Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 4: Die Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz
1917 bis März 1918 (Forts.)
Generalleutnant August Fortmüller
4. Die Sommer- und Herbstkämpfe 1917 vor
Verdun.
Hierzu Skizze 7
(S. 162).
Die Deutschen hatten die ersten Monate des Jahres 1917 genutzt, um vor Verdun
in den Abschnitten Maas-West und -Ost ihre Abwehrstellungen zu
verbessern. Die Franzosen hatten ihr starker Kräfteverbrauch
während der Aisne-Champagne-Schlacht genötigt, sich mit ihren
offensiven Plänen große Zurückhaltung aufzuerlegen. Einen
Gegenangriff auf die von den Deutschen am 4. März genommene
Vauxkreuz-Höhe nördlich des
Caurières-Waldes, deren Besitz ihnen von Wert sein mußte, hatten
sie unterlassen. Anderseits war es auch für General v. Gallwitz
dringend geboten, mit seinen Kräften, besonders mit der Munition,
hauszuhalten. Er mußte es sich versagen, dem Feinde, der nach seinen
Vorbereitungen noch immer mit einem Angriff am
Caurières-Walde drohte, mit einem Angriff zuvorzukommen, wie er es
gern getan hätte; diesem blieb dort die Vorhand überlassen. Am 20.
Mai schien es, als ob er den Deutschen die breite Hochfläche
nördlich des Waldes wieder entreißen wolle. Er eröffnete
starkes Artilleriefeuer auf die von der 28. Infanterie-Division (General Langer)
besetzten Stellungen am Walde und nördlich Bezonvaux, das auch den 21.
über andauerte. Die nordwestlich und nordöstlich Ornes stehenden
Batterien wurden mit nachhaltigem Zerstörungsfeuer belegt, die Schluchten
im Hintergelände vergast. Alles deutete auf einen baldigen Angriff hin. Ob
er am 21. Mai durch das deutsche Vernichtungsfeuer verhindert worden ist oder
ob der Stimmungsniedergang, der die französischen Truppen bei Reims
erfaßt hatte, bei Verdun den Kampfwillen lähmte, möge
dahingestellt bleiben. Der Angriff kam nicht, und die Franzosen verharrten Ende
Mai und den Juni über in einer ihren sonstigen Gepflogenheiten bei Verdun
wenig entsprechenden Untätigkeit.
Der Kommandierende General der Maasgruppe West, General
v. François, beabsichtigte, die im Januar und März auf der
Höhe 304 erkämpften Geländevorteile noch dadurch zu
erweitern, daß er den Franzosen die südwestlich davon [206] gelegene Hochebene,
über die die Straße Haucourt - Esnes führt,
entriß. Die Oberkommandos der 5. Armee und der Heeresgruppe schlossen
sich den Gründen, die für die Wegnahme des Plateaus sprachen, an,
und die Oberste Heeresleitung gab, nicht ohne einiges Widerstreben, die
Genehmigung zur Ausführung. Sie wies, mit Rücksicht auf den
hohen Kräfteverbrauch an anderen Fronten, darauf hin, daß das
Unternehmen keinesfalls zu einem größeren
Menschen- und Munitionseinsatz führen dürfe.
In der Mitte des Abschnitts war vom Walde von Avocourt bis zu dem zwischen
Höhe 304 und dem Toten Mann nach Béthincourt
hinabstreichenden "Heckengrund" die 10. Reserve-Division eingesetzt. Rechts
von ihr lag die 2. württembergische Landwehr-Division (General der
Artillerie Franke), links, auf dem Toten Mann und bis zur Maas, die 6.
Reserve-Division (General Dieterich).
Der in umsichtiger Weise vorbereitete Angriff gelangte am 28. Juni zur
Ausführung. Von den Reserven der 5. Armee wurde die
48. Reserve-Division (General v. Hippel) als Rückhalt nahe an die
Front herangezogen und ihre Feldartillerie mit eingesetzt. Bezüglich der
übrigen Teile der Division hatte das
Armee-Oberkommando die Gruppe angewiesen, ihren Einsatz so zu regeln,
daß sie keinesfalls verbraucht würde. 80 000 Schuß
waren als Munition für die gesamte Artillerie ausgeworfen.
Nach einer mehrstündigen Feuervorbereitung erstürmten am Abend
des 28. die Regimenter die Stellungen auf dem Plateau in einer Breite von
2000 m beiderseits des Weges Haucourt - Esnes und setzten
sich in ihnen auf einem nach dem Feinde um 500 m vorspringenden Bogen
fest. Schwächliche Gegenstöße in der Nacht wurden leicht
abgewiesen.
Um den Feind zu täuschen und sein Feuer nach dem Angriff zu zersplittern,
hatte General v. François für den 29. Juni kleinere Angriffe
der Nachbardivisionen vorgesehen. Sie kamen befehlsgemäß zur
Ausführung. Im Morgengrauen nahmen Stoßtrupps der 2.
württembergischen Landwehr-Division im Walde von Avocourt dem
Feinde ein Grabenstück weg und erbeuteten dabei 40 Gefangene. Den Tag
über belegte dieser die Stellungen des westlichen
Maas-Ufers mit Artilleriefeuer in wechselnder Stärke. Am Abend
führte die 6. Reserve-Division das ihr zufallende Unternehmen aus. Ihre
Sturmabteilungen griffen die Gräben am Osthang der
Höhe 304 und im Heckengrunde an, richteten sich in ihnen ein und
stellten die Verbindung mit den von der 10.
Reserve-Division erkämpften her. Doch gingen ihr am 30. Juni die hart
westlich des Heckengrundes genommenen Gräben wieder verloren.
Der beabsichtigte Erfolg war erreicht. Dem Feinde waren überdies 15
Offiziere, 853 Mann und Kriegsmaterial abgenommen. Allerdings war das
Ergebnis mit einem Verlust von 18 Offizieren, 1157 Mann erkauft worden. Auch
hatten Teile der 48. bei der 10. und 6. Reserve-Division eingesetzt werden
müssen und konnten bei der gespannten Lage zunächst nicht
herausgezogen werden.
[207] In den nächsten
Tagen legte der Gegner ein sich mehr und mehr verstärkendes
Artilleriefeuer auf den gesamten Kampfabschnitt. Zur Verstärkung der
Besetzung der neuen Stellungen und um die 48.
Reserve-Division herauslösen zu können, wurde der Gruppe die 29.
Infanterie-Division zum Einschieben überwiesen.
Es galt nun, das Errungene zu behaupten. Das feindliche Feuer, das in den
folgenden Tagen zu großer Stärke anschwoll, steigerte sich am 17.
Juli morgens zu äußerster Heftigkeit. Die deutschen Batterien und
Anmarschwege wurden vergast. Um 7 Uhr setzte der erwartete Gegenangriff, in
großer Breite die gewonnene Stellung überflügelnd, ein. Er
brach vor der Höhe 304 zusammen, drang aber auf der ganzen Breite
der 29. Infanterie-Division, deren Infanterie erst die Nacht vorher in die Stellung
gegangen und mit dem Kampfgelände noch nicht vertraut war, ein. In
wechselvollen Einzelkämpfen ging nicht bloß der erkämpfte
Geländegewinn verloren, sondern der Feind setzte sich westlich der
Höhe 304 auch in etwa 100 m Frontbreite in dem deutschen
früheren ersten Graben fest. Er hatte durch die Gunst der Umstände
offenbar mehr erreicht, als er beabsichtigt hatte.
General v. François beschloß, noch am gleichen Abend zum
Gegenangriff zu schreiten. Da aber bis dahin die Befehle nicht rechtzeitig
durchzubringen waren, mußte zunächst von der Ausführung
abgesehen werden. Der Gegner blieb vorläufig im Besitz des erstrittenen
Geländes. Nur an der Ostspitze des Waldes von Avocourt entriß ihm
die württembergische Landwehr den Grabenteil wieder, den sie am 29. Juni
genommen und jetzt am Morgen verloren hatte.
Die Vorbereitung des nur aufgeschobenen Gegenangriffs, die nicht
gründlich genug sein konnte, um einen neuen Fehlschlag zu vermeiden,
kostete Zeit. Es mußten die Befehlsverbände geregelt, Munition
bereitgestellt, die abgekämpfte 10. Reserve-Division durch die 213.
Infanterie-Division abgelöst werden. Die Oberste Heeresleitung machte
Bedenken wegen der zu erwartenden Verluste geltend. General Ludendorff
stimmte aber schließlich zu, nachdem ihm erwidert worden war, daß
die Abwehr eines sicher zu erwartenden Angriffs in den jetzigen Stellungen noch
verlustreicher sein würde und daß der eigene Angriff sich darauf
beschränken solle, die verlorenen Stellungen wiederzuerlangen.
Am 29. Juli begannen die Batterien mit dem Zerstörungsfeuer auf die
Stellungen vom Avocourt-Walde bis zur Höhe 304. Am 31.
bekämpften sie die französischen Batterien mit einem ausgiebigen
Vergasungsschießen, das im Wechsel mit Brisanzmunition die ganze Nacht
hindurch fortgesetzt wurde. Am 1. August morgens trat die Infanterie zum Sturm
an. Die 29. Infanterie- und ein Bataillon der 213.
Infanterie-Division, unterstützt von Stoßtrupps des Sturmbataillons 7,
von Pionieren und Flammenwerfertrupps drangen wieder beiderseits des Weges
Haucourt - Esnes in 2000 m Breite tief in die feindlichen
Stellungen ein und setzten sich darin fest. Die Gegenwirkung der
französischen [208] Artillerie war
verhältnismäßig gering; der deutsche Gasbeschuß schien
gute Wirkung gehabt zu haben. 11 Offiziere und 741 Mann blieben in der Hand
der Stürmenden. Das Plateau südwestlich der Höhe 304
war wieder in deutschem Besitz.
Die feindliche Artillerietätigkeit lebte erst vom Mittag an in einiger
Stärke wieder auf. Meist waren es weit zurückstehende, nicht
eingeschossene Batterien, die in den Geschützkampf eintraten. Am Morgen
des 2. August versuchte das frisch herangeführte
Infanterie-Regiment 86 den Deutschen die Plateaustellung wieder zu
entreißen. Sein Angriff mußte teilweise in Grabenkämpfen
abgewiesen werden. Auch gegen einen am Abend einsetzenden Gegenangriff
wurden die deutschen Stellungen behauptet.
Der General Ludendorff hat nachträglich zu diesen Kämpfen der
Maas-Gruppe West gesagt: "Ich war froh, als die Kämpfe dort
abgeschlossen waren, und nicht zufrieden, daß ich die Angriffe bei Verdun
zugelassen hatte. Ebensowenig wie als Chef im Osten war ich jetzt ein Freund des
Herumbataillierens, bei dem der Gewinn die Verluste nicht aufwog."21 Daß das vom General
v. François erstrittene Gelände nicht ohne Wert für die
deutsche Abwehr war, sollte sich in dem großen Kampfe erweisen, zu dem
sich die Franzosen nun rüsteten.
In Flandern hatten die wuchtigen Anstürme der Engländer eingesetzt.
Das französische Feldheer hatte die innere Schwäche, die die
erfolglose Taktik Nivelles in ihm hervorgerufen hatte, überwunden und war
wieder voll angriffsfähig. General Pétain wollte das Seine dazu
beitragen, die Verbündeten zu entlasten, am Zerschlagen der deutschen
Westfront mitzuhelfen und Verdun von dem deutschen Druck zu erlösen.
Vor Verdun, wo er über einen fertigen Angriffsaufmarsch und ein gut
ausgebautes Angriffsfeld verfügte, sollte General Guillaumat mit einem
mächtigen, auf beiden Maas-Ufern geführten Angriff die Deutschen
von den Höhen südlich des Forges-Baches, dem
Talou-Rücken und der Höhe 344 herabstoßen.
In den ersten Augusttagen ging das französische
Störungsschießen allmählich in planmäßiges
Zerstörungsfeuer über. In wechselnder Stärke legte es sich auf
die Abschnitte vom Walde von Avocourt bis zum Walde westlich Maucourt und
griff zeitweise auch auf den Abschnitt Vaux in der
Woëvre-Ebene über. Die Deutschen sahen, daß sich ein
großer Angriff vorbereitete. Um ihn abzuwehren, mußte das
Oberkommando der Heeresgruppe die 5. Armee auf Kosten der 7. und 1.
erheblich verstärken, trotz der Spannung, die an deren Fronten noch immer
herrschte. Ob er auf dem linken oder auf dem rechten
Maas-Ufer kommen werde oder gleichzeitig auf beiden, war schwer
vorauszusehen.
Es war die Frage, ob dem Angriff ausgewichen werden könne. Auf dem
östlichen Maas-Ufer erschien das nicht angängig, weil der
nördliche Ausläufer [209] der Côtes
Lorraines gehalten werden mußte, damit nicht die 5. Armee
allmählich in die Woëvre-Ebene gedrängt wurde, was eine
schwere Bedrohung der benachbarten Armee-Abteilung C, des Erzbeckens von
Briey und der wichtigen Eisenbahnlinie
Metz - Montmédy - Sedan zur Folge gehabt
hätte.22 Westlich der Maas wäre ein
Ausweichen hinter den Forgesbach-Grund in die alte Ausgangsstellung von 1916
ohne das Ganze schädigende Folgen gewesen. Der Oberbefehlshaber
schreibt,23 daß er schon im Dezember 1916
das Aufgeben des "kräfteverzehrenden Frontteils" der
Höhen 304 - Toter Mann angeregt habe, daß
dieser Gedanke aber höheren Orts aus moralischen Gründen und um
den Druck auf die feindliche Front nicht zu verringern, verworfen worden sei.
Jetzt wäre er erneut aufgenommen, weil zu erwarten war, daß das
Nähren des Kampfes um die mächtige Höhenstellung
über den tiefen und breiten Forges-Grund schwierig sein würde. Die
Oberste Heeresleitung hätte ihn aber, in erster Linie aus moralischen
Gründen, erneut abgelehnt. Dieser Entschluß scheint gerechtfertigt
durch die Auffassung der Lage, aus der heraus seinerzeit sowohl die Oberste
Heeresleitung wie auch die Heeresgruppe die opfervollen Angriffe im Juli
zugelassen bzw. befürwortet hatten.24
Es blieb also für die 5. Armee dabei, den französischen Angriff in
ihren Stellungen anzunehmen. In der Nacht vom 12./13. August und am 13.
August war der Artillerie-Großkampf in vollem Gange. 21 Ballone standen
hinter den französischen Linien hoch; bis zu 30 Flieger kreuzten zuzeiten
gleichzeitig über der Maas-Gruppe West. Dank der Initiative des Generals
v. Gallwitz wurde die deutsche Artillerie zu nachdrücklichster
Bekämpfung der feindlichen eingesetzt. In der Nacht vom 13./14. wurde
diese in einem dreistündigen gleichzeitigen Schießen beider
Maas-Gruppen unter Gas gelegt. Ihr Feuer ließ merklich nach und nahm erst
am Nachmittag des 14. wieder größere Stärke an, hielt sich
aber den 15. über in mäßigen Grenzen. Der Gegner
mußte vielfach seine Batterien aus den vergasten Wäldern und
Schluchten vor die Waldränder und auf die Höhen vorziehen.
Am 15. August wurde die Vorpostenstellung auf dem
Talou-Rücken von der 28. Reserve-Division aufgegeben. Die
Drahthindernisse waren zerstört, die Unterstände zerschlagen, die
Stellung unhaltbar geworden. Nur Patrouillen mit leichten Maschinengewehren
blieben noch dort.
Am 16. August lebte das französische Feuer zu voller Stärke wieder
auf. Abends führten Teile aller drei Regimenter der 28.
Infanterie-Division ein schon seit mehreren Tagen geplantes Unternehmen gegen
die Stellungen im Caurières-Walde aus, um die dort erkannten
Angriffsvorbereitungen des Feindes zu stören. Sie setzten sich in der
feindlichen Linie fest, zerstörten eine große Zahl von
Minen- [210] werfern und die dazu
gehörige Munition und brachten 14 Offiziere (darunter zwei
Bataillonsführer) und 700 Mann gefangen ein.
Den 17. über hielt das Feuer in voller Stärke an. Auf Befehl des
Oberkommandos der 5. Armee wurde auch das schwerste Steilfeuer zur
Bekämpfung der feindlichen Batterien ausgiebig verwendet. Am Abend
nahm der Gegner die im Caurières-Walde eroberte Grabenlinie wieder. In
der Nacht erfolgte eine neue allgemeine Vergasung der französischen
Batterien. Sie hatte anscheinend keinen so durchschlagenden Erfolg, wie am 14.,
denn deren Feuer entwickelte sich am 18. zu großer Stärke. Den
ganzen Tag über lag es, zugleich mit dem Feuer schwerer Minenwerfer,
zeitweise als stärkstes Vernichtungsfeuer, auf den deutschen Stellungen.
Das klare und sonnige Wetter begünstigte auf beiden Seiten eine sehr rege
Fliegertätigkeit. Vier französische Flieger wurden abgeschossen; ein
Fliegerangriff auf die deutschen Ballone fügte dreien derselben leichte
Beschädigungen zu. Die ersten amerikanischen Flieger traten auf.
Aus erbeuteten Befehlen, die das Unternehmen der 28.
Infanterie-Division eingebracht hatte, ergab sich, daß der Angriff für
den 18. August geplant, aber um 48 Stunden verschoben war. Offenbar hatte die
starke Gegenwirkung die französischen Batterien in ihrer Arbeit
empfindlich belästigt. Der Charakter des französischen Feuers und
die Arbeit der Flieger am 19. ließen keinen Zweifel zu, daß er nahe
bevorstand.
Die deutschen Stellungen waren in Trichterfelder verwandelt, in denen fast alles
Leben erstorben war. Ein tiefes Vorfeld, das die feindliche Feuerwirkung
unschädlich aufnehmen konnte, war nur bei Cumières und auf dem
Talou-Rücken vorhanden. Zahlreiche Geschütze waren außer
Gefecht gesetzt. Am verheerendsten hatte das Massenfeuer auf den Stellungen
von Höhe 304 bis zur Maas, auf dem
Talou-Rücken, dem Fosses-Walde und der
Vauxkreuz-Höhe gelegen. Die Brücken über den
Forges-Bach waren zerschlagen, das Tal in einen Gassumpf verwandelt, die
Verbindungen nach rückwärts unterbrochen.
Um Mitternacht des 19./20. August wurden alle deutschen Batterien vergast; am
Morgen des 20. erzitterte die ganze Nordfront vor Verdun im Trommelfeuer. Kurz
vor 5 Uhr traten die Franzosen zwischen Avocourt und Cumières
mit fünf, östlich der Maas bis Bezonvaux mit sechs frisch
eingesetzten Divisionen zum Sturm an.
Bei der Maas-Gruppe West stand auf dem rechten Flügel in den
Waldrändern nordwestlich und nördlich von Avocourt die 2.
württembergische Landwehr-Division. An sie schloß sich die 206.
Infanterie-Division (Generalleutnant v. Etzel) bis etwa zur Straße
Haucourt - Esnes. Dann folgte auf Höhe 304 die 213.
Infanterie-Division und auf dem Toten Mann, nördlich Cumières
und in den Maas-Wiesen die 6. Reserve-Division. Die 29.
Infanterie- und die 48. Reserve-Division waren als Eingreifdivisionen nahe hinter
die Front gezogen.
Bei der Maas-Gruppe Ost (General der Kavallerie v. Garnier) waren in [211] der
Samogneux-Stellung und auf Höhe 344 die 28.
Reserve-, bei Beaumont die 25. Reserve- (General v. Mohn), im
Fosses-Walde und östlich die 228. Infanterie- (General
v. d. Heyde), von der Vauxkreuz-Höhe bis Maucourt die 28.
Infanterie-Division eingesetzt. Für Eingreifzwecke standen die 80., 46. und
78. Reserve-Divisionen hinter der Front.
Der Gruppenabschnitt Vaux (bayerisches Generalkommando 63, Generalleutnant
Ritter v. Schoch) umfaßte die 192. und 56.
Infanterie- sowie die 19. Ersatz-Division.
An Reserven verfügte die Armee außerdem über die 51.
Reserve- und die 30. Infanterie-Division (hinter
Maas-Gruppe Ost bzw. West).
Unter der Hülle künstlicher Vernebelung eilten die
französischen Sturmwellen unter dem Schutze der Feuerglocke
vorwärts. Ohne Widerstand dringen sie überall in den vorderen Teil
der Abwehrzone ein und schwemmen bei Cumières und auf dem
Talou-Rücken die schwachen Postierungen aus dem Vorfelde. Dann aber
wird die Tiefengliederung der Gefechtskräfte wirksam. Aus den
Widerstandsnestern, die das Massenfeuer nicht zerschlagen hat oder die nicht in
dem künstlichen Nebel überrannt werden, schlägt den
Angreifern frontales und flankierendes Feuer entgegen, fliegen die Handgranaten
in ihre Reihen und zwingen sie zu Boden. Die Einzelgefechte beginnen; in frontal
und umfassend geführte regellose Nahkämpfe läuft der
Sturmangriff aus. Stöße und Gegenstöße der
Unterstützungen und Reserven des Angriffs und Verteidigers, von
beherzten Führern angeführt, scheitern oder bringen örtliche
Erfolge, die sich erst nach einiger Zeit auf die Lage bei den Nachbarabteilungen
auswirken. Die Kampfgruppen der Eingreifdivisionen werden da, wo die Not dazu
zwingt, in die Gefechte geworfen und vermischen sich mit den
Stellungsdivisionen. Es entstehen kürzere und längere Kampfpausen,
die bei Freund und Feind die Führer benutzen, um sich über die Lage
zu orientieren, der Artillerie neue Ziele zuzuweisen und neue Angriffe anzusetzen.
So wird den ganzen Tag über bis in die Nacht und auch am 21.
gekämpft, bis Verluste, Erschöpfung, Mangel an frischen
Kräften oder die Absicht, erst klar sehen zu wollen, eine Ruhelage schaffen,
die erst nach längerer Zeit wieder gestört wird.
Am 21. August läßt sich das Ergebnis übersehen. Die
Franzosen sind im Walde von Avocourt und westlich der Höhe 304
bis zu 1 km tief in die Stellung eingedrungen. Auf der Hochfläche
vor der Höhe 304 und der Höhe selbst hat sich die 213.
Infanterie-Division gehalten; das Eingreifen der 29. Division hat den Stoß
aufgefangen. Östlich davon hat die 6.
Reserve-Division den Toten Mann und den Höhenrücken
nördlich Cumières mit dem Rabenwalde nicht behaupten
können; ihre Widerstandskraft war in dem tagelangen Feuersturm
geschwunden. Auf den trockenen Maas-Wiesen vorgehend, hatte es der Feind
leicht gehabt, die linke Flanke der Division einzudrücken. Die 48.
Reserve-Division, beim Überschreiten des gasverseuchten
Forges-Grundes von der feindlichen Artillerie schwer [212] geschädigt,
konnte nicht rechtzeitig Hilfe bringen. Die in ihren Widerstandsnestern noch
kämpfenden Reste fallen in
Feindeshand.
Östlich der Maas ist der Gegner über den
Talou-Rücken vorgegangen und hat Samogneux und die
Höhe 344 genommen. Bis nahe an Beaumont hat er sich
herangekämpft, den Fosses-Wald zum größten Teile in seinen
Besitz gebracht und im Chaume-Wald Gelände gewonnen, von dem aus er
die Mulde von Ornes beherrscht. Die Vauxkreuz-Höhe und die Stellungen
weiter östlich hat die 28. Infanterie-Division in der Hand behalten. Die 80.
Reserve-Division ist zwischen Höhe 344 und dem
Fosses-Walde zum Eingreifen gelangt; Teile der 46. haben bei Samogneux in den
Kampf eingegriffen, um den Feind anzuhalten.
Das Ergebnis der Kämpfe ist nicht günstig. Westlich der Maas hat
die vielumstrittene Höhe 304 zwar gehalten werden können,
ist aber auf die Dauer nicht zu behaupten, denn rechts und links von ihr sind die
Stellungen verloren. Die dortigen Divisionen (206.
Infanterie- und die 6. Reserve-Division) haben die empfindlichsten
Einbußen erlitten. Östlich der Maas ist wertvolles Gelände
verlorengegangen und der Angriff hat erst in der Tiefe der Abwehrzone nach
Einsatz der Eingreifdivisionen zum Stehen gebracht werden können. Nur
zwei einigermaßen kampfkräftige Divisionen stehen der Armee zur
Ablösung der am meisten abgekämpften zur Verfügung. Vier
weitere Divisionen sind noch im Anrollen.
Der 22. und 23. August verliefen unter Artilleriekämpfen ohne Gefechte.
Das Oberkommando der Heeresgruppe war sich nicht im Zweifel darüber,
daß die Front der 5. Armee nördlich Verdun auch in Zukunft
Hauptkampffront bleiben werde. Um so wichtiger war es, die Truppen in neue
Stellungen zu bringen, die die Abwehr von Großangriffen
begünstigten. Westlich der Maas mußte dafür das
Höhengelände nördlich des
Forges-Baches angesehen werden. Östlich der Maas war kein
natürlicher Abschnitt vorhanden, der sich als Halt von selbst anbot. Es
wurde dort eine Hauptkampfstellung gewählt, die sich von Brabant
über die Höhen südlich Haumont und Beaumont nach der
Höhe 307 nordöstlich Ornes ziehen sollte.
Bei der Maas-Gruppe West wurde noch in der Nacht 21./22. die Höhe 304
von den Deutschen freiwillig geräumt. Am 24. gingen die Franzosen in
breiter Front über die Höhe vor und schickten sich an, in den
Forges-Grund vorzustoßen. Im Feuer der deutschen Artillerie und durch
einen Gegenstoß der 30. Infanterie-Division wurden sie unter erheblichen
Verlusten zurückgeworfen. Die Divisionen richteten sich in den neuen
Stellungen nördlich des Grundes ein. Die Hauptwiderstandslinie wurde auf
den oberen Teil der Nordhänge, in die alte Ausgangsstellung von 1916,
verlegt. Von ihr bot der untere Teil der Hänge und das Tal des Baches ein
günstiges Vorfeld. Die Franzosen begnügten sich mit dem Besitz des
jenseitigen Ufers. Auf diesem Maas-Ufer kam es zu keinen Kämpfen
mehr.
Dagegen wandten sie nun alle Kraft auf, um östlich der Maas weiter nach
[213] Norden
vorzudrücken. Der Angriff hat ihnen dort nicht alles gebracht, was sie
haben wollten. Am 24. August scheiterte ein Versuch, über die
Höhe 344 weiter vorzudringen. Am Morgen des 26. griffen sie,
nachdem sie den 25. zu ausgiebiger Artillerievorbereitung benutzt hatten, bei
Beaumont und östlich an. Im Dorfe konnten sie Fuß fassen;
nördlich des Fosse-Waldes wurden sie aufgehalten. Im
Chaume-Walde gelang es den Deutschen, sich ihre alte vorderste Linie wieder zu
erkämpfen. Am Abend erneuerten sich die Angriffe und breiteten sich
über die ganze Nordfront von der Maas bis zum
Chaume-Wald aus. Bei Samogneux und östlich wurden die Franzosen
abgewiesen. Die Dorfstätte von Beaumont brachten sie ganz in ihren
Besitz, wurden aber am späten Abend durch einen kraftvollen
Gegenstoß der jungen 242. Infanterie-Division (General v. Erpf), die
die 25. Reserve-Division abgelöst hatte, wieder hinausgeworfen.
General v. Gallwitz setzte am 27. August das ihm überwiesene
Generalkommando XI. Armeekorps (Generalleutnant Kühne) als Gruppe
Ornes zwischen Maas-Ost und Vaux ein. Es übernahm den Befehl
über die 28. und 192. Infanterie-Division. Der Kommandierende General
trat in gleicher Eigenschaft zum Generalkommando V. Reservekorps
(Maas-Gruppe Ost) über und wurde durch den General der Infanterie
Freiherrn v. Soden, bisher VII. Reservekorps, ersetzt, dessen Stelle General
v. Garnier, der bisherige Führer der
Maas-Gruppe Ost erhielt. Die Generalstabschefs begleiten ihre Generale in die
neuen Dienststellungen. Im Oberkommando der 5. Armee trat an die Stelle des
bisherigen Generalstabschefs, des Obersten v. Bronsart, der Oberstleutnant
v. Pawelsz, vorher Stabschef der 2. Armee.
Die nächsten Tage verliefen ohne Kämpfe und unter merklich
abgeschwächter Tätigkeit der französischen Artillerie. Es war
aber zu erkennen, daß diese auf dem östlichen
Maas-Ufer einen Zuwachs an Batterien erfahren hatte. Die deutschen Divisionen
befestigten ihre neuen Stellungen; mit dem Austausch der abgekämpften
Frontdivisionen wurde fortgefahren. Hinter der Maas-Gruppe West wurden zwei,
hinter der Maas-Gruppe Ost drei Eingreifdivisionen bereitgestellt, von denen
Teile zu Schanzarbeiten an den rückwärtigen Stellungen
herangezogen wurden. Auf Anordnung des Generals v. Gallwitz fuhr die
deutsche Artillerie in planmäßiger und nachdrücklicher
Bekämpfung der feindlichen fort. Wiederholte einheitliche
Gasschießen sollten deren Wirkung lähmen und der Infanterie ihre
Lage erleichtern. Mehr war mit den verfügbaren Munitionsvorräten
nicht zu erreichen. Denn soviel an Batterien, Munition und Beobachtungsmitteln,
wie nötig gewesen wäre, um die feindliche Artillerie wirklich
niederzuhalten, konnte bei den ungeheuren Ansprüchen, die die
Flandern-Schlachten stellten, für die 5. Armee nicht verfügbar
gemacht werden.
Das Oberkommando der Heeresgruppe hatte die 5. Armee angewiesen, sich ein
Kampffeld von besonders großer Tiefe zu schaffen. Nur ein solches bot
nach den Erfahrungen der vorausgegangenen Kämpfe einige Gewähr,
daß bei dem [214] riesigen
Munitionseinsatz des Feindes sein Feuer so weit zersplittert würde,
daß sich in der Hauptkampfzone die Abwehrkraft der Divisionen in
hinreichender Stärke erhielt. Tiefe Vorfeldzonen sollten geschaffen werden.
Das war nicht überall durch Zurücklegen der Hauptwiderstandslinie
zu erreichen. An vielen Stellen war ein ausreichendes Vorfeld nur zu gewinnen,
nachdem man den Feind zurückgedrückt und es ihm abgenommen
hatte. Dieses Bestreben mußte zu neuen Kämpfen führen.
Am 6. September griff die 242. Infanterie-Division bei Beaumont an und
drängte den Feind auf dem Höhenzuge südlich des Dorfes
zurück. Die Maas-Gruppe Ost beabsichtigte, den Höhenzug
344 - 326 zwischen Samogneux und Beaumont wiederzunehmen,
um die Stellung zu verbessern. Ehe das Unternehmen zur Ausführung kam,
griff der Feind an. Am Abend des 7. September stieß er aus Samogneux und
über den Höhenzug in breiter Front gegen die deutschen Stellungen
im Grunde vor, wurde aber blutig abgewiesen. Die nächste Nacht unterhielt
er starkes Feuer auf die ganze Nordfront, steigerte es am frühen Morgen des
8. zum Trommelfeuer und griff vom Fosses-Wald bis zur Straße
Bezonvaux-Ornes an, in dem offenen Gelände mit Tanks. Seine erste
Sturmwelle wurde zwar zusammengeschossen. Den hinter ihr aus dem dichten
Nebel vorquellenden weiteren gelang es jedoch, in die Stellungen einzudringen.
Er nahm die Vauxkreuz-Höhe und arbeitete sich über sie hinaus und
im Chaume-Wald auf die Schlucht von Ornes vor. Während dieser
Kämpfe gelang es der 242. Infanterie-Division südlich Beaumont,
sich eine weitere Verbesserung ihrer Stellung zu erstreiten. Am 9. September
wurde der geplante Angriff auf den Höhenzug
344 - 326 ausgeführt. Die Mitte der angreifenden Abteilungen
der 19. und der 243. Division gewann zwar beiderseits der Höhe 344
Boden, die Flügel blieben jedoch hängen. Der Angriff kam im Feuer
der feindlichen Maschinengewehre nicht vorwärts und erreichte nichts. Am
18. September griff auf demselben Gefechtsfelde der Feind an und erlitt dasselbe
Schicksal. In Sturmwellen von etwa 3 km Frontausdehnung stürmte
er die Nordhänge des Höhenzuges hinab und geriet in das Feuer der
Grabenbesatzungen und der Artillerie, das ihn zu Boden zwang. Dann fluteten die
Sturmwellen und die ihnen gefolgten Reserven den Hang hinauf zurück und
erlitten dabei schwere Verluste.
Die Heeresgruppe entschloß sich, den auch bei den eigenen Truppen sehr
verlustreichen Versuchen, die Höhen
344 - 326 wiederzugewinnen, ein Ende zu machen und gab Befehl,
auf ihre Wegnahme zu verzichten. Dagegen sollte die 5. Armee das dauernde
Festsetzen des Feindes auf der Vauxkreuz-Höhe verhindern und am
Chaume-Wald ihre Stellungen wieder so weit vorschieben, daß den
Franzosen die Einwirkung in die von West nach Ost streichende Mulde von Ornes
verwehrt würde.
Zwischen Fosses- und Chaume-Wald war am 10. September ein
französischer Angriff abgeschlagen worden. Am 14. wurde die
Vauxkreuz-Höhe von [215] den Deutschen
wiedergenommen; die 28. Infanterie-Division löste mit je einem Bataillon
ihrer drei Regimenter die Aufgabe. "Daß die Division nach erheblichen
Verlusten noch den Drang hatte, das Vauxkreuz zu nehmen, war die Krone ihrer
Bravheit." Mit diesen Worten ehrte General v. Gallwitz die Leistung der
tapferen Badener. Am 24. September schritt die Gruppe Ornes zur Wiedernahme
des Chaume-Waldes. Teile der 13. und der 78.
Reserve-Division mit vier Staffeln Schlachtflieger griffen im Walde und zu
beiden Seiten desselben an. Trotz Vergasung der feindlichen Batterienester erwies
sich deren Feuerkraft noch als so mächtig,
daß - nach anfänglichen Erfolgen auf den
Flügeln - ein französischer Gegenstoß alles wieder
zurückwarf. Erst am 10. Oktober konnte die 13.
Reserve-Division einen Anfangserfolg erringen, indem sie im Walde den Feind
300 m weit zurückdrängte. Zwar ging ein Teil des Errungenen
am nächsten Tage wieder verloren, aber am 25. Oktober gelang es der 46.
Reserve-Division, die jene abgelöst hatte, deren Erfolg auf 1200 m
Breite zu erweitern. Am 29. drückte östlich von ihr die
Garde-Ersatz-Division (Ablösung der 78.
Reserve-Division) an der Vauxkreuz-Höhe den Feind zurück und am
9. November vermochte sie zusammen mit der 46.
Reserve-Division durch einen gemeinsamen Angriff den Gegner auf den
südlichsten Teil des Chaume-Waldes zu beschränken. Unter
Führung des Oberst Bonsack setzten sich Bataillone der
Reserve-Regimenter 215 und 246 und eins des 7.
Garde-Ersatz-Regiments, mit Kompagnien des Sturmbataillons 5, Pionieren und
Flammenwerfern in den französischen Stellungen fest und behaupteten sie.
Damit waren die Franzosen von den Hängen des
Ornes-Grundes zurückgedrängt und machten in der Folge keinen
Versuch mehr, sich bis dahin wieder vorzuarbeiten.
Zur selben Zeit hatten die Kämpfe zwischen Samogneux und Beaumont
ihren Fortgang genommen. Wenn auch deutscherseits auf die Wiedereroberung
der Höhen 344 - 326 verzichtet war, hielten die vor ihnen
eingesetzten Divisionen doch kleine Stellungsverbesserungen für
notwendig, die nur durch Angriffe erreicht werden konnten. Die 243.
Infanterie-Division nahm am 2. Oktober am Nordhang der Höhe 344
feindliche Gräben in 1200 m Breite weg und behauptete sie gegen
etwa ein Dutzend französischer Gegenangriffe. Am 11. Oktober errangen
Stoßtrupps der 19. Infanterie-Division, die die 243. abgelöst hatte,
und der 29. Division eine weitere Stellungsverbesserung am Nordosthang der
Höhe, die am 18. durch frisches Zufassen der 6. Kompagnie
Infanterie-Regiments 142 (29. Division) noch erweitert wurde. Am 23. Oktober
nahm Infanterie-Regiment 78 (19. Division) mit Teilen des Sturmbataillons 5 ein
Grabenstück am Osthang der Höhe, mußte es am
nächsten Tage aber wieder aufgeben, weil es der Feind völlig
flankierte.
Diese Angriffe der Deutschen veranlaßten anscheinend die Franzosen, das
Gelände nordwestlich des Höhenzuges
344 - 326 bis zu der von Samogneux nach Nordwesten hin
hinaufziehenden Mulde endgültig in Besitz zu nehmen. Sie [216] unternahmen am 25.
November einen großen Angriff zwischen der Maas und Beaumont. Ihre
erste Sturmwelle wurde größtenteils zerschlagen. Trotz Sturm und
Regen griffen die deutschen Schlachtflieger in den Kampf ein. Der Gegner setzte
Totenschlucht bei Verdun. Ohne Rücksicht auf Freund und Feind löste der Volltreffer seine Aufgabe der gegenseitigen Vernichtung, verwüstete das Gelände und verstümmelte die menschlichen Körper auf das entsetzlichste. Rümpfe, Arme, Füße, alles lag da durcheinander. [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit, S. 277.
|
den Angriff mit so großer Ausdauer fort, daß es ihm gelang,
überall mehr oder weniger tief in die Vorfeldzone einzudringen. In der
folgenden Nacht mußten die 29. und 19. Division ihre Vorfeldstellungen
südlich der Samogneux-Mulde aufgeben. Mit diesem Angriff schloß
für 1917 vor Verdun die Reihe der größeren Kämpfe
ab.
Wie schon 1916 hatten auch 1917 die Kämpfe vor Verdun einen ungemein
kräfteverzehrenden Charakter angenommen. Sie übertrafen darin fast
noch die gleichzeitigen Kämpfe bei Reims. Wohl hatten die Deutschen den
Franzosen auch vor Verdun hohe blutige Verluste zugefügt und fast in
jedem dieser zahlreichen Gefechte ihnen Hunderte von Gefangenen abgenommen.
Aber auch die eigenen Verluste waren schwer und wogen um so schwerer, als der
Menschenmangel sich für die Deutschen bald weit fühlbarer machen
mußte als beim Feinde, wo der Zustrom der Amerikaner den Ausfall mehr
als ausglich. Auch der Materialverbrauch war unvorhergesehen hoch. Dem
deutschen Abwehrverfahren hatte sich der Feind geschickt mit seinen Angriffen
mit beschränktem Ziel angepaßt. Sie machten die
Gegenstöße der Reserven und die Gegenangriffe der
Eingreifdivisionen unwirksam, denn diese trafen auf einen Gegner, der sich im
Wirkungsbereich seiner Artillerie schon auf sie eingerichtet hatte. Mochte das
Verfahren des Feindes auch zeitraubend und kostspielig sein und ihm tiefe
Einbrüche nicht ermöglichen, so fiel ihm doch fast immer ein
sicherer Geländegewinn zu. Diesem Verfahren gegenüber
fühlten sich die deutschen Truppen angesichts der gewaltigen
Zerstörungswirkung des Feindes in einer gewissen
Rat- und Hilflosigkeit. Alle noch so fein ausgedachten taktischen Formen
versagten; sie erlagen der alles zermalmenden Feuerüberlegenheit des
Feindes.
Das Oberkommando der Heeresgruppe befand sich, ebenso wie die Oberste
Heeresleitung, den Sommer und Herbst über oft in der größten
Bedrängnis, den ungeheuren Ansprüchen, die die Kämpfe
stellten, gerecht zu werden. Der wesentlichste Teil ihrer
Führertätigkeit erschöpfte sich im Disponieren über die
Kampfkräfte und -mittel, die an die Brennpunkte der Kämpfe
geführt und mit denen die der eigenen Initiative entspringenden
Unternehmungen "finanziert" werden mußten. Die Gefechtskraft der
Divisionen ging bei jedem neuen Einsatz schneller herab, als nach dem
vorhergehenden. Der Materialverbrauch übertraf alle Voranschläge.
Die Transportlage wurde immer gespannter, denn die Leistungsfähigkeit
der Eisenbahnen vermindert sich andauernd, die der Kraftfahrformationen war
wegen ihrer geringen Zahl und des chronischen Mangels an Betriebsstoffen
unzureichend und das Pferdematerial ging an Zahl und Güte immer mehr
zurück. Die Flandern-Schlachten verlangten fortdauernd neue Abgaben
auch von der Heeresgruppe und warfen jede auf Ökonomie der
Kräfte [217] bedachte Voraussicht
um. Dazu kam, daß im Oktober die Heeresgruppe nach Vorbereitungen, die
der Feind vor der 3. Armee, auf der Front
Aubérive - Massiges, traf, auch dort mit einem
Großangriff rechnen mußte. Wenn es auch nicht dazu kam, so
bedeutete die Unsicherheit doch eine weitere Belastung der Heeresgruppe, die bei
ihren knappen Kriegsmitteln und zwei Schlachtfeldern auf den Flügeln
auch die 3. Armee nicht ganz als "ruhige Front" ansehen durfte und
dementsprechend berücksichtigen mußte.
|