Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
[159]
Kapitel 4: Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz
1917 bis März 1918
Generalleutnant August Fortmüller
1. Lage und Ereignisse in den ersten Monaten
1917.
Zu der Zeit, als an der Somme, an der Front der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht von Bayern, die großen Angriffe sich ihrem Ende
näherten, waren auf dem Großkampffelde der Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz, auf dem Schlachtfelde von Verdun, die Franzosen zur
Gegenoffensive auf den in den blutgetränkten Trichterfeldern
steckengebliebenen deutschen Angriff geschritten. Die treibende Kraft zu dieser
Wendung war der General Nivelle gewesen, der im Sommer 1916 an Stelle des
Generals Pétain Oberbefehlshaber der Armee von Verdun geworden war.
Die Hochfläche von Fleury, das Fort Douaumont waren den Deutschen in
erbitterten Kämpfen entrissen worden; das Fort Vaux hatten sie aufgeben
müssen. Mitte Dezember 1916 hatten erneute französische Angriffe
den abgekämpften deutschen Divisionen Vacherauville und Louvemont,
den Pfefferrücken zwischen beiden Orten, die Höhe 378
nordwestlich der Dorfstätte von Douaumont abgenommen und eine um
Bezonvaux herumreichende tiefe Beule in die deutsche Front geschlagen. Das
heißumstrittene Gelände um die nordöstlichen
Außenforts von Verdun, die Brücke, über die der deutsche
Angriff zur Eroberung der Festung hatte führen sollen, war Ende Dezember
1916 endgültig wieder in französischer Hand (Skizze 7, S. 162).
Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz war im Sommer 1916 gebildet worden.
Ihr Oberbefehlshaber, Kronprinz Wilhelm des Deutschen Reiches und von
Preußen, hatte zunächst den Oberbefehl über seine bisherige
Armee, die 5., mit beibehalten. Ein besonderer Heeresgruppenstab war erst im
Spätherbst 1916 aufgestellt worden mit Oberst und Flügeladjutant
Graf Schulenburg als Generalstabschef. Am 18. Dezember wurde General der
Artillerie v. Gallwitz, der an der Somme die 2. Armee und vorher vor
Verdun den Abschnitt westlich der Maas befehligt hatte, zum Oberbefehlshaber
der 5. Armee ernannt und ihm als Generalstabschef Oberst Bronsart
v. Schellendorff zugeteilt. Das Hauptquartier der 5. Armee ging von Stenay
nach Montmédy; in Stenay blieb vorläufig das Hauptquartier der
Heeresgruppe bis zu seiner Übersiedelung nach Charleville (am 7.
März 1917).
Der Befehlsbereich der Heeresgruppe umfaßte um die Jahreswende 1916/17
die Westfront von nördlich Reims bis zur Schweizer Grenze und erstreckte
sich auf die 3. Armee (General der Kavallerie v. Einem) in der Champagne
und den [160] Argonnen, die 5.
Armee vor Verdun, die Armee-Abteilung Strantz (später
Armee-Abteilung C genannt) in der Woëvre-Ebene und die
Armee-Abteilungen A und B in Lothringen und dem Elsaß.
Abgesehen von dem Abschnitt vor Verdun war die Front der Heeresgruppe eine
"ruhige Front" gewesen und sollte es zunächst auch bleiben. Für die
dort stehenden Divisionen ein großes Glück! Denn fast alle waren
einmal oder öfter durch die mörderischen
Somme-Kämpfe oder die Hölle von Verdun hindurchgegangen. Dort
hatten sie das Beste ihrer Kraft gelassen. "Die Anstrengungen des Jahres waren zu
groß gewesen. Die Spannkraft der Truppen hatte in dem Stillhalten der
Verteidigung unter dem gewaltigen feindlichen Artilleriefeuer und durch eigene
Verluste nachgelassen. Wir waren an der Westfront völlig
erschöpft!" So kennzeichnet General Ludendorff die eigene
Kräftelage um die Jahreswende.1
Die Truppen bedurften einer längeren Kampfpause, um das seelische
Gleichgewicht, um Gefechtskraft und Selbstvertrauen
wiederzugewinnen, - um so mehr, als die Heimat nicht mehr in der Lage
war, das hart ringende Feldheer moralisch zu stärken und zu beleben.
Die Gestaltung der Kriegslage kam diesem Bedürfnis entgegen. Die ersten
Monate 1917 standen fast an der ganzen Front der Heeresgruppe im Zeichen des
Stellungskrieges. Die Gefechtstätigkeit auf beiden Seiten beschränkte
sich auf Störungs- und gelegentliche Zerstörungsschießen der
Artillerie und Minenwerfer, auf kleine
Patrouillen-Unternehmungen zu Erkundungs- und Zerstörungszwecken und
zur Feststellung der feindlichen Kräfteverteilung und auf mehr oder minder
rege Arbeit der Fliegerverbände. Die deutschen Kampfgeschwader
bewarfen wiederholt die kriegswichtigen Infanterie-Anlagen von Pompey und
Frouard nordwestlich, und von Neuves Maisons südwestlich Nancy mit
Bomben; die Franzosen antworteten mit Gleichem gegen das
rückwärtige Gelände und die Eisenwerke des lothringischen
Erzbeckens. Die nicht durch Kampf und Ausbildung in Anspruch genommenen
Kräfte der Truppen konnten zum Ausbau der Stellungen für neue
Abwehrkämpfe eingesetzt werden.
Bei der 3. Armee indes entfesselte auf dem alten Kampfgelände in der
Champagne das Bestreben, die Höhe 185 zwischen Tahure und
Massiges und die an ihrem Osthang liegenden Maisons de
Champagne-Ferme in die deutschen Linien einzubeziehen, eine Reihe
örtlicher, aber sehr heftiger Kämpfe, in die die 51.
Reserve-Division (Generalleutnant Balck) verwickelt wurde. Am 15. Februar war
es Stoßtrupps der Reserve-Infanterie-Regimenter 235, 236 und 240
gelungen, sich nach wirksamer Vorbereitung durch
Artillerie- und Minenwerferfeuer in kühnem Anlauf überraschend in
den Besitz der Höhe und der Ferme zu setzen und auf 2½ km
Breite die eigene Stellung tief in das feindliche Stellungs- [161] system vorzuverlegen.
Bei geringen eigenen Verlusten hatte das Unternehmen auch 800 Gefangene und
reiches Beutematerial eingebracht. Die Franzosen waren jedoch nicht gewillt, den
Deutschen die Vorteile der neugewonnenen Stellung unbestritten zu
überlassen. Sie zogen Artillerie um die Einbruchsstelle zusammen, um ihre
Besatzung zu zermürben. Am 8. März begannen sie mit dem
Gegenangriff. Heldenmütig wiesen die Verteidiger, vor allem die 5.
Kompagnie des Reserve-Regiments 235, die den Südhang der Höhe
besetzt hielt, die sich wiederholenden Anstürme der Franzosen erfolgreich
ab. Aber unter dem in den nächsten Tagen sich täglich erneuernden
Trommelfeuer der Artillerie und Minenwerfer mußte die deutsche Infanterie
nach wechselvollem Kampf die Ferme und den größten Teil des
Höhenkammes wieder aufgeben.
Die Gründe aber für den eigenen Besitz der Höhe waren so
zwingend, daß man es bei dieser Lage nicht belassen konnte. Ein
Gegenangriff mit starken Kräften kam am 27. März zur
Ausführung. Unterstützt durch Ablenkungsvorstöße von
Teilen der Infanterie-Regimenter 143 und 99 der benachbarten 30.
Infanterie-Division nahm Oberstleutnant Freiherr v. Edelsheim mit zwei
Bataillonen Reserve-Regiments 234, Teilen der Regimenter 236 und 240 und
Pionieren die verlorenen Gräben auf der Höhe 185 und an
deren Südosthang wieder; die Ferme mußte den Franzosen
überlassen bleiben, die 4 Offiziere und 268 Mann an Gefangenen verloren.
Am 30. März erneuerten sich die Gegenangriffe. Während das I.
Bataillon des Regiments 234 trotz seiner nur 140 Mann zählenden
Grabenstärke den größten Teil der Stellung gegen eine Reihe
schwerere Angriffe hielt und den hier und da eingedrungenen Gegner im
Gegenstoß wieder hinauswarf, gelang an anderen Stellen der Angriff. Es
bedurfte eines am Abend angesetzten Gegenangriffs von Stoßtruppen der
Division und von Abteilungen des Sturmbataillons der 3. Armee, um diese
Stellungsteile dem Feinde zu entreißen und die erneut gewonnene Stellung
fest in die Hand zu bekommen. Die Kämpfe um die zerschossenen
Gräben auf der von Schnee- und Regenstürmen umbrausten
Höhe sind ein Ruhmesblatt in der Geschichte der 51.
Reserve-Division.
Auch vor Verdun blieb die Gefechtstätigkeit lebhafter und
kräfteverzehrender als an den übrigen Teilen der
Heeresgruppenfront. Unter dem frischen Eindruck des
Dezember-Rückschlages hatte General v. Gallwitz einen
Gegenangriff zur Wiedergewinnung des verlorenen Geländes
vorgeschlagen. Das Oberkommando der Heeresgruppe trat diesem
Entschluß bei und auch die Oberste Heeresleitung wünschte den
Angriff "aus moralischen Gründen". Bis Mitte Januar war man indes
anderer Ansicht geworden. Es erschien bei der allgemeinen Lage sehr
ungewiß, ob der große Angriff auf Verdun wieder aufgenommen
werden konnte, und das Oberkommando der Heeresgruppe meinte, daß "es
nur im Interesse des Feindes liege, wenn wir dicht vor den Kanonen von Verdun
in schlechten Stellungen mit starken Kräften stehenbleiben, die sich
[162] zum Schaden unserer
Gesamtkräfte für einen Nebenzweck in sich selbst verbrauchen". Es
schlug deshalb vor, nicht bloß von dem Angriff abzusehen, sondern
östlich der Maas den rechten Flügel der Stellung, der unter
flankierender Wirkung des Marre-Rückens lag, auf Samogneux
zurückzubiegen. Die Oberste Heeresleitung schloß sich diesem
Vorschlag an. General Ludendorff entschied am 18. Januar bei einer Besprechung
in Stenay, daß der von der 5. Armee geplante Angriff zu unterbleiben habe,
daß die Samogneux-Stellung auszubauen und nach ihrer Fertigstellung zu
beziehen sei und daß bis dahin die jetzige Stellung gehalten werden
solle.
Bis Mitte März war jene neue Kampfstellung, die von Samogneux
über die Höhen 344 und 326 nach dem Südteil des
Fosses-Waldes lief, als Hauptkampfstellung eingenommen. Westlich der Maas, im
Bereich des VII. Armeekorps (General der Infanterie v. François),
war der linke Flügel von Cumières auf den vom Toten Mann nach
Regnéville streichenden Höhenrücken
zurückgenommen worden. In der aufgegebenen Stellung blieben Vorposten
stehen und auch östlich der Maas, im Abschnitt des V. Reservekorps
(Generalleutnant v. Garnier) wurden Vorpostenstellungen auf dem
Talou-Rücken gehalten. Etwa gleichzeitig wurden auch beiderseits der
Straße Verdun - Etain, im Abschnitt des XVIII. Reservekorps
(General der Infanterie v. Steuben) die Stellungen aus dem völlig
versumpften Gelände am Fuße der Côtes Lorraines nach
rückwärts in die Woëvre-Ebene verlegt.
Wenn durch diese Lösung des Problems der "Dauerstellungen" vor Verdun
Kämpfe größeren Ausmaßes zunächst vermieden
wurden, da auch die Franzosen sich mit dem von ihnen Erreichten
begnügten, so blieb die Lage Anfang 1917 doch eine dauernd gespannte.
Die Franzosen konnten jederzeit, gestützt auf die im Bereich der Festung
stehende starke Artillerie, zum Angriff schreiten. Einstweilen beschränkten
sie sich darauf, mit ihr den Stellungsdivisionen das Leben [163] in dem
verwüsteten und verschlammten Kampfgelände nach Kräften
zu erschweren. Eine sehr rege Patrouillentätigkeit von beiden Seiten hielt
die Gegner nach wie vor dauernd in Atem.
Mehrere größere deutsche Unternehmungen in diesen Monaten
dienten vornehmlich dem Zweck der Stellungsverbesserung. Westlich der Maas
war es der nur eine geringe Tiefe bietende Höhenrücken 304, der die
Deutschen nötigte, sich nach vorwärts Raum für die eigene
Tiefengliederung zu schaffen und dem Feinde den Einblick in das
Hintergelände zu entziehen. Am 25. Januar nahmen Teile der 13.
Infanterie-Division (Generalmajor v. Borries) und der 28.
Reserve-Division (Generalleutnant v. Hahn) dem Feinde auf der
Höhe 304 seine vordersten Gräben in einer Frontbreite von 1600
Metern weg und setzten sich in ihnen fest. Dem Angriff war keine besondere
artilleristische Vorbereitung vorausgegangen. Nach einem 30 Minuten
währenden heftigen Minenwerferfeuer, das die Franzosen in ihre
Deckungen gescheucht hatte, waren die Westfalen und Badener vorgebrochen und
hatten den Feind in glänzend gelungenem Anlauf überrannt. 12
Offiziere, 500 Mann Gefangene und 10 Maschinengewehre wurden ihm
abgenommen. - Am 27. Januar stellten sich die Franzosen in ihren
Gräben zum Gegenangriff bereit, der aber im deutschen Vernichtungsfeuer
nicht zur Ausführung kam. Dagegen brachte der nächste Tag
schweren Kampf. Der erste Angriff wurde leicht abgewiesen; nur stellenweise war
die französische Infanterie unter dem Sperr- und Vernichtungsfeuer aus den
Gräben gekommen. Es trat eine Kampfpause bis zum Mittag ein. Dann
eröffnete die französische Artillerie erneut ihr Feuer auf die
Gräben und das Hintergelände und nachmittags griff die Infanterie
dreimal in breiter Front an, um jedesmal unter schweren Verlusten geworfen zu
werden. Infanterie-Regiment 15 hatte in Abwehr und Gegenstößen
die Hauptlast des Kampfes zu tragen. Der Gegner hatte seine ganze 32. Division
eingesetzt, ohne das Verlorene wiederzugewinnen.
Der Februar brachte vor Verdun verhältnismäßige Ruhe. Die
Franzosen hatten Anfang des Monats eine Division aus der Nordfront
herausgelöst, schanzten viel und sparten anscheinend ihre Munition, wenn
sie an den trüben Februartagen ihr Feuer nicht beobachten konnten.
Im März lebten die Kämpfe aus deutscher Initiative heraus wieder
auf. Von der Vauxkreuz-Höhe, hart nördlich des
Caurières-Waldes, sah und feuerte der Feind in die am Nordhang
gelegenen Gräben. Die Höhe sollte genommen, die Gräben auf
den Südhang der Höhe vorgeschoben werden. Am 4.
März - es war nach einem heftigen Schneegestöber gute Sicht
eingetreten - stürmten das II. Bataillon
Reserve-Regiments 66 (7. Reserve-Division) und je ein Bataillon des
Füsilier-Regiments 40 und der Grenadier-Regimenter 109 und 110 (28.
Infanterie-Division) unter Führung des Oberstleutnants Reinicke die
französischen Gräben vom Fosses-Walde bis zum Osthang der
Höhe, drangen tief in die Stellungen ein und setzten sich darin fest. Der
Gegner erlitt außer seinen [164] blutigen Verlusten eine
Einbuße von 3 Offizieren, 458 Mann an Gefangenen und 13
Maschinengewehren sowie 25 Schnelladegewehren. Die deutschen Verluste
waren gering. Das Höhengelände war und blieb in
deutschem Besitz. - Am selben Tag entriß an der Straße
Verdun - Etain die 2. Kompagnie
Infanterie-Regiments 183 (192. sächsische
Infanterie-Division) dem Feinde ein vorspringendes Grabenstück,
fügte es der eigenen Stellung ein und machte bei äußerst
geringem Verlust 3 Offiziere, 115 Mann zu
Gefangenen. - Am 10. März holten östlich der
Vauxkreuz-Höhe die Badener zu neuem Schlage aus: ein kühner
Streifzug von Stoßtrupps der 28. Infanterie-Division in den Nordostteil des
Caurières-Waldes, am Nordhang der nach Bezonvaux herabstreichenden
Brûle-Schlucht, erbrachte 7 Offiziere, 207 Mann an Gefangenen.
Auf dem westlichen Maas-Ufer, am Ostrand des großen Waldzipfels
zwischen Avocourt und Malancourt sowie am Osthang der Höhe 304, lagen
die Franzosen noch in Stellungen, die ihnen einen weiten Einblick in die
deutschen rückwärtigen Verbindungen gestatteten und den Verkehr
andauernd mit Verlusten belasteten. General v. François wollte hier,
um ganze Arbeit zu tun, den Erfolg vom 25. Januar weiter ausbauen. Am 18.
März drangen westlich der Höhe 304 Teile des
Reserve-Regiments 111 stürmend bis in die dritte feindliche Grabenlinie
vor und setzten sich dort fest. Am Osthang der Höhe nahmen Teile der
Infanterie-Regimenter 13 und 15 in 800 m Breite dem Feinde die
vordersten Gräben weg und zogen sie in die eigene Stellung ein. Ein
größeres Patrouillenunternehmen im Walde von Malancourt,
ausgeführt von Stoßtrupps des
Reserve-Regiments 110, und ein Vorstoß von Abteilungen der
Infanterie-Regimenter 56 und 16 (14. Infanterie-Division) gegen die Gräben
am Toten Mann dienten dazu, die Gegenwirkung des Feindes zu zersplittern. Alle
diese Angriffe brachten einen vollen Erfolg; der Feind mußte 8 Offiziere
und 546 Mann in den Händen der Westfalen und Badener lassen. Seine
Versuche am 19. März, den Deutschen das gewonnene Gelände
wieder zu entreißen, schlugen fehl. Es gelang der 11. Kompagnie
Infanterie-Regiments 15 sogar, noch ein Grabenstück von 200 m
Länge dazu zu erobern.
Während in diesen winterlichen Teilkämpfen die Stellungsdivisionen
der Heeresgruppe sich für die Abwehr festigten, dem Feinde Abbruch taten
und ihm bewiesen, daß sie im Angriff noch ungebrochen waren, reiften in
den Großen Hauptquartieren der Kriegführenden die großen
operativen Entschlüsse für das Frühjahr heran.
Bei der aufs äußerste gespannten Kriegslage konnte die deutsche
Oberste Heeresleitung nicht anders, als die Westfront weiterhin zur reinen
Abwehr zu verurteilen. Der Ausbruch der russischen Revolution im März
änderte daran nichts. Die von ihr an der Westfront erhoffte Erleichterung
verwirklichte sich nur in bescheidenen Grenzen. Einige abgekämpfte
Westdivisionen konnten gegen kampfkräftigere aus dem Osten
ausgetauscht, einige wenige Ostdivisionen über- [165] dies der Westfront
zugeführt werden. Auch war es möglich, sie etwas reichlicher mit
materiellen Kampfmitteln auszustatten. Eine die Entscheidung suchende
Offensive war damit aber nicht zu führen. Das Westheer sah sich weiter vor
der Aufgabe, Angriffe von einer Wucht der Zerstörungsmittel abzuwehren,
deren Höchstmaß in den Kämpfen des Jahres 1916
voraussichtlich noch nicht einmal erreicht war.
Die Ernennung des Generals Nivelle zum Generalissimus des französischen
Feldheeres wurde als ein unverkennbares Symptom dafür gedeutet,
daß man mit der Joffreschen Strategie der zeitraubenden Zermürbung
des Gegners durch Angriffe mit beschränktem Ziel gebrochen habe. In der
Tat war Joffre durch Ernennung zum Marschall ohne festumgrenzte
Befehlsbefugnisse "kaltgestellt" worden. Nivelles Haupt umstrahlte der
Glorienschein des Befreiers von Verdun aus der engen deutschen
Umklammerung. Regierung und öffentliche Meinung sahen in ihm den
Mann, der die bisherige schleppende Kriegführung mit dem Geiste einer
auf große Durchbruchsschläge abzielenden Offensive erfüllen
würde. Nur mit einer solchen könne die deutsche Front zerschlagen,
der französische Boden von dem verhaßten Eindringling befreit
werden. Das unbedingte Vertrauen der Nation hatte den General in seine neue
Stellung geleitet. In der Armee teilten allerdings nicht alle höheren
Führer die weitgehenden Erwartungen, die der neue Generalissimus in die
operative Auswirkung seiner Angriffstaktik setzte.
Die deutsche Oberste Heeresleitung2 rechnete für 1917 mit einer nach
Norden erweiterten Fortsetzung des englischen Angriffs auf dem
Somme-Schlachtfelde.3 Möglich war daneben ein
gleichzeitiger französischer Angriff südlich der Somme,
wahrscheinlicher aber ein solcher auf die Front
Soissons - Reims - Argonnen, um den nach Südwesten
vorspringenden Bogen der deutschen Front zum Einsturz zu bringen. Auch vor
Verdun war der Feind jederzeit angriffsbereit. Nach mancherlei Nachrichten war
es auch nicht ausgeschlossen, daß der Feind sich mit einem großen
Angriff in Lothringen und dem Sundgau trug.
Der Januar erbrachte keine Klärung über seine Absichten. Um Briten
und Franzosen an der Somme die Benutzung ihrer vorbereiteten Angriffsbasis zu
entziehen, die deutsche Front zu verkürzen, Reserven auszusparen und Zeit
für die Abwehrvorbereitungen zu gewinnen, war die Zurücknahme
des Frontbogens an der Somme und Oise auf dessen Sehne in die
Siegfriedstellung Arras - Vailly geplant und vorbereitet. Am 4.
Februar entschloß sich die Oberste Heeresleitung zur Ausführung
dieser "Alberich"-Bewegung. Sie begann am 9. Februar mit den Vorbereitungen:
Bergung des Kriegsmaterials in dem zu räumenden Gebiet,
Unbrauchbarmachung desselben für den feindlichen Angriff,
Zusammenziehen der Bevölkerung an einzelnen Orten zur Übergabe
an den Feind. Planmäßig hatte am 16. März der
Rückzug der Truppen in die Siegfriedstellung zu beginnen und in der Nacht
18./19. März beendet zu sein.
[166] Schon im Januar hatte
die Oberste Heeresleitung einen Teil ihrer Reserven an Truppen und
Heeresartillerie von anderen Fronten hinter die bisher nur schwach mit Reserven
ausgestattete Front der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz geschoben. Auch im
Februar wurde damit fortgefahren, da nach zuverlässigen Nachrichten die
Franzosen einen Angriff in der Champagne vorbereiteten. Einen sehr wichtigen
Beitrag zur Klärung der Absichten des Feindes lieferte die schon
erwähnte Angriffsunternehmung der 51.
Reserve-Division am 15. Februar.4 Unter der Beute befand sich ein Befehl
der gegenüberstehenden 2.
Infanterie-Division mit der "Anweisung über Ziel und Vorbedingungen
für eine allgemeine Offensive". Der erstere wies mit Sicherheit auf einen
großen Angriff an der Aisne für April hin. Die Anweisung ergab die
wertvollsten Anhalte für das geplante Angriffsverfahren.
Französische Angriffe in Lothringen und dem Elsaß konnten nun als
nur noch sehr wenig wahrscheinlich angesehen werden. In welchen Grenzen aber
der Feind an der Front der Heeresgruppe und der anschließenden
Aisne-Front der 7. Armee angreifen würde, war nicht leicht zu erkennen.
Von Vailly bis zu den Argonnen hatte er, ebenso wie vor Verdun, seine
Stellungen wie ein Angriffsfeld ausbauen können, so daß
Angriffsarbeiten hier überhaupt nicht vonnöten waren.5 Die Luftaufklärung vermochte
daher der deutschen Führung nur Anhalte über solche
Vorbereitungen hinter der feindlichen Front zu liefern, die der Gegner nicht
verbergen konnte.
[167]
Skizze 8: Befehlsgliederung der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz.
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Die Neuregelung der Befehlsgliederung an der Westfront im März
überwies der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die 7. Armee6 (ihr Oberbefehlshaber, Generaloberst
v. Schubert, schied am 13. März aus, sein Nachfolger wurde General
der Infanterie v. Boehn; Generalstabschef Oberst Reinhardt). Damit wurde
die Grenze zwischen den Heeresgruppen nach La Fère verlegt und
die
Aisne - Champagne-Front einheitlich unter den Befehl der
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz gestellt. Dafür gab diese die
Armee-Abteilungen A und B (vom 12. April ab auch C) zur Bildung der neuen
Heeresgruppe Herzog Albrecht ab. Die Frontverkürzung zwischen Arras
und Laon ermöglichte es, das Oberkommando der 1. Armee (General der
Infanterie Fritz v. Below, Generalstabschef Oberstleutnant
v. Klüber) herauszulösen und es bei der Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz zwischen der 7. und 3. Armee einzuschieben. Es konnte dort
aber erst vom 16. April ab, als die Schlacht an der Aisne schon entbrannt war, den
Befehl übernehmen. Es nahm sein Hauptquartier in Rethel; das der 7.
Armee ging von Laon nach Marle.
Die Deutschen hatten durch ihr Zurückgehen in die Siegfriedstellung,7 das [167] reibungslos gelungen
war, und durch den Wechsel im französischen Oberbefehl kostbare Zeit
gewonnen. Die französisch-englischen Angriffe sollten ursprünglich
im Februar einsetzen.8 Nach Joffres Plan war der englische
Angriff bei Arras als eine Nebenoperation, eine Art Ablenkungsoffensive
zugunsten des in der Champagne geplanten großen französischen
Angriffs gedacht. Nivelle steckte das Ziel weiter als Joffre. Er wünschte
eine entscheidungbringende,
englisch-französische Einheitsoperation. Dazu sollten die Franzosen mit
ihren Hauptkräften nicht in der Champagne, sondern zwischen Reims und
Vailly angreifen, wo der Durchbruch mit zwei Armeen zu erzwingen war,
während eine dritte sich zur Ausbeutung desselben dahinter bereitzuhalten
hätte. Über Craonne auf Guise sollte der französische
Stoß in den Rücken des Gegners geführt werden. Die
Engländer sollten ihren Angriff an der Somme nach Norden erweitern und
ihn gleichfalls kraftvoll, mit dem Ziel des Durchbruchs durch die deutschen
Linien, führen.
Die Vorbereitungen für den abgeänderten französischen
Angriff und die Verhandlungen mit den Engländern forderten einen
späteren Beginn der Offensive. Während sie noch im Gange waren,
schufen die Deutschen durch die Alberich-Bewegung eine neue Lage. Nivelle
blieb bei seinem Grundgedanken. Für den [168] Angriff der Franzosen
ergaben sich keine wesentlichen Änderungen. Dagegen mußte die
englische Offensive nun bei Arras und nördlich geführt werden. Dem
britischen Oberbefehlshaber lag es mehr am Herzen, die englische
Vollkraft zur Eroberung der deutschen U-Bootbasis in Flandern, als zu einem
Angriff im Rahmen der französischen Operation einzusetzen. Es bedurfte
des Eingreifens des neuen englischen Ministerpräsidenten Lloyd George,
der sich den Nivelleschen Plan zu eigen gemacht hatte, um den Widerstand von
Sir Douglas Haig gegen die Arras-Offensive zu überwinden. Der
französische Generalstab siegte; der englische Oberbefehlshaber wurde
für die Dauer der geplanten Offensive dem Befehl Nivelles unterstellt und
der Beginn des gemeinsamen Angriffs für Anfang April verabredet. Ehe es
zu seiner Ausführung kam, sollte sein Urheber indes noch weitere
Kämpfe im eigenen Lager zu bestehen haben.
Auf deutscher Seite waren die gewonnenen Monate in zielbewußter und
planmäßiger Arbeit zur Stärkung der Abwehr genutzt worden.
Das Hindenburg-Programm begann in wesentlich erhöhter Erzeugung von
Kriegsmaterial aller Art wirksam zu werden. Die bei Jahresbeginn neu
aufgestellten 13 Divisionen konnten zu kampfkräftigen Verbänden
heranwachsen. Hinter allen Abschnitten der Westfront waren
rückwärtige Stellungen im Entstehen, darunter die
Hunding-Brunhildstellung hinter der Front der Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz.
Dieser Front, die die ganze Last des französischen Angriffs zu tragen haben
würde, wurden von der Obersten Heeresleitung weiterhin erhebliche
Verstärkungen zugeleitet. Am 23. Februar überwies sie der
Heeresgruppe 20 Armierungs-Bataillone. Dieser Zuwachs an Arbeitskräften
entlastete die Divisionen im Stellungsbau und ermöglichte, mindestens ein
Drittel der Infanterie zur Ausbildung hinter der Front frei zu halten. Anfang
März wurden der 7. und 3. Armee mehrere Divisionen, eine große
Anzahl schwerer Batterien und beträchtliche Munitionsmengen
zugeführt, teilweise auch auf Kosten der 5. Armee, die bei Verdun einem
angriffsbereiten Feinde gegenüberstand. Diese Verstärkungen
blieben zunächst größtenteils hinter den Fronten beider
Armeen abgestellt. Eine Verdichtung der Stellungsbesetzung wurde vermieden,
trotzdem die Stellungsdivisionen meist erheblich größere
Frontbreiten zu verteidigen hatten, als es nach den Erfahrungen der
vorjährigen Kämpfe zweckmäßig erscheinen mochte.
Man wollte, ehe die Angriffsräume des Feindes nicht genauer zu erkennen
waren, sich vor einer Festlegung der Kräfte hüten.
In der Großkampfpause der Wintermonate hatten die Verbände der
Heeresgruppe an seelischer Kraft viel wiedergewonnen, wenn auch "der Druck
der Somme-Schlacht und der Kämpfe vor Verdun noch auf den
Gemütern lag und die natürliche Spannung erhöhte, die jeder
Verteidigung innewohnt und die Nerven martert".9 Mit Ernst und Eifer war durch
Truppenübungen und in den
Lehr- [169] und
Übungskursen der Divisionen die taktische Ausbildung der
Unterführer und der Truppe für die zu erwartenden
Abwehrkämpfe gefördert. Die ihr zugrunde gelegte neue Vorschrift
"Grundsätze für die Führung der Abwehrschlacht im
Stellungskriege" bedeutete eine unzweifelhafte Verbesserung des
Kampfverfahrens in der reinen Abwehr. Die Gliederung der Kräfte in der
Heeresgruppenfront wurde diesen Grundsätzen entsprechend nach und nach
durchgeführt. Der Generalstabschef der Heeresgruppe war
unermüdlich tätig, mit den Generalstabschefs und den
Generalstabsoffizieren der Kommandobehörden, bis zu den Divisionen
herab, in den einzelnen Frontabschnitten sowohl die Anordnungen für die
Abwehr als auch die Gefechtsführung in den verschiedenen
möglichen Lagen eingehend zu besprechen. Ein Anfang März von
der Heeresgruppe in Sedan eingerichteter Übungskurs für
Divisions-, Infanterie- und Artillerie-Kommandeure und Generalstabsoffiziere
vermittelte jede Woche einer Anzahl derselben eine nähere
Erläuterung der "Abwehrschlacht" durch Vorträge und praktische
Vorführungen. Für die Weiterbildung der Artillerieoffiziere, von
denen viele bei der Aufstellung der zahlreichen Neuformationen in Dienststellen
gekommen waren, deren Anforderungen sie bei ihrem Dienstalter und ihrer
Diensterfahrung nicht voll genügen konnten, sorgte die Heeresgruppe durch
Einrichtung einer Artillerieschießschule in Mouzon, die die
Schieß- und taktische Ausbildung dieser Offiziere fördern sollte. Sie
war der Aufsicht des Oberkommandos der 5. Armee unterstellt.
Bis Ende März ließen die eingegangenen Nachrichten und namentlich
die Lichtbilderkundung der Flieger keinen Zweifel mehr zu, daß gegen die
nach Süden gerichtete Front der 7. und gegen den rechten Flügel der
3. Armee große Angriffe in kurzem bevorstünden. Vor dem rechten
Flügel der 7. Armee war der Feind bis dicht an die Siegfriedstellung
gefolgt; Angriffsvorbereitungen waren dort nicht zu erkennen. Dagegen waren vor
der Armeefront von Vailly bis Reims und weiter östlich bis
gegenüber Aubérive neue Eisenbahn- und Straßenbauten
entstanden. Von Woche zu Woche hatte sich dort die Zahl der Barackenbauten,
Zeltlager und Flughallen vermehrt. An vielen Stellen waren übende
Truppenteile gesehen. Zahlreiche neue Batterien, darunter auch solche schweren
Kalibers, wurden festgestellt; alte, bisher unbesetzt gewesene Batteriestellungen
als neubesetzt ermittelt. Zu den schon bekannten "Eisenbahnklauen", die der
Feind für das Feuern mit schwersten Geschützen erbaut hatte, waren
neue hinzugekommen. Die Massierung der Angriffsvorbereitungen erschien am
dichtesten vor den Abschnitten von Soupir bis
La Ville-aux Bois und von Bethény bis Aubérive.10 Dort waren auch in den Stellungen
zeitweise Divisionen aufgetreten, die als besonders gute Angriffsdivisionen
bekannt waren. Vor der übrigen Front der 3. Armee deuteten keine
Anzeichen auf einen bevorstehenden Angriff. Auch bei Verdun schien der Gegner
vorerst nichts Ernstliches zu planen.
[170] Bis in die letzten
Märztage war eine wesentliche Steigerung in der Feuertätigkeit der
französischen Artillerie an der Aisne und östlich Reims nicht zu
bemerken. Doch hatte sie anscheinend mit dem Einschießen auf die
vorderen deutschen Linien begonnen. Schwere Kaliber waren erst wenig,
schwerste überhaupt noch nicht ins Feuer getreten. In den ersten Apriltagen
aber schwoll das französische Feuer merklich an. Die Franzosen hatten vor
der 7. Armee ihre Artillerie vorgezogen und begannen mit dem
planmäßigen Einschießen aller Geschützarten und
Kaliber. Sie entwickelten eine lebhafte Flieger- und Patrouillentätigkeit.
Die ersten, auch der Truppe fühlbaren Anzeichen des heranziehenden
großen Ansturms machten sich bemerkbar.
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