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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
  (Forts.)

Generalleutnant Max Schwarte

8. Die Abwehr bis zum Ausscheiden Ludendorffs.

Die Gesichtspunkte für die weiteren Operationen, die die Oberste Heeresleitung am 2. August an die Heeresgruppen ergehen ließ und über die sie deren Ansichten einforderte, faßten sich dahin zusammen: Einstellen auf Abwehr, aber Absicht baldigsten Überganges zur Offensive. Wenn feindliche Angriffe in nächster Zeit zu erwarten sind, dann trifft das für die ganze Westfront zu. Während diese abzuwehren sind, kommen für die eigene Offensive in erster Linie Angriffe in Flandern und beiderseits der Oise zwischen Montdidier und Soissons in Frage.

Bevor diese Erwägungen und Entschlüsse zur Wirklichkeit werden konnten, griffen schon am 8. August die Gegner gegen den in Richtung Montdidier zeigenden weiten Vorsprung der Frontlinie an. Der mit zahlreichen Tanks überraschend geführte Stoß drang tief in die deutschen Stellungen ein.

Nach den schlimmen Erfahrungen von Soissons hatte die Oberste Heeresleitung eine Rückverlegung der durch den März-Angriff gewonnenen Front erwogen, aber aus moralischen Gründen darauf verzichtet - um so mehr, als die Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht Gelegenheit zur Ruhe und Festigung gehabt hatten. Nur ein Gelände in der Lys-Ebene und die über Ancre und Avre vorgeschobenen Brückenköpfe waren in der Nacht vom 3. zum 4. August auf ihren Befehl geräumt und alle Abwehrmaßnahmen nochmals geprüft und ergänzt worden.

Der Angriff überrannte mehrere Divisionen der 2. Armee. Reserven der Heeresgruppe und der Obersten Heeresleitung wurden sofort hinter die Einbruchsstelle geschoben, um die fast zerrissene Abwehrfront zu schließen. Es gelang, da der Gegner am folgenden Tage weniger scharf drängte, die Lücke zu sperren und die Nachbararmeen durch Zurückbiegen der Flügel im Anschluß zu halten. Die Verluste an Gefangenen und Kriegsgerät waren außerordentlich groß. Noch schlimmer war, daß ein Teil der Truppen völlig versagt hatte; sie hatten sogar versucht, die von rückwärts zur Unterstützung vorgehenden Divi- [57] sionen zur Gehorsamsverweigerung aufzufordern. Die stets befürchtete zersetzende Wühlarbeit in der Heimat wirkte sich jetzt in der Unbotmäßigkeit der Mannschaften und ihrer fehlenden Widerstandskraft aus. Diese bittere Erkenntnis mußte das Vertrauen der Obersten Heeresleitung auf die bisherige Zuverlässigkeit der Truppen und damit das Fundament aller Entschlüsse untergraben.

Daß auch Marschall Foch diese Zermürbung des Kampfwillens der deutschen Truppen erkannt hatte, ergab sich aus der Stimmung der Pariser Zeitungen der nächsten Tage.

Steigerte diese Erkenntnis den Angriffswillen der Feinde, so wirkte die Nachricht dieser erneuten Niederlage bei den Bundesgenossen niederdrückend; hatte doch nur das Vertrauen auf den deutschen Sieg sie in den letzten Monaten zum Aushalten ermutigt. Kaiser Karl zeigte seinen Besuch zur Aussprache für Mitte August an. In Bulgarien hatte die Dobrudscha-Frage, das Wühlen des amerikanischen Vertreters in Sofia und die ungünstigen Kämpfe im Juli zum Sturz des deutschfreundlichen Ministeriums Radoslawow geführt. Malinow war ententefreundlicher Ministerpräsident geworden, ohne daß die deutsche Diplomatie diesen Umschwung zu hindern wußte; das tief in die Parteikämpfe verstrickte bulgarische Heer verlangte den Frieden. Das Ausscheiden Bulgariens aber mußte zum Erliegen der kaum noch kampffähigen Türkei führen.

Eine entscheidende Unterstützung konnte nur noch von der Heimat kommen, wenn der Nachschub die Bataillone wieder auf eine ausreichende Kampfkraft bringen würde. Das war nicht zu erwarten. Aber auch die Auflösung von Divisionen zur Auffüllung anderer ließ sich nicht dauernd fortsetzen. Deshalb entschloß sich die Oberste Heeresleitung schweren Herzens dazu, die Zahl der Infanterie-Kompagnien in den Bataillonen von 4 auf 3 herabzusetzen, selbstverständlich unter Aufrechterhaltung außerdem der schweren Maschinengewehr-Kompagnie. Dadurch und durch die immer noch geringere Korpsstärke der Kompagnien war auch eine Verringerung des Trosses möglich. Der großen Gefahr des dauernd steigenden Zustromes amerikanischer Truppen konnte die Oberste Heeresleitung aber durch einige Maßnahmen nicht wirksam begegnen.

In der Erkenntnis, daß ein Umschwung der Lage durch militärische Gewalt nicht mehr zu erringen sei, entschloß sie sich, die Reichsregierung hiervon in Kenntnis zu setzen und den sofortigen Beginn von Friedensverhandlungen bei ihr anzuregen.

In den Aussprachen mit dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts am 13. und 14. August gab General Ludendorff eine Darstellung der militärischen Gesamtlage mit der Schlußfolgerung, daß Deutschlands Kräfte nicht mehr ausreichten, um den Frieden zu erzwingen, da dies durch eine reine Verteidigung, die jetzt einzig übrig bleibe, nicht möglich sei; es sei also notwendig, auf diplomatischem Wege den Krieg zu beendigen. Da die Mißerfolge direkt auf das Versagen einzelner Verbände zurückzuführen seien, [58] müsse aber auch energischer als bisher auf den Geist der Heimat gewirkt werden. Die Regierung entnahm daraus gleichfalls die Notwendigkeit, daß Friedensbesprechungen und ein weites Entgegenkommen den Feinden gegenüber erforderlich seien.

Daraufhin wies Kaiser Wilhelm den Staatssekretär v. Hintze an, eine Friedensvermittlung möglichst durch die Königin der Niederlande einzuleiten, und forderte gleichfalls die Aufklärung des Volkes über den schweren Ernst der Lage und Einheitlichkeit in der Führung der Regierung.

Mit Kaiser Karl und den ihn begleitenden Ministerpräsidenten und Chef des Generalstabs wurde in Spaa die Lage in gleichem Sinne besprochen. Von dem letzteren forderte die Oberste Heeresleitung außer den bisher zwei eingetroffenen Divisionen weitere Kräfte für die Westfront; einen nochmaligen Angriff in Italien hielt General v. Arz nach dem Zustande des k. u. k. Heeres für unmöglich.

Auf Grund jener Besprechung in Spaa unterrichtete Staatssekretär v. Hintze die Führer der Reichsparteien über die militärpolitische Lage und die Notwendigkeit, daß der Krieg sobald wie möglich liquidiert werden müsse und daß er Friedensbesprechungen einleiten werden. Daß von dieser vertraulichen Mitteilung schon bald Nachrichten an die Öffentlichkeit drangen, mußte den Vernichtungswillen der Feinde erneut stärken.

Die Angriffe auf den bisherigen Kampffeldern dauerten an und dehnten sich auf benachbarte Frontstrecken aus. Um sie besser abwehren zu können, ordnete die Oberste Heeresleitung hinter den Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und v. Boehn die Anlage ausgedehnter rückwärtiger Stellungen an.

Infolge erfolgreicher Angriffe am 25. August zwischen Noyon und Soissons befahl an dieser Stelle schon jetzt die Oberste Heeresleitung eine Zurückverlegung der Front. Dieser Erfolg der Franzosen bedrohte trotz der Abwehr englischer Angriffe südlich Arras auch die dortige Front von Süden her in solchem Maße, daß die Oberste Heeresleitung ein Zurückverlegen der Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und v. Boehn in Höhe etwa von Bapaume - Péronne - Ham - Noyon anordnete. Die Bewegung wurde in der Nacht vom 26. zum 27. August ausgeführt.

Die Gegner folgten sofort und dehnten gleichzeitig ihre Angriffe nach Norden aus. Nach einem englischen Einbruch am 2. September nahm die Oberste Heeresleitung die Armeen 17, 2, 18, 9 und 7 in die Siegfriedstellung zurück, von der fünf Monate vorher die "Große Schlacht" ausgegangen war. Gleichzeitig befahl sie die Räumung des Lys-Bogens und Zurücknahme der 4. und 6. Armee in die Linie St. Eloi - Givenchy. Die Bewegungen konnten vom 4. September ab ohne erhebliche feindliche Einwirkung ausgeführt werden. - Die bisher nicht ernstlich angegriffene Heeresgruppe Deutscher Kronprinz mußte ihren Flügel dieser Maßnahme anpassen.

[59] An neuen rückwärtigen Stellungen hinter den Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und v. Boehn nahm die Oberste Heeresleitung die "Hermannstellung" (von Brügge über Kortrik auf Valenciennes - Le Cateau - Guise - Marle) mit Anschluß an die "Brunhild-Hunding-Stellung" hinter der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz in Aussicht; weiter rückwärts eine weitere Stellung Antwerpen - Brüssel - Namur - Metz und die Neuarmierung der Festungen in Lothringen und Elsaß. Später sollte eine letzte Stellung dicht vorwärts der deutschen Grenze geschaffen werden. Alles vor der Hermann-Brunhild-Hunding-Stellung befindliche entbehrliche Heeresgerät mußte sofort abgeschoben, Eisenbahnen und Straßen zur Zerstörung vorbereitet werden.

Die in den ununterbrochen andauernden Kämpfen erlittenen Verluste waren sehr groß und schwächten die Kampfkraft der deutschen Divisionen in höchstem Maße. Wieder mußten einige Divisionen aufgelöst und sogar aus dem Osten nochmals einige Divisionen nach dem Westen überführt werden. Auch Österreich-Ungarn überwies noch zwei Divisionen. Aber das alles konnte nicht annähernd die Ausfälle decken; das hätte nur aus der Heimat, den Drückebergern und Reklamierten geschehen können. Jetzt endlich versprachen die heimischen Behörden, Reklamierte in erheblicher Zahl frei zu machen. Fraglich war nur der Erfolg - der Zahl und der Moral nach.

Wenn dieser Nachschub voraussichtlich noch weniger gut war, da er noch länger den Einwirkungen der Heimat preisgegeben war, so mußte man sich damit abfinden; es war das einzige, was noch an Ersatz vorhanden war. Dazu trat ein anderes Bedenken: je rücksichtsloser aus der Industrie wieder Kräfte für das Heer zurückgeholt wurden, desto kleiner wurde die Zahl der Arbeiter, desto geringer der Nachschub und desto fühlbarer die schon jetzt kaum tragbare Übermacht der feindlichen Kampfmittel. Das mußte um so drückender werden, weil infolge der gegnerischen Hetzpropaganda die Moral zurückgegangen war und auch diesen Einflüssen nicht mehr den früheren Widerstand entgegensetzte.

Dagegen wurde jetzt endlich eine von der Obersten Heeresleitung schon seit Jahren verlangte Einrichtung geschaffen: die Zentralstelle für Presse und Propagandadienst, die aber zu spät und durch ihre unglückliche Unterstellung unter das Auswärtige Amt nur zu ungenügender Wirkung kam. Die von der Obersten Heeresleitung eindringlich geforderte und ihr zugesagte baldige Einleitung von Friedensverhandlungen schien von der Regierung jetzt nicht mehr als dringlich angesehen zu werden; nur so ist es erklärlich, daß der Reichskanzler am 3. September nochmals anfragte, ob ein Umschwung der militärischen Lage möglich erscheine. Erst als die Frage wieder verneint wurde, begab sich Staatssekretär v. Hintze nach Wien, um mit dem Grafen Burian die Einleitung der Friedensverhandlungen zu besprechen.

In der folgenden erneuten Aussprache in Spaa berichtete der Staatssekretär von der österreichischen Absicht, durch eine Note an alle kriegführenden Staaten [60] diese zu einer Aussprache über den Frieden aufzufordern. Nach seinen Feststellungen in Wien bestätigte er die Angabe des Generals v. Arz, daß die österreichisch-ungarische Armee höchstens noch bis zum Winter aushalten werde. Er selbst erwarte bestimmt eine Vermittlung in der Friedensfrage durch die Königin der Niederlande. Von der Note des Grafen Burian erwarte er kein Ergebnis, befürchte vielmehr, daß sie die von ihm selbst erstrebte Vermittlung durch die Königin erschweren könne.

Eine gleichzeitige Frage des Kaisers Karl an die Oberste Heeresleitung über die militärische Lage, ihre Absichten und über ihre Stellung zur Friedensfrage konnte bei seinen mehrfach verhängnisvoll gewordenen persönlichen Beziehungen zu den feindlichen Regierungen im Einverständnis mit dem Auswärtigen Amt nur so weit beantwortet werden, wie sie auch der Gegner erfahren durfte: daß die Oberste Heeresleitung, bei vollem Vertrauen auf das Halten der Siegfriedstellung, für einen sofortigen Friedensschritt sei. Allerdings rate sie von dem Plane des Grafen Burian ab.

Staatssekretär v. Hintze wies am 9. September das Auswärtige Amt an, daß Kaiser Wilhelm und die Oberste Heeresleitung mit der Bitte um Vermittlung an die Königin der Niederlande einverstanden seien, und daß die Verbündeten zum Beitritt zu diesem Schritt aufgefordert werden sollten.

Als vom Auswärtigen Amt in den nächsten Tagen nichts geschah, veröffentlichte Graf Burian am 14. September die von der Obersten Heeresleitung als nicht erwünscht bezeichnete Note, ohne auf die ihm bekannte deutsche Absicht Rücksicht zu nehmen. Die Oberste Heeresleitung mußte darin eine Erschwerung der Arbeit des Auswärtigen Amts erblicken. Den ungeheuren Ernst der Lage schien es trotz der wiederholten Aussprache in Spaa immer noch nicht erfaßt zu haben. Anstatt der Friedensvermittlung beschäftigte es sich in diesen Tagen äußerster Nervenanspannung mit der Lösung der polnischen Frage und verlangte von der Obersten Heeresleitung wiederholt über die spätere Gestaltung Polens und der baltischen Länder deren Auffassung, die es bisher nie der Beachtung wert gefunden hatte.

Dagegen forderte die Oberste Heeresleitung eine Klärung des Verhältnisses zu Rumänien. Nach dem Friedensvertrag hatte nur ein Teil des rumänischen Heeres demobilisiert werden müssen; die Gesandten der Entente hatten in Jassy bleiben dürfen. Infolge der österreichischen und deutschen Mißerfolge wuchs die feindliche Stimmung und wurde schließlich so drohend, daß Staatssekretär v. Hintze der Absicht der Obersten Heeresleitung über einen neuen Aufmarsch zustimmte und General v. Arz seine Unterstützung vorbehaltlich der Zustimmung des Kaisers Karl zusagte, die dieser allerdings ablehnte. Da die allenfalls verfügbaren Divisionen der Ostfront allein zu schwach waren, mußte der Plan aufgegeben werden; die jetzt erneut gezeigte Schwäche Österreichs Rumänien gegenüber brachte sehr bald schlimme Folgen.

[61] Als im Sommer 1918 an Stelle des schwer erkrankten bisherigen Chefs des Admiralstabs, des Admirals v. Holtzendorff, Admiral Scheer zu seinem Nachfolger ernannt wurde, trat im Großen Hauptquartier insofern eine Änderung ein, als ihm durch die Schaffung der Seekriegsleitung (s. Band IV, Seekrieg) eine breitere, die Einheitlichkeit des Einsatzes der Seestreitkräfte gewährleistende Gewalt gegeben wurde. Aber die Schaffung dieser Stelle, deren Fehlen im Kriege verhängnisvoll gewesen war, kam viel zu spät, um den Gang der Kriegsereignisse noch merkbar zu beeinflussen. - Nach den schweren Mißerfolgen bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wurden Entschlüsse nötig über die Stützpunkte der Seestreitkräfte in Flandern. Mußte der rechte Flügel der Westfront aus der Siegfriedstellung und seinem nördlichen Anschluß in die nächste Stellung - rechter Flügel bei Brügge - zurückgenommen werden, so fiel Zeebrügge mit seiner Ausfahrt in englische Hand. Einen entsprechenden Hinweis der Obersten Heeresleitung beantwortete Admiral Scheer dahin, daß durch die völlige Absperrung des Kanals die Flandern-Stützpunkte ihren früheren Wert zum Teil eingebüßt hätten und daß die U-Boote ihre Aufgaben auch von andern Häfen aus erfüllen könnten. Dagegen erbat er eine stärkere Zuweisung von Arbeitern, um den Bau der U-Boote zu beschleunigen. Bei der außerordentlich schwierigen Mannschaftslage konnte die Oberste Heeresleitung nur Sonderarbeiter und Ingenieure in beschränkter Zahl dafür abgeben.

Die Zuweisung der Roh- wie auch der Betriebsstoffe vollzog sich durch die - auch zu spät eingerichtete - für Heer, Flotte und Heimat gemeinsame Verteilungsstelle glatter als früher. Das sachgemäße Haushalten mit den dauernd abnehmenden und auch aus den besetzten Gebieten nicht im erwünschten Umfange zufließenden Roh- und Betriebsstoffmengen beeinflußte in höchstem Maße die Art und Menge der Kampfmittel und damit die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung. Die Überlegenheit der Entente in dieser Hinsicht hatte sich in den Juli- und Augustkämpfen mindestens in gleicher Stärke fühlbar gemacht wie die zahlenmäßige Überlegenheit. Auch das Kampfverfahren des beweglichen Vorfeldes hatte diese Wirkung nicht aufheben können und durch neue Verfügungen ergänzt und erweitert werden müssen, vor allem um die moralische Wirkung der Tanks auf das richtige Maß zurückzuführen und die Gegenstöße planvoller anzusetzen.

Die zur Ruhe und Schulung für die deutschen Truppen dringend nötige Kampfpause gewährte ihnen Marschall Foch nicht. Schon am 9. September ließ er englische Armeen gegen die 17., 2. und 18., französische Verbände gegen die 9. und 7. Armee den Angriff erneuern und in den nächsten Wochen unaufhörlich fortsetzen. Trotz des wenig guten Bauzustandes der (im übrigen auch für weniger wirkungsvolle Angriffsmittel gebauten) Siegfried-Stellung machte sich der von ihr gewährte Rückhalt doch in der Weise geltend, daß die Gegner zunächst kaum Fortschritte machen konnten. Im allgemeinen konnten die [62] Stellungen, wenn auch unter schweren Verlusten, bis über den 20. September hinaus festgehalten werden.

Das war um so nötiger, weil der Ausbau der rückwärtigen Stellungen infolge der geringen Zahl der dazu verfügbaren Kräfte noch nicht weit gefördert war; und besonders, weil die Rückführung der gewaltigen, in dem aufzugebenden Gebiet aufgestapelten und für die Weiterführung des Krieges unentbehrlichen Kampf- und Verpflegungsvorräte sehr viel Zeit beanspruchte.

Da erfolgte ein neuer Angriff an einer bisher ruhigen Frontstrecke. Seit dem September 1914 war der nach St. Mihiel vorspringende Bogen der Front fest in deutscher Hand. Seiner Gefährdung hatte die Oberste Heeresleitung insofern Rechnung getragen, als sie eine rückwärtige Sehnen-Stellung, die "Michel-Stellung", seit dem Herbst 1916 hatte bauen lassen. Auch das freiwillige Zurückgehen in die Michel-Stellung hatte sie erwogen, aber vorläufig aufgeschoben, um eine Störung der für die Kampfführung wichtigen Erzgruben und Hochöfen im französischen und deutschen Lothringen zu verhindern. Als jetzt Anzeichen einen Angriff auf den Mihiel-Bogen wahrscheinlich machten, ordnete die Oberste Heeresleitung am 8. September die Räumung an. Bevor sie durchgeführt werden konnte, griffen Amerikaner mit starker Überlegenheit westlich Pont à Mousson und bei Combres an und durchstießen die vordersten Stellungen. Da sie den Erfolg nicht auszunutzen verstanden, gelang, wenn auch unter schweren Einbußen, die Räumung. Vor der Michel-Stellung kam das feindliche Vorgehen vorläufig ganz zum Stehen; dafür bereitete sich ein erneutes Vorgehen beiderseits der Argonnen vor.

Trotz der starken Schwächung der Truppen infolge der unaufhörlichen Kämpfe glaubte die Oberste Heeresleitung, den erwarteten neuen Angriffen mit guten Aussichten entgegentreten zu können; Sorge machte aber die zunehmende Übermüdung der ständig hin- und hergeschobenen Divisionen, deren regelmäßige Ablösung zur Ruhe und Auffrischung nicht mehr möglich war. Sorge machte ihr auch das langsame Fortschreiten des Ausbaus der rückwärtigen Stellungen.

In diese Erwartungen einer trotz aller Kämpfe langsam wachsenden Festigung der Westfront und damit auch einer Besserung der Allgemeinlage traf, alle Hoffnungen umstürzend, die Nachricht vom Zusammenbruch der mazedonischen Front. Am 15. September griff die Saloniki-Armee an; zwei bulgarische Divisionen in der Mitte gingen fast kampflos vom Schlachtfeld; die Flügel, stärker mit deutschen Truppen durchsetzt, wiesen den Angriff ab, mußten aber infolge der Flankenbedrohung gleichfalls zurückgehen. Die vom amerikanischen Gesandten in Sofia geschickt verwendeten Zersetzungsmittel, Geld und Propaganda, hatten gewirkt; das Ministerium Malinow und ententefreundliche Generale lieferten das zermürbte Heer und Volk der Entente ohne Widerstand aus. Die Waffenstreckung und Auflösung des Heeres öffneten der Entente den Weg nach Konstantinopel.

[63] Zur gleichen Zeit zertrümmerte der englische Angriff in Palästina die türkische Armee, der kein Ersatz und Nachschub mehr zufloß, nachdem Sonderinteressen alle verfügbaren Kampfmittel an die kaukasische Front hatten gehen lassen. Eine direkte Bedrohung Konstantinopels von Kleinasien aus war zwar nicht zu erwarten, wohl aber ein Verschieben englischer Kräfte nach Thrazien zur Verstärkung der von der Saloniki-Armee dorthin geführten Divisionen.

Dann war in absehbarer Zeit aber auch mit einer Gefährdung der deutschen Südostfront zu rechnen. Beim Vorschreiten der Saloniki-Armee mußte mit Sicherheit die erneute Kriegserklärung Rumäniens und der Angriff des von französischen Offizieren geschulten rumänischen Heeres erwartet werden, wenn nicht erhebliche Verstärkungen nach dem Balkan und der Walachei geschickt werden konnten.

Daß diese nicht der Westfront entnommen werden durften, ergab sich aus der Lage. Nur das nach seiner Ausrüstung für den zu erwartenden Gebirgskampf in Serbien besonders befähigte Alpenkorps wurde sofort in Fahrt gesetzt. Weiterhin entschloß sich die Oberste Heeresleitung, die drei zuletzt aus der Ostfront herausgezogenen, ursprünglich für den Westen bestimmten Divisionen und eine deutsche Division aus der Krim nach Serbien fahren zu lassen.

Auch von der k. u. k. Heeresleitung wurden beschleunigt Kräfte nach Serbien geschafft: zwei zur Verstärkung der Westfront bestimmte Divisionen der italienischen Front und eine aus der Ukraine herausgezogene Division wurden von ihr in Fahrt gesetzt. Bevor diese Truppen aber an der bulgarischen Front eintreffen konnten, hatte Zar Ferdinand abgedankt und das Land verlassen. Die Regierung gab sich und das Heer, soweit es nicht einfach auseinandergelaufen war, bedingungs- und kampflos der Entente in die Hände.

Nach Rumänien zog die Oberste Heeresleitung, um möglichst lange die Petroleumquellen ausbeuten zu können, deren Verlust Flugzeuge und U-Boote zur Untätigkeit gezwungen hätte, die nach dem Kaukasus entsandten Truppen zurück.

Das allmähliche Zurückgehen der verbündeten Truppen auf die Donau bedeutete zwar noch keine direkte Bedrohung der österreichisch-ungarischen Grenze und der Walachei; zweifellos mußte aber das Bekanntwerden der den eigenen Grenzen drohenden Gefahr deprimierend auf das k. u. k. Heer wirken, wenn die Italiener, durch Franzosen und Engländer verstärkt, angreifen würden. Die Oberste Heeresleitung mußte mit einem solchen Angriff rechnen. Über die sehr trüben Verhältnisse im k. u. k. Heere und im Volke war nicht nur die Oberste Heeresleitung, sondern sicher noch sehr viel besser die Entente unterrichtet.

Die Gesamtlage hatte sich seit Mitte September zweifellos erheblich verschlechtert. Die Oberste Heeresleitung mußte deshalb bei der Reichsregierung auf eine Beschleunigung der Friedensverhandlungen drängen, da ihr bisher kein Ergebnis der Burianschen Friedensnote und der vom Staatssekretär [64] v. Hintze versprochenen deutschen Unterhandlungen bekanntgeworden war. Sie regte eine mündliche Aussprache auch deshalb an, weil sich nach ihrer Ansicht auch die inneren, vor allem die parteipolitischen Verhältnisse direkt gefahrdrohend gestaltet hatten. Gegenüber den Forderungen der Parteien schien sogar die Stellung des ihnen gegenüber viel zu willfährigen Reichskanzlers Graf Hertling erschüttert.

Noch bevor der Reichskanzler und Staatssekretär v. Hintze in Spaa eintrafen, setzten auf der ganzen Westfront die Angriffe der Entente wieder ein. Bei Ypern, bei Cambrai, an der Vesle, in der Champagne und östlich der Argonnen griffen Belgier, Engländer, Franzosen und Amerikaner teils mit, teils ohne Erfolg an. Die sich ohne Unterbrechung aneinanderreihenden Angriffe ließen erkennen, daß Marschall Foch die Zeit zur allgemeinen Entscheidung gekommen glaubte. Die frische Kraft der jetzt ernstlich eingreifenden, übermächtigen Amerikaner machte sich empfindlich geltend. Wirklich entscheidende Erfolge erzwangen die Angriffe in den nächsten Tagen allerdings nicht; aber die Gesamtlage schien doch im höchsten Maße ernst. Diese in eingehender Aussprache des Generalfeldmarschalls mit General Ludendorff festgestellte Erkenntnis gab die Grundlage für die am 29. September stattfindende Unterredung mit dem allein in Spaa eingetroffenen Staatssekretär v. Hintze.

Die Aussprache brachte für die Oberste Heeresleitung eine Überraschung. Staatssekretär v. Hintze erklärte die Stellung des Reichskanzlers Grafen Hertling infolge der inneren Entwicklung für erschüttert und seine eigene für nicht mehr sicher; er erklärte den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem für unausbleiblich und den Ausbruch einer Revolution für möglich. Den Hinweis der Obersten Heeresleitung auf die schwere Gefahr, die in dem Systemwechsel gerade in diesem Augenblick liege, lehnte er ab. Gleichzeitig erklärte er, daß infolge der Friedensnote des Grafen Burian der verabredete Friedensschritt bei der Königin von Holland als nicht opportun unterlassen worden sei. So war die Oberste Heeresleitung vor die peinliche Tatsache gestellt, daß ihre bisherigen dringenden Hinweise auf die Einleitung von Friedensverhandlungen erfolglos geblieben waren. Dabei beurteilte sie die Lage an der Westfront als so ernst, daß von ihr die Notwendigkeit, einen Waffenstillstand unmittelbar bei den Gegnern zu erbitten, schon in den letzten Tagen erörtert worden war; sie stellte diese Notwendigkeit jetzt auch dem Staatssekretär gegenüber fest und stimmte zu, als dieser vorschlug, mit dem Ersuchen um Waffenstillstand und Frieden an den Präsidenten Wilson auf der Grundlage seiner mehrfach ausgesprochenen Friedensbedingungen heranzutreten. Auch Kaiser Wilhelm war mit diesem Schritt einverstanden.

Während dieser folgenschweren Aussprachen entschied sich in Berlin die innerpolitische Lage. Die Parteien im Reichstage erzwangen - sich bedenkenlos über die ungeheure außenpolitische Gefahr hinwegsetzend - die Einführung [65] des rein parlamentarischen Regierungssystems und damit den Rücktritt des Reichskanzlers Grafen Hertling, der sie nicht durchführen zu können erklärte. Von diesen verhängnisvollen Entschließungen blieb die Oberste Heeresleitung ausgeschlossen. Angesichts der vollzogenen Tatsache konnte sie nur auf die Notwendigkeit der beschleunigten Ernennung eines Reichskanzlers und der schnellsten Bildung der Regierung drängen, um die Zustimmung der Verbündeten zu dem Friedensschritt bei Wilson herbeizuführen und diesen Schritt selbst zu beginnen. - Um die Führer der Reichstagsparteien eingehend über die Kriegslage zu unterrichten, entsandte die Oberste Heeresleitung einen Offizier nach Berlin, der die Möglichkeit eines ferneren Widerstandes aussprechen, aber angesichts der Ersatzlage die Unmöglichkeit, den Krieg zu gewinnen, darlegen sollte. Aus dieser Erkenntnis heraus habe die Oberste Heeresleitung den Vorschlag machen müssen, den Kampf abzubrechen. Das Heer werde die Front halten, falls von der Heimat der Entschluß zum Durchhalten ausgesprochen werde.

Die im Namen der Obersten Heeresleitung gemachten Darlegungen waren von entscheidender Wirkung im Innern und nach außen - nach innen erschütternd, weil anscheinend die Regierung den Reichstag nie völlig über den schweren Ernst der Kriegslage aufgeklärt hatte, und nach außen, weil durch eine Verletzung der gebotenen Verschwiegenheit der Bericht auf das schnellste und stark übertrieben zur Kenntnis der Feinde kam.

Staatssekretär v. Hintze hatte als spätesten Termin für die Bildung der neuen Regierung den 1. Oktober angegeben, und daraufhin die Oberste Heeresleitung dringend gefordert, die Friedensnote spätestens am 2. Oktober abzusenden. Auch durch ihren Vertreter beim Auswärtigen Amt betonte sie erneut die Notwendigkeit einer möglichst schnellen Absendung des Gesuchs um Waffenstillstand und Frieden.

Die (nunmehr vom Reichstag ausgehende) Bildung der neuen Regierung verlief langsamer als erwartet. Erst am 3. Oktober konnte unter dem neuen Reichskanzler, Prinz Max von Baden, eine Sitzung des neuen Kabinetts stattfinden, der Feldmarschall v. Hindenburg selbst beiwohnte und in der er die Ansichten der Obersten Heeresleitung noch einmal mündlich und schriftlich darlegte: Der Zusammenbruch der bulgarischen Front, die dadurch notwendige Schwächung der Reserven im Westen und der ungenügende Ersatz der schweren Verluste würden es nach menschlichem Ermessen verhindern, den Feinden einen Frieden aufzuzwingen, da diese stets neue Reserven in den Kampf führen könnten. Die Lage der zur Zeit noch festen Front verschärfe sich täglich; jeder Tag koste Tausenden braver Soldaten nutzlos das Leben. Die sofortige Herausgabe eines Friedensangebots sei daher erforderlich; nur an einen ehrenvollen Frieden sei dabei gedacht.

Durch die Umbildung der Regierung erfolgte die Absendung der Note erst in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober. Sie fußte auf den bekannten 14 Punkten [66] Wilsons, entsprach in ihrem Wortlaut allerdings nicht den Wünschen der zu ihrer Abfassung nicht herangezogenen Obersten Heeresleitung, die in den 14 Punkten nur die Grundlage, nicht aber eine auferlegte Bedingung sehen wollte. Daß das Gesuch um Gewährung eines Waffenstillstands eine niederdrückende Wirkung auf die Truppen haben mußte, war vorauszusehen; durch eine Aufklärung über die Lage suchte die Oberste Heeresleitung diese Wirkung abzuschwächen. - Weiter berief sie sofort eine Anzahl höhere Offiziere nach Spaa, die als Waffenstillstandskommission gemeinsam mit einem Vertreter der Regierung die Vorbereitungen für die demnächst erwarteten Verhandlungen treffen sollten.

Die ersten Erklärungen, die der neue Reichskanzler bei Beginn seines Amtes im Reichstag aussprach und die dort fast einstimmigen Beifall auslösten, entsprachen durchaus dem Standpunkt der Obersten Heeresleitung: daß unannehmbare Waffenstillstandsbedingungen auf den einheitlichen, zu allen Opfern bereiten Widerstandswillen des Volkes stoßen würden. So durfte die Oberste Heeresleitung erwarten, daß jetzt endlich die so oft schmerzlich vermißte Übereinstimmung mit der Reichsregierung und dem Reichstag erzielt sei, daß ein Aufgebot des ganzen Volkes die Antwort auf schmachvolle Bedingungen sein solle.

Daß diese Bedingungen nicht leicht sein würden, mußte die Oberste Heeresleitung erwarten. Sie war auf die Bedingungen in der ersten Antwort vorbereitet, daß die Räumung der besetzten Gebiete im Westen Vorbedingung des Waffenstillstands sein müsse. Sonst gab diese Note keinen Aufschluß über die von Deutschland zu fordernden Bedingungen. Zur Gewinnung vollen Einverständnisses hatte General Ludendorff als Vertreter der Obersten Heeresleitung eine Unterredung mit dem Reichskanzler und eine eingehende Aussprache in einer Sitzung des Kriegskabinetts. Wichtig für die nächsten militärischen Entschlüsse waren die Vorbereitungen für das Volksaufgebot, falls die Bedingungen der Gegner unannehmbar sein sollten, und die Anschauungen der Regierung über die Verhältnisse im Osten.

Da die erste Antwortnote Wilsons sich vor allem mit innerpolitischen Verhältnissen beschäftigte, nahm die Oberste Heeresleitung an der Abfassung der zweiten deutschen Note nur insofern teil, als sie eine Klärung dahin forderte, daß auch England und Frankreich sich auf den Boden der Wilsonschen 14 Punkte stellten. Die Antwort Wilsons ließ lange auf sich warten.

Während die Oberste Heeresleitung am Abschluß des Krieges arbeitete, dauerten die Kämpfe mit wenigen und nur kurzen Unterbrechungen an; die Angriffe richteten sich ziemlich gleich heftig gegen alle Heeresgruppen, mit Ausnahme der Heeresgruppe Herzog Albrecht, in der erkennbaren Absicht eines Durchbruchs in nördlicher Richtung an der Maas und einer Umfassung auch des rechten Flügels des dadurch von der Heimat abzuschneidenden Heeres. Eine Einwirkung operativer Art auf die Kämpfe seitens der Obersten Heeresleitung war ausgeschlossen; dafür lag ihr die Sorge um die Unterstützung der Heeresgruppen [67] und Armeen in der Erhaltung der Kampffähigkeit ihrer Divisionen ob und die Bestimmung des Zeitpunkts, wann die Lage der Front ein abschnittsweises und schrittweises Zurückweichen auf die zweite Kampfstellung notwendig machte. Zu diesem schrittweisen Zurückfallen entschloß sie sich in der Hoffnung, daß die Angriffskraft der Gegner erlahmen und die politischen Vorschläge der Regierung ihren Kampfwillen abschwächen würden. Aus diesem Grunde lehnte sie den Vorschlag der Heeresgruppe Boehn ab, die schon Anfang Oktober sofort in die Antwerpen-Maas-Stellung zurückgehen wollte, besonders da diese Stellung noch nicht hergestellt war und die Notwendigkeit der Rettung der Heeresvorräte und die Ermüdung der Truppen den schnellen Rückzug unmöglich machten.

Nachdem die 17., 2. und 18. Armee am 9. Oktober in die Hermann-Stellung hatten zurückgehen müssen, ordnete mit der Verkürzung der Front die Oberste Heeresleitung an, daß die Front der 9. Armee von der 7. Armee mitübernommen, daß die Heeresgruppe v. Boehn und die 9. Armee aufgelöst, die 2. Armee zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht und die 18. Armee zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz treten sollten. Die Zurückverlegung hinter die Lys und in die Hunding-Stellung wurde für die 4. Armee nach Räumung und Zerstörung der Anlagen der U-Boot-Stützpunkte am 16. Oktober angeordnet.

Östlich von Reims bis zur Maas führten die trotz starker feindlicher Überlegenheit im allgemeinen erfolgreichen Abwehrkämpfe bei der 1. und 3. Armee zu einem starken Kräfteverbrauch, so daß die Oberste Heeresleitung zustimmte, als die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz das freiwillige Ausweichen in die Hunding-Brunhild-Stellung beantragte. Sie wurde bis zum 13. Oktober ohne Schwierigkeit erreicht; doch folgte der Gegner sofort und setzte auch zu kräftigen Angriffen an. - Gegen die 5. Armee scheiterten die Angriffe der tapferen, aber kriegsungewohnten amerikanischen Truppen.

Damit kamen die Fronten wieder zu einem vorübergehenden Stillstand; die neuen Stellungen waren zum Teil gut ausgebaut. Aber beim Räumen des bisher besetzten Gebiets waren Vorräte und Gerät und vor allem Einrichtungen der Truppen verloren gegangen, die hinter den neuen Stellungen fehlten. Am bedenklichsten aber war die Erkenntnis, daß auf die Truppen das Waffenstillstandsangebot geradezu verhängnisvoll gewirkt hatte, und daß aus der Heimat und von der Regierung nicht das Geringste geschah, um belebend auf den Geist des Heeres einzuwirken. - Besonders auffallend war diese Wirkung (bei der nun auch hinter der neuen Front beginnenden Räumung) bei den Etappen-Truppen und im Gegensatz dazu die deutlich wachsende Zuversicht der feindlichen Bevölkerung trotz der zunehmenden Gefährdung durch die sich ihnen nähernde Kampffront. Während Waffenstillstandsverhandlungen und Kämpfe weiterliefen, gingen auch der Ausbau der Antwerpen-Maas-Stellung und die Erkundung und Festlegung der Grenzstellung ununterbrochen weiter. Wenn das Friedensangebot nicht zum annehmbaren Ziel führen würde, so sollte nach [68] dem Willen der Obersten Heeresleitung nichts versäumt sein, um die feindlichen Heere am Betreten deutschen Bodens zu hindern.

Während dieser Wochen waren die Divisionen der Saloniki-Armee in ununterbrochenem Vorschreiten geblieben, teils auf Konstantinopel (Engländer), teils über Sofia bis zur Donau (Franzosen), teils über Nisch in nördlicher Richtung auf Belgrad (Franzosen und Serben). Wohl war es gelungen, die in Bulgarien stehenden deutschen Truppen über die Donau nach der Walachei zu bringen, und die stark verstreuten Truppen in Serbien zusammenzuführen und sie mit den allmählich eintreffenden Verstärkungen zu vereinigen. Während in Serbien General v. Köveß den Befehl über die deutschen und österreichischen Divisionen und den Schutz der österreichisch-ungarischen Grenze übernahm, wurde General v. Scholtz mit dem Schutz der unteren Donau beauftragt. - Die deutschen Truppen und Behörden in Konstantinopel sollten zu Schiff über Odessa den Anschluß an die Kräfte in der Ukraine gewinnen.

Zur Beantwortung der zweiten Antwortnote Wilsons wurde die Oberste Heeresleitung stärker herangezogen, weil sie zwar auf die von deutscher Seite gestellten Fragen absichtlich nicht einging, aber als Vorbedingung für den Waffenstillstand eine Reihe militärischer Forderungen stellte, die eine etwaige Weiterführung des Krieges nahezu unmöglich machen mußten. Wilson verlangte vor allem die sofortige Einstellung des U-Bootkrieges, also der einzigen zur Zeit noch wirkungsvollen Angriffswaffe. Daß er auch die Art und Weise der deutschen Kriegführung als völkerrechtswidrig bezeichnete, konnte man ohne weiteres mit den völkerrechtswidrigen Handlungen auf amerikanischer Seite abtun. Der Sitzung des Kriegskabinetts über die Antwort an Wilson wohnten mehrere Mitglieder der Obersten Heeres- und Marineleitung bei. Ein Urteil über die Kriegslage konnte von ihnen aber um so weniger abgegeben werden, weil sich die Regierung über die Entschlüsse im Osten und besonders über die Notwendigkeit der Ukraine für die Volksernährung sowie über das Verhältnis zu Sowjet-Rußland selbst nicht klar war. Die Oberste Heeresleitung mußte klare Auskunft über die Waffenstillstandsbedingungen und eine Ablehnung alles dessen fordern, was den weiteren Kampf unmöglich gemacht hätte, u. a. ausreichende Fristen für die Räumung des besetzten Gebietes und Vorbereitungen zur Erhebung des ganzen Volkes für den äußersten Notfall. - Aber die anfangs einer festen Antwort zugeneigte Haltung der Regierung hielt nicht stand. Der der Obersten Heeresleitung vorgelegte Entwurf der Antwort wurde von ihr abgelehnt, weil darin der Einstellung des U-Bootkrieges zugestimmt wurde. Trotz dieser Ablehnung ging die zustimmende Antwort ab. Die Wirkung derselben auf die Marine war vernichtend. Es blieb aber auch alles aus, was die Regierung für das Heer an Hilfe zugesagt hatte, selbst der vom Kriegsministerium versprochene Nachschub: ein Teil der Mannschaften wollte nicht mehr kämpfen, verweigerte die Abfahrt - und die Regierung schritt nicht ein.

[69] Am 24. Oktober begann der italienische Angriff gegen die Tiroler Front und dehnte sich an den beiden folgenden Tagen über die Piave-Front aus, so daß für den Fall, daß das k. u. k. Heer in Italien geschlagen werden sollte, die Oberste Heeresleitung die Bereitstellung von Truppen an der bayerischen Grenze in Erwägung ziehen mußte. General v. Köveß ging vor dem überlegenen Druck der Franzosen und Serben bis über die Donau und Save zurück.

Während die Kämpfe in erbitterter Form auch auf der ganzen Westfront von Holland bis zur Mosel ihren Fortgang nahmen, erklärte die am 25. Oktober eintreffende neue Note Wilsons als Folge des bisherigen Nachgebens offen, daß die Waffenstillstandsbedingungen derartig sein müßten, daß es für Deutschland unmöglich sein werde, noch einmal den Kampf aufzunehmen, und daß die Entente in der Lage sein müsse, die Bedingungen des späteren Friedens festzusetzen. —

Als die Oberste Heeresleitung im Kriegskabinett sich hierzu äußern sollte, konnte nach dieser Note Wilsons ihre Ansicht nur auf Weiterführung des Kampfes lauten. Aber der Entschluß des Kabinetts entsprach den bisherigen Schwächeanwandlungen der Regierung in einer noch schwächlicheren Weise. Das neue Kabinett hatte es verstanden, den Kaiser von der Notwendigkeit der Unterwerfung unter das Diktat Wilsons zu überzeugen, weil das Volk nicht mehr kämpfen wolle; es nahm die Forderung der Obersten Heeresleitung, vor dieser bedingungslosen Unterwerfung das Volk zum letzten Widerstand aufzurufen, nicht an. Und als Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff sich mit einem Appell an den Obersten Kriegsherrn wandten, versicherte dieser sie zwar seines vollen Vertrauens, verwies sie aber im Sinne der jetzt geltenden rein parlamentarischen Verfassungsform an den Reichskanzler. Daß der Reichskanzler krank war, erschwerte - gewollt oder ungewollt - die persönliche Einwirkung der höchsten Führer. Feldmarschall v. Hindenburg, General Ludendorff und Admiral Scheer erkannten, daß die Regierung sich zu einem letzten Emporreißen des Volkswillens nicht entschließen konnte. Ihre Warnungen vor einer Erschütterung der Mannszucht und der Unterordnung im Heer und Flotte stießen auf Verständnislosigkeit und Ablehnung. In tiefer Sorge um diese, von der dritten Wilson-Note zu erwartende und zweifellos auch beabsichtigte Wirkung auf das Heer wollte sich Feldmarschall v. Hindenburg in einem Erlaß an das Heer wenden, um es von der Notwendigkeit weiteren Widerstandes zu überzeugen; denn noch immer glaubte er annehmen zu können, daß die Regierung eine bedingungslose Waffenstreckung nicht auf sich nehmen werde. Er betonte darin den Willen Wilsons, jeden weiteren Widerstand unmöglich zu machen und bedingungslose Unterwerfung zu erzwingen. "Diese militärische Kapitulation ist deshalb für uns Soldaten unannehmbar.... Sie kann für uns Soldaten nur die Aufforderung sein, den Widerstand mit äußersten Kräften fortzusetzen...." Als General Ludendorff von diesem Erlaß, an dessen [70] Abfassung er nicht beteiligt war, Kenntnis erhielt, war er in richtigerer Auffassung von der Meinung des Kriegskabinetts sofort bemüht, ihn vor der Bekanntgabe an die Truppen zurückzuziehen. Und doch war gerade er die Handhabe für das Kriegskabinett, um seine Verabschiedung zu erzwingen. Schon einmal hatte der Reichskanzler einen Eingriff in den Bereich der Militärgewalt versucht, als er von General Ludendorff die Entfernung mehrerer höherer Offiziere aus seinem Stabe verlangte - ein Eingriff, den dieser natürlich ablehnte. Jetzt brach, als durch eine Indiskretion der Erlaß bekannt wurde, im Reichstag ein Entrüstungssturm gegen die Oberste Heeresleitung aus, der sich im besonderen gegen General Ludendorff richtete, in dem man den Hauptträger des Willens zum Weiterkämpfen sah. Die Regierung ergriff gern diese Gelegenheit, um durch einen scharfen Druck auf den Kaiser Ludendorffs Verabschiedung zu erzwingen.

Mit ihm schied aus der Obersten Heeresleitung die Persönlichkeit aus, die ihm zwei Jahre hindurch nicht dem Namen, aber der Tat nach Richtung und Ziel gegeben hatte, deren Ausscheiden sich in den nächsten Tagen außerordentlich fühlbar machen sollte.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte