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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 3: Der Krieg 1914 gegen Rußland   (Forts.)
Feldmarschalleutnant Josef Metzger

Gesamtansicht von Lemberg.
Gesamtansicht von Lemberg.    [Vergrößern]
Aus: Um Vaterland und Freiheit, Bd. 1, S. 121.
2. Der Feldzug von Lemberg.

Für den Angriff zwischen Weichsel und Bug waren etwa 350 Bataillone, 150 Eskadronen und 150 Batterien eingesetzt, während die Kräfte, denen die Deckung in Ostgalizien zufiel, rund 200 Bataillone, 170 Eskadronen und 130 Batterien zählten.

Die Armee Dankl, mit ihren drei Korps nebeneinander vorgehend, trat nach Durchschreiten der Wald- und Sumpfzone am Tanew schon am 23. August mit dem linken Flügel gegen mehr als zwei Infanteriedivisionen der russischen [29] 4. Armee in den Kampf. Die Höhen bei Polichna und Goscieradow wurden erobert, der Feind auf Krasnik geworfen. Am 24. und 25. August setzte die 1. Armee den Angriff erfolgreich fort und schob ihren linken Flügel zur Umfassung vor. Das I. Korps General der Kavallerie Karl Freiherr v. Kirchbach nahm am 24. August Urzedow, am 25. wurde Krasnik erobert, der Feind in die Flucht geschlagen, hiermit die Schlacht bei Krasnik entschieden. Am Ostflügel bei Janow und Frampol gingen die Russen am 24. August mit zwei Korps zum Gegenangriff vor, wurden aber zurückgeschlagen und traten am 25., von Krasnik her bedroht, den allgemeinen Rückzug in der Richtung auf Lublin an. Die 1. Armee folgte. Gefangene russische Offiziere bestätigten die Tiefe des Eindrucks, den der unwiderstehliche, rücksichtslose Angriffsdrang der tapferen Truppen auf den zähen Feind übte. Deutsch-österreichische Regimenter aus Mähren und Schlesien taten sich rühmlich hervor; magyarische und slowakische Truppenteile des V., polnische und ukrainische des I. und X. Korps fochten Schulter an Schulter mit einem Elan, der alles weit übertraf, was die Russen im fernen Osten bei ihren japanischen Feinden gesehen hatten - mit einer Unerschrockenheit, die den Erfolg verbürgte, trotz der empfindlichen Verluste, welche die starke feindliche Artillerie den Angreifern zufügte.

Schwierig und wechselvoll entwickelten sich indessen die Kämpfe der Armee Auffenberg in der Schlacht bei Komarow. Am 25. August war sie mit drei Korps (II., VI. und IX.) im Vormarsch auf Zamośc - Tomaszów, das XVII. Korps General der Kavallerie Graf Huyn folgte dem VI. General der Infanterie v. Boroević, die Gruppe Erzherzog Josef Ferdinand XIV. Korps war in der Staffel rechts noch weit zurück. Ein russisches Korps stand in Stellung vor Zamośc, ein anderes war im Anmarsch von Nord und Nordost auf Tomaszow.

Am 26. August warf das Wiener II. Korps General der Infanterie Blasius Schemua den Feind bei Zamośc, die Armeemitte aber stieß bei Tarnawatka auf härtesten Widerstand, den sie auch am 27. nicht zu brechen vermochte. Am 28. August griffen zwei weitere russische Korps in den Kampf bei Tarnawatka - Tomaszow ein, um die Front in der Mitte zu durchstoßen.

Das Eingreifen dieser neuen feindlichen Kräfte kündigte sich schon am 27. August mit einem Überfall auf das Kavalleriekorps der 4. Armee an; am 28. vor Tagesanbruch erlag auch die 15. Infanteriedivision des VI. Korps unter schweren Verlusten einem russischen Überfall; die hartnäckigen Angriffe des verstärkten Feindes bei Tarnawatka konnten nur mühsam abgewehrt werden; die Lage war äußerst kritisch. Da brachte am 28. August nachmittags das siegreiche Vordringen des XVII. Korps östlich von Tomaszow Entlastung und das Korps des Erzherzogs Josef Ferdinand, zum Großteil aus den prächtigen Truppen der Alpenländer bestehend, erfocht am äußersten rechten Flügel im ersten Anprall einen durchschlagenden Erfolg gegen ein russisches [30] Korps, das vom Bug her gegen die Flanke der Armee Auffenberg im Anrücken war. 60 Geschütze wurden erbeutet, mehrere tausend Gefangene eingebracht.

Am ursprünglichen Schlachtplan festhaltend, stellte der Armeeführer dem russischen Durchbruchsversuch gegen seine Mitte die Umfassung an beiden Flügeln entgegen. Rechts setzten das XIV. und XVII. Korps am 29. August ihren Angriff siegreich fort, in der Mitte wehrten das VI. und IX. Korps die angreifenden Russen ab, links folgte das II. Korps dem Feind nur mit der 4. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant v. Stöger-Steiner über Zamośc, während die 25. Infanteriedivision Generalmajor Erzherzog Peter Ferdinand und 13. Schützendivision Feldmarschalleutnant Kreysa zum Einschwenken gegen Komarow bereitgestellt wurden, um den seine Durchbruchsversuche zäh erneuernden Feind einzukreisen Am 30. August wirkte endlich die Bedrohung der beiden russischen Flügel; der Feind stellte die Angriffe gegen die Mitte ein und verstärkte an den Flügeln seinen Widerstand, unter dessen Schutz er den Rückzug begann. Die Größe des Erfolges wurde zwar dadurch gemindert, daß die zum Rückenangriff auf Komarow eingeschwenkten Teile des II. Korps auf die Nachricht vom Anmarsch russischer Kräfte von Norden her am 31. August wieder zurückschwenkten und den schon verlegten Rückzugsweg freigaben; aber es gelang trotzdem, die Niederlage der russischen 5. Armee zu vervollständigen. Im Zentrum wurde Komarow erobert, am Ostflügel der Druck fortgesetzt, dem sich der Russe mit aller Kraft entgegenwarf, um die Verlegung seines Rückzuges über Grubieszow zu verhindern. Am 1. September war der Sieg der 4. Armee auf der ganzen Front vollständig, der Feind im eiligen Rückmarsch hinter den Bug. Mehr als 10 000 Gefangene, über 150 Geschütze waren die Beute des achttägigen harten Ringens.

Am selben Tage stand die Armee Dankl, welche die Verfolgung nach der Schlacht bei Krasnik unter steten erbitterten Kämpfen fortgesetzt hatte, nur noch einen Tagmarsch südlich Lublin, wo der nach und nach auf zwölf Infanteriedivisionen verstärkte Feind in mehreren hintereinander liegenden, stark ausgebauten Stellungen ihren Angriff erwartete.

Während in der letzten Augustwoche die Siege in Polen erfochten wurden, machte sich in Ostgalizien der Druck der russischen Übermacht geltend. Angesichts der Massen, die im breiten Raume zwischen Radziechow und dem Dnjestr vorrückten, die 3. und 8. Armee, der Teile der zur Beobachtung Rumäniens bestimmten 7. folgten, verhieß die gestaffelte Gruppierung der Deckungstruppen wenig Erfolg. Der Vorschlag, mit zusammengefaßter Kraft einen Stoß gegen des Feindes Mitte, die aus dem Raume Brody - Tarnopol vorrückenden Kolonnen zu führen, fand deshalb den Beifall des Armee-Oberkommandos in Przemysl. Dem General v. Brudermann wurde hierzu außer seinen beiden Korps (XI. General der Kavallerie v. Koloßvary, III. General der Infanterie Colerus v. Geldern) noch das vom Süden heran- [31] geführte XII. General v. Köveß zur Verfügung gestellt. Die Hauptkraft war auf den Höhen südlich der Straße Lemberg - Zloczów anzusetzen. Am 26. August kam es westlich Zloczów zur Begegnungsschlacht, in der das Grazer III. Korps auf überlegenen Feind stieß und trotz tapferster Haltung der Truppen nicht durchdringen konnte. Nördlich davon behauptete sich das XI. Korps bei Busk, südlich drang das XII. Korps sogar erfolgreich vor, aber die schwachen Kräfte der erst zum Teil eingetroffenen 2. Armee, die das Vordringen der Russen über den Raum um Brzeżany abzuwehren hatten, wurden von erdrückender Übermacht zurückgedrängt; die 3. Armee mußte - im Süden durch Umfassung bedroht - am 27. August hinter die Gnila Lipa zurückgeführt werden, wo sie sich zur Abwehr einrichtete.

So scheiterte in der Schlacht bei Zloczów der Versuch, die an und für sich defensive Aufgabe in kurzem Angriffsstoß zu lösen.

Das Verfahren lag im Geiste der Erziehung und Ausbildung bei Führer und Truppe; beide erfüllte der Wille zum Angriff. Hier scheiterte er an der Übermacht des Feindes und an der mächtigen Wirkung seiner Artillerie, die - in weit überlegener Geschützzahl und reich mit Munition versehen - den todesmutig angreifenden Truppen die schwersten Verluste zufügte, um so mehr, als sie in der Beobachtung durch russenfreundliche Spione unterstützt wurde. Die jahrelange, zielbewußte Propaganda der Russen im Grenzgebiete machte sich jetzt bezahlt. Sie lieferte zahlreiche ortskundige Führer und sonstige bezahlte Verräter, welche durch Berichte und durch vereinbarte Signale die Bewegungen der eigenen Truppen zur Kenntnis des Feindes brachten und den Erfolg seiner Übermacht erleichterten.

Auch die Russen waren in der Schlacht bei Zloczów arg durcheinander gekommen und hatten schwere Verluste erlitten. Sie drängten nicht nach; erst am 29. August begann die Abwehrschlacht bei Przemyślany, in der die Armee Brudermann am ersten Kampftage alle Angriffe zurückschlug. Hier wie bei Zloczów fiel die ungünstige Entscheidung am zweiten Schlachttage durch die Ereignisse am südlichen Flügel. Die 2. Armee ließ ihr VII. Korps nebst einer Honved-Infanteriedivision gegen Rohatyn vorgehen und drang mit zwei Infanteriedivisionen aus dem Haliczer Brückenkopf nach Norden vor. Die Gruppe bei Rohatyn wurde aber am 29. August eingedrückt und die Russen benutzten diesen Einbruch, um am 30. nachmittags am Südflügel der 3. Armee das XII. Korps zu umklammern. Es ging unter schweren Verlusten nach Bóbrka und Lemberg zurück; die Stellungen der 3. Armee wurden unhaltbar, ihr Rückzug unvermeidlich. Am 1. September versammelte sich die Armee im Raume um Lemberg; sie bedurfte mehrtägiger Ruhe und kräftiger Unterstützung, um den Widerstand mit Erfolg zu erneuern. Diese Erkenntnis und die durch die bisherigen Kämpfe und Nachrichten festgestellte Tatsache, daß der Feind in Ostgalizien den dort kämpfenden Kräften um etwa 100 000 [32] bis 120 000 Mann überlegen war, machte neue grundlegende Entschlüsse der Heeresleitung notwendig, um die Verpflichtung zu erfüllen, die ihr im gemeinsamen Kampfe mit dem deutschen Bundesgenossen auferlegt war: die russische Übermacht dauernd auf sich zu ziehen und zu binden.

Das Armee-Oberkommando beschloß, Lemberg kampflos dem Feinde zu überlassen, die 3. Armee an die versumpfte Fluß- und Teichlinie der Wereszyca zurückzunehmen, die 2. südlich der 3. zu versammeln und die siegreiche 4. mit allen verfügbaren Kräften vom Schlachtfeld bei Komarow abzuberufen, um sie in der allgemeinen Richtung über Rawa ruska zum neuen Entscheidungskampf heranzuziehen.

Das Aufgeben der Landeshauptstadt Lemberg räumte dem Feind einen moralischen Erfolg ein; ernste militärische Gründe überwogen aber diesen Nachteil. Die flüchtigen Erdwerke, die zum Schutze von Lemberg entstanden waren, genügten zwar, um die Stadt bei Kriegsbeginn gegen überraschendes Eindringen feindlicher Kavalleriemassen zu sichern, einem starken, durch überlegene schwere Artillerie unterstützten Angriff waren sie nicht gewachsen. Die zum Halten des feldmäßigen Gürtels notwendigen Truppen wären einer Einschließung preisgegeben und dem Entscheidungskampfe im freien Feld entzogen worden, auf den es vor allem ankam.

Der Entschluß, diesen Entscheidungskampf zu wagen, wurzelte in der Zuversicht und im Kampfwillen der Truppen und ihrer Führer und war in der Gesamtlage begründet. Das rasche, siegreiche Vordringen der deutschen Heere in Frankreich schien damals zu versprechen, daß sich das Schicksal von Paris bald erfüllen werde. Der vernichtenden Niederlage, welche die russische Narew-Armee bei Tannenberg erlitten hatte, folgte soeben der Angriff des deutschen Ostheeres gegen Rennenkampfs Njemen-Armee. Diese Ereignisse auf den anderen Kriegsschauplätzen und die eben erfochtenen Siege der 1. u. 4. Armee bei Krasnik und Komarow bestärkten die Heeresleitung in der Absicht, die russische Übermacht mit versammelter Kraft von neuem anzufassen, um ihr den Erfolg zu entreißen.

Dem Entschlusse gemäß wurden im Laufe der ersten Septemberwoche alle irgend erlangbaren Kräfte auf das Schlachtfeld bei Lemberg herangeholt. Die 3. Armee, deren Führung der siegreiche bisherige Führer des VI. Armeekorps, General v. Boroević, übernahm, stand schon am 3. September vom Feinde unbelästigt hinter der Wereszyca, südlich davon bis zum Dnjestr wurden die Hauptkräfte der 2. Armee General v. Böhm-Ermolli versammelt, während Teile südlich des Dnjestr die Russen abschnittweise aufzuhalten hatten. (Skizze 1.)

Die Schlacht bei Lemberg
[33]      Skizze 1: Die Schlacht bei Lemberg.

Der Feind folgte den Truppen nicht, sondern strebte mit sehr starken Kräften in vielen Kolonnen Lemberg zu und schickte sich an, nördlich über Zolkiew auszuholen. Dieser Absicht sollte das Eingreifen der über Rawa ruska herandirigierten Armee Auffenberg begegnen, an welche die höchsten An- [33=Karte] [34] forderungen gestellt wurden. Mit ihren fünf Korps nach siegreicher Schlacht in der Verfolgung begriffen, mußte sie plötzlich angehalten, verkehrt und auf das neue Schlachtfeld geführt werden, unter Belassung einer Gruppe am weichenden Feind und bei gleichzeitiger Neuordnung aller Trains und Verbindungen. In vollstem Maße rechtfertigte die Armee das in sie gesetzte Vertrauen; die hohen Leistungen der Truppen und die Technik der Führung überwanden in beispielgebender Weise die großen Schwierigkeiten dieser Operation. Schon am 3. September stand die 4. Armee mit ihren Hauptkräften, etwa 9 Infanteriedivisionen stark, zwischen Tomaszow und Belz zum Eingreifen bereit, während Erzherzog Josef Ferdinand mit je zwei Infanteriedivisionen des II. und XIV. Korps südlich Grubieszow in Fühlung mit dem geschlagenen Feinde blieb. Später wurde von dieser Gruppe noch die 3. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Roth zum Entscheidungskampf herangezogen.

Um der 3. Armee sichere Entlastung auch für den Fall zu bringen, wenn die Russen den Angriff über Lemberg und Zolkiew unmittelbar fortsetzten, erhielt die 4. Armee mit dem Ostflügel die Richtung auf Magierów, welchen Raum sie am 6. September nach erfolgreichem Kampf erreichte. Drei Kavalleriedivisionen, die bisher die nördliche Flanke der 3. Armee gesichert hatten, wurden nach Rawa ruska vorgeschoben und der 4. Armee unterstellt. Auf diese Art gelang es hier, wie in mancher späteren Schlacht, die Feuerkraft großer Kavalleriekörper mit ihrer reitenden Artillerie unter Ausnutzung ihrer hohen Beweglichkeit, rasch an wichtiger Stelle der Kampffront zur Geltung zu bringen.

Der erste Grundgedanke für den Entscheidungskampf bei Lemberg gründete sich auf die Lage am 1. September. Damals bedurfte die 3. Armee einer Front mit starker Abwehrwirkung, wie sie die Wereszyca-Linie bot, die mit ihrem deckenden Hindernis auch die vollständige Versammlung der noch im Anrollen begriffenen 2. Armee zu sichern geeignet war. Der Angriffsstoß der 4. Armee von Norden her sollte den Abwehrkampf an der Wereszyca entlasten und den rechten Flügel der Russen zurückwerfen. Bis zum 7. September, an welchem Tage der Kampf bei Magierów mit größter Heftigkeit tobte und starke russische Angriffe gegen die 4. Armee abgewiesen wurden, hatte sich die Lage am Schlachtfeld insofern geändert, als der Feind offenbar den Angriff gegen die 3. und 2. Armee nicht über die Wereszyca zu führen gedachte und seine Massen immer mehr gegen die Armee Auffenberg im Raume nördlich Lemberg zusammenballte.

Ein durchgreifender Angriffserfolg der 4. Armee war nach der Lage am 7. September nicht mehr wahrscheinlich, dagegen hatte sich bis dahin die 3. Armee erholt und die 2. Armee beendete ihre Versammlung. Beide waren nicht bloß zur Abwehr, sondern auch zum Angriff bereit, der angesichts der starken Verschiebungen des Feindes nach Norden erfolgversprechend schien.

[35] So beeinflußte der Wandel der Lage den Grundgedanken der Führung. Dies kam in dem Befehl der Heeresleitung vom 7. September abends zum Ausdruck, der für den Schlachtverlauf bestimmend war. Danach hatte die 4. Armee dem russischen Angriff, der sich von Zolkiew her aussprach, zähesten Widerstand zu leisten, wenn sie nicht selbst vorwärtszukommen vermochte; die 3. Armee sollte offensiv und flankierend in den Kampf der 4. Armee eingreifen und rechts davon hatte die 2. Armee am 8. September früh die Wereszyca zu überschreiten und den gegenüber befindlichen Feind mit aller Entschiedenheit zu werfen, um von Süd gegen Lemberg einzuschwenken.

Bei Beurteilung dieses Schlachtplanes müssen auch die Ereignisse in Betracht gezogen werden, die in der ersten Septemberwoche im Raum zwischen Weichsel und Bug eingetreten waren.

Bei der Gruppe Erzherzog Josef Ferdinand, die gegenüber der geschlagenen russischen 5. Armee verblieben war, machte sich die im Weltkrieg oft wiederkehrende Erscheinung geltend, daß ein geworfener Gegner seine Kampffähigkeit in wenigen Tagen wieder erlangt, wenn die unmittelbare Verfolgung mit ihrer zermürbenden Wirkung nachläßt. Schon am 5. September wurde ein zur Verbindung mit der 1. Armee gegen Krasnostaw vorgeschobenes Detachement des Erzherzogs von überlegenem Feinde auf Zamosc zurückgedrängt. Seine Hauptkräfte bei Tyszowce mußten vom Eingreifen in dieser Richtung absehen, weil auch von Grubieszow und Grabowiec her starke russische Kolonnen wieder im Vorgehen nach Süden waren und die Rückendeckung der zur Schlacht gegen Lemberg abmarschierten 4. Armee alle seine Truppen in Anspruch nahm. Am 7. September verstärkte sich der Druck des Feindes gegen die Gruppe des Erzherzogs, so daß er südwärts ausweichen mußte. Auch der Nordflügel der Armee Auffenberg bei Rawa ruska wurde von Ost stark angegriffen, schlug aber alle Anstürme der Russen ab.

Die Armee Dankl konnte im Angriff auf Lublin am 2. September nicht mehr durchdringen, am 3. und 4. wandte sich die russische 4. Armee, verstärkt durch die neu aus dem Reichsinnern eingelangten Kräfte der 9. Armee zum Gegenangriff und drückte mit Übermacht auf den Ostflügel unserer 1. Armee. Dieser Druck und das Vorgehen des Feindes östlich des Wieprz-Flusses im Raume südlich Cholm machte das Zurücknehmen des rechten Armeeflügels hinter den Por-Bach und dessen Verstärkung durch das preußische Landwehrkorps des Generals v. Woyrsch notwendig. Am 6. und 7. September kam es nur zu kleineren Kämpfen, eine Änderung der Lage trat nicht ein. Verschiebungen des der 1. Armee gegenüber befindlichen Feindes in südöstlicher Richtung waren erkennbar; sie deuteten auf seine Absicht hin, mit dem verfügbaren Kraftüberschuß in die Lücke zwischen den Armeen Dankl und Auffenberg einzudringen. Von der tapferen, gut geführten 1. Armee konnte mehrtägiger Widerstand in geeigneten Stellungen trotz der feindlichen Übermacht [36] erwartet werden, es war aber immerhin damit zu rechnen, daß die Sicherheit des linken Flügels der bei Lemberg um den Sieg ringenden Armeen der Zeit nach begrenzt und möglichst rasches Herbeiführen der Schlachtentscheidung geboten war.

Am 8. September morgens überschritten die 3. und 2. Armee die Wereszycalinie, der Kampf auf der ganzen, fast 100 km langen Schlachtfront wurde allgemein. Die 2. Armee drang mit dem IV. General der Kavallerie Tersztyanszky und VII. Korps General der Infanterie Otto v. Meixner beiderseits Komarno, mit einer Gruppe von Süden über den Dnjestr hinweg flankierend vor, machte am 8. und 9. September im Angriff gute Fortschritte und warf den Feind unter schweren Verlusten über die Niederung des Szczerekbaches zurück. Auch das XII. Korps, das wieder in den Verband der 2. Armee getreten war, drang am linken Armeeflügel nach kurzem Rückschlag siegreich vor. Bei der 3. Armee hatte der Angriff des III. Korps über Grodek gegen Stawczany Erfolg, Teile des XI. Korps erstürmten im Verein mit einer Honveddivision den Ort Janow, Tiroler Landesschützen nahmen die Höhen nördlich davon. Alle Angriffe der Russen gegen die 4. Armee brachen zusammen, sie konnte sogar in erbitterten Kämpfen örtliche Angriffserfolge erzielen.

Die Gruppe des Erzherzogs Josef Ferdinand aber wurde am 9. September durch dauernden überlegenen Druck der russischen 5. Armee gegen Front und beide Flanken zum Zurückgehen über Lubycza gezwungen, am selben Tage auch die 1. Armee übermächtig angegriffen, in der Front eingedrückt, in der rechten Flanke bedroht. So mußte sich Dankl entschließen, seine braven Truppen, die seit 17 Tagen ununterbrochen im Kampfe standen, zurückzunehmen, um vorerst nördlich der Waldregion des Tanew den Abschub der Trains zu decken und dann die Armee hinter den unteren San zu führen.

Das Armee-Oberkommando billigte diesen Entschluß, gab aber am 9. September den Kampf in der Lemberger Schlacht noch nicht auf, denn das Vordringen des Südflügels ließ einen baldigen vollen Erfolg erhoffen. Tatsächlich eroberte die 2. Armee am 10. September die russischen Stellungen nächst der von Lemberg nach Mikolajow führenden Straße, das XII. Korps erstürmte Stawczany, das III. bereitete den weiteren Angriff über Mszana vor. Nördlich davon bis Magierów tobten bei der 3. und 4. Armee schwere Kämpfe ohne wesentliche Änderung der Lage.

Kritisch wurde im Laufe des 10. September die Situation am Nordflügel bei Rawa ruska. Die Gruppe des Erzherzogs konnte bei Lubycza nicht halten. Da überdies starker Feind im Vorrücken über Narol nach Südwest war, mußte Auffenberg seinen linken Armeeflügel von Rawa ruska in die Linie Szczerzec - Horyniec zurücknehmen. Aufgefangene russische Funksprüche ließen schon am 10. September erkennen, daß die Verteidigung bei der Deckungsgruppe des [37] Erzherzogs zu erlahmen drohte und daß im Anschluß an den rechten Flügel der russischen 3. Armee starke Kräfte der russischen 5. Armee über Narol auf Lubaczow der Lücke zwischen den Armeen Auffenberg und Dankl zustrebten, zu deren Schließung die Heeresleitung keine Truppen mehr verfügbar hatte.

Am 11. September vormittags bestätigte ein neuerlicher Funkspruch, daß zwei Korps der feindlichen 5. Armee (V. und XVII.) im Begriffe waren, tief in den Rücken der Schlachtfront vorzudringen. Die Armee Dankl war in ihrer isolierten, bedrohten Lage genötigt, den Rückmarsch an den San fortzusetzen, zwei feindliche Korps drückten auf ihre östliche Flanke gegen Bilgoraj.

Auch das Kräfteverhältnis ließ die Situation ernst erscheinen: den Daten über den Feind war mit Sicherheit zu entnehmen, daß die Russen im Bogen von der Weichsel bis zum Dnjestr um etwa 200 Bataillone überlegen waren, überdies hatte jede russische Division anderthalbmal soviel Geschütze als eine österreichisch-ungarische.

Selbst der fortschreitende Erfolg des Angriffes am Südflügel konnte auf die Gesamtlage nicht mehr rechtzeitig Einfluß üben. Unverkennbar war die drohende Gefährdung der Hauptkräfte im Rücken, wenn die Schlacht nicht abgebrochen wurde. Es war hoch an der Zeit, die drei bei Lemberg kämpfenden Armeen der Umklammerung von Norden her zu entziehen und ihre Trennung von der 1. Armee aufzuheben.

Noch eine schwerwiegende Nachricht, die das Armee-Oberkommando damals erhielt, bestärkte es im Entschlusse, die Streitkräfte vom Feinde zu lösen, sie zurückzuführen und für weitere Verwendung bereitzustellen; eine Nachricht, die den Umschwung der Lage in Frankreich zwar noch nicht voll überblicken ließ, der man aber schon entnehmen konnte, daß der rasche, vernichtende Schlag im Westen, welchem der Einsatz starker deutscher Kräfte gegen Rußland folgen sollte, anscheinend nicht geglückt war. Der Bericht schilderte die ernste Stimmung, welche der unvermutete Rückschlag an der Westfront im deutschen großen Hauptquartier hervorgerufen hatte. Noch war die ganze Tragweite der Marneschlacht nicht erkennbar; zu erwarten stand aber, daß die österreichisch-ungarischen Armeen und das deutsche Ostheer noch durch längere Zeit die russische Übermacht zu bekämpfen haben würden, mit deren weiterer Zunahme sicher zu rechnen war. Schon kamen die ersten Nachrichten vom Eintreffen kaukasischer, turkestanischer und sibirischer Truppen.

Die voraussichtliche lange Dauer dieses ungleichen Kampfes mußte großen Kraftverbrauch und große Anstrengungen mit sich bringen. Da diese Opfer denselben Truppen auferlegt werden mußten, die jetzt wochenlang hart gerungen und sehr schwer geblutet, vor allem den Großteil ihrer Offiziere eingebüßt hatten, war es notwendig, den Kontakt mit dem Feinde zu lösen, die Kräfte [38] zu sammeln, die Verluste wenigstens teilweise zu ersetzen, die Armeen kriegsfähig zu erhalten.

Wie weit der Rückmarsch fortzusetzen war, was dann unternommen werden konnte, das war im Augenblick noch nicht zu entscheiden. Zunächst mußte die Sanlinie erreicht werden; erneuten hartnäckigen Widerstand an dieser Flußlinie konnte aber die Heeresleitung nicht in Aussicht nehmen. Er hätte nur unnütz Kräfte verzehrt und das notwendige Atemholen verhindert. Auch war es nicht möglich, bis dorthin die zu gemeinsamem Handeln erbetene deutsche Unterstützung heranzuführen.

Der schwere Entschluß war unerläßlich: Ost- und Mittelgalizien mußten geräumt, Przemysl mußte sich selbst überlassen werden.

Am 11. September mittags ergingen die Befehle für das Abbrechen der Schlacht: Loslösen der Truppen der 4., 3. und 2. Armee vom Feinde in der Nacht zum 12. September. Dann Abmarsch hinter den San, wobei zunächst die 4. Armee ihrer schwierigen Lage entzogen werden mußte, während die 3. und die 2. Armee in der Staffel folgten.

Der Russe drängte von Nordost an den San scharf nach; einzelne Trains der 4. Armee, die naturgemäß noch vom ersten Frontwechsel her exponiert waren, gingen verloren. Während Nachhuten, auf feldmäßige Brückenköpfe und auf die Festung Przemysl gestützt, den San-Übergang des Feindes verzögerten, wurde der Rückmarsch fortgesetzt.

Nach drei Wochen harter Kämpfe brachte dieser Rückzug über 200 km bei schlechtem Wetter, auf grundlosen Wegen noch manchen Marschverlust mit sich, aber geschlagen fühlten die arg gelichteten Armeen sich nicht. Hatte doch der Rückzugsbefehl viele im siegreichen Vordringen angetroffen; war doch noch an keiner Stelle der Front eine Niederlage eingetreten!

Am 15. September war der San überschritten. Die 3. Armee ging beiderseits Przemysl, die 4. bei Jaroslau, die 1. weiter stromabwärts über den Fluß zurück, die 2. Armee erreichte den Raum Nowemiasto - Stary Sambor.

Am 18. September wurde Sieniawa, am 20. Jaroslau geräumt, tags darauf begann die russische 3. Armee die Festung Przemysl einzuschließen. Während die 1., 4. und 3. Armee den Abmarsch gegen den unteren Dunajez und die Biala fortsetzten, wurde die 2. Armee in die Karpathenübergänge westlich des Uzsokpasses bis zur Duklasenke zurückgenommen, um einerseits den Russen den Einbruch nach Ungarn zu verwehren, anderseits zu einem Vorstoß gegen deren Südflanke bereit zu sein, wenn sie den drei anderen Armeen in Galizien folgten.

Die Verteidigung des Uzsokpasses und aller östlichen Karpathenübergänge war besonderen Gruppen anvertraut, die fast ausschließlich aus Landsturmtruppen zusammengestellt waren. Sie haben trotz ihrer geringen Stärke, ihrer schwachen Artillerie und trotz des erst nach und nach zu erwerbenden festen [39] Gefüges ihre Aufgabe über alle Erwartung erfüllt. Noch wagten es die Russen nicht, mit ihren Massen über den Karpathenkamm nach Ungarn hineinzustoßen. Teilversuche, nach Maramaros Sziget und gegen Munkacs vorzudringen, wurden blutig abgewiesen.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte