Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 4: Die Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz
1917 bis März 1918 (Forts.)
Generalleutnant August Fortmüller
2. Die Doppelschlacht an der Aisne und in der
Champagne im April und Mai 1917.
Hierzu Skizzen 9a
und 9b (Seite
172 und 173).
Dem französischen Oberbefehlshaber Nivelle hatte seine Angriffstaktik vor
Verdun tiefe Einbrüche in die deutschen Stellungen gebracht. In
großen Verhältnissen und mit einer Steigerung der
Zerstörungsmittel ins Ungeheuerliche gedachte er sie nun an der Aisne und
in der Champagne anzuwenden, um damit in einem Zuge zum Durchbruch der
deutschen Front zu gelangen. Wenn das glückte, während auch die
Engländer verabredungsgemäß sich bei Arras ernstlich
bemühten, mit wuchtigen Angriffsstößen die deutsche Front
ins Wanken, vielleicht sogar zum Einsturz zu bringen, so bestand gegründete
Aussicht, den Verteidiger der Siegfriedstellung im Rücken zu fassen und
teilweise zu vernichten. Dann war die ganze deutsche Front bis zum Meere
erschüttert und ein großer Schritt auf dem Wege zur siegreichen
Beendigung des Krieges getan.
Die Nivellesche Taktik vereinigte wohlberechnete Planmäßigkeit der
Vorbereitung mit einem brutalen Naturalismus der Durchführung des
Kampfes. Das viele Tage andauernde Feuer einer in sinnvoller Tiefengliederung
aufmarschierten Artillerie und zahlreicher Minenwerfer hatte die von der
deutschen Infanterie dicht besetzten Gräben - so nahm man das Ziel
an - mitsamt ihren Verteidigern zu vernichten, die Deckungen der
Bereitschaften und Reserven zu zerschlagen und die deutsche Artillerie in
wechselndem Einsatz von Brisanz- und Gasmunition so nachhaltig zu
bekämpfen, daß ein beträchtlicher Teil ihrer Wirkung ausfiel.
In die Berechnung der aufzuwendenden Batterien und Munition war ein hoher
Sicherheitskoeffizient eingesetzt, um den Erfolg durch alle Zufälligkeiten
und Wechselfälle hindurch zu gewährleisten. Die Luftbeobachtung
von Fliegern und Ballonen hatte den nach dem Plan schießenden Batterien
die Unterlagen zur Erzielung von Höchstleistungen zu liefern. Für
den Angriff selbst waren frische, bewährte Divisionen vorgesehen, die
durch vorübergehenden Einsatz in ihre Angriffsabschnitte sich mit dem
Kampfgelände vorher bekannt gemacht [171] hatten. Die für
den Sturm bestimmte Infanterie sollte eng aufgeschlossen in Ausgangsstellung
dicht vor den feindlichen Stellungen vorgeschoben werden, um die Wirkung des
Vernichtungsfeuers der Deutschen abzuschwächen und ihr Sperrfeuer
unterlaufen zu können. Von dort aus sollte sie in zahlreichen Wellen, denen
gegen die Haupteinbruchspunkte Stoßabteilungen eingefügt waren,
nacheinander zum Sturm ablaufen. Eine dichte Feuerwalze zahlreicher Batterien,
die der ersten Sturmwelle voraus- und tief in den Feind hineinrollte, sowie Tanks
und Schlachtflieger waren bestimmt, die noch überlebenden Reste der
Besatzung zu vernichten oder bis zum Zugriff der dichtauf folgenden
Sturmabteilungen niederzuhalten. Die Stürmenden sollten möglichst
verlustlos in einem Zuge ohne Aufenthalt bis in die Zone geleitet werden, in der
die feindliche Artillerie stand, Massenfeuer auf die rückwärtigen
Verbindungen das Heraneilen von Verstärkungen unterbinden und die
Befehlsgebung lahmlegen. War mit der Wegnahme der Artillerie der taktische
Durchbruch erkämpft, das "freie Feld" gewonnen, so waren die
Nachbarfronten durch Aufrollen zu Fall zu bringen, die bereitstehenden oder auf
das Schlachtfeld heraneilenden deutschen Reserven zu schlagen, die Bildung einer
neuen Abwehrfront zu verhindern und in den Formen des Bewegungskrieges die
weiteren operativen Ziele zu verfolgen.
General Nivelle hatte die Heeresgruppe Michelet im Abschnitt
Reims - Soissons zwischen die Heeresgruppen de Castelnau
und Franchet d'Espérey eingeschoben, um diesen Durchbruchsangriff an
der Aisne-Front zu leiten. Ihr wurden die 5. Armee (General Mazel) nordwestlich
Reims und die 6. Armee (General Mangin), links der 5. um Vailly herum bis an
den Oise-Aisne-Kanal reichend, sowie die 10. Armee (General Duchêne),
die hinter beiden aufmarschierte, unterstellt. Es sollten: die 5. Armee den
Abschnitt Brimont - Craonne angreifen; als nächstes Ziel
war ihr die Linie
Auménancourt - Proviseux - Prouvais gesteckt; die 6.
Armee den Chemin des Dames und das Höhengelände nordwestlich
Vailly erobern und den Feind über die Ailette nach Norden werfen; die 10.
Armee in die bei dem exzentrischen Angriff der beiden Armeen sich
eröffnende Lücke eindringen und östlich von Laon in die
Gegend von Sissonne durchbrechen.
Um der 5. Armee die Weiterführung des Angriffs zu erleichtern, erschien es
notwendig, den Deutschen das Höhengelände südlich
Moronvilliers - Nauroy zu entreißen und sie über die
Suippes bei Pont-Faverger zurückzuwerfen. Mit dieser Aufgabe wurde die
4. Armee (General Anthoine), die linke Flügelarmee der Heeresgruppe
de Castelnau, betraut. Gelang ihr der Angriff bis zur Suippes, so vermochte
sie dort der 5. Armee die Hand zu reichen. Damit wurde auch Reims aus der
engen Umklammerung der Deutschen erlöst.
Zur Unterstützung des weiteren Vorgehens der 6. Armee über die
Ailette zum Aufrollen der Siegfriedstellung sollte die 3. Armee (General
Humbert) von der Heeresgruppe Franchet d'Espérey bei
St. Quentin zum Angriff schreiten.
[172] Die vier
Angriffsarmeen zählten zusammen 53 Divisionen. In den anzugreifenden
Fronten standen ihnen 12 deutsche Divisionen gegenüber, dahinter als
Reserven 14 Divisionen. Die Franzosen verfügten also zunächst
über eine doppelte Überlegenheit an Stoßkräften, zu
denen noch etwa 80 Tanks und ein erhebliches Übergewicht an Fliegern
traten. Die Überlegenheit war noch weit beträchtlicher hinsichtlich
der Feuerkraft. Mit 5345 Geschützen sollten die 5. und 6. Armee die
deutschen Stellungen von Brimont bis St. Gobain bearbeiten. Nicht
weniger als 1 788 000 Schuß schwerer Kaliber, 6½
Millionen Feldartillerieschuß und 1 Million Grabenminen waren für
den Angriff bereitgestellt.11
[172]
Skizze 9a: Skizze des Kampfgeländes der Doppelschlacht an der
Aisne
und in der Champagne, rechte Fronthälfte. [Vergrößern]
|
Der große operative Plan Nivelles stand oder fiel mit dem Erfolg oder dem
Mißlingen seiner taktischen Durchbruchsmethode. Wenn seiner 5. und 6.
Armee die deutschen Stellungen einschließlich ihrer Artillerie anheimfielen,
so konnten beide Armeen hernach gemeinsam mit der 10. Armee den Angriff als
Bewegungskrieg im freien Felde weiterführen. Lief sich aber ihr Angriff in
der Abwehrzone fest, so war es fraglich, ob der Einsatz der 10. Armee, die nur 10
Divisionen zählte, in Richtung Sissonne imstande war, die inneren
Flügel der anderen mit fortzureißen. Dann kam es bestenfalls zu einer
Einbeulung der deutschen Front.
[173]
Skizze 9b: Skizze des Kampfgeländes der Doppelschlacht an der
Aisne
und in der Champagne, linke Fronthälfte. [Vergrößern]
|
Aber General Nivelle setzte volles Vertrauen in das Gelingen des raschen
Durchbruchs. Als am 20. März das Kabinett Ribot an Stelle des
Ministeriums Briand trat, erwies sich auch der neue Kriegsminister
Painlevé als Gegner der [173] von Nivelle geplanten
Kampfführung und sprach sich gegen die Offensive aus. Der neuen
Regierung erschien es zweifelhaft, ob eine solche angesichts des Ausbruchs der
russischen Revolution und des baldigen Eintritts Nordamerikas in den Krieg jetzt
angebracht sei. Bei einer Besprechung am 3. April in Calais traten die
Engländer aber dafür ein, den Angriff nicht aufzuschieben, und der
Beredtsamkeit Nivelles gelang es, die Bedenken der Regierungsmänner zu
zerstreuen. Er erhielt freie Hand anzugreifen, sobald er dazu bereit
sei. - In letzter Stunde sollte ihm noch eine neue Schwierigkeit erwachsen.
Der Kriegsminister des vorigen Kabinetts, Messimy, machte sich zum Sprachrohr
der Bedenken und Einwände, die offenbar in hohen Führerstellen der
Armee gegen Nivelle und seine Taktik genährt wurden. Er vermochte den
Ministerpräsidenten Ribot mit Zweifel zu erfüllen, ob sich der
Angriff bei der ungünstigen Wetterlage der Jahreszeit rechtfertigen lasse
und ob er überhaupt den angestrebten Erfolg haben werde. Es wurde
für den 6. April ein außerordentlicher Kriegsrat nach
Compiègne einberufen, an dem der Präsident der Republik, die
beteiligten Minister, Nivelle sowie die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und
der Angriffsarmeen teilnahmen. Die letzteren wurden dabei zu einer
Meinungsäußerung über die [174] zweifelhaften Punkte
veranlaßt. Es muß für Nivelle eine sehr peinliche Szene
gewesen sein. Wenn sich auch alle Generale dahin äußerten,
daß der Angriff gemacht werden müsse, sobald die Vorbereitungen
getroffen und das Wetter günstig geworden seien, verhehlten sie doch ihre
Zweifel nicht, ob der rasche Durchbruch in einem Zuge gelingen werde. Nivelle,
der aus den Besprechungen empfand, daß er weder mit der Regierung noch
mit seinen Untergebenen in vollem Einverständnis sei, entschloß sich
daraufhin, den Oberbefehl niederzulegen. Er ließ sich aber schließlich
doch bewegen, zu bleiben.12
An der deutschen Front war in den ersten Apriltagen der Aufmarsch für die
Abwehrschlacht beendet. Die Masse der der Heeresgruppe zugeführten
Batterien war in den von dem Angriff bedrohten Abschnitten eingesetzt und in
den Feuerkampf eingetreten. Die Munitionszuführung hielt sich auf voller
Höhe des Bedarfs. An Pionieren,
Scharfschützen- und Nachrichten-Formationen sowie an Fliegern hatte die
Oberste Heeresleitung gegeben, was sie konnte. Die 14 Divisionen Reserven zur
Verfügung der Armeen, der Heeresgruppe bzw. der Obersten Heeresleitung
standen bereit.
Am 4. April führte die 10. Reserve-Division (Generalleutnant Dallmer)
südöstlich Berry-au-Bac auf dem linken
Aisne-Ufer einen Angriff auf die gegenüberliegenden Gräben aus.
Zweck des Unternehmens war die Gewinnung eines Grabenstücks an der
Brücke von Sapigneul, im übrigen die Zerstörung
französischer Angriffsarbeiten, die in dem nach Südosten
anschließenden Stellungsteil erkannt waren. Auch Stoßtrupps des
Infanterie-Regiments 81 der links anschließenden 21. Division waren
beteiligt. Der beabsichtigte Erfolg wurde zunächst völlig erreicht.
Die Angreifer stießen bis zum Fontaines-Bach durch, erbeuteten 10
Minenwerfer und große Mengen von Minenwerfermunition und brachten 15
Offiziere, 867 Mann als Gefangene ein, mußten den Erfolg allerdings mit
einem Verlust von 6 Offizieren, 442 Mann an Toten und Verwundeten erkaufen.
Wie gewöhnlich, rief er eine starke Gegenwirkung in Gestalt schweren
Feuers und heftiger Gegenangriffe hervor, unter deren Druck die Stellung nach
Zerstörung der Minenwerfer und Vernichtung der Munition wieder
geräumt werden mußte.
Neben dem beträchtlichen Schaden hatte das Unternehmen einen sehr
wichtigen französischen Befehl erbracht. Er enthielt die Aufgaben und
Angriffsziele, die zwei Korps für die bevorstehende große Schlacht
gesteckt worden waren. Er nannte die zu erreichende Linie
Prouvais - Proviseux - Auménancourt und
führte aus, wie das eine der Korps den Brimont durch Umfassung von
Norden her zu nehmen habe. Der Befehl ließ klar erkennen, daß es
sich um den "Durchbruch" handelte und ließ den Schluß zu,
daß auch den weiter westlich angreifenden Heeresverbänden
ähnliche weitgesteckte Ziele zugewiesen waren.
Der Gedanke lag nahe, wenn nicht dem französischen Angriff mit einem
[175] eigenen
zuvorzukommen, was angesichts des überlegenen Artillerieaufmarsches
nicht angänglich erscheinen mochte, so doch den geplanten Einbruch zu
einem operativen Gegenangriff gegen eine oder beide Flanken des eingebrochenen
Feindes auszunutzen. Diesem Gedanken, der sich manchem der an den
Abwehrschlachten 1915 und 1916 beteiligt gewesenen höheren
Führer aufgedrängt haben mag, hatte der Kommandierende General
des XV. bayerischen Reservekorps, General der Artillerie v. Höhn,
in einer Eingabe an das Oberkommando der 7. Armee Ausdruck gegeben: Er hatte
als zweckmäßigste Form der Abwehr vorgeschlagen, entweder dem
Feinde mit einem Angriff bis zur Aisne zuvorzukommen oder vor dem Beginn des
feindlichen Infanterieangriffs die Masse der eigenen Kräfte aus der unter
dem Vorbereitungsfeuer liegenden Zone herauszuziehen, den Feind
hereinzulassen und dann einen Gegenstoß großen Stils aus der Tiefe
mit allen verfügbaren Divisionen anzusetzen. Der Vorschlag fand keine
Beachtung. General v. Höhn erhielt vom Oberbefehlshaber der 7.
Armee den Bescheid, daß es notwendig sei, zunächst alle Kraft an die
Abwehr des feindlichen Angriffs im einheitlichen Rahmen der bisherigen
Armeebefehle zu setzen. Diese hielten sich ganz an die "Grundsätze
für die Führung der Abwehrschlacht".
Ohne Zweifel hatte die Oberste Heeresleitung, ehe sie die genannten
Grundsätze herausgab, auch jene vorgeschlagene Form der Abwehr, die
Aussicht bot, unter Minderung der eigenen Verluste dem Feinde weit
höhere zuzufügen, erwogen. Vielleicht hielt sie die
verfügbaren Kräfte dazu nicht für ausreichend. Vielleicht
scheute sie das Wagnis eines derartigen "retour offensif", der hohe
Beweglichkeit der Truppe erforderte, das Beste der örtlichen höheren
Führung überlassen mußte und der im Fall des
Mißlingens Geländeverluste bringen konnte, die auf die
Nebenfronten sich unter Umständen verhängnisvoll auswirkten.
Jedenfalls hatte sie sich bei der Annahme jener Grundsätze für die
rein taktische Abwehr in der Tiefe der Stellungen der Frontdivisionen
entschieden, bei der sie auf dem Befehlswege über die Generalstabschefs
der Heeresgruppen, Armeen und Korps bis zu den Generalstabsoffizieren der
Divisionen herab die unmittelbare Einwirkung auf die örtliche
Führung fest in der Hand behielt. Die "Abwehrschlacht" sah die offensive
Verteidigung nur in taktischen Grenzen, als Gegenstoß der
Unterstützungen und Reserven oder als Gegenangriff von Eingreiftruppen,
vor und gestattete ein Ausweichen vor überwältigendem Feuer nur
innerhalb der Abwehrzone selbst. Sie stellte auch die Forderung auf, daß
"als Ergebnis des Kampfes jede Truppe das ihr anvertraute Gelände restlos
in der Hand behalten" müsse. Die Front war demnach als ein
zusammenhängender, breiter und in sich elastischer Gürtel zu
denken, den der feindliche Angriff wohl stellenweise eindrücken
dürfe, der aber durch die ihm innewohnende Stoßkraft der Reserven
stets wieder die ursprüngliche Gestalt annehmen müsse.
Der 7. Armee waren fünf General- (Gruppen-) Kommandos unterstellt. Auf
dem rechten Flügel befehligte zwischen La Fère und dem
Oise-Aisne-Kanal [176] die Gruppe
Crépy (XXIII. Reservekorps, General der Infanterie v. Kathen) zwei
Stellungsdivisionen. Die nach Südwesten vorspringende Ecke hatte die
Gruppe Vailly (XI. Armeekorps, Generalleutnant Kühne) mit vier
Stellungsdivisionen. Links, von Cerny bis einschließlich Craonne,
schloß Gruppe Liesse (Generalkommando 54,
General der Infanterie v. Liebert) mit drei
Frontdivisionen, an diese bis zum Aisne-Knie bei
Berry-au-Bac Gruppe Sissonne (XV. bayerisches Reservekorps) mit ebenfalls drei
Frontdivisionen an. Den linken Armeeflügel bis nordöstlich Reims
bildete die Gruppe Brimont (X. Reservekorps, General der Infanterie
v. Eberhardt) mit drei Divisionen in der Stellung.
In den Räumen der Gruppen wurden bis zum 11. April die zum Eingreifen
in die zu erwartenden Kämpfe aus den Reserven freigegebenen sieben
Divisionen bis nahe an die Stellungsdivisionen vorgezogen. Es kamen auf die
Gruppe Vailly eine, auf die Gruppen Liesse, Sissonne und Brimont je zwei
Eingreifsdivisionen.
Am 13. April wurde zwischen den Gruppen Sissonne und Brimont das
Generalkommando des Gardekorps (General der Infanterie v. Quast) als
Gruppe Aisne eingeschoben. Es übernahm den Befehl über die
Flügeldivisionen der beiden Gruppen.
Bei der links anschließenden 3. Armee befehligte auf dem rechten
Flügel die Gruppe Reims (VII. Reservekorps, General der Infanterie
Freiherr v. Soden) drei, die nächste Gruppe Prosnes (XIV.
Armeekorps, Generalleutnant Chales de Beaulieu) in dem
Höhengelände südlich
Nauroy - Moronvilliers ebenfalls drei Stellungsdivisionen. Hinter
jeder Gruppe war eine Eingreifdivision bereitgestellt. Auf die Gruppe Prosnes
folgte die Gruppe Py (XII. Armeekorps, Generalleutnant Edler v. d. Planitz)
mit vier Frontdivisionen. Die weiter östlich stehenden Gruppen der 3.
Armee wurden von den April- und Mai-Kämpfen nicht berührt.
Hinter der 7. Armee waren außerdem noch drei, hinter dem rechten
Flügel der 3. Armee zwei Divisionen als Reserven der Heeresgruppe bzw.
der Obersten Heeresleitung abgestellt.
Dem Oberkommando der 1. Armee13 wurden die Gruppen Aisne, Brimont,
Reims und Prosnes unterstellt. Die Gruppe Prosnes wurde im Lauf der
Kämpfe noch um einen Divisionsabschnitt nach Osten erweitert, so
daß von da ab der Befehlsbereich der 1. Armee sich von der Aisne bei
Berry-au-Bac bis zur Suippes bei Aubérive erstreckte. Das
Oberkommando der 3. Armee schied danach für die Schlacht aus.
Inzwischen entbrannte auf der ganzen Front von Vailly bis Aubérive die
Artillerieschlacht. Bis zum 6. April nahm die Zahl der feindlichen Ballone
ständig zu. Am Abend dieses Tages erfolgte ein einheitlicher Fliegerangriff
auf die Ballone der 7. und 3. Armee, dem zwei zum Opfer fielen. Seit dem 6.
April lag [177] eine große Zahl
der festgestellten französischen Batterien im Feuer; am 8. April schien das
Einschießen auch der übrigen beendet zu sein.
Echtes Aprilwetter kennzeichnete die erste Hälfte des Monats. Schneidend
kalte Westwinde, zeitweise von Sturmstärke, brachten Schneetreiben und
Regenschauer, die mit klarer Sicht abwechselten. Trotz der zeitweise sehr
behinderten Luftbeobachtung wurde der Artilleriekampf mit äußerster
Heftigkeit geführt. Vom 9. April ab, dem Beginn des englischen Angriffs
an der Scarpe, machte sich das Feuer als planmäßiges
Zerstörungsschießen bemerkbar. Tag für Tag dauerte es an; die
Dunkelheit brachte keine Verminderung seiner Stärke, und Nacht für
Nacht flammte der Horizont in den Mündungsfeuern der zahllosen
Geschütze wie bei einem Gewitter in den Tropen. Nur auf Stunden setzte in
den deutschen Stellungen das nervenerschütternde Einschlagen der
Granaten aus, wenn den erschöpften feindlichen Kanonieren die
notwendige Ruhe gewährt werden mußte. Ruhiges
Zerstörungsschießen wechselte mit dem sich zuzeiten zu
Trommelfeuer steigernden Vernichtungsschießen ab. Dem
markdurchdringenden Bersten der Brisanzgeschosse folgten die
gedämpfteren Detonationen der Gasmunition. Es währte Tage genug,
um auch den einzelnen Mann in dem bunten Wechsel, in der anscheinenden
Planlosigkeit die Planmäßigkeit erkennen zu lassen.
Die deutsche Artillerie trat mit kräftiger Gegenwirkung in den Kampf. Die
Annahme: "Erfahrungsgemäß antwortet der Feind auf die
Artillerievorbereitung nur schwach", wie es in der französischen
Kampfanweisung hieß, traf dieses Mal nicht zu. Nachdem die deutsche
Artillerie die aus den Zeiten der Munitionsknappheit stammende Scheu vor dem
damals unstatthaften reichlichen Munitionseinsatz überwunden hatte, stand
sie dem Feinde in der Energie der Zerstörungsarbeit nicht nach, trotz der
Verluste, trotz des Ausfalls zahlreicher Geschütze, trotz der
tödlichen Gase, in denen Beobachter und Bedienung unter der Gasmaske
ihr Werk zu tun hatten. Die deutschen Flieger standen ihr treu zur Seite. War auch
die feindliche Überlegenheit drückend genug, der Geist der
deutschen Kampf- und Beobachtungsflieger bürgte dafür, daß
sie sich im Felde behaupteten.
Die deutsche Gegenwirkung vermochte das Zerstörungswerk des Feindes
wohl abzuschwächen; verhindern konnte sie es nicht. Die Stellungen auf den
Aisne-Hängen bei Chavonne und Beaulne, auf dem Grat des Chemin des
Dames, am Winterberg und bei Craonne, in den zerschossenen Wäldern
von La Ville-aux Bois und an den Hängen des
Fontainesbach-Tales verwandelten sich nach und nach in eine Wüste von
Granattrichtern, deren frisch aufgewühlter Boden von den
übelriechenden Gasen der Sprenggeschosse getränkt blieb. Dasselbe
Bild boten die Stellungen auf den Südausläufern der Höhen
von Moronvilliers, deren teils kahle, teils von Waldresten bedeckte Kuppen von
den schweren Geschossen erneut gefurcht wurden. Die Bauten auf dem Brimont
gingen in einen großen Trümmerhaufen über. Das
Ailette-Tal wurde zeitweise so nachhaltig vergast, [178] daß die
Verteidiger der Bergstellung von aller Verbindung nach rückwärts
abgeschnitten waren.
In Granattrichtern, in formlosen Grabenresten, in eilig hergerichteten
Unterschlupfen, in den Deckungen der zahlreichen Steinbrüche und
Höhlen suchten die von Tag zu Tag schwächer werdenden
Grabenbesatzungen, die Besatzungen der Maschinengewehrnester, die
Bereitschaften und Läuferketten sich heil durch das Höllenfeuer
hindurchzubringen. Die Gehirne betäubt von dem Krachen der Granaten
und umnebelt von den ekelerregenden Gerüchen des modernen
Schlachtfeldes, die Leiber durchschauert von der Kälte der feuchten Erde,
bei unregelmäßiger Verpflegung dauernd wach und jeden Augenblick
die Vernichtung erwartend, verbrachten die Verteidiger neun Tage und
Nächte, ehe für sie die Erlösungsstunde, der Ansturm des
Feindes, schlug. Weiter hinten lagen in tiefen Unterständen, in Kellern und
Steinbrüchen die Reserven und die niederen Stäbe, dann und wann
aufgescheucht und zum Ausweichen gezwungen, wenn der Feind sein Feuer auf
sie legte. Nur mit Anspannung aller Kräfte und unter täglichen
Verlusten waren der Wach- und Meldedienst, die notwendigsten Wiederherstellungsarbeiten
durchzuführen, die Versorgung mit Verpflegung und der Abtransport der
Verwundeten zu leisten.
Eine ausreichende Tiefengliederung war, seitdem die Oberste Heeresleitung am 10.
April die als ihre Reserven abgestellten Divisionen freigegeben hatte, erreicht. Die
Eingreifdivisionen standen nun der 7. und 1. Armee zur Verfügung. Seit
dem 10. fühlte der Feind an vielen Stellen mit Patrouillen vor. Es bedurfte
überall der angespannten Wachsamkeit der vordersten Infanterie, um zu
verhindern, daß er nicht schon während seines vorbereitenden
Artilleriefeuers sich in den vorderen Teil der Abwehrzone eindrängte. Der
15. April war ein harter Tag. Auf den Stellungen von Vauxaillon bis zum Brimont
und bei Nauroy - Moronvilliers lag stärkstes Zerstörungsfeuer
und zeitweiliger Gasbeschuß, der empfindliche Verluste brachte. Bei
Vauxaillon - Laffaux griff der Gegner mit farbigen Truppen an. Die
211. Infanterie-Division des Generals v. Lewinski wurde zwar des Angriffs
Herr, doch mußte der schon in die Lücken eingedrungene Feind in
heftigen Nahkämpfen wieder hinausgeworfen werden. Ein allgemeiner
Fliegerangriff richtete sich gegen die deutschen Ballone, die in langer Reihe von
nördlich Reims über Amifontaine bis südwestlich Laon
hinter den Linien hochstanden. Er verursachte keinen wesentlichen Schaden. Vor
der Gruppe Brimont schoben die Franzosen ihre vorderste Infanterie in die
Trümmer des Dorfes Courcy und über den Kanal teilweise bis in das
Trichterfeld vor, unter dem der vorderste deutsche Graben verschüttet lag.
Eingebrachte Gefangene sprachen vom 16. April als dem Angriffstag. Es war
bekanntgeworden, daß der französische und der britische
Militär-Attaché im Haag bei einem Bankett laut davon gesprochen
hätte, daß der französische Angriff zwischen Vailly und Reims
am 16. April bei Sonnenaufgang losbrechen werde. Vom
Oberkom- [179] mando der 7. Armee
wurde deshalb für den 16. früh eine einviertelstündige
Vernichtungsfeuerwelle auf die vermutlichen Sturmausgangsstellungen befohlen.
Bei den Stäben und in der Truppe hatte sich das sichere Gefühl
durchgesetzt, daß der nächste Morgen den Kampf bringen
müsse. In zuversichtlicher Entschlossenheit sahen ihm die deutschen
Streiter entgegen.
Am Abend dieses Tages erließ Nivelle den Tagesbefehl an die Seinen:
"L'heure est venue! Confiance! Courage! Vive la France!" Die Ernte
erschien reif; der Schnitt sollte beginnen.
Die Nacht unterschied sich nicht von den vorhergehenden. Der Morgen des 16.
April brach an, einen klaren, sonnigen Tag versprechend.
Gegen 6 Uhr verstärkte sich vor der Front der 7. Armee das Artilleriefeuer
und das der zahllosen Minenwerfer plötzlich auf das höchste
Maß. Bei den höheren Stäben hinter der Front wird jenes in der
Luft und dem Erdboden gleichmäßig vibrierende Dröhnen
vernehmbar, in dem die Tausende von Abschüssen und Detonationen zu
einem dumpfen Trommelwirbel zusammenfließen. Jeder weiß, was es
zu bedeuten hat.
Kurz vor 7 Uhr leuchten in dem Dunst von Geschoßqualm und Staub, der
über dem langgestreckten Kampffelde wogt, die Leuchtkugeln auf. Im
Vernichtungsfeuer liegen die Batterien schon; jetzt setzt auch das Sperrfeuer ein.
Auf der ganzen Linie von Courcy bis zur Aisne südwestlich Soupir erheben
sich die ersten Wellen der französischen Sturminfanterie aus ihren
Ausgangsstellungen und stürzen laufend und springend vorwärts.
Das deutsche Vernichtungs- und Sperrfeuer unterlaufen sie an vielen Stellen; in
den hinteren Staffeln jedoch lichtet es die Reihen und bringt Verwirrung. Aber
den Ansturm dieser Massen, in denen jeder weiß, daß das Heil nur im
Drang nach vorwärts zu finden ist, kann es nicht niederschlagen. Die
deutschen Drahthindernisse sind längst hinweggefegt. Ohne viel
Widerstand eilen die Stürmenden in dem verschlammten
Trichtergelände vorwärts, winden sich durch das Gesperr
zerschossener Waldstücke und menschlicher Ansiedelungen hindurch. Aber
meist schon nach wenigen hundert Metern wird der schnelle Siegeslauf gehemmt.
Von vorn und von den Seiten tackt das Feuer von Maschinengewehren, knattert
das Schützenfeuer. Aus den Trichtern schleudern unsichtbare Verteidiger
Handgranaten. Einzelne sinken zu Boden, Gruppen bleiben liegen, andere stutzen.
Hier und da werden sie durch die nachfolgende Welle wieder ein Stück
vorwärts gerissen. Man erkennt, wo die bisher unsichtbaren Verteidiger
stecken. Handgranate und blanke Waffe treten in Tätigkeit. An anderen
Stellen muß das Feuer aufgenommen, von rechts und links im Springen von
Deckung zu Deckung weitergegangen werden. Es beginnt der Kampf um die
deutschen Widerstandsnester, während die schützende Feuerglocke
in deren Hintergelände davoneilt, ein zäher Kampf, der mit
Minenwerfer, Maschinengewehr und Gewehr, mit
Gewehr- und Handgranate und mit der blanken Waffe durchgefochten werden
muß und [180] die Wellen der
Stürmenden in Kampfgruppen auseinanderreißt. Die Massen der
nachfolgenden Sturmwellen verdichten hier nur die Ziele, dort
überwältigt ihre Überzahl die nachlassende Widerstandskraft
der Verteidiger und trägt das Gefecht weiter vor. Jetzt tauchen auch
deutsche Schützengruppen weiter vorn auf und feuern oder stürmen
entgegen. Deutsche Minen und Granaten schlagen in die Haufen, zu denen sich
die Angreifer zusammengeballt haben. Der wohlalignierte Angriff der Franzosen
ist in eine Reihe regelloser und wechselvoller Einzelkämpfe
auseinandergefallen und schleppt sich nur noch träge und verlustreich
vorwärts.
[368a]
Angriff auf den Chemin des Dames.
Infanteriereserven im Vorgehen auf Berry au Bac.
|
Auf dem rechten Flügel der deutschen Front wurde die gegenüber
Soupir - Beaulne eingesetzte 183.
Infanterie-Division (General v. Schüßler) auf Braye und
östlich zurückgedrängt. In der anschließenden Gruppe
Liesse verlor die 16. Reserve-Division (Generalleutnant Sieger) in tapferer
Gegenwehr den Rücken westlich Troyon und das in der Tiefe gelegene
Gelände bis zu dem breiten Beaulner Rücken. Beide Divisionen
fanden aber Halt auf der Höhe des Damenweges zwischen Braye und
Cerny. Bei der 19. Reserve-Division (General der Infanterie v. Wartenberg)
und der 5. Garde-Division (General v. d. Osten), die bis Craonne
anschlossen, lief sich der Angriff in ihrer Verteidigungszone auf der Höhe
des Chemin des Dames fest. Nur in Richtung Ailles vermochte der Feind
über den Höhenkamm vorzudringen. In den Trümmern von
Craonne setzte er sich fest. In der Gruppe Sissonne scheiterte vor der Bayerischen
Ersatz-Division (Generalleutnant Burckhardt) der Angriff, der längs der
Straße Pontavert - Chevreux von Tanks begleitet war,
völlig. Von den außer Gefecht gesetzten Tanks blieben 18 auf dem
Kampffelde liegen. In den durch das Artilleriefeuer "verfilzten" Waldungen von
La Ville-aux Bois behauptete sich die 9. bayerische
Reserve-Division (Generalleutnant v. Claus); doch gelang es dem Feinde,
nordwestlich des Waldes gegen die Straße
Corbeny - Berry-au-Bac vorzudringen. Am tiefsten brach er
zwischen den Wäldern von La Ville-aux Bois
und Berry-au-Bac ein. Etwa 50 Tanks gelang es, im Rauch des Schlachtfeldes ihre
Infanterie bis an die deutsche Artillerie-Schutzstellung im Abschnitt der 5.
bayerischen Reserve-Division (Generalleutnant Isselkofer) vorzuführen, so
daß sie stellenweise in sie einbrechen konnte. Der Feind kam dadurch bis
dicht an Juvincourt, den Weg
Juvincourt - Guignicourt und den am Westrande von Guignicourt
gelegenen Schloßpark heran. Gegen 20 Tanks blieben zerschossen auf dem
Kampffelde liegen; die übrigen fuhren nach rückwärts in
deckendes Gelände ab. Auf dem südöstlichen
Aisne-Ufer konnte sich die 10. Reserve-Division, die in den vorhergegangenen
Kämpfen bei Sapigneul stark gelitten hatte und deshalb in der
Ablösung durch die 4. Infanterie-Division (General Freyer) begriffen war,
die Stellungen auf den Hängen des Fontaines-Tales behaupten. Bei der
Gruppe Brimont drang der Feind in die Stellung der 21.
Infanterie-Division (General v. Moltke) ein und gewann durch eine
Rechtsschwenkung das Waldstück westlich [181] Orainville sowie
Berméricourt. Südöstlich davon setzte er sich vor der 43.
Reserve-Division (General v. Runkel) und der 19.
Infanterie-Division (General v. Hülsen) in den Besitz des
östlichen Ufers des Aisne - Marne-Kanals. Alle Versuche
aber, darüber hinaus vorzudringen und den Brimont-Berg zu nehmen,
scheiterten.
Eine reichliche Stunde ist seit Beginn des Angriffs vergangen. Die ersten bei den
französischen Oberkommandos eingelaufenen Nachrichten sprechen alle
von gutem Fortschreiten. Bei Ailles wird der Chemin des Dames sogar schon
überschritten gemeldet. Die Marschkolonnen der 10. Armee setzen sich
über die Aisne-Brücken auf den Ostteil der Bergfront des Chemin
des Dames und auf Juvincourt in Bewegung, um den vermeintlichen Erfolg
auszubeuten. Gleichzeitig setzen aber auf der ganzen Front auch die
Gegenangriffe der deutschen Eingreifdivisionen in die stellenweise schon ins
Stocken geratene Kampfhandlung ein.
Als die Anfänge der 10. Armee unter dem noch auf den
Ausgangsstellungen des Angriffs und deren Hintergelände liegenden
Artilleriefeuer das Schlachtfeld erreichen, wird es offenbar, daß Mazels und
Mangins Armeen noch überall in Kämpfe in der Tiefe der
Verteidigungszone verstrickt sind, daß noch an keiner Stelle ein Durchbruch
erkämpft ist. Die Spitzen der 10. Armee greifen da, wo sie hingelangt sind,
in die Gefechte ein; die Masse wird angehalten. Man will erst sehen, wo ein
Eingreifen nottut, man muß auch die Artillerie erst sprechen lassen. Erst am
Spätnachmittag kommt es zu einem planmäßigen Einsatz
dieser Verstärkungen.
Die Gegenstöße der deutschen Reserven und Eingreifdivisionen
fangen den Stoß des ersten Angriffs auf, stützen die
Stellungsdivisionen und drücken den an manchen Stellen eingedrungenen
Feind zurück, wenn es ihnen auch nirgends gelingt, das verlorene
Gelände restlos zurückzugewinnen. Die Angriffe der
französischen Reserven scheitern oder erzielen nur unwesentliche Erfolge.
Die Masse der lebendigen Einzelkämpfer ist gegenüber den
deutschen Maschinenwaffen nicht ausschlaggebend. Ehe eine
überwältigende Artilleriewirkung, sowohl auf französischer
wie auf deutscher Seite, vorbereitet und zur Geltung gebracht werden kann,
vergeht mehr Zeit, als der Nachmittag noch hergibt. Es entwickelt sich auf der
ganzen Schlachtfront aus der Initiative der örtlichen Führer eine
Reihe von Kämpfen um Stellungsteile, in denen bald der eine, bald der
andere Gegner kleine Erfolge von örtlicher Bedeutung erzielt.
[176a]
Schlacht zwischen Aisne und Marne.
Fort Condé.
|
In den ersten Nachmittagsstunden hat sich die Lage folgendermaßen
gestaltet: auf dem rechten Flügel konnte es die Eingreifgruppe der 45.
Reserve-Division (General v. Eberhardt) nicht verhindern, daß die
183. Infanterie-Division weiter Gelände verlor. Diese mußte, in der
offenen linken Flanke angegriffen, den Beaulner Rücken aufgeben und
wurde in hartnäckigem Kampf bis an den Nordrand des Waldes
nördlich Soupir, bis Braye und die Wegegabel südlich Courtecon
zurückgedrängt. Die 16.
Reserve-Division behauptete sich mit Hilfe von [182] Teilen der 20.
Infanterie-Division (General Wellmann) auf der Höhe des Damenweges.
Weiter östlich konnte die 19.
Reserve-Division den Feind verhindern, auf Ailles und Vauclère weiter
Boden zu gewinnen. Zwei Regimenter der 1.
Garde-Division (Prinz Eitel Friedrich von Preußen) wurden hinter ihr
bereitgestellt. Die 5. Garde-Division warf den Feind aus Craonne wieder hinaus.
Bei La Ville-aux Bois unterstützte die 213.
Infanterie-Division (General v. Bernuth) die 9. bayerische
Reserve-Division in ihrem schweren Kampfe. Gegen den auf
Juvincourt - Guignicourt eingebrochenen Feind führte die 50.
Infanterie-Division (General v. Engelbrechten) einen einheitlich
geführten Gegenangriff aus. Es gelang ihr, die ganze feindliche Front um
etwa 1500 m, bis in die Höhe von Condé,
zurückzudrängen, immer aber noch nicht weit genug, um von hier
die Verteidiger des Waldes von La Ville-aux Bois aus ihrer
Einschnürung zu befreien. Südlich der Aisne trat bei der die 10.
Reserve-Division ablösenden 4.
Infanterie-Division keine Veränderung der Lage ein. Die bei der 21.
Infanterie-Division eingedrungenen Franzosen warf ein kraftvoller
Gegenstoß der Garde-Ersatz-Division (Generalleutnant v. Larisch)
um ein gutes Stück wieder zurück; sie konnten sich nur an den
unteren Hängen des Fontaines-Tales halten. Gegenüber der 43.
Reserve-Division hatte der Feind nirgends über den Kanal hinaus
Gelände gewonnen.
Am späten Nachmittag machte sich auf der ganzen Armeefront ein neuer
Druck des französischen Angriffs fühlbar. Anscheinend führte
der Feind seine Reserven des zweiten Treffens in den Kampf. Er griff jetzt auch
die nach Westen gerichtete Front der 7. Armee zwischen dem
Oise-Aisne-Kanal und Laffaux an. Die südlich des Kanals eingesetzte 211.
Infanterie-Division vermochte mit dem Reserve-Regiment 210 der 45.
Reserve-Division, der Eingreifdivision der Gruppe Vailly, in schweren,
hin- und herwogenden Kämpfen ihre Stellung zu behaupten. Die Franzosen
verloren hier die hohe Zahl von 16 Offizieren und 750 Mann an Gefangenen, ein
Zeichen von der Wucht ihres Angriffs. Westlich Soupir erweiterten sie indes ihren
Erfolg. Bei Chavonne drangen sie in die Stellungen des linken Flügels der
25. Landwehr-Division (General v. Dreising) ein, die den Abschnitt
Vailly - Chavonne besetzt hielt. In allen übrigen Abschnitten
führte der Einsatz ihrer frischen Kräfte zu teilweise schweren
örtlichen Kämpfen, die bis zum Abend von den deutschen Truppen,
bei denen die Stellungsdivisionen vermischt mit den Eingreifsdivisionen fochten,
noch einmal die höchste Anspannung ihrer Widerstandskraft forderten. Sie
bestanden diese Probe in vollem Umfange; denn es gelang den Franzosen
nirgends, eine irgendwie wesentliche Änderung der Lage zu ihren Gunsten
herbeizuführen, geschweige denn den festgelaufenen Einbruch zum
Durchbruch vorzureißen.
Erst nach 10 Uhr ließ das Artilleriefeuer, das in wechselnder Stärke
auf den neuen deutschen Stellungen und dem Hintergelände gelegen hatte,
nach. An französischen Gefangenen waren im ganzen 42 Offiziere
(darunter ein Brigade- [183] kommandeur) und
1637 Mann eingebracht worden. Es bestand der Eindruck, daß der Feind
sehr schwere Verluste erlitten haben müsse. Aber auch die eigenen blutigen
Verluste waren hoch, namentlich bei den Stellungsdivisionen. Viele
Maschinengewehre, Minenwerfer und eine Anzahl Nahkampfgeschütze
waren verlorengegangen. Auch mußte an der Aisne mit dem Verlust einiger
Batterien gerechnet werden.
Östlich Reims, auf dem linken Flügel der nunmehrigen 1. Armee,
hatte der Feind noch nicht angegriffen. Sein Artilleriefeuer gegen die Gruppe
Prosnes und die rechts an sie anschließende 58.
Infanterie-Division (Abschnitt Py) war am Vormittag
verhältnismäßig gering gewesen. Erst am Nachmittag lebte es
wieder zu größerer Heftigkeit auf. Die Stellungen der 58. und 30.
Infanterie-Division westlich und östlich Aubérive wurden mit
Minenwerferfeuer bearbeitet. Starke Patrouillen fühlten vor. Gefangene, die
dabei gemacht wurden, kündigten einen großen Angriff für den
nächsten Tag an; eine Nachricht, die angesichts der Gesamtlage als
durchaus zuverlässig bewertet werden mußte.
Eine außergewöhnlich dunkle Nacht brach herein.
Feuer- und Gefechtstätigkeit waren der auf beiden Seiten herrschenden
Abspannung entsprechend gering. Soweit es die Lage zuließ, wurden die
stark durcheinander gekommenen Verbände entwirrt, die
Befehlsverhältnisse geregelt, den Truppen Munition, Material und
Verpflegung zugeführt und die Verwundeten abtransportiert.
Der französische Erfolg gegen die 25. Landwehr-Division bei Chavonne
hatte die 222. Infanterie-Division (General Küster), die in der auf
Condé-sur-Aisne vorspringenden Ecke der Stellung eingesetzt war, in eine
sehr gefährdete Lage gebracht. Sie konnte, wenn der Feind die 25.
Landwehr-Division weiter bedrängte und wieder von Westen her angriff,
im Rücken gefaßt und abgeschnitten werden. Das Oberkommando
gab deshalb der Gruppe Vailly den Befehl, in der Nacht die Stellungsecke zu
räumen und die Division auf die Riegelstellung derselben, in die Linie
Chimy Ferme (1½ km südwestlich
Sancy) - Vailly, zurückzunehmen. Es gelang der Division in
der Nacht, unbemerkt und ungestört in diese Stellung
zurückzugehen.
Am frühen Morgen des 17. April verstärkte sich auf der ganzen
Angriffsfront das französische Artilleriefeuer, ganz besonders gegen die
Stellungen der Gruppe Prosnes südlich
Nauroy - Moronvilliers und auf Aubérive. Es schwoll dort
von 5 Uhr ab zu Trommelfeuer an.
Im Abschnitt der Gruppe Prosnes stand auf dem rechten Flügel, vom Wege
Beine - Sillery ab, die 14. Reserve-Division (Generalleutnant Loeb).
Dann folgte beiderseits des Weges Nauroy - Thuizy die 29.
Infanterie-Division (General v. d. Heyde). An sie schlossen sich bis
zur Gruppengrenze an der Suippes die 214.
Infanterie-Division (General v. Brauchitsch) und die 58.
Infanterie-Division (Generalleutnant Graf Vitzthum). Östlich der Suippes
stand die 30. Infanterie-Division (Generalleutnant v. Gontard). Als
Eingreifdivision [184] verfügte die
Gruppe Prosnes über die 32. Infanterie-Division (General
v. d. Decken).
Die deutschen Stellungen am Fichtelberg und westlich, um die schon in der
Herbstschlacht in der Champagne hart gerungen war, hatte das Feuer der
vorausgegangenen Tage verschwinden lassen. Der Feind hatte sie meist mit
Erdbeobachtung fassen können. Von den vielen Kiefernwaldstücken,
die die Südhänge des Höhengeländes bedeckt hatten,
waren seit langer Zeit kaum noch Baumstümpfe übriggeblieben. Die
deutsche Nahkampfartillerie, in die Falten der dem Feinde zugekehrten
Hänge eingenistet, hatte beträchtliche Ausfälle an
Geschützen erlitten.
Am frühen Morgen tritt die 4. Armee (Anthoine) mit dreifacher
Überlegenheit zwischen Prunay und der Suippes zum Angriff auf die vier
deutschen Stellungsdivisionen an. Der Hauptstoß richtet sich gegen die 214.
und 58. Division; er strebt den Höhenkranz vom Carnillet bis zum
Pöhlberg an, der einen weiten Einblick nach Norden in das wellige
Gelände gewährt.
Der scharfe Westwind jagt ein dichtes Schneetreiben über das
Angriffsgelände. Die das Sperrfeuer anfordernden Leuchtsignale dringen
nur unvollkommen bis zu den nicht mehr voll feuerkräftigen Batterien
durch. Diese tun den Sturmwellen und -kolonnen, die gegen die
ausgestorbenen deutschen Stellungen eilen, kaum Abbruch. Die schlechte Sicht
beschränkt das gezielte Feuer der noch kampffähig gebliebenen
Maschinengewehrnester auf die allernächsten Entfernungen.
Überraschend taucht der Feind nahe vor ihnen aus dem
Schneegestöber auf. In Flanken und Rücken von den in alle
Bodenfalten hineinrieselnden Stürmenden gefaßt, werden sie bald
überwältigt. Der Angreifer ersteigt die Hänge der
beherrschenden Höhen. Die Stoßreserven der beiden Divisionen
werden eingesetzt. Sie bringen den Feind hier und da zum Stocken; an anderen
Stellen fluten seine Schwärme weiter. Wie an der Aisne, löst sich
auch hier der Sturm in zahlreiche Einzelkämpfe auf, in die die
nachgezogenen französischen Batterien bei dem wieder hell gewordenen
Wetter mit Erdbeobachtung einzugreifen vermögen. Der Feind gewinnt die
Kuppen des Carnillet, des Lug-ins-Land und des Hochberges, des
Keil- und Pöhlberges. Über die Fallkuppe des Fichtelberges versucht
er nach Nordosten sich vorzuarbeiten. Jeder Versuch aber, über die Kuppen
und durch die Einsattelungen nach Norden hinabzusteigen, scheitert an dem Feuer
der deutschen Artillerie.
Unter diesen die Lage nicht mehr ändernden Kämpfen vergeht der
Nachmittag. Im Suippes-Tal hat der Gegner mit einem Nebenangriff den Ostteil
von Aubérive gewinnen und in die nach Osten anschließenden
vordersten Stellungen der 30. Infanterie-Division eindringen können. Den
Gegenstößen gelingt es nicht, ihn wieder zu vertreiben. Die 3. Armee
muß sich darauf beschränken, ihren rechten Flügel durch
Verstärkung seiner Artillerie zu stützen.
Während dieser Kämpfe waren auf dem Aisne-Schlachtfelde am
Vormittag [185] die Kämpfe
nicht aufgelebt. General Nivelle hatte sich entschlossen,14 den Angriff zu erneuern, seinen
Schwerpunkt auf den linken Flügel seiner 5. Armee zu legen, um den
Einbruch nordwestlich Reims zum Durchbruch zu erweitern und "die deutsche
Front vor Reims durch einen gewaltigen Klauenangriff zu umfassen". Dazu wurde
auch die 4. Armee (Anthoine) um drei frische Divisionen verstärkt. Die 6.
Armee (Mangin) erhielt die Aufgabe, durch heftige Angriffsstöße
gegen den Chemin des Dames die dortige Front zu binden.
Auf deutscher Seite wollte General v. Boehn den zwischen
Miette-Bach und Aisne eingebrochenen Feind, der am 16. durch den
Gegenstoß der 50. Division nur wenig zurückgedrückt war,
wieder vollends aus der Stellungszone hinauswerfen. Das war nötig, wenn
die 9. bayerische Reserve-Division sich auf die Dauer bei
La Ville-aux Bois behaupten sollte. Die 213.
Infanterie-Division wurde für den Angriff bestimmt. In den trüben
Vormittagsstunden hatte das vorbereitende Feuer der Batterien offenbar gegen den
in seinen neuen Stellungen gut eingenisteten Feind nicht die genügende
Wirkung gehabt. Als sich die Infanterie anschickte, aus der Linie Nordostecke des
Waldes von La Ville-aux Bois - Windmühle
südlich Juvincourt in südöstlicher Richtung zum Angriff
vorzubrechen, kam sie nicht über die erste Entwicklung hinaus. Der
Gegenangriff blieb ohne Erfolg; er stieß auf einen Feind, der bereit stand,
selbst anzugreifen. Er führte mit den Tanks, die am Tage vorher in der
Miette- und Aisne-Niederung Schutz gesucht hatten, Infanterie zum
Gegenstoß vor und die 213. Division konnte es sich als Erfolg anrechnen,
daß es ihr gelang, zusammen mit der tags vorher eingesetzten 50. Division
das weitere Vordringen der Franzosen auf Juvincourt und Guignicourt zu
verhindern.
Von Mittag ab nahm das Artilleriefeuer an der Aisne und an der Bergfront
erheblich an Stärke zu. Zu einem einheitlichen Angriff an der Aisne kam es
aber nicht. Nördlich des Flusses und bei
La Ville-aux Bois drängte der Gegner in Einzelangriffen
andauernd vorwärts, vermochte aber keine Erfolge zu erzielen. Am
Nachmittag brachen nach Trommelfeuer auf die Stellungen zwischen
Berry-au-Bac und dem Brimont Franzosen und Russen gegen den rechten
Flügel der 43. Reserve-Division am Brimont-Klotz über den Kanal
vor. Schon dicht am Kanal wurde der Ansturm zu Boden gezwungen. Etwa
gleichzeitig setzten heftige Teilangriffe gegen die Bergfront von Cerny bis
Chevreux ein. Westlich Craonne gelangen sie zunächst und führten
durch Aufrollen der Stellung nach Osten zum erneuten Verlust der
Dorfstätte von Craonne. Sie mußte den Franzosen überlassen
werden, nachdem durch Gegenstoß von Teilen der 5.
Garde-Division die übrigen Stellungsteile wiedergewonnen waren. Sehr
heftig wurde bis in die Nacht hinein bei der Hurtebise-Ferme gekämpft, wo
im Abschnitt der 19. Reserve-Division das 1. Garde-Regiment zu Fuß sich
behauptete.
[186] Bei dem starken Druck,
den der Gegner bei La Ville-aux Bois und östlich auf die auf
beiden Flügeln eingedrückten Stellungen der 9. bayerischen
Reserve-Division ausübte, hielt das Generalkommando der Gruppe
Sissonne es für angezeigt, die Stellung freiwillig zu räumen und sie
in die gerade und kürzere Linie
Chevreux - Le Poteau (an der Straße
Corbeny - Reims, halbwegs Corbeny und dem Walde von
La Ville-aux Bois) - Gegend südlich Juvincourt
zurückzuverlegen. Das Armee-Oberkommando stimmte dem Vorschlage zu.
Die Räumung wurde in der nächsten Nacht vollzogen. Sie gelang
nicht unbemerkt vom Feinde, der der Division durch Feuer und Nachstoßen
beträchtliche Verluste zufügte. Die zurückgegangenen Teile
der Division wurden in der neuen Stellung von Truppen der 213.
Infanterie-Division aufgenommen.
Auf dem rechten Flügel der 7. Armee entbrannten am Abend des 17. und in
der Nacht zum 18. April in dem Höhengelände nördlich
Vailly für die Deutschen teilweise recht verlustreiche Einzelkämpfe.
Die Franzosen bestrebten sich dort anscheinend sehr hartnäckig, die auf
Sancy - Vailly vorspringende Stellungsecke abzuschnüren. Sie
griffen die 25. Landwehr- und die 183. Infanterie-Division erneut an, nahmen das
vom Infanterie-Regiment 186 zäh verteidigte Chavonne und drängten
den rechten Flügel der 183. Division in eine westlich Braye verlaufende
Riegelstellung zurück. Um Mitternacht wurde auch diese
durchstoßen. Die Lage fing an, für die in der Stellungsecke stehenden
Truppen sich bedenklich zu gestalten. Es mußte ein ganzer Entschluß
gefaßt werden. Den Feind weit genug wieder zurückzuwerfen, dazu
fehlten die Kräfte. Das Armee-Oberkommando befahl deshalb in den
frühen Morgenstunden der Gruppe Vailly, die 25.
Landwehr-Division und die 222. Infanterie-Division mit der 183. Division auf die
Höhe des Damenweges in eine rückwärtige Stellung
zurückzunehmen, die von östlich Laffaux nach dem Fort Malmaison
und weiter längs des Damenweges verlief. Die 183. Division ging,
unterstützt durch die schon mit Teilen als Eingreifdivision verwendete 45.
Reserve-Division, in Gefechtsfühlung mit dem Feinde in den ihr
zufallenden Teil dieser Stellung nördlich Braye zurück. Die beiden
anderen Divisionen führten die Bewegung am Vormittag des 18. April
ungestört vom Feinde durch, der zunächst in das aufgegebene
Gelände nicht nachfolgte.
Der bisherige Schlachtverlauf bedeutete bei dem klar vorliegenden Schlachtziel
des Feindes einen unzweifelhaften deutschen Erfolg: der drohende Durchbuch war
abgewehrt. So wertete den Ausgang mit Recht die höhere und
höchste Führung. Weniger deutlich kam diese Wertung im
Empfinden der Truppe zum Ausdruck. Sie stand unter den Eindrücken des
Kampfausganges. Sie hatte fast überall Gelände verloren und vor und
in der Schlacht empfindliche Verluste erlitten. Die Stellungsdivisionen waren
mehr oder weniger zerschlagen. Ihre baldige Ablösung war notwendig und
wurde in den nächsten Tagen auch durchgeführt. An ihre Stelle traten
zunächst die Eingreifdivisionen, von denen auch ein Teil erhebliche
Einbuße erlitten hatte. Von den abgelösten Divisionen mußten
[187] mehrere als
Eingreif- oder Reserveverbände zurückgehalten werden, bis frische
Kräfte von anderen Fronten herangezogen waren. Die Lage blieb weiterhin
sehr gespannt, denn es schien nicht, als ob der Angriffswille des Feindes
gebrochen wäre.
Der 18. April brachte auf dem Aisne-Schlachtfelde nur eine Reihe örtlicher
französischer Angriffe, die im ganzen ergebnislos verliefen. Die 16.
Reserve-Division wies einen Angriff auf die südlich Cerny gelegene
Zuckerfabrik, die Bayerische Ersatz-Division einen solchen auf Chevreux ab. Die
19. Reserve-Division vermochte im Gegenangriff den am 16. bei Ailles
über den Höhenkamm des Damenweges gedrungenen Feind
zurückzudrängen und fast die ganze auf dem Höhenzuge
laufende dritte Linie ihrer Stellung wiederzunehmen. Weniger glücklich
verlief ein von der 54. Infanterie-Division (General Freiherr v. Watter)
unternommener Gegenangriff zur Wiedergewinnung der
Artillerie-Schutzstellung zwischen Juvincourt und der Aisne. Trotz
sorgfältiger Vorbereitung traf er auf eine starke Feuerfront, die er nicht
überwältigen konnte.
Auch bei Moronvilliers wurde lebhaft gekämpft. Die Franzosen legten vom
Vormittag ab starkes Artilleriefeuer auf die ganze Höhenfront vom
Carnillet bis zum Pöhlberg. Ein Angriff der 58.
Infanterie-Division gegen den über den Fichtelberg nach Nordosten
vorgedrungenen Feind brachte keinen nennenswerten Erfolg. Kurz nach Mittag
griff dieser erneut die 214. und die 58. Division an. Der
Keil- und der Pöhlberg wurden von den Deutschen gehalten; auf dem
Hochberge gewann der Feind Boden. Im Suippes-Tal gelang es der 30.
Infanterie-Division nicht, die Franzosen aus dem Ostteil von Aubérive
wieder zu vertreiben.
Am Abend des 18. und in der folgenden Nacht ging auf dem gesamten
Schlachtfelde die beiderseitige Feuertätigkeit der Artillerie auf ein geringes
Maß zurück. In der Nacht wurde von der 58.
Infanterie-Division planmäßig der Westteil von Aubérive
geräumt. Nachdem die Osthälfte nicht hatte wiedergenommen
werden können, war die spitz in den Feind hineinspringende Stellung von
Aubérive nicht mehr zu halten.
Am 19. April wollte das Oberkommando der 1. Armee dem Feinde mit einem
großen Gegenangriff das ganze Höhengelände von
Nauroy - Moronvilliers wieder entreißen. Dazu wurden der
Gruppe Prosnes die 5., 6. und 23. Infanterie-Division zur Verfügung
gestellt, die in breiter Front die Höhen vom Carnillet bis zum
Pöhlberge angreifen sollten. Schon um 8 Uhr begann der Feind mit
Teilangriffen auf den Bergkuppen. Der Artilleriekampf entbrannte auf beiden
Seiten zu äußerster Stärke. Als zwischen 10 und 11 Uhr die
Infanterie der drei deutschen Divisionen sich an dem deckenden Nordhang der
Höhen hinaufgeschoben hatte und die Höhenlinie
überschreiten wollte, traf sie auf den voll zum Angriff entwickelten Gegner.
Es gelang ihr nicht, den Südhang der Höhen zu gewinnen. In
erbitterten Nahkämpfen wurde mit wechselndem Erfolge um den Besitz des
Süd- oder Nordrandes der Bergkuppen gerungen. [188] Die Lage blieb im
ganzen so, wie sie vorher gewesen war. General Ludendorff schreibt,15 daß die Divisionen, wie er in
persönlicher Rücksprache mit den Regimentskommandeuren einer
derselben feststellte, übereilt eingesetzt worden seien. Der Gegner hatte
zwei Tage Zeit gehabt, sich in der Höhenstellung einzurichten und seine
Artillerie, die den Höhenkamm und große Teile des Südhanges
mit Erdbeobachtung beherrschte, zweckentsprechend zu gruppieren. Die Wirkung
der deutschen Artillerie, die größtenteils auf Luftbeobachtung
angewiesen war, reichte nicht aus, um die Stellungen des Feindes sturmreif zu
schießen und seine Batterien niederzuhalten. Vielleicht wäre ein
überraschender Angriff in der letzten dunklen Morgenstunde
ergebnisreicher verlaufen.
Vor dem rechten Flügel der 7. Armee besetzten am 19. April die Franzosen
in dem aufgegebenen Gelände Vailly und Celles und drangen weiter gegen
die Malmaison-Stellung vor. Auf der Höhe des Damenweges führten
sie mehrere Einzelangriffe aus. Bei Cerny entrissen sie der 16.
Reserve-Division die Ruinen der Zuckerfabrik wieder; an anderen Stellen wurden
sie abgewiesen. Am Abend griffen sie in dichten Massen die von der 5. und 2.
Garde-Division besetzte Stellung am Winterberge nordwestlich Craonne an und
wurden mit starken Verlusten abgewiesen.
Im Kommando der Gruppe Sissonne trat am 19. ein Wechsel ein: das
Generalkommando XV. bayerischen Reservekorps wurde durch das
Generalkommando 65 (General Graf Schmettow) ersetzt.
Am 20. April gewann ein frischer Gegenangriff des
Reserve-Regiments 68 und des Infanterie-Regiments 92 die Ruinen der
Zuckerfabrik von Cerny wieder. Im übrigen stand der Tag im Zeichen
zahlreicher vereinzelter Angriffe der Franzosen. Sie faßten in
größerer Stärke nördlich Braye und am Winterberg
sowie die neue Stellung westlich Juvincourt an. Sie versuchten am Brimont und
auf den Höhen von Moronvilliers Verbesserungen ihrer Stellungen zu
erkämpfen. Erfolge von Bedeutung erzielten sie nicht, trotzdem ihr
Artilleriefeuer in großer Stärke auf den Stellungen gelegen hatte.
Die letzten Apriltage brachten unter Fortdauer des Artilleriekampfes in
wechselnder Stärke und unter Kleinkämpfen um die
Hurtebise-Ferme und bei Cerny keine die Lage ändernden Ereignisse.
Die Heeresgruppe und die Oberkommandos der 7. und 1. Armee gewannen aus
dem Verhalten des Feindes und den Aussagen der Gefangenen den Eindruck,
daß der Gegner in absehbarer Zeit einen Angriff in der Ausdehnung wie am
16. nicht zu wiederholen imstande sei. Auf einer Front von 40 km hatte er
an diesem Tage, auf weiteren 15 km Frontbreite am nächsten
angegriffen. Seine Verluste mußten außerordentlich hoch, seine
Enttäuschung über den Fehlschlag der Durchbruchsabsicht
groß sein. Immer aber war noch damit zu rechnen, daß [189] er nicht bloß mit
kleinen Angriffsunternehmungen, sondern auch mit großen Angriffen, wenn
auch auf schmaleren Fronten, fortfahren werde. Wo diese kommen würden,
erschien zunächst ungewiß. Die Heeresgruppe befahl deshalb, dem
Feinde alle die Geländevorteile wieder zu entreißen, die er als
"Sprungbrett" für seine Angriffe ausnutzen könnte. Für die 1.
Armee blieb überdies die Aufgabe bestehen, auf ihrem rechten
Flügel die bei Juvincourt - Guignicourt verlorene ehemalige
Artillerie-Schutzstellung und auf ihrem linken Flügel die Höhen von
Moronvilliers wiederzugewinnen. Bei beiden Armeen wurde mit dem
Herausziehen der abgekämpften Divisionen aus der Front fortgefahren. Als
Eingreif- und Reserve-Verbände konnten der 7. Armee sieben, der 1.
Armee fünf Divisionen zugewiesen werden. Doch waren längst nicht
alle voll kampfkräftig.
Der französische Generalissimus mußte den Ausgang der
Kämpfe als eine kaum verschleierte Niederlage empfinden, und
tatsächlich empfand er so. Er fühlte das Vertrauen bei der Regierung,
der Armee und der Nation schwinden. Gleichwohl wollte er das Spiel noch nicht
verloren geben. Nur ein schneller, offensichtlicher Erfolg konnte den sinkenden
Glauben an ihn wieder festigen. Er mußte auf der beschrittenen Bahn
weitergehen. Von den Engländern forderte er die ungeschwächte
Fortsetzung ihrer Offensive an der Scarpe. Er selbst schickte sich an, bald mit
neuen Angriffen bei Moronvilliers, am Brimont und beiderseits der Aisne Reims,
die "ville martyre," zu erlösen und den Höhenzug des
Chemin des Dames ganz zu gewinnen. Der Durchbruchsgedanke wurde noch
nicht aufgegeben, seine Verwirklichung nur in eine weitere Ferne
gerückt.
Im April sollte General Nivelle allerdings nicht mehr zur Ausführung seiner
neuen Entwürfe kommen. Vorher mußte er neue Bedenken der
Regierungsmänner und seiner eigenen Untergebenen zerstreuen. Auf den
direkten Angriff des Brimont, als zu opfervoll, mußte er Verzicht leisten;
der Angriff nordwestlich Reims sollte sich auf das Höhengelände
zwischen dem Brimont und der Aisne beschränken. In den ersten Maitagen
sollte der neue Angriff zur Ausführung kommen.
Schon am 28. und 29. April wurden die deutschen Stellungen auf dem Chemin
des Dames und südlich Nauroy - Moronvilliers unter
stärkstes Zerstörungsfeuer genommen. Gefangene sagten einen
großen Angriff für den 30. vorher. Westlich Reims verlief dieser Tag
jedoch weiter im Großkampf der Artillerie. Aber östlich Reims holt
die verstärkte 4. Armee zu einem großen Schlage aus. Den Vormittag
über nährt das französische Feuer eine dichte Wolke von
Geschoßqualm, die sich bei dem windstillen Wetter über die
deutschen Stellungen lagert. Die Einsenkungen und Schluchten in den
Champagne-Bergen hallen wider von den Detonationen der Tausende von
Geschossen und dauernd ist die Luft erfüllt von dem Sirenengeheul der
unzähligen Sprengstücke. In den Wäldern nördlich der
Höhen verseucht das tödliche Gas die Batteriestellungen. Am
Nachmittag treten sechs Divisionen zum Angriff auf den flachen Bogen an, den
die deutschen Stellungen in dem Höhengelände bis Vaudesincourt
bilden. [190] Auf ihrem rechten
Flügel, bei der 14. Reserve-Division, dringt der stürmende Feind in
die vordere Abwehrzone ein und wird wieder hinausgeworfen. Ebenso ergeht es
ihm bei der benachbarten 29. Infanterie-Division. Auch den Hochberg nimmt er im
ersten Anlauf. Aber das Leib-Grenadier-Regiment 8 und das
Infanterie-Regiment 370 werfen ihn wieder auf den Südhang zurück
und dringen in der Verfolgung in den vordersten Graben seiner Stellung ein. Am
Keilberg vermag er den Nordrand zu erreichen und sich dort zu halten. Seine
Versuche, über den Pöhlberg vorzudringen, werden abgeschlagen
und die anschließenden Stellungen bis Vaudesincourt bleiben in deutscher
Hand. Der mit einem ungehueren Munitionseinsatz vorbereitete Angriff ist
gescheitert. Auch eine schwächere Wiederholung desselben am Abend
vermag dieses Schicksal nicht zu ändern.
Vom 1. bis 3. Mai fährt der Gegner mit dem Sturmreifschießen seiner
Angriffsziele westlich Reims fort; bei Moronvilliers tritt Ruhe ein. Besonders
stark liegt das Feuer auf der Bergfront des Damenweges. Die Feuerverteilung
läßt drei Angriffsabschnitte erkennen: bei Cerny, an der
Hurtebise-Ferme und am Winterberg. Die Lage der Verteidiger auf dem
Höhenzuge ist wenig günstig; er bietet wenig Raum für die
nötige Tiefengliederung, und das
Ailette-Tal dahinter hält der Feind unter einem Feuer, das es fast
unpassierbar macht. Am Abend des 3. greift dieser überraschend zwischen
Fort Malmaison und Braye an, wo die 44. und 45.
Reserve-Division jetzt die Stellungen besetzt halten. Bei beiden wird der Angriff
abgewiesen.
Schwerere Kämpfe bringen die beiden folgenden Tage. Am Nachmittag des
4. Mai wird das Ailette-Tal planmäßig vergast, und die Abschnitte
bei der Hurtebise-Ferme und am Winterberge liegen stundenlang unter
schwerstem Feuer. Die dort eingesetzten 2.
Garde- und 28. Reserve-Division (General Ziethen) erleiden empfindliche
Verluste. Am Abend bricht der Sturm gegen sie los. Bei der 2.
Garde-Division behaupten die Kaiser Franz-Gardegrenadiere ihren
Regimentsabschnitt mit Gegenstoß, durch den sie den eingedrungenen
Feind wieder werfen. Am Winterberg ist durch das Feuer der Eingang zu dem
Tunnel, den die Deutschen in monatelanger Arbeit für die gedeckte
Heranführung von Reserven gebaut haben, in Brand geraten. Er kann nicht
benutzt werden. Der rechte Flügel des 28.
Reserve-Division kann den Winterberg nicht halten; der größte Teil
desselben wird von den Franzosen genommen. - Am selben Tage wird auch
die Front südöstlich der Aisne angegriffen. Vier Divisionen
stürmen gegen den Abschnitt von Berméricourt bis zur Schleuse
von Berry-au-Bac an. Unter den Gegenstößen der 4.
Infanterie-, der Garde-Ersatz- und der 54. Infanterie-Division und unter dem
Flankenfeuer der Geschütze am Brimont läuft sich der
französische Angriff im vorderen Teil der Abwehrzone fest. Endlich
stürmen die Franzosen auch noch auf die Höhen der Champagne: am
Abend greifen sie zwischen dem Carnillet und dem Hochberge an, ohne daß
dort eine Änderung der Lage einträte.
[191] Der französische
Führer hat seine Taktik geändert. Er faßt jetzt das Feuer seiner
Batterie auf schmalere Abschnitte zusammen als vorher. Anscheinend will er an
verschiedenen Stellen mit gegen früher noch vermehrter Kraft einzelne
Stücke aus der deutschen Front herausschlagen und sie damit ins Wanken
bringen.
Auch die Kämpfe des 5. Mai tragen dieses Gepräge. In ihnen kommt
aber schon eine letzte, anscheinend nur noch mit halbem Vertrauen in den Erfolg
aufgewandte Kraftanstrengung zum Ausdruck. Vom frühen Morgen ab
setzt auf der ganzen Front von Braye bis zum Brimont ein örtlich
zusammengehaltenes starkes Feuer ein, das bei dem windstillen Wetter eine
dichte Wand von Rauch und Gas über die deutschen Stellungen ausbreitet.
Unter ihrem Schleier führen die Franzosen von 9 Uhr ab eine Reihe
scharfer Einzelstöße aus, die an vielen Stellen in Einzelkämpfe
auslaufen, die mit Unterbrechungen den ganzen Tag über andauern. Es
gelingt ihnen, den Winterberg ganz zu nehmen und sich in seinem Besitz zu
behaupten. Bei Ailles und der Hurtebise-Ferme werden die Deutschen hinter den
Höhenkamm zurückgedrückt. Nördlich Reims geht der
223. Infanterie-Division ein Stück ihrer Stellung verloren. Im
übrigen behaupten sich die Divisionen in ihren Stellungen.
Die Abwehrkämpfe dieser beiden Tage sind glänzende Leistungen.
Das neue Abwehrverfahren ist den Deutschen in Fleisch und Blut
übergegangen und sie handhaben es mit voller Sicherheit. Der Feind hat
einen ungeheuren Munitionsaufwand und hohe Verluste geopfert, ohne seinen
Kampfzweck erreicht zu haben. Allerdings haben alle Eingreifdivisionen
eingesetzt werden müssen, darunter auch solche, die die Kampfeslast des
16. April schon in vollem Maße getragen haben. Sie alle bluten aus tausend
Wunden.
Wenn auch Kämpfe von dem Umfange wie am 4. und 5. Mai sich auf dem
Aisne-Schlachtfelde in den nächsten Monaten nicht wiederholten, so
gewährte diese Lage den hartgeprüften Divisionen auch jetzt keine
Ruhe. Das ließ schon die weit überlegen bleibende
französische Artillerie nicht zu. Auch lagen vielerorts die Gegner sich in
Stellungen gegenüber, die weder der eine noch der andere auf die Dauer
halten konnte. Das wurde zur Quelle zahlreicher weiterer Einzelkämpfe
größeren und kleineren Umfanges. Die Franzosen leitete darin
offenbar auch das Bestreben, aus der gescheiterten Offensive zu retten, was zu
retten war; doch standen ihnen die Deutschen an Initiative keineswegs nach.
Schon am 6. Mai suchte die Gruppe Liesse den Winterberg, das östliche
Eckbollwerk der Damenweg-Stellung, wieder in die Hand zu bekommen. Der
sorgfältig vorbereitete Gegenangriff traf auf der Höhe auf
Gegenstöße und ging in eine Folge erbitterter Nahkämpfe
über. Sie liefen schließlich darin aus, daß die Hochfläche
des Berges, die in gleicher Weise das deutsche wie das französische
Artilleriefeuer auf sich zog, frei blieb. Die Franzosen behaupteten sich an ihrem
Südabfall, die Deutschen vermochten nicht über den Nordrand
hinaus vorzudringen, - eine Lage, wie sie sich ähnlich auch auf den
Kuppen des Höhen- [192] geländes von
Moronvilliers herausgebildet hatte. Am 7. und 9. Mai setzten sich die
Teilkämpfe am Winterberg fort, ohne wesentliche Verschiebung der Lage.
Am 7. Mai schlugen sich Teile der 1. bayerischen
Infanterie-Division bei der Hurtebise-Ferme um einzelne Grabenstücke;
am 9. Mai mußte die 54. Reserve-Division wiederholt Angriffe bei der
Ste. Marie-Ferme (zwischen Orainville und La Neuville) abwehren.
Am 16. Mai erkämpften sich die 211.
Infanterie- und die 33. Reserve-Division zwischen Vauxaillon und
La Bascule (beim Straßenstern östlich Laffaux)
Verbesserungen ihrer Stellungen.
Im Höhengelände von Moronvilliers, wo inzwischen das
Generalkommando III. Armeekorps (Generalleutnant Freiherr
v. Lüttwitz) das des XIV. Armeekorps in der Gruppe Prosnes
abgelöst hatte, machten die Franzosen am 20. Mai einen neuen
großen Versuch, die vielumstrittenen Kuppen ganz in die Hand zu
bekommen. Nach stundenlanger starker Beschießung griffen sie am
Nachmittag die Höhenstellung vom Carnillet bis zum Pöhlberg an,
drangen im ersten Anlauf in die deutschen, an die Nordränder
angeklammerten vordersten Gräben ein, blieben dann aber beim
Vordringen den Nordhang hinab im Feuer der deutschen Batterien, die das nach
ihnen abfallende Gelände mit Erdbeobachtung beherrschten, liegen. Die
Reserven der Stellungsdivisionen, der 33. Infanterie-Division, der 10.
Ersatz- und der 23. Infanterie-Division, sowie Teile der hinter ihnen stehenden 54.
Reserve-Division, die sich dicht herangehalten und in dem Artilleriefeuer unter
erheblichen Verlusten ausgeharrt hatten, stoßen vor. Aber nicht
überall gelingt es ihnen, den Feind ganz vom Nordhange wieder zu
verdrängen. Der Carnillet, der Sattel östlich vom Hochberg und der
Keilberg müssen ihm überlassen werden. Am 25. Mai ringen die 13.
und die 51. Reserve-Division am Hochberg und auf dessen Westabfall mit dem
wieder angreifenden Gegner. Am 27. versuchen die Deutschen am
Keil- und am Pöhlberge ihre Stellungen wieder auf den Südrand der
Kuppen vorzuschieben. Aber das Hin und Her dieser erbittert geführten
Nahkämpfe endet schließlich doch damit, daß die Franzosen
Besitzer der beherrschenden Höhen bleiben. Ihren Beobachtern kann der
Einblick in das Gelände nach Norden nicht verwehrt werden.
Vom 22. bis 25. Mai wird auch auf dem Damenweg wieder gekämpft. Am
22. greifen die Franzosen nach kurzer, aber heftiger Feuersteigerung die 2.
bayerische und die 8. Infanterie-Division von der
Hurtebise-Ferme bis südlich Corbeny an. Der Angriff wird abgeschlagen;
nur südöstlich Chevreux setzt sich der Feind in einem Stellungsteil
fest. In der Nacht vom 23. zum 24. Mai werden bei der
Hurtebise-Ferme und nördlich Braye die 2. bayerische und die 10.
Infanterie-Division angegriffen, ohne Stellungsverluste zu erleiden. In der Nacht
24./25. Mai schiebt die 206. Infanterie-Division südlich Pargny ihre
Stellung vor; sechs Kompagnien holen aus den Steinbrüchen vier Offiziere
und 530 Mann an Gefangenen heraus.
Die große Doppelschlacht an der Aisne und in der Champagne ist in
dieser [193] Zeit in kleine
Einzelkämpfe ausgelaufen. Wenn in den ersten Maitagen noch ein
planvoller Zusammenhang in den größeren Angriffen, ein Schein
operativen Handelns zu erkennen war, so sind die Einzelgefechte der zweiten
Maihälfte Kämpfe mit anscheinend ganz örtlich
beschränkten Zielen. Die Schwungkraft, die die Franzosen zu Beginn der
Schlacht bewiesen hatten, war offensichtlich erlahmt.
Das Mißlingen der groß angelegten Nivelleschen Offensive unter
ungeheuren Opfern - allein die Verluste vom 16. bis 25. April betrugen
gegen 130 000 Mann - hatte in der öffentlichen Meinung
Frankreichs eine tiefe Enttäuschung und heftigen Unwillen gegen ihren
Urheber ausgelöst. Man hatte nach den Erfolgen der Engländer bei
Arras und dem Eintritt der Amerikaner in den Krieg fest an den
französischen Sieg geglaubt. Um so tiefer war der Fall aus dieser Hoffnung.
Dem "Hosiannah", mit dem Nivelle bei seinem Auftreten
begrüßt worden war, folgte nun das "crucifige!" Nach den
Fehlschlägen am 4. und 5. Mai war seine Stellung unhaltbar geworden. Der
verzweifelt an sein Amt sich klammernde ehrgeizige General wurde am 15. Mai
vom Oberbefehl enthoben. Vergeblich hatte er versucht, die Verantwortung
für den Mißerfolg auf seine Untergebenen abzuwälzen; er
mußte nun, fast wie ein entlarvter falscher Prophet, vom Schauplatz
abtreten. Der Volksmund hatte ihm den Beinamen "Le buveur de sang"*
gegeben. General Pétain, der bisherige Chef des Generalstabes der Armee,
trat an seine Stelle; General Foch wurde Generalstabschef der Armee.
Die Stimmung in der Armee war durch die verlustreichen und ergebnisarmen
Großkämpfe und den Wechsel im Oberbefehl tief aufgewühlt.
Schon in die Kämpfe am 4. und 5. Mai waren die Divisionen mit kaum
verhehltem Widerwillen gegangen. Ende Mai machten sich überall in der
Armee der Geist der Widersetzlichkeit und Anzeichen einer revolutionären
Bewegung bemerkbar. Sie begannen bei den Verbänden, die längere
Zeit in Ruhe gelegen hatten und griffen über die Ersatzformationen auf die
Fronttruppenteile über. Die politischen Organisationen der
äußersten Linken nährten die Bewegung durch eine
weitverbreitete Propaganda, die mit Agenten, Flugblättern und geheimen
Versammlungen arbeitete. Die Disziplin begann sich zu lockern. Unter den
Soldaten wurde Unzufriedenheit durch Vergleich ihrer Lage mit der der viel Geld
verdienenden Arbeiter der Kriegsindustrie erregt. In den Truppenteilen brachen
Meutereien aus. Wenn auch allgemein den Offizieren keine Mißachtung
bezeigt wurde, so befolgte man doch ihre Befehle nicht mehr. Manche
Truppenteile weigerten sich, in Stellung zu gehen. Bei anderen wurden
Soldatenräte nach russischem Muster gewählt, rote Fahnen
enthüllt und Truppentransporte angehalten. Es erscholl der Ruf "Nieder mit
dem Krieg!" und einzeln Truppenteile trafen Anstalten, auf Paris zu marschieren,
um dort die soziale Revolution auszurufen. Wie allgemein die Bewegung war,
erhellt aus einer späteren Rede des damaligen Kriegsministers
Painlevé, der von dieser Zeit sagte: "Es gab [194] einen Tag, wo
zwischen Soissons und Paris nur zwei Divisionen waren, auf die man sich
völlig verlassen konnte."16
Die französische Regierung bewies ihre Kraft durch entschlossenes
Vorgehen gegen die Führer der Bewegung. Dadurch, durch
Einführung einiger Reformen und durch nachdrücklichen Hinweis
auf die nahe amerikanische Hilfe wurde sie bis Anfang Juli ihrer wieder Herr.
Indes mußte noch längere Zeit bei der Planung der neuen Operationen
Rücksicht auf jene Stimmung der Armee genommen werden. England, das
die Erfolge des U-Bootkrieges beunruhigte und "wohl durch, aber nicht mit
Amerika siegen wollte",17 drängte zur
rücksichtslosen Fortsetzung der Offensive. Zwar wollte auch die
französische Regierung am Kriege festhalten, aber sie konnte sich der in
Volk und Heer herrschenden Stimmung und der Rücksicht auf die sinkende
Volkskraft des Landes nicht verschließen. Sie sagte zwar die weitere
Unterstützung der Offensive zu, die die Engländer, ihren
Sonderinteressen folgend, nun gegen die flandrische
U-Bootbasis der Deutschen einleitete. Aber der neue Generalissimus löste
das Versprechen in einer Form ein, die von der seines Vorgängers erheblich
abwich. Er wollte keine großen Durchbruchsschlachten, sondern
zunächst durch kleine Angriffe mit beschränktem Ziel, bei denen
man durch gewaltigen Munitionseinsatz sicher ging und große Verluste
vermied, das gesunkene Vertrauen der Truppe wieder heben und gleichzeitig mit
zur Zermürbung des Feindes beitragen. Das blieb die französische
Taktik der nächsten Monate.
Die Oberste Heeresleitung konnte aus den Aussagen der Gefangenen entnehmen,
daß die französische Widerstandskraft durch eine schwere Krise
hindurchging. Sie berichteten von zahlreichen Fällen von
Gehorsamsverweigerung, Meutereien und revolutionären Kundgebungen.
Wenn man auch die Lage nicht voll übersah, weil man sich mit Recht vor
einer Überbewertung der Vernehmungsergebnisse hüten
mußte, so war doch aus ihnen zu erkennen, daß bei den Franzosen
Mangel an Vertrauen zur höheren Führung und zur Staatsleitung
eingerissen und daß Kampfunlust, Kriegsmüdigkeit und die
Überzeugung, daß ein entscheidender Sieg nicht mehr zu
erkämpfen wäre, weit verbreitet waren. Eine Ausnutzung dieses
Schwächemoments gestattet der Obersten Heeresleitung aber die
Kräftelage nicht. 70 Divisionen waren meist in schnellem Wechsel als
Eingreif- und Stellungsdivisionen durch die 1½ Monate währende
Kampfperiode gegangen. Fast alle waren mehr oder weniger abgekämpft.
Völlig frische Reserven waren nicht vorhanden. Die schwere und leichte
Heeresartillerie, verteilt auf die Großkampffelder der Heeresgruppen der
beiden Kronprinzen, blieb zu sehr in Anspruch genommen, um aus ihr eine starke
Reserve ausscheiden zu können. Der Munitionsverbrauch war ganz
außerordentlich hoch gewesen. Die neuen Stellungen eigneten sich
größtenteils nur wenig als Angriffsfelder und [195] waren dazu auch nicht
ausgebaut. So fehlte der Überschuß an Kraft, um bei der
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz zur erfolgverheißenden Offensive gegen
die tief erschütterten Franzosen zu schreiten. Die nötigen
Verstärkungen aus dem Osten herzugeben, konnte sich das deutsche
Feldherrn-Duumvirat nicht entschließen: dem leitenden Staatsmann war es
versagt geblieben, das revolutionierte Rußland aus der Zahl der Feinde
Deutschlands herauszuziehen.
"Wir hatten mit äußerster Anstrengung einen großen Erfolg
errungen und uns in der Ausbildung dem Feinde überlegen gezeigt", sagt
General Ludendorff zu dem Ergebnis der Doppelschlacht. An diesem stolzen
Bewußtsein mußte sich das Westheer genügen lassen und im
Vertrauen auf die erwiesene Leistung neuen Angriffen entgegensehen. Dazu hatte
es die in 200jähriger Tradition der
preußisch-deutschen Armee herangezüchtete "kriegerische Tugend",
wie Clausewitz
sie definiert,18 befähigt, eine Tugend, deren
Grundlagen auch nach den überstandenen drei Kriegsjahren im
großen und ganzen, wenn auch nicht in der Masse, so doch in dem
Führertum noch vorhanden war. Der Güte der mittleren und niederen
Truppenführung war der Hauptanteil an den errungenen Erfolgen
zuzuschreiben. Der vielfach überschätzte Wert der neuen
Abwehrform tritt davor zurück. Die Notwendigkeit der Verteidigung in
einem tiefen Abwehrfelde ergab sich von selbst aus der Eigenart und der
großen Zahl der infanteristischen Maschinenwaffen, des schweren und
leichten Maschinengewehres und der Minenwerfer. Einen weiteren Druck in
dieser Richtung übte das schon in den Vorjahren erfahrene Massenfeuer der
feindlichen Artillerie und schweren Minenwerfer aus, das die Verdichtung der
Abwehrkräfte und -mittel in Linien verbot und eine Gliederung
derselben in kleinen Gruppen nach der Tiefe sowohl bei der Infanterie wie bei der
Artillerie forderte, um nicht vom Feinde vorzeitig zerschlagen zu werden. Die
"Abwehrschlacht" zog nur die notwendigen Folgerungen aus diesen Forderungen,
brachte im übrigen aber keine Abkehr von den bewährten
Gefechtsgrundsätzen der Vorschriften der Vorkriegszeit. Aber jene
Zerlegung der Truppe in Gruppen und Grüppchen verlangte, wenn sie im
eigentlichen Kampfe in planvollem Zusammenwirken von Feuer und
Gegenstoß wirksam werden sollte, eine sehr hochwertige Infanterie. Nur
eine virtuos ausgebildete, straff in der Hand der Führung befindliche
Truppe unter entschlußkräftigen und umsichtigen Führern, die
bei Ausfall sofort durch Stellvertreter von gleicher Qualität aus der Truppe
heraus ersetzt werden konnten, war imstande, das Abwehrverfahren wirkungsvoll
zu handhaben. Je mehr durch die hohen Gefechtsverluste, die nicht durch
gleichwertigen Ersatz wettgemacht werden konnten, diese Bedingungen
schwanden, desto unwirksamer mußte es werden. Um so mehr
mußten sich bei der weiteren Steigerung der feindlichen
Zerstörungsmittel der höhere Ausfall von Teilen der
Tiefengliederung, das [196] Gefühl der
Vereinsamung und die Herabminderung der Widerstandskraft bei den
übrigbleibenden erfolgvermindernd fühlbar machen.
Ein hervorstechender Mangel des Abwehrverfahrens lag in dem nur geringen
Schaden, den die Artillerie dem stürmenden Feinde zufügen konnte.
Dem Vernichtungsfeuer entzogen sich die französischen Sturmtruppen,
indem sie ihre Ausgangsstellungen dicht an die zerschossenen vordersten
Stellungen oder schon in deren Trichterfeld hineinverlegten. Das Sperrfeuer
wurde dadurch für die vordersten Sturmwellen unwirksam; den
nachfolgenden und den Reserven bot es Lücken genug, um es ohne
erhebliche Verluste durchlaufen zu können. Nirgends hatte bei dem nahen
Gegenüber der beiden Gegner die Sturminfanterie eine lange, von
deutschem Artilleriefeuer beherrschte Geländestrecke zu durchschreiten,
denn sie war überall mit einem Sprung in den Stellungen, wo die
Rücksicht auf die eigenen Truppen nur ein sehr beschränktes
Eingreifen einzelner Geschütze zuließ. Erst wenn sich der Sturm an
der infanteristischen Gegenwirkung, dem Feuer und den taktischen
Gegenstößen, festgelaufen hatte und die Lage geklärt war,
konnte die deutsche Artillerie wieder zur Wirkung gelangen.
Die Gegenangriffe der Reserven und Eingreifdivisionen waren stets auf eine sehr
starke artilleristische Gegenwirkung getroffen. Setzten sie noch während
der eigentlichen Schlachthandlung ein, so mußten sie im Feuerbereich des
französischen Artillerieaufmarsches und seiner schnell vorgezogenen
leichten Batterien durchgeführt werden. Erfolgten sie später, so trat
ihnen der Feind mit einem neuen Aufmarsch seiner gesamten Artillerie entgegen.
Der Grundsatz der "Abwehrschlacht", daß "bei Abschluß des
Kampfes das gesamte Kampfgelände im Besitz des Verteidigers sein soll,
soweit nicht besondere Befehle hierüber ergangen sind", war eine ideale
Forderung, die in der Schlacht nie und hinterher nur durch
Sonderunternehmungen und dann in der Regel auch nur unvollkommen
erfüllt wurde.
Den in der Aisne-Champagne-Schlacht - und auch in den gleichzeitigen
Kämpfen gegen die Engländer - zutage getretenen
Mängeln des Abwehrverfahrens suchte der deutsche Generalstab durch
Einfügen einer "Vorfeldzone" vor der "Hauptwiderstandslinie" der
Abwehrzone beizukommen. Das Vorfeld sollte nur so stark besetzt werden, wie
nötig war, um es "während des gewöhnlichen
Stellungskrieges" und "in der Zeit der Vorbereitungskämpfe" in der Hand
zu behalten. Beim Großkampf sollte es auf Befehl der höheren
Führung dort geräumt werden, wo seine Behauptung in zäher
Verteidigung nicht aus besonderen Gründen geboten erschien. Es hatte
dann dazu gedient, einen großen Teil der Artilleriewirkung aufzusaugen,
und bildete, wenn geräumt, eine Art Glacis, das der Angreifer im Feuer des
Verteidigers durchschreiten mußte. Es stellte sich als sehr schwierig heraus,
in der Praxis klar durch Befehle zu regeln, wie das Vorfeld zu behandeln sei, in
dem, je nach Umständen, die Truppe hinhaltend oder zäh
standhaltend zu kämpfen hatte. Unzählige Zweifel und
Fragen [197] wurden aufgeworfen,
die erst durch viele Sonderverfügungen und Interpretationen
notdürftig geklärt werden konnten. Die Einführung des
Vorfeldes war ein aus der Not geborenes taktisches Mittel, das die
Tiefengliederung beinahe überspannte und die einer solchen anhaftenden
Nachteile noch mehr hervortreten ließ. Aber ein anderer Weg, die eigene
Waffenwirkung zu erhöhen und die feindliche Zerstörungswirkung
abzumindern, war, wenn man nicht zu einem von Grund aus anderen
Abwehrverfahren übergehen wollte, nicht zu finden.
Solange der Gegner noch auf den Durchbruch sann - wie in der ersten Periode der
Schlacht - und man erwarten konnte, daß er rücksichtslos
soweit vorstieß, wie ihn der deutsche Widerstand kommen ließ,
hätte eine operativ, nicht bloß taktisch elastische Führung der
Abwehr wahrscheinlich einen größeren Schlachterfolg zeitigen
können. Wenn die Deutschen, unter Belassung von
Sicherungsdetachements vor der Front, sich vom Feinde nach
rückwärts absetzten, sobald er in die Vorbereitung seines
Großangriffs eingetreten war, so hätten sie seinen Angriff auf lange
Strecken mit ihrer Artillerie fassen, ihn in die Umfassung locken und den
Gegenangriff außerhalb des Wirkungsbereichs der Masse seiner Artillerie
führen können. Seitdem der Franzose aber mit Angriffen mit nahem
Ziel arbeitete, um Schritt vor Schritt vorwärtszukommen, wäre auch
diese Abwehrart nicht mehr erfolgverheißend gewesen.
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