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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

[274] Kapitel 6: Die Heeresgruppe Herzog Albrecht 1917/18
Major Friedrich Wilhelm Frhr. v. Willisen

1. Das Jahr 1917.

Der Wunsch, den südlichen Teil der Westfront zu festigen und hier unliebsame Überraschungen möglichst auszuschließen, veranlaßte die Oberste Heeresleitung Ende Februar 1917, diesen Abschnitt einer neu zu bildenden Heeresgruppe zu unterstellen.1

Durch Kabinetts-Ordre vom 25. Februar wurde die Zusammenfassung der Armee-Abteilungen A und B mit den Festungen Metz und Straßburg i. E. - bisher der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz unterstellt - zu der neu aufzustellenden Heeresgruppe unter dem Oberbefehl des Herzogs Albrecht von Württemberg, bisher Oberbefehlshaber der 4. Armee, angeordnet. Zum Chef des Generalstabes wurde der bayerische Generalleutnant Krafft v. Dellmensingen, bisher Kommandeur des deutschen Alpenkorps, ernannt. Als Sitz des Oberkommandos der Heeresgruppe wurde Straßburg i. E. bestimmt.

Die Befehlsübernahme erfolgte am 7. März 1917.

Die Front der neuen Heeresgruppe umfaßte das Gebiet von der Mosel bei Pont à Mousson bis zur Schweizer Grenze. Die Stellungen verliefen im allgemeinen entlang der deutsch-französischen Grenze; lediglich im südlichsten Teil in Richtung auf Münster, Thann und Altkirch hatten die Franzosen ihre Linien einige Kilometer auf deutsches Gebiet vorgeschoben.

Geographisch können drei Hauptabschnitte unterschieden werden: das lothringische Hügelland zwischen Mosel und den Vogesen, den Abschnitt der Armee-Abteilung A. - die Vogesen und die Belforter Senke, auch Sundgau genannt, den Bereich der Armee-Abteilung B umfassend; nahe hinter dem rechten Flügel der Heeresgruppe lag das für die deutsche Kriegsindustrie wichtige Gebiet von Longwy-Briey, wodurch dieser Flügel operativ eine erhöhte Bedeutung erhielt. Ein weiterer wichtiger Punkt war der Bruchpunkt zwischen dem nach Südwesten gerichteten Frontteil im Lothringer Hügelland und der in nord-südlicher Richtung verlaufenden Vogesen-Front, gekennzeichnet durch den Bergstock zwischen Schirmeck und Badonviller - den Haut-Donon -; ein Durchbruch an dieser [275] Stelle hätte die Breusch-Stellung, jene friedensmäßig ausgebaute Anschlußstellung zwischen dem Gebirge und der Festung Straßburg, im Rücken gefaßt.

Weiter nach Süden verlor die Vogesen-Front an strategischer Bedeutung; ein etwaiger Vorstoß der Franzosen aus der Belforter Senke heraus mußte ohne erhebliche operative Wirkung bleiben, da er jederzeit unter Ausnützung der vorhandenen ständigen Ober-Rhein-Befestigungen unschwer abgeriegelt werden konnte.

Immerhin hatte die Sundgau-Front in militärpolitischer Hinsicht ihre Wichtigkeit; ein weiteres Vordringen der Franzosen im Elsaß erhöhte nicht nur das französische Prestige, sondern hätte ihnen auch bei der Liquidation des Krieges ein Faustpfand in die Hand gegeben, das man ihnen nur in ganz zwingender Lage überlassen durfte.

Das gierige Verlangen nach dem schönen deutschen Lande hatte die Franzosen verleitet, gleich zu Beginn des Krieges ihre Südgruppe nach Elsaß-Lothringen vorzutreiben. Bis zur Linie Delme - Mörchingen - Saarburg, bis dicht vor die Talsperre im Breusch-Tal und nach Mülhausen waren sie vorgedrungen, als sie der deutsche Gegenangriff, mit dem 20. August beginnend, traf und auf die Stellungen zurückwarf, die im wesentlichen auch 1917 den Frontverlauf noch bestimmten.

Die Jahre 1915 und 1916 hatten den Franzosen schwere Enttäuschungen bereitet, trotz alledem war in ihnen das aktive Wollen ohne Zweifel noch rege; sie mußten die Offensive im Jahre 1917 fortsetzen, hierin lag eine Zwangsläufigkeit, sofern sie einen Enderfolg erreichen wollten.

Welche Richtung sie wählen würden, war vorläufig nicht zu erkennen. Die elsaß-lothringische Front war und blieb für sie strategisch die Nebenfront. Eine entscheidende Einwirkung auf die übrige Front des deutschen Westheeres war selbst bei einem großen taktischen Erfolg nicht zu erzielen, mochten sie aus der Burgunder Pforte oder auf der Lothringer Hochebene zum Angriff schreiten.

Immerhin winkten auch an dieser Frontstrecke Ziele, die die Franzosen veranlassen mochten, sich trotzdem mit dem Gedanken einer solchen Offensive zu beschäftigen und sie besonders dann zur Ausführung zu bringen, wenn bei ihnen der Eindruck entstand, daß die Feindverhältnisse an dieser Stelle einen Sieg verhältnismäßig mühelos erringen ließen.

Mülhausen im Oberelsaß.
Die Stadt Mülhausen im Oberelsaß,
der Schauplatz des ersten deutsch-
französischen Zusammenstoßes.
[Vergrößern]

Aus: Um Vaterland und Freiheit, Bd. 1, S. 75.
Ein Vordringen in Richtung auf das Erzbecken von Longwy-Briey, um den Deutschen die Ausnutzung seiner Bodenschätze unmöglich zu machen, konnte die Franzosen ebenso reizen, wie aus Prestigegründen ein Angriff aus der Burgundischen Pforte heraus zum Einbruch in das obere Elsaß, wo die französische Flagge schon einmal im August 1914 auf dem Rathaus von Mülhausen aufgezogen worden war; man bemächtigte sich damit eines Teiles des als Kriegsziel erstrebten Landes. Die Eroberung von Mülhausen, Colmar, Schlettstadt konnte immerhin ein äußerlicher, auf die Stimmung in Frankreich wirkender Erfolg [276] werden. Die Gewinnung der Kalifelder bei Mülhausen war außerdem ein erheblicher Anreiz.

Eine große Operation der Franzosen zwischen Metz und Straßburg hindurch nach Lothringen brauchte in diesem Zeitabschnitt des Krieges von der deutschen Obersten Heeresleitung wohl kaum noch ernstlich in Betracht gezogen zu werden. Ein irgendwie geartetes Zusammenwirken mit den an der Flandern-Front zäh verbissenen Engländern war bei einer solchen Operation schlechterdings unmöglich, die Operation selbst durch die beiden Festungen Metz und Straßburg stark erschwert; an der übrigen Westfront, Verdun - Noyon - Küste, winkten größere operative Möglichkeiten unter günstigeren Bedingungen. Die örtliche Kommandobehörde, die neu eingesetzte Heeresgruppe, hatte dagegen, um nichts zu verabsäumen, auch die Möglichkeit eines Angriffs auf dieser Frontstrecke ins Auge zu fassen und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Sofort nach der Befehlsübernahme griff die Heeresgruppe ihre Hauptaufgabe, die Abwehr zu organisieren, die Front zu festigen, mit Nachdruck auf.

Die Lage war die der ruhigeren Front, die Kampftätigkeit beschränkte sich beiderseits auf Patrouillenunternehmungen zur Feststellung der Frontbesetzung.

Die Verwaltungsaufgaben lagen insofern eigenartig, als hier ein unmittelbares Zusammenwirken mit den bodenständigen Heimatbehörden gegeben war, das in mancherlei Hinsicht schwieriger war, als dasjenige im besetzten Feindgebiet, wo die militärischen Notwendigkeiten in weit höherem Maße vorangestellt werden konnten. Anderseits soll aber hervorgehoben werden, daß der Aufenthalt auf dem Heimatboden den Truppen, besonders in den Ruhequartieren, viel Vorteile, vor allem ethischer Art brachte; hörten sie doch wieder deutsche Laute und fühlten rings herum deutsches Wesen. Deutsche Sauberkeit, besonders im schönen Elsaß, erfreute allenthalben die Soldatenherzen. Die Bevölkerung ertrug die schwere Last des Krieges durchweg bis zur Aufopferung mustergültig.

Die erste Orientierung über die Lage durch die unterstellten Armee-Abteilungen ergab etwa folgendes Bild:

Die beiderseitigen Kräfteverhältnisse waren annähernd gleich; die Franzosen hatten die Front dünner besetzt, dagegen mehr Divisionen in Reserve. Es standen 11 französische Divisionen 16½ deutschen in Front gegenüber, während gegenüber 11 französischen Divisionen in Reserve nur 6 deutsche vorhanden waren.

Der Ausbau des französischen Stellungssystems war entsprechend den dort vorhandenen, viel zahlreicheren Arbeitskräften erheblich weiter fortgeschritten als auf deutscher Seite; besonders an der Lothringer Front beiderseits des Parroy-Waldes und im Sundgau waren die Arbeiten derart umfangreich und vollständig, daß die Franzosen in der Lage waren, einen Großangriff aus diesen Frontabschnitten heraus nach ganz kurzer letzter Vorbereitung zu unternehmen.

Da sich aber gerade in den letzten Wochen die Anhäufung feindlicher Reserven im Sundgau nach zuverlässigen Nachrichten etwas verringert hatte, beurteilte [277] die Heeresgruppe die Lage so, daß augenblicklich wohl nur mit feindlichen Angriffen mit beschränktem Ziel zu rechnen sei und daß zu ihrer Abwehr die bei der Heeresgruppe eingesetzten und hinter ihr bereitgestellten Kräfte ausreichten.

Der taktische Wert der einzelnen Abschnitte war entsprechend ihrer Entstehungsgeschichte verschieden. Die Stellungen waren, wie überall so auch hier, da entstanden, wo die Truppe beim Erstarren des Bewegungskrieges liegengeblieben war; ihr technischer Ausbau hatte, abgesehen von der nur geringen Anzahl der Arbeitskräfte, die für diese Front zur Verfügung standen, darunter gelitten, daß hier niemals Großkampf gewesen war. Die Truppen hatten begreiflicherweise dazu geneigt, beim Ausbau der Stellungen dem Gesichtspunkt der Wohnlichkeit mehr Rechnung zu tragen, als den harten Forderungen des Kampfes.

Auch die Befehlsgliederung erwies sich an einigen Stellen als nicht zweckmäßig. Sehr unangenehm wurde die zahlenmäßige Unterlegenheit der Luftstreitkräfte empfunden.

Die Alberich-Bewegung, die große Rückverlegung der Front aus dem Gelände der Somme-Schlacht in die Linie Arras - St. Quentin - Vailly, die am 16. März begann, erschwerte nunmehr den Feinden eine Fortsetzung ihrer dortigen Durchbruchsversuche. Anderseits waren sie durch die Wirkungen des uneingeschränkten U-Bootkrieges, der Anfang Februar einsetzte, gezwungen, die Entscheidung auf dem Landkriegsschauplatz wenn immer möglich zu beschleunigen. Mit neuen Großangriffen an der Westfront war daher zu rechnen. Ob mit Rücksicht auf die Alberich-Bewegung für den Gegner nicht doch ein Anreiz darin lag, sich an der elsaß-lothringischen Front billige Lorbeeren zu holen, mußte seitens der Heeresgruppe in den Bereich der Erwägung einbezogen werden. Die Heeresgruppe erblickte daher ihre Aufgabe darin, die ihr anvertraute Front im Laufe der nächsten Monate geistig, taktisch und technisch auf die große Abwehrschlacht vorzubereiten.

Gegen Ende März schienen sich die Anzeichen für einen bevorstehenden Großangriff des Feindes aus der Burgundischen Pforte (Belforter Senke) zu verdichten; zwischen dem Doller und Largitzen schien der Feind ein Angriffsfeld vorzubereiten; die rasche Förderung des Ausbaues ließ vermuten, daß der Angriff in absehbarer Zeit beabsichtigt ist.

Die Heeresgruppe ordnete daher an, daß die Gegenmaßnahmen der Armee-Abteilung B gegen den erwarteten Angriff zu beginnen hätten; in erster Linie sollte das Gelände zwischen Sennheim und Obersept für die Abwehrschlacht vorbereitet werden. Alle verfügbaren Kräfte, besonders auch die von der Obersten Heeresleitung zur Verfügung gestellten Truppen waren hierzu heranzuziehen, weitere Verstärkungen, vor allem an Artillerie, Fliegern, Arbeitskräften, Munition und Material, wurden erbeten.

Die erwarteten Angriffe blieben jedoch aus; die zur Verfügung gestellten [278] Verstärkungen erlaubten der Heeresgruppe aber, wenigstens die notwendigsten Arbeiten für die Abwehr einigermaßen zu fördern.

Inzwischen hatte sie sich bemüht, die Verhältnisse für die Abwehrbereitschaft und Festigung der Front unter großen Gesichtspunkten zu prüfen. Dabei ergab sich zunächst, daß die Trennungslinie zwischen der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz und der Heeresgruppe Herzog Albrecht, die durch die Mosel gebildet wurde, für die Führung nicht günstig war. Die an den inneren Flügeln der beiden Heeresgruppen befindlichen Armee-Abteilungen C und A hatten ihre Stellungssysteme nicht völlig in Einklang gebracht und standen nicht in genügend straffer Verbindung; die gestaffelten Anschlüsse gaben dem Feind günstige Angriffspunkte. Auch die Mitwirkung der Festung Metz als Glied der Abwehrorganisation an dieser Stelle bedurfte der Neuregelung. Die Festung griff mit ihren Außenstellungen unmittelbar in die verschiedenen Stellungssysteme der Armee-Abteilungen A und C ein. Sie hatte als rückwärtiger Stützpunkt für die Mosel-Flügel beider Abteilungen die gleiche Bedeutung.

Ähnlich lagen die Verhältnisse am rechten Flügel der Armee-Abteilung B bezüglich der Donon-Befestigungen, die im rückwärtigen Bereich des Front-Generalkommandos lagen, jedoch dem Gouvernement Straßburg unterstellt waren.

Auf Antrag der Heeresgruppe wurden die Unterstellungsverhältnisse und Abgrenzungen folgendermaßen geregelt: Die Armee-Abteilung C tritt ab 12. April zur Heeresgruppe Herzog Albrecht über. Das Gouvernement Metz übernimmt neben den Gouvernementsgeschäften auch die Führung der in seinen Südbereich hereinragenden drei Frontdivisionsabschnitte beiderseits der Mosel, so daß nunmehr die Verteidigung des Mosel-Abschnittes straff organisiert und die Festung Metz fest in die gesamte Frontverteidigung eingefügt ist.

In sinngemäßer Weise schieden die Donon-Befestigungen aus dem Bereich der Festung Straßburg aus und traten unter den Befehl des dortigen Front-Generalkommandos.

Wenn die Armee-Abteilung C auch nicht unmittelbar in die schweren Abwehrkämpfe des Sommers 1918 einzugreifen hatte, spielte sie doch in der Ganzheit der Kampfhandlungen eine bedeutsame Rolle.

Die Eigenart der Stellung der Armee-Abteilung C lag darin, daß sie keilförmig in die gegnerische Front vorsprang. Ihre Lage erscheint auf den ersten Blick insofern ungünstig, als dem Gegner Gelegenheit geboten war, die Armee-Abteilung von Westen und Süden gleichzeitig anzugreifen. Die örtlichen Verhältnisse erschwerten jedoch den Angriff an den meisten Stellen. Ungünstig war die Lage auf dem rechten Flügel, wo die deutschen Stellungen in der versumpften Woëvre-Ebene, der Gegner weit überhöhend auf den Côtes-Lorraines lag. Im übrigen waren die taktischen Verhältnisse wechselnd, aber im ganzen nicht ungünstig. Immerhin konnte der vorspringende Keil den Feind zum Angriff [279] reizen, weshalb der Ausbau einer Sehnenstellung, die die beiden Armeeflügel und damit die Eckpunkte des Dreiecks durch eine Gerade verband, vorgesehen war.

Im April entbrannte die erwartete Großoffensive des Feindes in vollem Umfange. Am 9. April griffen die Engländer bei Arras an und drangen tief in die deutschen Stellungen ein; am 15. April begann der Angriff der Franzosen zunächst westlich und einige Tage später auch östlich Reims in einer Gesamtausdehnung von etwa 70 km, eine Offensive mit weit gestecktem strategischen Ziel, die mit Unterbrechung bis zum 20. Mai fortgesetzt wurde.

Am 21. April sah die Heeresgruppe Herzog Albrecht dadurch die Lage vor ihrer Front als derart entspannt an, daß sie der Obersten Heeresleitung sowohl eine Anzahl Divisionen als auch Arbeitskräfte zur Verwendung an der Großkampffront von sich aus anbot. Sie rechnete jedoch nach wie vor mit der Möglichkeit örtlicher Angriffe gegen die Flügel der Armee-Abteilung C und im Sundgau. Zu großen Angriffen in Richtung Briey oder in der Lothringer Hochebene schien der Feind nicht mehr befähigt.

Gegen Mitte Mai änderte sich die Auffassung der Lage insofern, als nach eingehenden Nachrichten mit einem bevorstehenden größeren Angriff der Franzosen im Sundgau gerechnet werden mußte. Es erschien tatsächlich nicht ausgeschlossen, daß der Gegner die erfolglose Aisne-Champagne-Offensive abbrach und einen überraschenden Vorstoß im Sundgau wagte, um die niedergedrückte Stimmung im Lande durch einen Erfolg im Elsaß zu verbessern.

Die Verhältnisse für die Abwehr lagen im Sundgau recht ungünstig. Die Armee-Abteilung B wies am 19. Mai nochmals darauf hin, daß der Feind von den Südvogesen aus eine hervorragende Beobachtung bis an den Rhein habe, wodurch die Verteidigung und ihre Vorbereitung außerordentlich erschwert werde. Vor allem sei die Abwehrartillerie infolgedessen gezwungen, sich in den Wäldern zusammenzudrängen, ohne aber dadurch genügend der Sicht von den Bergen entzogen zu sein. Ferner seien die drei vorhandenen und im Bau befindlichen Stellungen mit zu kleinen Abständen voneinander angelegt, so daß das ganze Abwehrfeld der notwendigen Tiefe entbehre.

Um die Vorteile, die die beherrschenden Höhen der Südvogesen den Franzosen gewährten, einigermaßen auszugleichen, schlug die Heeresgruppe vor, durch Angriffe mit begrenztem Ziele entweder mit vier oder acht Divisionen den Franzosen diese beherrschenden Punkte zu entreißen. Die Oberste Heeresleitung lehnte diesen Vorschlag jedoch ab.

Der blutige Zusammenbruch der französischen Aisne-Champagne-Offensive hatte einen Wechsel im französischen Oberkommando zur Folge: Nivelle wurde durch Pétain ersetzt. Die Heeresgruppe Herzog Albrecht glaubte mit der Möglichkeit rechnen zu müssen, daß die feindliche Oberleitung auch ihre Pläne grundsätzlich ändern und ihr Augenmerk nunmehr auf das Elsaß richten werde, wo die örtlichen Verhältnisse Erfolge leichter möglich erscheinen ließen.

[280] Eingehende Besprechungen, die die Heeresgruppe mit den Führern und Generalstabsoffizieren der unterstellten Verbände gepflogen hatte, sowie zahlreiche persönliche Erkundungen der Offiziere des Oberkommandos in allen wichtigen Abschnitten der Front ergaben folgendes Bild der Lage:

Sowohl die Linienführung der Front als der taktische Ausbau der Stellungssysteme waren an vielen Stellen nicht derartig, daß ein Großangriff des Feindes mit Sicherheit erfolgreich abgewehrt werden konnte. Die wundesten Punkte waren die Armee-Abteilung C und der Sundgau-Abschnitt der Armee-Abteilung B. Das Oberkommando faßte daher den Entschluß, die Abwehrorganisation auf eine gänzlich neue Grundlage zu stellen und vor allem mit der bisherigen Gepflogenheit zu brechen, die Abwehr immer und unter allen Umständen dort zu führen, wo die Truppe im Angriff liegengeblieben war. Die Abwehrschlacht sollte nunmehr grundsätzlich da geschlagen werden, wo die örtlichen Verhältnisse die Verteidigung begünstigten. Stellungsteile oder Abschnitte, die hierfür ungünstig lagen, sollten lediglich als vorgeschobene Stellungen dienen; das Hauptwiderstandsfeld sollte so ausgewählt werden, daß in ihm der feindliche Angriff gebrochen werden konnte.

Die Heeresgruppe war sich darüber klar, daß zur Durchführung dieser Absichten viel Zeit und viel Kräfte erforderlich wären. Trotzdem hielt sie es für richtig, diesen Plan auf lange Sicht aufzustellen, anstatt dauernd Kräfte und Mühe auf Arbeiten zu verschwenden, die den Endzweck doch nicht erreichen konnten.

Der Plan wurde General Ludendorff, der am 17. Juni Gelände und Stellungen im Sundgau besichtigte, vorgetragen und erhielt im wesentlichen dessen Billigung. Am 20. Juni erließ die Heeresgruppe entsprechende Weisungen an die Armee-Abteilungen mit der Aufforderung, Vorschläge einzureichen, wie und wo sie unter den neuen Gesichtspunkten die Abwehrschlacht in ihren Bereichen zu führen gedachten.

Sie zeitigten folgendes Endergebnis: Bei Armee-Abteilung C wurde das Hauptwiderstandsfeld in die Sehnenstellung (Michael I-Stellung) Etain - Jonville - Pagny verlegt trotz dem Nachteil, daß der Schutz des Erzbeckens von Briey hierdurch nicht mehr in dem vollen Umfange, wie bisher, gewährleistet war, und dem weiteren bedenklichen Nachteil, daß in der Übergangszeit, bis zur Fertigstellung des Ausbaues der Michael I-Stellung, weder die bisherige vordere Stellungszone, noch die Sehnenstellung voll verteidigungsfähig war. Diese Nachteile wurden aber bewußt in Kauf genommen und die Zusammenziehung aller verfügbaren Arbeitskräfte zum beschleunigten Ausbau der Michael I-Stellung befohlen. Die bisherige Bogenstellung sollte in ruhigen Zeiten besetzt bleiben, das Zurückgehen in die Sehnenstellung bei bevorstehendem Großangriff entsprechend vorbereitet werden.

Im Bereich der Armee-Abteilung A sollte der entscheidende Kampf im all- [281] gemeinen um den vordersten Höhenzug geführt werden, so daß in einzelnen Abschnitten Vorpostenfelder von verhältnismäßig nur geringer Tiefe entstanden. Da die örtlichen taktischen Verhältnisse für das nahe Heranbleiben des Hauptwiderstandsfeldes im großen und ganzen günstig waren, erforderte hier die Umstellung auf die neue Kampfführung weniger umfangreiche Arbeiten.

Am schwierigsten lagen die Verhältnisse im Bereich der Armee-Abteilung B, vor allem im Sundgau-Abschnitt. Hier erforderten die ungünstigen Entwicklungsmöglichkeiten für eine große Abwehrartillerie ein weiteres Absetzen des Hauptwiderstandsfeldes vom Fuße der Vogesen in die Linie Hartmannsweiler Kopf - Wittelsheim - Oelenberg - Ober-Speckbach, d. h. stellenweise bis zu 7 km hinter der bisherigen vorderen Linie. Der Schutz der Kalifelder von Mülhausen mit ihren Bohrtürmen war, falls es in dieser Linie zur Abwehrschlacht kommen sollte, allerdings nur noch bedingt gegeben, da sie in die eigentliche Kampfzone zu liegen kamen. Die Herstellung einer fast völlig neuen Stellung in einer Frontbreite von 15 km mußte viel Zeit und Arbeitskräfte erfordern; für die artilleristische Führung ergaben sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten im Zeitpunkt des Zurückgehens auf dieses Hauptwiderstandsfeld. Alle diese Nachteile durften jedoch in der Frage, wo die Entscheidung in der Abwehrschlacht angenommen werden sollte, nicht ausschlaggebend sein, nachdem einmal erkannt war, daß die bisherige vordere Stellungszone gegen einen Großangriff nicht gehalten werden konnte.

Die neuen Entwürfe für die Abwehrschlacht wurden aufgestellt und mit den Arbeiten begonnen. Da die neuen Richtlinien mancherlei Unklarheiten und innere Unmöglichkeiten beseitigten, wurden sie von Stäben und Truppen gut aufgenommen, war doch zu hoffen, daß nun feindliche Durchbruchsversuche mit mehr Aussicht auf Erfolg abgewehrt werden konnten, falls nur der Feind Zeit ließ, die neuen Absichten und Pläne in die Tat umzusetzen.

Während die Heeresgruppe und die Armee-Abteilungen sich bemühten, die notwendigen Arbeiten, vor allem bei Armee-Abteilung C und im Sundgau, kräftig zu fördern, spitzte sich die Lage an der übrigen Westfront von Ende Juli an mit Beginn der großen englischen Flandern-Offensive und den etwas später einsetzenden Angriffen der Franzosen bei Verdun derartig zu, daß der Heeresgruppe Herzog Albrecht die an sich schon gering bemessenen Arbeitskräfte und Kolonnen mehr und mehr zugunsten der Großkampfzonen entzogen werden mußten. Es war ihr schweres Los, dauernd mit Unzulänglichkeiten rechnen zu müssen. Anderseits entspannte sich nach Beginn der französischen Angriffe bei Verdun die Lage vor der Heeresgruppen-Front, so daß ab Ende August zunächst nicht mehr mit bevorstehenden Angriffen im Sundgau gerechnet zu werden brauchte, obwohl der Ausbau des feindlichen Angriffsfeldes dort dauernd weiter gefördert wurde.

In diesen ersten Monaten der Kommandoführung tauchten neben den rein [282] militärischen Fragen auch mancherlei politische Fragen auf, denen sich der Oberbefehlshaber als Träger der höchsten militärischen Gewalt in Elsaß-Lothringen nicht ganz entziehen konnte. Wie die Regierung des Reiches es leider nicht über sich gebracht hat, die innerpolitischen Streitfragen des preußischen Wahlrechts, die Aus- oder Umgestaltung der Verfassung, bis zur siegreichen Beendigung des Krieges zurückzustellen, so wollte nun auch die Frage der zukünftigen staatsrechtlichen Stellung Elsaß-Lothringens nicht zur Ruhe kommen. Daß die Stellung als "Reichsland" nach dem Kriege geändert werden mußte, darüber war die Meinung wohl allgemein; ob aber Autonomie oder Anschluß an Preußen oder Anschluß an einen anderen Bundesstaat - gegebenenfalls unter Teilung des Landes - gewählt werden sollte, darüber war der Meinungsstreit außerordentlich lebhaft. Die politischen Parteien, die Geistlichkeit, Vertreter öffentlicher Körperschaften nahmen dazu Stellung, die Entscheidung über diese Frage gewann immer mehr Einfluß auf die Stimmung im Lande und damit auch auf die Stimmung des im Heeresdienst befindlichen Teiles der Elsaß-Lothringer Bevölkerung. Die oberste militärische Behörde im Lande hatte daher ein erhebliches Interesse an der Entwicklung dieser Dinge; sie bat darum, daß auch die Oberste Heeresleitung vom militärischen Standpunkt aus ihre Meinung zum Ausdruck brachte und die Frage einer Klärung zuführte. Die Oberste Heeresleitung regte bei der Reichsregierung eine Besprechung dieser Angelegenheit an; eine solche fand auch tatsächlich statt, ohne daß jedoch Klarheit geschaffen werden konnte. So glomm auch diese Flamme unter der Decke weiter, nicht zum Vorteil der Gesamtkriegführung.

Die Entwicklung der Lage an der italienischen Front veranlaßte die Oberste Heeresleitung Anfang September zu dem Entschluß, deutsche Truppen an dieser Front zu einer Offensive einzusetzen. Der Chef des Stabes der Heeresgruppe, Generalleutnant Krafft v. Dellmensingen, wurde als bewährter Führer im Gebirgskriege am 11. September zum Chef des Stabes der neu zu bildenden 14. Armee ernannt und schied aus dem Stabe der Heeresgruppe aus. An seine Stelle trat der bisherige Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Woyrsch, Oberst Heye.

Seine Besprechungen mit den Chefs der Armee-Abteilungen ergaben, daß zur Zeit nirgends Anzeichen für einen nahe bevorstehenden Angriff des Feindes vorlagen; immerhin war der Ausbau des feindlichen Angriffsfeldes im Sundgau in den letzten Monaten so gefördert worden, daß die Franzosen dort in der Lage schienen, innerhalb 14 Tagen einen ernsten Angriff durchzuführen. Auf deutscher Seite war - soweit dies die verfügbaren geringen Arbeitskräfte zuließen - eifrig am Ausbau der Stellungssysteme gearbeitet worden; jedoch steckten die Arbeiten in der zum größten Teil neu anzulegenden Michael I-Stellung (Sehnenstellung des Mihiel-Bogens) und im Ausbau der Abwehrzone im Sundgau noch sehr in den Anfängen; allein für die Michael-Stellung wurden [283] von dem verantwortlichen Bauleiter 20 000 Arbeiter gefordert, damit dort in absehbarer Zeit eine gewisse Sicherheit erreicht werden konnte.

Die allgemeine Lage an der Westfront hatte sich jedoch durch die immer mehr Menschen und Material verschlingende Flandern-Schlacht derartig entwickelt, daß eine Zuweisung weiterer Kräfte an die Heeresgruppe Herzog Albrecht unmöglich war. Im Gegenteil, am 6. Oktober telegraphierte die Oberste Heeresleitung: "Die Lage bei 4. Armee erfordert dringend eine Verstärkung an Arbeitskräften; hierzu muß ich zu meinem Bedauern in erheblichem Maße auf dortige Arbeitskräfte zurückgreifen..."

Die Heeresgruppe mußte sich daher im Interesse der Gesamtwestfront wie bisher mit den ihr verbleibenden schwachen Mitteln weiterbehelfen; die Lage blieb eben für die nächsten Wochen und Monate durch die Ereignisse in Flandern und bei Cambrai beherrscht. Anfang Dezember - also nach dem endgültigen Scheitern der Feindoffensive des Jahres 1917 - legte die Heeresgruppe ihre Auffassung der Lage u. a. folgendermaßen dar:

      "Der Frontabschnitt der Heeresgruppe gewinnt nunmehr erhöhte Bedeutung, da es bei einem etwaigen Abschluß des Krieges für den Franzosen von ausschlaggebender Bedeutung ist, von dem politisch heißumstrittenen Ziel Elsaß-Lothringen wenigstens Teile fest in der Hand zu haben. Mit dem Versuch einer Offensive der Franzosen ist daher zur Zeit mehr als bisher zu rechnen. Die Verteidigungskraft der Heeresgruppe muß ihrer veränderten Bedeutung entsprechend mehr als bisher gestärkt werden. Seit Bestehen der Heeresgruppe ist es ihre Aufgabe gewesen, bedrohteren Fronten in jeder Weise auszuhelfen; die Heeresgruppe hat die Abgaben an Truppen und Arbeitskräften mit Rücksicht auf die Gesamtlage gerne getragen. Jetzt aber ändert sich die Lage, nunmehr müssen der Heeresgruppe neue Kräfte zugeführt, durch Einschub neuer Divisionen die Kampfabschnitte verschmälert werden.
      Die Lage vor der ganzen Heeresgruppenfront zeigt zur Zeit eine gewisse Spannung und Ungeklärtheit, die Überraschungen in sich bergen kann. Es erscheint daher an der Zeit, jetzt die Kampfmittel der Heeresgruppe rechtzeitig zu ergänzen und zu kräftigen."



1 [1/274]Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen, Seite 319: "Nachrichten wiesen auch auf die Lothringer Front und den Sundgau, wo der Ausbau unseres Stellungssystems noch keine wesentlichen Fortschritte gemacht hatte. Wir hatten dort immer ein gewisses Schwächegefühl, da örtliche Unternehmungen in dieser Gegend jederzeit möglich waren und wir nur schwer Verstärkungen dorthin bekamen". ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte