Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Luftkrieg (Forts.)
Major Hans Arndt
7. Der Endkampf.
Angriffsvorbereitungen.
Flieger.
Als sich die Oberste Heeresleitung im Frühjahr 1918 entschloß, die
Waffenentscheidung durch einen letzten großen eigenen
Durchbruchsversuch zu erzwingen, stand die Fliegertruppe
zahlenmäßig und materiell auf ihrem Gipfelpunkt.
Die Auswirkung des Amerika-Programms hatte die Jagdkräfte verdoppelt,
eine Reihe von Verbänden verstärkt. Die erhöhte Produktion
an Flugzeugen und Motoren gewährleisteten Ersatz selbst eines durch
große Angriffshandlungen [613] bedingten
höheren Verbrauchs. Trotz erheblicher Schwierigkeiten war auch fliegendes
Personal genug verfügbar, wenngleich der Sollbestand der Jagdstaffeln
nicht voll erreicht wurde. Eine Minderung des Durchschnittswertes der
Besatzungen, Staffeln und Verbandsführer, sowie des technischen
Personals zeigte allerdings, daß die letzten Kräfte beansprucht
waren.
Der Entschluß der Obersten Heeresleitung zum Angriff auf das
englisch-französische Heer an dessen Nahtlinie bei St. Quentin hatte
auf der Linie Arras - La Fère unter starker
Verkürzung der bisherigen Front der 2. und 6. Armee das Einschieben
zweier neuer Armeen, der 17. rechts, der 18. links von der 2. Armee, zur
Folge.
Hiermit waren die Richtlinien für den Aufmarsch der Fliegerkräfte
gegeben. Es galt, zwei Armeen völlig neu auszustatten, die dritte
entsprechend ihrer Aufgabe zu verstärken. Dem Kräftebedarf waren
die Erfahrungen der Flandern-Schlacht zugrunde [gelegt]. Danach sollte jede
Armee möglichst ausgerüstet sein:
Dienststelle |
Aufklärung |
Einschießen |
Schutzstaffeln |
Jagdstaffeln |
Bomben-
geschwader |
|
A. O. K. |
1 mit Reihen-
bildzug |
1 |
einige
(2 bis 4) |
1
Geschwader |
1 bis
2 |
Gruppen |
1 |
1 |
2 |
4 |
— |
Divisionen |
1 |
1 |
— |
— |
Bei genauer Durchführung dieses Grundsatzes wären bei drei
Armeen, 14 Gruppenkommandos und 42 Divisionen erforderlich gewesen: 72
Flieger-Abteilungen, 68 Jagdstaffeln, etwa 80 Schutzstaffeln, 6
Bombengeschwader.
Diese Kräfte waren nicht verfügbar. Man verzichtete daher auf die
Zuteilung von Jagdgruppen an die Generalkommandos und faßte
Jagdgeschwader und Staffeln bei den Armeeoberkommandos zusammen. Die
Armeefront wurde in Jagdgebiete eingeteilt, die die Gefechtsbreiten mehrerer
Generalkommandos überdeckten. In ihnen regelte ein besonderer
Jagdgruppenführer des Armeeoberkommandos den
planmäßigen Einsatz der verfügbaren Jagdkräfte. Sollten
sie bei überlegenem feindlichen Angriff nicht ausreichen, so stand dem
Kofl. frei, sie durch den Einsatz seines Jagdgeschwaders zu unterstützen.
Auch die Verteilung der Schutzstaffeln wich von dem Grundsatz der
Flandern-Schlacht anfangs ab. Dort hatte man ihre Zusammenziehung zu
Schlachtgruppen als das Erstrebenswerte gehalten. Obwohl man sich über
die Art ihres Einsatzes klar war, zog man sie jetzt nicht von vornherein zu
geschlossenen Verbänden - Gruppen oder
Geschwadern - zusammen, sondern ließ sie einzeln, wie in
früheren Zeiten, den Divisionsfliegerverbänden angegliedert. Nur
insoweit befolgte man die alten Lehren, als ihre zeitweise Zusammenziehung auf
geeignete Häfen wenigstens vorbereitet wurde.
Hier- [614] bei ging, abgesehen
von technischen Schwierigkeiten, als die Schlacht ihren geschlossenen Einsatz
forderte, freilich Zeit verloren.
Unter ganz erheblicher Schwächung anderer Fronten konnten bei den drei
Durchbruchsarmeen vereinigt werden: 62 Fliegerabteilungen von 153,
sämtliche Schutzstaffeln, deren Zahl sich durch teilweise Umwandlung der
aus dem Osten gekommenen Fliegerabteilungen auf 38 erhöht hatte, 39 von
80 Jagdstaffeln, 5 von 7 Bombengeschwadern und 13 von 16
Gruppenführern der Flieger.
Die Hauptschwierigkeit für diesen Kräfteaufmarsch bestand im
Fehlen erforderlicher Flughäfen. Obwohl man
erfahrungsgemäß an allen Armeefronten mit ihrem Ausbau für
die Höchstzahl etwa zuzuweisender Fliegerverbände begonnen hatte,
warf der Einsatz von drei Armeen auf einer bisherigen Breite von etwa
1½ Armeen die Berechnungen um. Kräftemangel und
möglichst lange Geheimhaltung machten den rechtzeitigen Ausbau
unmöglich. Gerade die letzten Kämpfe hatten gezeigt, daß
noch so sorgsam verborgene Angriffsvorbereitungen im letzten Augenblick am
Aufmarsch der Luftstreitkräfte erkannt worden waren. Noch blieben die
Flieger von Flugplätzen abhängig! Die Flugzeuge der neu den
Armeen überwiesenen Verbände wurden daher, soweit nötig,
abmontiert in Scheunen, Schuppen oder in den rückwärtigen
Armeeflugparks bereitgestellt.
Auch ein frühzeitiger Einsatz neuer Verbände verbot sich, wenn der
Feind nicht Verdacht schöpfen sollte. Anderseits war es notwendig, die
Besatzungen in den neuen Abschnitt einzuweisen. Denn das Gelände aus
den Somme-Kämpfen des Jahres 1916 und der Siegfriedsbewegung bot
für die Kleinorientierung ungeheure Schwierigkeiten. Trichter reihte sich an
Trichter; Dörfer waren zerstört, von Grün überwuchert,
oft vom Erdboden verschwunden; hohes, dürres Steppengras machte das
Land zur gleichförmigen Fläche. Die Beobachter und Führer
wurden daher den alten, an der Front befindlichen Verbänden für
Einweisungsflüge zugeteilt. Selbst notwendiges Eingreifen bereits
herangeführter Jagdkräfte zur Entlastung der alten Staffeln bei
schwieriger Luftkampflage mußte beschränkt werden, da die
Verschiedenartigkeit der Flugzeugtypen Rückschlüsse zugelassen
hätte.
Von den Kofl. und Grufl. war für das Eintreffen der letzten Verbände
weitestgehende Vorbereitung getroffen. Große Schwierigkeiten machte der
Ausbau des Fernsprechnetzes, von dem bei einer Vorwärtsbewegung der
Erfolg des Fliegereinsatzes abhing. Versäumnisse in dieser Richtung
straften sich bitter.
Vom Kommandierenden General der Luftstreitkräfte waren in Erlassen und
einer "Studie über Einsatz der Luftstreitkräfte im Bewegungskrieg"
einheitliche Richtlinien für die Verbände, Führer und
Kommandeure ausgearbeitet worden, die aber etwas zu spät zur Truppe und
zu den Kommandostellen kamen.
Die sorgsamen Vorbereitungen hatten nur teilweise Erfolg, da das volle
Verständnis für den Luftkrieg noch hier und da fehlte. Auch war die
Einrichtung einer Fliegerbefehlsstelle bei den Heeresgruppen unterblieben und die
Luftschutz- [615] offiziere, von deren
Meldungen der Einsatz der eigenen Jagdstaffeln abhing, nicht beweglich
gemacht.
Dem Nachschub hatte besondere Sorgfalt gewidmet werden müssen.
Jeder Park der drei Angriffsarmeen hatte sich für die Versorgung von rund
50 bis 60 Fliegerverbänden einzurichten, seine Anlagen entsprechend zu
erweitern oder (wie bei der 17. und 18. Armee) neu zu schaffen. Frühere
Krisen im Nachschub durch Bahnstockungen hätten auch für eine
Abkürzung der Strecke Heimat - Front sorgen müssen.
In der Errichtung des Waffenlagers Aachen und der Motorenwerkstatt
Brüssel fand diese Forderung den ersten unvollkommenen Ausdruck.
Für die große Schlacht wurde das "Fliegerdepot Nord" in Maubeuge
eingerichtet, dem als Gegenstück zu Täuschungszwecken die
Attrappe des "Fliegerdepots Süd" im Lothringischen folgte. Da die
Generalkommandos über "Zwischenparks" nicht verfügten, hoffte
man durch Errichtung von Vordepots, Tank- und Munitionsstellen dicht an der
Front die Schwierigkeiten zu beheben, die Straßenüberlastung und
Bahnzerstörung dem Nachschub bringen mußten. Bei der 18. und 17.
Armee rüstete man auch Kanalschiffe zum Transport aus. Endlich glaubte
man, auf den feindlichen Flughäfen und in erbeuteten Depots, wenn ein
schneller Durchbruch überraschend gelang, Material, namentlich
Betriebsstoffe, vorzufinden. Immerhin war durch eine reiche Auffüllung
des Depots in Maubeuge für die Kämpfe auf der Nordhälfte
der Nachschub gesichert.
Zu den Vorbereitungen gehörte schließlich die Wahl von
Flughäfen für die Vorwärtsbewegung. Am schwierigsten
mußte die Aufgabe für die das
Siegfrieds- und Somme-Gelände durchschreitende 2. und 18. Armee
werden. Im Gewirr von Trichtern und Gräben aus zwei Jahre langen
Kämpfen erschien es fast unmöglich, brauchbare Plätze vorher
festzulegen. Ein Sprung von rund 50 km Länge war notwendig, um
auf die feindlichen Häfen zu gelangen. Sorgsame Bilderkundung des
Angriffsraumes vor dieser Linie nach geeignetem oder leicht herzurichtendem
Gelände und seine Zuteilung auf die Gruppenbereiche arbeitete dieser
Schwierigkeit vor. In staffelweisem Flughafenwechsel hoffte man, fürs
erste mit Gefechtslandeplätzen auszukommen.
Diese Maßnahmen und die Einsatzfragen während der ersten
Kampftage waren in den Operationsbefehlen der Armeen bis zu den Gruppen und
Divisionen herunter geregelt.
In fieberhafter Eile ging man an die Beendigung der letzten Arbeiten heran, und
noch am Vorabend der großen Schlacht standen selbst die in letzter Stunde
angerollten oder von den Parks vorgezogenen Fliegerverbände auf ihren
Häfen mit eben eingeflogenen Maschinen kampfbereit.
Luftschiffer und Wetterdienst.
Luftschiffer. Ähnliche Vorbereitungen wie bei den Fliegern
mußten auch für die Feldluftschiffer getroffen werden.
Gleiche Schwierigkeiten waren zu erwarten.
[616] Einheitliche
Anweisungen von der obersten Waffenbehörde fehlten. Die Kommandeure
der Luftschiffer waren auf ihre Organisationsgabe angewiesen, die sich je nach
ihren bisherigen Erfahrungen und der Unterstützung durch die
Armeeoberkommandos verschieden auswirkte. Wo das nicht zutraf, war es der
persönlichen Tüchtigkeit der
Zug- und Abteilungsführer zu danken, daß die Feldluftschiffertruppe
nicht versagte.
Durch Verschmelzung zweier Züge zu einem wurden für den
schmalen Angriffsstreifen der 17. Armee sogenannte "Marschballonzüge"
gebildet. Man hoffte, durch diese erhöhte Beweglichkeit der
Schwierigkeiten des Gasnachschubs Herr zu werden. Der Marschballon bestand
aus dem eigentlichen Ballon, der querfeldein, an einer steinbeschwerten
Ackerwalze befestigt, über das Trichterfeld marschierte, und der
pferdebespannten Gefechtsstaffel, welche die zweite Hülle, eine
vollständige und eine Nachfüllung in Gasflaschen auf der
Straße nachführte. Eine getrennte Verwendung der Ballone war durch
die Art der Zusammenstellung gesichert. Die 2. Armee mit breiterer Front
füllte ihre 11 Stellungszüge so auf, daß sie allein zu folgen
imstande waren, während die vier restlichen Ballone, zu zwei
Marschballonzügen zusammengefaßt, eine bewegliche Reserve der
Führung bildeten.
Straffe Regelung des Gasnachschubs, des Lebensnervs der Ballone, war besonders
notwendig. Am ungünstigsten lagen die Verhältnisse bei der 18.
Armee, wo 50 v. H. aller Luftschifferlastkraftwagen infolge
notwendigster Reparaturen kurz vor dem Angriff ausfielen. Eine
Ersatzmöglichkeit bestand nicht. Koluft 2 bildete aus den
Wagenbeständen seiner Abteilungen und Züge fünf
Gaskolonnen, die zu seiner ausschließlichen Verfügung standen. An
guter Straßenverbindung wurde ein mit Kleinbahnanschluß
versehenes Gaslager hinter der Armee-Mitte eingerichtet, von dem aus diese
Gaskolonnen die Stäbe versorgten. Einzelne Wagen übernahmen
dann die Weiterleitung zu den Zügen. Ähnlich war der Nachschub
bei der 17. Armee geregelt. Aus dem Feldluftschifferpark und einem
vorgeschobenen Armeezweigdepot schafften drei Lastkraftwagenkolonnen den
Bedarf bis zum Trichterfeld vor. Hier waren drei Entladestellen erkundet, aus
denen die Züge durch ihre Pferdewagen ihre Bestände
ergänzen ließen.
Auch die Aufrechterhaltung der Verbindungen war sorgsam erwogen. Neben
vorgesehenem Leitungsbau von den Zügen zu den Gefechtsständen
der Stäbe und den Fernkampfbatterien war bei der 2. Armee Verbindung
durch eingeflogene Brieftauben vorbereitet; bei der 17. Armee der schnelle Abbau
alter Leitungen. F. T. fehlte. Meldegänger, Reiter, Radfahrer und
Kraftwagen sollten einspringen, wenn die anderen Nachrichtenmittel versagten.
Bei zwei Armeen waren den Divisionen
Luftschiffer-Verbindungsoffiziere zugeteilt, die für Orientierung ihrer
Verbände und Weiterleitung von Befehlen oder Erkundungsergebnissen zu
sorgen hatten. So war viel bedacht - aber die Einheitlichkeit fehlte.
Wetterdienst. Die Formationen des Wetterdienstes bedurften keiner
[617] besonderen
Vorbereitungen. Es war nur Vorsorge zu treffen, daß die Entfernung
zwischen der Front und den Armeewetterwarten beim Vormarsch nicht zu
groß wurde und das feinmaschige meteorologische Netz nicht
zerriß.
Dagegen war ein neuer Aufgabenkreis zu vervollkommnen. Mit der
Einführung des "Balta-Sekunden-Verfahrens" hatte die Meteorologie
entscheidenden Einfluß auf die Treffsicherheit der Geschütze
gewonnen. Aufbauend auf Wind-, Luftdruck- und Temperaturmessungen und
Wettervorhersagen waren für bestimmte Geschoßflugzeiten
Durchschnittswerte des Luftgewichts und der Winde, sogenannte "ballistische
Luftgewichte" und "ballistische Winde" errechnet worden.
Sie waren von den Armeewetterwarten in besonderen "Tageseinflußtafeln"
für artilleristische Zwecke auszuwerten und verschiedenen
Kommandostellen zugänglich zu machen. Bei diesen verarbeiteten
besondere Rechentrupps der Artillerie diese Ergebnisse für das
Schußverfahren.
Der anfänglich nur für die Luftstreitkräfte eingesetzte
Wetterdienst hatte jetzt, über den Gaskrieg hinauswachsend, auch
entscheidenden Einfluß auf den Artilleriekampf und somit auf die gesamte
Gefechtshandlung gewonnen.
Flak.
Aus Form und Art des Stellungskrieges hervorgegangen, stand die Flakgruppe
für die Bewegungsschlacht vor völlig neuen Aufgaben. Zwar hatte
sie an den Kämpfen im Osten, Serbien, Rumänien und Italien
teilgenommen. Aber die dort gewonnenen Erfahrungen waren nicht ohne weiteres
auf einen Masseneinsatz an der Westfront zu übertragen. Vorausahnend
mußten die Kommandeure der Flak bei den
Armeeober- und Gruppenkommandos ihre Maßnahmen aus sich selbst
heraus treffen; einheitliche Richtlinien fehlten. Eine beim Stabe des Kogenluft
bearbeitete grundlegende Vorschrift kam erst im Mai 1918 an die Front.
Zunächst galt es, die Verbände beweglich zu machen. Bei den von
allen Seiten auftretenden Anforderungen wurde die Flaktruppe nur dort
entsprechend bedacht, wo man in mühevoller Aufklärungsarbeit die
Führung von dem hohen Wert der Flugabwehr zu überzeugen
vermocht hatte. An anderen Stellen rangen die Kommandeure schwer um das
bitter Notwendigste.
Die Instandsetzung des jahrelang an die Feuerstellungen gebannten Geräts
bedurfte besonderer Sorgfalt; viele Geschütze mußten aus der Front
herausgezogen und notdürftig in
Artillerie- und den (noch immer vereinzelten) Flakwerkstätten oder in der
Heimat ausgebessert werden. Lastkraftwagen waren herzurichten, um mit diesen
Werkstätten folgen zu können, Mann und Pferd für die
bevorstehende Aufgabe auszubilden. Belehrung und Übung sollten den
Drang nach vorwärts wieder festigen. Die Schwierigkeiten im
Trichtergelände zeigten bald, daß nur pferdebespannte und schwere
K-Flak, deren Schlepper staunenswerte [618] Zugkraft aufwiesen,
mit Erfolg zum Einsatz kommen konnten. Die leichten
K-Flak blieben an Straßen gebunden oder waren nur mit besonderem
Überbrückungsgerät in dem eisenzerwühlten
Gelände benutzbar.
In taktischer Hinsicht hielt man an dreifacher Tiefengliederung fest, aber sie
mußte dem Bewegungskriege angepaßt werden. Die erste Zone
umfaßte das Gebiet von der vordersten Linie bis zur
Artillerieschutzstellung. Sie fand ihre Ziele in den feindlichen
Infanterie- und Artilleriefliegern jenseits der Front. Pferdebespannte und
K-Flak mittleren Kalibers kamen hier zum Einsatz. Die zweite Zone lag im
Raume der Artillerie-Gruppierung. Mittlere und große Kaliber sollten hier
feindliche Artillerie- und Naherkundungsflieger diesseits der Front
bekämpfen. Die dritte Zone reichte von hier so weit rückwärts,
wie der Schutz eigener wichtiger Anlagen gegen Erkundung und Angriff es
forderte. Hier fanden Kaliber aller Art Verwendung, unterstützt von
Scheinwerfern und Fliegerabwehr-Maschinengewehrabteilungen. Allen drei
Zonen gemeinsam blieb die Bekämpfung feindlicher
Jagd- und Schlachtflieger in allen Höhen.
So war eine starke Vermehrung der Angriffsarmeen an Flakformationen
erforderlich, für die alles vorbereitet sein mußte, sollten Einsatz und
Einweisung reibungslos vonstatten gehen. Bei der notwendigen Geheimhaltung
war auf Fliegerdeckung besonders zu achten und eine vorzeitige
Feuertätigkeit, wenn irgend angängig, zu verbieten.
Gründlichster Vorbereitung bedurfte die Sicherstellung der Munition, da
die Flak über keine eigenen Kolonnen verfügte. Man behalf sich mit
Angliederung besonderer Flakmunitionslager an die großen
Munitionsdepots der Armeen und Gruppen und schob zu den aus der
Flandern-Schlacht endgültig übernommenen
Flakuntergruppen - also zu den Divisionen - ebenfalls solche Depots vor. Der
Bedarf pro Geschütz war auf eine Tagesrate von 150 bis 200 Schuß
berechnet. Die Munitionsmassen werden begreiflich, wenn der Tagesbedarf der
18. Armee am ersten Angriffstage genannt wird. Sie verfügte bei 6
Flakgruppen über 162 Geschütze. Durchschnittsbedarf pro
Geschütz 150 = 24 300 Schuß. Die gleiche Zahl
war zur Hälfte auf Kolonnen und vorgeschobene Depots, eine Reserve von
zwei Tagesraten in den Gruppendepots niedergelegt. Rund 100 000
Schuß Flakmunition waren also allein für den Tag des Angriffs bei
einer Armee sicherzustellen.
Den schwierigsten Teil der Vorarbeiten bildete wohl die Regelung des
Nachrichtendienstes, von dem nicht nur sachgemäßer Einsatz der
Flak, sondern in erhöhtem Maße der der eigenen Jagdflieger abhing.
Die Aufrechterhaltung des Sonderfernsprechnetzes des Stellungskrieges war
unmöglich. Und doch mußten die vermutlich im Laufe der Bewegung
immer größer werdenden Entfernungen zwischen Koflak und
Flakgruko einerseits, zwischen diesen und den Batterien anderseits
überbrückt werden. Koflak 2 fand einen Ausweg in
vorgeschobenen Befehls- und Meldesammelstellen - sogenannten
"Meldeköpfen". Zu ihm nahmen [619] die Flakgruko durch
Reiter, Radfahrer und Kraftwagen Verbindung auf. Ähnlich regelten die
Flakgruko den Befehls- und Meldedienst mit ihren Batterien.
Während die Koflak nur die großen Richtlinien ausarbeiteten, lag der
eigentliche Einsatz in Händen der Flakgruko.
Die Große Schlacht in Frankreich.
Mit mächtigem Feuerschlag begann in der Nacht vom 20. auf 21.
März 1918 auf der 70 km langen Front
Croisilles - La Fère die Schlacht, durch die die
Entscheidung des Weltkrieges erstrebt wurde.
Als 930 Uhr Vm. die Divisionen der
drei Angriffsarmeen zum Sturm schritten, lag fast undurchdringlicher Nebel
über dem eisenzerwühlten Trichterfeld, und ein
milchig-weißer Schleier verzögerte auf Stunden hinaus den Start der
Flugzeugbesatzungen. Lautlos hatten sich die Ballone in der Nacht dicht an die
Front herangeschoben und standen nebelverhüllt über den
Angriffsbatterien. Noch ehe die Flieger starten konnten, meldeten sie, der
vorgebrochenen Infanterie dichtauf folgend, über den Stand des Kampfes.
Lange vor Eingang anderer Nachricht hatte daher die 17. Armee Kenntnis von der
Einnahme von Bullecourt, Ecourt, Noreuil und Lagnicourt. Auch bei der 2.
Armee, die schnell Boden gewann, blieben Ballonmeldungen in den ersten
Kampfstunden die einzigen Nachrichten. Frühzeitig wußte die
Führung, daß die gegnerische Artillerie noch in alter Stärke
hielt und der Feind zunächst an eine Räumung des
Cambrai-Bogens nicht dachte.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei der 18. Armee, die, anstatt
Drehpfeiler zu bleiben, an Stelle der 17. die Schwenkung übernahm und in
ungestümem Draufgehen brandenburgischer und bayerischer Divisionen
bald in den heißumkämpften
Holnon-Wald eindrang und auf dem linken Flügel die Oise
überschritt.
Auch die Flugabwehr hatte tags zuvor ihren Aufmarsch in der zweiten und dritten
Zone beendet, während sich in der Nacht die Flak der ersten Zone dicht an
die Infanterie heranschob, um dem Angriff unmittelbar folgen zu können.
Noch bot sich ihnen, den Infanteriebatterien teils folgend, teils ihnen vorauseilend,
kein Luftziel. Dafür griffen sie um so tatkräftiger in den Erdkampf
ein.
Erst als sich der Nebel hob, konnten die seit zwei Stunden harrenden
Gefechtsflugzeuge der Angriffsdivisionen gegen 11 Uhr Vm. starten,
und schon um Mittag hatten die Armeen einen geschlossenen Überblick
über den Gesamtverlauf der Kämpfe. Noch wechselten die
Brennpunkte des Kampfes namentlich bei der 18. Armee, so daß sich der
Einsatz der zu Gruppen zusammengefaßten Schutzstaffeln bis gegen
3 Uhr Nm. verzögerte. Dann aber brauste Welle auf Welle
über die Front, eigene im Kampf verbissene Verbände mit
fortreißend, feindliche Reihen lichtend. Zum guten Teil war ihrer
tatsächlichen und moralischen Wirkung zuzuschreiben, daß ein so
verhältnismäßig hoher Prozentsatz der schweren feindlichen
Artillerie, namentlich vor der 18. Armee, in deutsche Hand fiel. [620] Bis zum Dunkelwerden
wiederholten sich ihre Angriffe, und als die letzten Gefechtsflugzeuge in der
Dämmerung landeten, waren der Führung die Grundlagen für
die Entschlüsse des folgenden Tages gegeben.
Der 22. und 23. März brachten die Entscheidung. Nur mühsam rang
sich die 17. Armee vorwärts, während die 2. und 18. Armee die
zweite und dritte Stellung des Gegners durchbrachen. Bei guter Sicht wetteiferten
Flieger und Ballone in der Gefechtsaufklärung. Wieder trafen lange vor den
Truppenmeldungen bei der 17. Armee ihre Nachrichten von dem Aufrollen der
Siegfriedstellung in Richtung Henil, von wechselvollen Kämpfen der
Garde-Reserve bei Mory und von der Besetzung von Marchies ein. Bald hatte
auch das Armeeoberkommando 2 Meldung über das Vorgehen seiner
Truppen auf Minaucourt - Péronne - St. Crist,
das Armeeoberkommando 18 über das Vordringen auf
Ham - Guiscard - Chauny.
Das Eingreifen der Schutzstaffeln in den Erdkampf wurde jetzt besonders
wirkungsvoll. Denn in dichten Formationen rückten feindliche Reserven
von West und Südwest gegen die Linie
Chauny - Ham - Péronne vor, und abziehende
Kolonnen stauten sich auf der großen Römerstraße und an den
Somme- und Kanalbrücken. In die Doppelmarschkolonnen und
Fahrzeugreihen schlugen die Geschoßgarben, Bomben und Handgranaten
der Schlachtflugzeuge in verheerender Wirkung ein; Brücken brachen, nach
rechts und links stoben Roß und Mann und Wagen über die
Wegeböschungen auseinander, und in den Straßen von Noyon,
Guiscard, Ham, Chauny und Péronne ließen wirre Knäuel den
Rückzug stocken.
Die Schutzstaffeln waren zu Schlachtstaffeln, zur Sturmtruppe geworden. Ihre
Zusammenziehung hatte sich voll bewährt, ihre Feuerprobe hatten sie
glänzend bestanden. Immer und immer wieder erscholl der Ruf der Truppe
nach ihnen, wenn feindlicher Widerstand zu brechen war oder der Feind auf dem
Rückzug empfindlich geschwächt werden konnte. Einheitliche
Zusammenfassung der einzelnen Staffeln zu etatsmäßigen
Schlachtstaffelgruppen war bald die Folge.
Mit dem aufklärenden Wetter setzte jetzt die am ersten Angriffstag fast
völlig ausgeschaltete Großerkundung ein. In Höhen von
6000 m, mit vorzüglichstem photographischen Gerät und
Flugzeugen höchster Leistung ausgerüstet - Rumpler mit
Maybach-Motor - stießen die Fernaufklärer bis zum Meere und
zum Herzen von Frankreich vor. Alle von der Küste zur Front
führenden Straßen und Bahnen zeigten starke Belegung. Auf den
Reeden von Boulogne, Etaples und Calais herrschte reger Schiffsverkehr.
Truppentransporte wurden ausgeladen und auf den Zuführerbahnen
frontwärts geschafft.
Mit Hilfe der Küstenbahnen gruppierte der Feind seine Kräfte um
und warf in Kraftwagenkolonnen eiligst zusammengeraffte Reserven von Westen
und Südwesten her gegen die Front
Arras - Albert und aus Paris heraus gegen Amiens und den zur
Abwehrflanke südlich der Oise entlang umgebogenen Flügel der 18.
Armee.
[621] Als am vierten
Angriffstag die 17. Armee bei Bapaume liegen blieb und der rechte Flügel
der 2. Armee nur noch mühsam vorwärts kam, während die
18. in ungestümem Vorwärtsdrängen Montdidier dem Gegner
entriß und auf Amiens zustrebte, entschloß sich die Oberste
Heeresleitung, unter Verlegung des Schwerpunktes des Angriffs mit den
verstärkten inneren Flügeln der 2. und 18. Armee einen Durchbruch
auf Amiens zu erzwingen. Den Fliegerverbänden fiel jetzt die Aufgabe zu,
den in seiner Bewegungsfreiheit schon eingeengten Gegner zu hindern, auf den
noch verfügbaren Bahnen Reserven gegen den neu bedrohten
Frontabschnitt heranzuführen. Auf die wichtigen Eisenbahnknotenpunkte
und die Küstenbahnen wurden deshalb zu einheitlichem Angriff die
Bombenflugzeuge angesetzt. Ein neues Geschwader wurde der 18. Armee
zugeführt, und auch die Riesenflugzeugabteilung 500 fand hierbei
Verwendung. Ließ die Witterung ein Erreichen der Ziele nicht zu, so waren
Notziele näher der Front bestimmt, um die Wirkung nicht zu zersplittern.
Die Erfolge waren gut, wie die Zerstörungen in Abbéville, Creil,
Calais, Beauvais und Compiègne beweisen. Besondere
Brand- und Explosionswirkung wurde in dem großen
Material- und Munitionslager Blargies erzielt.
|
Die schnelle Vorwärtsbewegung der 18. Armee ermöglichte bald ein
Nachziehen ihrer Bombengeschwader - 1 und 4 - in die Gegend um
Ham. Paris lag damit im Wirkungskreis deutscher Flieger. Der zentrale,
strategisch wichtigste Eisenbahnknotenpunkt Frankreichs, der Mittelpunkt der
Rüstungsindustrie und der französischen
Fliegertruppe - die große Festung - konnte jetzt
planmäßig angegriffen werden. Die Geschwader aller drei
Angriffsarmeen traten auf Weisung der Obersten Heeresleitung unter einheitlichen
Befehl. Paris war mit einem dreifachen Scheinwerfer- und Flakgürtel
umzogen, der mit seinen Feuer- und Lichtgarben über 4000 m in die
Nacht hineinreichte. Über dem für Angriffe verbotenen Zentrum der
Stadt sicherten in allen Höhen, an kleinen, roten Positionslichtern
kenntlich, Jagdkräfte. Die Wucht der Angriffe litt dadurch nicht. Vielleicht
hätte der Einsatz der Geschwader endgültigen Ausschlag auf den
Verlauf der Operationen geben können, wenn die für diese Angriffe
besonders hergestellte Brandbombe hätte verwendet werden dürfen.
Lediglich aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, die bei der
Eigenart nächtlicher Bombenangriffe unbeabsichtigt leiden konnte, hatte
jedoch die Oberste Heeresleitung auf Weisung des Kaisers hiervon Abstand
genommen, während jedem menschlichen Empfinden zum Hohn die
völkerrechtswidrige englische Hungerblockade deutsche Frauen, Kinder
und Greise in Scharen dahinraffte und an dem Mark des gesamten Volkes
zehrte. [Scriptorium merkt an: Nur 27 Jahre später
zeigten die anglo-alliierten Bombengeschwader und die sie dirigierende politische
Führung keineswegs dieselbe
humanitäre Zurückhaltung gegenüber der deutschen
Zivilbevölkerung, z. B. bei der Vernichtung der
ungeschützten Lazarettstadt Dresden.]
Die Verbindung riß trotz aller Vorsorge bald nach Beginn der
Vorwärtsbewegung ab. Naturgemäß am geringsten bei der 17.
Armee, die kaum vorwärts kam, am schnellsten bei der 18. Armee, bei der
die Verbände um 50 und mehr Kilometer von ihrem Ausgangspunkt
vorgezogen worden waren. Bei der [622] 2. Armee konnte der
Ausfall der Fernsprechverbindung durch Brieftauben, Kraftwagen oder
Meldereiter leidlich ausgeglichen werden. Bei der 18. Armee aber war die
befürchtete Lücke selbst durch Kraftwagenverkehr wegen der
Überlastung und des Zustandes der Straßen nur mangelhaft zu
schließen. Auch der Flugmeldedienst des Koflak setzte aus, da F. T.
und Blinkverkehr nicht zur Verfügung standen und das erbetene eigene
Fernsprechpersonal fehlte. Erst als Anfang April die Bewegung stockte, als bei
der 2. und 18. Armee je eine neue Flugmeldeabteilung eingesetzt wurde, konnte
das bedeutsame Netz notdürftig wieder aufgebaut werden.
Nur dem unentwegten Bestreben aller Verbände, dicht bei ihren
Kommandostellen zu bleiben, und den Verbindungsoffizieren der
Luftstreitkräfte ist es zu danken, daß ein rechtzeitiger sachlicher
Einsatz überhaupt möglich wurde.
Der Drang nach vorwärts führte die Staffelführer und
Geschwaderkommandeure mitten ins Trichterfeld, da nur auf diese Weise die
Luftlage an den Fronten zu übersehen und danach der Staffeleinsatz zu
regeln war. Denn von den Luftschutzoffizieren und dem Flugmeldedienst der Flak
liefen keine Meldungen mehr ein. Sowohl das Geschwader Richthofen, wie das
neu aufgestellte Geschwader 2 (unter dem bekannten, später von
seinen eigenen Landsleuten während der Kapptage in Hamburg
erschlagenen Hauptmann Berthold, der seinen zerschossenen rechten Arm in der
Schlinge trug und doch noch während der Angriffsschlachten 20 Luftsiege
erfocht) wurden von schwerem feindlichen Geschütz aus ihren Häfen
herausgeschossen.
Der Nachschub stockte nicht, obgleich gerade bei der 18. Armee das
verwüstete Somme-Gelände und die zerstörten Eisenbahnen
ihn besonders erschwerten. Freilich half das auf den feindlichen Flughäfen
erbeutete Benzin über die größte Not hinweg. Welche
Anforderungen der Kampf stellte, geht aus folgenden Zahlen der 18. Armee
hervor: In der Zeit vom 21. März bis Mitte Mai wurden den
Verbänden 459 neue Flugzeuge zugeführt!
Dagegen versagte das Artillerieeinschießen. Die Gründe liegen
zweifellos bei der Artillerie und hauptsächlich bei der Nachrichtentruppe.
Auf deren Anregung waren die zum Einschießen notwendigen Antennen
mit Besatzung nicht mehr den Fliegern, sondern der Artillerie unterstellt. Jetzt
blieben sie teils bei der Vorwärtsbewegung stehen, teils verwandte man die
Zeichentücher für andere Zwecke. Auch die "Antennenoffiziere" der
Artillerie waren nicht sorgsam genug ausgewählt. Auf Weisung der
Obersten Heeresleitung waren Anfang 1918 die besonders gut ausgebildeten
Fliegerfunker aus ihren Verbänden herausgezogen worden, um in die vielen
neuen Divisionsfunkerabteilungen eingereiht zu werden und ihre Aufstellung
überhaupt zu ermöglichen. Der von der Artillerie gestellte Ersatz
entsprach den Anforderungen nicht. Nur die für Fernzielbekämpfung
vorgesehenen schweren Batterien konnten von ihren Fliegerabteilungen
erfolgreich gegen die Bahnhöfe von Amiens und Doullens eingeschossen werden,
und schon [623] sah sich der Gegner
gezwungen, seine Eisenbahntransporte unter erheblichem Zeitverlust um Amiens
herum zu leiten.
Die feindliche Fliegertätigkeit hielt sich während der ersten
Kampftage in engen Grenzen. Der beschleunigte Rückzug hatte sie vor der
2. und 18. Armee besonders leiden lassen. Verbrannte Maschinen, deren
Abtransport unmöglich geworden war, lagen auf den Flugplätzen
herum, Baracken und Zelthallen waren vielfach abgebrannt. An anderen Stellen,
nördlich und südlich Ham und östlich Montdidier, fielen
wenig beschädigte und noch benutzbare Hallen und Wohnbaracken,
Ersatzteile, Gummi und eine Fülle von gutem Betriebsstoff in die
Hände der deutschen Flieger.
Es gelang dem Gegner jedoch in überraschend kurzer Zeit, seine
Luftstreitkräfte umzugruppieren. Und als sich die Frühjahrsschlacht
in den ersten Apriltagen festgerannt hatte und der letzte Durchbruchsversuch
bereits erlahmender Kräfte von wuchtigen Gegenstößen des
Feindes aufgefangen wurde, hatte sich auch sein Widerstand in der Luft versteift.
Wohl selten trat die Wechselwirkung zwischen Erd- und Luftkampflage so
augenfällig in Erscheinung, wie in diesem Abebben der großen
Schlacht in Frankreich. Von allen Armeefronten, aus Flandern, aus der
Champagne, aus dem Elsaß, namentlich aber aus den gewaltigen Zentren
von Paris und Le Bourget waren Verstärkungen auf dem Luftwege
herangeeilt und hatten die alte zahlenmäßige Überlegenheit des
Gegners wiederhergestellt.
Bis zu 6000 m Höhe stießen jetzt die bis dahin fast unbehelligt
gebliebenen deutschen Flugzeuge über Amiens auf schärfste
Gegenwehr; ebenso hoch lag sein Sperrfeuer aus starken Gruppen von
Abwehrgeschützen dort, bei Compiègne und Noyon. Schon kamen
deutsche Einzelerkunder nicht mehr oder nur mühsam über die Front.
Öfter als bisher mußten kampfkräftige Patrouillen eingesetzt
werden; ab und zu stellte man jetzt ganze Schlachtstaffeln den
Aufklärungsflugzeugen zum Durchbruch der feindlichen Sperre zur
Verfügung. Endgültig ist die Frage der gewaltsamen
Luftaufklärung nicht mehr gelöst worden. Nur erste Ansätze
deuteten sich in diesen Kämpfen an.
Bei Entspannung der Erdkampflage wurden daher die Schlachtstaffeln mit
Erkundungs-Aufgaben betraut. Unter Ausnutzung der Morgendämmerung
brachen sie durch die Flaksperre ins feindliche Hintergelände ein. Ihre
Feuerkraft im geschlossenen Verband machte sie auch stärkeren
Jagdkräften, namentlich auf dem Rückflug, überlegen. Bot
sich Gelegenheit, so stießen sie auch aus ihren mittleren Höhen noch
herab zum Boden, um lohnende Ziele wirksam zu bekämpfen.
Der zunehmende Nachtbombenkrieg brachte ihnen ein weiteres Wirkungsfeld. Je
häufiger nächtliche Luftkämpfe wurden, um so mehr zeigte
sich der Zweisitzer dem Einsitzer überlegen; mehr und mehr fiel den
Schlachtstaffeln im Einzelflug diese Aufgabe zu. Noch war freilich das innige
Zusammenarbeiten mit den [624] Flak zu
vervollkommnen. Die letzten Kampferfahrungen deuten darauf hin, daß der
Krieg und Luftkrieg der Zukunft durch die Angriffskraft der
Schlachtstaffeln - in leichter und schwerster
Form - entschieden werden wird.
Als der Gegner in der Luft zum Angriff überging, kamen auch die
deutschen Flak wieder zur vollen Geltung. Bis zu 30 Einheiten stark stießen
feindliche Bombengeschwader unter starkem Schutz von Jagdkräften bis
gegen die Linie St. Quentin - Valenciennes vor; Tag und
Nacht wurden Truppen und Munitionslager, Unterkünfte und
Flughäfen angegriffen. Mühsam hatten die Flak das Trichterfeld
überwunden. Namentlich die leichten Kraftzug-Flak waren nur langsam
vorwärtsgekommen, und die schweren an breiten Hindernissen
liegengeblieben, bis tragfeste Brücken deren Überschreiten
zuließen. Stets waren sie indes schußbereit, da man sie staffelweise in
der Zeit ruhigsten Flugbetriebes - mittags und
nachts - vorgezogen hatte. Jetzt standen sie in alter Zonengliederung wieder
voll verwendungsbereit. Harte Arbeit harrte ihrer, namentlich an der vordersten
Linie. In Massen griffen dort niedrig fliegende Flugzeuge die deutschen Truppen
beim Übergang über die Somme und den Kanal, wie vor Amiens,
nach Art deutscher Schlachtstaffeln an. Kleine
Flak-Kaliber waren hier am notwendigsten, der
3,7-cm-Flak besonders begehrt. Leider war ihre Zahl zu gering. In der Hauptsache
fiel also die Arbeit den Fliegerabwehr-, Maschinengewehrabteilungen und der
Truppe selbst zu. Noch immer aber war sie weder von der Notwendigkeit noch
Durchführbarkeit dieser Aufgabe überzeugt. Ihre Hilferufe nach
Fliegerschutz rissen daher nicht ab.
Die Zunahme des nächtlichen Front-Flugbetriebes führte jetzt auch
die Scheinwerfer weiter nach vorn. Wo ihre Zahl ausreichte, wurde eine etwa
10 km von der Front entfernte Scheinwerfersperrlinie eingerichtet,
besonders zu schützende Anlagen mit einer doppelten Abwehrlinie
umzogen. Im Zusammenwirken mit den Flakeinheiten hatten sie vollen Erfolg: 50
allein im März, davon 30 des Nachts durch Flak mit Hilfe der Scheinwerfer
abgeschossene feindliche Flugzeuge rechtfertigen diesen
Personal- und Materialaufwand.
[624a]
Große Schlacht in Frankreich 1918.
In den englischen Stellungen abgeschossenes englisches Flugzeug.
|
So war der Kampf in der Luft schwer, wie der auf der Erde. Daß die
übrigen Truppen darunter zu leiden hatten, war klar. Das Erlahmen des
Angriffs der 18. Armee indes auf eine überwältigende feindliche
Fliegerwirkung zurückzuführen, trifft nicht zu. Das hätte seine
"absolute Luftherrschaft" bedingt, die der Feind keineswegs besaß. Erst in
kommenden Kriegen wird hiervon gesprochen werden können. Noch
gelang es in diesem Kriege immer den deutschen Fliegern, der Überzahl des
Feindes standzuhalten. Freilich gab es Tage, wo der feindliche
Tief- und Bombenflieger besondere Erfolge erzielte. Und doch waren seine
Verluste trotz seiner zahlenmäßigen Überlegenheit weit
höher als die deutschen, selbst in relativem Sinne. Allein im März
büßte er 364 Flugzeuge ein, gegen 58 eigene in gleicher
Zeitspanne.
In den Nachwehen der Kämpfe an dieser Front traf die deutsche
Flieger- [625] truppe der
härteste Schlag. Richthofen fiel
am 21. April. An der Spitze seines
Geschwaders hatte er in 4000 m Höhe ein feindliches zersprengt. Im
anschließenden Einzelgefecht verfolgte er einen fast auf den Boden
gedrückten Gegner weit in den Feind hinein und fiel einem von ihm nicht
bemerkten Engländer zum Opfer. Noch war seine Kopfschußnarbe
nicht verheilt, als ihn des Gegners Geschoß ins Herz traf. Wo er gefallen
war, setzte ihn der Feind unter hohen militärischen Ehren zur letzten Ruhe
bei. Wohl tausendmal hatte er dem Tod furchtlos ins Auge gesehen. Ritterlich,
auch vom Feinde geachtet, sieggewohnt, durch eigenes Beispiel fortreißend,
fiel er in der Vollblüte seiner Kraft und seines Ruhmes. Schon weben sich
Sagen um seine 82 Luftsiege und um seinen Tod. Ein Idealbild deutscher
Tapferkeit und Treue. Der Jugend eine Siegfriedgestalt der Lüfte, das
stärkste Vorbild seines zusammenschmelzenden Geschwaders.
Die letzten Angriffsschlachten.
Die Taten der Luftstreitkräfte während der weiteren
Angriffshandlungen stehen denen der Großen Schlacht in Frankreich nicht
nach. Je schneller die Kämpfe einander folgten, je häufiger die
Verbände, namentlich die Schlacht- und Jagdstaffeln, an der Westfront
hin- und hergeworfen wurden, um so erschreckender trat in Erscheinung,
daß die Mittel nicht mehr ausreichten, und daß mit letzter Kraft
gekämpft wurde.
An den Grundzügen des Einsatzes und der Verwendung der
Luftstreitkräfte änderte sich nichts mehr wesentlich. An der engsten
Wechselwirkung zwischen Erd- und Luftkampf war nicht mehr zu zweifeln,
über dem Brennpunkt des Erdkampfes lag der des Luftkrieges. Mehr und
mehr gewann der Einsatz der Schlachtstaffeln und Bombengeschwader
ausschlaggebenden Einfluß auf den Verlauf der Operationen. Sie waren
Endziel des Luftkrieges geworden, die Jagdkräfte nur noch Mittel zum
Zweck. Ohne den Einsatz der Gefechtsflugzeuge und der Ballone war die
Führung des modernen Großkampfes undenkbar.
Die Erkundung wurde immer schwieriger, da die Vorbereitungen von Woche zu
Woche geschickter verschleiert, Truppentransporte und Aufmärsche mehr
und mehr in die Nacht verlegt wurden. Die nächtliche Erkundung gewann
daher in steigendem Maße Bedeutung. Nur eine mühsame
Nebeneinanderstellung neuester und weit zurückliegender
Aufklärungsarbeit über den Rahmen der einzelnen Armee hinaus,
also innerhalb der Heeresgruppe, konnte den Schleier lüften, den der Feind
über sich zu breiten verstand.
Das Fehlen einer an allen Armeefronten gleichmäßigen Verarbeitung
der Luftaufklärung ist einzig der Grund, wenn die Führung hier und
da im Dunklen tappte. Nicht ein Versagen der Waffe! Wohl brachten
Witterungsverhältnisse noch überlange Pausen für die
Erkundung. Auch sie hätten durch eine "Technik der Auswertung"
überbrückt werden können. Vielleicht ging man auch zu
spät zu gewaltsamer Erkundung bei schlechtem Wetter über. Noch
scheute man den [626] Verlust von Flugzeug
und Besatzung, die etwa tiefliegende Wolkendecken, Regen und Sturm oder ein
Durchfliegen längerer Nebelschichten gefordert hätten. Auch der
nebelbezwingende "künstliche Horizont", ohne den die Gleichgewichtslage
des Flugzeuges sonst verloren geht, kam wohl zu spät und zu
spärlich an die Front.
Und doch hätte der schwarze Tag von Villers Cotterets kaum zu der vollen
Überraschung geführt, hätte man der Luftaufklärung die
Bedeutung beigemessen, die ihr zukam.
In der "Kemmelschlacht" bewährten sich die getroffenen Vorbereitungen
mustergültig. Freilich war die Dauer der Kampfhandlung kurz, die
Vorwärtsbewegung langsam und der Geländegewinn gering. Das
Wetter schränkte sowohl Flieger- wie Ballonerkundung in den ersten
Kampftagen wesentlich ein. Am 9. April, dem Beginn der Schlacht, reichte die
fast zum flandrischen Land gehörende Nebelmasse bis 1300 m hoch
vom Boden in die Luft. - Selbst die Brieftauben, die die oft zerschossenen
Fernsprechleitungen ersetzen sollten, verflogen sich. Erst der 12. April brachte
bessere Sichtverhältnisse, so daß frühzeitig wenigstens die der
Infanterie dichtaufgefolgten Ballone über die Kampflage melden
konnten - nach dem Urteil mehrerer Divisionen "die einzig brauchbaren
Ergebnisse aller Erkundungsorgane", bis aufklärendes Wetter den Flieger
zur vollen Geltung kommen ließ.
Die Schlachtstaffeln kamen hier zu besonderer Wirkung. Es unterliegt keinem
Zweifel, daß sie der eigenen Infanterie den Weg zum Kemmel bahnten.
Dann setzte die Heeresgruppe "Deutscher Kronprinz" zum Angriff gegen den
Chemin des Dames an. Die Vorbereitungen erstrebten:
- Angriff der 7. und 1. Armee in Richtung
Soissons - Fismes - Reims.
- Verlängerung des Angriffs nach Ost und West bis Reims und zur
Oise.
- Angriff der 18. Armee westlich der Oise auf Compiègne.
Weder Erdtruppen noch Luftstreitkräfte reichten aus, diese Angriffe
gleichzeitig durchzuführen. Sie sollten daher zeitlich aufeinander folgen
und bei der 7. Armee beginnen. Ihr Ziel war zunächst: Eroberung des
Chemin des Dames und Vorstoß bis zum Vesle-Tal. Vereinigt wurden bei
ihr: 23 Fliegerabteilungen, zwei Reihenbildzüge, 14 Schlachtstaffeln in
zwei Gruppen, 18 Jagdstaffeln in zwei Geschwadern und zwei Gruppen, 3
Bombenstaffeln. Überdies waren die Flügel der Armee durch die
angrenzenden Jagdkräfte der Nachbararmeen zu decken. 1
Bombengeschwader der 18. Armee wurde dem Kofl. 7 unterstellt. Bei jeder
Angriffsgruppe befand sich ein Gruppenführer der Flieger. 27
Ballonzüge, von denen 23 für den Marsch besonders
ausgerüstet waren - die übrigen vier als besondere
Verstärkung aufgeteilt - standen den Divisionen und Gruppen mit
fünf Abteilungsstäben zur Verfügung. An Flakformationen
waren 41 bespannte und K-Flak, außerdem
16 3,7-cm-M-Flakzüge eingesetzt, die durch 12 Formationen des
rechten Flügels der 1. Armee verstärkt wurden. [627] Da der Bestand an
Pferden und Kraftfahrzeugen knapp war, der Angriff ein eng begrenztes Ziel hatte,
waren besondere Vorkehrungen für ihre Beweglichkeit nicht getroffen.
Die höhere Führung forderte von der Lufterkundung die Feststellung,
ob mit einer Überraschung zu rechnen wäre. Die Tageserkundung
wurde daher durch nächtliche der Bombengeschwader 1 und 2
ergänzt, deren Nachterkundungsflugzeuge die Hauptstraßen mit
Leuchtraketen und Fallschirmleuchtbomben absuchten, unterstützt von
Schlachtstaffeln und nächtlichen Ballonaufstiegen.
Überraschend schnell ging der am 27. Mai begonnene Angriff weit
über das gesteckte Ziel hinaus. Noch in der ersten Angriffsnacht wurde die
Vesle südwärts überschritten, während eiligst
herangeworfene englisch-französische Unterstützungen vergeblich
den deutschen Ansturm zu brechen suchten. Erst an der Marne kam der deutsche
Stoß zum Stehen. Die strategische Erkundung hatte bald einen starken
Bahnverkehr auf den Linien Paris - Creil,
Paris - Crepy en Valois,
Paris - Fère Champenoise, starken Lastautoverkehr
frontwärts und damit einen beschleunigten Antransport von
Verstärkungen sowie einen Neuaufmarsch hinter dem
Marne-Abschnitt erkannt. Der Feind befürchtete einen weiteren
Durchbruch; mit allen Mitteln arbeitete er am Ausbau der großen
Verteidigungsstellung von Paris, die von Varennes (nördlich Paris)
über Mortefontaine - Dammartin bis
La Ferté-sous-Jouarre im weiten Bogen die Hauptstadt umspannte.
Auch die Flughäfen, namentlich im Raume von Paris, vermehrten sich
zusehends. Vom 8. Juni ab ließ der
Bahn- und Straßenverkehr nach. Der Neuaufmarsch beiderseits des Waldes
von Villers-Cotterets schien beendet. Nur an den rückwärtigen
Stellungen wurde lebhaft weiter gearbeitet und neue Kampfanlagen entstanden in
erstaunlich schneller Zeit.
Die Infanterieflieger lösten ihre Aufgabe wieder vorbildlich, obwohl die
Truppe sie wenig unterstützte. Das Zusammenarbeiten mit der Artillerie
versagte bei dem häufigen schnellen Stellungswechsel der Batterien, die
ihre Antennen zumeist liegen ließen. Trotzdem gelang es, durch
Meldeabwurf zusammengefaßtes Feuer größerer Einheiten
namentlich gegen feindliche, zum Gegenstoß bereitgestellte Reserven zu
leiten.
Der Ballon zeigte sich überlegener. Mit Erfolg verwandte er bei
Abreißen der Fernsprechverbindung Blinkzeichen, so daß nach seinen
Weisungen feindlicher Verkehr auf den Straßen mit schwerem Flachfeuer,
und M. G.-Nester, die das Vorgehen hemmten, mit
Überwachungsbatterien erfolgreich bekämpft werden konnten. Am
30. Mai meldete und vereitelte ein Ballon mit besonderem Erfolg einen aus
Gegend Chazelle angesetzten Reiterangriff. Tags darauf kämpfte ein
Ballonbeobachter fünf feindliche Batterien nieder, bis er selbst durch einen
feindlichen Flieger abgeschossen wurde.
Die Schlachtstaffeln ernteten, je schärfer zusammengefaßt ihr Einsatz
erfolgte, um so größere Erfolge. Daß aus Fismes beabsichtigte
Gegenstöße feindlicher [628] Reserven kraftlos
zusammenbrachen, daß sich an den
Aisne- und Vesle-Brücken der Vormarsch feindlicher Truppen staute, der
Abfluß von Kolonnen dadurch sich verzögerte und
heranmarschierende Verstärkungen nicht rechtzeitig zur Wirkung kamen,
ist in erster Linie ihr Werk. Auch den feindlichen Fliegern brachten sie auf dem
Flughafen Magneux schwere Verluste bei, als sie einige, im Start begriffene
Staffeln auf dem Boden zusammenschossen. Unversehrt fiel zahlreiches
Gerät und Material nebst Hallen und Zelten in deutsche Hand.
Da immer der Angreifer in der Luft die Überlegenheit besitzt, beherrschten
die deutschen Jagdflieger zunächst das Kampffeld. 62 feindliche Flugzeuge
wurden bei geringstem eigenen Verlust allein in der Woche vom 29. Mai bis 4.
Juni abgeschossen, dazu mehrere Fesselballone. Aber schon an der Marne
verschärfte sich des Gegners Widerstand.
Als sich bei den enormen Schwierigkeiten, die ein bahnloser Nachschub
über den Chemin des Dames mit sich brachte, ein Tagesverbrauch von 25
Flugzeugen nicht mehr decken ließ, trat bald empfindlicher
Maschinenmangel ein, gerade als die Bomben- und Jagdgeschwader des Feindes
an Zahl und Kraft wuchsen. Die Betriebsstofflage wurde ernst. Für kurze
Zeit halfen auf den feindlichen Flughäfen gefundene Vorräte aus.
Auch die Luftschiffer litten in gleicher Weise, obwohl auch ihnen ein
großes, in Fismes vorgefundenes Gaslager über die schwersten Tage
hinweghalf.
Als sich die O. H. L. zu schneller Verlegung des Angriffsschwerpunktes auf die
inneren Flügel der 18. und 7. Armee entschloß, um konzentrisch die
den großen Wald von Compiègne umspannende französische
Nord- und Ostfront zu durchstoßen, sollte der Erfolg wieder in der
Überraschung liegen. Allerdings hatte die durch prächtiges Wetter
begünstigte Aufklärung beider Armeen gezeigt, daß der Feind
starke Kräfte im Raume
Creil - Chantilly - Verberie versammelte und seinen eben
hinter der Marne begonnenen Aufmarsch in die Gegend
Clermont - Compiègne verlegt hatte. Zwar durchdrang der
deutsche Sturm das 1. feindliche Stellungssystem, aber schon am dritten
Angriffstag, dem 11. Juni, geboten ihm starke feindliche Gegenstöße
Halt. Trotz Geländegewinns war die Lage der 7. Armee nicht gebessert, die
verwundbaren Flanken des vorspringenden Bogens blieben.
Durch einen letzten Vorstoß über die Marne und beiderseits Reims,
von 7., 1. und 3. Armee mit allgemeiner Richtung Epernay ausgeführt,
sollte jetzt noch einmal versucht werden, die feindlichen starken Reserven von
Flandern abzuziehen, die nach einwandfreier Fliegererkundung der 6. und 4.
Armee dort verblieben waren. Mit allen Mitteln sollte dort der Weg freigemacht
werden.
Wieder war diese letzte Angriffshandlung auf Überraschung aufgebaut.
War das ohne zu großen Optimismus noch zu erwarten? Die dem Angriff
vorausgehende Woche ließ Aufklärung nur an vereinzelten Tagen zu.
Die Sicht war trübe, schwere Wolken vermehrten den Einblick in die
großen, unübersichtlichen [629] Waldgebiete. Und doch
war es notwendiger denn je, diese und die zu ihnen führenden und sie quer
verbindenden Bahnen zu überwachen.
Warnend deutete eine Erkundung vom 7. Juli auf Gegenmaßnahmen des
Feindes. Flugzeuge der 1. und 3. Armee hatten bei leidlich guter Sicht eine
über das übliche Maß hinausgehende starke Belegung weit
rückwärts gelegener Ortschaften längs der Linie
Troyes - Poivre -
le Francois - Chalons sur Marne festgestellt. Vergleichung mit
Lichtbildern früherer Zeiten ergaben eine weit über den Durchschnitt
reichende Bestellung dieser Bahnhöfe mit rollendem Material.
Gewiß war diese stichprobenartige Beobachtung zu lückenhaft, um
auf volle Abwehrbereitschaft des Gegners schließen zu lassen. Eine
Nachprüfung war bis zum Angriffstag nicht möglich. Schon
deutlicher sprachen die späteren Fernerkundungsergebnisse der 7. Armee:
im Raume Compiègne - Senlis -
Dammartin - Coulommiers -Fère Champenoise war
erheblicher Bahn- und Straßenverkehr gemeldet. Die Bahnhöfe
Epernay, Connantre, Esternay und Fère Champenoise wiesen auf
Lichtbildern große Mengen rollenden Materials auf. Truppenausladungen
waren beobachtet worden. Noch blieb es zweifelhaft, ob es
Angriffs- oder Abwehrmaßnahmen waren. Der gleichzeitig verstärkte
Flughafenausbau südlich der Marne ließ beide Deutungen zu. Aber
das Einstellen der Arbeiten an den großen Befestigungsanlagen
nördlich und nordöstlich von Paris bei gleichzeitiger starker
Luftsperre über dem Wald von Villers Cotterets schaltete rein defensive
Deutung aus. Faßt man das Gesamtbild der allerdings stark behinderten
Erkundung der vier Armeen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:
1. |
und 3. Armee: Aufklärung lückenhaft. Starker Verkehr weit
hinter der Front. |
7. |
Armee: Starker Verkehr an der Armeefront. Beschleunigte und
verschärfte feindliche Gegenmaßnahmen. Ob zur Abwehr oder
Angriff zweifelhaft. |
9. |
Armee: (Als Rückendeckung der 7., 1. und 3. Armee gegen den Wald
von Villers Cotterets zwischen 18. und 7. Armee eingeschoben und nur
ungenügend mit Fliegerverbänden ausgerüstet):
Aufklärung lückenhaft. Normaler Verkehr, vor rechtem
Armeeflügel aber lebhafter. |
18. |
Armee: Lebhafter Bahnverkehr gegen Compiègne. Schwerpunkt des
Bahn- und Straßenverkehrs gegen Mitte 9. Armee. |
Somit war
1. |
auf dem ganzen Abschnitt von Tahure bis Montdidier in keiner Weise mehr
mit einem überraschenden Angriff zu rechnen. |
2. |
Ein Gegenangriff starker feindlicher Kräfte durchaus zu
befürchten. |
Trotzdem begann am 15. Juli der Angriff, der deutsche Truppen zum letzten
Male siegreich über die Marne führte. Erinnerung an ein
todesmutiges, opferfreudiges Stürmen von 1914 wurde
wach. - Doch schon 5 km südlich des Flusses traf der Angriff
auf einen starken, wohl vorbereiteten Feind, dessen Widerstand [630] nicht zu brechen war.
Die 1. und 3. .Armee stießen auf geräumte Stellungen; hier scheiterte
der Angriff an einer von deutschem Artilleriefeuer unberührten neuen
Feindfront.
Infanterie- und Artillerieflieger unterstützten auch an der Marne die
Schwesterwaffen trefflich; Schlachtgeschwader griffen mit rücksichtsloser
Entschlossenheit wiederholt in den Erdkampf mit vollem Erfolge ein. Die
Bombenwürfe des 2. und 3. Geschwaders erzielten hohe Wirkung in
feindlichen Unterkünften bei
Connantre - Montmirail - Fère
Champenoise - Mally, sowie gegen Truppenansammlungen vor der
Front der 9. und 7. Armee bei Château
Thierry - Villers Cotterets - Lizy und Maroeuil.
Die am ersten Tage sichtliche Überlegenheit der eigenen Jagdflieger brach
sich aber schon am 17. Juli an zahlenmäßig weit stärkeren
Kräften. Gepanzerte Caudron-Flugzeuge spotteten ihrer auf nächste
Entfernung durchgeführten Angriffe und schienen unverletzlich. Wie zum
Hohn nach all den wolkenschweren Tagen strahlte helle Sonne, als die feindlichen
Flugzeuge in dicht geschlossenen Geschwadern von 20 und mehr Einheiten ihre
vernichtenden Bombenwürfe gegen den schwächsten Punkt der
deutschen Angriffsoperationen, gegen die rückwärtigen
Verbindungen über die Marne, die in Eile behelfsmäßig
hergestellten Übergänge, richteten. Unter ihrem Aufschlag barsten
die Brücken, und mit Zeitzünder platzten sie in geringster
Höhe dicht über dem Boden zwischen Truppen und Kolonnen. Im
stark überlegenen Masseneinsatz riß der Gegner die Luftherrschaft an
sich, trefflich unterstützt von den ersten geschlossenen amerikanischen
Fliegerverbänden, die den Mangel an Kriegserfahrung durch
anerkennenswerten, dem Franzosen weit überlegenen Angriffsgeist
ersetzten.
Zum ersten Male gewann eine Fliegertruppe entscheidenden Einfluß auf den
Ausgang einer Kampfhandlung, als ihre Bomben den Lebensnerv der in
schwersten Abwehrkämpfen südlich der Marne ringenden deutschen
Divisionen trafen. Vergebens warfen sich die deutschen Jagdstaffeln immer und
immer wieder unter Hergabe letzter Kraft dem Feind entgegen. Bis zu siebenmal
am Tage starteten sie in dieser schweren Juliwoche. Wohl gelang es ihnen,
wenigstens die große Masse der das Schlachtfeld beherrschenden
feindlichen Luftstreitkräfte bis auf die Höhe der eigenen Infanterie
zurückzudrängen, wohl verlor der Gegner allein in der Woche vom
16. zum 23. Juli in schwerem Kampf 113 Flugzeuge und 6 Fesselballone, dem nur
ein eigener Verlust von 27 Flugzeugen gegenüberstand. Aber bei einem
Kräfteverhältnis 5 : 1, das sicherlich nicht zu hoch
gegriffen ist, waren es Pyrrhussiege!
Der deutsche Rückzug.
Obwohl die Fernerkundung der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht keinen
Zweifel darüber ließ, daß sich der Feind vor der 4. und 6.
Armee verschärft auf Abwehr einstellte und sich sogar verstärkte,
das erstrebte Abziehen größerer [631] Truppenteile also
keineswegs erreicht und auch die Lage um Villers Cotterets nicht geklärt
war, andrerseits die Ereignisse vor der 7. Armee bedenklich blieben, hielt die
Oberste Heeresleitung an dem Vorstoß auf Calais fest. Nach dem
Fehlschlag an der Marne wurde mit dem für Flandern erforderlichen
Abtransport von Artillerie-, Minenwerfer- und Fliegerformationen sofort
begonnen.
Ein völliger Umschwung der Lage aber warf alle Absichten um. Aus den
dunklen Waldgebieten von Villers Cotterets stieß unter Einsatz
stärkster Tankgeschwader der Feind überraschend in Massen an
jenem sorgenvollen 18. Juli hervor und überrannte die inneren Flügel
der 7. und 9. Armee. Rasch gewann er über die Linie
Soissons - Oulchy-le-Chateau hinaus Boden. Aufs schwerste in ihrer
rechten Flanke bedroht, mußten die in hartem Abwehrringen südlich
der Marne kämpfenden Truppen auf das Nordufer zurückgenommen
werden. Obwohl diese Bewegung in der Nacht vom 20. auf 21. Juli in voller
Ordnung und vom Feinde unbemerkt vor sich ging, blieb die Lage der 7. Armee
weiterhin äußerst ernst. Hatten bisher nämlich die Flieger nur
starken feindlichen Zuzug gegen die 9. und die
West- und Südfront der 7. Armee hauptsächlich auf der Bahnlinie
Paris - Coulommiers - Fère Champenoise festgestellt,
so ergab jetzt die Luftaufklärung der 1. und 3. Armee eine
größere Truppenverschiebung hinter der Feindfront westwärts
in Gegend Reimser Bergland - Epernay. Auch die Naherkundung
stellte regen Auto- und Kolonnenverkehr frontwärts im gleichen Raume
fest. Der Gegner war demnach entschlossen, mit allen Kräften seinen
günstigen Anfangserfolg auszunützen; die allmähliche
Zurücknahme der 9., 7. und 1. Armee bis hinter die Vesle war geboten.
Geschickt verstanden es die Franzosen, den Marneübergang zu
verschleiern. Undurchdringlicher künstlicher Nebel lag über dem
Marnetal und verhinderte den deutschen Flugzeugen jeden Einblick. Als sich der
Schleier hob, waren die Brücken geschlagen, und in breiter Front
überschritt der Feind den Fluß. Noch einmal versuchte die
Führung, im Angriff ihn hinter den
Marne-Abschnitt zurückzuwerfen. Alle verfügbaren
Fliegerkräfte wurden zur Unterstützung der Infanterie in
rücksichtsloser Entschlossenheit aufgeboten. Es war vergebens!
Was an stillem Heldentum, an entsagungsvollen Opfern und an einem
Übermaß von Willen, den Schwesterwaffen zu helfen, in diesen
schweren Rückzugskämpfen, namentlich der 7. Armee, von den
Luftstreitkräften geleistet wurde, zählt zu den ruhmvollsten
Blättern ihrer Geschichte. Verschleierung und Sicherung der eigenen
Bewegung, unausgesetzte Erkundung forderten engstes Zusammenarbeiten mit
den Rückzugstruppen und gelangen meisterhaft. Reichten die Kräfte
der stark geschwächten Schlachtstaffeln zum Fliegersturm gegen die zum
Angriff bereitgestellten Feindmassen, gegen Tankgeschwader oder sorglos im
Vollbewußtsein sicheren Sieges auffahrende feindliche Batterien nicht mehr
aus, so lösten Infanterie- und Artillerieflieger sie willig ab, und von den
Flügeln der Nachbararmeen erhielten sie frischen Zuzug. Die im
Abtransport nach Flandern begriffenen [632] Fliegerverbände
wurden aus ihren Eisenbahnzügen herausgeholt und wie sie waren in den
Kampf geworfen. Immer dichter wurden die Fliegerschwärme, die den
feindlichen Angriffen vorausflogen und die deutschen Truppen zu
erschüttern suchten. Da die noch verfügbaren Jagdstaffeln erlahmten,
wurden Fliegerverbände der 2., 5. und 18. Armee auf Entfernungen von 100
und 150 km zur Unterstützung herangeholt. Die weniger bedrohte 1.
Armee übernahm schließlich den Luftschutz des gesamten linken
Flügels der 7. So ließ sich annähernd ein Gleichgewicht
schaffen und wenigstens die Gefechtsaufklärung sicherstellen. Eine
Entlastung brachte ein neues Jagdflugzeug, Fokker D VII, das jedem
feindlichen Typ gleichwertig, wenn nicht überlegen war. Und in weiter
steigendem Maße eingeführte Fallschirme (Heinnecke) retteten
mancher Besatzung eines brennend abstürzenden Flugzeuges das Leben
und minderten dadurch die empfindlichen Verluste.
Der Nachschub blieb schwer, bis man an der Vesle war. Nur mühsam
konnte jetzt ein Tagesverbrauch von 14 Flugzeugen gedeckt werden. Auf einem
Teil der abzubauenden Flughäfen lag schon Feuer schwerer
Geschütze, namentlich bei der 9. Armee. Trotzdem gelang es mit
behelfsmäßig zusammengestellten Autokolonnen das wertvollste
eigene und sogar Beutegerät zu bergen.
Hohe Anforderungen stellte auch die Zurücknahme der Flakformationen,
von denen ein Teil der Infanterie bei dem letzten Vorstoß bis über die
Marne gefolgt war. Erfolgreich hatten sie hier gegen die feindlichen
Fliegergeschwader gewirkt, bis ein Teil ihrer Geschütze außer
Gefecht gesetzt war. Bei Rückverlegung der Front über den
Fluß blieben zwei Flakzüge und eine halbe Batterie
bewegungsunfähig liegen und fielen nach rechtzeitiger Sprengung in
Feindeshand, während die noch lebenden Mannschaften sich in
zusammengeschossene schwere Batterien einreihten.
Günstiger stand es um die Luftschiffer, die man vorsichtshalber auf dem
Nordufer der Marne belassen hatte; aber den hartnäckigen feindlichen
Fliegerangriffen fiel mancher Ballon brennend zum Opfer.
Das Ziel, die feindliche Front vor Wirksamwerden der amerikanischen Hilfe zu
durchbrechen und so den Gegner friedgefügig zu machen, war nicht
erreicht. Die Schwungkraft des deutschen Heeres war gebrochen. Die
zahlenmäßige Überlegenheit der Gegenseite wuchs
erdrückend. Die operative Handlungsfreiheit war der deutschen
Führung entglitten. Hatte auch der Feind stark in diesen Kämpfen
geblutet, so war doch mit weiteren Angriffen, namentlich gegen die
Vesle-, Aisne - Oise- oder Oise - Somme-Linie,
vielleicht auch in der Lys-Ebene und im Sundgau, zu rechnen.
Möglicherweise an mehreren Stellen gleichzeitig und im großen Stil.
Die ganze Westfront mußte daher auf schärfste Abwehr eingestellt
werden; rechtzeitiges Erkennen jedweder feindlicher Angriffsmaßnahme
wurde eine Lebensfrage für das Heer. Der Feind hatte aus den großen
deutschen Offensiven gelernt. Vor allem hatte er sich auch die meisterhafte
Verschleierungskunst zu- [633] eigen gemacht.
Daß es möglich war, eine Angriffsoperation von etwa 60 km
Frontbreite selbst einer planmäßig geleiteten Lufterkundung fast
völlig zu entziehen, hatte die große Schlacht in Frankreich ja
bewiesen.12 Umgekehrt war die Auswertetechnik
der Lufterkundung zu hoher Vollendung gelangt - und ließ sich unter
Zuhilfenahme der Nachterkundung und gründlicherer Vereinheitlichung des
Systems zweifellos noch verfeinern.
So traten an die Luftstreitkräfte die höchsten Anforderungen heran,
da sich mit der Erfüllung der großzügigen amerikanischen
Luftrüstungspläne die Gegner ständig vermehrten,
während bedenklicher Rohstoff- und Menschenmangel die durch die
ununterbrochenen, monatelangen Kämpfe bedingten Ausfälle auf
deutscher Seite nur noch mühsam deckte. Die notwendige Einstellung der
gesamten Westfront auf Abwehr bei langsamer Rückverlegung, zwang zu
sorgsamsten Vorbereitungen für eine Verschiebung und schnellste
Zusammenziehung der verfügbaren Kräfte. Auf eine kurze Weisung
mußten namentlich die Träger des Luftkrieges, die
Schlacht- und Jagdstaffeln, auf dem Luftwege zu den bedrohten Stellen verlegt
werden können. Ein Höchstmaß von Kraftanspannung, freilich
durch gleichzeitiger Abnutzung bedeutet z. B. der Einsatz einer
Schlachtstaffelgruppe der 7. Armee in den schweren Septemberkämpfen
um Cambrai bei der 17. Armee von ihrem 150 km entfernten Heimatshafen
aus und ihre sofortige Wiederverwendung tags darauf an alter Stelle!
Bisher hatte man sich mit Fliegerkräften nur innerhalb oder auf
benachbarten Flügeln einzelner Armeen ausgeholfen. Jetzt forderte die
Lage ein Heranziehen der Verbände innerhalb einzelner oder benachbarter
Heeresgruppen. Das bedingte Auswahl und Herrichten geeigneter
Flughäfen, auf denen stärkste
Schlacht- und Jagdstaffelverbände vereinigt werden konnten.
Neben dem Ausbau dieser "Sammelhäfen" war gleichzeitig ein ganzes
System rückwärtiger "Ausweichhäfen" erforderlich. Wo
Armeen aus früheren Bewegungen auf Abwehr und Verlegung der Fronten
eingestellt waren, war weniger Not. Dagegen konnte bei den neu gebildeten
Armeen, 17., 18. und 9., nicht entsprechend vorgesorgt sein. Allerdings hatte die
große Vorwärtsbewegung die Aufmarschhäfen teilweise weit
hinter sich gelassen. Immerhin konnten auch diese bald in feindlichen
Feuerbereich kommen. Überall wurde daher die Erkundung
rückwärtiger Häfen notwendig. In geringem Umfange
erleichterten die aus der Vormarschzeit des Jahres 1914 bekannten, wenn auch
meist zur Zeit nicht benutzbaren Flughäfen diese mühsame
Erkundung.13
[634] Die zweite Forderung,
das rechtzeitige Erkennen feindlicher Angriffsabsichten, war ungemein
schwieriger. Aus den bisherigen Kämpfen war die gesamte Feindfront
ausgebaut. Selbst an ruhigen Frontteilen waren großzügige Anlagen
entstanden. Überall fand das erkundende Flugzeug neue
Bahn- und Kampfanlagen aller Art; überall schien gleichmäßig
reger Verkehr zu herrschen.
Je mehr der Gegner seine Bewegungen in den Schutz der Nacht legte, um so
dringlicher wurde die Nachtaufklärung durch Ballon und Flugzeug; um so
notwendiger war auch ein einwandfreies Arbeiten aller Nachtorientierungsmittel.
Ein weiterer Ausbau der bereits bestehenden "Befeuerungsanlagen" war daher
unerläßlich. Das bedeutete aber bei dem schon überall
herrschenden Mangel an Gerät und Bedienungsmannschaften eine neue
Belastung der Luftstreitkräfte. Fliegersignal-Flakzüge, Leuchtsignale
an markanten Punkten, Fliegerscheinwerfer, die mit ihren hochgereckten
Lichtarmen bestimmte Morsezeichen gaben, verschiedenfarbige Lichter der Erde
mußten durch Nacht und Nebel den Flugzeugen sicheren Weg weisen. Das
Kampfgelände bot nachts ein buntes Bild. Über dem Feindgebiet
ermöglichte allmähliche Auswertung seines ähnlichen
Lichtsystems die weitere Orientierung. Unzulängliche Abblendung von
Ortschaften, Feuerschein fahrender Lokomotiven und die, wenngleich stark
beschränkte Beleuchtung der Bahnhöfe, gaben weitere
Anhaltspunkte.
Nur Nebel und ungünstige Witterungsverhältnisse konnten jetzt noch
die letzten Verschleierungsmaßnahmen des Feindes unerkennbar machen.
Beide traten dem Feind in dieser schwierigsten Lage des deutschen Heeres als
Bundesgenossen zur Seite.
Im Juli konnten die Hauptbahnlinien vor der 2. Armee nur an vier, in der ersten
Augustwoche an drei Tagen eingesehen und im Lichtbild überwacht
werden. Auch die Aufklärung bis zum Meer blieb lückenhaft. Des
Feindes Kampftätigkeit blieb schwach. Sein Fliegereinsatz hielt sich in
üblichen Grenzen. Rückwärtiger
Bahn- und Straßenverkehr war unbedeutend. Zwar stellte
Nahaufklärung stärkeren Verkehr und vermehrte Belegung vor
einzelnen Frontteilen fest. Über das Maß der durch örtliche
Kampfhandlungen bedingten Truppenablösung gingen beide wenig hinaus.
Dagegen war eine dichte, in allen Luftschichten durchgeführte, bis auf
6000 m hinaufragende Sperre starker Jagdketten, sowie ein lebhafter
Übungsflugbetrieb starker Geschwader über den Flugplätzen
von Bertanges und Bovelles besonders auffallend. Der Feind versuchte etwas
unter allen Umständen der Sicht zu entziehen
und - exerzierte seine Schlacht- und Jagdkräfte für den
Großangriff ein! Ehe man diese Andeutungen bekräftigen konnte,
schlossen Regen, Nebel und eine dichte, niedrige [635] Wolkendecke vom 4.
bis 8. August jede zusammenhängende Erkundung aus. Der Feind hatte
unbeobachtet seine letzten Vorbereitungen längs der Front
Albert - Montdidier vollendet.
Im Schutze diesigen Bodendunstes, den künstliche Vernebelung und
Vergasung zum undurchsichtigen Schleier verdichtete, brachen am Morgen des
schicksalsschweren 8. August Australier und Kanadier beiderseits der
Römerstraße, Franzosen südlich des Luzebaches mit starken
Tankgeschwadern in Übermacht aus ihren Stellungen hervor und
überrannten die dort eingesetzten deutschen Divisionen.
Bis 730 Uhr Vm. ließ der
über dem Schlachtfeld lastende Nebel bei Freund und Feind den Einsatz der
Luftstreitkräfte nicht zu. Dann brach der feindliche Fliegersturm mit
übermächtiger Gewalt über die Linien. In niedrigster
Höhe fliegend, griffen sie jedes sich bietende Ziel mit Gewehrfeuer und
Bomben an. Über der Wolkendecke drangen starke Geschwader weit in das
Hintergelände vor, durchstießen die schützende Schicht,
warfen Bomben und Handgranaten auf Bahnanlagen, Stabsquartiere und
Flughäfen und verschwanden wieder, noch ehe wirksame
Bekämpfung durch Flak oder eigene Flieger möglich wurde. Diese
Angriffsweise, schon aus der Flandern-Schlacht bekannt, ist deutscherseits mit
Rücksicht auf dabei unvermeidliche Verluste in diesem Umfange nicht
angewandt worden, obwohl sie zweifellos großen Erfolg hatte.
Den bedrängten Fliegerkräften der 2. Armee eilten von der
benachbarten 17. und 18. Armee auf dem Luftwege an
Schlacht- und Jagdstaffeln unverzüglich zu Hilfe, was irgend
verfügbar war. Gegen Abend war der Gegner in der Luft durch den
zusammengefaßten Einsatz der Jagdkräfte geschlagen. Der schwerste
Tag des deutschen Heeres war zum Ruhmestag deutscher Luftstreitkräfte
geworden, da zersetzender Geist die Reihen der fliegenden Mannschaft noch nicht
angekränkelt hatte. 54 abgeschossene feindliche Flugzeuge bedeckten das
Schlachtfeld!
Ein Höchstmaß von Leistung forderte in diesen Kämpfen die
Gefechtsaufklärung. Unter dem furchtbaren Druck der Verhältnisse
wurde von jetzt ab grundsätzlich auf die Witterung keine Rücksicht
mehr genommen. Sturm, Regen und selbst Wolkendecken in 50 m
Höhe bildeten kein Hindernis mehr. Gewaltsame Erkundung durchbrach
jede noch so starke Sperrkette. Hohe Verluste waren die Folge, durch die
Kampflage allerdings gerechtfertigt. Sie betrugen an der Westfront von
Januar bis September 1099 gegen 3732 des Feindes. Die Zahlen sprechen
allerdings nicht von einer "Luftherrschaft" deutscherseits, denn prozentual werden
sie sich kaum die Wage halten. Um so deutlicher zeugen sie aber von dem bis zur
Selbstverleugnung gehenden Opfermut deutscher Flieger.
In ihren Metallflugzeugen konnten die Infanterieflieger in diesen und
späteren Kämpfen jeder Forderung der Kommandobehörden
gerecht werden. Als "Meldeflugzeuge" überbrachten sie neben Munition
und Lebensmitteln ab- [636] geschnittenen
Truppenteilen Befehle zum Ausharren oder Ausweichen. Den Artilleriefliegern
gelang es meist nicht, ihre wichtigen Erkundungen in Waffenwirkung
umzusetzen. Die Antennen waren zerschossen oder vom Feind mit
überrannt, die schnelle Umgruppierung nach rückwärts tat ein
übriges. Die innige Fühlung fehlte. Trefflich wirkten wie immer die
Schlachtstaffeln und die Bombengeschwader, die ihre
C-Flugzeuge zu Tagesangriffen zusammenstellten und nachts mit den gleichen
Besatzungen unermüdlich flogen.
Alle Aufopferung war vergeblich. Das Schicksal nahm seinen unerbittlichen Lauf.
Die Lage der deutschen Westfront wurde steigend ungünstiger, je mehr
amerikanische Truppen auf dem Festlande eingriffen. Der bei der 2. Armee
entfachte Brand griff rasend schnell um sich. Kaum stand die 18. Armee in
schwerem Kampf, als die Fliegererkundung mit erschreckender Gewißheit
ein Überspringen der Schlacht auf die 17. Armee meldete. Noch vor Mitte
August konnte das drohende Unheil in voller Breitenausdehnung und
Hauptstoßrichtung vorausgesagt werden, so daß die Armee vor Arras
noch Zeit zur notwendigen Umgruppierung fand. Eine ununterbrochene
Überwachung der gesamten Armeefront durch
"Überwachungsflugzeuge", wie einst in der
Flandern-Schlacht, erkannte rechtzeitig die Bereitstellung der feindlichen
Reserven, das Vorgehen der Tankgeschwader und das Antreten der
Sturmkolonnen.
Der Angriff vom 21. August brach daher verlustreich vor einer neuen deutschen
Front zusammen. Überraschend schnell verlegte der Feind aber seinen
Angriffsaufmarsch nach vorn - und bald stand die ganze Front der
Heeresgruppe Rupprecht erneut in schwerste Abwehrkämpfe verstrickt.
Mehr noch! Die ganze Westfront flammte auf. Bei
St. Mihiel - auch hier war die erste große Waffentat der
Amerikaner durch Fliegererkundung rechtzeitig
vorausgesagt -, in der Champagne, an Oise und Somme, an der Ancre und
an der Lys - überall griff der Feind jetzt mit starken Kräften
an.
Eine letzte Phase erbitterten Ringens begann für Deutschlands
Luftstreitkräfte. Ein hoffnungsloses Ausharren in treuem Zusammenwirken
mit den Schwesterwaffen auf der Erde. Verlustreich und schwer, und doch
lorbeergekrönt.
Die verhängnisvollen Ereignisse bei der 2. Armee hatten gezeigt, daß
das bisherige Fernaufklärungssystem innerhalb einer Armee den
veränderten Großkampfverhältnissen nicht mehr hinreichend
Rechnung trug. Die Beschränkung auf ein aus dem Zusammenhang
herausgeschnittenes Einzelbild konnte nicht mehr genügen, als der
Großkampf in die Heeresgruppen, ja schließlich in die ganze
Westfront hineinwuchs. Die nach der
Flandern-Schlacht betonte Zweckmäßigkeit von
Heeresgruppen-Aufklärungsgeschwadern - aus
Tages- und Nachtstaffeln mit angegliederter Stabsbildabteilung
zusammengesetzt - wurde jetzt anerkannt, aber die Kräfte der seit
Monaten überanstrengten Fliegertruppe reichten zur Bildung solcher
Neuformationen nicht mehr aus. Der Zeitpunkt war versäumt.
Durch Umwandlung der bisherigen Armeeoberkommando-Abteilungen in
[637] sogenannte
"Armeeflieger-Abteilungen", bestehend aus einer "Tages- und Nachtstaffel",
deren Flugzeuge bisweilen den Raum der Heeresgruppen überflogen, und
durch Schaffung einer Fliegerreferentenstelle bei den Heeresgruppen suchte man
einen Ausweg, der aber Halbheit blieb. Immerhin gelang die einheitliche
Regelung des gesamten Luftschutzdienstes innerhalb der Heeresgruppen im
Einvernehmen mit der Nachrichtentruppe.
Die Rückzugsbewegung hatte für die Bombengeschwader, deren
Leistungen im Nachtangriff über jedes Lob erhaben waren, eine
Änderung im Einsatz zur Folge. Während bisher die
Bekämpfung strategisch wichtiger Ziele im Vordergrund gestanden hatte,
trat jetzt die Bekämpfung taktischer Ziele in den Vordergrund. Die am Tage
von den Fliegerabteilungen gelieferten Erkundungsergebnisse konnten dadurch
noch in derselben Nacht in Waffenwirkung umgesetzt werden und entlasteten die
Truppe wesentlich. Selbst auf Ziele, die im Bereich der schweren Artillerie lagen,
kamen sie seit den Septembertagen mehr und mehr zum Einsatz, um ein
Höchstmaß von Munition in den Feind zu bringen. Bis
drei- und viermal in einer Nacht starteten einzelne Staffeln und Flugzeuge!
Anfang September wurden die Angriffe auf Paris und London eingestellt. Das
hiermit erstrebte Ziel, Schonung der deutschen offenen Städte, wurde
freilich nicht erreicht. Denn die Fesselung zahlreicher feindlicher
Fliegerkräfte und Abwehrmittel an die Hauptstädte Paris und London
und die englische Küste, die neben unmittelbaren Erfolgen durch diese
Luftangriffe dort beabsichtigt war und die Front von den
übermächtigen feindlichen Luftstreitkräften entlasten sollte,
fiel damit fort. Neue Massen wurden jetzt gegen sie und gegen die deutsche
Heimat frei, die man von beiden hatte abziehen wollen. Mit aller Klarheit zeigten
das die seit Anfang September wieder in erhöhtem Maße gegen die
Heimat einsetzenden feindlichen Angriffe und die verschärfte Abwehr, auf
die die Flieger an der Front stießen.
Gleichzeitig gestaltete sich die Lage der deutschen Luftstreitkräfte immer
schwieriger, da ein immer empfindlicherer Betriebsstoffmangel ihnen die letzte
Kraft zu nehmen drohte. Schon seit 1916 hatte man dieser Lebensfrage der
Luftwaffe durch Rationierung Rechnung getragen. Die Heimat flog seit jener Zeit
ein Gemisch von Benzin und Benzol, später nur noch Benzol. Ein
bestimmtes Quantum war seit 1918 zur Belieferung der Front vorgesehen. Die
schweren Angriffs- und Abwehrschlachten leerten die verfügbaren
Reservebestände erschreckend schnell. Die Neubelieferung begann zu
stocken. Zur Durchführung des U-Bootskrieges mußte ein
bedeutender Bestand der Marine zugeführt werden. Die Quellen Galiziens
reichten nicht aus, die von den Engländern mustergültig
zerstörten Rumäniens waren nicht in der erhofften Zeit herstellbar.
Die Ausbeutung einiger unversehrt gebliebener war wesentlich geringer, als man
erhofft hatte. Schärfere Rationierung sollte das drohende Unheil abwenden.
250 Liter wurden den Fliegerabteilungen, den
Jagd- und [638] Schlachtstaffeln nur
150 Liter pro Tag zugemessen. Zu einem Zeitpunkt also, wo es sich um Sein oder
Nichtsein handelte, mußte der gesamte Flugbetrieb eingeschränkt
werden!
Lähmend hätte der Gedanke wirken müssen - aber zu neuem
Ansporn formte er sich. Die Leistungen des einzelnen verdoppelten sich in diesem
Verzweiflungskampf. Daß weder die Aufklärung aussetzte, noch die
Gefechtserkundung versagte, Schlacht- und Bombenflieger immer wieder die
Truppe entlasteten und die Jagdkräfte die Zahl ihrer Siege mehrten,
bedeutet das Höchstmaß von Leistungen, die von einer opferbereiten
Waffe verlangt werden können.
Vom Meer bis St. Mihiel wankte das Heer. Aber die Front zu zerreißen,
vermochte der Gegner nicht. Schritt um Schritt wich sie über die
vorbereitete Wotan-, Siegfried- und Hermann-, Hunding-,
Brunhild-Linie in die noch im Ausbau begriffene
Antwerpen - Maas-Stellung zurück.
Eine Umgruppierung der Flieger wurde notwendig. Denn ein der bisherigen
Gliederung entsprechender Ausbau von Flughäfen war bei der schnellen
Rückbewegung unmöglich. Die Fliegerabteilungen eines
Gruppenbereiches wurden daher in besonderen "Gruppenhäfen", die
Jagdkräfte einer Armee in "Jagdhäfen" vereinigt. An einzelnen
Stellen, wo die Verluste nicht mehr ersetzt werden konnten, zog man mehrere
oder alle Verbände zu einer Gruppe, zu einer "verstärkten
Abteilung", zusammen und übertrug ihr gleichzeitig
Infanterie-, Artillerie- und Erkundungsfliegeraufgaben.
Die Räumung der Flughäfen glückte im allgemeinen, da der
Rückzug planmäßig und meist in Ordnung verlief. Nur geringe
Bestände an Material und Betriebsstoff gingen verloren, die
Flugplätze wurden, soweit möglich, durch Umpflügen
vorübergehend unbenutzbar gemacht. Besondere Schwierigkeiten brachte
der Abbau der zu riesigen Werkstatt- und Fabrikanlagen ausgewachsenen
Armeeflugparks. Auch er gelang trotz begrenzter Zeit und unzureichender
Kräfte. Alles in allem Zeugnisse entsagungsvollster, opferwilligster,
angespanntester Arbeit aller Dienststellen.
Die in der Antwerpen - Maas-Stellung neugeplante Gliederung der
Luftstreitkräfte, die nach Auflösung der 2., 9. und 18. Armee eine
außerordentlich reiche Ausstattung der Divisionen und Gruppen mit
freigewordenen Verbänden zugelassen hätte, kam infolge des
Waffenstillstandes nicht mehr zur Durchführung.
Der Heimatluftschutz 1918.
Wie eng die Operationen an der Front mit dem Luftkrieg gegen die Heimat
zusammenhängen, beweist nur allzuklar die feindliche
Fliegertätigkeit des Jahres 1918. Seit Jahreswende wurden die
Bombenflüge gegen das heimatliche Industriegebiet in aller Schärfe
fortgesetzt. Allein im März fanden 37 Angriffe statt. Kurz nach Beginn der
Großen Schlacht am 21. März 1918 hörten sie schlagartig auf;
der Feind brauchte alle verfügbaren Kräfte an seiner
be- [639] drohten Front. So
sanken die Angriffe auf das Heimatsgebiet im April 1918 auf zwei herab, stiegen
allmählich wieder an, um mit 43 im
Juli - also zu einer Zeit, in der die deutsche Front zu erlahmen
begann - ihren Höhepunkt zu erreichen. Daß die
nachfolgenden Monate nicht noch höhere Zahlen aufweisen, ist
Witterungseinflüssen zuzuschreiben.
Eine kurze Zusammenstellung zeigt ferner mit erschreckender Deutlichkeit die
entscheidende Bedeutung dieses zukünftigen Hauptgebiets des
Luftkrieges - des Zukunftskrieges überhaupt!
Angriffe gegen die
Heimat: |
1915 |
42 |
davon |
6 |
Nachtangriffe |
zunehmende Bedeutung
der Nachtangriffe |
1916 |
100 |
" |
71 |
" |
1917 |
193 |
" |
93 |
" |
Umstellung auf
Tagesangriffe |
1918 (nur 10 Monate) |
279 |
" |
153 |
" |
Ein unerhörter Versuch des Feindes, nicht nur die deutsche
Rüstungsindustrie zu zertrümmern, sondern auch die
Widerstandskraft der Bevölkerung zu brechen! Nach wie
vor - auch nach Einstellung der Bombenwürfe auf London und
Paris - blieben offene, ungeschützte Städte überwiegend
Opfer dieser Angriffe.
Berechnet man für 1918 einen Durchschnitt von rund 330 Luftangriffen, so
fällt bereits im vierten Kriegsjahr auf fast jeden Tag des Jahres ein Angriff
gegen die Heimat! Und das im Beginn des Luftkrieges!
Dem notwendigen Weiterausbau des Heimatluftschutzes für das Jahr 1918
waren Grenzen durch das allgemeine Rüstungsprogramm gezogen.
Namentlich litt die Ausstattung mit Flugabwehrkanonen, da die Industrie bereits
übermäßig beansprucht war. Nur wenige
8,8-cm-Kanonen - Mittelkaliber besonders hoher
Wirkung - wurden durch Abgaben der Front und der Marine und in
begrenzter Neulieferung von Krupp und Rheinmetall den Flakformationen
zugeführt.
Günstiger lagen die Verhältnisse für die Flakscheinwerfer. Die
sie herstellenden Fabriken waren weniger belastet. Sie konnten daher in
größerer Zahl gebaut, eingesetzt und zu Batterien
zusammengefaßt werden.
Einen wesentlichen Zuwachs erhielt der Heimatluftschutz des Westens nach
Einstellung der Kampfhandlungen im Osten. Die Flakgruppe Danzig wurde
aufgelöst und als Neuformation mit einem neuen Flugmeldebezirk in Trier
im Moseltal eingesetzt, da dieses wegen seiner guten
Orientierungsmöglichkeit zu einer Hauptanflugsrichtung des Feindes
geworden war.
Neu eingeführte Funkenstationen machten den Flugmeldedienst jetzt
unabhängig von dem oft durch Bombenwurf gestörten
Fernsprechnetz. Taktisch den Flugwachen angegliedert, blieben sie unter einem
dem Koheimluft zugeteilten "Funkerverbindungsoffizier" organisch
selbständig. Den Funkverkehr regelte eine
"Funküberwachungsanlage" bei der Flughauptwache Frankfurt (Main).
[640] Die Armeen in den
Reichslanden erhielten gleichfalls solche Stationen, weil man durch schnelle
Benachrichtigung über Rückflug feindlicher Geschwader aus
Deutschland die Frontjagdstaffeln zur Unterstützung der Heimatstaffeln
hoffte heranziehen zu können.
Als nach Beginn des Rückzugs bekannt wurde, daß der Feind
größere Luftangriffe gegen das Innere Deutschlands plante, wurden
auch die rückwärtigen Heimatfunkenstationen in diesen
Flugmeldedienst einbezogen. So konnte doch die Bevölkerung rechtzeitig
wenigstens zu passiven Schutzmaßnahmen veranlaßt werden. Nur
für das besonders gefährdete Industriegebiet am Niederrhein wurde
in Dortmund ein neuer Flugmeldebezirk geschaffen.
Die erwünschte Vermehrung der Kampfeinsitzerstaffeln mußte aus
Kräftemangel unterbleiben. Indes arbeitete man ständig an ihrer
inneren Kräftigung und Schlagfertigkeit. Im Spätherbst konnten
ihnen besonders steigfähige Flugzeuge
(Halberstädter D III) zugeteilt werden. Auch zur
Nachtflugjagd ging man erneut über, ohne jedoch hierbei noch hinreichende
Erfahrungen zu sammeln. Dagegen erleichterte die Einführung von
F. T.-Wechselverkehr für das Führerflugzeug die
Verständigung zwischen Flugzeug und Erde und damit den Einsatz zum
Luftgefecht.
Um eine Lücke zu sperren, die der Feind bis Frühjahr 1918 zwischen
Saarbrücken und Karlsruhe zu seinem Anflug gegen das obere Rheingebiet
benutzte, schob man die Kest. (Kampfeinsitzerstaffel) 8 nach Bitsch vor.
Zusammen mit der Kest. 2 in Saarbrücken und der Kest. 5 in
Lahr bildete sie gewissermaßen die Brücke zwischen den Jagdstaffeln
der Front und den rückwärtigen Heimatstaffeln. Indes gelang es
selten, den Feind schon auf seinem Anflug zu stellen, da er sich meist hinter
seiner Front sehr hoch schraubte, um das Gebiet nahe der Front im Gleitflug zu
überfliegen. So waren die Geschwader nicht zu
hören - und deshalb auch nur in seltensten Fällen zu sehen.
Aber auf dem Rückflug fiel mancher feindliche Flieger den
Front- und diesen vorgeschobenen Staffeln zum Opfer. Ein schöner Erfolg
engsten Zusammenarbeitens von Front- und Heimatsverbänden war die
Vernichtung eines feindlichen Bombengeschwaders, das am 31. Juli 1918
Saarbrücken angegriffen hatte. Diese Gemeinsamkeit der Aufgaben von
Front- und Heimatjagdkräften führte - allerdings reichlich
spät - zu dem Entschluß, die Kampfeinsitzerstaffeln zu
vollwertigen Jagdstaffeln auszubauen. Zur Durchführung des Planes kam es
nicht mehr. Auch die Luftsperrabteilungen, die in diesem Jahre ein sichtbares
Ergebnis ihres Wertes durch Absturz eines englischen Flugzeuges aufzuweisen
hatten, das sich in ihren Drähten und Kabeln verfing, wurden vermehrt.
Der letzte feindliche Luftangriff fand am 6. November 1918 gegen
Saarbrücken statt. Dann setzte der Waffenstillstand auch der
Tätigkeit des Heimatluftschutzes ein Ende.
Von vielen falsch beurteilt, den meisten unbekannt, von wenigen nur richtig
[641] gewürdigt, hat
der Heimatluftschutz in aufopfernder, mühevoller, selbstloser Arbeit in
höchstem Maße seine Pflicht getan. Während vier langer,
bitterer und schwerer Jahre hat er das deutsche Heer davor bewahrt,
waffen- und wehrlos zu werden. Denn ohne ihn hätte aus niedrigsten
Höhen wohlgezielter Wurf englischer, französischer und
amerikanischer Bombengeschwader Deutschlands Waffenschmieden im Westen
bald in einen Schutt- und Trümmerhaufen verwandelt und die Quelle, aus
der die Heere immer wieder neue Kraft
schöpften - die Heimat -, vorzeitig zum Versiegen gebracht!
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