Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 1: Die Grundlagen
für die
Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum
Kriegsende (Forts.)
Generalleutnant Max Schwarte
5. Das zweite Halbjahr 1917.
Während der kurzen Entspannung der militärischen Lage steigerte
sich die Sorge der Obersten Heeresleitung um die politische Entwicklung. In ihrer
Angst vor dem Übergreifen der russischen Revolutionsbewegung auf die
eigenen Völker und beherrscht von dem Gedanken des
Verständigungsfriedens, begünstigten beide Regierungen die Reisen
von Volksvertretern ins Ausland zu internationalen Aussprachen in der Hoffnung
auf bessere Friedensmöglichkeiten. In Erkenntnis der darin liegenden
Gefahr widersprach die Oberste Heeresleitung; ein Entscheid [29] des Kaisers fiel aber
gegen sie. Die Idee, von Stockholm aus die Arbeitermassen der feindlichen
Staaten "zur Versöhnung der Menschheit" zu entflammen, mußte
daran scheitern, daß die feindlichen Mächte derartige Reisen strikt
untersagten und von vornherein jede Vereinbarung als ungültig
erklärten.
Die in diesen Aussprachen liegende Gefahr der weiteren Schwächung des
Kriegswillens auch im Heere erachtete die Oberste Heeresleitung für so
groß, daß sie sich dringend an den Reichskanzler
und - da dieser versagte - auch an den Kaiser wandte mit dem
Hinweis, daß trotz des erfolgreichen
U-Bootkrieges die Gegner an der Ablehnung der Friedensbestrebungen
festhielten, weil sie aus jenen Schwächemomenten heraus den
Zusammenbruch der Mittelmächte eher erwarteten als den
eigenen.5 - In den Reisen lag besonders
die Gefahr, daß die feindliche Propaganda, deren Abwehr der Obersten
Heeresleitung nur mit Mühe gelungen war, nun unbehindert auf
gesetzlichem Wege nach Deutschland kommen konnte. Das völlige
Versagen des Reichskanzlers zwang sie jetzt, in die innerpolitischen
Verhältnisse einzugreifen, um zu verhindern, daß die mutlose
Stimmung der Heimat auch auf das Heer übergreife. Sie trat an den Kaiser
mit der Meldung heran, daß sie die unentbehrliche Unterstützung des
Reichskanzlers für die Kriegführung vermisse, und berichtete erneut
am 27. Juni, daß der Kanzler keinen Entschluß zum Handeln finde
und daß sie bezweifle, daß der Kanzler die schwierigen
Verhältnisse meistern könne. Würden sie aber nicht richtig
gelöst, so sei der Krieg verloren.
Die Oberste Heeresleitung hatte das Sinken der Volksstimmung richtig erkannt.
Das zeigte sich, als der Abgeordnete Erzberger im Reichstag Anfang Juli von der
Aussichtslosigkeit des U-Bootkrieges sprach und von der Unmöglichkeit,
den Krieg zu gewinnen; sie offenbarte sich aber vor allem darin, daß kein
Mitglied des Reichstags die damals durch nichts begründete Ansicht
zurückwies. Erzbergers Rede stützte sich auf einen Geheimbericht
des Grafen Czernin an Kaiser Karl, der die Lage der Mittelmächte als
nahezu verzweifelt schilderte und mit der Forderung endete, daß sofort nach
Abschlagen der feindlichen Angriffe und vor dem Eingreifen Amerikas, selbst
unter großen Opfern, Frieden geschlossen werden müsse. Der
Geheimbericht war - wahrscheinlich mit der Absicht, den Reichstag zu
beeinflussen - dem als Vertrauensmann Bethmann Hollwegs geltenden
Abgeordneten Erzberger in die Hände gespielt und von diesem nicht
geheim gehalten worden. Er wurde auch der Entente bekannt und
bewirkte, [30] daß die nach dem
Scheitern der Nivelle-Offensive und der Zerrüttung der französischen
Armee aufkeimende Geneigtheit zum Frieden schnell wieder erlosch.
Als nach Erzbergers Rede der Kriegsminister ein Eingreifen der Obersten
Heeresleitung und unmittelbaren Vortrag beim Kaiser anregte, lehnte dieser jeden
Eingriff derselben in die innerpolitischen Fragen
ab. - Der Reichskanzler unterstützte in diesen Tagen die Forderung
eines sofortigen Friedensangebots und sagte, um die erregten Linksparteien zu
besänftigen, die Einführung des Reichstagswahlrechts für den
preußischen Landtag bestimmt zu. Die geringe Wirkung dieser
Erklärung veranlaßte ihn dann aber, am 10. Juli seinen Abschied zu
erbitten; das Gesuch wurde jedoch vom Kaiser abgelehnt. Als am 11. Juli Kaiser
Wilhelm durch diese Entscheidung dem Reichskanzler sein weiteres Vertrauen
zeigte, reichten Feldmarschall
v. Hindenburg und General Ludendorff am
12. Juli ihre Abschiedsgesuche ein. Der Kaiser forderte persönliche
Rücksprache. Während ihrer Reise nach Berlin aber griff Kronprinz
Wilhelm in den Kampf ein und stellte durch Befragen der Führer der
Reichstagsparteien fest, daß die Mehrzahl den Rücktritt Bethmann
Hollwegs fordere. Als am 13. Juli die beiden Führer in Berlin eintrafen, war
er verabschiedet. Hatte Graf Czernin in österreichischer Friedenssehnsucht
durch Erzberger schon bisher auf den Deutschen Reichstag gewirkt, so
beeinflußte er ihn auch zu der am 19. Juli gefaßten
Friedensresolution, die einen Frieden ohne gewaltsame Gebietserwerbungen und
ohne politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen
verkündete. - Während ihrer Anwesenheit in Berlin suchten
Hindenburg und Ludendorff durch Einwirkung auf die Parteiführer die
Annahme der noch nicht öffentlich behandelten Friedensresolution zu
verhindern. Ihre Bemühungen aber durchkreuzte die sozialdemokratische
Partei durch die Veröffentlichung im Vorwärts. Die
Annahme der Resolution durch die große Mehrheit im Reichstage
mußte die Zuversicht der Obersten Heeresleitung aufs schwerste
erschüttern.
Ihre einzige Hoffnung trug sie dem neuen Reichskanzler Michaelis entgegen, von
dem sie eine kraftvollere Unterstützung erwarten mußte, sollte ihre
eigene Arbeit nicht scheitern. Der Versuch, ihn gegen die drohende
Friedensresolution zu stimmen, war erfolglos. Die Mehrzahl der
Parteiführer des Reichstags war der Ansicht, daß die tiefgesunkene
innere Stimmung im Volke nur durch die Aussicht auf baldigen Frieden gehoben
und, falls tatsächlich der Friede nicht erreicht werden sollte, nur durch das
Bewußtsein, das äußerste durch die Resolution getan zu haben,
zum weiteren Durchhalten ermutigt werden könne. Einen solchen Tiefstand
der Volksstimmung hatte die Oberste Heeresleitung nicht vermuten
können; bis zu welchen Trugschlüssen die Pazifisten gingen, ergab
sich aus ihrer Ansicht, daß auf Grund der Resolution die mit ihr
völlig einverstandenen russischen Sozialisten die Sozialisten der
Ententeländer zwingen würden, energisch für den
Friedensschluß einzutreten. Trotz ihrer gegenteiligen Ansicht
ermächtigten Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff
den Reichskanzler, ihre Zustimmung zur Resolution, da sie sie ja nicht verhindern
konnten, [31] auszusprechen, um einen
Konflikt zwischen ihm und der Reichstagsmehrheit, der nicht im Interesse der
Kriegführung gelegen hätte, zu vermeiden. Nur so wurden damals
wenigstens innere Unruhen verhindert.
Die Folgen der Friedensresolution waren, wie es die Oberste Heeresleitung
vorausgesehen hatte, tief bedauerlich. Das eigene Volk verstand sie, trotz seiner
Friedenssehnsucht, bei der bestehenden militärischen Lage nicht und wurde
in seinem Vertrauen auf Heer und Flotte irre. Bulgarien und Türkei sahen in
ihr ein Eingeständnis der Schwäche; ganz besonders aber die Gegner,
die aus ihr den klaren deutschen Verzicht auf den Sieg erkennen mußten.
Die Entente lehnte sie deshalb glatt ab und erklärte dabei erneut die
Rückgabe
von Elsaß-Lothringen als erste Vorbedingung für
etwaige Friedensverhandlungen - eine Bedingung, die trotz aller
Kriegsmüdigkeit fast vom ganzen deutschen Volke verworfen wurde. Trotz
ihres abermals scharf dokumentierten Kriegswillens glaubten der Reichstag und
das Volk am Verständigungsfrieden festhalten zu sollen. Um diese
Auffassung energischer als bisher zu bekämpfen, regte die Oberste
Heeresleitung erneut die Errichtung einer Propagandastelle unmittelbar unter dem
Reichskanzler an, um so die Führung der Presse und die Aufklärung
im Volk zu regeln. Michaelis stellte baldige Aussprache in Aussicht.
Diese Beeinflussung wurde von Tag zu Tag dringlicher, weil sich der Niedergang
der Stimmung im Heere in merkbarem Umfange ausdehnte. Die energische Arbeit
der unabhängigen Sozialdemokratie wurde vielfach festgestellt und
offenbarte sich jetzt zum erstenmal durch eine Meuterei in der Hochseeflotte in
schlimmster Form. Um so mehr glaubte die Oberste Heeresleitung, mit
Gegenmaßregeln innerhalb ihres Befehlsbereichs nicht länger warten
zu können. Für die Aufklärung im Heere richtete sie den
Vaterländischen Unterricht6 ein. Als sich die Einrichtung zu
bewähren schien, dehnte sie ihn auch auf die Heimat insofern aus, als sie
mit Unterstützung des Kriegsministeriums die gleiche
Aufklärungsarbeit auch den stellvertretenden Generalkommandos
übertrug. Sie mußte hier aber Stückwerk bleiben; obschon der
Reichskanzler und der Staatssekretär der Auswärtigen
Angelegenheiten, v. Kühlmann, die Notwendigkeit der
Beeinflussung der öffentlichen Meinung anerkannten, konnten sie sich
nicht zur Mitarbeit entschließen.
Da fand die Oberste Heeresleitung an Stelle der versagenden Regierung Hilfe im
Volk selbst. In der Vaterlandspartei sammelten sich Männer, die in ihrem
Sinne eine aufklärende Agitation ins Volk trugen; aber für diese Art
der Arbeit hatte die Regierung kein Verständnis; alle Versuche, das
Auswärtige Amt für diese Aufklärung, aus der ihm doch selbst
der stärkste Rückhalt erwachsen mußte, zu gewinnen,
scheiterten. Es glaubte, daß durch eine solche Aktivität der Gedanke
des Verständigungsfriedens gestört
werde. - Auch durch eine schnelle und starke Fürsorge für die
Opfer des Krieges, vor allem die Kriegsbeschädigten, hoffte die Oberste
Heeresleitung den Willen zum Durchhalten zu steigern; doch [32] fand sie bei der
Regierung nicht das Verständnis oder doch nicht die Unterstützung,
die zur schnellen Wirkung nötig gewesen wäre.
Zu den innerpolitischen Sorgen der Obersten Heeresleitung gesellten sich eine
Reihe außenpolitischer Fragen. In den Gebieten, die der Zivilverwaltung
unterstanden, vor allem in Polen, griff die Regierung nicht mit der Energie durch,
die zur Erfüllung militärischer Bedürfnisse notwendig war.
Über die bisher verfolgten Pläne des Oberbefehlshabers Ost und der
Obersten Heeresleitung über Litauen und Kurland kam es zu scharfen
Gegensätzen. Auch die Regelung der
elsaß-lothringischen Frage, die sich im Heere durch das Verhalten der aus
dem Reichslande stammenden Soldaten auswirkte, machte keine Fortschritte. Die
Erwartungen auf den neuen Reichskanzler hinsichtlich einer energischeren
Förderung der militärischen Notwendigkeiten wurden nicht
erfüllt; seine ganze Arbeitskraft wurde durch die zunehmenden
verhängnisvollen parteipolitischen Gegensätze vollständig
verzehrt.
Schon während des Kampfes um Bethmann Hollwegs Rücktritt und
die Friedensresolution setzten an der Westfront neue schwere Kämpfe ein.
Der englische Sturm gegen den Wytschaete-Bogen war Künder des
Angriffs in Belgisch-Flandern. Daß der Kampf um die Basis des
U-Bootkrieges erbittert sein werde, mußte erwartet werden, ebenso
daß die Entente dort alle verfügbaren Kräfte zum Einsatz
bringen würde. Dagegen war die Oberste Heeresleitung nicht in der Lage,
gleichfalls alle Kräfte dort einzusetzen. Der Sieg in der Bukowina hatte den
Osten noch nicht völlig gesichert. Wollte man alles zur Entscheidung im
Westen zusammenfassen, so blieb nur der Entschluß, durch kraftvolle
Schläge das russische Volk endgültig kampfmüde zu machen.
Bis zur Wiederherstellung der Bahnen in der Bukowina sollte deshalb ein neuer
Schlag am anderen Flügel, bei Riga, erfolgen. Dazu wurden
die - durch wenige Divisionen aus dem Westen vorübergehend
verstärkten - Verbände aus der Bukowina bestimmt. Der
Oberbefehlshaber Ost wurde angewiesen, die Vorbereitungen sofort zu
beginnen.
Alle Absichten der Obersten Heeresleitung aber schienen plötzlich
erschüttert, als der Angriff der Engländer in Flandern am 31. Juli zu
einem empfindlichen Einbruch führte. Wieder zerschlugen die
übermächtige Vorbereitung und Tanks die vordersten deutschen
Linien. Die Tiefe des Einbruchs betrug zwar nur 3 bis 4 km; aber
unerwartet groß war die Einbuße an Gefangenen und
Kriegsgerät. Der Stoß wurde aufgefangen, beanspruchte aber die
Reserven der Heeresgruppe und der Obersten Heeresleitung aufs stärkste.
Zunächst setzten die Engländer den Stoß nicht fort, gingen
aber am 10., 16. und 22. August zu neuen Gewaltstößen über,
in denen sie erheblichen Bodengewinn erzielten. Wieder waren die deutschen
Verluste schwer. Die Lage wurde weiterhin dadurch gefährlich, daß
auch die französischen Korps im August wieder angriffen: bei Arras, Lens,
Verdun, St. Quentin und am Chemin des Dames.
[33] Die Moral der in
Flandern eingesetzten Divisionen unterlag einer außerordentlich schweren
Prüfung; bei vielen war die alte, zähe Energie nicht mehr vorhanden.
Diese Erkenntnis war eine äußerste Nervenbelastung für die
Oberste Heeresleitung, um so mehr, als sich zeigte, daß der Gegner sein
Kampfverfahren der Eigenart des deutschen Abwehrverfahrens geschickt
angepaßt hatte. Die Sorge steigerte sich, als sich das
Riga-Unternehmen und damit auch die Zurückführung der dorthin
geschickten Divisionen verzögerte, und durch die jetzt erkennbar werdende
außerordentliche Gefährdung der
Isonzo-Front. Noch einmal hatten die Österreicher in der letzten
Isonzo-Schlacht den italienischen Angriff abgewiesen. Das k. u. k.
Armee-Oberkommando verlangte aber deutsche Hilfe, da sie nicht noch einmal
den Kampf mit Erfolg aufnehmen könnten. Die österreichische
Niederlage hätte den endgültigen Zusammenbruch nach sich
gezogen, so mußte die Oberste Heeresleitung Unterstützung geben.
Sie war sich aber klar, daß es sich dann nicht um einfache Abwehr handeln
dürfe, sondern eine für lange Zeit wirkende Entscheidung angestrebt
werden müsse.
Schließlich traten auch noch Besorgnisse um die bulgarische Front hinzu.
Um die August-September-Wende waren zwar heftige Angriffe der
Saloniki-Armee abgewiesen. Aber auch die bulgarische Heeresleitung forderte
deutsche Hilfe.
Eine erste Erleichterung brachte der große Erfolg des Übergangs
über die Düna und die Besetzung von Riga. Den Angriff auf
St. Petersburg fortzusetzen, hatte nicht in der Absicht der Obersten
Heeresleitung gelegen; die Beschränktheit der Mittel hätte es
untersagt. Immerhin war hier ein Ausgangspunkt erreicht, der eine stete
Bedrohung der russischen Hauptstadt
bedeutete. - Nun wurden unter Verzicht auf eine Offensive am Sereth die
Vorbereitungen zum Eingreifen an der
Isonzo-Front energisch begonnen. Die Oberste Heeresleitung gab selbst hierzu die
erforderlichen Weisungen für Erkundungen, ob ein Angriff aus Tirol oder
aus der Isonzo-Front zweckmäßiger und ob er überhaupt
durchführbar sei, für die Feststellung der einzusetzenden
Kräfte und die Regelung des Zusammenwirkens mit den Bundesgenossen.
Bei den Überlegungen zwang die Begrenztheit der Mittel, den Angriff auf
eine Front, die Isonzo-Front, zu beschränken; wie weit sich der Durchbruch
operativ ausgestalten werde, ließ sich nicht voraussehen.
Auch gegen Rußland wollte die Oberste Heeresleitung weitere
Schläge richten; eine gemeinsam mit der Marine durchzuführende
Eroberung der im Rigaischen Meerbusen liegenden Inseln sollte die
Abschließung und Zersetzung Rußlands beschleunigen.
Noch einmal schienen ihre Absichten gefährdet, als englische Angriffe am
23. und 26. September in Flandern erneut schwere Einbußen und
Bodenverluste brachten. Neue reglementarische Vorschriften der Obersten
Heeresleitung über eine eventuell zu räumende Vorfeldzone hatten
zwar die Kampfverhältnisse
ver- [34] bessert, aber ebenso wie
die Angriffe am 4., 9., 12., 22., 26., 31. Oktober, 6. und 16. November schwerste
Verluste und einen ungeheuren Verbrauch an Kampfgerät nicht verhindern
können. Sogar von der schwach besetzten Ostfront mußten
Verstärkungen herangeholt
werden. - Ein französischer Angriff an der
Laffaux-Ecke südwestlich La Fère führte als
mittelbare Folge zur Räumung der Stellung am Chemin des Dames.
Eine Entspannung brachte erst wieder die Einnahme der Inseln Oesel, Dagö
und Moon; die stärkere Entlastung trat ein durch den unerwartet
großen Erfolg des Angriffs an der
Isonzo-Front, der zu einer schweren Katastrophe für das italienische Heer
wurde und zu seiner Vernichtung geführt hätte, wenn Teile des
k. u. k. Heeres zu energischerer Mitwirkung den Entschluß
gefunden hätten. Aber auch so war der Erfolg ungeheuer. Die italienischen
Armeen mußten hinter dem Piave von eiligst herangeführten
englischen und französischen Divisionen aufgenommen werden. Die
Kampffront Italiens war auf lange Zeit ausgeschaltet, die sehr viel kürzer
gewordene österreichische Front gesichert.
Ungünstig blieben die Nachrichten von den türkischen Fronten. In
Mesopotamien hatten die englischen Truppen erheblich über Bagdad hinaus
vorrücken können. Nach Abschluß der englischen
Vorbereitungen an der Palästina-Front scheiterten allerdings die ersten
Angriffe (Ende August, 2. und 18. Oktober). Aber ein konzentrischer Angriff von
Land und See brachte die Türken zum Weichen. Auch aus einer letzten
Stellung vorwärts Jerusalem wichen sie, ohne eine Entscheidung
anzunehmen, am 17. November zurück; Jerusalem wurde am 9. Dezember
ohne Kampf von den Engländern besetzt. Die große Gefahr eines
weiteren englischen Vormarsches zwang die Oberste Heeresleitung, im
Einverständnis mit der türkischen, die ursprünglich gegen
Bagdad bestimmten Verbände des
Asien-Korps nach Palästina zu leiten. Erst das Eintreffen dieser deutschen
Truppen gab der zermürbten türkischen Armee den Rückhalt,
um südlich Nablus sich zu erneutem Widerstand festzusetzen.
Nach den schweren Kämpfen im August herrschte an der bulgarischen
Front Ruhe. Eine Verschlechterung der Lage war aber auch dort eingetreten. Die
Entente hatte durch einen unerhörten Druck und brutale
Gewaltmaßregeln Griechenland zum Anschluß und zur
Mobilmachung gezwungen. Die letztere ging langsam vor sich; in absehbarer Zeit
mußte aber das dortige Heeresgruppenkommando (jetzt General der
Artillerie v. Scholtz), dem die Bulgaren allein die Sorge
überließen, doch mit griechischen Verstärkungen bei seinen
Gegnern rechnen.
Aus dem langsamen Abflauen der Angriffe in Flandern durfte die Oberste
Heeresleitung den Schluß ziehen, daß auch im Westen die
stärkste Gefahr vorüber sei. Um so stärker wirkte es, als am
20. November die Engländer einen neuen großen Schlag gegen eine
zugunsten der Flandern-Front stark geschwächte Frontstelle bei Cambrai
führten. Mit einem völlig neuen Kampfverfahren, unter Verzicht auf
jede artilleristische Vorbereitung und infolgedessen völlig
über- [35] raschend stießen
sie unter dem Schutz zahlreicher Kampfwagen durch die deutschen Stellungen
durch und hätten durch energische Ausnutzung des sehr großen
Erfolges die Deutschen in eine bedenkliche Lage bringen können. Aber es
gelang, noch vorwärts Cambrai die Durchbruchsstelle abzuriegeln. In
schnellem Entschluß führten die Heeresgruppe und die Oberste
Heeresleitung der 2. Armee Kräfte zum Gegenangriff zu, der, am 30.
November energisch geführt und in Einzelkämpfen bis zum 5.
Dezember ausgebaut, den größten Teil des verlorengegangenen
Geländes wieder in deutsche Hand brachte.
Die Kämpfe an der Westfront waren damit zu Ende; eine verlustreiche, die
Moral zermürbende, mühsam geglückte Abwehr hatte mit
einem starken Offensiverfolg abgeschlossen, der in Verbindung mit Zloczow,
Italien, Riga usw. die Stärke der deutschen Truppen im Angriff als
ungeschwächt erkennen ließ. Vielfache Erscheinungen in den
Abwehrkämpfen hatten aber gezeigt, daß die deutsche passive
Widerstandskraft zu Ende ging.
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