Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
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Kapitel 5: Der deutsch-österreichische Feldzug
in Italien (12. Isonzo-Schlacht)1
Oberst Theodor Jochim
1. Vorbereitungen.
Die fortgesetzten Angriffsschlachten der Italiener am Isonzo drohten die
österreichisch-ungarischen Streitkräfte mehr und mehr zu
erschöpfen, denn der Angreifer wirtschaftete aus dem Vollen,
während es den Österreichern an Menschen und Material gebrach.
Triest schien nach den Geländeverlusten der 11.
Isonzo-Schlacht2 aufs ärgste bedroht; fiel es in die
Hand der Italiener, so konnte dies politisch von weittragendsten Folgen sein. Ein
neuer Angriff der Italiener war zu erwarten. Es mußte also etwas
Entscheidendes von der österreichischen Heeresleitung geschehen, um die
unhaltbar werdende Lage zu ihren Gunsten zu ändern.
Schon im Juni 1917 - nach der 10. Isonzo-Schlacht - war von dem k. u. k.
Generalstabschef, General v. Arz, ein Gegenstoß erwogen worden.
Nur er bot das Mittel, den dauernden zermürbenden
Hammerschlägen der Italiener gegen die österreichische Front in dem
für diese äußerst ungünstigen
Karst-Gelände Einhalt zu tun. In der letzten (11.)
Isonzo-Schlacht hatten sich 20½ k. u. k. Divisionen gegen
eine Übermacht von 44 italienischen, mit allen Mitteln der Neuzeit
ausgestatteten Divisionen mühsam behaupten müssen. Von den
anderen Kriegsschauplätzen konnten jetzt höchstens noch 10
k. u. k. Divisionen der italienischen Front zugeführt werden.
So war die Mitwirkung deutscher Divisionen mit ihrer bekannten Stoßkraft
und ihrer besseren Ausstattung an Artillerie, Minenwerfern und Fliegern
unentbehrlich, um sich aus dem eisernen Griff des übermächtigen
Gegners zu befreien. Kaiser Karl stimmte nach anfänglichen Bedenken zu,
worauf im August 1917 die Verhandlungen mit der deutschen Obersten
Heeresleitung aufgenommen wurden.
General Ludendorff ging bei der damaligen schwierigen Lage im Westen nur
ungern auf dieses Unternehmen ein. Verfügbare Kräfte hätte er
lieber aus der Bukowina und über den Sereth in die Moldau angesetzt, um
den Russen die letzten, sie ermattenden Schläge beizubringen. Trotzdem
willigte die deutsche Oberste Heeresleitung
ein - nicht zuletzt, um das Verhältnis der Verbündeten [230=Karte] [231] durch
solche Waffenhilfe in der Not wieder fester zu gestalten. Hatte die geplante
Offensive Erfolg, dann bedeutete dies für die ermattende Donaumonarchie
mit ihren vielfach sich widerstrebenden Elementen eine Stärkung ihrer
politischen Macht und für ihre Armee eine Neubelebung der
allmählich recht gedrückten Stimmung. Am 8. September war das
gemeinsame Unternehmen "Waffentreue" gesichert. Zwar drohten noch im letzten
Augenblick politische Ränke, den ganzen Plan in Frage zu stellen; sie
wurden aber glücklich beseitigt und nunmehr alle Einzelheiten
geregelt.
Die italienischen Streitkräfte waren Anfang September so verteilt,
daß die Hauptmasse an der Ostfront stand, während die 4. und 1.
Armee dem k. u. k. Feldmarschall v. Conrad
gegenüber
die Tiroler Front hielten und das selbständige XII. Korps an der
Kärtner Front, mit dem rechten Flügel bis dicht nördlich vom
Rombon, gegenüber der k. u. k. 10. Armee sicherte. Von der
daran anschließenden Ostfront stand ein Drittel der Streitkräfte auf
dem rechten Flügel zwischen dem Meere und der Wippach als 3. Armee
unter dem Herzog von Aosta mit drei Korps in der Front (zusammen sieben
Divisionen) und zwei Korps (mit zusammen sechs Divisionen) als Reserve um
Palmanova. Im Raume nördlich der Wippach bis zum Rombon waren die
übrigen zwei Drittel der Streitkräfte dieser Front als 2. Armee unter
Generalleutnant Capello zusammengezogen. Von ihr standen vier Korps mit
zusammen 14 Divisionen in der Front zwischen Wippach und Auzza, ein Korps
dahinter in Reserve, und drei Korps mit zusammen sechs Divisionen in der Front
Auzza - Rombon mit zwei Divisionen als Reserve dahinter. Die
Hauptreserve der Armee bildeten zwei Divisionen sowie eine
Kavallerie-Division und zwei Gruppen Alpini. Sie war in der Hauptsache
zwischen Udine, Cividale und Cormons untergebracht. Das Schwergewicht der
Armee ruhte auf der Bainsizza-Heiligengeist-Hochfläche, wo zwischen
Mt. S. Gabriele und Auzza allein neun Divisionen in der Front
zusammengeballt waren. Auch auf dem südlichen Ausläufer des
Kolovrat-Rückens von Auzza bis in die Gegend östlich Srednje war
die Besetzung noch dicht, wurde dann aber nach Norden zu lichter.
Die italienische Armee hatte sich seit ihrem Eintritt in den Krieg entschieden
erheblich vervollkommnet. Die Führung war gut, die Infanterie griff tapfer
an und wurde mit jeder Schlacht besser. Die Artillerie schoß recht
gut, an Zahl war sie der österreichischen zwei- bis dreifach überlegen. Die
italienischen Minenwerfer zeichneten sich durch große Schußweiten
(2500 m) und sehr wirksame Minen aus, deren Wirkung noch durch den
Steinboden im Gebirge gesteigert wurde. So war die italienische Armee ein
durchaus ernst zu nehmender Gegner. Ob sie allerdings dem bisher noch nicht
gewohnten starken Massenfeuer einer wirkungsvollen Artillerie und dem frischen
Draufgehen sturmfroher Truppen gewachsen war, mußte sich erst zeigen,
schien immerhin zweifelhaft. Sehr unangenehm empfanden die
Österreicher die große Überlegenheit der italienischen [232] Fliegerwaffe sowohl an
Zahl wie Gerät, der sie nur wenige Flugzeuge entgegenstellen konnten. Die
Folge davon war, daß die italienischen Flieger, besonders da die
Österreicher auch nicht über hinreichend Abwehrgeschütze
verfügten, sehr dreist wurden und aus niedrigsten Höhen die
Straßen, Unterkünfte und Depots der k. u. k. Truppen
durch fortwährende Bombenwürfe aus ihren sehr tragfähigen,
großen Caproniflugzeugen bedrohten.
Anfang September hatte sich bereits der mit allen Eigentümlichkeiten des
Hochgebirges vertraute und im Gebirgskrieg bereits mehrfach bewährte
bayerische Generalleutnant Krafft v. Dellmensingen als Chef des Generalstabes
der neu zu bildenden deutschen 14. Armee zur italienischen Front begeben, um
das Angriffsgelände zu erkunden. Zweifellos wäre eine gleichzeitige
Offensive gegen die Isonzo-Linie im Osten und von Tirol her westlich der Brenta
aus dem Gelände der Sieben Gemeinden in die Flanke und den
Rücken der starken italienischen Ostfront die wirksamste und
wahrscheinlich vernichtende Operation gewesen. Dazu fehlten aber die
Kräfte, weil die k. u. k. Heeresleitung für beide
Operationen nicht genügend Divisionen freimachen zu können
glaubte und die deutsche Oberste Heeresleitung nach der Gesamtlage nur sieben
deutsche Divisionen für das ganze Unternehmen stellen konnte. So blieb
also nur der Stoß von einer Seite her übrig. Kam er
überraschend, so konnte er Erfolg haben, der von der Tiroler Seite her
besonders groß zu werden versprach. Aber für diese Front war die
Jahreszeit bereits zu weit vorgeschritten, als daß die gerade für sie
nötigen umfangreichen Vorbereitungen und der Aufmarsch bei der
äußerst geringen Leistungsfähigkeit der Bahnlinien noch
rechtzeitig hätten durchgeführt werden können. Auch
drängte die Zeit, denn der neue italienische Angriff brach zweifellos schon
in den nächsten Wochen los. So entschloß man sich dazu, den
zuvorkommenden Schlag gegen den
Isonzo-Abschnitt Flitsch - Tolmein -
St. Luzia - Selo (2,5 km südlich St. Luzia) zu
führen, um dort durchzubrechen, den Italiener aus dem Gebirge
hinauszuwerfen, dadurch günstige Stellungen zu gewinnen und den Feind
aus der bedrohlichen Nähe von Triest zu vertreiben. Die Wahl fiel gerade
auf diesen Abschnitt, weil hier zur Zeit die italienischen Streitkräfte nicht
so dicht wie südlich Auzza standen und weil ein Durchbruch an dieser
Stelle unmittelbar nach Cividale in die Ebene führte und somit die ganze
italienische Ostfront bis zur Adria ins Wanken bringen mußte. Als erstes
Ziel wurde die Gewinnung der Linie
Bergogna - Cividale - Plava ins Auge gefaßt.
Gestalteten sich die Verhältnisse günstig, dann wollte man die
Italiener noch über den Tagliamento zurücktreiben. Zu
größeren Leistungen glaubte die k. u. k. Heeresleitung
die Kräfte nicht zu besitzen.3 Auch legte Ludendorff bei der
gespannten Lage im Westen Wert darauf, bald wieder über die deutschen
Divisionen verfügen zu können, was nach den getroffenen
Vereinbarungen spätestens am Tagliamento eintrat. Diesem
beschränkten Ziel ent- [233] sprach auch die
Ausstattung mit Kolonnen und Trains und sonstigen Hilfskräften, die nicht
auf eine weitreichende Vorwärtsbewegung in Feindesland berechnet
wurden.
Die österreichisch-ungarischen Stellungen verliefen damals von
östlich Pontebba im Fella-Tal (westlich Tarvis), nach Osten um den
Mittagskofel herumgreifend, zu den Westhängen des Rombon
(2208 m), überschritten dicht östlich Flitsch, um in vielfachen
Windungen über den Höhenkamm des Javorček
(1549 m), an der Ostseite der Kämme des Vrsič
(1897 m) und des Krn-Massivs (2245 m) [234] entlang und über
den Mrzli vrh (1360 m) hinweg bei Dolje wieder zum Isonzo
hinabzusteigen und den Fluß westlich Tolmein von neuem in der Richtung
nach Selo zu überschreiten. Sie schnitt damit den
Isonzo-Bogen von Tolmein und St. Luzia ab und bildete dadurch,
gestützt auf die bewaldeten Erhebungen südlich Tolmein und
westlich St. Luzia, einen Brückenkopf für die von Osten her
über beide Orte heranführenden Straßen, der aber von den
vorgelagerten Höhen völlig beherrscht wurde. Von Selo aus setzte
sich die Stellung in allgemein südlicher Richtung über die
Bainsizza-Hochfläche nach dem Mt. Santo Gabriele und
östlich an Görz vorbei nach Duino zur Adria fort. Diesen Stellungen
lagen die italienischen im allgemeinen dicht gegenüber, meistens nur auf
wenige hundert Meter. Sie waren in den Niederungen, so namentlich bei Flitsch,
stark ausgebaut, während sie auf den zerklüfteten,
unzugänglichen Gebirgsstöcken zwischen Mittagskofel und Rombon
fast nur aus einzelnen Postierungen bestanden. Stark, in mehreren Linien
hintereinander angelegt, waren sie auf dem Südhang des Krn, teilweise
auch am Vrsič und besonders auf den Hängen und den Höhen
des das Vorgelände nach Osten weithin beherrschenden
Kolovrat-Rückens gegenüber
Tolmein - St. Luzia. Rückwärtige Stellungen
fanden sich auf dem von Westen nach Osten bis nach Karfreit verlaufenden
langgestreckten Höhenrücken des Stol südlich Saga und auf
dem mit der Front nach Nordosten gerichteten Schenkel des
Kolovrat-Rückens zwischen Idersko und Woltschach mit dem stark
befestigten Kuk (1243 m) und dem Punkte 1414. Meister in der
Straßenbaukunst, hatten die Italiener überall für gute
Verbindungen gesorgt, so besonders in dem mächtigen Gebirgsstock
zwischen Karfreit - Selo - Cividale.
Der erste Blick auf die geschickt an den Hängen und auf den
Kämmen der steil aufragenden Bergriesen mit ihren hohen
Felswänden und schroffen Abstürzen eingebauten italienischen
Stellungen drängte dem Erkundenden unwillkürlich das
beklemmende Gefühl "unmöglich" auf. Aber das scharfe Auge des
kundigen Führers fand doch, wo sich bei eisernem Willen das scheinbar
Unmögliche doch erreichen ließ. Immerhin, die Schwierigkeiten
eines Angriffs in diesem Gebirgsgelände waren außerordentlich
groß und wurden noch durch die Beschaffenheit des Hinterlandes
beträchtlich erschwert. Dazu gehörte in erster Linie die
außerordentlich geringe Leistungsfähigkeit der Bahnlinien, vor allem
auch der von Aßling durch den langen Wocheiner Tunnel über
Podbrdo nach St. Luzia führenden Kleinbahn, die überdies
wegen des Fernfeuers der Italiener regelmäßig nur bis Podmelec zu
benutzen war. Auf ihr konnten täglich nur einige wenige, ganz kurze
Züge verkehren, auch reichten die sehr dürftigen Bahnhofsanlagen
für die Versorgung einer Armee nicht im entferntesten aus. So war man in
der Hauptsache auf den Anmarsch und Antransport von weit
rückwärts her, d. h. vom Ost- und Nordrand des Gebirges, auf
teilweise sehr schmalen Gebirgsstraßen mit ihren zahlreichen, meistens sehr
kurzen Serpentinen angewiesen: von Tarvis und Kronau über die hohen
Pässe des [235] Predil (1156 m)
und der Moistrowka (1611 m) ins Flitscher Becken und von Bischoflack
über die Pässe von Podbrdo (804 m) und Kirchheim
(814 m) nach Tolmein und St. Luzia, die in ihren letzten Strecken in
enge, vom Feinde weithin eingesehene und unter Feuer gehaltene Täler
führten. Von ihnen aus mußte sich der ganze Aufmarsch der Truppen
und Artillerie sowie der gesamte Nachschub an Munition und Verpflegung auf die
Gebirgshöhen entwickeln. Und doch war dieser von Natur so starke
Abschnitt der verhältnismäßig schwächste, weil seit
langem vernachlässigte, der starken feindlichen Ostfront. Der Führer
der dort stehenden Armee, Generalleutnant Capello, richtete sein ganzes Sinnen
und Trachten fast nur auf den demnächst beabsichtigten eigenen Angriff,
der auf der weiter südlich liegenden
Bainsizza-Hochfläche - dem Kampfplatz der letzten
Isonzo-Schlacht - geführt werden sollte. Die
Verteidigungsmaßregeln bei Flitsch, Tolmein und St. Luzia spielten
bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. An Truppen gebrach es nicht. Reserven
standen genügend bereit und konnten schnell herangezogen werden, denn
Cadorna dachte anders und wies Capello wiederholt auf die seiner Ansicht nach
vom Tolmeiner Brückenkopf her drohende Gefahr hin. Was er an Truppen
verfügbar machen konnte, schob er Capello zu, so daß am Tage des
deutsch-österreichischen Sturmes den 171 Angriffsbataillonen 238
italienische Bataillone gegenüberstanden, wovon Capello allerdings nur 94
Bataillone in vorderster Linie eingesetzt hatte.
Mitte September waren die Verhandlungen der beiden Heeresleitungen
über den zu führenden Angriff und die dazu nötigen Mittel
zum Abschluß gekommen. In den Raum zwischen Rombon und Selo sollte
zwischen die k. u. k. 10. Armee und die 2.
Isonzo-Armee der k. u. k. Heeresgruppe Boroëvić die
aus sieben deutschen und sechs k. u. k. Divisionen
zusammengesetzte deutsche 14. Armee des Generals der Infanterie Otto
v. Below eingeschoben werden. Sie wurde mit der genannten Heeresgruppe
dem "Kommando der Südwestfront" des Feldmarschalls Erzherzog Eugen
unterstellt. Der Angriff sollte so geführt werden, daß der
Hauptstoß zwischen dem
Krn - Tolmein - Selo gegen Karfreit und den hohen
Kolovrat-Rücken erfolgte,4 während eine besondere Gruppe
der Armee unter dem k. u. k. General Krauß gleichzeitig
zwischen Rombon und Krn gegen Flitsch und den
Stol-Rücken vorzubrechen hatte.5 Die zwischen Selo und der [236] Adria-Küste
stehende k. u. k. 2. und 1. Isonzo-Armee (Heeresgruppe
Boroëvić) sollten den Angriff durch festes Zufassen auf der
Bainsizza-Hochfläche und dem Karst unterstützen und sich dem
weiteren Vorgehen Belows anschließen. Es waren ausgesuchte, in der
Mehrzahl gebirgsgewohnte Divisionen, die hier Wandel in dem bisherigen
Kriegsglück der Italiener schaffen sollten. Aber es war auch ein
ungeheueres Wagnis, denn ein Mißerfolg mußte die weittragendsten
Folgen in militärischer und politische Beziehung haben. Er hätte
sicherlich Kaiser Karl zu Sonderverhandlungen mit der Entente veranlaßt
und wahrscheinlich den Zusammenbruch der österreichischen Front mit
seinen auch für den deutschen Widerstand entscheidenden Folgen
herbeigeführt. Bei all den erkennbaren und nicht vorauszusehenden
Schwierigkeiten im an Überraschungen so überreichen Hochgebirge
konnte diese Aufgabe nur von starker, entschlossener Hand gelöst werden,
und so erschien es als eine gute Vorbedeutung, daß die deutsche Oberste
Heeresleitung jene beiden Männer - General Otto v. Below
und Generalleutnant v. Krafft als sein erster
Berater - an die Spitze dieses Unternehmens stellte, die sich durch klaren,
nüchternen Blick und unbeugsamen, zielbewußten Willen so ganz
besonders auszeichneten.
Ende September trat der Stab des Armee-Oberkommandos der 14. Armee in
Krainburg zusammen, und nun begann eine fieberhafte Tätigkeit.
Zunächst galt es, durch eingehende Erkundungen die Einzelheiten des nur
in großen Zügen entworfenen Angriffsplanes festzulegen und
auszuarbeiten. Der Feind mußte im ersten Anlauf überrannt und weit
zurückgeworfen werden. Er durfte nicht mehr die Zeit finden, sich in einer
der zahlreichen Stellungen, die jedes Gebirge dem Verteidiger bietet, wieder
festzusetzen und den vorstürmenden Angreifer aufzuhalten. Seine Reserven
mußten durch schnelles Vorstoßen in den allgemeinen Wirrwarr der
im unübersichtlichen Gebirge zurückflutenden Truppen mit
fortgerissen werden. Danach hatte sich der Angriffsplan und die Vorbereitungen
zu richten. Ein Erfolg war aber nur mit leicht beweglichen und für das
Gebirge besonders ausgerüsteten Truppen zu erringen. Zahlreiche
Kolonnen und Tragtierstaffeln mußten den Nachschub, vor allem die
Munition, von den weit zurückliegenden Eisenbahnendpunkten
heranführen. Das bedeutete gewaltige, wohl durchdachte Vorbereitungen,
die in kürzester Frist durchzuführen waren, denn der Winter im
Hochgebirge stand vor der Tür. Mehr noch wie im ebeneren Gelände
war Überraschung Vorbedingung des Erfolges gegen diese gewaltigen
Felsenstellungen. Dies bedingte wiederum für die Vorbereitungen und den
Aufmarsch bei den wenigen, vom Feinde überdies leicht zu
überwachenden Anmarschstraßen ganz besondere Vorsicht und
eingehende Anordnungen.
Zunächst mußte unter dem Schutz der an dieser Stelle
verhältnismäßig nur sehr schwachen
österreichisch-ungarischen Verteidigungungslinie die gesamte
Angriffsartillerie mit ihrer Menge von Geschützen und Minenwerfern nebst
der ungeheuren Masse von Munition aufmarschieren, was unauffällig nur
des Nachts [237] geschehen konnte.
Dabei hatte man nicht nur die Munition, die Verpflegung und das sonstige
Gerät für den Angriff, sondern auch für die
Weiterführung der Operationen nach geglücktem Durchbruch in den
engen Tälern bereitzustellen, ehe die Truppen mit ihren Kolonnen und
Trains anrückten, wobei die deutschen Führer bereits weiter dachten,
als nur bis an das eng beschränkte Operationsziel der k. u. k.
Heeresleitung. So ergab es sich von selbst, daß nächst den
Stäben und Verwaltungsbehörden mit ihren Einrichtungen zuerst die
Artillerie, die Masse der Kolonnen und Trains, der Munition und des Nachschubs
und dann erst die Divisionen antransportiert wurden. So entstanden
zunächst im Hinterlande, d. h. im Becken von Krainburg und
Klagenfurt, bei Tarvis und Kronau Depots, Magazine und Eisenbahnanlagen. Das
ärmliche Land bot den Truppen gar nichts an Verpflegung, alles
mußte auf der als Nachschublinie von der heimatlichen Sammelstation
München zugewiesenen, leider nur sehr wenig leistungsfähigen
Tauernbahn herangeschafft werden, was diese in fast unerträglicher Weise
belastete. Auch die Unterkunft war äußerst dürftig, worunter
besonders die Pferde litten. Pferdedepots
und -lazarette mußten sogar im Freien untergebracht werden, wobei
es zunächst auch noch an Zelten fehlte. Dazu kam noch, daß
für den größten Teil der eintreffenden Verbände die
Gebirgsausrüstungen erst im Aufmarschgebiet von den Österreichern
bereitgestellt werden mußte. Auch dabei traten allerlei Hemmungen ein, so
daß ein Teil der Truppen die Tragtiere erste während des
Vormarsches ins Gebirge erhielt.
Mit dem Eintreffen der Kraftwagenkolonnen begann sogleich das
Vorführen der Munition und Verpflegung ins Aufmarschgelände,
d. h. mitten ins Gebirge. Von den beiden Anmarschstraßen der
Hauptgruppe war die nördliche, von Bischoflack über Podbrdo nach
Tolmein führende, teilweise so schmal, daß sich auf langen Strecken
Fuhrwerke nicht ausweichen konnten. Das zwang zur Einrichtung einer Art von
Schleusenbetrieb, der bei der Länge der Strecken einen großen
Aufwand von Kräften und Zeit erforderte. Die südliche Straße
über Kirchheim war breiter, wurde aber bald durch die Anlage einer
Motorbahn von Idria nach Tribusa zur Versorgung der auf der
Lom-Hochfläche (südlich St. Luzia) stehenden
k. u. k. Truppen der 2. Isonzo-Armee so beengt, daß, da auf
dieser Straße auch k. u. k. Kolonnen der genannten Armee
verkehrten, ähnliche scharfe Anordnungen getroffen werden mußten.
Da gleichzeitig die starke Angriffsartillerie an- und aufmarschierte, wurden die
Verhältnisse nur noch schwieriger. Die Anhäufung so zahlreicher
Pferde im vorderen Gebiet verbot sich aus Unterkunfts- und
Verpflegungsrücksichten, so daß die Artilleriepferde nach dem
Aufmarsch wieder den weiten Weg bis in die Gegend westlich von Bischoflack
zurücklegen mußten. Die Anlage von Munitionsdepots und
Magazinen stieß wegen des Raummangels in den engen Tälern auf
die größten Schwierigkeiten. Oft blieb nichts anderes übrig, als
die Munition dicht neben den Straßen, nur durch Dachpappe
geschützt, aufzustapeln. Ein von den vorgezogenen Korpsstäben
ein- [238] gehend geregelter
Dienst schaffte nun alle diese Bedürfnisse aus den Stapelplätzen der
Täler in die für die Artillerie und die Truppen vorgesehenen
Stellungen. Es waren ganz unerhört hohe Anforderungen, die an die
für die kurzen und engen Serpentinenwindungen der hohen
Paßstraßen gar nicht eingerichteten deutschen Lastkraftwagen und
ihre des Gebirges ungewohnten Führer gestellt wurden, zumal sie Tag und
Nacht ununterbrochen unterwegs sein mußten, um rechtzeitig mit den
Vorbereitungen fertig zu werden. Es sind Leistungen, die zu den schönsten
Ruhmesblättern dieser jungen Truppe gehören. Natürlich
geschah alles, um ihren Dienst zu erleichtern. So wurde zur Abkürzung des
Munitionstransportes durch österreichische Eisenbahntruppen in
tatkräftiger Weise eine Feldbahn von Bischoflack nach Hotaule gebaut.
Daneben mußten Sanitätseinrichtungen und ein geordnetes
Verwundeten- und Krankentransportwesen, Depots mit Ersatzgerät
für die Artillerie, fahrbare Instandsetzungswerkstätten und alle die
Einrichtungen bereitgestellt oder geschaffen werden, deren eine Armee für
einen größeren Angriff mit daran anschließenden Operationen
bedarf, - alles in engster räumlicher Beschränkung,
möglichst heimlich vor dem Feinde, der überdies den Verkehr durch
seine Bombenwürfe sehr erschwerte. Ähnlich lagen die
Verhältnisse im Norden bei der Gruppe Krauß von Tarvis und
Kronau aus. Mitte Oktober setzte zu alledem noch andauerndes Regenwetter ein,
das die überlasteten Straßen bald grundlos machte, zumal es an
Arbeitskräften gebrach, die überall schnell hätten helfen und
ausbessern können. Nur mit äußerster Anspannung aller
Kräfte war es möglich, den festgesetzten Zeitpunkt für die
Beendigung der Vorbereitungen innezuhalten.
Inzwischen waren auch die Divisionen eingetroffen und in den Becken von
Krainburg und Laibach, von Klagenfurt und bei und östlich von Tarvis
untergebracht worden. Nun ging es in Eile an die Ausrüstung und
Ausbildung der Truppen für den Gebirgskrieg. Die Fliegerverbände
wurden dort gleichfalls zurückgehalten. Sie durften noch nicht an die Front,
um die Anwesenheit der Deutschen nicht vorzeitig zu verraten.
Es war Mitte Oktober geworden und endlich alles bereit. Die Pferde der Artillerie
wurden wieder vorgezogen und die Truppen in die Täler zum Aufmarsch in
die Angriffsstellungen vorgeführt. Strömender Regen erschwerte die
Bewegungen, die alle des Nachts ausgeführt werden mußten. Glich
doch der ganze Aufmarsch einem heimlichen Hineinstehlen in die
Ausgangsstellungen des Angriffs. Aber weder die Unbill der Witterung, noch die
durchweichten und zerfahrenen Straßen, weder das oft stundenlange
nächtliche Warten im strömenden Regen, noch die nassen Biwaks
vermochten der stolzen Siegeszuversicht und frohen Angriffslaune der
vortrefflichen Truppen auch nur das Geringste anzuhaben.
Auch noch auf andere Weise hatte man den Angriff vorzubereiten gesucht. Um
die Aufmerksamkeit der Italiener von der Ostfront abzulenken, war das [239] deutsche Alpenkorps
Mitte September plötzlich in Tirol erschienen, wo auch
Bekanntmachungen, eine ostentative Reise des
Armee-Oberkommandos der 14. Armee und anderes mehr den Aufmarsch
deutscher Truppen vortäuschen sollten. Trotzdem konnte die italienische
Führung nicht im Zweifel sein, woher die Gefahr wirklich drohte, denn
einige Tage vor dem 22. Oktober, dem zunächst ins Auge gefaßten
Angriffstag, verrieten ihr ein überlaufender tschechischer und zwei
k. u. k. Reserveoffiziere rumänischer Abkunft den ihnen
bekannten Angriffsplan und Angriffstag. Wohl wurde daraufhin die italienische
Frontbesatzung verstärkt, auch eine neue Division ins Flitscher Becken
vorgeschoben; aber sonst geschah nichts Ernstliches von italienischer Seite, selbst
nicht einmal, um den Aufmarsch wirksam zu stören, was ein Leichtes
gewesen wäre. Man glaubte vollends nicht mehr an eine drohende Gefahr,
als der 22. Oktober verstrich, ohne daß ein Angriff erfolgte. Dieser war aber
nur um zwei Tage aufgeschoben worden, weil das andauernd schlechte Wetter
sehr erhebliche Stockungen im An- und Aufmarsch verursacht hatte. War doch
auf den Höhen Neuschnee bis zu 3 m Tiefe gefallen! Auch der
angeschwollene Isonzo bereitete größere Schwierigkeiten, so
namentlich bei Tolmein, wo sich die Truppen der Gruppe Stein eng im dortigen
Brückenkopf zusammendrängen mußten. Und trotzdem
konnte, dank der guten Vorbereitungen, der vernichtende Schlag am 24. Oktober
versucht werden.
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