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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[408] Kapitel 18: Die elfte Isonzoschlacht
Generalmajor Anton Ritter von Pitreich

Emsig waren die am Isonzo einander gegenüberliegenden Armeen im Sommer 1917 an der Arbeit; leider jedoch mit recht ungleichem Effekt. Der Angreifer schöpfte personell wie materiell aus dem Vollen. Beim Verteidiger zeigte sich hingegen bei der Deckung aller notwendigen Bedürfnisse immer mehr die bitterste Not. Dringend war die Herrichtung und Ausgestaltung der Stellungen von Bainsizza für die Erfordernisse des Großkampfes. Man mußte Anmarschwege herstellen und der Wasserarmut steuern, da es sonst überhaupt nicht möglich war, größere Massen zu verwenden. Doch das eifrigste Bestreben, der Truppe möglichst günstige Kampf- und Lebensbedingungen zu schaffen, stieß überall auf Mangel an Mannschaft und Kriegsmitteln. Mit eiserner Energie wurden wohl alle innerhalb der Armee verfügbaren Kräfte vorgenannten Zwecken dienstbar gemacht. Sie reichten aber nicht im entferntesten an die vielfachen Bedürfnisse heran. Um die Menschen vor den ärgsten Hungerqualen zu bewahren, mußte ein weiterer Teil des kostbaren, unersetzlichen Pferdebestandes, wiewohl er sich in Anbetracht des durchwegs gebirgigen Charakters des Kriegsschauplatzes auch nicht annähernd durch Kraftwagen ersetzen ließ, geopfert werden. An letzteren herrschte absoluter Mangel. Die Industrie der Heimat vermochte mit den ständig wachsenden Bedürfnissen nicht Schritt zu halten. So war die Armee zu allen Nöten auch noch nahezu völlig unbeweglich geworden. Eine Batterie auf den Felsplateaus in Stellung zu bringen, wurde zu einer besonderen Affäre. Mühsam mußten die Geschütze mit Kraftwagen herangeschleppt und sodann mit ganz entkräfteten Bespannungsaushilfen an den Ort ihrer Verwendung geschafft werden. Das Munitionieren der Batterien gestaltete sich auch nicht viel einfacher. Schließlich mußte für alle diese Dinge in unverhältnismäßiger Weise Menschenkraft in Anspruch genommen werden, die für andere dringende Arbeiten verlorenging. So wurde das sattsam bekannte "System der Aushilfen" immer charakteristischer für die Kriegführung der k. u. k. Armee. Darin war sie - nolens volens - Meisterin geworden. Nur ein Faktor war noch immer hoch erhaben über alle physischen Mängel der Isonzoarmee: Das war ihr gesunder kriegerischer Geist, ihre Moral und ihre Disziplin, die allen noch so drohenden Anfechtungen von außen und von innen her unentwegt standhielten. Keine der vielen Nationen der Mon- [409] archie - und in der Isonzoarmee waren damals alle vertreten - gab zu jener Zeit auf diesem Kriegsschauplatz Anlaß zur Klage; alle standen (Ausnahmen, wie sie keine Armee verschonten, konnten daran nichts ändern) todesmutig und treu hinter ihren Führern; in dieser Hinsicht ließ das Kriegsinstrument an Schärfe nichts zu wünschen übrig. Darin lag die Stärke der Armee, ihre jahrelange Überlegenheit gegenüber dem Feinde.

Bereits anfangs August 1917 schienen neuerliche Angriffsvorbereitungen so weit gediehen zu sein, daß täglich mit dem Beginne der elften Schlacht zu rechnen war. Unzweifelhaft erstreckten sich diesmal die feindlichen Vorarbeiten weiter nach Norden. Wieder schien ein schwerer Ansturm auf die Hochfläche von Bainsizza bevorzustehen. Vom 7. August an wurde die feindliche Artillerie in diesem Raume rühriger. Immer kräftiger wirkten die schweren Kaliber gegen das Cepovantal und die wenigen, aus dem Baca- und Idriatale auf die Hochflächen führenden Wege. Bald reihten sich im planmäßigen Zerstörungswerk feindliche Bombengeschwader an die Seite der Artillerie. Von Tag zu Tag vermehrte sich die Zahl der feindlichen Überläufer: - das sicherste Zeichen für den nahen Schlachtbeginn. Am 17. August waren die Vorbereitungen sichtlich bereits derart weit gediehen, daß stündlich mit dem Angriffsbeginn gerechnet werden konnte. Im Laufe des Nachmittags verstärkte sich das feindliche Feuer wesentlich. Höchst bedauerlicherweise gestattete Knappheit der Munitionsbestände dem Verteidiger diesmal nicht, die augenscheinlichen Angriffsvorbereitungen ausreichend zu stören. Man mußte auf eine Dauerschlacht gefaßt sein, und da hieß es, mit der Munition vorerst möglichst sparen, um überhaupt durchhalten zu können. Was hatte im Laufe des langen schweren Krieges die k. u. k. Armee infolge aufgezwungener Sparsamkeit nicht alles mit ihrem Blute zu bezahlen!

Am 18. August bei Morgengrauen begann die elfte Isonzoschlacht. Der Besuch Poincarés in Rom, der Namenstag der Königin, der unerschütterliche Glaube der Führung, daß die nun entwickelte äußerste militärische Kraftentfaltung doch endlich einmal den heiß ersehnten Sieg bringen müsse: - alles dies wirkte zusammen, die unleugbar bereits stark kriegsmüden italienischen Massen zu höchster Leistungsfähigkeit anzuspornen. Nichts sollte unversucht gelassen werden, um diesmal endlich den Erfolg in unzweideutiger Weise an die italienische Trikolore zu knüpfen. Aus über 70 km breiter Front richteten Tausende von Feuerschlünden aller Kaliber 24 Stunden ununterbrochen den dichtesten Hagel von Geschossen gegen die Stellung vom Mrzli vrh nördlich Tolmein bis hinunter zur Meeresküste und gegen den ganzen, im Wirkungsbereich der weittragenden Geschütze gelegenen Raum hinter der Kampflinie. In richtiger Einschätzung der Sachlage hatten die Frontdivisionen des Verteidigers glücklicherweise noch rechtzeitig ihre Alarmgruppierung in den Stellungen einzunehmen gewußt. Dort erwarteten sie in höchster Spannung und [410] Kampfbereitschaft den Augenblick, in dem ihnen der Nahkampf eine vorübergehende Erlösung von den nervenzerrüttenden Qualen dieses Höllenfeuers bringen sollte. Lange, bange Stunden mußten die Truppen, in Gräben und Kavernen zusammengepfercht, verbringen. In kürzester Zeit hüllte sich die ganze Front in undurchdringlichen Rauch und Staub. Die Verbindungen zu den vordersten Linien waren fast durchwegs zerstört. Optische Signale und Fliegerbeobachtung vermochten die durch die feindlichen Geschosse aufgewirbelte Maske größtenteils nicht zu durchdringen. Die Abwehrartillerie kargte nicht mehr mit ihrer Munition; es war eine Artillerieschlacht von noch nicht erlebter Heftigkeit und Großartigkeit. Nach stärkstem Trommelfeuer trat im Morgengrauen des 19. August in über 50 km breiter Front die italienische Infanterie in den Entscheidungskampf. Von Plava abwärts bis zur Küste hielten die zähen Verteidiger in altgewohnter Weise erfolgreich stand, doch nördlich dieser Schlachtfront wurde das XXIV. Korps General der Infanterie Lukas mit einem Schlage in eine recht unangenehme Lage versetzt. Unter dem Schutze eines mehrstündigen, gegen die Uferstellungen und die Talhänge abgegebenen, mit ausgiebiger Vergasung verbundenen Trommelfeuers überschritten die Italiener mit ausreichenden Kräften im Laufe der Nacht den Isonzo in der Gegend von Roncina gleichzeitig an mehreren Stellen. Bald waren die am Ufer befindlichen schwachen Sicherungsabteilungen überwältigt. Rasch und energisch suchte der Feind am linken Ufer Raum zu gewinnen. Konstantes, gegen die Talhänge gerichtetes Massenfeuer machte jeden Gegenangriffsversuch der auf dem Höhenrücken des Vrhmassivs bereitgestellten Reserven der 21. Schützendivision Generalmajor Haas undurchführbar. Bereits in den ersten Nachmittagsstunden brachten feindliche Abteilungen sowohl den südwestlichen Rand der Hochfläche von Lom wie den Nordwestrand jener von Bainsizza in ihre Hand. In der Linie Morsko - Vrh vermochten die letzten Kräfte der arg zusammengeschmolzenen 21. Schützendivision den rechten Flügel der südlich hiervon im schwersten Kampfe stehenden Hauptkraft des Korps bis zum Eintreffen der als Eingreifdivision auf dem Plateau von Bainsizza bereitgestellten 24. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant v. Urbarz zu schützen. Reste einzelner Kompagnien hielten sich noch an der von Auzza gegen Südwest zum Vrh ansteigenden Rückenlinie; ebenso leisteten vereinzelte kleine Abteilungen auf dem Lomplateau tapferen Widerstand. Schon drohte dem Tolmeiner Brückenkopfe von Süden her Gefahr, die zu bannen nur mehr ein einziges Regiment, das Schützenregiment 37 in Slap, zur Verfügung stand. Eilends hastete es auf das Lomplateau. Stieß nun der Feind, gegen Ost ausbiegend, auf die Verbindungen des XXIV. Korps, so konnte ihm überhaupt kein nennenswerter Widerstand mehr entgegengesetzt werden. Die Lage war unzweifelhaft höchst kritisch. Und während dieses Ungemach im Norden der weit ausgedehnten Schlachtfront immer drohender wurde, hielt das Gros der [411] Armee in 40 km Front allen noch so heftigen und den ganzen Tag sich wiederholenden schweren Angriffen in aufopferungsvollster Weise stand. Überall brach der Ansturm bis zum Abend vollständig zusammen. Nur bei Versic auf der Karsthochfläche mußte auch nachtsüber um die Stellung gerungen werden. Selbst vom Meere aus hatte der Feind diesmal getrachtet, in den Gang der Schlacht einzugreifen. Die Lagunenbatterien der Sdobba hielten das Hintergelände der Hermada und den Küstenstrich bis Opcina kräftig unter Feuer. Auch einige feindliche Schiffe versuchten von der See aus zu wirken und gaben einzelne Schüsse auf Triest ab. Die Küstenartillerie wußte sie aber von einem nachhaltigeren Eingreifen abzuhalten.

Am nördlichen Flügel der Angriffsfront verstand der Feind seinen Anfangserfolg rasch auszunutzen. Bereits am 20. August waren über zwei Divisionen nächst Roncina auf das östliche Isonzoufer gelangt. Eine durch Gebirgsartillerie verstärkte Brigade breitete sich auf der Hochfläche von Kal aus. Zähe und tapfer suchten ihn dort die wenigen Gewehre des Verteidigers aufzuhalten und in der Linie Log - Mesnjak - Levpa neuen Widerstand zu organisieren. Vor dem 22. August, an welchem Tage sechs aus Tirol und Kärnten anrollende Bataillone dort einlangen konnten, war jedoch an eine Kräftigung dieser neuen Widerstandslinie nicht zu denken. Ebenso schütterer Widerstand wurde von Truppen des XXIV. Korps im Nordteil der Hochfläche von Bainsizza eingeleitet. Zur Verstärkung war die 78. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Ludwig Goiginger aus dem Wippachtale im Anmarsche. An ein Eingreifen dieser war aber vor dem 23. August nicht zu rechnen. Am schärfsten machte sich der feindliche Druck zunächst am östlichen Talhang des Isonzo in direkt südlicher Richtung geltend. Dort schützte das Schützenregiment Nr. 7 die unmittelbar bedrohte rechte Flanke seiner Kameraden. Angesichts der am linken Talhang nördlich Morsko und im Raume von Vrh rasch zu überwältigender Stoßkraft anwachsenden feindlichen Massen und der gleichzeitigen Anstrengungen des Feindes im Raume Vodice - 652 war an eine nachhaltige weitere Verteidigung der Isonzostrecke Morsko - Descla um so weniger zu denken, als es im Laufe des 22. August dem Feinde auch noch gelang, die bereits stark zusammengeschmolzenen Linien des Verteidigers bei Jelenik zu durchbrechen und auf Bate vorzustoßen. Dort vermochte am Abend dieses Tages die eben eintreffende Tete der 73. Infanteriedivision dem Feinde Halt zu gebieten. Bitter rächte sich bei den Kämpfen dieser Tage die notgedrungene Bewegungslosigkeit der Artillerie des Verteidigers, die der im freien Gelände schwer ringenden Infanterie die unentbehrliche Unterstützung nicht zukommen lassen konnte. Vier Tage und Nächte hatten die Italiener nunmehr bereits Zeit gehabt, ihre im Raume Canale - Vrh am linken Isonzoufer versammelte und sich ständig verstärkende Kraftgruppe zu entscheidendem Handeln zu befähigen. Geradezu stündlich war deren überwältigendes Eingreifen zu gewärtigen; waren [412] doch bereits sieben feindliche Divisionen in diesem Raume festgestellt. Diesen gegenüber standen ebenso lange die Reste der 21. Schützendivision und der 106. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant Kratky, der dringendsten Artillerieunterstützung entbehrend, in nahezu ununterbrochenem Kampfe! Die Lage des Verteidigers wieder zu seinen Gunsten zu bereinigen, reichte auch die 73. Infanteriedivision nicht mehr aus. An eine weitere Verstärkung dieses bedrohten Flügels war aber in absehbarer Zeit nicht zu denken. Wollte man nicht das auch an seinem Südteil im Raume 652 - Monte Santo schwer ringende XXIV. Korps und damit die ganze Armeefront einer schweren, nicht mehr gutzumachenden Schlappe aussetzen, so blieb nichts anderes übrig, als, gestützt auf den Monte San Gabriele, die ganze Front des XXIV. Korps zurückzuverlegen. Der Moment, in dem die höhere Führung in unzweideutigster Weise in den Gang der Ereignisse radikal eingreifen mußte, war hiermit gekommen. Noch ein kurzes Zuwarten - und die Schlacht wäre endgültig verloren gewesen! So faßte der Armeekommandant den schweren Entschluß, die Räumung des Westrandes der Hochfläche von Bainsizza und hiermit auch des Monte Santo anzubefehlen. Die Verworrenheit der Kampflage, das Bewußtsein, noch Tage lang auf das Eintreffen ausreichender Verstärkungen warten zu müssen und der Mangel einer genügend ausgebauten Stellung im Ostteile der Hochfläche legten ursprünglich den Gedanken nahe, die Front hinter das Cepovantal zurückzunehmen. Eine zuversichtlichere Beurteilung durch die Unterführer, namentlich den Feldmarschalleutnant Goiginger, dann die Schwierigkeiten des Rückzuges über das tiefeingeschnittene Tal ließen schließlich eine weniger durchgreifende und mit Rücksicht auf die folgenden Ereignisse wesentlich günstigere Lösung finden.

Mit Mühe gelang es im Laufe der Nacht, die bei Descla am Isonzo verbliebenen Truppen auf den Höhenrand zurückzuführen. Am 23. August wurde im Raume Bodice schwer gekämpft. Buchstäblich bis zum letzten Manne sich aufopfernd, verblieben die zähen Truppen, unter denen sich die Egerländer Nr. 6 wieder besonders auszeichneten, im Besitze ihrer Kampflinie, bis diese im Laufe der Nacht auf den 24. August auf höheren Befehl verlassen werden mußte. Planmäßig und durch den Feind nicht im mindesten behelligt, erfolgte in dieser Nacht die Rückverlegung der Verteidigung in die Linie Mesnjak - Kal - Vrhovec - Madoni - Zagorje - Monte San Gabriele. Kräftigst bearbeitete der Feind von Tagesanbruch an den verlassenen Kampfplatz mit seiner Artillerie und seinen Minenwerfern weiter. Um 10 Uhr vormittags setzte er zum Angriff auf Vodice und Kobilek an und stieß hierbei, der Artillerie des Verteidigers ein vortreffliches Ziel bietend - ins Leere. Hierauf trat endlich mit Rücksicht auf die über Nacht geänderte Lage eine Kampfpause und hiermit eine vorübergehende, für die Isonzoarmee sehr willkommene Entspannung ein. Handelte es sich doch vor allem wieder einmal um Zeitgewinn, bis die nun von allen Seiten heranrollenden Verstärkungen eingelangt sein konnten.

[413] Schwer, aber durchaus erfolgreich war während dieser Tage auch in den südlichen Abschnitten der Isonzoarmee gekämpft worden. Namentlich bei und südlich Kostanjevica bis zum Meere hatte sich ein Großkampf von beispielsuchender Intensität entwickelt. Es würde zu weit führen, das hohe Lied all jener zahllosen Helden zu singen, die dort die Waffenehre der alten ruhmreichen k. u. k. Armee zu erhalten und zu vergrößern wußten. Als die Italiener endlich die Fruchtlosigkeit all ihrer Bemühungen zur Erzwingung des direkten Zuganges auf Triest einsahen, stellten sie - offenbar im Zusammenhang mit der anscheinend günstigen Entwicklung am Nordflügel der weiten Schlachtfront - am Abend des 23. August das weitere Blutvergießen südlich der Wippach ein. Im Wippachtale selbst war es schon vom 22. August an wieder ruhiger geworden.

Durch die Rückverlegung der Widerstandslinie auf den Hochflächen von Kal und Bainsizza war die Schlachtenkrise noch keineswegs überwunden. Es schien mindestens sehr fraglich zu sein, ob die nahezu jeder fortifikatorischen Ausgestaltung entbehrende neue Kampflinie dauernd oder doch bis zum Einlangen nennenswerter Verstärkungen, die sich nicht vor dem 29. August fühlbar machen konnten, von den seit Schlachtbeginn im schwersten Kampfe gestandenen Resten von knappen fünf Divisionen - nur die 73. Infanteriedivision konnte noch als vollkräftig bezeichnet werden - würde gehalten werden können. Es ist ein wesentliches Verdienst des Feldmarschalleutnants Goiginger und des bald darauf das Abschnittskommando übernehmenden Generals der Kavallerie Fürsten Schönburg-Hartenstein, daß sofort nach dem Beziehen der neuen Linie mit Ernst und Energie dahin gearbeitet wurde, aus dieser zuerst nur als Provisorium gedachten Linie eine Dauerstellung zu schaffen. Da der Feind vorerst nur vorsichtig folgte, bot er die Möglichkeit, den schwer erschöpften Truppen endlich wieder einmal eine ungestörtere Nachtruhe gönnen und das Artilleriesystem der Abwehr wenigstens in seinen Grundlagen neu gestalten zu können. Als er dann in der Nacht auf den 26. August die ersten ernstlichen Versuche unternahm, die neue Widerstandslinie zu durchbrechen, mußte er die Erfahrung machen, daß es sich keineswegs nur um Verfolgung weichender Truppen handle. Je kräftiger und energischer er in weiterer Folge an die neue Linie anpochte, desto mehr wuchs deren Widerstand. Auch die Schleusen des Himmels hatten sich inzwischen geöffnet und der quälendsten Wassernot ein Ende bereitet. Nun nutzte dem Italiener das Vorziehen der Angriffsartillerie nichts mehr; die artilleristische Abwehrkraft des Verteidigers war bereits in gleicher Weise gewachsen. Immer heftiger wurden in den nächsten Tagen die Anstürme des Feindes an der ganzen langen Kampflinie, schärfster Großkampf, der sich mit aller Macht und aller Entschlossenheit auf dem neuen Kampfplatze abspielte. Der Widerstand des Verteidigers hatte sich indessen gefestigt und war dank der nicht genug rühmenswerten Haltung der tapferen Truppen nicht mehr zu brechen. Erst in den allerletzten Tagen [414] dieses Monats erlahmte die Angriffslust auch im Raume nördlich des Monte San Gabriele; der Feind begann sich systematisch einzugraben.

Hiermit nahm die 11. Isonzoschlacht ihr Ende. Um diese Zeit - es war der 1. September, der erste Tag, an dem der ganzen Front nach langem Kampfe endlich nahezu wieder volle Ruhe beschieden war - kam dem Kommando der Isonzoarmee, das inzwischen infolge seines wesentlich vergrößerten Machtbereiches zum "Heeres-Gruppenkommando Generaloberst v. Boroević" erhoben worden war, dem künftig die 1. und 2. Isonzoarmee (Generaloberst Wurm und General der Infanterie v. Henriquez) unterstehen sollten, frohe Kunde zu. Endlich sollte auch der lang und schwer geprüften Isonzofront die heiß ersehnte Stunde der Erlösung aus den fortgesetzten Nöten der lähmenden Abwehrschlacht schlagen. Der Gedanke eines kraftvollen Vorstoßes in dem Raume von Karfreit zur dauernden Entlastung der Isonzofront hatte greifbare Formen angenommen. Ehestens, noch im Laufe des Herbstes, bevor die höher gelegenen Kampflinien das drittemal in Schnee und Eis erstarren würden, sollte der Traum zur Wirklichkeit werden.

Nur an einem Brennpunkte der Front fand das blutige Ringen noch durch Wochen hindurch seine Fortsetzung. Das war auf dem heißumstrittenen Monte San Gabriele. Die Schwere der Kämpfe auf diesem kahlen Bergmassiv, die ungezählten Opfer aus allen Himmelsstrichen des langgestreckten Italiens, wie so mancher Länder der alten Monarchie, die unsäglichen Leiden seiner Angreifer wie seiner Verteidiger bilden ein Kapitel Psychologie des Krieges für sich. Je enger die Grenzen des dortigen Kampfbereichs wurden, in dem sich auf Seite des Verteidigers insbesondere deutscherbländische Truppen, die Infanterieregimenter 14 und 87, sowie das Feldjägerbataillon 9, ferner die der 20. Honved-Infanteriedivision angehörenden braunen Söhne der Pußta unvergängliche Lorbeeren holten, desto wüster und geradezu unmenschlicher wurde der Charakter des Streites um diese vom Geschoßhagel ganz durchwühlte, ständig von Moderduft umzogene Felskuppe. Hier zeigte es sich, was Nervenkraft durchzuhalten imstande ist. Keine der beiden Parteien ließ locker, die sich geradezu ineinander verkeilten, bis sie die Ereignisse, die der ganzen Kriegslage eine gründlich geänderte Wendung geben sollten, endlich trennten.

Eine lebendige Schilderung eines Ausschnitts aus dem blutigen Ringen um den Monte San Gabriele, gleichzeitig eine anschauliche Charakteristik des Isonzoringens, gibt ein Mitkämpfer, Oberstleutnant Heinrich Sauer des oberösterreichischen Infanterieregiments Großherzog von Hessen Nr. 14:1

      "Am 7. September erreichten wir Cernizza, nach beschwerlichem Marsche, bei einer ganz höllischen Temperatur. Die Richtung, in welcher das Regiment [415] marschiert, wird immer fataler - der Blutberg Gabriele zieht uns unwiderstehlich an. Durchlaucht Schönburg, unser Korpskommandant, hat das Regiment extra für die Wiedereroberung des Monte Gabriele erbeten. Wir sollen am Osthange des Monte Daniele bei Pri Peči bereitgestellt werden - der Anmarsch ist schwer, liegt ständig im heftigsten Artilleriefeuer und ist im letzten Drittel vergast, kein Wasser usw.
      Nun beginnt der bitterböse Ernst. Alle Fuhrwerke und Steine werden zu Schreibtischen - jeder denkt noch an seine Lieben, und um 8 Uhr 30 Minuten abends marschiert das Regiment in Reihen ab. Die Straße, bedeckt mit knöcheltiefem Mahlstaub, ist verstopft mit Train, denn nur in der Nacht ist der Zuschub zur Front möglich. In den undurchdringlichen Staubwolken verschwindet der Mond. Ab Schönpaß stellenweise drei Kolonnen - die hochbepackte Mannschaft windet sich manchmal einzeln durch, die Kolonne reißt alle Augenblicke ab und hier und da begrüßt uns ein Schrapnell, hoch in den Lüften explodierend. Von der Front dröhnt dumpf schwerster Kanonendonner und ein wahres Feuerwerk von Leuchtraketen sprüht über den Horizont. Um 11 Uhr nachts, oberhalb Loke, verschwindet das Regiment spurlos, und jedes Rufen, Pfeifen und Ordonnanzenherumschicken ist vergebens. Alles sucht ganz verzweifelt - mit dem Tage beginnt ja die Hölle! Ich erwische die Queue meines Bataillons an ganz unerwarteter Stelle und erreiche das Hochtal von Pri Peči. Mit den letzten Kräften wird der Osthang des Daniele erklettert und unter dem niederen Karstgebüsch, mit umgehängter Gasmaske, auf etwas Eichenlaub genächtigt. In der dritten Morgenstunde liegt das Bataillon im bleiernen Schlafe. Feuer machen, Zelte aufstellen, Rauchen verboten. Alarm- und Gasposten sorgen für die Sicherheit. Am jenseitigen Talhange zerplatzen die Granaten, doch das Gas verzischt unschädlich, und mit Glockenklang im Steinschlage kollern und springen die Riesenhülsen zu Tale. Das Regiment hält musterhafte Ordnung, auch in den folgenden Tagen bleiben die Hunderte so ruhig und gut gedeckt, daß keiner der feindlichen Flieger diese konzentrierte Menschenmasse entdeckt.
      8. September. Im merklich kühlen Morgen, obwohl nur in 600 m Meereshöhe, tut die Sonne wohl. Die Gegend zeigt Hochgebirgscharakter; das Terrain ist reinster Karst, trostlos und unbewohnt. Wir kampieren in dünnen Linien. Das feindliche Artilleriefeuer auf unser Tal ist sehr mäßig, aber von schwerstem Kaliber und hält den ganzen Tag an. Trotzdem zerrt es an den Nerven, weil die aus riesigen Höhen herabstürzenden Geschosse jedem das Gefühl des Getroffenwerdens vortäuschen und aller Berechnung spotten.
      Am 9. September um 10 Uhr abends erfolgt der erste Gasangriff. Das Wäldchen widerhallt von dem Einklatschen der schweren Granaten, und pfauchend und zischend entweicht das Gas. Unheimlich, grausig wirkt dieses entsetzlichste aller Kriegsmittel, Alarmrufe, gellende Pfiffe bringen die todmüde Mannschaft doch hoch. Nur eine Vergiftung und zwei Verwundete sind zu beklagen.
[416]      Die beiderseitige Fliegertätigkeit ist außerordentlich lebhaft. Der Seilbahnhof mit der Anmarschstraße liegt im schwersten Feuer, die Leute kommen erschöpft und leer zurück. Die Reibungen beginnen. In diesem Brennpunkte der Schlacht sind alle Verhältnisse unglückselig. Nur der Train funktioniert, die Leute bekommen eine reichliche Menage und etwas Alkohol.
      10. September. Der Tag schwindet in fieberhafter Tätigkeit. Der viel zu kompliziert geplante Angriff, der aus einer Haupt- und Nebenaktion mit mehreren Infanteriewellen besteht und mit einer an und für sich schwierigen Ablösung noch verquickt ist, wird mit den Kompagniekommandanten, Sturmpatrouillekommandanten auf Grund von Skizzen besprochen, welche bezüglich ihrer Richtigkeit das höchste Mißtrauen einflößen. Wer sollte sich auch auf dem Monte San Gabriele, diesem Moloch, auskennen, der heiß umstritten, alle drei bis vier Tage ein Regiment verschlingt und gewiß, wenn auch nicht eingestanden, vielleicht täglich den Besitzer wechselt? Am Nachmittag besucht uns der Korpskommandant Fürst Schönburg. Er hat den Blutweg nicht gescheut, um die Bataillone noch einmal zu sehen und die Mannschaft zu sprechen. Wie gewöhnlich kommt er allein, nur von einem Führer begleitet. Er spricht ernste und gütige Worte, läßt die Bataillonskommandanten nicht im Zweifel, warum dieses Opfer verlangt werden muß und was von der Wiedereroberung und Behauptung des Gabriele alles abhängt.
      Ich kann wohl behaupten, daß wir alle nach dem Besuche beruhigter an die Ausführung der tödlichen Aufgabe schritten. Das Bataillon hatte um 7 Uhr abends den Anmarsch zu beginnen. Zwei Stunden früher in die Stellung befohlen, mache ich mich mit meinem Adjutanten Leutnant Frauendorfer schweren Herzens um 5 Uhr nachmittags auf den Weg. Der ist ganz entsetzlich. Als wir uns dem Sattel Höhe 408 nähern, über welchen die vorzügliche Straße vom Ternovaner Walde in das liebliche Wippachtal nach Görz führt, setzt das feindliche Artilleriefeuer ein, das heißt richtiger gesagt, dort hört es niemals aus, kann niemals aufhören, denn diesen eminent wichtigen Punkt, in bezug auf die Verbindung, mußten ja die Italiener Tag und Nacht unter Feuer halten. Das Karstterrain ist dort buchstäblich zerfetzt, unbeerdigte Leichen und Pferdekadaver liegen herum, kein lebendes Wesen, kein Rauch verrät hier menschliche Stätten. Der Ort mag als Vorhölle für den Gabriele seine Berechtigung haben, aber als Standpunkt für ein personell zahlreiches Abschnittskommando ist er übel gewählt.
      Wir springen durch die Steine, durchklettern Dolmen, ununterbrochen brausen die Batterielagen heran, und solange die Kräfte reichen, sucht man wohl einen Steinblock als Deckung. Wir liegen sogar einmal hinter einem stinkenden Pferdekadaver, doch endlich ist die Verbindungskaverne erreicht, nach kurzer Rast wird der Sattel überschritten, und im wohltuenden Bergschatten des Gabriele, mit einem kundigen Führer versehen, beginnt der zweite Teil, der [417] eigentliche Aufstieg. Die Dunkelheit ist inzwischen hereingebrochen. Der vom Feind nicht eingesehene Osthang des Berges wirkt mit seiner Ruhe wohltuend, aber das ist nur ein Stückchen; wo der Weg auf dem Südhange weiterläuft, beginnt die Hölle wieder; der Eindruck wird durch die schmerzend helle Scheinwerferbeleuchtung verstärkt. Wir keuchen aufwärts - grausige Bilder überall, abseits gestellte, im Stiche gelassene Feldtragen mit Leichen, das Gelände besät mit weggeworfenen Gegenständen, und als das Schrecklichste: die in den Löß des Pfades hinein- und breitgetretenen Toten. Der Gabriele ist in ein blendendes Licht getaucht, von allen Seiten konzentrieren die Feinde ihre Apparate auf den Berg - sie sind starr, nicht einen Moment lassen sie von ihrem Opfer. Dunkelrot, gelb blitzen die Explosionen der schweren Geschosse und Minen, in den kurzen Pausen steigen Raketen in allen Farben gegen den Himmel, der dieses gewaltige, grausige Kriegsbild stahlblau überwölbt. Ununterbrochen kracht der Donner. Unter uns liegt Görz, schwarz, dunkel, nur von dem Mündungsfeuer der feindlichen Geschütze wie von Taschenlaternen auf Augenblicke beleuchtet. Wohin das Auge irrt, überall dieselben Lichterscheinungen, vom Monte Sabotin, der Podgora, den Ufern des Isonzo bis hinüber zu den Randbergen des Doberdoplateaus. Ein grandioses Bild, eine gewaltige Symphonie. Und wo sind die grünen Matten, die Edelkastanienwäldchen, die Nußbaumoasen des Gabriele? Zerstört, zerfetzt - wie in Krämpfen verzerrt ragen die Stämme mit dem verstümmelten Geäste gegen das Firmament.
      Doch weiter geht es - der Atem wird kurz - man stolpert mechanisch vorwärts, die Kraft, die Energie, den Lichtkegeln und besonders beschossenen Stellen auszuweichen, ist verbraucht - der Tod ist gleichgültig geworden. Das Dörfchen Bonetti wird passiert, da läuft jetzt unser stoischer Führer sogar, dort zeigt er den einzigen Brunnen, welcher den ganzen Abschnitt mit Wasser versorgt - das wütende Feuer der Italiener, der Kranz von Leichen um die Wasserstelle, wird begreiflich. Die erste Kaverne wird erreicht. Nach kurzer Atempause keuchen wir weiter, mit dem Rücken gegen Görz und steil hinan. Die Bilder werden immer gräßlicher, um 10 Uhr abends ist das Ziel erreicht. Das Zeitkalkül stimmt nicht, hätte um 7 Uhr 30 Minuten am Platze sein sollen. Eine Riesenkaverne mit drei Eingängen in beklemmend wüster Umgebung. Tief geht es in den Berg hinein, mächtig sind die Pölzungen, erstickend heiß die Luft, und die Höhle ist überfüllt mit Menschen. Ein Ventilator mit Handbetrieb surrt in ununterbrochener Bewegung. Mit den Taschenlaternen tasten wir weiter, überall Fetzen, altes Verbandzeug, am nackten Boden schlafende Soldaten, triefende Wände - alles glitschig und stinkend.
      Ich eilte in die nahe Stellung, doch zu orientieren gibt es in dem Chaos von Steinen, Draht und Leichen nichts. Das Scheinwerferlicht benimmt jede annähernd richtige Distanzschätzung. Der Graben bis auf wenige Reste total zerschossen, die wenigen Kavernen mit stehend aneinandergepreßten [418] Menschen gestopft voll. Da soll sich das Bataillon zum Angriff gruppieren? - Wenn es überhaupt bei diesem Feuer herauskommt! In die Kaverne zurückgekehrt, ist die Übergabe bald beendet - nun beginnt das martervolle Warten. Die Hitze wird unerträglich - wir legen die Oberkleider ab und sitzen schweißtriefend in dem durch unser Hinzukommen nun doppelt beengten Raum. In kurzen Pausen dröhnen die feindlichen Artillerieüberfälle in die Herzkammer der Kaverne. Treffer auf die Decke lassen den Bau erzittern. Als Beleuchtung dienen Erdwachskerzen - elendes, weiches, galizisches Zeug. Der quälende Durst nicht zu löschen, die Wasserstelle in Bonetti ist von Leichen verseucht, in der Kaverne selbst wird das von den Wänden rieselnde Wasser aufgefangen - eine Viertelstunde braucht man zu einer Feldflasche. Keine Telephonverbindung - manchmal funktioniert sie bis zum Nachbarabschnitte Sveta Katerina, der zirka vierhundert Schritte entfernt ist, von dort kann man mittels einer Lichtsignalstation mit der Brigade optisch verkehren, welche dem Regiment die Depeschen weitergibt. Also fast ein Kreis. Um 4 Uhr soll die Unternehmung beginnen. Die Unruhe treibt mich alle Augenblicke vor die Kaverne, nichts ist zu hören, nur das Artilleriefeuer tobt weiter. Das sind qualvolle Stunden. Es wird 11, - 12 Uhr nachts, 1, - 2, - 3 Uhr früh - mich hält es ununterbrochen draußen - von meiner Kolonne ist nichts zu hören.
      11. September. Wenn Major Malina den Hauptangriff zeitgerecht anfängt, wenn der Tag das Bataillon auf dem eingesehenen Hange erreicht, veranstalten die Italiener ein Scheibenschießen. Welch Unglück - nicht auszudenken. Dabei macht der Feind immer größere Feuerpausen. Seine Scheinwerfer haben nichts entdeckt, und er scheint für den Rest der Nacht beruhigt zu sein. 3 Uhr 15 Minuten früh - ich glaube schon die Morgendämmerung zu sehen und gehe resigniert in die Cheopskammer. Endlich.... die achte Kompagnie kommt, die sechste, die halbe siebente, ein Zug der fünften und die halbe Maschinengewehrkompagnie. Der Rest ist abgeirrt, verschwunden; Hauptmann Grundner, der Kommandant der 15. und 16. Kompagnie, meldet sich allein, meine Reserve fehlt.
      Der schmale Felsensteg vor der Kaverne wimmelt von Menschen - wenn die Italiener wieder zu orgeln beginnen, ist alles verloren. Die Morgendämmerung beginnt. Ein furchtbares Gedränge entsteht vor dem engen Laufgraben. Die Abzulösenden kommen. Doch alles quetscht sich durch. Um 3 Uhr 30 Minuten früh beginnen pünktlich 36 eigene Batterien aller Kaliber zu trommeln. Es rast über uns ein Eisenhagel. Da kann drüben nichts Lebendes mehr sein. Ich beobachte den Gabrielegipfel. Auch dort alles schwarz von Explosionswolken.
      Die große Artillerievorbereitung verpufft um 4 Uhr. Mit aller Energie gelingt es erst um 5 Uhr 15 Minuten früh, die Infanterie zum Angriff bereitzustellen. Fünf Viertelstunden Verspätung! Es ist für eine Überrumpelung zu hell. Ich bin ganz verzweifelt.
[419]      Doch die durch das Ausbleiben des Angriffes unmittelbar nach dem Trommelfeuer wieder beruhigten Italiener wurden überrascht. Ganz unglaublich! Das Umgekehrte meiner Befürchtungen ist eingetroffen - und grau bleibt alle Theorie. Die jungen Leutnants gehen schneidig vor, und die todmüden Hessen, wie immer von einer Bravheit und Tapferkeit, die einem das Wasser in die Augen treibt, stürmen todesmutig mit. Der Stützpunkt »Nord« wird glänzend genommen und ausgeräumt. Hauptmann Peternell, der südlich des Stützpunktes vorgeht, erbeutet 5 Maschinengewehre und nimmt zirka 100 Italiener gefangen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist auf dem Gabrielegipfel kein Gefechtslärm zu hören - telephonische Verbindung versagt - ich bleibe abgeschnitten von jedem Verkehr.
      Nun setzt aber feindlicherseits ein Feuerorkan ein, der wie ein ungeheurer eiserner Besen über die Erde fegt. Es klingt wie klirrende Scherben. Die Explosionswolken erzeugen eine fast nächtliche Dunkelheit. Die glasharten Kalksteine singen und federn durch die Luft. Ein betäubender Lärm erfüllt den Raum, jede Orientierung ist unmöglich, jede Leitung, Befehlsübermittlung usw. ausgeschlossen. Ein wirkliches Trommelfeuer - der Begriff wird vielfach mißbraucht - kann ja wegen des ungeheuren Munitionsaufwandes nicht alle Tage wüten - wirkt wie ein gewaltiges Naturereignis, lähmend, vernichtend, es kann in guten Kavernen erduldet werden - aber ein Disponieren mit der Mannschaft ist Schimäre. In solchen Momenten gibt es nur ein passives Ausharren - Überleben.
      Die Italiener stürmen, der Stützpunkt »Nord« geht vorübergehend verloren - wird wieder gewonnen, doch Hauptmann Peternell, den das italienische Vergeltungsfeuer besonders hart trifft - der in dem italienischen Grabensystem wie eine Rosine im Gugelhupf steckt, muß in seine Kaverne zurück und leider die ganze Beute im Stiche lassen. Das Vergeltungsfeuer läßt etwas nach, liegt aber den ganzen Tag über auf der Stellung. Der Angriff mit dem darauffolgenden Trommelfeuer, speziell der zweite Angriff, hat schwere Verluste gekostet, besonders bei der Maschinengewehrkompagnie 2. Meine Reserve, das halbe 4. Bataillon (Hauptmann Grundner), ist noch immer nicht eingetroffen, und so muß ich die in meiner Kaverne noch auf Ablösung harrenden zwei Kompagnien 23er Jäger mit ihrem Sturmzug, ausgezeichnete Leute, einsetzen. Mit ihrer Hilfe und mit der Maschinengewehrabteilung des 52. Infanterieregiments, welche ich ebenfalls wegen des noch fehlenden eigenen Halbbataillons zurückgehalten, wird ein versuchter Durchbruch der Italiener nördlich des Stützpunktes durch rein flankierende Wirkung abgewiesen.
      Gott sei Dank, daß die Ablösung vorüber ist. Nun hat auch meine Kaverne etwas Luft. Platz ist höchst notwendig. Verwundete schleppen sich heran. An einen Abschub nicht zu denken. Den furchtbaren Weg zum Sattel Höhe 408 legt niemand ein zweites Mal freiwillig zurück. Die verlassenen Tragbahren [420] mit den erschlagenen Verwundeten sprachen beim Aufstieg deutlich genug. Die gefangenen Italiener, wenigstens ein paar, müssen für die erste flüchtige Einvernahme noch einmal eingefangen werden, derartig ist bei ihnen der Drang, diesen Ort des Schreckens zu verlassen. Wie die Wiesel verschwinden die Entlassenen, die sich anschließenden Leichtverwundeten können ihnen nicht folgen. Der Abschub geht direkt ins Wippachtal.
      Die Situation bei uns wird langsam unhaltbar. Das feindliche Artilleriefeuer, zu großer Heftigkeit angeschwollen, liegt hauptsächlich auf den Verbindungslinien. Meine braven Leute versuchen wohl zehnmal, die anbefohlene Telephonverbindung mit dem Abschnittskommando herzustellen. Ausgeschlossen! Das wieder rasend gewordene Sperrfeuer duldet auch kein minutenlanges Funktionieren. So bleibt als letztes Verbindungsmittel das älteste: die Ordonnanz, der Mensch. Für diese Tapferen sind anerkennende Worte zu schwach. Der Gabriele ist für jede Truppe ein Probierstein: Was hinauf kommt, ist Gold. Und nun bewerte man die Ordonnanzen, die diesen Höllenweg oft zweimal im Tage geschritten. Viele kamen nicht mehr zurück; der Karstfelsen, hinter den sie sich sterbend schleppten, wurde ihr Monument.
      In der nachtschwarzen Kavernenhöhle stöhnen die Verwundeten und Sterbenden. In kurzer Zeit sind 60 Schwerverletzte notdürftig untergebracht. Willig und selbstverständlich machen die Gesunden Platz und gehen hinaus, das heißt in den sicheren Tod. Grausige Bilder in und außerhalb der Kaverne, wie sie keine Phantasie schreckensvoller ausmalen kann und die der Vergessenheit anheimfallen mögen. Die mit Verwundeten überfüllten Räume der Kaverne werden zu wahren Bleikammern. Wir schwitzen in dem Gestanke wie in einem Dampfbad. Bei den Kompagnien ist dieselbe Situation. Hiobspost auf Hiobspost. Speziell die schweren Minen kosten viele Leute; jedesmal glaubt man, nun muß die Kaverne einstürzen, so zittert der mächtig gepölzte Bau unter der Wucht der Einschläge. Die Nacht - die blendende Scheinwerferbeleuchtung läßt diese Bezeichnung deplaziert erscheinen - vermehrt die Unruhe. In der qualvollen Enge ist an ein Ausruhen nicht zu denken. Unendlich langsam verrinnen die Stunden. Die Front hält!
      12. September. 6 Uhr früh, wieder ein rasendes Artilleriefeuer, wir sehen die Sperrfeuerzonen bis in das Tal - alles wird schwarz von Sprengwolken. Doch ich bin wesentlich ruhiger. Hauptmann Grundner hat sein Halbbataillon teilweise glücklich wieder.
      Ein italienischer Feuerüberfall, dem kurz darauf lebhaftes Infanteriefeuer und Avantigeschrei folgt, erspart jede Situationsmeldung. Als noch ein braver Hesse in die Kaverne brüllt: »Außa, wer no zwa Händ' hat, die Katzinger san do!«, fährt alles aus dem Dachsbau, wie von der Tarantel gestochen. Ich humple mit, Hauptmann Grundner schießt rote Leuchtraketen ab und die brave Artillerie hält scharfe Wacht. Prompt reagiert sie - die schweren [421] Granaten sausen über den eigenen rechten Flügel - die Richtung der abgeschossenen Raketen wird richtig erfaßt. Oberleutnant Pernklau bringt die Reservemaschinengewehre rasch in Stellung, und der Angriff zerschellt. Wir bleiben draußen - ein Anblick fesselt und erregt jede Fiber. Um 6 Uhr 25 Minuten früh wird der Gabrielekamm, besonders die Höhe 552, schwarz - dort braust eine Feuerbora. Man sieht Silhouetten herumspringen, Hände hochheben und erbarmungslos schwerste Kaliber in sie hineinschlagen. Gruppen klettern vor und zurück, auch unsere Artillerie fetzt nun dort hinein. Immer wieder hüpfen die Püppchen ratlos herum, bis dunkle Rauchschwaden das Drama verdecken. Das stählerne Hagelwetter bedeckt den ganzen Gabrielerücken. Kein Mensch kennt sich aus, weiß, was das zu bedeuten hat, wir erfahren nichts von der Gruppe Malina, aber ein Kampf ist im Gange, ein Kampf tobt dort oben, von dessen Ausgang auch unser Schicksal abhängt. Den ganzen Tag werden auch wir mit heftigstem Feuer bedacht. Um 9 Uhr 45 Minuten vormittags weicht die Spannung großer Freude - wir sehen die Italiener, welche unter dem Berggipfel wie Ameisen herumkriechen, zurückfluten, und unsere Artillerie schießt ausgezeichnet hinein. Der Gedanke ist barbarisch, aber das passive Ausharren in diesem schrecklichen italienischen Feuer - die Unmöglichkeit, sich zur Wehr zu setzen -, das große Sterben ringsum tatenlos ansehen zu müssen - macht wild, haßerfüllt und grausam. Wir sind alle rotgelb wie die Indianer und kleben vor Schweiß und Schmutz. Um 10 Uhr 45 Minuten vormittags beginnt schweres Minenfeuer auf unsere Linie. Das Krachen ist erschütternd, der Luftdruck bis in das Innerste der Kaverne zu spüren. Um 11 Uhr 45 Minuten vormittags setzt ein Feuerwirbel von stärkster Intensität ein - wir erwarten einen italienischen Angriff, weil auch unsere Artillerie trommelt. Der Höllenspektakel flaut ab. Wieder sind schwerste Verluste zu beklagen. Nach den Meldungen der Kompagnien habe ich noch von den heraufgebrachten Leuten, einschließlich des halben 4. Bataillons, 26 Säbelchargen und 375 Mann, davon in der Stellung zwei Maschinen- und 250 Feuergewehre. Noch so ein Tag, und wir sind aufgerieben - ich bitte um zwei Kompagnien Verstärkung.
      4 Uhr nachmittags. Ein schwerer Minentreffer vor der Kaverne verlöscht die Kerze! Geschrei. Heulen! Gas! Feuer! - Finde meine Maske nicht, bin so stockheiser, daß ich meinen Diener Franz Dubowy, einen treuen und tapferen Deutschmährer aus Libau, nicht rufen kann. Grundner macht Licht. Fäuste trommeln an die Verschalung unserer Kammer - Hilferufe »es brennt«. Dicke Rauchschwaden ziehen herein! Gott sei Dank, es sind Explosionsdämpfe. Wir brechen die Wand durch, ziehen vier Mann zu uns - ihr Kavernenausgang ist mit Trümmern und Leichen verstopft. Die Mannschaft wird beruhigt - man schleppt einen ohnmächtigen Oberleutnant vom Infanterieregiment 52 herein, zwei Offiziere des gleichen Regiments mit Nervenschock stürzen in unser Gelaß. Das ist immer wieder ein nervenzerreißender Anblick. Das Chaos wird [422] entwirrt. 12 Tote und viele Verwundete hat die Mine gekostet. Die Leichen können nicht begraben werden. Dazu kommt die Nachricht, daß vom eroberten Stützpunkt »Nord« zwei Kavernen verlorengegangen sind. Die restlichen drei hält noch der Zugführer Failmayer, mit 15 Mann der 5. Kompagnie. Sorgen zum Verrücktwerden. Nachmittag kommt die herrliche Nachricht vom Regimente - der Freudenbote fällt leider auf dem Rückwege -, daß die Gruppe am Trigonometer 600 Italiener gefangen, ein Bombenerfolg, den ich sofort in die vorderste Linie weiterleite. Also jetzt ist die rechte Flanke, der heimtückische Berg sicher in unserer Hand. Alles ist hochgestimmt, Menage und Wein kommt auch, die brave Mannschaft hat die Portionen der armen Gefallenen und Verwundeten, also reichlich zu essen. Die Zuversicht steigt, die Elastizität der Hessen ist unglaublich. Auf kurze Zeit beunruhigt uns noch die rätselhafte Meldung, daß in der Gegend des Abschnittskommandos, also in unserem Rücken, Massen von Italienern ohne Gewehr sich vorwärts sammeln. Die Nachricht kommt von Sveta Katerina. Wir können den Nachbar bald beruhigen, denn das müssen ja die Gefangenen sein, und so war es auch selbstverständlicherweise.
      8 Uhr abends - werden acht Italiener vom Infanterieregiment Nr. 280 eingebracht. Ein naturalisierter Schweizer ist darunter, der uns so anschaulich das Elend gegenüber schildert, daß wir sogar Siegergefühle bekommen. Interessant ist, daß keiner von diesen Letztgefangenen, die allerdings erst am Vortage eingesetzt wurden, eine Ahnung hatte, daß sie am Monte Gabriele kämpfen. Der hat auch drüben ein böses Renommee, wie schon sein Name »Monte della Morte« besagt.
      13. September. Ich bin nicht abergläubisch im landläufigen Sinne, aber der 13. ist ein Unglückstag. Um 2 Uhr früh trifft die von uns angesprochene Unterstützung, zwei Kompagnien des Infanterieregiments 77 mit vier Maschinengewehren und einem technischen Zug unter Kommando des Hauptmanns Schubert, bei meinem Standpunkte ein. Ein starkes Gewitter bricht los, angenehm empfinden wir in der Treibhaushitze die erfrischende Kühle und die Wohltat, den ununterbrochen schwitzenden Körper trocken zu bekommen. Da gellt schon wieder der Ruf durch die dunklen Gänge: »Die Katzinger san da!« In drei Minuten ist alles alarmiert, Oberleutnant Pernklau bringt die nun reichlich vorhandenen Maschinengewehre in Stellung, Leutnant Frauendorfer und Hauptmann Grundner verschießen eine Menge Leuchtraketen. Das heftige Gewehrgeknatter am rechten Flügel wird von den eigenen Granaten verschlungen, und um 4 Uhr früh ist der italienische Angriff, im toten Raume des Gabrielesüdhanges, der gegen die Nordwestspitze dieses Berges zieht, glatt abgeschlagen. Nun werden Teile meines Bataillons vom Infanterieregiment 77 und der eigenen Reserve (4. Halbbataillon) abgelöst. Es ist ein Marterweg, im heftigen italienischen Vergeltungsfeuer, im grellen Lichte der feindlichen Scheinwerfer, ohne erkennbaren Steig, im Steingerölle, den die zwei Züge des Hauptmanns [423] Grundner antreten müssen. Der leichenbesäte Verbindungsgraben führt zu scheinbar unbehebbaren Stockungen, aber es muß sein, denn der Morgen naht, und dann ist jede Bewegung ausgeschlossen. Dreimal wird der Marsch angesetzt, die Mannschaft ist willig und brav - es sind erstklassige Soldaten. Die Ablösung gelingt. Die Sorgen erdrücken mich wieder, denn der Stützpunkt »Nord« ist unerreichbar. Schweres Sperrfeuer trennt ihn von der eigenen Linie. Es ist kaum zu glauben, da sitzt ein Unteroffizier mit elf Mann seit 11. September früh vollkommen isoliert vor der Front, lebt von italienischen Vorräten, erbeutet zwei Maschinengewehre, mit dem kompletten schießt er als ausgebildeter Maschinist selbst, denn er findet Munitionsverschläge und holt das Wasser von einer Quelle, welche auch die Feinde benutzen. Dabei bollert die eigene und die feindliche Artillerie in ihn hinein.
      Der Tag ist in der Stellung gegen die vorhergegangenen relativ ruhig. Das feindliche Feuer liegt auf der Kammlinie und wie immer auf allen Anmarschwegen. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Görz liegt schimmernd zu unseren Füßen - wir sehen das Meer. Mit der Wirklichkeit ein schneidender Kontrast, denn um uns ist ein schauerlicher Friedhof, der Geruch ist unerträglich, trotzdem die »Hessen« in der Kaverne fleißig Ordnung machen. Für diesen beispiellosen Stall gehört wahrhaftig ein Herkules.
      15. September. Niemand erwartet mehr die Ablöser, doch im letzten noch möglichen Augenblicke, um 3 Uhr 45 Minuten früh, erscheint die Tete der ersten Kompagnie. Um 4 Uhr früh passiert die erste eigene Kompagnie, Hauptmann Peternell muß noch einen Tag bleiben, weil die Sonne aufgeht. Um 3 Uhr nachmittags bekomme ich einen neuen Angriffsbefehl zur Rückgewinnung des Stützpunktes »Nord«. Ich melde und begründe die Unmöglichkeit, denn - Gott sei Dank - mein armes Bataillon ist schon weg und abgelöst. Herrlicher Sonnenschein macht das Leben wieder begehrenswert. Der Monte Gabriele erglänzt strohgelb umzuckt von Blitzen, als ob der Donnergewaltige leibhaftig oben säße. Taub und stumm wird der 16. September verbracht. In der Nacht vom 16. auf den 17. September erreicht mich ein neuer Auftrag der 18. Infanteriebrigade, mit zwei Kompagnien meines Bataillons den unglücklichen Stützpunkt »Nord« anzugreifen. »Sofort Befehle erteilen und Verfügtes melden.« Auf einer Munitionskiste arbeite ich die Disposition aus - das war die schwerste Bitternis, die Reste des Bataillons, welche zusammen vielleicht noch zwei Kompagnien ausgemacht hätten und schon im Lager Pri Peči rasteten, noch einmal anzusetzen - noch einmal in das Massengrab zu führen.
      Der Befehl wird widerrufen - ich kann am 17. September den Teufelsberg mit dem frommen Namen verlassen..."


1 [1/414]Aus dem trefflichen Kriegsgedenkwerk des Infanterieregiments Nr. 14: Ein Buch der Erinnerung an große Zeiten. Linz 1920. S. 282 ff. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte