Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
Kapitel 19: Vom Isonzo zur Piave
(Forts.)
Feldmarschalleutnant Theodor Konopicky
und Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau
2. Die 12. Isonzoschlacht.
Am 24. Oktober um 2 Uhr früh setzte bei der Armee Otto v. Below das
Gasschießen ein; es verbreitete Gift und Tod über die feindlichen
Stellungen. Um 7 Uhr früh begannen Geschütze und
Minenwerfer aller Kaliber ihr Vernichtungswerk. Zwischen 8 und 9 Uhr
ging bei allen Angriffsgruppen in Sturm und Regen die Infanterie vor. Der Nebel
begünstigte die mit besonderem Nachdruck von General Alfred
Krauß vertretene Angriffsweise, im Tal durchzustoßen und die
Höhen seitwärts liegen zu lassen. Diese Methode lohnte sich
über alles Erwarten.
Von den Hauptkräften Belows stieß die schlesische 12.
Infanteriedivision (Generalmajor Lequis) auf der den Isonzo aufwärts gegen
Karfreit führenden Talstraße vor. Um 8 Uhr vormittags wurde
von den italienischen Beobachtern auf den Höhen halben Weges zwischen
Tolmein und Karfreit eine Marschsäule festgestellt. Man hielt sie für
eben eingebrachte Kriegsgefangene. Was konnte auch geschehen, wenn auf den
Höhen nördlich von Tolmein noch 100 italienische Bataillone
kämpften und weiter südlich, gleichfalls in beherrschender Position,
das VII. Korps als Reserve auf dem Kolowratrücken aufmarschiert war!
Um 11 Uhr erhielt der Führer der letzteren von dem in der
Kampffront befehligenden General Badoglio die fast unbegreifliche Meldung:
"An der Front scheinbar Ruhe." Erst eine Stunde später erfuhr das
Korpskommando die grausame Wahrheit: Die Marschsäule, die man
beobachtet hatte, bestand nicht aus Kriegsgefangenen, sondern aus den tapferen
Preußisch-Schlesiern der 12. Division! Diese hatte bei Tolmein die
italienische 19. Infanteriedivision im ersten Anlauf überrannt oder
vielmehr - wie der italienische Bericht
sagt - "verschlungen", so gründlich "verschlungen", daß die
übergeordnete Befehlsstelle um 4 Uhr nachmittags noch immer
nichts über den Verbleib der Division wußte, deren Führer
freiwillig in den Tod gegangen war. Um Mittag schon hatte, während im
Krngebiet die k. u. k. 50. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant
Geřabek noch erbittert mit dem Feinde rang, in dessen Rücken die
deutsche 12. Infanteriedivision Karfreit erreicht. Von den italienischen
Krnverteidigern konnten sich nur Trümmer retten. Ein Brigadekommandeur
und vier Regimentsführer fielen den Schlesiern als Gefangene in die
Hände. Vorgeschobene Truppenteile der 12. Infanteriedivision erreichten
am Abend das zwei Wegstunden westlich Karfreit liegende Dorf Creda.
Ebenso erfolgreich wie Generalmajor Lequis war General der Infanterie
Krauß. Hier war es die aus Steirer und Tiroler Bataillonen
zusammengesetzte 22. Schützendivision Generalmajor Rudolf
Müller, der der Entscheidungsstoß im Tale zufiel. Sie hatte schon um
die Mittagsstunde Flitsch und das vorderste italienische Stellungssystem hinter
sich und stand trotz des schweren Unwetters und zahlreicher
Brückenzerstörungen abends am Fuße des Stol! Angesichts
[433] dieses Erfolges war es
fast bedeutungslos, daß - wie übrigens
erwartet - die im Hochgebirge angesetzten Flügelgruppen nur
unbedeutend Raum gewannen. Von ihnen entriß die
südliche - die 55. Infanteriedivision Generalmajor Felix Prinz
Schwarzenberg - den Italienern den Vrsic (1897 m), während
die nördliche, bestehend aus dem Salzburger Infanterieregiment 59
und einem Bataillon Tiroler Kaiserjäger, gleich zu Beginn durch einen
mächtigen Schneesturm im zerklüfteten Rombongebiete festgehalten
wurde.
Der linke Flügel der Armee v. Below, unter den Generalen v. Berrer und
v. Scotti, gewann in dem wesentlich niedrigeren
Höhengelände westlich und südwestlich von Tolmein am 24.
Oktober alle ihm für diesen Tag aufgetragenen Räume. Dagegen
stieß bei Auzza der Nordflügel der 2. Isonzoarmee, der sich,
entsprechend zusammengeballt, dem Vorgehen Belows anzuschließen hatte,
auf stärkere italienische Kräfte und wurde nach einigen
Anfangserfolgen wieder in seine Stellungen zurückgedrückt.
Auf dem Monte Gabriele entriß Budapester Honved dem Feind einige
Gräben.
Als am Abend und in der Nacht die Meldungen über die Erfolge bei
Karfreit und Flitsch dem Südwestfrontkommando in Marburg und den
Heeresleitungen vorlagen, konnte für diese Befehlsstellen kein Zweifel
bestehen: Der Durchbruch der feindlichen Linien
war - wie später Italiener vor ihrer Untersuchungskommission
aussagten - mit "ungeahnter Schnelligkeit und in unvorhergesehener
Ausdehnung erfolgt, mit einer Sicherheit, wie sie nur blindem Vertrauen zur
Tüchtigkeit der Truppen und ihrer Führer entspringen kann..." Wie
groß der Erfolg war, den die Verbündeten errungen hatten, sollten die
nächsten Tage erweisen.
General der Infanterie v. Below hatte seiner Armee aufgetragen, den Feind "in
Tag und Nacht fortgesetzten Angriffen" zu werfen. Sein geheimes Hoffen war,
den Vorstoß - entgegen den enger gesteckten Zielen seines
Auftrages - in einem Schwung über den Tagliamento
hinauszutragen.6 Truppen und Führer hielten sich
an seinen Befehl.
General der Infanterie Alfred Krauß entfaltete seine Angriffsgruppe zu
beiden Seiten der tags zuvor geschlagenen Bresche. Schon aus dem Raume von
Flitsch war ein Bataillon der 22. Schützendivision in den Rücken des
Rombon abgezweigt. Von Saga aus stiegen nun Kaiserjäger und
Kaiserschützen südwärts gegen den Stolrücken auf.
Selbst an diese gebirgsgewohnten Truppen stellte das Gelände
unerhörte Anforderungen. Aber um Mitternacht war der Feind an der
Paßstraße geworfen und am 26. früh auch der Stol selbst
gewonnen. Zur gleichen Stunde rückten bereits österreichische
Abteilungen die Straßenserpentinen von Bergogna hinab.
[434] Nunmehr wurde auch
die im zweiten Treffen folgende Edelweißdivision Generalmajor
v. Wieden vorgezogen. Sie hatte, zusammen mit der nachrückenden
deutschen Jägerdivision, ins Canaltal, in den Rücken der
italienischen "Zona Carnia" vorzustoßen und so auch der an der
Kärntner Front stehenden 10. Armee des Generalobersten Freiherrn
v. Krobatin Luft zu machen. Der Erfolg dieser Entsendung war ein voller.
Am 25. und 26. nahmen die Salzburger und Innviertler von Erzherzog
Rainer-Infanterie Nr. 59 die von der Edelweißdivision bereits
umgangene Felswüste des Rombon und des Caninstockes (2592 m).
Am 28. standen die deutschen Jäger zwei Stunden östlich von
Resiutta im Canaltal im Kampf, indessen die Edelweißtruppen des
Generalmajor v. Wieden, unausgesetzt fechtend, in den Gebirgen
nordöstlich von Gemona vordrangen. In vollstem Einklang damit schritt die
Armee Krobatin am 27. und 28. Oktober zum Angriff. Am 29. hatte die ganze
Armee zwischen Tarvis und dem Monte Paralba die Grenzgebirge unter heftigen
Kämpfen bezwungen. Der Ostflügel des Feindes fiel auch hier zum
großen Teil der vollen Auflösung anheim. Noch tagelang wurden in
den Gebirgstälern versprengte italienische Truppenteile aufgegriffen.
Nicht geringer war der Siegespreis für die südlichen Gruppen des
Generals der Infanterie Krauß. Die 22. Schützendivision hatte der in
die Karstwildnis des Vrsic verbannt gewesenen Division Felix Schwarzenberg
den Weg ins Isonzotal geöffnet, wo ihr Gefangene sonder Zahl und bis
oben angefüllte Speicher als Beute zufielen. Diese zwei Divisionen, denen
noch die 50. Infanteriedivision angeschlossen wurde, sollten nun in einem Zuge
den befestigten Raum von Gemona am Tagliamento gewinnen.
General Alfred Krauß, der Führer dieser Truppen, erzählt:7
"Nach notdürftiger Rast
nahmen wir den Vormarsch wieder auf. Die 22. Schützendivision konnte
die Wegnahme der Befestigungen Monte San Bernadia schon am 28. Oktober
melden trotz einer sehr bösen
Straßenzerstörung - die Italiener hatten die Straße bei
Platischis an einer Felswand auf etwa 60 m Länge abgesprengt. Der
Angriff des Marburger 26. Schützenregiments war so überraschend
schnell erfolgt, daß die Italiener die neu ausgehobenen
Schützengräben gar nicht mehr besetzen konnten. So hat auch hier
rasche Vorrückung Blut gespart. Am 29. standen die Truppen schon in der
Ebene, am Torrente Torre vor Tarcento. Leider konnten die Brücken
über den tosenden Wildstrom nicht gerettet werden: die Italiener sprengten
sie frühzeitig. Die Truppen standen völlig durchnäßt,
ermüdet, schlecht genährt vor dem
Fluß - am jenseitigen Ufer der Feind."
"Trotzdem gelang es den braven Truppen noch am 29.,
das Hindernis und den Feind zu überwinden. Abends war Tarcento in den
Händen der [435] Schützen. Am
30. früh war eine Brücke über den Torrente Torre hergestellt.
Die Truppe mußte aber weiterstürmen, denn vor uns lag das schwere
Hindernis des Tagliamento. Die 22. Schützendivision hatte Gemona und
die dort liegenden Befestigungen zu nehmen, Verbindung mit der Gruppe Wieden
herzustellen. Die 50. und nördlich davon die 55. Infanteriedivision hatten
an den Tagliamento vorzustoßen. Detachements waren zur Besitznahme der
Brücken vorauszusenden."
Unterdessen erfüllte sich auch weiter südlich das Schicksal der
Schlacht. Die preußische 12. Infanteriedivision entsandte noch am 24.
Abteilungen des Infanterieregiments Nr. 63 auf den Monte Matajur.
Leutnant Schnieber dieses Regiments entriß am 25. früh dem Feind
die für den Besitz des Berges maßgebende Vorkuppe; er erhielt
hierfür vom deutschen Kaiser den Orden Pour le Mérite,
dessen er sich freilich nur weniger als ein Jahr lang erfreute, da er 1918 an der
Westfront den Heldentod starb. Am 26. war der ganze Matajurrücken in
deutschem Besitz, am 27. rückten die unaufhaltsam vordringenden
Divisionen Belows in die schon in der venetianischen Ebene liegende, brennende
Stadt Cividale, in das als erste Truppe der Verbündeten das dritte Bataillon
des bayrischen Leibregiments eindrang.8
Am selben Tage abends hatte die zweite Isonzoarmee, General der Infanterie
v. Henriquez, nach 72stündigen heftigen Kämpfen die
Hochfläche von Bainsizza gesäubert. Sie stand, nachdem es schon
am 26. dem Czernowitzer Schützenregiment Nr. 22 geglückt
war, die aus den früheren Schlachten berühmt gewordene,
narbenbedeckte Kuppe 652 in der Nähe des Monte Santo zu erobern,
in der Isonzoschlucht abwärts von Plava.
Bei der 1. Isonzoarmee, auf der Karsthochfläche von Comen, entriß
die Großwardeiner 17. Infanteriedivision den Italienern den
Fajti hrib.
General Cadorna hatte, als er am 24. abends das Unglück in seinen
allerersten Umrissen erkennen konnte, für den Fall eines weiteren
Rückzuges den Tagliamento als die Linie bezeichnet, an die er gehen wolle.
Am nächsten Tage schon offenbarte sich die Katastrophe von
Karfreit-Tolmein in größerer Deutlichkeit. Ganze
Truppenkörper, ganze Divisionen samt Artillerie und Kriegsgerät
waren wie vom Erdboden weggefegt. Der Befehlshaber der 2. Armee, General
Capello, der "Fleischer" oder "Bluthund", wie er im italienischen Heere genannt
wurde, flüchtete vom Schlachtfeld. Von einer Führung konnte nicht
mehr die Rede sein. Aber noch hoffte Cadorna, bloß den Nordflügel
des Heeres in die Linie
Görz - Cividale - Montemaggiore (nordöstlich
von Tarcento) zurücknehmen zu müssen, indessen er die Stellung
südlich von Görz behaupten zu können wähnte. Aber
am 27. vormittags erreichte ihn in seinem Hauptquartier zu Udine die Nachricht,
daß die k. k. 22. Schützendivision den [436] Montemaggiore
genommen habe. Nunmehr gab es für die italienische Heeresleitung nur
noch einen ganzen Entschluß: die italienische Armee mußte mit allen
Teilen hinter den Tagliamento! Cadornas hastige Abfahrt nach Treviso gab in
Udine das Signal zu Panik und Plünderungen, die erst nach dem Einmarsch
der Verbündeten ein Ende nahmen. Das Bild, das Udine bot, wiederholte
sich im ganzen Raume hinter der Armeefront.
"Schon in den ersten Stunden des
Kampfes waren Artillerieabteilungen mit ihren Führern an der Spitze vom
Schlachtfelde fortgeritten. Alles warf die Waffen weg. Man rief sich auf den
Straßen gegenseitig zu: Bürgerchen, der Krieg ist
aus - führt hier der Weg nach Triest? Unaufhaltsam ging die
allgemeine Flucht nach Westen, alles war von tollster Kopflosigkeit ergriffen.
Vorrückende Reserven wurden von den Flüchtenden mit den Rufen:
Streikbrecher! und: Es lebe Österreich! verhöhnt. Dicht
gedrängt saßen die Soldaten auf allen Fuhrwerken. In der Nacht
erhellten ungezählte Brände den Himmel, Trunkene johlten und
raubten. Die ganze 2. Armee marschierte nach Hause. Die Gradabzeichen wurden
entfernt. Viele Soldaten kleideten sich überhaupt in Zivil, bildeten
Räuberbanden und brandschatzten die Bevölkerung. Niemand
glaubte an eine Verfolgung durch den Feind, alles jubelte: Der Krieg ist aus!
400 000 Versprengte und Deserteure durchzogen Oberitalien und wurden
erst an den Pobrücken aufgehalten und gesammelt..."9
So siegesfroh die Meldungen waren, die daher den verbündeten
Heeresleitungen zukamen, so gewannen diese doch erst allmählich einen
vollen Überblick über die Größe des Erfolges; das um so
mehr, als die Verbindung zwischen der unaufhaltsam vordringenden 14. Armee
und den höheren Befehlsstellen tagelang nur äußerst
notdürftig aufrechterhalten werden konnte. Der Oberbefehlshaber, General
der Infanterie v. Below, sein Generalstabschef Generalleutnant Krafft
v. Delmensingen, und dessen erster Gehilfe, Generalstabsmajor
v. Willisen, hatten eben in diesen Stunden großer Entscheidung den
Blick immer nur nach vorn gerichtet. Und selbst ihnen, ebenso wie den
Kommandierenden Generalen, gelang es nicht jeden Abend, die Gefechtslage der
einzelnen Divisionen zuverlässig festzustellen. So sehr war alles im
Schwunge!
Daß dessenungeachtet das Oberkommando Erzherzog Eugen die Dinge in
den Grundzügen zutreffend beurteilte, erwies ein schon am 27. Oktober
erlassener Befehl, in dem es hieß: "Durch rasche Besitznahme des
Tagliamento-Überganges westlich Codroipo ergibt sich die
Möglichkeit, dem Feind den Rückzug zu verlegen. Demnach hat
linker Flügel der 14. Armee über Udine, Richtung Codroipo
vorzudringen. Für das Vorgehen der Heeresgruppe Generaloberst [437] v. Boroević über die Linie
Udine - Cervignano folgen seinerzeit auf Grund der sich bis dahin
ergebenden Lage Befehle."
Tags darauf, an einem Sonntag, rückten die Spitzen der Armee Below in
Udine, der Hauptstadt Friauls, ein. General v. Berrer hatte noch am 27.
abends nach Einbruch der Dunkelheit seine beiden Divisionen, die 200.
Generalmajor v. Below und die württembergische 26.
Generalleutnant v. Hofacker in Marsch gesetzt. Sie traten am frühen
Morgen 6 - 8 km östlich von Udine gegen die
italienischen Nachhuten ins Gefecht. General v. Berrer war der 200.
Infanteriedivision im Kraftwagen nachgeeilt und über sie hinausgefahren.
Es war ihm Nachricht zugekommen, daß sich seine Vorhuten schon in
Udine befänden. Vergeblich warnte ihn der Führer des an der Spitze
der 200. Infanteriedivision vorrückenden Reservejägerbataillons 6;
der Kommandierende ließ sich nicht zurückhalten. Als das Bataillon
kurz darauf kämpfend in den Ort San Gottardo eindrang, fand es den von
einer italienischen Kugel niedergestreckten General tot auf der Straße. Die
200. Infanteriedivision setzte die Vorrückung gegen Udine fort, das sie um
Mittag erreichte. Gegen Abend folgte ihr die durch den Feind wiederholt
aufgehaltene 26. württembergische.
"Den die Stadt durchstreifenden
Jagdkommandos ergaben sich die schon plündernden italienischen Soldaten
haufenweise. Mit ihrem Abtransport jedoch konnte man sich nicht befassen, da
keine Begleitkommanden abgegeben werden konnten. Die Massen bekamen
einfach den Befehl, die Straße nach rückwärts einzuschlagen
und mußten sich dann selbst überlassen bleiben.... So ging es
stundenlang, bis die schwachen Jagdkommandos allmählich selbst vor den
Massen der Gefangenen, die eine ungeheure Übermacht darstellten und nur
ihre Gewehre wieder aufzunehmen brauchten, erschraken und erst einmal
Unterstützung vom Bataillon einholten. Dazwischen kamen die erbeuteten
Kolonnen angefahren, in der sinkenden Nacht erleuchtet von den auf
Straßen und Plätzen entzündeten Biwakfeuern. Aus den schon
vorher von den Italienern erbrochenen und geplünderten Läden
holten nun auch die müden, hungrigen und bis auf die Haut
durchnäßten Deutschen alles, was das Herz zu essen und zu trinken
begehrte und bezogen, angetan mit frischer Wäsche, trockene
Quartiere...."10
Während in regenfinsterer Nacht deutsche Regimenter gegen Udine
vorgedrungen waren, hatte der Nordflügel der zweiten Isonzoarmee durch
die Gewinnung der Höhe Korada bei Plava dem Feind den
nördlichen Eckpfeiler der noch gehaltenen Görzer Front entrissen.
Nun winkte auch den österreichischen Isonzokämpfern beiderseits
des Wippachtales und auf der Hochfläche von Comen Erlösung von
den Fesseln eines seit zweieinhalb Jahren dauernden, nervenanspannenden
Grabenkrieges. Auf dem Görzer Kastell [438] zogen die
vorstürmenden Kroaten des Karlstädter Infanterieregiments 96
die schwarzgelben Fahnen hoch. Der Feind hatte den zerschossenen Platz
panikartig geräumt. Zwischen Görz und Gradiska gewannen
Günser Jäger unter Major Mocsáry das westliche Isonzoufer.
Nächst der Meeresküste besetzten die k. u. k. Truppen
die Werftstadt Monfalcone.
Während am 29. die 1. Isonzoarmee des Generalobersten v. Wurm an die
Reichsgrenze vordrang, hielt Kaiser Karl, begleitet von den Theresienrittern
Generaloberst v. Boroević und Feldmarschalleutnant Zeidler, der als
Verteidiger von Görz den Adelstitel eines Freiherrn von Görz
erhalten hatte, seinen Einzug in die Hauptstadt seiner Küstenlande.
Überquellenden Herzens sandte er an seinen hohen Bundesgenossen, den
deutschen Kaiser, ein Telegramm, in dem er dankbar der wundervollen, in treuer
Waffenbrüderschaft errungenen Erfolge gedachte.
3. Die Schlacht bei Latisana.
Die Divisionen des Generals der Infanterie Otto v. Below eilten auf den von
stehengebliebenen italienischen Geschützen und Fuhrwerken stundenweit
verstellten Straßen mit dem Aufgebot aller Kräfte dem Tagliamento
zu. Das Armeeoberkommando 14 hatte ihnen aufgetragen, den Fluß
womöglich gleichzeitig mit dem Feinde zu erreichen und zu
überschreiten. Truppen und Führer gaben ihr Bestes. Den
Trümmern der gegen San Daniele und Codroipo flüchtenden
italienischen 2. Armee folgend, gelangten Belows Streiter im Raume von Udine in
die Nordflanke der längs der Meeresküste weichenden, weniger
gedrängten 3. Armee, Herzog von Aosta. Diese stürmte in wirren
Haufen der großen Tagliamentobrücke von Latisana zu.
Generalleutnant v. Hofacker, der Nachfolger des Generals v. Berrer im
Generalkommando LI, brachte am 29. seine Divisionen in den Raum
südwestlich von Udine. Er erhielt dort Nachricht sowohl von der Lage, die
bei Latisana heranreifte, als auch über gewaltige italienische
Truppenstauungen, die sich unmittelbar westlich von ihm, bei Codroipo, ergaben.
Die Verbindung mit dem Armeeoberkommando 14 war noch nicht
hergestellt. Rasch entschlossen, wies Hofacker seine 200. Infanteriedivision
Generalmajor v. Below nach Codroipo, indessen die 26. Infanteriedivision,
jetzt Generalmajor Haas, südwärts auf Latisana vorstoßen
sollte. Die 5. Infanteriedivision Generalmajor v. Wedell, die im Verband
der Gruppe Scotti die Gegend südwestlich Udine gewonnen hatte,
erklärte sich bereit, an der Aktion Hofackers mitzuwirken. Am 30. sollte
die Sache angegangen werden.
Da griff noch am 29. abends das Armee-Oberkommando 14 ein, indem es den
Divisionen der Gruppe Scotti (5. Infanteriedivision, k. u. k. 1.,
Feldmarschalleutnant Metzger, 117. Infanteriedivision Generalmajor
v. Seydel) allein die Aufgabe übertrug, bei Latisana reinen Tisch zu
machen, während [439] Hofacker geradewegs
gegen Westen weiterzumarschieren hatte, um womöglich doch noch, dem
ursprünglichen Plan entsprechend, in einem Zuge das Westufer des
Tagliamento zu gewinnen. Ein voller Erfolg blieb auch nach diesem
abgeänderten Plane nicht aus. Von der Gruppe Hofacker säuberte die
200. Infanteriedivision die Gegend von Dignano (aufwärts von Codroipo).
Die Württemberger der 26. Infanteriedivision warfen sich mit dem Bajonett
auf die zwischen Codroipo und den Brücken sich stauenden Italiener. Sie
drangen in der Nacht zum 31. an den Fluß vor und brachten 20 000
Gefangene und einen riesigen Geschützpark ein. Leider war es weder bei
Dignano noch bei Codroipo geglückt, Übergänge über
den Tagliamento zu retten. Die Italiener hatten diese, zum Teil vorzeitig,
gesprengt.
Die Divisionen der Gruppe Scotti drangen am 30. und 31. auf Latisana vor.
Gleichzeitig nahten, südlich von Udine und der Meeresküste entlang,
bereits die Spitzendivisionen der Heeresgruppe Boroević.
Feldmarschalleutnant Goiginger und andere Truppen stießen in den
Vorrückungsraum der Divisionen Scottis hinein, da auch
sie - südlich von Codroipo - eiligst den Tagliamento erreichen
wollten. Es gab mancherlei Reibungen zu beheben, die vermieden worden
wären, wenn die höheren Befehlsstellen eine bessere Übersicht
gehabt hätten. Aber die Nachrichten aus der ohne Aufenthalt
marschierenden Front waren über die Maßen spärlich und
vielfach auch widersprechend. Zudem war es den k. u. k.
Kommandos nicht immer geglückt, sich rasch genug auf den durch
italienische Geschütze und Fuhrwerke völlig verstellten
Straßen vorwärts zu arbeiten. Doch die Entschlußkraft der
Unterführer machte diese Mängel wett. Im Laufe des 30. legte sich in
der Linie San Giorgio - Mortegliano - Codroipo ein
eiserner Ring um die bei Latisana zusammengeballte Armee Aosta. Am 31. wurde
dieser Ring stärker zusammengezogen. Während die Heeresgruppe
Boroević von Osten her auf zwei Wegstunden gegen Latisana
vorstieß, drückte der Südflügel der 14. Armee links des
Tagliamento flußabwärts. Wohl hat ein durch die Verhältnisse
überholter Befehl Feldmarschalleutnant Goiginger gehindert, bei Madrisio
das Westufer des Fluges zu gewinnen und sich mit seinem Korps auf diesem
südwärts in den Rücken von Latisana zu werfen. Der
Tagespreis war jedoch auch ohne dieses Manöver groß genug. Binnen
48 Stunden streckten italienische Streitermassen in der Stärke von
2 - 3 Armeekorps die Waffen.
Der österreichische Generalstabsbericht schließt am 1. November
seinen Rückblick auf die Ereignisse mit den Worten:
"...Solcherart hat die 12.
Isonzoschlacht in achttägiger Dauer zu einem über alles Maß
glänzenden Erfolge geführt. Die österreichischen
Küstenlande sind befreit, weite Strecken venezianischen Bodens liegen
hinter den Fronten der Verbündeten. Der Feind hat in einer Woche
über 180 000 Mann an Gefangenen und 1500 Geschütze
eingebüßt..."
[440] Kaiser Karl rief in
einem am 2. November erlassenen Armeebefehl seinen Truppen gehobener
Stimmung die Worte zu:
"Meine und meiner treuen
Verbündeten Streitkräfte stehen tief in Feindesland. An den
Wachtfeuern in Friaul leben für meine Wehrmacht stolze Erinnerungen
wieder auf, Erinnerungen an längst vergangene Ruhmesepochen, in denen
die soldatische Jugend meines unvergeßlichen Großoheims, des
Kaisers und Königs Franz Josef, wurzelte und die von den Namen meiner
Altvorderen Karl und Albrecht und vom Andenken Radetzkys nie und nimmer zu
trennen sind. Der Geist dieser Großen, der in meiner Wehrmacht fortlebt,
möge uns auf der Bahn des Erfolges weiterleiten, auf der allein meine
Völker den von aller Welt ersehnten Frieden gewinnen
können...."
|