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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
  (Forts.)

Generalleutnant Max Schwarte

7. Das erste Halbjahr 1918.

Die Erwägungen, wie die Oberste Heeresleitung im Jahre 1918 den Krieg führen solle, begannen bei ihr selbst schon im Spätherbst 1917, als sich über den Abschluß des Jahres eine gewisse Klarheit gewinnen ließ. Aber sie beschränkte sich nicht auf ihr eigenes Urteil; wenn sie sich auch selbstverständlich die Entscheidung und Verantwortung vorbehielt, so sah sie doch eine Gewähr für die Richtigkeit ihres endgültigen Entschlusses, wenn sie die Mitarbeit der bewährten Heeresgruppen-Kommandos dazu heranzog. In einer Richtung trat dabei eine völlige Übereinstimmung zutage: in der Überzeugung, daß der Krieg in der Form des Jahres 1917 nicht weitergeführt werden könne, wenn das Heer nicht in Abwehr und Stellung zerschlagen, wenn nicht Heer und Volk in Hunger und Not zugrunde gerichtet werden sollten. Bei der Abwägung der durch die letzten Ereignisse wesentlich verbesserten Lage war aber auch die Überzeugung gemeinsam, daß die neuen Verhältnisse es gestatteten, den Krieg angriffsweise zu führen, also die Entscheidung in der Offensive zu suchen.

Nach dem endgültigen Ausscheiden Rußlands und Rumäniens und dem wenigstens zeitweisen Ausscheidens Italiens aus der Zahl der kampfkräftigen Gegner bot sich der Obersten Heeresleitung die Gelegenheit, aber auch die letzte Möglichkeit, eine endgültige Entscheidung gegen die Franzosen und Engländer zu erzwingen, bevor Amerika mit einer entscheidenden Zahl von Divisionen in den Kampf eingriff. Diese Rücksicht zwang zu frühzeitigem Beginn des Angriffs - bis zum Einsatz der amerikanischen Divisionen schien die Lage für die Oberste Heeresleitung so günstig, wie sie zahlenmäßig bisher auf der Westfront noch nie gewesen war. Gewiß konnte sie keine erhebliche Übermacht an Truppen zum Kampf vereinigen; auch auf eine Überlegenheit an Kampfmitteln konnte sie nicht rechnen. Immerhin aber war die Gesamtsumme ihrer Kräfte etwa der feindlichen ziemlich gleich; und vor allem durfte sie die Überlegenheit ihrer operativen Führungskunst und der taktischen Ausbildung der Offiziere und Truppen als stark entscheidend in ihre Rechnung einstellen.

Es war also kein unbegründetes Spiel mit dem Zufall, wenn die Oberste Heeresleitung, darin einer Meinung mit den Heeresgruppen-Kommandos, sich für die Offensive entschied und der Kaiser dem Entschluß zustimmte. Monatelange, eingehende Erwägungen und Besprechungen hatten diesen Entschluß als einzig mögliche Lösung ergeben. Ihm folgte die zweite, nicht minder wichtige Überlegung, an welcher Front und an welcher Stelle der Angriff geführt werden [44] solle; die Wahl der Stelle mußte für den Endausgang entscheidend sein. Auch zur Bearbeitung dieser Frage zog die Oberste Heeresleitung wieder frühzeitig alle Heeresgruppen-Kommandos heran; sie erließ Ende Dezember an diese die entsprechenden Weisungen. Den Entschluß bis nahe an die Zeit des Kampfbeginns zu verschieben, war nicht möglich. Wenn sie auch hoffte, schnell zum freien Bewegungskrieg zu kommen, so erforderten die ganzen Verhältnisse doch, daß der erste Teil des Angriffs als Durchbruch geführt wurde. Das erforderte eine umfangreiche Vorbereitung, wenn sie auch glaubte, durch Überraschung mit einem abgekürzten Verfahren und geringeren Mitteln als die Entente auszukommen. Die Gefahr vorzeitigen Bekanntwerdens mußte durch andere Mittel (Täuschung usw.) vermieden werden.

Für die Wahl der Durchbruchsstelle waren mannigfache Rücksichten maßgebend. Zunächst der Feind. Die über ihn gewonnenen Nachrichten besagten, daß er den deutschen Angriff erwarte. Um ihm zuversichtlicher begegnen zu können, erstrebte man einen einheitlichen Oberbefehl, hatte sich aber nur zu einem mehrköpfigen Obersten Kriegsrat und einem Kriegsvollzugsausschuß entschließen können. Auch über die voraussichtliche Kampfstelle schienen die Mächte nicht einig zu sein; jede schien ihre Front als die gefährdetste anzusehen. Die Engländer hatten die große Masse ihrer Reserven bei Ypern und Arras, die Franzosen südlich Soissons - Reims untergebracht. Die Berührungsstelle der Fronten südwestlich St. Quentin blieb ziemlich entblößt.

Von Einfluß waren auch die Gelände- und klimatischen Verhältnisse. Das große wasserreiche Niederungsgebiet nordwestlich Lille war vor Mitte April für Massenbewegungen außerhalb der Straßen nicht zu benutzen; das war in Erwartung der amerikanischen Antransporte zu spät. Das Gelände vorwärts St. Quentin und bei Verdun gestattete die Bewegung großer Massen sehr viel früher. Bei Verdun war das Angriffsgelände durch Berg und Wald schwierig, bei St. Quentin mußte das bei der Alberich-Bewegung stark zerstörte Kampfgelände durchschritten werden.

Von stärkster Bedeutung mußte naturgemäß der operative Zweck des Angriffs nach gelungenem Durchbruch sein. Westlich Lille war - was die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht besonders hervorhob - die Küste mit den für England wichtigen Häfen zweifellos ein Ziel von höchstem Einfluß. Für den Angriff bei Verdun sprachen eine erhebliche Entlastung der Front und der moralische Ausgleich des Mißerfolgs von 1916. Die Heeresgruppe Herzog Albrecht, aus deren Front eine entscheidende Operation nicht möglich war, schied aus den Erwägungen aus. Ein von St. Quentin ausgehender Stoß traf in der Nahtstelle des französischen und englischen Heeres eine taktisch schwache Stelle und konnte bei seinem Gelingen zu einer Trennung der beiden Heere und einer Bedrohung oder gar Aufrollung der englischen Front von der rechten Flanke aus führen.

[45] In jedem Falle aber war Voraussetzung die Aussicht auf einen sicheren taktischen Erfolg, da er allein die operative Bewegungsfreiheit brachte. Die Oberste Heeresleitung glaubte diese Gewähr westlich St. Quentin zu erkennen. Da außerdem die anschließende operative Ausnutzung den entscheidenderen Erfolg versprach und der Angriff früh erfolgen konnte, entschied sie sich für diese Stoßrichtung. Bei den Überlegungen wurde auch die Frage eingehend erörtert, ob es nicht möglich sei, gleichzeitig an zwei voneinander entfernten Stellen Angriffe anzusetzen. Der dadurch erreichten Ungewißheit und Zersplitterung der Armeen beim Feinde hätte aber auch eine Zersplitterung der eigenen Kräfte gegenübergestanden. Zu einer Teilung und doch ausreichenden Stärke des Angriffs an zwei oder mehr Stellen reichten die deutschen Divisionen nicht aus. Um so notwendiger waren Ablenkungsversuche auf allen Fronten, um die umfangreichen, jetzt an einer Stelle konzentrierten Vorbereitungen der feindlichen Wahrnehmung zu entziehen.

Die Begrenztheit der zur Offensive verfügbaren Kräfte forderte beim Entschluß die stärkste, wenn auch unerwünschte Rücksicht. Aber ein großer Teil der Divisionen schied für den Angriff aus, weil sie zu schwere Verluste erlitten und einen weniger guten Ersatz erhalten hatten. Auch die von der Industrie bereitgestellte Menge der Kampfmittel war begrenzt und gestattete keine gleichmäßige Ausrüstung aller Divisionen. Geschütze und Munition, Bespannung und Kraftwagen usw. reichten nur für eine bestimmte Zahl der Verbände. Nur 56 Divisionen konnten als "Angriffs-Divisionen" - teilweise auf Kosten der übrigen - in voller Kampffähigkeit bereitgestellt werden. Das zwang zu einer Begrenzung der Breite der Angriffsfront; die Oberste Heeresleitung beschränkte sie auf 75 km zwischen Arras und La Fère unter Aussparung einer nach Osten vorgewölbten Strecke, des sogenannten Cambrai-Bogens, der bei einem erfolgreichen Vorgehen der nördlich und südlich davon angesetzten Armeen von selbst fallen würde.

Bei der Gewinnung der Grundlagen für den Entschluß hatten die beiden Kronprinzlichen Heeresgruppen durch eigene Entwürfe wesentlich mitgewirkt, nachdem die entscheidende Verfügung vom 27. Dezember 1917 erlassen war. Nach sorgsamster Abwägung aller Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorschläge war der Entschluß zum Angriff, als "St. Michael-Angriff" bezeichnet, am 24. Januar 1918 gefaßt worden. Wenn auch auf Grund der jetzt einsetzenden Vorarbeiten kleine Verschiebungen und Änderungen eintraten, so blieb der Entschluß selbst davon unberührt. Die von der Obersten Heeresleitung zu treffenden Vorarbeiten richteten sich vor allem auf die Gliederung und Bereitschaft der Truppen. Schon am 27. Januar erging der Befehl zum Herausziehen der Angriffs-Divisionen. Die Befehlsverhältnisse wurden dahin geregelt, daß zwischen die 2. und 7. Armee das Armee-Oberkommando 18, zwischen 2. und 6. Armee das Armee-Oberkommando 17 eingeschoben, ersteres der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, letzteres der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht zugeteilt wurden. [46] Den drei Armeen 17, 2 und 18 sollte die Durchführung des Angriffs übertragen werden.

Zum Angriff wurden angesetzt: die 17. Armee (17 Divisionen) nördlich des Cambrai-Bogens; in der Mitte, südlich desselben, die 2. Armee (18 Divisionen), und auf dem linken Flügel die 18. Armee (24 Divisionen). Der Angriff sollte von einem örtlichen Vorstoß auf La Fère begleitet werden. Die oberste Führung verblieb der Obersten Heeresleitung selbst, die drei Divisionen zu ihrer Verfügung behielt.

Die Aufträge für die Armeen lauteten dahin, daß die 17. Armee über die Linie Croisilles - Moevre, die 2. und 18. Armee zwischen Villers Guislain und Pontruet angreifen sollten. Dabei hätten 17. und 2. Armee sich gegenseitig zu entlasten und mit den inneren Flügeln den im Cambrai-Bogen stehenden Feind abzuschnüren, dann zwischen Croisilles und Péronne durchzustoßen. 18. Armee und äußerster linker Flügel der 2. Armee hatten im weiteren Verlauf das Vorgehen der Stoßtruppe des rechten Flügels gegen feindliche Gegenmaßnahmen aus südlicher Richtung zu decken. Das Hauptgewicht des Angriffs sollte also auf dem rechten Flügel liegen. Für später war eine Verbreiterung des Angriffs nach rechts auf Arras und nach links auf das südliche Ufer der Oise vorgesehen.

Daß der Antransport und die Bereitstellung dieser Massen ganz unentdeckt bleiben würde, war nicht anzunehmen. Um die Aufmerksamkeit des Gegners und Spionage irre zu führen, ordnete die Oberste Heeresleitung die Vorarbeiten für eine Reihe anderer Angriffe und Täuschungsangriffe auf der ganzen Westfront an; auch diese Vorbereitungen ließ sie sich zur Prüfung vorlegen. Auch wurden die Vorbereitungen gegen die englische Front in Flandern und bei Arras so stark weiter gefördert, daß hier ein erneuter Angriff, als "St. Georg" bezeichnet, sofort einsetzen konnte, wenn der Angriff bei St. Quentin nicht zum Erfolg führen sollte.

Im Januar hatte der Angriffsentschluß die Billigung des Kaisers gefunden; die Vorarbeiten, sofort nach dem 24. Januar begonnen, nahmen einen so guten Fortgang, daß am 1. Februar als Angriffstag der 20. März festgesetzt werden konnte. Noch immer war im Osten kein Friedensschluß erzielt; diese Unsicherheit mußte die Oberste Heeresleitung ebenso in Kauf nehmen wie das Ausbleiben der versprochenen österreichischen Divisionen. Die über den Angriff und den in Aussicht genommenen Zeitpunkt orientierte Reichsregierung hatte eine Friedensmöglichkeit im Anschluß an die Friedensverhandlungen im Osten nicht herbeiführen können. Ob und auf welchen Wegen weitere Versuche unternommen worden waren, wußte die Oberste Heeresleitung nicht.

Über den Fortgang der Angriffsvorbereitungen ließ sich die Oberste Heeresleitung dauernd unterrichten, um alle Ansichten und Maßnahmen im Einklang zu halten. Am 1. März ließ sich übersehen, daß die Vorarbeiten so weit gefördert [47] waren, daß die letzten Maßnahmen (Antransport der Munition, der Artillerie, der Truppen usw.) auf keine Schwierigkeiten stoßen würden; als Angriffstag wurde am 4. März der 21. März festgesetzt und der endgültige Angriffsbefehl für die "Große Schlacht in Frankreich" am 10. März erlassen.

Vorher, am 8. März, stellte das Große Hauptquartier, um zweckmäßiger zur Entscheidungsfront zu liegen, nach Spaa über. Für die Tage der Schlacht selbst wurde eine vorgeschobene Befehlsstelle in Avesnes eingerichtet. Dorthin begaben sich Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff mit der Operations-Abteilung am 19. März; von dort ergingen am 20. März die letzten Anordnungen, die den Angriff am 21. März zeitlich regelten.

Aus dem Verhalten des Gegners ließ sich erkennen, daß ihm die Bereitstellung der Angriffsmassen nicht bekanntgeworden sein konnten.

Die Schlacht verlief nicht so, wie es Oberste Heeresleitung beabsichtigt hatte. Der rechte Flügel, die 17. Armee, konnte nicht in dem Maße Boden gewinnen, wie es zum Zusammenwirken mit der 2. Armee und zur Abschnürung des Cambrai-Bogens nötig war; die 18. Armee kam unerwartet schnell vorwärts. Es gelang den Gegnern, nördlich der Somme, vor der Front der 17. und 2. Armee, vom 25. März ab eine neue Widerstandslinie aus den mit Bahn und Kraftwagen herangeführten Reserven zu bilden; südlich der Somme war der Widerstand schwächer. Dieser Kampfverlauf veranlaßte die Oberste Heeresleitung zur Änderung ihres Planes: sie legte den Nachdruck jetzt auf den linken Flügel in der Erwartung, durch das Gewinnen von Amiens dennoch die Trennung der beiden Heere zu erzwingen und dadurch doch zum Bewegungskrieg zu kommen.

Mit dem weiteren Vordringen machten sich - neben der zunehmenden Erschöpfung der Truppen - das zerstörte Gebiet und das zerschossene Trichtergelände erschwerend geltend; das Wiederherstellen der Verbindungen konnte dem Vorgehen der Truppen nicht folgen; der Nachschub an Munition und Verpflegung stockte. Das führte am 28. März zum Entschluß eines zeitweisen Einstellens des Angriffs. Die Kampfpause gestattete dem Gegner aber eine zunehmende Verstärkung des Widerstandes. Als erneute Angriffe am 30. März und 4. April keine durchschlagenden Erfolge erzielten, vor allem Amiens nicht gewinnen konnten, mußte die Oberste Heeresleitung den schweren Entschluß fassen, den Angriff an dieser Stelle und zu dieser Zeit einzustellen. Sofort einsetzende heftige Gegenangriffe des Feindes wurden abgewiesen.

Die Leistungen der Truppen waren riesengroß gewesen; eine bedenkliche Erscheinung aber war, daß die Mannschaften nicht überall in der Hand der Führer geblieben waren, daß bei ausgehungerten Truppen mehrfach englische Lebensmittelvorräte den Gedanken an den Kampf hatten zurücktreten lassen. So war es eine der ersten Sorgen der Obersten Heeresleitung, Maßnahmen zur strafferen Mannszucht und zur Ausnutzung der im Kampf gemachten Er- [48] fahrungen zu treffen. Zweite Sorge war die Sicherung des eroberten Geländes und das Herausziehen der in der Verteidigung nicht mehr nötigen Divisionen zur Wiederauffrischung.

Eine weitere große Sorge betraf den Ersatz für die schweren Verluste, weil die ungeheuer angespannten Verhältnisse den Bedarf an Ersatz für den Kampf sowohl wie für die Arbeit über das Vorhandene steigerten.

Auf der gegnerischen Seite hat der deutsche Angriff eine ungeheure Wirkung ausgeübt. Zeitweise schien die Trennung der Heere nicht mehr zu verhindern. Dringende Rufe um Hilfe gingen an Woodrow Wilson. Aber die Not schuf auch, was die bisherigen Kriegsjahre nicht zustande gebracht hatten. Auf Anregung von Lord Milner wurde schon am 26. März ein Oberbefehlshaber in Marschall Foch ernannt, dessen Energie tatsächlich auch die erste Hilfe, das Schließen der Lücke von Amiens, zu erzwingen wußte.

Der erste Mißerfolg lähmte den Siegeswillen der Obersten Heeresleitung nicht. Zunächst ordnete sie zur Sicherung der linken Flanke des vorspringenden Geländes den "Erzengel-Angriff" an, der die Ergebnisse des St. Michael-Angriffs vervollständigen sollte. Teile der zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz gehörigen 7. Armee führten ihn am 7. April aus. Nach Erreichen des erstrebten Abschnitts der Ailette am 9. April wurde der Angriff abgebrochen.

Am gleichen Tage schon setzte auf Befehl der Obersten Heeresleitung die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht die 4. und 6. Armee zum zweiten großen Stoß südlich Ypern an; "St. Georg" bedurfte nur der Zuführung von schwerer Artillerie zum Abschluß der Vorbereitungen. Nach erfolgreichem Beginn am 9. April zwangen das Gelände, schlechtes Wetter und eintreffende Verstärkungen am 17. April zum zeitweisen, am 20. April, nach Erstürmung des Kemmel, zum definitiven Abbruch. Die Angriffskraft war erschöpft. Das letzte Ziel, die Kanalküste, war nicht erreicht, aber die Räumung des ganzen im Vorjahre verlorenen Geländes erzwungen. - Wieder waren die deutschen Verluste schwer und das große operative Ziel, Bewegungsfreiheit, nicht erreicht.

Daß die Verluste auch bei den Gegnern groß gewesen waren, zeigte einwandfrei das Erscheinen von Italienern und Amerikanern in der gegnerischen Kampffront: Italienische Divisionen in den Argonnen, amerikanische an der St. Mihiel-Front. Selbst von Saloniki wurden englische Divisionen nach dem Westen herangeholt.

Der U-Bootkrieg hatte bisher England nicht auf die Knie gezwungen, aber zu einer neuen völkerrechtswidrigen Handlung genötigt: durch Terror oder Gold zwang es die neutralen Staaten, ihren Schiffsraum der Entente zur Verfügung zu stellen. Die Verpflegungsschwierigkeiten in England, vor allem aber der beschleunigte Antransport der amerikanischen Divisionen waren die Ursache.

Die schweren Verluste hemmten die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung auf das empfindlichste. Sie mußte ihre Angriffe in kürzester Frist wiederholen. [49] Sie erneuerte dringend ihre Forderung an das Kriegsministerium, die Reklamierten aus der Industrie schneller für die Front frei zu machen. Unlust der Reklamierten und mangelnde Energie der Behörden machten den Erfolg gering. Was jetzt der Westfront zugeführt wurde, war der kampffähige Teil der allmählich aus Rußland zurückkehrenden Kriegsgefangenen. Aber diese waren durch die in Rußland wirksam gewesenen Einflüsse oft von zweifelhafter Güte. So griff die Oberste Heeresleitung dazu, die nach Abschluß der Friedensverträge im Osten entbehrlichen Truppen nach dem Westen zu holen und die Etappentruppen schärfer auszukämmen, und schließlich zu der nicht unbedenklichen Maßnahme, aus den Sonderwaffen alle geeigneten Unteroffiziere und Mannschaften durch weniger kräftige Personen für den Kampf frei zu machen.

Auch die den größten Erfolg versprechende Forderung des rücksichtslosen Vorgehens gegen Drückeberger und Deserteure brachte bei der fehlenden Energie der heimischen Behörden nur geringe Ergebnisse.

Die für einen neuen Angriff notwendige Vorbereitungszeit benutzte die Oberste Heeresleitung wieder, um die erkennbar gewordenen Mängel und Fehler der Kampfführung durch eine am 17. April herausgegebene ergänzende Ausbildungsvorschrift und durch Lehrkurse der Führer zu beseitigen.

Sofort nach Abschluß des Michael- und Georg-Angriffs begannen die Vorbereitungen für die neue Offensive. Zur Beschleunigung drängten die steigenden amerikanischen Transporte; sie durfte die Initiative nicht aus der Hand geben.

Das Endziel aller Angriffe blieb das englische Heer. War dessen Kampfkraft gebrochen, so glaubte die Oberste Heeresleitung auch die französische Regierung dem Frieden geneigt zu finden. Aber die unmittelbare Fortsetzung der bisherigen Angriffe war nicht durchführbar, weil diese alle Reserven der Engländer und die meisten Reserven der Franzosen nach Amiens - Ypern gezogen hatten. Gegen diese Masse schienen die zur Verfügung stehenden Kräfte zu schwach. Zum mindesten mußten die Reserven von dort weggezogen werden; das konnte nur durch Angriff an einer anderen Stelle geschehen. Es mußte eine solche gewählt werden, die der Gegner für weniger gefährdet ansah und dementsprechend mit weniger zahlreichen und weniger guten Divisionen besetzt hielt. Nach den eingelaufenen Nachrichten war das der Fall vor der Front der 7. und 1. Armee, südlich von La Fère. Dort standen auf den 1917 aufgegebenen Höhen des Chemin des Dames abgekämpfte englische und französische Divisionen ohne nennenswerte Reserven. Die sehr großen Schwierigkeiten des Geländes waren bei guter Vorbereitung und ausreichender artilleristischer Unterstützung zu überwinden. Die Richtung des Stoßes auf Paris mußte, wenn er glückte, gefährlich erscheinen und die feindlichen Reserven von Flandern hierher ziehen.

Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz erhielt die Richtlinien für die Vorbereitung Mitte April. Zu ihrer Verstärkung standen nur die bei St. Quentin eingesetzten Divisionen zur Verfügung, die durch Ruhe und Ersatz erst wieder kampf- [50] fähig werden mußten. Auch zu den Vorarbeiten war Zeit erforderlich. Trotz der erwünschten schnellen Folge der deutschen Offensiven mußte dieser Aufschub gewährt werden. Die Oberste Heeresleitung bestimmte den 20. Mai für den Beginn des Angriffs, dem dann Mitte Juni die große Entscheidung gegen die Engländer folgen sollte. Als Ziel bezeichnete die Oberste Heeresleitung die Linie der Aisne und Vesle. Doch betonte Ludendorff bei einer mündlichen Aussprache, daß der Stoß ohne Rücksicht auf Verluste darüber hinaus weitergeführt werden sollte. Auch die anfänglich schmale Front vergrößerte sich im Anschluß an die Vorbereitungen schließlich bis auf 100 km Frontbreite. Am 16. Mai erfolgte der endgültige Befehl, der den "Blücher-Görz"-Angriff auf den 27. Mai festsetzte.

Für den bald darauf folgenden Entscheidungsangriff erhielt die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht die Weisung, alle Vorbereitungen energisch weiterzuführen. Die bevorstehenden Angriffe stellten an die Truppen außerordentlich hohe Ansprüche und verlangten weitgehende Fürsorge. Die Frage der ausreichenden Ernährung der Truppen war deshalb dauernd eine schwere Sorge der Obersten Heeresleitung. Sie war um so schwieriger zu beheben, als die Heimat selbst Not litt und mehr als bisher nicht geben konnte, und als ferner die Bundesgenossen gleichfalls hungerten. So mußten die weiten besetzten Gebiete im Osten ausgenutzt werden und verlangten, um das durch geregelte Verwaltung zu erreichen, ausreichende Besatzungstruppen. Den gleichen Anspruch machte der notwendige Schutz der Ostfront gegen die auch nach dem Friedensabschluß nicht zur Ruhe kommenden Verhältnisse in Rußland. Da die Sowjet-Truppen die im Frieden zugesagte Räumung der baltischen Länder nicht durchführten und in Finnland eine Schreckensherrschaft ausübten, die das Land nach deutscher Hilfe rufen ließ, mußte die Oberste Heeresleitung sich entschließen, nochmals Truppen im Osten in Bewegung zu setzen. Teilweise unter hartnäckigen Kämpfen erreichten diese durch die Befreiung der Länder und süd- und nordwestlich Stellungen so dicht bei Petersburg, daß die Hauptstadt unmittelbar dauernd bedroht war.

Die Hoffnung, daß durch diese Truppen auch eine Schutzmauer gegen die Heimat und Heer verseuchende bolschewistische Propaganda aufgerichtet werden könnte, erfüllte sich nicht. Doch war dieser Weg der Infizierung des deutschen Volkes und Heeres der ungefährlichere; schlimmer war die unmittelbare Verseuchung, die in Berlin von dem Vertreter Rußlands, Joffe, in unerhört schamlosem Mißbrauch der diplomatischen Immunität betrieben wurde, gegen den einzuschreiten die Reichsregierung, trotz aller Beweise und dringendsten Mahnungen seitens der Obersten Heeresleitung, nicht den Mut aufbrachte.

Die für Heimat, Bundesgenossen und Heer gleich wichtigen Aufgaben im Osten erforderten mehr Truppen, als es für die Oberste Heeresleitung militärisch wünschenswert war. Wenn die dortigen Verbände auch für große Offensiven nicht tauglich waren, so hätten sie doch andere ablösen können. Von den anderen Kriegsschauplätzen Verstärkungen heranzuziehen, war unmöglich. Die Türken [51] verzettelten weiterhin ihre Truppen für Sonderinteressen und erzwangen so den Verbleib der deutschen Verbände an der stark gefährdeten Palästina-Front. - Das bulgarische Heer war so untätig geworden, daß englische Divisionen von Saloniki fortgezogen wurden. - Nur Österreich-Ungarn versprach Unterstützung, indem es statt der für Frankreich bestimmten Divisionen eine große Offensive für Mitte Juni, also reichlich spät, an der Piave-Front zusagte, um so feindliche Kräfte aus Frankreich herüberzuziehen.

So drängten sich außen- und innenpolitische, organisatorische, taktische und wirtschaftliche Fragen an die Oberste Heeresleitung neben den operativen Problemen heran und konnten nicht abgewiesen werden, weil von deren Lösung die Möglichkeit ihrer großen operativen Absichten abhing.

Der am 27. Mai erfolgende Angriff ging in seinen schnellen Erfolgen wieder weit über die beabsichtigten Ziele hinaus. Der Angriff gelangte schon in wenigen Tagen mit der Mitte der 7. Armee bis zur Marne; aber die Flügel blieben zurück. Soissons wurde zwar genommen, doch nur wenig in westlicher Richtung überschritten; Reims blieb in französischem Besitz.

Der Eindruck auf die Gegner war außerordentlich; Paris schien wieder so bedroht, daß viele Einwohner die Stadt verließen. Aber die Regierung, durch Clemenceau, den Ministerpräsidenten, aufgestachelt, hielt aus - sie wußte die unmittelbare Nähe der amerikanischen Hilfe. - Wieder war der deutsche Erfolg gewaltig und führte doch infolge des Abhängens der Flügel nicht zum Durchbruch. Auch die während der Kämpfe von der Obersten Heeresleitung nachgeschobenen Divisionen hatten das Letzte nicht erreichen lassen.

An der Marne stießen die deutschen Truppen zum erstenmal auf geschlossene, selbständig kämpfende amerikanische Divisionen. Das war ein Zeichen, daß die Oberste Heeresleitung jetzt sehr stark mit den Amerikanern rechnen mußte. Nach ihrer Rechnung konnten mehrere Hunderttausend in Frankreich eingetroffen sein. Mit der steigenden Zahl mußte sich gleichzeitig der Kampfwille der Gegner verstärken.

Die deutsche Front wurde durch das neu eroberte Gebiet noch ungünstiger. Unzureichende Bahnverbindungen erschwerten überdies die Neugliederung und Versorgung der Truppen an der Marne. Zur Verbesserung ordnete die Oberste Heeresleitung einen gemeinsamen Angriff der 18. und 7. Armee an, um das Gelände zwischen den Frontvorsprüngen zu gewinnen. Nach anfänglichen Erfolgen am 9. Juni stieß der Angriff auf stärkeren Widerstand; das Moment der Überraschung fehlte. Der Angriff wurde bald eingestellt; sofort einsetzende energische französische Gegenangriffe konnten abgewiesen werden.

Die Unnachgiebigkeit der Entente fand eine weitere Stärkung durch das Scheitern des österreichischen Angriffs an der Piave-Front. Der Eindruck mußte auf italienischer Seite aufpeitschend, auf das k. u. k. Heer niederdrückend sein. Das bittere Ergebnis für die Oberste Heeresleitung war, daß sie jetzt auf eine [52] Erleichterung an der Westfront nicht mehr rechnen konnte, und das Bewußtsein, daß die Angriffskraft des Bundesgenossen völlig verbraucht war. Außer dem Festhalten seiner Stellungen war von ihm keine andere Hilfe mehr zu erwarten als einige wenige österreichisch-ungarische Divisionen an der Westfront. - Auf Grund der nach der Italien-Offensive gemachten Zusage entschloß sich Kaiser Karl - stark widerstrebend - vier Divisionen, und zwar zwei sofort, zwei später, nach der deutschen Westfront abzugeben. Sie bedurften eingehender Schulung, bevor sie als Stellungs-Divisionen eingesetzt werden konnten.

Die Oberste Heeresleitung war endgültig auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Für den neuen Entschluß, ob sie den Kampf weiter angriffsweise führen oder sich auf die Abwehr beschränken solle, war entscheidend die große Sorge um die Amerikaner, die, wenn auch nicht sofort angriffsfähig, doch an ruhigeren Fronten zur Ablösung kampffähiger französischer Divisionen eingesetzt werden konnten. Zu ihrer Sorge um ausreichende Verpflegung trat noch eine weitere Gefahr: eine in allen Armeen herrschende schwere Grippe-Epidemie, die bei den nur langsam Genesenden eine große körperliche Schwäche zurückließ, sie also längere Zeit der Front fernhielt.

Aber alle Bedenken traten zurück vor der Gewißheit, daß nur ein neuer Angriff mit besserem Erfolg die Entente friedenswilliger machen könne. Die Absicht, diesen Entscheidungsangriff in Flandern gegen die Engländer zu richten, war geblieben. Der letzte Großangriff hatte aber die wichtigste erhoffte Wirkung, das Fortziehen der dortigen feindlichen Reserven, nicht erreicht. Die Oberste Heeresleitung entschloß sich zu einem nochmaligen Angriff, um sie von Flandern fortzuziehen. Sie wählte dazu die Frontstrecken beiderseits Reims, wo nach übereinstimmenden Erkundungen nur schwache Reserven standen. Gleichzeitig hoffte sie, Reims endlich zu gewinnen und dadurch die rückwärtigen Verbindungen nach dem Marne-Bogen zu verbessern. Ohne eine weitergehende Ausnutzung des Erfolgs sollten dann sofort alle Kampfmittel beschleunigt an die Flandern-Front geworfen werden. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wurde angewiesen, alle Vorbereitungen für ihren Angriff energisch fortzuführen. In den Richtlinien für die Vorarbeiten vom 14. Juni wurde der neue Angriff auf den 15. Juli festgesetzt; etwa zwei Wochen später sollte der Flandern-Angriff folgen.

In diesen Wochen machte sich nach den Meldungen der Truppenführer die Wirkung der feindlichen Propaganda und der zersetzenden Wühlarbeit aus der Heimat stärker fühlbar als je zuvor. Deshalb trat die Oberste Heeresleitung mit der Forderung der Abwehr erneut und drängend an die Regierung und den Kaiser heran, ohne daß es ihr gelang, sie von der Notwendigkeit schärfster Maßnahmen zu überzeugen. Ihre Sorgen vermehrte die weitere Erkenntnis, daß die aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Soldaten vielfach versagten. Sie kamen verhetzt zur Truppe und beeinflußten sie höchst ungünstig; viele, die [53] der irrigen Ansicht waren, daß für sie keine Verpflichtung zum Kriegsdienst mehr bestände, weigerten sich, an die Front zu gehen. Aufgehetzte Elsaß-Lothringer unternahmen Fluchtversuche; sogar unter den deutschen Truppen traten, als Folge der Verhetzung, Gegensätze in unerfreulicher Weise auf. Die Propaganda fand günstigen Boden in der immer stärker werdenden Enttäuschung über die begrenzten Erfolge der bisherigen Angriffe und über das Fehlen jeder Regierungsautorität.

Gerade dieser Mangel offenbarte sich in der Schonung der Deserteure und Drückeberger. Alle Anträge auf Steigerung des Ersatzes mußten nahezu ergebnislos bleiben, da auch Kriegsministerium und Kriegsamt unter dem Einfluß der friedenshungrigen, nachgiebigen Regierung standen. Bei dieser Sucht, zum Frieden zu kommen, war es unverständlich, daß diese es unterließ, der Anregung der Obersten Heeresleitung zu einer die Freigabe Belgiens betonenden Friedenspropaganda zu folgen, und im Reichstage nur ihre eigene Bereitwilligkeit betonte, daß sie jede Friedensanregung gern ergreife und daß auch die Oberste Heeresleitung damit übereinstimme. - Der die eigene Schwäche zu klar offenbarende Ausspruch des Staatssekretärs v. Kühlmann, der auf das eigene Volk und die Feinde verhängnisvoll wirken mußte, daß dieser Krieg kaum durch Waffenentscheidung beendet werden könne, zog seinen Rücktritt nach sich. Seinem Nachfolger, Admiral v. Hintze, brachte die Oberste Heeresleitung als altem Soldaten größtes Vertrauen entgegen; aber sie erlitt sofort eine schwere Enttäuschung, als er auch die verderbliche Zersetzungsarbeit des Sowjetvertreters Joffe nicht zu unterbinden wagte.

Trotz der Zusage österreichischer Divisionen für den Westen verschlechterte sich das Verhältnis zu Kaiser Karl und seiner Regierung. Ganz besonders aber wurde das Vertrauen auf den jungen Kaiser erschüttert, als durch Clemenceaus Veröffentlichung der sogenannten Parmabriefe (S. 29, Anm.) seine Hinterhältigkeit und sein Egoismus vor aller Welt offenbar wurden. Jetzt wußte man, was die Zuversicht der Ententemächte auf einen baldigen Zerfall des Bündnisses der Mittelmächte so sicher gemacht hatte.

Als die Vorbereitungen für den neuen Angriff der 7., 1. und 3. Armee sich dem Abschluß näherten, brachten Überläufer die Meldung von der Absicht eines feindlichen Angriffs aus dem Walde von Villers Cotterets heraus. Die von dort drohende Gefahr hatte schon vorher die Oberste Heeresleitung veranlaßt, die 7. und die neu eingeschobene 9. Armee, deren Flügel sich südwestlich Soissons berührten, entsprechend anzuweisen; der Hinweis wurde jetzt wiederholt.

Der ursprünglich für den 12. Juli beabsichtigte, dann auf den 15. Juli verschobene Angriff brachte einen Mißerfolg. Daran konnte die glänzende Tapferkeit der unter schwierigsten Verhältnissen sich den Übergang über die Marne erzwingenden Truppen nichts ändern. Der Gegner hatte auf verschiedenen Wegen genaue Nachrichten über den Angriff erhalten und ihnen seine Abwehr [54] genau anpassen können. Der Vorteil der Überraschung war bei diesem Angriff "Marneschutz-Reims" den Deutschen versagt geblieben.

Die Oberste Heeresleitung gewann sehr schnell einen Überblick über die Lage. Sie befahl schon am 16. Juli an die 1. und 3. Armee, den Angriff sofort einzustellen; bei der 7. Armee war das nicht möglich, wenn man nicht die südlich der Marne im schweren Kampf stehenden Divisionen opfern wollte, deren Brücken usw. teils zerstört waren, teils unter dauerndem Beschuß lagen. Die Zurücknahme wurde nach Regelung und Vorbereitung des Überganges für die Nacht vom 20. zum 21. Juli festgesetzt. Nördlich der Marne sollte der Angriff gegen Reims weitergeführt werden, um trotz alledem zu versuchen, die Stadt zu erobern.

Der Mißerfolg lähmte die Zuversicht der Obersten Heeresleitung nicht. Dem Befehl, den Angriff an der Marne und in der Champagne abzubrechen, folgte bei ihr unmittelbar der Entschluß, sofort den Flandern-Angriff ins Werk zu setzen. Schon am 16. Juli abends begann der Abtransport der schweren Artillerie aus den jetzigen Stellungen nach Flandern. Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht erhielt Weisung, jetzt die 4. und 6. Armee nördlich der Lys zum Angriff gegen die die flandrische Tiefebene beherrschenden Höhen bei Poperingen, Bailleul und Hazebrouck bereitzustellen.

Der Angriff sollte nicht mehr ausgeführt werden. Marschall Foch ging zum Angriff über. Während die deutschen Truppen im Marne-Bogen durch die seit dem 15. Juli andauernden Kämpfe in stärkster Fesselung dem Gegner gegenüberlagen, brach überraschend aus den Waldungen von Villers Cotterets ein von zahlreichen Kampfwagen neuer Bauart unterstützter Stoß südwestlich Soissons durch die noch nicht ausgebauten Stellungen der inneren Flügel der 9. und 7. Armee tief in das rückwärtige Gelände ein. Die Eingreif-Divisionen hielten den Ansturm auf, konnten den Gegner aber nicht wieder zurückwerfen. Gleichzeitige Angriffe gegen die südlich der Marne kämpfenden Divisionen und gegen die Front Dormans - Brimont wurden abgewiesen.

Die Oberste Heeresleitung war sich sofort über den ungeheuren Ernst der Lage klar. Alle verfügbaren Reserven wurden nach Soissons dirigiert; um die Befehlsgebung an der gefährdetsten Stelle einheitlich zu gestalten, unterstellte sie den linken Flügel der 9. der 7. Armee; die Abbeförderung der Artillerie wurde abgebrochen. Operative Entschlüsse waren erst möglich, wenn die Kämpfe zu einem Abschluß gekommen waren.

Die von Foch beabsichtigte Abschnürung des Bogens Soissons - Château-Thierry - Reims an den Enden der Basis wurde durch die Tapferkeit der Truppen verhindert; an den folgenden Tagen gewannen die heftigen feindlichen Angriffe so wenig Boden, daß der Zeitpunkt des Rückzugs der Divisionen über die Marne innegehalten werden konnte.

Noch hielt die Oberste Heeresleitung an dem Flandern-Angriff fest; allerdings mußte die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht vom 19. Juli ab einige [55] Divisionen nach Soissons abgeben; aber sie hatte ihre Angriffsvorbereitungen, wenn auch für einen etwas späteren Termin, weiterzuführen.

Durch den tiefen Einbruch der Franzosen war die einzige als rückwärtige Verbindung in Frage kommende Eisenbahn aufs höchste gefährdet; der Nachschub konnte nicht in ausreichendem Maße nachgeführt werden. Die schwere Bedrohung der Endstellen bei Soissons und Reims machte das Festhalten der ausgedehnten Front zweifelhaft. So entschloß sich auf Antrag der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die Oberste Heeresleitung, am 21. Juli die Front in zwei Sprüngen zurückzunehmen: in der Zeit zwischen dem 24. zum 27. Juli sollte die Linie La Fère en Tardenois - Ville en Tardenois, Anfang August die Linie der Vesle Soissons - Reims erreicht werden. Durch den schrittweisen Rückzug konnte auch die Rückführung der dort niedergelegten großen Vorräte bewirkt werden.

Die starken Verluste forderten, daß von der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht weitere Divisionen herangezogen werden mußten. Als sich mit ihrer steigenden Zahl die Unmöglichkeit des bisher vorbereiteten "Hagen"-Angriffs erkennen ließ, beantragte die Heeresgruppe, daß auf ihn verzichtet würde. Die Oberste Heeresleitung befahl Einstellung der Vorbereitungen; die Sicherung der Gefahrstelle ging jeder anderen Entschließung vor. War die Vesle-Front gefestigt, dann erst konnten neue operative Entschlüsse gefaßt werden. Dagegen erhielt die von den letzten Kämpfen nicht berührte Heeresgruppe Herzog Albrecht Weisung zur Vorlage von Angriffsplänen.

Die Oberste Heeresleitung hatte sich trotz der schweren moralischen Bedenken zu einem außerordentlichen, in seinen Folgen nicht zu übersehenden Entschluß durchringen müssen: zu dem vorläufigen Verzicht auf die Vorhand. - Seit der Übernahme ihres Amtes war die Wiedergewinnung der Initiative ihr höchstes Ziel, bis sich ihr 1918 die Möglichkeit bot, durch sie im Westen die Entscheidung zu suchen. Für den Enderfolg hatten ihre Kräfte nicht voll ausgereicht. Nun hatte feindliche Übermacht die Initiative wieder an sich reißen können.

Trotz des unerwarteten Versagens mehrerer Divisionen am 18. Juli konnte aber die Kampffront vom 22. Juli ab wieder als gefestigt angesehen werden. Die Zurücknahme der 7. Armee hinter die Vesle vollzog sich absichtsgemäß, alle Angriffe gegen diese Stellung wurden abgewiesen.

Am schwersten wirkten die Einbußen und Verluste in dieser zweiwöchentlichen [Scriptorium merkt an: zweiwöchigen] Schlacht. Die Abgänge konnten nicht mehr ersetzt werden. Um die Front-Divisionen wieder auf die absolut nötige Kampfstärke zu bringen, mußte die Oberste Heeresleitung die Auflösung von zehn Divisionen zur Auffüllung anderer anordnen. Es war kein Zweifel, daß diese Maßregel die Aussichten auf die Ausführung eigener Entschlüsse stark beeinträchtigen mußte. Die Oberste Heeresleitung mußte mit Gewißheit erwarten, daß die feindlichen Heere ihre Angriffe sofort weiterführen würden. An welchen Stellen und wann dies geschehen würde, war aus der Verteilung der feindlichen Kräfte zunächst nicht zu er- [56] kennen. Bei den schweren Verlusten des Feindes hoffte die Oberste Heeresleitung, daß bis dahin die Front wieder voll widerstandsfähig sein werde. Zur Erleichterung der Befehlsführung in den bevorstehenden Kämpfen bildete sie aus der 2., 18. und 9. Armee zwischen den Heeresgruppen der beiden Kronprinzen eine neue Heeresgruppe unter General v. Boehn.

Klar war sich die Oberste Heeresleitung auch darüber, daß der große und durch den Rückzug offensichtliche Mißerfolg Wirkungen zeitigen würde, tiefer als die rein militärischen: auf die Moral und Kampfstimmung im Heere, auf den Kampfwillen in der Heimat, auf die Haltung der Verbündeten und auf den Siegeswillen der Feinde. Wie klar diese den Umschwung einschätzten, brachte die Ernennung des Generals Foch zum maréchal de France zum Ausdruck.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte