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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[424] Kapitel 19: Vom Isonzo zur Piave1
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky2
und Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

1. Angriffsplan und Vorbereitungen.

Schon die zehnte Isonzoschlacht (12. Mai bis 6. Juni 1917) hatte die große Spannung an der österreichisch-ungarischen Karstfront dargetan. Wohl war es geglückt, die örtlichen Erfolge, die die Italiener auf der Hochfläche von Comen zu erringen vermochten, durch einen trefflich organisierten Gegenstoß wieder wettzumachen. Aber die Lage blieb nach wie vor kritisch im höchsten Grade. Ein Raumverlust, wie ihn der Verteidiger auf anderen Kriegsschauplätzen ohne weiteres in Kauf nehmen durfte, konnte hier, am Südflügel der österreichisch-italienischen Front von entscheidendem Einfluß nicht nur auf die Situation der dort kämpfenden Heere, sondern auf die ganze Weltkriegslage sein. Der Verlust von Triest hätte mehr bedeutet als die Einbuße eines wichtigen Küstenplatzes oder der Isonzostellung. Gelang es den Italienern, die Isonzofront vollends zu durchbrechen, dann hatten sie auch in den Hauptwall, der die einer belagerten Festung gleichenden Mittelmächte umgab, eine entscheidende Bresche geschlagen, die der Entente die lang ersehnte Gelegenheit bieten konnte, ihre Übermacht an Streitermassen und Kampfmitteln frei zu entfalten.

Wie dieser drohenden Gefahr, die jeden Tag eintreten konnte, zu begegnen sein werde, beschäftigte die k. u. k. Heeresleitung, seit man gegen Italien im Kriege stand. Der Plan, die Italiener über den Karst herüberzulassen und dann von Laibach aus beim Hervortreten aus der schwer gangbaren Gesteinswelt Krains anzufallen, war schon zur Zeit, als ihn Conrad - noch Frühjahr 1915 - erwog, in hohem Maße gewagt. Auf ihn jetzt, zwei Jahre später, zurückzukommen, war angesichts der stark herabgeminderten Beweglichkeit des österreichisch-ungarischen Heeres nicht mehr denkbar. Es blieb nur ein Mittel übrig: dem Feind durch einen groß angelegten Gegenstoß zuvorzukommen! Wieweit sich [425] dieser Gegenstoß auszuwirken vermochte, hing von den jeweils zur Verfügung stehenden Kräften ab. Erreichte er auch nur das, daß sich der Italiener auf Respektsdistanz von Triest zurückziehen mußte, so war damit schon viel gewonnen.

Der Gedanke eines solchen Gegenstoßes beschäftigte den Generalstabschef Baron Arz schon nach der zehnten Schlacht. Doch kamen dann der russische Angriff in Galizien und die Gegenoffensive dortselbst dazwischen, so daß die Sorgen an der italienischen Front zurückgestellt werden mußten. Aber schon Ende Juli, als sich Anzeichen für eine Wiederaufnahme des italienischen Angriffes einstellten, wurde in Baden erneut der Plan offensiver Gegenmaßnahmen aufgegriffen. Die Frage, wie diese durchzuführen sein würden, war nicht leicht zu beantworten. Es lagen zahlreiche Operationsentwürfe aus früheren Kriegsepochen und auch aus der Friedenszeit vor. Der verlockendste war der Conrads vom Januar 1917: doppelter Angriff vom Isonzo her und aus den Sieben Gemeinden! Die zweitgenannte dieser beiden Operationsrichtungen, jene aus der Südtiroler Bastion in gerader Direktion auf Venedig, war strategisch sicherlich die wirksamste. Auf sie kam daher auch Feldmarschall v. Conrad immer wieder zurück. Trotzdem vermochten sich Arz und Waldstätten unter den gegebenen Verhältnissen weder für den Doppelangriff noch für einen einfachen über Asiago zu entscheiden. Für jenen fehlten die Kräfte. Sie wären vielleicht nicht einmal vorhanden gewesen, wenn die deutsche Oberste Heeresleitung alle verfügbaren Reserven an Kämpfern und Kampfmitteln zur Verfügung gestellt hätte, was angesichts der Verhältnisse auf anderen Schauplätzen nicht in ihrer Absicht lag. Der Stoß aus Tirol allein hingegen forderte wegen des Mangels an Bahnen und wegen des Geländes sehr viel Zeit, über die man nicht verfügte, weil man nicht in den Winter hineinkommen durfte. Auch war hier der Sache nur gedient, wenn die Stoßarmee wirklich bis in die Ebene vordrang. Geringere Erfolge blieben, wie die Maioffensive 1916 bewies, auf die Isonzofront erst recht ohne Rückwirkung. Ja, sie führten mittelbar sogar zu deren erhöhter Gefährdung, da man bei der Bildung der Angriffsgruppe in Tirol naturgemäß auch auf Isonzokräfte hätte greifen müssen, die dann aber nicht so rasch zurückbefördert werden konnten.

Aus all diesen Gründen faßte Arz den ihm nicht leicht gewordenen Entschluß, fürs erste auf weitgesteckte Ziele zu verzichten und den Schlag am Isonzo zu führen, und zwar von Tolmein aus, von wo man in einem einzigen Zuge über die Grenzhöhen in die venetianische Ebene gelangen und beträchtliche Teile der feindlichen Isonzofront, ihre starke Mitte und ihren noch stärkeren Südflügel, von Norden her fassen und aufrollen konnte.

Am 17. August 1917, zu Beginn der 11. Isonzoschlacht, standen an der Isonzofront den 44 italienischen Divisionen nur 20½ österreichisch-ungarische gegenüber. Aus diesen Kräften konnte naturgemäß ohne [426] schwere Gefährdung der übrigen Frontabschnitte eine Angriffsgruppe nicht gebildet werden. Auch die Divisionen, die man im Osten und in Tirol freizubekommen vermochte, reichten nicht hin. Man brauchte deren insgesamt noch rund 20, wenn man nur das Kräfteverhältnis 1 : 1 erzielen wollte. Deshalb stellte das Armee-Oberkommando Baden in seinem Operationsentwurf vom 25. August die Forderung auf, daß "die Mitwirkung deutscher Kräfte unerläßlich" sei.

General v. Arz trat für das Heranziehen deutscher Kräfte auch deshalb ein, weil er - bei aller Würdigung der noch erstaunlich großen Leistungen der eigenen Truppen - die Stoßkraft deutscher Divisionen doch höher bewertete und auch der ungleich besseren Ausrüstung deutscher Verbände mit Artillerie, Munition, Fliegern und sonstigen Kampfmitteln aller Art nicht entraten wollte.

Kaiser Karl war nicht ohne weiteres für die deutsche Hilfe zu gewinnen. Sein Zögern leitete sich nicht ausschließlich auf Prestigerücksichten zurück, sondern auch auf die Sorge, daß die deutschen Helme sehr bald französische und englische Truppen nach Oberitalien rufen würden, in welchem Ergebnis er ein neues, schwerwiegendes Friedenshindernis sah. Noch als die Verhandlungen zwischen den beiden Generalstäben in vollem Gange waren, versuchte der Kaiser in einem persönlichen Handschreiben an Kaiser Wilhelm zu erreichen, daß Deutschland die für Italien bestimmten Divisionen nach Osten sende und dort eine gleiche Anzahl österreichischer Verbände für den Südwesten frei mache. Es ist ein unbestreitbares Verdienst des Generals v. Arz, daß er schließlich die Bedenken seines höchsten Herrn, den militärischen Forderungen entsprechend, überwand.

General Ludendorff hatte anfänglich für das italienische Unternehmen nicht allzuviel übrig. Er hätte lieber Rumänien zu Boden geworfen. Nicht ohne Mühe gelang es dem zuständigen Referenten in der Operationsabteilung der Obersten Heeresleitung, Major Wetzell, den Ersten Generalquartiermeister für die Vorschläge des Armee-Oberkommandos Baden zu gewinnen. Auch General v. Cramon und sein Nachrichtenoffizier Major Fleck arbeiteten in gleichem Sinne, so daß General Ludendorff schließlich, nicht zuletzt, um das Bündnis dadurch wieder fester zu knüpfen, in den italienischen Plan einwilligte. Als Generalmajor v. Waldstätten Ende August 1917 zum erstenmal nach Kreuznach kam, fand er den Boden schon gut vorbereitet. Ludendorff beantwortete Waldstättens Darlegungen mit der Bemerkung, daß er sich die Sache ganz so wie das Badener Armee-Oberkommando vorgestellt habe. Der bayrische Generalleutnant Krafft v. Delmensingen, der ruhmreiche Führer aus dem rumänischen Feldzug, bereiste Anfang September die für den Angriff in Betracht kommenden Teile der Isonzofront, um der Obersten Heeresleitung im einzelnen Bericht erstatten zu können. Am 8. September weilte Waldstätten [427] zum zweitenmal in Kreuznach, von wo er nach Baden telegraphieren konnte, daß die Ausführung des mit dem bedeutsamen Decknamen "Waffentreue" bedachten Offensivunternehmens gesichert sei. Vier Tage später erließ das Armee-Oberkommando Baden die ersten eingehenderen Befehle zur Vorbereitung des Angriffes.

Die Gruppierung zur Offensive war so gedacht, daß am oberen Isonzo, im Raume Tolmein - Flitsch, von wo aus der entscheidende Schlag geführt werden sollte, zwischen der südwärts kämpfenden Heeresgruppe Feldmarschall v. Boroević und der Kärnten verteidigenden 10. Armee, die aus 7 deutschen und 6 österreichisch-ungarischen Divisionen zusammengesetzte deutsche 14. Armee unter dem Kommando des Generals Otto v. Below (Stabschef Generalleutnant Krafft v. Delmensingen) eingeschoben wurde. Die Hauptkraft dieser Armee sollte bei Tolmein zusammengezogen werden, indessen bei Flitsch General der Infanterie Alfred Krauß (I. Korps) mit drei ausgewählten, gebirgsgewohnten deutschösterreichischen Divisionen, denen sich später noch die deutsche Jägerdivision anschloß, zum Kampf anzutreten hatte. Wie sich diese Kampfgruppen in die für die Offensive geltende Gliederung der gegen Italien angesetzten verbündeten Streitkräfte einzufügen hatte, zeigt das hier beigefügte Schema (Skizze 15). Es erhellt daraus, daß die durch die Kärntner 10. Armee verstärkte Tiroler Heeresgruppe Feldmarschall v. Conrad aus dem Befehlsbereich des Kommandos der Südwestfront (Feldmarschall Erzherzog Eugen) ausschied und unter den unmittelbaren Befehl des Kaisers trat, in dessen Hände formell die Leitung des ganzen Offensivunternehmens gelegt wurde.

Befehlsgliederung der verbündeten Streitkräfte an der
italienischen Front am 20. Oktober 1917.
[428]      Skizze 15: Befehlsgliederung der verbündeten Streitkräfte an der italienischen Front
am 20. Oktober 1917.

Von Ende August bis Mitte Oktober waren der Isonzofront aus dem Westen und dem Osten insgesamt sieben deutsche und sechs österreichisch-ungarische Infanteriedivisionen zugeführt worden; außerdem wurden gegen Ablauf dieser Zeitspanne zwei Infanteriedivisionen aus Tirol herangeholt, wohingegen eine nach der 11. Isonzoschlacht dahin abgeschoben worden war. Die dem Erzherzog Eugen unterstehenden Streitkräfte zählten zu Beginn der Offensive 36 Infanteriedivisionen.

Die Italiener hatten am Schluß der letzten Schlacht (6. September) an ihrer Isonzofront etwa 52 Infanteriedivisionen eingesetzt, von denen ein Drittel südlich von Gradisca die 3. Armee (Herzog von Aosta), zwei Drittel nördlich davon die 2. Armee (Generalleutnant Capello) bildeten. Gegenüber der k. u. k. 10. Armee stand in der "zona carnia" das selbständige XII. Korps, indessen die Bastion von Südtirol von der 4. und 1. Armee - Abschnittsgrenze die Brenta - umklammert war.

Selbstverständlich mußte den Italienern die Hauptangriffsrichtung möglichst bis in die letzte Stunde verborgen bleiben. Diesem Streben hatten verschiedene [428] Täuschungsmaßnahmen zu dienen. Das deutsche Alpenkorps (seiner Stärke nach eine Infanteriedivision) tauchte vorübergehend an der Tiroler Front auf, wo gerade damals bei Carzano im Brentatal der Kampf aufgeflammt hatte (18. September). Die Zuschübe aus Deutschland wurden vornehmlich über den Brennerpaß geleitet. In Bozen funkte eine deutsche Funkerstation. Aber auch an der Küste, bei der 1. Isonzoarmee, zeigten sich dem Feinde deutsche [429] Abteilungen, und die Flotte nahm Minenräumungen vor, als würden hier große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen.

Besondere Sorgfalt wurde darauf verwendet, den Aufmarsch der Angriffsarmee den Augen des Feindes zu verbergen. Zu diesem Ende wurden, während sich das Armee-Oberkommando 14 (General v. Below) in Krainburg formierte, die heranrollenden Divisionen zunächst im Raume Klagenfurt - Villach - Laibach ausgeladen. Von dort wurden sie erst in den letzten Tagen - größtenteils bei Nacht - in den Angriffsraum vorgezogen.

Natürlich war es mit der Bereitstellung der Truppen nicht getan. Die Offensive forderte auch in materieller Hinsicht weitgehende Vorbereitungen. Die Beschränktheit der Mittel und die Kürze der Zeit geboten auch eine Beschränkung in der Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse auf das notwendigste Maß. Die Verbündeten entschlossen sich daher, zunächst die 14. Armee und das I. Korps möglichst gut auszurüsten und die 2. Isonzoarmee so weit beweglich zu machen, daß sie dem Angriffe folgen könne. Die 1. Isonzoarmee konnte vorerst keine Zuwendungen erhalten, das Heeresgruppenkommando Conrad und die 10. Armee mußten sogar zu Abgaben herangezogen werden.

Die Artillerie der Südwestfront wurde für den Angriff um rund 1550 Geschütze und 420 mittlere und schwere Minenwerfer vermehrt; an Transportmitteln waren etwa 500 Eisenbahnzüge nötig. Der Zuschub an Munition machte allein für die österreichisch-ungarischen Truppen 60 Vollbahnzüge aus. Die Heeresfront Erzherzog Eugen erhielt etwa 68 000, die Heeresgruppe Conrad 16 000 Pferde zugewiesen, deren Beförderung 400 Hundertachser beanspruchte. Die Autotonnage der Südwestfront wurde von 3200 auf 6000 t vermehrt. Die Bahn wurde in der Zeit der Vorbereitungen für die Offensive in höchstem Grade in Anspruch genommen. Das erste Transportkalkül rechnete mit einem "Transportquantum" von 1900 Zügen, inbegriffen den normalen Zuschub, was für den Tag eine Leistung von 64 Zügen ergibt; hierzu kamen noch die unentbehrlichen Personen- und Approvisionierungszüge, etwa 15 bis 20 täglich. In der Folge erhöhte sich das Transportquantum auf 2500 Züge, die Tagesleistung auf 80 Militärzüge; von diesen 2500 Zügen entfallen auf den Aufmarsch der Infanteriedivisionen rund 550, auf den normalen und besonderen Nachschub 800, auf den laufenden Bedarf der schon in der Front befindlichen Truppen 900, auf sonstige Bedürfnisse 250 Züge. Daß zeitweise größere Störungen eintraten, darf bei einer solchen Inanspruchnahme der Bahnen nicht wundern; wenn trotzdem diese Massentransporte rechtzeitig abgewickelt wurden, war dies lediglich der Tüchtigkeit aller Bahnbehörden und der Hingabe aller sonst im Bahndienste stehenden Organe zu danken.

Nur bei Tolmein führte eine Vollbahn nahe an den für den Angriff ausgewählten Frontabschnitt heran; ihre Leistungsfähigkeit war an und für sich [430] beschränkt, aber auch durch den Umstand herabgesetzt, daß sie etwa 20 km hinter den Stellungen den großen Wocheiner Tunnel durchlief und Ausladungen knapp hinter der Front begreiflicherweise ausgeschlossen waren. Von dieser Bahnlinie abgesehen, war der Raum von Flitsch etwa 40 km, jener von Tolmein 60 km von den in Betracht kommenden Ausladestationen entfernt. Da das Vorbringen der großen Mengen von Munition, Verpflegung und sonstigem Kriegsmaterial von dort mittels Kraftwagen allein namentlich in den Tolmeiner Raum nicht rechtzeitig hätte bewerkstelligt werden können, mußten Feldbahnen vorgebaut werden. Diesem Zwecke diente eine Pferdefeldbahn von Bischoflack nach Hotaule östlich des Kirchheimer Sattels, die in 6 Tagen hergestellt wurde, dann eine motorisierte Feldbahn von Loitsch über Idria bis südöstlich Tolmein, deren Bau 5 Wochen in Anspruch nahm, obwohl er sehr schwierig war und Regengüsse mehrmals empfindliche Störungen verursachten.

Die Stellungen, aus denen der Angriff anzusetzen war, begannen am Osthang des Rombon (2208 m hoch), überquerten bei Flitsch, das vor den eigenen Linien lag, den Isonzo, verliefen dann östlich um den Krn herum wieder auf Höhen von mehr als 2000 m, traten mit dem Brückenkopf von Tolmein erneut auf 6 km Ausdehnung auf das Westufer des Flusses über, um nach dem dritten Uferwechsel den Rand der Hochfläche von Kal - Bainsizza zu erklimmen und quer über diese Richtung auf den Monte Gabriele zu nehmen. Die Hochfläche gehörte bereits in den Befehlsbereich des Feldmarschalls v. Boroević und der 2. Isonzoarmee General der Infanterie v. Henriquez.

General v. Below wies seine Truppen zunächst an, mit dem Aufgebot aller Kräfte den gewaltigen Höhenwall zu gewinnen, der westlich des großen Isonzobogens von Saga - Karfreit aufragt. Im nördlichen Teile dieses Walles beherrscht der Stol (1669) alles Umgelände - er fiel in den Angriffsraum der Gruppe Alfred Krauß. Südlich davon hatten die Hauptkräfte der 14. Armee, in drei von den kommandierenden Generalen Freiherr v. Stein (III. bayrisches Generalkommando), v. Berrer (LI. Generalkommando) und v. Scotti (k. u. k. XV. Armeekorps) befehligte Gruppen gegliedert, den Monte Matajur bei Karfreit (1600 m) und die Höhen westlich von Tolmein (Jeza, Monte Hum, Kostanjevica) zu gewinnen. War dies geglückt, dann fiel der 14. Armee die Aufgabe zu, nach Cividale in die Ebene hinabzuschwenken und den der Heeresgruppe Boroević gegenüberstehenden Feind in der Flanke zu packen und aufzurollen. Die Gruppe Krauß sollte diesen Stoß in der Nordflanke decken und durch ihr Vordringen in westlicher Richtung, auf Gemona und Tarcento, auch die italienische Kärntner Front ins Wanken bringen.

Dem verstärkten, mit Angriffsmitteln ausgerüsteten Nordflügel der 2. Isonzoarmee oblag es, den Südflügel der Armee Below durch einen zeitgerecht angesetzten Angriff auf die unterhalb von Tolmein zu beiden Seiten des Flusses aufsteigenden Höhen zu sichern.

[431] Der Beginn der Offensive war ursprünglich auf den 22. Oktober angesetzt, mußte aber wegen des andauernd ungünstigen Wetters auf den 24. verlegt werden. Einige Tage zuvor waren aus den Stellungen bei Tolmein ein tschechischer und zwei rumänische Reserveoffiziere übergelaufen. Namentlich die zwei Rumänen vermochten den Italienern wertvolle Mitteilungen zu machen. Sie bestärkten Cadorna freilich nur in der seit längerem gehegten Anschauung, daß der Feind im ganzen Raume von Flitsch bis zum Meere angreifen werde.3

Schon am 18. September, unmittelbar nach der 11. Isonzoschlacht, hatte General Cadorna, auf Offensivpläne zunächst verzichtend, für den Karst die "Verteidigung aufs Äußerste" angeordnet.4 In wiederholtem Gedankenaustausch mit dem Führer der 2. Armee, Generalleutnant Capello, wies er auf die Gefahren hin, die vom Tolmeiner Brückenkopf aus drohten. Capello erhielt reiche Verstärkungen zugewiesen, so daß - nach dem amtlichen italienischen Bericht5 - selbst nach dem Aufmarsche Belows 171 verbündeten Bataillonen nicht weniger als 238 italienische gegenüberstanden. Von diesen hielten von Flitsch südwärts 94 die erste Linie besetzt, indessen der größere Teil in Reserve blieb. Capello war jedoch mit den rein defensiven Absichten seiner Heeresleitung keineswegs einverstanden, sondern liebäugelte mit einer Fortsetzung des Stoßes auf der Bainsizza-Hochfläche. Auch sein den Südflügel der Armee befehligender Unterführer General Badoglio hatte seine Sonderangriffspläne in der Tasche. Dadurch kamen naturgemäß die Verteidigungsmaßnahmen zu kurz, das Stellungssystem der Italiener war just an den Hauptangriffspunkten Flitsch und Tolmein, wo sie seit Anfang des Krieges ziemlich unverändert standen, am schwächsten ausgebaut. Trotzdem sagte Cadorna noch am 23. Oktober: "Es ist nichts zu befürchten." Und bei der gegen ihn nach dem Kriege geführten Untersuchung äußerte er sich: "Die Offensive traf uns gut gerüstet, es hätte nur genügt, daß jeder Mann ein Magazin, jedes Maschinengewehr eine Gurte, jedes Rohr einen Schuß abgegeben hätte - und der Feind wäre nicht gekommen."

Aber der Feind kam.


1 [1/4224]Tafel II, Skizze i. [Scriptorium merkt an: der Einfachheit halber von uns verkleinert an entsprechender Stelle im Text eingefügt; durch Mausclick zu vergrößern!] ...zurück...

2 [2/424]Feldmarschalleutnant Konopicky war zur Zeit der von ihm geschilderten Ereignisse Generalstabschef des Kommandanten der k. u. k. Südwestfront Feldmarschall Erzherzog Eugen. ...zurück...

3 [1/431]General Luigi Cadorna, La Guerra alla Fronte italiana - fino all'arresto sulla linea della Piave e del Grappa (24. Maggio - 9. novembre), Milano 1921, II. Bd. S. 119 ff. - Dieses bemerkenswerte Buch kam den Verfassern leider verspätet in die Hand. ...zurück...

4 [2/431]Nach der 11. Isonzoschlacht trug das französische Hauptquartier dem italienischen Waffenhilfe für die Eroberung von Triest an. Cadorna soll mit der Forderung geantwortet haben: "Gebt mir entweder eine Million Mann oder nichts!" - Jean de Pierrefeu, G. Q. G. Paris 1921, 2. Bd., S. 82. ...zurück...

5 [3/431]Bericht der italienischen Untersuchungskommission über die Niederlage bei "Caporetto" - so der italienische Name für Karfreit - ausführlich besprochen von Hauptmann Regele in der Österreichischen Wehrzeitung 1920 Nr. 44 und 47. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte