Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
Kapitel 3: Der Krieg 1914 gegen
Rußland (Forts.)
Feldmarschalleutnant Josef Metzger
4. Der Feldzug von Krakau und
Lodz.
Der Rückzug der verbündeten Heere wurde diesmal mit einer
großen Neugruppierung verbunden, die sich mit bemerkenswerter
Schnelligkeit vollzog. Der Großteil der deutschen 9. Armee, verstärkt
durch Truppen aus Ostpreußen, durch
österreichisch-ungarische Kavallerie und durch deutsche Kavallerie aus
dem Westen, wurde - zumeist im Bahntransport - nach
Thorn - Hohensalza - [46] Wreschen gebracht, um
in der Richtung Lodz - Lowicz gegen die Nordflanke der
vorrückenden russischen Massen zu stoßen. Unter Führung des Generals der Kavallerie v. Mackensen begann diese neue Operation der
deutschen 9. Armee schon am 11. November.6
Vor der Mitte der russischen Dampfwalze blieben zunächst nur schwache
deutsche Kavallerie- und Landsturmformationen; in diese Lücke trat nun
die österreichisch-ungarische 2. Armee. Bei Belassung des VII. Korps in
den Karpathen wurde sie mit Bahn nach Preußisch-Schlesien geführt,
nordöstlich von Oppeln ausgeladen und unverzüglich auf russisches
Gebiet gegen Noworadomsk in Bewegung gesetzt. Zwischen Czenstochau und
Krakau richteten sich die deutsche Armeeabteilung Woyrsch und die Armee Dankl zur Abwehr ein. Die 4. Armee wurde bis Krakau zurückgezogen und
ging aufs nördliche Weichselufer über, um aus dem Gürtel der
Festung zum Angriff gegen die Südflanke der russischen Masse
vorzubrechen, auf deren Nordflanke die deutsche 9. Armee losging.
In Westgalizien, zwischen der Weichsel und den Karpathen blieb nur ein Korps,
das XI. Feldzeugmeister Ljubičić nebst starker Kavallerie, um nach
Maßgabe des feindlichen Druckes in den Raum südlich Krakau
auszuweichen.
Die 3. Armee Boroević ging in die Karpathen von der Duklasenke bis
Lupkow zurück, um die Eingänge nach Ungarn zu verteidigen und
gleichfalls zum Flankenstoß gegen Norden bereit zu sein. Zu ihr trat das
zurückgebliebene VII. Korps der 2. Armee. Die Verteidigungsgruppen in
den östlichen Waldkarpathen traten unter Befehl des Generals der
Kavallerie Freiherr v. Pflanzer-Baltin.
So wurden zum Schutze des Heimatgebietes gegen mehr als 30 russische
Divisionen außer der Besatzung von Przemysl nur 11 Infanteriedivisionen
mit Kavallerie und Landsturmtruppen belassen, während drei Armeen mit
26 Infanteriedivisionen und 5 Kavalleriedivisionen zur Bekämpfung der
feindlichen Massen bereit standen, die Preußisch-Schlesien zu
überfluten drohten. Die treue Hilfsbereitschaft, die
Österreich-Ungarns Wehrmacht dem Kampfgenossen hier in schwerster
Bedrängnis erwiesen hat, ist ihr später reichlich vergolten worden.
Mag auch die Nibelungentreue der harten Jahre gemeinsamen Kampfes im
Zeitgeist der trüben Gegenwart wenig Anwert finden, so werden doch
Deutschlands und Österreichs Söhne in hellerer, gemeinsamer
Zukunft dieser Treue ihrer Väter mit Stolz gedenken. Ein leerer Wahn war
sie nicht!
Breit und geschlossen, schwerfällig und langsam wälzte sich die
russische Masse in Westpolen der schlesischen Grenze zu.
In diesen Tagen atemloser Spannung lagen fast allabendlich die entzifferten
feindlichen Funksprüche vor, denen die ganze Größe der
Gefahr [47] zu entnehmen war, die
aber unbezahlbare Nachrichten brachten über
Vorrückungsräume, Marschziele und Absichten der Russen.
Diese Nachrichten setzten das nach Teschen zurückverlegte
Armee-Oberkommando oft in die Lage, nicht nur zu wissen, wo der Feind gestern
und heute war, sondern auch wohin er morgen und übermorgen gelangen
wollte. Blitzartig beleuchtete mitunter der aufgefangene Funkspruch, das
erhaschte Bruchstück die Situation der Russen, gab die Zusammensetzung
ihrer Armeen, die Standorte ihrer Führer der Kenntnis des
Armee-Oberkommandos preis. An der Ungunst der Zahl, welche die Ausnutzung
dieser Nachrichten hinderte, war nichts zu ändern; aber für die
Entschlüsse der verbündeten Heeresleitungen waren diese unbedingt
sicheren Mitteilungen, die ihnen der Feind unbewußt zukommen ließ,
höchst wertvoll. Ein Fall, in dem sie entlastend wirkten, sei besonders
erwähnt: Es war vor dem 10. November, die 1. Armee mit dem Einrichten
ihrer Stellungen nordwestlich Krakau noch nicht zu Ende und kurzer Erholung
dringend bedürftig. Dem russischen Angriff, der anscheinend nahe
bevorstand, sah man nicht ohne Besorgnis entgegen. Aus aufgefangenen
russischen Marschbefehlen war zu ersehen, daß tags darauf das III.
kaukasische Korps infolge eines Mißverständnisses unfehlbar in den
Marschraum des Nachbarkorps geraten müsse, das einer anderen Armee
angehörte. Richtig gab's am nächsten Tage gereizte Radiotelegramme
zwischen dem russischen 9. und 4. Armeekommando. Der Irrtum brachte
Stockungen, Aufenthalte, einen Zeitverlust von zwei Tagen für den
feindlichen Vormarsch, einen unschätzbaren Gewinn für die
Verbündeten.
Am 13. November wurde bei den Russen das Vorschieben der Dampfwalze
für die nächsten Tage bis zur Linie
Königshütte - Kreuzburg -
Kempen - Jaroczyn befohlen; schon forderten die Kommandos von ihren
vorgesetzten Stellen dringend das Kartenmaterial für den Vormarsch auf
preußisches Gebiet; da traf sie der Flankenstoß von Nord und bald
darauf auch von Süd. Die Schlachten, die sich daraus entwickelten, haben
von Mitte November bis Mitte Dezember gedauert. In ihren Auswirkungen haben
sie den ganzen russischen Angriffsplan zum Scheitern gebracht, die Walze
stillgelegt.
Der Stoß der deutschen 9. Armee in die Nordflanke kam den Russen
überraschend. Deren 1. Armee wurde bei Wloclawek und Kutno
geschlagen; der konzentrische deutsche Angriff bei Lodz schien einen
Vernichtungsschlag gegen die russische 2. Armee vorzubereiten, ähnlich
dem, der bei Tannenberg gelungen war. Schon mußten Teile der feindlichen
5. Armee nordwärts zur Rettung der Lage abschwenken, schon war die
Absicht ausgesprochen, Lodz zu räumen. Ein entschlossener Gegenbefehl
des Großfürsten Nikolaj veranlaßte das Halten bei Lodz, das
Heranziehen von Verstärkungen und die Durchführung des
russischen Gegenstoßes aus der Richtung von Lowicz und Skierniewice.
Die deutschen Umfassungstruppen, die östlich an Lodz vorbei tief nach
Süden vor- [48] gestoßen hatten,
waren im Rücken angegriffen, abgeschnitten und in höchster Gefahr.
Sie schlugen sich siegreich durch und vom 25. November an stand hier Front
gegen Front: alle Versuche der Russen, sich durch Angriffe der deutschen 9.
Armee zu entledigen, blieben vergeblich.
Zur selben Zeit wurde im Süden die Schlacht bei Krakau
durchgekämpft.
Am 17. November stieß die 4. Armee Erzherzog Josef Ferdinand aus der
Nordfront der Festung in die linke Flanke der russischen 9. Armee hinein, die sich
mit Teilen gegen Krakau sicherte, während ihre Hauptkräfte in
Richtung Königshütte vordringen sollten. Am 18. gewann der
Angriff Raum, doch trafen die Truppen überall auf verschanzte, stark
besetzte Stellungen. Am 19. ging auch die Armee Dankl zum Angriff über
und brach an vielen Stellen in die feindliche Front ein. Die 4. Armee drang
siegreich vor und warf die Russen, die vergeblich zwischen der 4. und 1. Armee
durchzubrechen suchten, über den Szreniawabach zurück. Die
Oberösterreicher und Salzburger der Infanterieregimenter 14 und 59
bedeckten sich hierbei mit besonderem Ruhm. Entschiedener Raumgewinn
entlang der Weichsel erweiterte sich bis Koszyce; er veranlaßte den
Führer der russischen 9. Armee, General Letschitzki, zu starken
Gegenangriffen auf den Ostflügel, XVII. Korps General der Infanterie
Křitek und XIV. Feldmarschalleutnant Roth. Diese
Gegenstöße wurden abgewiesen, Letschitzki aber wandte sich an
seinen Nachbar südlich der Weichsel, Dimitrijew, und forderte ihn mit
Funkspruch dringend auf, "im Namen des Sieges" Kräfte auf das Nordufer
zur Verstärkung zu senden. Dimitrijew folgte mit einem Korps diesem
Rufe, beschleunigte den Vormarsch der 3. Armee gegen Krakau am rechten
Weichselufer und drückte das XI. Korps über Bochnia zurück;
seine Kavallerie stieß über Neusandez vor. Gleichzeitig begann die
russische 8. Armee unter Brussilow den Angriff über die Karpathen. Ein
tief nach Ungarn bis Homonna eingedrungenes Korps wurde wieder
hinausgeworfen, der linke Flügel der 3. Armee hingegen bis Bartfa
zurückgedrängt.
So war die große Offensive der Russen gegen
Preußisch-Schlesien zwar durch den gleichzeitigen Angriff auf beide
Flügel der Dampfwalze zum Stehen gebracht, aber das Vordringen der
feindlichen Übermacht südlich der Weichsel zwang das
Armee-Oberkommando, die Schlacht bei Krakau am 25. November
abzubrechen.
Die Lage in der westgalizischen Lücke zwischen der Armee
Boroević und den Streitkräften bei Krakau wurde unerträglich
und verlangte dringend rasches Eingreifen. Wieder war es, wie im Herbst bei
Komarow, die 4. Armee, die den Schauplatz schwerer erfolgreicher
Kämpfe verlassen mußte, um vom neuen in die Schlacht geworfen zu
werden.
Mit großer Wahrscheinlichkeit war anzunehmen, daß sich zwischen
der nach West vorgehenden Armee Dimitrijew und der nach Süd
über die Karpathen angreifenden Armee Brussilow eine Lücke finden
werde, die geschickte Führung [49] ausnutzen konnte, um
den Südflügel der russischen 3. Armee zu fassen. Zunächst
wurde die ganze 4. Armee hinter den Festungsgürtel zurückgezogen,
dann wurden drei Infanteriedivisionen dieser Armee, jede an Infanterie nicht viel
mehr als ein Regiment auf vollem Stande zählend, verstärkt durch
die vollzählige deutsche 47. Reserve-Infanteriedivision, mit Bahn nach
Chabowka verschoben, um diesen Flankenstoß zu führen.
Während die Vorbereitungen ins Werk gesetzt wurden, um brave
deutsch-österreichische Truppen wieder im meistbedrohten Raume der
hereinbrechenden Flut entgegenzuwerfen, kam am 2. Dezember die Nachricht,
daß die Balkanstreitkräfte Belgrad genommen hatten. Ein Erfolg, in
dem man damals die Krönung eines siegreichen Feldzuges sehen konnte,
der sich aber bald als die Kulmination eines die eigene Kraft
übersteigenden Angriffs erwies, dem ein unheilvoller Rückschlag
unmittelbar folgte. Als dieser eintrat, wurden an der russischen Front zwei neue
Schlachten geschlagen: in Polen die zweite Schlacht bei Lodz, in Galizien die
Schlacht bei Lapanow und Limanowa.
Schon im Oktober war sowohl das österreichisch-ungarische
Armee-Oberkommando in Neusandez, als auch das Oberkommando des
deutschen Ostheeres dafür eingetreten, das Hauptgewicht der
verbündeten Kräfte auf den östlichen Kriegsschauplatz zu
verlegen, um die dort drohende Gefahr endgültig abzuwenden. Die
deutsche Oberste Heeresleitung aber hatte die von Monat zu Monat wachsende
Überzahl der Feinde im Westen vor Augen und hielt nach Streckung der
Gesamtfronten bis an das Meer bei Westende einen Angriff bei Ypern für
aussichtsvoll. Demgemäß verwendete sie im November den
größten Teil der neugebildeten "jungen" Korps im Westen; als jedoch
ein entscheidender Erfolg bei Ypern ausblieb, wurden in der zweiten
Novemberhälfte mehrere deutsche Korps nach dem Osten abgegeben. Die
verstärkte deutsche 9. Armee konnte anfangs Dezember den Angriff bei
Lodz erneuern, am 6. Dezember die Stadt nehmen und dann bei Lowicz noch
einen zweiten Schlag führen, der den Rückzug der Russen an die
Rawkalinie zur Folge hatte. An diesen Kämpfen beteiligte sich auch die
österreichisch-ungarische 2. Armee. Während um Lodz gerungen
wurde, hielt sie bei Belchatow starke feindliche Kräfte vom Eingreifen
gegen den Südflügel der deutschen 9. Armee ab, dann drang sie
über Piotrkow und Noworadomsk bis an die Pilica vor.
Wechselvoll und reich an Krisen entwickelte sich gleichzeitig der Kampf in
Westgalizien als reine Bewegungsschlacht; dem Geschick der Führung aller
Teile bot sie weiten Spielraum. Das XI. Korps Ljubičić, dem noch
das XVII. Křitek als Verstärkung zugeführt wurde, wich
frontal vor der russischen 3. Armee bis über Wieliczka und Dobczyce
zurück, während die früher erwähnten vier
Infanteriedivisionen mit Bahn nach Chabowka und Mszana verschoben und zum
Flankenstoß in der Richtung
Lapanow - Bochnia angesetzt wurden.
[50] Am 1. Dezember
öffnete die Wiener 13. Schützendivision, Generalmajor
v. Szekely, im Verein mit den zu Fuß kämpfenden Reitern des
Feldmarschalleutnants Freiherrn v. Nagy den Zugang zu dem für den
Flankenstoß ausersehenen Raum an der Straße
Chabowka - Limanowa. Am 2. wandte sie sich nach Norden,
während die Linzer 3. Infanteriedivision, Generalmajor v. Horsetzky,
mit den Reitern weiter längs der Straße vordrang. Am 3. schwenkte
auch diese Division nach Norden auf, während der Stoß der Reiter
längs der Straße von der Innsbrucker 8. Infanteriedivision,
Feldmarschalleutnant v. Fabini, unterstützt wurde und im Laufe des
Tages Limanowa gewann. Feldmarschalleutnant Roth übertrug nun die
Sperrung der Straße gegen Neusandez der 11.
Honved-Kavalleriedivision und ließ am 4. auch die 8. Infanteriedivision,
rechts von ihr die deutsche 47. Reservedivision, Generalleutnant
v. Besser, zum [51] Flankenstoß
vorgehen, rechts begleitet von der 6. Kavalleriedivision, Generalmajor
Schwer.
[50]
Skizze 3: Die Schlacht bei
Limanowa-Lapanow.
|
Der Angriff im winterlich verschneiten Bergland über steile und vereiste
Hänge gegen die sich immer wieder in günstigen Stellungen zu
neuem Widerstand setzenden Russen stellte hohe Anforderungen an die Truppen,
deren Angriffslust jedoch trotz aller bereits hinter ihnen liegenden Anstrengungen
die unendlichen Schwierigkeiten überwand. Am 4. Dezember abends war
ein Raum von 10 km Tiefe gewonnen, der Südflügel der
Gruppe Ljubičić, 30. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant
Kaiser, im Anschluß an die Schützendivision im rüstigen
Vorgehen.
Dimitrijew erkannte rasch die Gefahr, sammelte alle erlangbaren Truppen zur
Unterstützung seines eingedrückten Südflügels und
holte auch die seinerzeit über die Weichsel nach Norden abgegebenen
Kräfte wieder eilig heran. Zugleich sollte die russische 8. Armee mit ihrem
rechten Flügel - dem VIII. Korps - scharf über
Neusandez auf Limanowa vorstoßen, gegen die rechte Flanke und den
Rücken der bei Lapanow schwer kämpfenden Angriffsgruppe unter
Feldmarschalleutnant Roth.
Schon am 5. machte sich das Eintreffen bedeutender russischer
Verstärkungen fühlbar. Namentlich der linke Flügel der
Gruppe Roth hatte schwer zu ringen, sogar Gegenstöße abzuwehren,
während die Deutschen am rechten Flügel, wenn auch oft zu
Kämpfen mit Bajonett und Kolben gezwungen, rascher vorwärts
kamen. Am Abend stand das Eintreffen russischer Kräfte der 8. Armee
Brussilow in Neusandez außer Zweifel. Generalmajor Graf Bissingen der
11. Honved-Kavalleriedivision, die von Nowytarg dahin vorgerückte 10.
Kavalleriedivision, Generalmajor Graf Herberstein, und eine gemischte Gruppe
der 3. Armee Boroević, geführt vom Obersten v. Weiß,
waren nach Kampf zum Rückzug gezwungen.
Trotzdem setzte Feldmarschalleutnant Roth den Angriff gegen Norden fort, der
seinem linken Flügel und der Gruppe Ljubičić vollen Erfolg
brachte. Die Russen wichen hinter die Stradomka. Dagegen warfen sie jetzt alle
erlangbaren Verstärkungen dem rechten Flügel entgegen, trachteten
ihn auch in der Flanke zu packen, so daß hier schwere Kämpfe
entbrannten, welche die Deutschen und die Tiroler Infanteriedivision nur
schrittweise Raum gewinnen ließen. Feldmarschalleutnant Roth benutzte
die durch Einschwenken seines linken Flügels und der Gruppe
Ljubičić eingetretene Frontverkürzung, um dort
überzählige Truppen zur Verstärkung des rechten
Flügels einzusetzen. Dies brachte in heißem Ringen am 7. und 8. bei
Lapanow Raumgewinn, doch ergab sich am Abend des letzteren Tages, daß
die Russen in ihren neuen Stellungen jetzt erst den eigentlichen
Entscheidungskampf aufzunehmen gedachten. Gleichzeitig wurde das
Anrücken des russischen VIII. Korps von Neusandez gegen Limanowa
gemeldet, wo die Reiter und vier Landsturmbataillone unter Graf [52] Herberstein inzwischen
Befestigungen aufgeworfen hatten, um den gefährlichen Stoß nach
Möglichkeit aufzuhalten.
Die Krisis der Schlacht rückte sichtlich näher. Das
Armee-Oberkommando in Teschen warf den Feldmarschalleutnant Arz
v. Straußenburg mit zwei eben verfügbaren
Infanteriedivisionen rasch gegen das russische VIII. Korps nach Limanowa, wo
sich die tapfere Kavallerie bis zum Einlangen der Verstärkung
heldenmütig verteidigte. Gleichzeitig erhielt die Armee Boroević den
Angriffsbefehl zum Vorstoß über die Karpathen nach Nord: ihr linker
Flügel unter Feldmarschalleutnant Szurmay hatte rasch und
rücksichtslos über Neusandez in Flanke und Rücken der gegen
Limanowa vordringenden Russen zu stoßen.
Alle Bemühungen des Feldmarschalleutnants Roth, am 9. den Stoß
gegen Bochnia vorwärtszutragen, blieben erfolglos. Der Flankenstoß
hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der lästige Druck auf die Ostflanke
der 47. Reservedivision hatte dazu genötigt, die vordere Division des
Feldmarschalleutnants v. Arz, die Przemysler 45. Schützendivision,
Feldmarschalleutnant Smekal, sowie die Wiener Schützendivision in der
Ostflanke einzusetzen, während die 39.
Honved-Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant Hadfy, die Verteidiger von
Limanowa direkt verstärken sollte. Die am 9. in der Ostflanke erzielten
Fortschritte wurden am 10. von den Russen zum Teil wieder wettgemacht, die
Verteidiger von Limanowa auf das äußerste bedrängt, der linke
Flügel der Front des Feldmarschalleutnants Roth von einem
mächtigen Durchbruchsversuch der Russen getroffen und hinter die
Stradomka zurückgedrängt. Eilends mußte die von der 1.
Armee Dankl heranrollende 15. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant
v. Schenk, hier eingesetzt werden. Die ganze Front sah sich auf die
Verteidigung beschränkt, nur bei Limanowa sollte die eben eintreffende
zweite Brigade, Generalmajor Molnar, der 39.
Honved-Infanteriedivision am 11. den Südflügel der Russen
umfassend angreifen. Die Schlachtenentscheidung wurde vom Eingreifen der
Armee Boroević erhofft, deren Westflügel unter
Feldmarschalleutnant Szurmay sich in glücklichen Kämpfen
Neusandez näherte.
Die Krise bei Lapanow wurde in überaus hartnäckigen
Kämpfen überwunden, das russische VIII. Korps bei Limanowa
umfassend im Gegenangriff geworfen, im Rücken über Neusandez
am 12. angegriffen und völlig geschlagen. Die Lücke, die zwischen
der feindlichen 3. und 8. Armee gerissen war, veranlaßte beide zum
Rückzug.
An Ereignissen und an Arbeit überreich waren die Tage dieser Schlacht mit
ihren Hoffnungen und Sorgen, mit dem wiederholten Wechsel der Lage, mit den
dringenden Aushilfen und stets neuen Aufgaben, die der Führung
erwuchsen. Die Bemühungen, den Einklang im Handeln der weit
getrennten Gruppen zu erzielen, wurden durch verständnisvolles
Zusammenwirken aller Teile für den Sieg belohnt. Als typische
Bewegungsschlacht voll über- [53] raschender Wendungen
und Improvisationen unterschied sie sich sehr wesentlich von den späteren,
bis ins Kleinste vorherbedachten und vorbereiteten Kämpfen in den
lückenlosen Stellungsfronten.
Bis zum 16. Dezember war die ganze Riesenfront des Feindes in Polen und in
Westgalizien zurückgezwungen. Sie stellte sich vom neuen entlang der
Flußlinie Bzura - Rawka - obere
Pilica - Nida - Dunajez - Biala.
Die ganze 3. Armee brach, den Feind vor sich hertreibend, in das nördliche
Karpathenvorland ein; am linken Flügel erreichten das IX. und III. Korps
Ryglice und Brzostek, in der Mitte nahm das VII. Korps Krosno, der rechte
Flügel stieß bei Lisko auf überlegenen Feind.
Die Russen sahen ihre Hauptverbindungslinie, die Eisenbahn
Tarnow - Rzeszów - Jaroslau, und die aus
Reservedivisionen neu gebildete 11. Armee bedroht, die Przemysl
einschloß. Aus der in die Abwehr fallenden Front in Polen und vom Dnjestr
zogen sie Verstärkungen für ihre 3. und 8. Armee heran,
verschärften den Widerstand aufs äußerste und gingen am 20.
Dezember mit der 8. Armee zum Gegenangriff über. Die Armee
Boroević, der die gezwungenermaßen auf weitem Umweg von
Krakau anrollenden Verstärkungen zu spät zukamen, wurde von der
Übermacht in der Schlacht bei Jaslo zurückgedrängt und wich
nach harten Kämpfen in den Weihnachtstagen auf den Hauptkamm der
Karpathen aus. Gleichzeitige Versuche der Russen, die Front zwischen Dunajez
und Biala und bei Gorlice zu durchstoßen, wurden blutig abgewiesen.
Diese Ereignisse in der Weihnachtszeit 1914 bildeten auf dem russischen
Kriegsschauplatz den Übergang vom bisherigen zu einem neuen, ganz
veränderten Bilde. Bei ihrer ersten Versammlung zu Kriegsbeginn hatten es
die Russen mit Vorbedacht vermieden, sich nach Westpolen in die Zange
zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn hineinzubegeben. Dem
großen Kriegsplan der Entente zuliebe hatten sie es dann doch im Herbst
mit ganzer Kraft getan und waren gescheitert. Ihr Höchstkommandierender,
Großfürst Nikolai, war nicht der Mann, dessen Wille sich leicht
beugte. Nach dem Mißerfolg der Offensive gegen Schlesien wechselte er
rasch und mit Entschiedenheit sein Ziel: von der Jahreswende 1914/15 an erstarrte
die Front in Polen und in Galizien im Stellungskampf, das ganze Bestreben der
Russen war von nun ab darauf gerichtet, die
österreichisch-ungarische Abwehr in den Karpathen zu durchbrechen und
durch den Stoß nach Ungarn die Donaumonarchie endgültig zu
erledigen.
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