Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 4: Die Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz
1917 bis März 1918 (Forts.)
Generalleutnant August Fortmüller
6. Der Winter 1917/18.
Die vor Verdun und im Laonnais geschlagenen Schlachten klangen beim
Einsetzen des Winters auf der ganzen Front der Heeresgruppe in eine
mehrmonatige Pause in den größeren Kampfhandlungen aus. Auf
beiden Seiten hatte eine tiefgehende Erschöpfung Platz gegriffen. Es
bedurfte, namentlich auf deutscher Seite, des Aufsammelns frischer Kraft,ehe
neue große Aufgaben und Ziele verfolgt werden konnten. Daraus ergab sich
eine zeitweilige Zurück- [225] haltung beider Gegner
um so mehr, als sie ihnen auch die gesamte
militärisch-politische Lage gleich wünschenswert erscheinen
ließ.
Die Heeresgruppe hatte das Jahr über auf ihren beiden Flügeln
Abwehrschlachten und ihnen nachfolgende Kämpfe, die wie eine
chronische Krankheit an ihr zehrten, nähren und gleichzeitig das Reservoir
für die mörderischen Kämpfe im Artois und in Flandern
abgeben müssen. Sie war auch 1917 fast immer nur "Amboß" und
sehr selten "Hammer" gewesen. Die Bilanz des Jahres schloß, wenn auch
die Vereitelung des Nivelleschen Durchbruchs als Gewinn zu buchen war, mit
einem Defizit ab. Es drückte sich in dem Verlust an wertvollem
Kampfgelände und in der besorgniserregenden hohen Verausgabung an
Kampfmitteln und Kampfkraft aus, von denen die letztere nicht mehr voll zu
beschaffen war. Den Truppen war, wie denen der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht, die "schwächste, opfervollste und nervenzerrüttendste
Form der Verteidigung, die Dauerverteidigung ohne großen
Gegenstoß," auferlegt worden, wie General v. Moser es nennt.27 Das hatte hier wie dort zu einem mit
der Zeit immer fühlbarer werdenden Niedergang der moralischen
Widerstandskraft der Heeresverbände geführt. Ein weiteres
Ausharren in Kämpfen, wie sie das Jahr 1917 gebracht hatte, war von ihnen
nicht mehr zu erwarten.
Das war auch das Empfinden der höheren Führer. General v. Boehn
sprach sich dahin aus, daß die Infanterie die Verteidigung nicht mehr
aushalte, wenn der feindliche Angriff richtig vorbereitet sei, daß ein
sicheres Mittel zum Erfolg nur im eigenen Angriff erblickt werden könne,
bei dem, wirksame Artillerievorbereitung vorausgesetzt, selbst geringwertigere
Truppen ihren Mann stellen würden. Die Generale v. Gallwitz und
v. François machten in Eingaben geltend, daß mit dem
System der Abwehrschlachten gebrochen, das Heil wieder in der Offensive
gesucht werden müsse. Die auf die "Grundsätze für die
Führung der Abwehrschlacht" anfangs gesetzten Hoffnungen hatten sich
wie überall, so auch hier, nur bedingterweise erfüllt. Ob mit oder
ohne Vorfeld gekämpft wurde, die brutale Gewalt der feindlichen
Zerstörungsmittel hatte schließlich über die fein ausgedachten
taktischen Formen gesiegt. "Die Theorie der elastischen Verteidigung, die im
Laufe der Zeit eine weitere Ausgestaltung in der Schaffung von
Vorfeld- und Hauptkampfzone und in grundsätzlich verschiedener
Fechtweise der Truppe in diesen Zonen fand, hatte sich in ihrer praktischen
Anwendung nicht durchweg bewährt."28
General Ludendorff hat, wie er schreibt, sich "selbstverständlich durch
solche Stimmungen nicht treiben lassen".29 Er
entschied sich aus Gründen, die die Gesamtkriegslage eingab, um die
Jahreswende zum Großangriff im Westen. Die umfangreichen
Vorbereitungen dazu setzten ein. Sie nahmen alle
Kräfte der [226] Führer und
Truppen ganz in Anspruch und erfüllten ihren Geist mit neuem, frischem
Leben.
Die Ende Januar 1918 befohlene neue Befehlsgliederung an der Westfront schied
aus der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die 5. Armee aus, um mit der
Armee-Abteilung C der Heeresgruppe Herzog Albrecht die neue Heeresgruppe
Gallwitz zu bilden. Dagegen trat die 18. Armee (General der Infanterie
v. Hutier), vom linken Flügel der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht, zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz über.
Von Mitte Februar ab begann an mehreren Abschnitten der Heeresgruppe die
Kampftätigkeit wieder zuzunehmen. Es waren kurze Unterbrechungen der
Ruhe vor dem großen Sturm. Sie entsprangen mehr der Absicht
örtlicher Stellungsverbesserungen als der Notwendigkeit, neue Operationen
vorzubereiten.
Am 13. Februar, dem Tage, an dem die politische und militärische
Führung des Krieges im Großen Hauptquartier in Homburg mit dem
Monarchen über die Weiterführung des Krieges beriet, schritten an
der alten "Wetterecke" von Tahure in der
Ost-Champagne die Franzosen zu einem Handstreich gegen die Stellungen auf
den Höhen südlich des
Dormoise-Tales.30 Der Stoß richtete sich gegen die
von der 28. und der 51. Reserve-Division besetzten Abschnitte Tahure und Ripont
der Gruppe Dormoise (Generalkommando XXVI. Reservekorps, General der
Infanterie Freiherr v. Hügel) der 3. Armee. Am Vormittag setzte
starkes Artillerie- und Minenwerferfeuer gegen die inneren Flügel der
Divisionen ein; das Dormoise-Tal wurde vergast. Am Abend griff der Gegner
nach heftiger Feuersteigerung an. Es gelang ihm, bei der 28.
Reserve-Division auf etwa 1000 m Breite in die Hauptwiderstandslinie
einzudringen und sich darin festzusetzen. Bei der 51.
Reserve-Division blieb sie bis auf geringe Teile in deutscher Hand. Die Lage
konnte zunächst durch die Deutschen nicht geändert werden. Die
Divisionen hatten 5 Offiziere, 316 Mann verloren, darunter mehr als die
Hälfte an Vermißten.
[173]
Skizze 9b: Skizze des Kampfgeländes der Doppelschlacht an der
Aisne
und in der Champagne, linke Fronthälfte. [Vergrößern]
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Die 3. Armee erhielt von der Heeresgruppe Befehl, die verlorene Stellung
wiederzunehmen. Dazu wurden der Gruppe Dormoise zehn schwere Batterien und
zwei Heeres-Feldartillerie-Regimenter zur Verfügung gestellt. Am 18.
Februar wurde der Gegenangriff ausgeführt. Nach kurzer kräftiger
Feuervorbereitung griffen am Morgen acht Kompagnien der 28. und 51.
Reserve-Division an und nahmen im ersten Anlauf die Gräben. Um
10 Uhr aber unternahm der Feind mit sieben Bataillonen einen wuchtigen
Gegenstoß, der ihnen alles wieder entriß. Ein erneuter deutscher
Angriff am Nachmittag blieb ohne Erfolg.
Unter gründlichster Vorbereitung wurde am 1. März der
Gegenangriff wiederholt. Dem Feind durfte sein Geländegewinn nicht
überlassen bleiben, wenn auf die Dauer die Stellungen südlich der
Dormoise behauptet werden sollten. Ein ausgiebiges Gasschießen auf die
französischen Batterien erwies sich als sehr
wirk- [227] sam: die Zahl der im
Feuer stehenden nahm während der Vorbereitung andauernd ab. Den
Reserve-Regimentern 110 und 234 von beiden Divisionen gelang es, die ihnen
gesteckten Ziele überall zu erreichen, französische Gegenangriffe
abzuschlagen und sich zu behaupten. Die alte Lage war wiederhergestellt.
Am gleichen Tage brachte die 1. Armee westlich und östlich Reims ein
Erkundungsunternehmen zur Ausführung, das feststellen sollte, welche der
Stellungen, in denen sich der Feind nach der Tiefe gegliedert hatte, als
Hauptwiderstandslinie anzusehen sei und wie er seine Abwehr organisiert habe.
Die Artillerie der Gruppe Brimont begann um Mitternacht zum 1. März, die
der Gruppe Reims um 3 Uhr und die der Gruppe Prosnes um 6 Uhr,
die gegenüberstehenden Batterien planmäßig zu vergasen, ihre
Beobachtungsstellen einzunebeln und die Stellungen unter Störungsfeuer
zu nehmen. Am Nachmittag traten Stoßabteilungen gleichzeitig zum
Angriff an. Bei der Gruppe Brimont erreichten die Teile der 33.
Reserve- und der 213. Infanterie-Division nur die vorderste feindliche Linie; das
wirksame Sperrfeuer hielt sie vom weiteren Vordringen ab. Dagegen vermochten
die Abteilungen der 21. und 86. Infanterie-Divisionen beim Fort de la Pompelle
tiefer in die französischen Stellungen einzudringen und das noch mit
unbeschädigten Hohlräumen versehene Fort zu nehmen. Die
Sturmabteilungen der 105. und 227. sowie der 14. bayerischen
Infanterie-Division der Gruppe Prosnes drangen in dem
Höhengelände südwestlich Moronvilliers in einem Zuge bis in
die dritte feindliche Abwehrlinie ein und setzten sich in ihr fest. Wie
vorgesehen, räumten in der Nacht 1./2. März die Angriffstruppen aller
drei Gruppen die feindlichen Stellungen wieder und kehrten in ihre
Ausgangsstellungen zurück. Die erforderlichen Anhalte über die
Abwehrform des Feindes waren erbracht, gegen 150 Gefangene in der Hand der
Deutschen geblieben.
Im Höhengelände von Moronvilliers - Nauroy hatte diese
gewaltsame Erkundung die Gefechtstätigkeit neu angeregt. In der Gruppe
Prosnes führte am 12. März die 105.
Infanterie-Division (General Schaer) mit Teilen des Regiments 129, des
Sturmbataillons 1 und der Sturmabteilung der Division ein erfolgreiches
Patrouillenunternehmen durch, das 87 Gefangene einbrachte. Das
französische Artilleriefeuer hatte hier schon vom 10. März ab den
Charakter des Zerstörungsschießens angenommen. Am 14.
März verstärkte es sich gegen den Abschnitt Prosnes und den linken
Flügel der Gruppe Reims beträchtlich und zwang, sich zur Abwehr
eines großen Angriffs in Bereitschaft zu halten. Am späten
Nachmittag setzten aber nur Teilangriffe, und zwar am Carnillet, gegen den
Hoch-, Keil- und Pöhlberg ein. Sie wurden überall abgewehrt und
führten an keiner Stelle zu einer belangreichen Veränderung.
Dies waren die letzten größeren Kämpfe der Heeresgruppe vor
dem Eintritt in die "Große Schlacht in Frankreich". Bei der 18. Armee hatte
die Artilleriewirkung der Engländer, die den großen Angriff bei
St. Quentin erwarteten, im [228] März unter
gleichzeitiger sehr erheblicher Steigerung der Fliegertätigkeit zugenommen,
doch war es zu größeren Kämpfen nicht gekommen. Vor
Verdun blieb es bei kleinen Patrouillenunternehmungen beider Gegner. Eine der
bedeutenderen und erfolgreichsten dieser Zeit gelang am 20. März der
15. bayerischen Infanterie-Division (General Siebert). Sie stieß in
großer Breite westlich Bezonvaux bis in die
Brûle-Schlucht im Caurières-Wald hinab, hob den dort liegenden
französischen Bataillonsstab auf und brachte 10 Offiziere, 229 Mann an
Gefangenen ein.
Am folgenden Tage schritt das deutsche Heer zu dem ersten großen Angriff,
an dessen Einzelschlachten die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz in
hervorragendem Maße beteiligt war.
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