautwald, zwischen
Strypa und Sereth, die Gruppe Feldmarschalleutnant v. Benigni bei
Doroschoutz, unterhalb der Serethmündung, also in einer für die
Russen besonders empfindlichen Richtung, über den Dnjestr
vorstoßen. Dies führte zu der opferreichen Schlacht am Dnjestr, die
vom 14. bis 19. Juli dauerte und den Erfolg hatte, daß die 7. Armee,
ungeachtet aller russischen Gegenangriffe, an der unteren Zlota Lipa und
bei der Serethmündung festen Fuß auf dem jenseitigen Ufer
faßte. Entlastungsstöße des Feindes an der beßarabischen
Front wurden abgewiesen. (Skizze 7.)
[113]
Skizze 7: Die Schlacht am Dnjestr.
|
Am 15. Juli setzte sich die Heeresgruppe Mackensen in Bewegung. Die
Hauptkraft der 11. Armee war westlich des Wieprz angesetzt, jene der 4. wieder
beiderseits der Bystrzyca. Vom 16. bis 18. Juli währte die
Durchbruchsschlacht bei Krasnostaw, welche die Russen schließlich auch
zur Räumung ihrer starken, hartnäckig verteidigten Stellung hinter
der Wolica zwang. Das VI. Korps Arz zeichnete sich vor dieser besonders aus,
indem es nach siebenmaligem Sturm Grabowiec nahm und sich auf dem Nordufer
festsetzte. Dem Stoße des
Erz- [114] herzogs Josef
Ferdinand wichen die Russen aus, wahrscheinlich weil sie der am 15. bei Sienno
erkämpfte Durchbruch der Armeegruppe Woyrsch um Flanke und
Rücken besorgt machte.
Die 1. Armee Puhallo tat in diesen Tagen in der Schlacht bei Sokal ganze Arbeit.
Sie vertrieb am 15. Juli die Russen vom Westufer und schritt nun ihrerseits daran,
den Übergang zu gewinnen, den feindliche Gegenwirkung und hoher
Wasserstand ungemein schwierig gestalteten. Die Truppen, hierunter die Wiener
13. Schützendivision und 25. Infanteriedivision, überwanden
heldenmütig alle Hindernisse und den heftigen Widerstand des Feindes. Als
General Karl Freiherr v. Kirchbach, Führer des I. Korps, am 18.
Sokal erstürmt hatte, war die Schlacht gewonnen. Sein Bruder Johann stand
mit dem II. Korps bei Krystynopol, Feldmarschalleutnant Szurmay am
Nordflügel bei Zdzary auf dem Ostufer. Die rasch geschaffenen
Brückenköpfe waren wohl bis Ende Juli das Ziel
fortwährender Angriffe der neuformierten russischen 13. Armee, schalteten
aber jede Einflußnahme dieser Truppenmacht auf die Ereignisse zwischen
Weichsel und Bug völlig aus.
Böhm-Ermolli machte nach dem glücklichen Ausgang der Schlacht
bei Sokal auch vor seiner Front reinen Tisch. Am 19. Juli führte Feldmarschalleutnant Czibulka die 31. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant
Freiherr v. Lütgendorf, die 43. Landwehr-Infanteriedivision
Generalmajor v. Jordan-Rozmadowski und die 1.
Landsturm-Husarenbrigade Oberst Csecsi zum Angriff gegen den
Brückenkopf Dobrotwor vor. Stützpunkt auf Stützpunkt
bezwingend, vollendeten die Truppen bis 27. Juli ihr Werk. Am 26. drang die 32.
Infanteriedivision Generalmajor v. Willerding bei Kamionka strumilowa
auf das jenseitige Bugufer und gewann in heftigen, bis 31. Juli währenden
Kämpfen ein Ausfallstor für den Fall, daß die Russen
Angriffsgelüste auf die Bugstellungen der Armee bekämen. Nun
konnte Böhm-Ermolli seine Front bis zur Rata strecken, um die schwer
ringende 1. Armee zu entlasten, an die überdies noch die 9.
Infanteriedivision abgegeben wurde. An der
Bug - Zlota Lipa-Front trat fortan Ruhe ein, auch
Pflanzer-Baltin hatte verhältnismäßig stille Tage, die er dazu
benutzte, um den Russen am 9. August ihren letzten Stützpunkt auf dem
südlichen Dnjestrufer, den Brückenkopf Czernelica, zu
entreißen. Es war dies die letzte Waffentat des Grazer III. Korps vor
Abgehen an den Isonzo.
Die Verfolgung der Heeresgruppe Mackensen stieß nach der Schlacht bei
Krasnostaw bald wieder auf sichtlich zunehmenden Widerstand. Handelte es sich
doch für die Russen um Erhaltung einer wichtigen Lebensader, der
Eisenbahn Lublin - Cholm. Erzherzog Josef Ferdinand durchbrach
wohl am 20. Juli den sich ihm bei Borzechow entgegenstellenden Feind, doch
setzte sich dieser bald in starker Stellung und entfaltete eine äußerst
kräftige aktive Abwehr. Die gleiche Erfahrung machte die 11. Armee. Das
VI. Korps Arz trug wieder [115] seinen redlichen Anteil
an den sich entspinnenden schweren Kämpfen. Es drang am 20. Juli in die
feindliche Stellung am Siennica-Abschnitt östlich Krasnostaw ein, zog
dadurch Gegenangriffe auf sich, die es nicht nur abwehrte, sondern durch die es
sich auch nicht hindern ließ, Siennica rozana und den dortigen
Übergang über die Bachlinie zu erobern.
Generalfeldmarschall v. Mackensen erkannte, daß es wieder eines
groß angelegten Angriffs bedürfe, um den Siegeszug fortsetzen zu
können. Die nötigen Kräfteverschiebungen brauchten Zeit,
weshalb er am 22. Juli eine Operationspause einschaltete. Sie sollte benutzt
werden, um Teile der Bug-Armee in der Flankensicherung durch Truppen der 1.
Armee freizumachen und die Hauptkraft Linsingens gleiche Höhe mit der
übrigen Front gewinnen zu lassen, was sich unter Kämpfen im
Raume nördlich der unteren Huczwa bis 27. Juli vollzog. Die
verbündeten Heeresleitungen wollten beim großen Schlage auch die
Armeegruppe Woyrsch mitwirken lassen, die am 19. Juli die
Ilzanka-Stellung durchbrochen und am 27. den linksseitigen Gürtel von
Iwangorod umschlossen hatte. Die schwierige Lage der 4. Armee sprach
dafür, Woyrsch oberhalb der Festung unmittelbar in Flanke und
Rücken des gegenüberstehenden Feindes über die Weichsel
setzen zu lassen. Zweifellos war aber ein Übergang unterhalb Iwangorod
strategisch wirksamer und sowohl auf die Vorgänge bei Lublin als auch auf
jene bei Warschau von Einfluß. So ließ Generaloberst
v. Woyrsch das XII. Korps Köveß vor Iwangorod und
verschob seine deutschen Truppen an die Radomkamündung.
Am 29. Juli gewann Generaloberst v. Woyrsch
an 5 Stellen das jenseitige
Weichselufer, wobei sich die österreichisch-ungarischen Pioniere wieder
besonders auszeichneten. Am gleichen Tage ging die Stoßgruppe der 11.
Armee gegen Biskupice, jene der 4. gegen Lublin, der
Bug-Armee gegen Cholm vor. Dem unwiderstehlichen Anprall waren die Russen,
in der Westflanke und im Rücken bedroht, ohne Hoffnung auf das Gelingen
des bei Sokal so oft versuchten und jetzt wohl wieder eingeleiteten
Entlastungsstoßes, nicht gewachsen. Als sich bei Biskupice Erfolg an Erfolg
reihte, Erzherzog Josef Ferdinands Hauptangriffsgruppe im fünften
Ansturm die mit siebenfachen Drahthindernissen umgürteten Stellungen
bezwang, traten die Russen in der Nacht den Rückzug an. Zu Mittag des 30.
ritt Kavallerie des Erzherzogs in Lublin ein, am Abend war die Eisenbahn
Lublin - Cholm in breiter Front überschritten, am 1. August
fiel Cholm in die Hände Linsingens.
Die nächste Folge der Durchbruchsschlacht bei Biskupice war der
Rückzug der 13. Armee vom Bug bei Krylow. Das Kavalleriekorps der 1.
Armee Generalleutnant v. Heydebreck und das Korps Szurmay folgten
nach und erreichten am 4. August Wladimir Wolynskij; der ganze Raum zwischen
Luga und Bug stand nunmehr dem Feldzeugmeister v. Puhallo als
Brückenkopf großen Stiles zur Verfügung. Die
Siebenbürger Truppen des Generals v. Köveß, 16.
Infanterie- [116] division
Feldmarschalleutnant Rudolf Krauß und 35. Infanteriedivision
Generalmajor v. Podhoranszky, erstürmten am 1. August acht
Stützpunkte des neuentstandenen äußeren Gürtels von
Iwangorod und drangen bis zum alten vor. Durch die Ereignisse östlich der
Weichsel mit dem Verlust ihrer Verbindungen bedroht, räumten die Russen
in der Nacht zum 4. August die Festung.
So schwer die Russen durch den letzten Mißerfolg getroffen waren, rauften
ihre Truppen noch immer prächtig und ermöglichten es ihrer
Führung, aus der angesichts des Vordringens der Verbündeten auf
allen Fronten verzweiflungsvollen Lage mit halbwegs heiler Haut
herauszukommen. Die Verfolger fanden im vielfach versumpften und von
zahlreichen Wasserlinien bedeckten Gelände in der Ebene nördlich
und nordwestlich Cholm, aber auch an den Zugängen zum unteren Wieprz
verzweifelten Widerstand. Erzherzog Josef Ferdinand mußte sich erst in
einer vom 5. bis 7. August dauernden Durchbruchsschlacht bei Lubartow freie
Bahn an den Fluß schaffen. Nun aber begann ein Kesseltreiben, dessen
Leitung im Einverständnis mit dem
Armee-Oberkommando Teschen die deutsche Oberste Heeresleitung in die Hand
nahm. Am 9. August schloß jenseits der Bahn
Iwangorod - Lukow das XII. Korps Köveß an den
linken Flügel der 4. Armee. Die Front der nun gegen Nordost
vorrückenden Heeresgruppe Mackensen und der gegen Ost von der
Weichsel vordringenden Heeresgruppe Prinz Leopold von Bayern war
lückenlos geschlossen. Der Feind hielt wohl bis 12. August hinter der
Tysmienica und vor den beiden deutschen Armeen Mackensens, doch machte er
sich eiligst aus dem Staube, als der linke Flügel der 4. Armee und
Köveß den Raum um Lukow erreichten. Alles hastete dem Ausgang
nach Rußland, der Festung Brest-Litowsk zu, in deren Vorfeld die Verfolger
schon am 17. August eintrafen.
Die Bug-Armee, die mittlerweile die Sicherung am Bug bis an die Ucherka der 1.
Armee übergeben hatte, überschritt am 15. und 16. bei Wlodawa den
Fluß und drang unter Kämpfen mit der sich ihr entgegenstellenden
Hauptkraft der 13. Armee nordwärts vor. Feldmarschalleutnant
v. Arz, zeitweilig Linsingens Befehl unterstellt, säuberte inzwischen
mit seiner 12. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Kestranek und
39. Honved-Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Hadfy das Vorfeld der Festung
zwischen Bahn und Krznafluß, durchbrach am Abend des 25. den
Fortsgürtel und erstürmte ein Werk. Am selben Tage gab die
russische 13. Armee Linsingens Hauptkraft den Weg in den Rücken von
Brest-Litowsk frei. Die 11. und 4. Armee, die am 19. August beiderseits Janow
den Widerstand der Russen am Bug, am 23. im Verein mit Truppen des Prinzen
Leopold von Bayern an der Pulwa brachen, standen am 15. August an der Lesna.
Die Russen räumten nun in aller Hast
Brest-Litowsk, das am 26. in Mackensens Händen war. Seinen Zweck, das
Abfließen der sich zusammendrängenden Massen zu
ermöglichen, [117] hatte der Platz,
unterstützt vom geschickt geleiteten Widerstand der beiderseits der Festung
kämpfenden Truppen, erfüllt.
Die Verfolgung des Feindes nördlich des Pripjatj machte nur noch die
Gruppe Köveß mit, die auch weiterhin im Verband der deutschen
Front blieb. Die 4. Armee hatte im Maße der Verengung ihres
Vorrückungsraumes bereits beträchtliche Kräfte zur 1. Armee
abgesandt, der in der Auswertung der bisherigen Erfolge, der weiten Trennung der
russischen Front durch das versumpfte Pripjatgebiet, eine besonders wichtige
Rolle zugedacht war. Die übrigen
österreichisch-ungarischen Truppen sollten eine Frist der Erholung
genießen, ehe sie einer neuen, schon dringlich gewordenen Aufgabe
gewidmet wurden: der Niederwerfung Serbiens.
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