Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern
im Jahre 1917 (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
12. Letzte Ereignisse des Jahres 1917.
Rückblick und Ausblick.
Bei der deutschen 4. Armee grollte das Flanderngewitter in der zweiten
Hälfte des November und im Dezember aus. Am 25. November lief sich ein
schmaler englischer Angriff bei Passchendaele tot; dann steigerte sich bei reger
Streiftätigkeit am 27. November das Artilleriefeuer bei Dixmude und gegen
die Front Houthulster Wald - Zandvoorde. Am 2. Dezember griffen
zwei englische Brigaden nördlich und nordöstlich Passchendaele an,
scheiterten aber durch deutschen Gegenstoß, und am 3. Dezember
mißglückte ein ähnliches englisches Unternehmen bei
Gheluvelt. Später wurden beiderseits häufige
Erkundungsvorstöße gemacht, die am 26. Dezember bei Poelkapelle,
am 30. Dezember an der Bahn
Boesinghe - Staden zu blutigen Kämpfen führten.
Sonst blieb es ruhig; starke Bahnbewegung zeigte Minderung der feindlichen
Kräfte zugunsten der Cambraifront an. Auch die Franzosen, die
während der Flandernschlacht zwischen den Belgiern und
Engländern gestanden hatten, verschwanden. Nichts aber deutete an,
daß die Engländer etwa darauf verzichtet hätten, den
Flandernkampf im geeigneten Augenblick wieder aufzunehmen. Sie befestigten
den taktisch wenig günstigen Ypernbogen, bauten an den Bahnen,
Straßen, Lagern und Artilleriestellungen.
Im Küstengebiet wurden wieder Franzosen festgestellt, denen ein
Vorstoß des Marinekorps am 29. November nordöstlich Nieuport
Gefangene abnahm. Ein feindlicher Angriff an der gleichen Stelle am 26.
Dezember wurde abgewiesen. Die feindlichen Seestreitkräfte hielten sich
ruhig oder drehten ab, wenn sie ins Feuer der deutschen Küstenbatterien
gerieten. Ein feindlicher Monitor, der am 19. Dezember eine Küstenbatterie
beschoß, wurde schnell vertrieben.
Die beiderseitige Fliegertätigkeit blieb, besonders mit Bomben, ungemein
rege. Die Stärke des feindlichen Geschwaders war auffallend; es wurden
auch amerikanische Flieger eingesetzt.
Die Kräfteverteilung beim Feinde wurde genau festgestellt. Bei
Jahres- [154] schluß standen
von der Küste bis Nieuport Franzosen; dann folgten die Belgier im
überschwemmten Gebiet der Yser bis zur Gegend südöstlich
Merckem. Daran schlossen sich bis westlich Werwicq etwa elf englische
Divisionen an.
Bei der 6. Armee dauerten auf dem alten Schlachtboden bei Lens und beiderseits
der Scarpe immer noch schwere Artilleriekämpfe an. Um
La Bassee-Kanal und bei Lens bedienten sich die Engländer mit
unzweifelhaftem Erfolge des Massenschießens von Gasminen, das aber
durch die deutschen Batterien gedämpft werden konnte. Am 30. Dezember
gelang es, bei Hulluch und Lens auch deutscherseits Gasminen mit
günstigem Ergebnis zur Anwendung zu bringen. Als sich das Jahr seinem
Ende näherte, hatte die Feuertätigkeit im allgemeinen sehr
abgenommen.
Die Streiftätigkeit wurde beiderseits mit großem Eifer gehandhabt;
am 1. und 2. Dezember fanden bei Warneton und Lens erbitterte
Patrouillengefechte statt. Gegen Jahresschluß begannen die
Engländer sich zurückzuhalten.
Der Luftkampf gipfelte auf beiden Seiten in Bombenwürfen, brachte aber
auch zahlreiche Zusammenstöße der Geschwader; selbst
Schneetreiben und nebliges Wetter schwächten die Tätigkeit nicht
wesentlich ab.
Die deutschen Erkundungen ergaben, daß vor der Front der 6. Armee etwa
zehn englische und nordöstlich Béthune zwei portugiesische
Divisionen standen. Obwohl Truppen nach der Cambraifront abbefördert
waren, mußte doch mit starken englischen Reserven gerechnet werden.
Um südlich der Scarpe die Kommandoverhältnisse zu
vereinheitlichen, wurde am 3. Dezember die Südgrenze der 6. Armee gegen
die 2. nach Norden bis zur Scarpe verlegt.
Bei der 2. Armee fand in der Gegend von Bullecourt am 12. Dezember ein
erfolgreicher deutscher Angriff statt, der dem Feinde ein 600 m breites
Grabenstück und zahlreiche Gefangene entriß. Englische
Vergeltungsstöße am 14. und 15. Dezember wurden abgewiesen.
Weiter südlich an der Cambraifront blieb die Lage gespannt. Die Artillerien
bekämpften sich mit großem Munitionsaufwande, und starke
Kräfte lagen beiderseits auf der Lauer. Infanteristisch ergaben sich
häufige Erkundungsvorstöße von hüben und
drüben, besonders bei Moeuvres, Graincourt und Marcoinq, die zuweilen
auch weiter nördlich bis Croisilles übergriffen. Das Jahr 1917
schloß mit einem erfreulichen deutschen Erfolge; am 30. und 31. Dezember
wurden bei Marcoinq und La Vacquerie englische Gräben
gestürmt und über 500 Gefangene gemacht. Gegen feindliche
Gegenangriffe konnte der Gewinn freilich nicht voll behauptet werden.
Südlich Pontruet auf dem französischen Teil der Front mußte
dauernd mit Angriffen auf St. Quentin gerechnet werden, die insbesondere
in den Cambraitagen drohend erschienen. Doch steigerte sich die infanteristische
Tätigkeit nicht über Patrouillenkämpfe. Dagegen blieb das
Artillerie- und Minenfeuer sehr [155] lebhaft, und auch hier,
südlich St. Quentin, wurde am 13. Dezember deutscherseits ein
Gasminenüberfall ausgeführt.
Die Flieger erwiesen sich an der Front der 2. Armee rege. Die
zahlenmäßige Überlegenheit war auch hier beim Feinde;
trotzdem unterlag er in zahlreichen Luftkämpfen.
Gegen Ende 1917 stand noch immer fast die Hälfte aller englischen
Divisionen an oder in nächster Nähe der
Cambraifront - etwa 18 Infanterie- und 5
Kavallerie-Divisionen. Anscheinend glaubte man an weitere deutsche Angriffe.
[156] Dagegen waren die
Franzosen, deren nördlicher Flügel bis dicht südlich
St. Quentin verschoben wurde, weit dünner aufgestellt,
verfügten aber gleichfalls über starke Reserven.
Bei der 2. Armee wurde am 8. Dezember auf dem linken Flügel zur
Entlastung des Oberkommandos aus den Gruppen St. Quentin und Oise
eine besondere Armeegruppe Etreux unter dem Kommandierenden General des
XXIII. Reservekorps v. Kathen gebildet, deren Befehlsbereich von
östlich Péronne bis La Fère reichte. Sie wurde am
27. Dezember durch das Oberkommando der 18. Armee abgelöst, das
bisher im Osten die Bezeichnung Oberkommando Woyrsch geführt
hatte.
Deutscherseits wurde Ende 1917 die Lage dahin beurteilt, daß die Zeit
feindlicher Angriffe im allgemeinen vorbei sei und die Feinde nunmehr die
deutsche Offensive erwarteten. Vorsichtigerweise setzte man aber immer noch die
Möglichkeit englisch-französischer Stöße gegen die
Front der 2. Armee in Rechnung.
Da die Zeit für die deutsche Offensive nach der Witterung wie nach dem
Stand der Kräfte noch nicht reif war, hielt es die Heeresgruppe im
Dezember 1917 für geboten, ihre Truppen allmählich so zu verteilen,
daß auf allen Fronten Reserven gegen überraschende feindliche
Angriffe vorhanden waren. Gleichzeitig sollten dadurch Ablösung der
Stellungsdivisionen und Ausbildung erleichtert werden.
[155]
Skizze 6: Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern
im Winter 1917/18.
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Die Front der Heeresgruppe dehnte sich jetzt vom Meere bis zur Oise bei
La Fère über 200 km aus. Ihre im allgemeinen nach
Westen gerichtete Front zeigte eine starke Einbuchtung östlich Ypern und
eine geringere östlich Bapaume als Ergebnis der
Flandern- und Cambraischlachten. Im übrigen erschien sie durch den
Siegfriedrückzug und durch die Zurückverlegung der Front bei Arras
infolge der Arrasschlacht wesentlich gestreckter und gekürzter als im
Beginn des Jahres.
Auf dem rechten Flügel stand die 4. Armee (General Sixt v. Armin; Chef
des Generalstabes General v. Loßberg) mit den Gruppen Nord
(Marinekorps), Dixmude (X. Reservekorps), Staden
(Garde-Reservekorps), Ypern (Gardekorps) und Wytschaete (IX. Reservekorps)
vom Meere bis zur Lys; sie hatte 17 Divisionen in der Front und 11 Divisionen in
der Reserve. Die während der Flandernschlacht gebildete Gruppe Houthulst
(XVIII. Armeekorps) war wieder in Fortfall gekommen.18 Es folgte die 6. Armee (General
v. Quast; Chef des Generalstabes Oberstleutnant v. Lenz) bis zur
Scarpe; sie bestand aus den Gruppen Lille (II. bayerisches Armeekorps), Aubers
(XIX. Armeekorps), Loos (IV. Armeekorps), Souchez (VI. Reservekorps), Vimy
(I. bayerisches Reservekorps) und zählte 12 Divisionen in der Front und 6
im Rückhalt. Von der Scarpe bis östlich Péronne hielt die 2.
Armee (General v. d. Marwitz; Chef [157] des Generalstabes
Major Stapff) mit den Gruppen Lewarden (XVIII. Armeekorps), Arras (XIV.
Reservekorps), Caudry (XIII. Armeekorps), Busigny (XIV. Armeekorps); bei ihr
standen 14 Divisionen in der Front, 7 Divisionen dahinter. Den linken
Flügel bildete bis La Fère die 18. Armee (General
v. Hutier; Chef des Generalstabes General v. Sauberzweig) mit den
Gruppen St. Quentin (IX. Armeekorps) und Oise (XVII. Armeekorps) und
5 Divisionen in der Front, 2 Divisionen in Reserve.
Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht war durch die Kämpfe des Jahres
1917 geschlossener geworden und im Aufbau fester gefügt. Das abseits
liegende Gebiet der 7. Armee hatte sie abgegeben und dafür das der 4.
Armee eingetauscht, das aus Gründen des Zusammenhangs zu ihrem
Machtbereich gehörte. Obwohl in der Ausdehnung etwa um 70 km
verkürzt, zählte sie jetzt, wie im Beginne, 4 Armeen; die Zahl der
Gruppen hatte sich von 17 auf 16 gemindert, die Zahl der Divisionen von 60 auf
74 erhöht. Vorläufig noch absichtslos arbeitete diese stärkere
Zusammenfassung der nächsten Aufgabe der Heeresgruppe, der
großen deutschen Offensive, vor.
Um die Leistungen der Heeresgruppe im Jahre 1917 voll zu würdigen,
müssen sie im Rahmen der Gesamtgeschichte betrachtet werden. Daß
die Oberste Heeresleitung die für den Bestand des Vierbundes
unerläßlichen Offensiven im Osten und in Italien führen
konnte, hatte sie dem unerschütterlichen Ausharren der Westfront zu
verdanken; hier aber trug die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht die Hauptlast
der Abwehr, dieser entsagungsreichen und verlustreichen Form des
Stellungskampfes. Zwei Riesenschlachten, bei Arras und in Flandern, die man
angesichts der feindlichen Überlegenheiten an Menschen und Material mit
Sorge kommen und unter schwersten Erschütterungen sich auswirken sah,
hatte sie durchzufechten, und schließlich traf ihre mit ermüdeten
Truppen ungleichmäßig besetzte Front der überraschende
Stoß bei Cambrai. Es ist erstaunlich, daß sie die Kraft besaß,
gegen diesen Schlag nicht nur zu halten, sondern ihn auch durch rasche
Vergeltung im wesentlichen wieder auszugleichen.
Diese Tatsachen bergen hohes Lob für Führung und Truppen in sich.
Ohne vorausschauende und energische Führung wären solche
Abwehrerfolge nicht möglich gewesen. Die Oberste Heeresleitung
schuf - gerade noch rechtzeitig - die großen
rückwärtigen Stellungen; die Heeresgruppe führte den
Rückzug in die Siegfriedstellung durch, der zeitlich so gelegt wurde,
daß der Feind seine umfassenden Angriffspläne zum großen
Teil gegenstandslos werden sah und sich mit örtlich und zeitlich getrennten
Schlägen begnügen mußte. Die Oberste Heeresleitung schuf
die Taktik der beweglichen Verteidigung; die Heeresgruppe wendete sie mit
Glück an, nicht in sklavischer Befolgung, sondern in Anpassung an die
tatsächlichen Forderungen. Die Oberste Heeresleitung gab an Kräften
mit der Sparsamkeit, die durch die Ansprüche der übrigen
Kriegsschauplätze geboten war; die Heeresgruppe verstand sie mit
sicherem Gefühl dort in aus- [158] reichender Zahl zu
verwenden, wo die Lage feindliche Anstürme erkennen ließ. Und als
die Front bei Cambrai zu einer Zeit überrascht wurde, da man auch beim
Gegner eine gewisse Erschöpfung annehmen konnte, brachte sie das
Meisterstück fertig, in kürzester Zeit so viel Truppen mit der Bahn zu
versammeln, daß der erfolgreiche Gegenangriff ermöglicht wurde.
Dabei durfte sich die Heeresgruppe nicht darauf beschränken, die Blicke
lediglich dahin zu richten, wo der Feind gerade drohte oder angriff. Fast immer
hingen mehrere schwere Gewitter am Himmel, und die Entladungen an einer
Stelle gaben keine Gewißheit, daß andere Stellen verschont bleiben
sollten. Durchdringung der feindlichen Absichten mit den Mitteln des Verstandes
und der Voraussicht, klare Beurteilung der Sturmzeichen, sichere Übersicht
über die Möglichkeiten des feindlichen Handelns und über die
Stärke des Gegners bildeten die Grundlage für den Einsatz und die
Verwendung der eigenen beschränkten Mittel. Das ganze schwere Jahr
1917 hindurch hatte die Heeresgruppe den bitteren Nachteil der Defensive zu
überwinden, vom feindlichen Willen abhängig zu sein.
Ebenbürtig neben die Führung tritt die Truppe. Die aus der Natur der
Verhältnisse entspringende Minderung ihres Wertes zeigte sich auch bei der
Heeresgruppe. Indes von verschwindend wenigen Fällen des Versagens
abgesehen werden die Namen Arras, Flandern und Cambrai für alle Zeiten
Höchstleistungen bezeichnen. Diese schweren Schlachten gingen leider
nicht spurlos vorüber. Der Verbrauch zahlreicher vortrefflicher Divisionen
bis zur Erschöpfung und die lastende Sorge, wie sie bei der wachsenden
Schwierigkeit des Ersatzes wiederhergestellt werden sollten, bildeten das
trübste Ergebnis des Jahres 1917.
Die Kriegslage hatte sich am Schluß des Jahres 1917 zugunsten des
Vierbundes gewendet. Wenn jetzt die Oberste Heeresleitung dem Gedanken nahe
treten konnte, ihrerseits die Offensive zu ergreifen, so stützte sie sich auf
die Festigkeit der Führer und Truppen, die auf der Westfront die schwersten
Stürme überdauert hatten. Wie in der Abwehr, so sollte auch bei den
Angriffen des Jahres 1918 der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht die Hauptrolle
zufallen.
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