Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 1: Die Grundlagen
für die
Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum
Kriegsende (Forts.)
Generalleutnant Max Schwarte
6. Die Vorbereitungen für das Jahr
1918.
Trotz der großen Erfolge war Deutschland dem Endziel, der
Friedensgeneigtheit der Entente, infolge der nicht ausreichenden Erfolge der
U-Boote nicht näher gekommen. Nur in Rußland war der Frieden
zum Zwang geworden: die Niederlagen hatten an Stelle Kerenskis die radikalere
Richtung der Bolschewiken mit ihren Arbeiterräten, Soldatenräten,
ihrer Proletariatsherrschaft zur Macht gelangen lassen. Der ganze staatliche
Aufbau Rußlands war zerschlagen; eine militärische Gefahr konnte
von dort nicht mehr kommen, wohl aber die vielleicht noch größere
Gefahr des Übergreifens bolschewistischer Ideen auf die
Mittelmächte. Die Oberste Heeresleitung hatte zugestimmt, als im Vorjahre
die Reichsregierung Lenin und seinen Genossen die Durchfahrt durch
Deutschland nach Rußland gestattete. Bei der ungeheuren feindlichen
Überlegenheit mußte sie jede Möglichkeit ergreifen, Teile der
Gegner kampfunfähig zu machen; das hatte sie von dem zersetzenden
Wirkens Lenin erwartet und erreicht. Jetzt drohte der
Zerstörungsprozeß über die Grenzen Rußlands zu
dringen, und die Staatslenker der Mittelmächte hatten nicht die Kraft, das
eigene Volk dagegen zu schützen.
Die leitenden Männer Rußlands mußten den Frieden suchen,
um eine neue Ordnung zu schaffen. Aber auch die Oberste Heeresleitung
mußte auf einen Friedensschluß drängen. Bis dahin blieben
deutsche Kräfte im Osten gefesselt. Wenn auch gering an Zahl und
vielleicht an Kampffähigkeit, würden sie bei der Entscheidung
fehlen. Zur Beschleunigung der kommenden Verhandlungen hatte sie die
Bedingungen für einen Waffenstillstand aufstellen lassen, die zwar auf dem
augenblicklichen Besitzstand aufgebaut waren, aber unbillige Forderungen
(Waffenabgabe usw.) vermieden; sie fand die Zustimmung der
Reichsregie- [36] rung und der
verbündeten Heeresleitungen. Zugleich kam sie mit der Reichsregierung
überein, daß bei den Waffenstillstandsverhandlungen die
Führung der Obersten Heeresleitung, bei den Friedensverhandlungen der
Reichsregierung zufallen, daß die Belange der anderen Stelle je durch einen
Vertreter sichergestellt sein sollten.
Schon in den letzten Wochen des Jahres 1917 beschäftigte sich die Oberste
Heeresleitung mit der Erwägung über die Weiterführung des
Krieges im nächsten Jahre. Die Hauptkampftätigkeit konnte sich nur
im Westen abspielen; daß dazu alle Kräfte verfügbar zu
machen und bereitzustellen seien, war selbstverständlich. Das bedeutete
frühzeitige Überführung der im Osten entbehrlich werdenden
Divisionen. Der Oberbefehlshaber Ost erhielt Weisung, seine Frontbesatzung auf
das äußerste zu strecken. - Die Vereinbarungen mit dem Chef
des k. u. k. Generalstabes bezweckten das gleiche; General
v. Arz erklärte sich bereit, den größten Teil der auf der
österreichischen Front eingeschobenen deutschen Divisionen
abzulösen und dazu, wenn nötig, auch aus der
Piave-Front Divisionen herauszuziehen. Diese frühe Ablösung
war - abgesehen von Transportrücksichten - deshalb
nötig, weil die Truppen des Ostens für die schwierigeren
Kampfverhältnisse im Westen erst ausgebildet werden mußten. So
ließ die Oberste Heeresleitung, trotz der noch andauernden Unsicherheit,
seit November eine Division nach der anderen vom Osten nach Frankreich und
Belgien abrollen.
Am 26. November endlich funkte der neue Führer des russischen Heeres
die Bereitwilligkeit, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten. Sie begannen,
vom Chef des Stabes des Oberbefehlshabers Ost, General Hoffmann, als Vertreter
der Obersten Heeresleitung geführt, am 2. Dezember in
Brest-Litowsk. Einer zehntägigen Waffenruhe vom 7. Dezember folgte am
15. Dezember ein Waffenstillstand behufs Friedensverhandlungen bis zum 14.
Januar 1918. Inzwischen hatten große Teile der russischen Truppen auf
eigene Faust Waffenstillstand geschlossen; jetzt wurde der Waffenstillstand
allgemein auf die ganze Front ausgedehnt und durch Zusatzverträge
für die rumänische und die kleinasiatische Front ergänzt; die
Friedensverhandlungen sollten Weihnachten beginnen.
Das Ausscheiden Rußlands schwächte den Kriegswillen der anderen
Ententemächte keineswegs. Der neue französische
Ministerpräsident Clemenceau unterdrückte rücksichtslos jede
Äußerung von Frieden. Woodrow Wilson hetzte das Volk in wilde
Kriegsstimmung hinein. Lloyd George, seit einem Vierteljahr
Ministerpräsident, übertrug seinen zähen Kriegswillen auf alle.
Als Italien infolge seiner furchtbaren Niederlage kriegsmüde zu werden
schien, wurde es schnell in die übernommene Pflicht
zurückgezwungen.
Demgegenüber nahm im eigenen Volke das stumpfe Verharren auf dem
"Verständigungsfrieden" zu. Daran änderten die letzten
glänzenden Siege [37] ebensowenig, wie die
hohnvolle Ablehnung einer Friedensnote des Papstes durch die Entente. Mit der
zustimmenden Antwort des Reichskanzlers hatte die Oberste Heeresleitung, trotz
ihres Zweifels am Erfolg, sich einverstanden erklärt, weil ihr jede Aussicht,
zum Frieden zu gelangen, willkommen war.
In gleicher Weise entschied sie, als das Auswärtige Amt an
Möglichkeiten glaubte, über England Friedensverhandlungen
anknüpfen zu können. Dabei erklärte sie ausdrücklich,
lediglich einen wirtschaftlichen Anschluß Belgiens an Deutschland fordern
zu müssen. Von dem damit ausgesprochenen Verzicht auf eine politische
oder militärische Bindung an Deutschland sprach das Auswärtige
Amt aber nicht, als es im Reichstage unter dem Beifall aller Abgeordneten die
Unversehrtheit des Reichs einschließlich
Elsaß-Lothringens zur Grundlage aller Friedensbedingungen
erklärte.
Schwerer noch waren ihre Sorgen um die Zersetzung des Volkes durch die
parteipolitischen inneren Kämpfe. In ihnen erschöpfte sich die Arbeit
des Reichskanzlers Michaelis ganz; daß das Volk gegen unerbittliche
Gegner Krieg führe, schien die Regierung zu vergessen. Besonders
gefährlich erschien der Obersten Heeresleitung, daß
ausländische Einflüsse im Reichstag immer mehr und mehr Wirkung
fanden. Die Mitarbeit Czernins zur Friedensresolution des 19. Juli war der erste
Schritt. Die zweifellos vom besten Willen eingegebene Friedensnote des Papstes
beeinflußte in stärkstem Maße das Zentrum. Nunmehr suchte
auch Woodrow Wilson sich in die inneren Verhältnisse des deutschen
Volkes einzumischen durch die in seiner Botschaft an den amerikanischen Senat
aufgestellten "vierzehn
Punkte" der Friedensbedingungen.
Für die Stimmung im Reichstage und im Volke war die mit kräftiger
Unterstützung von Reichstagsabgeordneten ausgebrochene Meuterei in der
Marine ein furchtbares Anzeichen gewesen. Die Marineleitung griff ein; aber nicht
in der notwendigen rücksichtslosen Strenge. Trotz der offenbaren
Mitschuld mehrerer Reichstagsmitglieder wagte die Regierung nicht, diese zur
Verantwortung zu ziehen: die Immunität als Volksvertreter verhinderte die
Sühne für den begangenen
Hoch- und Landesverrat. Auch der Reichstag brachte kein Verständnis auf
für die furchtbare Gefahr, daß nunmehr jedes revolutionäre
Wort im Reichstag ohne Bestrafung bleiben müsse. Die Kenntnis der
milden Strafe für die Meuterei verbreitete sich schnell im Heere; und das
schwächliche Vorgehen gegen die streikenden, die Versorgung des Heeres
gefährdenden Arbeiter in den
Waffen- und Munitionsfabriken untergrub naturgemäß das
Pflicht- und Verantwortungsgefühl auch im Heere.
Als Gegenwirkung forderten Oberste Heeresleitung und Kriegsministerium
gemeinsam, daß die Reichsregierung eine Stelle schaffe zur Abwehr der auf
den Umsturz der bestehenden Staatsordnung hinzielenden revolutionären
Bestrebungen. Als die Regierung ablehnte, erklärte sich die Oberste
Heeresleitung bereit, eine solche Stelle beim Stellvertretenden Generalstab
einzurichten. Dem stimmte [38] die Regierung zu; und
sie beließ es auch dabei, als sie darauf hingewiesen wurde, daß diese
Abteilung eine ständig steigende politische Bedeutung gewann.
Auch die Sorge um den Unterhalt des Heeres, der von der Versorgung des Volkes
nicht getrennt werden konnte, lastete schwer auf der Obersten Heeresleitung. Die
ständige Abnahme der für Volk, Marine und Heer
gleichmäßig unentbehrlichen Rohstoffe usw. zwang zur einheitlichen
Verteilung. Die dabei unvermeidbare Einschränkung der
Lebensgewohnheiten war von tiefster Wirkung auf die Volksstimmung, um so
mehr, da trotz der immer noch großen Erfolge der
U-Boote sich diese zur Niederzwingung Englands bisher als unzureichend gezeigt
hatten.
Zur Beseitigung der innerpolitischen Gegensätze reichte die Kraft des
Reichskanzlers Michaelis nicht aus. Die Oberste Heeresleitung fand von ihm
keine Unterstützung in ihrer schweren Aufgabe; sie hatte an seinem Bleiben
kein Interesse, wenn ein stärkerer Mann an seine Stelle trat. Aber das vom
Kaiser jetzt eingeschlagene Verfahren sah sie als bedenklich an: daß er bei
der Ernennung des neuen Reichskanzlers sich vorher der Zustimmung des
Reichstags versicherte. Die parteipolitische Zugehörigkeit des Kanzlers
ließ sich nicht ausschalten; vor allem aber würde für den
Reichstag nur eine Persönlichkeit in Frage kommen, die sich ganz auf den
Boden des "Verständigungsfriedens" stellte. Die Oberste Heeresleitung
hatte auf die Wahl keinen Einfluß. Daß der neue Reichskanzler ihre
Hoffnung auf eine energischere Führung des Staates nach innen und
außen restlos erfüllen würde, durfte sie kaum hoffen.
Als Graf Hertling Reichskanzler geworden war, beantragte sie vor allem
schärfere Maßnahmen zur Hebung des Heeresersatzes. Die
Frontstärken waren zu gering geworden. Das war eine Folge der
Mängel des Hilfsdienstgesetzes; sie erforderten eine Änderung,
durch die die Erfassung aller Kräfte für den Heeresdienst gesichert
wurde. Die zu Facharbeiten zeitweise Entlassenen kehrten nach Erledigung der
Arbeit nicht zur Front zurück, wo sie dringend benötigt wurden. Mit
den immer größer werdenden Unterschieden der Löhne
steigerte sich die Unzufriedenheit in bedenklichem Maße. Die Oberste
Heeresleitung fand hierin auch nicht das Verständnis und die
Unterstützung des Kriegsministeriums und des Kriegsamts.
Schließlich versuchte sie, auf Anregung des Kriegsamts, eine unmittelbare
Einwirkung auf die Führer der Gewerkschaften und
Angestelltenverbände. In einer persönlichen Aussprache über
die untrennbaren Zusammenhänge zwischen Heimat und Heer verurteilten
auch die Gewerkschaftsführer jeden Streik; die bei dieser Gelegenheit von
den Führern im Interesse der Arbeiter ausgesprochenen Wünsche
leitete sie den verschiedenen Regierungsstellen zu. Aber die Regierung blieb allen
Bemühungen gegenüber teilnahmslos oder abwehrend. Zu der den
Arbeitszwang, die Kontrolle und die Wiedereinziehung zum Frontdienst
sabotierenden Freizügigkeit der Reklamierten trat jetzt sogar ein Abbau der
Strafvorschriften, der zu einer Begünstigung der Streiks und [39] einem Verzicht auf den
Schutz der Arbeitswilligen führte und, was besonders verderblich wirken
sollte, das Vereins- und Koalitionsrecht der Jugend.
Die Verschlechterung des Ersatzes war auch für das Kriegsministerium zu
einer großen Sorge geworden. Es kam mit der Obersten Heeresleitung
überein, um dem fühlbaren Nachlassen der Mannszucht und der
Ausbildung bei den heimatlichen Ersatztruppenteilen zu begegnen, die Rekruten
aus ihnen frühzeitig herauszunehmen und ihre weitere Ausbildung in den
Feldrekrutendepots fortzuführen, um sie den verderblichen
Einflüssen der Heimat zu entziehen. Aber das genügte nicht; der jetzt
zur Einstellung kommende Jahrgang 1899 reichte nicht zur notdürftigen
Ausfüllung der Frontstärken aus. Die Oberste Heeresleitung wies in
einer Denkschrift auf den beängstigenden Mangel an Ausgebildeten bei
allen Waffen und die Folgen für den Kriegsausgang hin. Eine
Änderung dieses unheilvollen Zustandes sei nur durch die Änderung
des Hilfsdienstgesetzes, Steigerung der Arbeitsleistungen und Rückkehr
aller Kriegsverwendungsfähigen aus der Industrie zur Front möglich.
Diese Rückführung müsse spätestens im Frühjahr
1918 durchgeführt und zugleich eine Verlängerung der Wehrpflicht
gesetzlich beschlossen sein. Diese Forderungen fanden bei dem Grafen Hertling,
der sich selbst als "Versöhnungskanzler" bezeichnete, wenig
Verständnis. Er und die schwächliche Mehrheit des Reichstages
waren nicht imstande, die aus der Natur des Krieges entspringenden
Notwendigkeiten zu erfassen.
Ein weiterer Gegensatz zwischen der Obersten Heeresleitung und der Regierung
entstand aus der polnischen Frage. Graf Czernin hatte schließlich auch den
Kaiser, den Reichskanzler und den Staatssekretär des Auswärtigen
für die austropolnische Lösung gewonnen. Die Oberste Heeresleitung
lehnte sie aus militärischen Sicherheitsgründen ab, mußte sich
aber der Entscheidung des Kaisers fügen und sich darauf
beschränken, die von ihr vertretenen militärischen Sicherheiten in
anderer Form zu fordern. Ihre Vorschläge eines Schutzstreifens an der
preußischen Grenze und des engen politischen Anschlusses von Kurland
und Litauen wurden schon während der Erwägungen zum Teil
dadurch untergraben, daß parteipolitische und persönliche
Einflüsse eine stärkere Bewertung fanden und schon jetzt die
Ordnung in den bis dahin von Oberost verwalteten Gebieten gefährdeten.
Über die Regelung in Elsaß-Lothringen traf die Oberste
Heeresleitung bei dem Grafen Hertling auf eine andere Meinung als bei seinen
Vorgängern. Sie mußte es schon als einen Vorteil ansehen, daß
dieses Problem zunächst zurückgestellt wurde.
Die Überlegungen, wie im folgenden Jahre der Krieg weiterzuführen
sei, gründeten sich auf den Abschluß des Jahres 1917. Der
U-Bootkrieg hatte England nicht friedenswillig gemacht; der Kampfwille der
Entente war ungeschwächt. Von den Verbündeten war keine
Unterstützung zu erwarten. Die Türkei war erschöpft;
Bulgarien beschränkte sich auf den Balkan;
Österreich-Ungarn machte wenigstens die auf seinen Fronten eingesetzten
deutschen Divisionen frei; die [40] nach der
Isonzo-Schlacht versprochene weitere Hilfe beschränkte sich
zunächst auf eine Anzahl schwerer Batterien. Aber der Abschluß des
Kampfes im Osten schien endlich die Möglichkeit zu bieten, für die
Hauptentscheidung ausreichende Kräfte zu vereinigten. Die Zahl der
für den Westen frei werdenden Divisionen hing ab von dem Verlauf der am
22. Dezember begonnenen Friedensverhandlungen mit Rußland. Die
Oberste Heeresleitung hatte also an ihrem schnellen Abschluß
stärksten Anteil und suchte sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die
Vereinigten Staaten hatten begonnen, allmählich ihre Divisionen nach
Frankreich zu schaffen; in gleichen Maße, wie von Monat zu Monat die
Überlegenheit der Entente größer werden würde,
verschlechterten sich die Aussichten für das deutsche Heer.
Die Frage, wieviele Divisionen und wann sie im Osten frei gemacht werden
konnten, wurde durch Brest-Litowsk entschieden; ihre schnellste Erledigung war
fast eine größere Sorge, als das Maß der Ergebnisse, um
frühzeitig die außerordentlich schwierigen Transporte beginnen zu
können.
Die von Wilson verkündeten Friedensbedingungen hatten Abtretungen
deutschen Gebiets und Einmischungen in die inneren Verhältnisse
umschlossen; sie waren deshalb abgelehnt worden. Als jetzt am 25. Dezember
Graf Czernin im Namen des Vierbundes in
Brest-Litowsk als Grundlage der Friedensverhandlungen den allgemeinen
Verzicht auf erzwungene Gebietsabtretungen und Kriegsentschädigungen
ausgesprochen hatte, erfolgte ein neues Friedensangebot an die Entente dadurch,
daß sie zur Teilnahme an den Verhandlungen eingeladen wurde. Keine der
Mächte folgte der Einladung.
Die Verhandlungen nahmen nicht den notwendigen schnellen Verlauf. Die
russischen Vertreter trieben Propaganda und zogen die Verhandlungen absichtlich
hin. Graf Czernin verfolgte österreichische Staatsinteressen; auch
Deutschlands Vertreter, v. Kühlmann, hielt sich, darin
unterstützt vom Reichskanzler, nicht an die im Kreuznacher Abkommen
festgelegten Abmachungen hinsichtlich der für Deutschland notwendigen
Sicherheiten militärischer Art. In dem hieraus sich entspinnenden
Gegensatz entschied Kaiser Wilhelm sich für die Anschauung der
Regierung. Feldmarschall
v. Hindenburg sah sich gezwungen, die Frage der
Mitverantwortlichkeit für Entschlüsse, die auch große
militärische Belange umschlossen, in einer Denkschrift darzulegen.
Dagegen vertrat Graf Hertling die Ansicht, daß für
Friedensbedingungen er allein verantwortlich sei und auch an frühere
Abmachungen sich nicht gebunden fühle.
Für die von der Verhandlung beeinflußten ungeheuer wichtigen
militärischen Interessen schien er kein Verständnis zu haben; trotz
des Drängens der Obersten Heeresleitung nahmen die Verhandlungen einen
äußerst schleppenden Verlauf. Erst als durch das Eintreffen von
Vertretern der Ukraine sich die Möglichkeit bot, gegenüber den
unannehmbaren Forderungen Trotzkis wenigstens zu einem teilweisen
Abkommen zu gelangen, schritten die Verhandlungen schneller [41] fort. Aber Trotzki selbst,
der die Ukraine als Teil Rußlands angesehen wissen wollte, fuhr
plötzlich ab. Unter dem Eindruck von Trotzkis Abreise trug
v. Kühlmann endlich den militärischen Notwendigkeiten
Rechnung und sagte den Abbruch der Verhandlungen 24 Stunden nach dem
Friedensschluß mit der Ukraine zu. Als dieser am 9. Februar trotz
ungünstiger Bedingungen für
Österreich-Ungarn auch von Graf Czernin angenommen wurde, offenbarte
sich die Notlage Österreich-Ungarns, da es die Unterschrift geben
mußte, weil es für seine hungernde Bevölkerung außer
deutscher Aushilfe des zugesagten Getreides sofort bedurfte. Als
v. Kühlmann auch jetzt wieder mit dem Abbruch zögerte und
gleichzeitig Trotzki in einem Funkspruch die deutschen Truppen zum
Ungehorsam gegen den Obersten Kriegsherr aufforderte, erreichte die Oberste
Heeresleitung endlich die Weisung des Kaisers, von Trotzki ultimativ die
Annahme der Friedensbedingungen zu fordern. Trotzki lehnte ab, erklärte
aber gleichzeitig den Krieg für beendet.
Für den hierdurch geschaffenen unklaren Zustand konnte die Oberste
Heeresleitung nicht die Verantwortung übernehmen. Bei den längst
begonnenen Bestrebungen der Entente, durch Neubildung des russischen Heeres
wieder eine Kampffront zu schaffen, mußte sie volle Klärung fordern.
Erst nach langem Widerstreben des Reichskanzlers, des Vizekanzlers und
v. Kühlmanns erreichte sie die Kündigung des
Waffenstillstandes oder vielmehr die Feststellung, daß er durch Trotzkis
Erklärung aufgehört habe, und damit die Bewegungsfreiheit, um
Rußland zum Frieden zu zwingen. Sie mußte diese Aufgabe
lösen, um Entschlußfreiheit im Westen zu haben, und trotz schwerer
Bedenken dazu die Belassung von Truppen im Osten auf sich zu
nehmen. - Am 18. und 19. Februar begannen nach ihren Weisungen die
Bewegungen, die zur Besetzung Estlands, Livlands und der Ukraine
führten; Anfang März wurden Kiew und Odessa besetzt. Die
russischen Truppen leisteten nur schwachen Widerstand, aber mit
tschechoslowakischen Verbänden kam es zu ernsten Kämpfen.
Sofort nach Beginn des deutschen Vormarsches erklärte Trotzki durch
Fernspruch sich zum Friedensschluß bereit. Jetzt endlich hatte der Verlauf
der Friedenskomödie die Reichsregierung überzeugt, daß beim
Friedensschluß auch militärische Rücksichten mitbestimmend
sein müßten; die neuen Friedensbedingungen forderten die
Selbständigkeit Finnlands und der Ukraine und den Verzicht auf Kurland,
Litauen, Polen, sowie die Rückgabe von Batum und Kars an die
Türkei, völlige Demobilmachung und Einstellen jeglicher
Propaganda. - Vertreter der Sowjetregierung unterschrieben am 3.
März.
Einen ähnlich unbefriedigenden Verlauf nahmen die
Friedensverhandlungen mit Rumänien. Den Intrigen Czernins, der den
deutschen Vertretern weit überlegen war, gelang es, den Einfluß
Österreich-Ungarns zur Vorherrschaft zu bringen. Zwar wurde am 5.
März ein Vorfriede in Buftea unterzeichnet; der Friedensschluß selbst
aber erst am 7. Mai, der Rumänien Beßarabien
zu- [42] sprach, das Heer nur
zum Teil demobilisierte, das Verbleiben des Königs Ferdinand und sogar
der Ententevertreter in Jassy gestattete. Die schlimmen Folgen dieser Halbheit
sollten sich später zeigen; vorerst hatte vom 3. und 5. März an die
Oberste Heeresleitung die Verfügungsfreiheit über die deutschen
Truppen des Ostens gewonnen. Ihre Überführung nach dem Westen
wurde beschleunigt.
Auf diesen Unterlagen baute sich der Entschluß auf, ob die Oberste
Heeresleitung im Jahre 1918 die Entscheidung offensiv suchen oder defensiv
abwarten solle. Es war vorauszusehen, daß die Entente nicht zum Angriff
schreiten würde, bevor nicht das Eintreffen der Amerikaner und ihrer
ungeheuren Kampfmittel ihr eine entscheidende Überlegenheit gab. Ebenso
sicher war aber auch, daß die deutschen Truppen derartige
Zermürbungsschlachten wie 1917 nicht noch einmal würden
aushalten können. Die Entscheidung an einer anderen Stelle zu suchen, war
ausgeschlossen; Italien, Mazedonien oder Palästina brachten sie nicht. Es
gab nur eine Stelle für die Entscheidung: die Westfront. Auch die Truppe
selbst wußte und fühlte, daß sie gleich furchtbare
Abwehrkämpfe nicht noch einmal durchhalten
würde - sie forderte deshalb den Angriff und stützte den
Entschluß der Obersten Heeresleitung. Dazu aber mußte diese
Vorsorge treffen, die Truppe für die neue Aufgabe zu schulen. Nach dem
mehrjährigen Stellungskrieg und den ungeheuren Verlusten war die
Angriffsschlacht für die große Masse des Heeres neu. Als Grundlage
dafür gab sie die Vorschrift "Angriffsschlacht im Stellungskrieg" heraus,
die allen seit 1914 eingeführten neuen Kampfmitteln Rechnung trug.
Für die notwendige intensive Ausbildung richtete sie für die Truppe
zahlreiche Ausbildungskurse, für die Führer aller Grade und ihre
Gehilfen Lehrkurse ein.
Mit Beginn des Jahres sollten dann die für den Angriff bestimmten
Divisionen aus den Stellungen herausgezogen und durch erhöhte
Ausstattung mit Kampfgerät und Pferden in besonderer Weise
gestärkt werden.
Über die erreichte Zahl hinaus hätte die Frontstärke des Heeres
erheblich gesteigert werden können, wenn der Kriegswille im Volk und bei
den heimatlichen Behörden ein anderer gewesen wäre. Die dauernd
zunehmende Zahl der Deserteure machte der Obersten Heeresleitung große
Sorgen - noch mehr aber der Umstand, daß diese Leute in Etappe und
Heimat von den eigenen Kameraden und Landsleuten unterstützt und von
den Behörden geschont wurden. Jetzt wirkte sich das Versagen der
Regierung in der Frage der Aufklärung des Volkes aus. Sie zeigte sich
weiter in der geringen moralischen Qualität des Rekrutenjahrgangs 1899,
mit dem die verhetzende Arbeit der Unabhängigen Sozialdemokratie zum
erstenmal in größerem Umfange ins Heer getragen wurde.
Immerhin hatte die Oberste Heeresleitung eine Zahl von Divisionen für den
Westen zur Verfügung, wie dies bisher noch nie der Fall gewesen war. Was
nicht in gleichem Maße hatte gesteigert werden können, war die
Ausstattung mit Kampfmitteln. Ihre Sorge mußte es sein, bei den
kommenden Entscheidungs- [43] schlachten durch
geringere Einbuße als beim Feinde das Zahlenverhältnis so
günstig zu gestalten, daß der Ausfall der Gegner nicht durch die (wie
sie hoffte) von den U-Booten gehemmten Antransporte der Amerikaner
ausgeglichen werden konnte. Dahin sollte die neue Kampfvorschrift wirken.
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