Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 5: Die deutschen Abwehrkämpfe im
Westen 1915 (Forts.)
Generalleutnant William Balck
5. Die Frühjahrsschlacht von La
Bassée und Arras.23
General Joffre hatte schon frühzeitig dieses Angriffsfeld ins Auge
gefaßt für einen Durchbruch durch die deutschen Linien in Richtung
auf Valenciennes und Brüssel, um dann die deutschen Stellungen in
Richtung auf das Meer oder nach Süden aufzurollen, während
deutsche Kräfte in Rußland gefesselt waren. Von englischer Seite aus
wurde diese Absicht schon am 5. April der deutschen Führung bekannt und
bestimmte diese, der Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit von
Lille größere Beachtung zuzuwenden. Beobachtungen an der Front
bestätigten jedoch diese Angaben nicht; wohl wurde eine
größere Tätigkeit des seit Januar begonnenen Minenkrieges bei
Souchez festgestellt, auch bemerkte man seit dem [268] 26. April
Angriffsvorbereitungen gegen die Stellungen auf der
Loretto-Höhe. Die Nachricht von dem Eintreffen deutscher
Streitkräfte in Galizien und die Absicht des Lord French, den
Ypern-Bogen zu räumen, dann der geringe Erfolg des französischen
Gegenangriffs nördlich Ypern bestimmte die Verbündeten, schon
Anfang Mai im Artois loszuschlagen. Als Angriffstag war zunächst der 7.
Mai bestimmt. Die Gegend war für den gemeinsamen Angriff nicht
ungünstig gewählt. Engländer und Franzosen verfügten
über gute Bahnverbindungen; das Höhengelände zwischen
Arras und Béthune gewährte gute Beobachtung in das deutsche
Kampfgelände; die französischen Sturmstellungen waren bis auf
150 m an die deutschen Befestigungen auf der Hochfläche der
Loretto-Kapelle herangeschoben. Die Deutschen hielten im wesentlichen eine
Linie, in der der deutsche Angriff im Jahre 1914 liegengeblieben war; dann hatte
diese Linienführung in den Winterkämpfen24 eine geringfügige
Änderung erfahren.
"In dem fast ebenen Gebiet Flanderns
zwischen Armentières und von La Bassée befand sich zwar
kein ausgesprochener Geländevorteil in der Hand der Engländer,
immerhin gab es, insbesondere in der Gegend östlich Festubert und bei
La Bassée, manche vorspringenden Teile der deutschen Linien, an
denen eine Umfassung dem Feinde leicht möglich war. Begünstigt
wurde hier der Angriff durch die Unübersichtlichkeit des dicht mit
baumumpflanzten Gehöften besetzten Geländes. Das im Mai schon
hohe Gras verdeckte den geschickt herankriechenden Infanteristen dem
Verteidiger. Der Artillerie fehlten natürliche Beobachtungspunkte. Erst
hinter der deutschen Linie, von Radinghem über
Aubers - Fromelles, zieht eine leichte Welle nach Violaines.
Ein anderes Bild bietet die südlich davon liegende
Landschaft des Artois. Hier bildet den südlichen Abschluß der
Tiefebene ein etwa senkrecht zu der deutschen Front verlaufender, langgedehnter
und steil abfallender Höhenzug. Weithin erblickt man im Tiefland auf ihm
den scharf abgesetzten Ostrand des Bois de Bouvigny, weithin leuchtet die
Wallfahrtskirche von Notre-Dame de Lorette. Sie lag am äußersten
östlichen Rande der schmalen, gegen Westen noch ansteigenden
Hochfläche auf diesem Höhenzug. Hier hatten die Deutschen schon
seit dem Oktober 1914 Fuß gefaßt. Schrittweise war es ihnen
gelungen, in harten Kämpfen in den Wintermonaten weinige hundert Meter
weit vorzudringen. Immer aber noch blieb der ganze Wald von Bouvigny im
Besitz der Franzosen. So klammerten die Badener sich nur an einen kleinen Teil
dieses Höhenzuges an, der von beiden Seiten umfaßt war, da die von
La Bassée über Loos und Angres geführte Stellung
von dort mit einer scharfen Spitze vorsprang über die
Loretto-Höhe zu den beiden südlich davon in zwei durch die niedrige
Höhe 125 geschiedenen Bachgründen tiefgelegenen Orten Ablain
und Carency. Von diesen Dörfern, deren Ausläufer noch in
Feindeshand geblieben waren, zog die deutsche Linie scharf nach
Südwesten zurück und lief auf die östliche Vorstadt von
Arras, [269] St. Laurent, zu.
Sie führte hier über La Targette dicht östlich des
großen Dorfes Neuville im allgemeinen in der Tiefe zwischen zwei
Höhenzügen. Der westliche, auf dem die zerschossenen gewaltigen
Türme von Mont St. Eloy eine Landmarke des ganzen Gebietes
bilden, bot den Franzosen treffliche Artilleriestellungen und in den Dörfern
Ecurie und Roclincourt gute Stützpunkte.
Der östliche Höhenzug steigt von dem im
Carency-Bachtal tief gelegenen Orte Souchez aus stark zur Höhe 140
empor und senkt sich dann über La Folie zwischen Thelus und
Bailleul hindurch gegen die Scarpe. Die Besitznahme dieser Höhen, die die
weite Ebene um Douai nach Westen abschließen und einer von dieser Stadt
vordringenden Armee die erste günstige Stellung bieten, war im Oktober
1914 von größter Wichtigkeit gewesen. Ihr Verlust konnte die
deutsche Stellung schwer treffen.
So bot für die Franzosen der Angriff auf den
vorspringenden Winkel bei der
Loretto-Höhe und die anschließenden Stellungen gute
Aussichten."25
Die Gegend um La Bassée zeigte ausgesprochen flandrischen Charakter:
Einzelgehöfte, viele Wassergräben, Wege von Bäumen
begleitet. Der hohe Grundwasserstand zwang zu weniger tiefen
Deckungsgräben, die nötige Deckungshöhe war nur durch
aufgesetzte Brustwehren zu erreichen. Südlich des
La Bassée-Kanals breitete sich ein offenes welliges
Hügelgelände aus, um Lens befand sich das
Großindustriegebiet von Nordfrankreich mit zahlreichen gewerblichen
Anlagen.
Mit der Verteidigung dieses Geländes war betraut die 6. Armee unter dem
Generalobersten Rupprecht, Kronprinzen von Bayern
(Armee-Hauptquartier Douai), Chef des Stabes General Krafft
v. Dellmensingen, dann Oberst Graf v. Lambsdorff, der am 24. Mai
abends eintraf. Vom rechten Flügel ab standen außerhalb des
eigentlichen Kampffeldes das II. bayerische und XIX. (sächsische)
Armeekorps; das erstere hatte nordöstlich Wytschaete Anschluß an
die 4. Armee. Dann kam das VII. Armeekorps (General der Infanterie
v. Claer bis 29. Juni 1915). Das Armeekorps stand noch unter dem
Eindruck der Winterkämpfe, dessen Last es hauptsächlich zu tragen
gehabt hatte; zugeteilt war die 6. bayerische
Infanterie-Division. Weiter folgte das XIV. Armeekorps (General
v. Hänisch), das seit Dezember nicht recht zur Ruhe gekommen war,
und schließlich das I. bayerische Reservekorps (General der Infanterie
v. Fasbender) und das IV. Armeekorps (General der Infanterie Sixt
v. Armin).26
[270] Die Aliierten hatten die
Absicht, mit der 1. englischen Armee (Sir Douglas Haig), bestehend aus dem indischen, dem I. und IV. Korps, zusammen 9 Divisionen (etwa 90 000
Mann), das VII. Armeekorps (17 000 Mann) zwischen Festubert und
Neuve-Chapelle anzugreifen, um es gegen den
La Bassée-Kanal zu drücken. Der hauptsächlichste
Angriff sollte von der französischen X. Armee (d'Urbal) mit dem XXI. und
XXXIII. Korps zu je drei Divisionen, dem XVII., IX., III. und XII. Korps und der
48., 53. und 55. Infanterie-Division ausgeführt werden, und zwar sollte der
linke Flügel (IX. Korps) von Vermelles und Grenau gegen den rechten
Flügel des XIV., dann mit dem linken Flügel aus der Linie
Berthinval, Ecurie, Roclincourt, St. Laurent gegen die Bayern vorgehen.
Etwa 170 000 Franzosen waren gegen 80 000 Deutsche eingesetzt.
Erdrückend war die Überlegenheit der Gegner in der Luft und an
Artillerie. Bereitgestellt wurden für die Angriffsvorbereitung 800
Feldgeschütze und 350 schwere Kanonen auf den Höhen von
Bouvigny und St. Eloy, die die Flanken der
Loretto-Höhe und die deutschen Stellungen von Angres, Ablain,
St. Nazaire und Carency, die Mulden von Souchez und Givenchy sowie die
Schlackenhalden von Lens beherrschten. Auf der 24 km breiten
Angriffsfront sollen bereitgestellt gewesen sein: auf den Höhen von
Bouvigny und Berthinval und bei La Targette die 58., 92.
Infanterie-Division, XXI., XXIII. und Teile des X. Armeekorps; bei Ecurie und
Roclincourt das IX. Armeekorps; südlich von Arras das XI. Armeekorps.
Heeresreserven und Fremdenregimenter in den Geländesenken von
Bouvigny und St.Eloy....
In einem Korpsbefehl hatte der kommandierende General des XXXIII. Korps,
General Pétain, das Ziel des Angriffs angegeben:
"Nach neunmonatiger Feldzugsdauer
ist es an der Zeit, eine endgültige Anstrengung zu machen, die feindlichen
Linien zu durchbrechen und zunächst als erstes die Deutschen von
Frankreichs Boden zu verjagen. Der Augenblick ist günstig. Niemals war
das Heer stärker, noch von größerem Mut beseelt. Der Feind
scheint nur einige Divisionen vor unserer Front zu haben, unsere Kräfte
sind viermal so stark als die seinigen. Wir verfügen über die
stärkste Artillerie, die je auf einem Schlachtfeld verwendet worden ist. Es
handelt sich heute nicht um einen Handstreich oder um die Wegnahme von
einigen Schützengräben. Es handelt sich darum, den Feind mit
äußerster Heftigkeit anzugreifen, ihn zu schlagen, mit beispielloser
Hartnäckigkeit und Zähigkeit zu verfolgen, ohne Rücksicht
auf Strapazen, Hunger, Durst und Leiden."
Der Angriff wurde, da schlechtes Wetter die Beobachtung des Artilleriefeuers
erschwerte, vom 7. auf den 8., dann auf den 9. Mai verschoben. Am 7. setzte das
Vorbereitungsfeuer der Artillerie ein, was schon deutlich die Angriffsstellen
kennzeichnete; am 8. folgte ein Erkundungsstoß der Franzosen, denen es
gelang, bei Lievin, östlich Lens, in einem deutschen Graben auf einige
Stunden festen Fuß zu fassen. Beim I. bayerischen Reservekorps machten
die Franzosen [271] Gebrauch von
Geschossen mit übelriechenden, betäubenden Gasen; bei diesem
Korps wurde am 8. der Einschlag von 17 000 Granaten und 1600 schweren
Minenwürfen beobachtet. Erheblich geringer war die
Artillerietätigkeit im englischen Abschnitt.
Der französische Angriff.
Anfang Mai schränkte ungünstiges Wetter die deutsche
Luftaufklärung sehr ein, so daß der französische
Eisenbahnverkehr hinter der Front nicht in seinen Einzelheiten festgestellt werden
konnte. Sehr geschickt verheimlichten die Franzosen auch sonst ihre
Verschiebungen. Patrouillen durften, um nichts durch Aussagen von Gefangenen
zu verraten, die französischen Gräben nicht verlassen. Seit dem 1.
Mai lag schweres Artilleriefeuer auf dem Abschnitt von der
Loretto-Höhe nach Süden bis in die Gegend von Roclincourt. Schwer
litten Gräben und Drahthindernisse, die wiederherzustellen die Besatzung
bei dem ununterbrochenen Feuer trotz aller Aufopferung keine Möglichkeit
fand. Südlich Carency sappierte der Feind sich auch näher heran.
Zweifel über den bevorstehenden Angriff gewaltig überlegener
Kräfte hatte die deutsche Führung nicht.
So brach der strahlend schöne, doch drückend heiße Sonntag
des 9. Mai an. Planmäßig, aber wirkungslos weckten
Bombenwürfe feindlicher Flieger einige höhere
Kommandobehörden und das Personal aller wichtigen Bahnhöfe. Die
Absicht, durch Zerstörungen Verwirrung in der Befehlsgebung zu erzielen
und den Antransport von Verstärkungen zu vereiteln, war aber dem Feinde
mißglückt.
Auf den Stellungen nördlich Arras, unter besonderer
Berücksichtigung der bekannten Beobachtungsstellen und
Annäherungswege, lag von 4 Uhr morgens ab schwerstes Feuer. Bald
versagten die Drähte zu den vorgeschobenen Befehlsstellen, nur selten und
lagsam kamen Meldegänger zurück. Daß der Feind seine
Hindernisse wegräume, teilten sie mit. Von der Höhe von
La Folie aus sah man, wie die deutschen Gräben in dichten Rauch
gehüllt waren. Eine feindliche Granate nach der anderen fuhr in die
schwarze Wolke, die sich bald haushoch türmte. Höher noch
schleuderten Minenwürfe Erdschollen und Trümmer des
weißen Kalkgesteins in die Luft.
Gegen 8 Uhr schwieg das Feuer auf einen Schlag. Rasch eilten die schon stark
gelichteten Reste der Grabenbesatzung, niederrheinische Landwehr sowie
bayerische Chevaulegers und bayerische Infanterie, an die Brustwehr, bereit, dem
anstürmenden Feind Auge in Auge entgegenzutreten. Sofort schickten die
vorne befindlichen Kommandeure zu den Unterstützungen, die in der
zweiten Stellung lagen, den Befehl, vorzurücken. Die Artillerie legte
starkes Sperrfeuer auf die französischen Gräben. Doch statt des
Angriffs erfolgte ein neuer, noch heftigerer Feuerstoß der feindlichen
Artillerie. An diesem Tage soll der Abschnitt von Carency 30 000
Schuß erhalten haben.
Da - um 9 Uhr - sah die Artillerie von La Folie aus einer
zufällig etwas rauchfreieren Stelle zwischen Carency [272] und dem
Wäldchen südlich davon eine lange, dunkle Linie vorgehen. Sie
erkannte, wie zwischen Carency und La Targette 17 Minen in die Luft
gehen. Die Franzosen greifen an! Unter dem Schutze des Rauches drangen sie in
Massen vor.
Im Abschnitt zunächst nördlich der Scarpe brachen sie im deutschen
Feuer zusammen. Haufen von Toten und Verwundeten der französischen
19. Infanterie-Division und des XVII. Korps lagen vor den Drahthindernissen.
1600 feindliche Leichen zählte ein einziges der dortigen Regimenter vor
seinem Abschnitt. Gegenüber Roclincourt drang ein kleiner Teil ein.
Bayerische Bajonette warfen ihn hinaus.
Ein besonders schwerer Angriff richtete sich gegen die Stellung der 5. bayerischen
Reserve-Division, rechts bei Carency angelehnt an die 28.
Infanterie-Division, links südlich Neuville anschließend an die 6.
bayerische Reserve-Division. Bei der 5. bayerischen
Reserve-Division standen in erster Linie fünf Bataillone, die Batterien
vielfach geschützweise verteilt. Carency wurde verteidigt von dem 1.
Reserve-Jäger-Bataillon, dann noch von zwei badischen Kompagnien.
Neuville lag vor der Schlacht 500 m hinter der vordersten Linie, wurde aber bald
Brennpunkt der Kämpfe.
Allzu mächtig aber war der Ansturm auf den durch Artilleriefeuer
besonders beschädigten Abschnitt zwischen La Targette und
Carency. Mit gewaltiger Überlegenheit überrannten hier das XX. und
XXXIII. französische Korps und mitten zwischen ihnen die marokkanische
Division die schwache Besatzung der zertrümmerten Gräben (I.
Bataillon Landwehr-Regiment Nr. 39, III. Bataillon
Reserve-Regiment 10 und 200 Kavalleristen des
Reserve-Reiter-Regiments 5). Verzweifelt wehrten sich die wenigen
Überlebenden.
Die zweite Stellung war entblößt. An den vorgeschobenen
Geschützen nördlich Neuville und südlich Souchez brach sich
die Brandung kurze Zeit, bis der letzte Kanonier zu Boden sank. Dann ging der
Ansturm weiter. Die Franzosen drangen auf der Höhe von La Folie
weiter vor. Carency und Neuville waren bald völlig eingeschlossen. Die
Artilleriebeobachtungsstellen bei La Folie fielen in ihre Hand, schnell
näherten sie sich dem Ostabfall des großen Höhenzuges. Und
auch gegen Norden gewannen sie Boden. Von der Höhe stürmten sie
hinab in das Dorf Souchez. Westlich davon drangen Zuaven und
Fremdenlegionäre über den
Carency-Bach, nahmen die Malon-Mühle, bedrohten die
Loretto-Höhe von Süden und umschlossen auch von Osten das Dorf
Carency, gegen das von Süden und Westen die 10.
Infanterie-Division anstürmte.
Die von der ganzen Front beim Armee-Oberkommando eingehenden Meldungen
ließen die Schwere des Angriffs erkennen, der sich zunächst gegen
das XIV. Armeekorps und I. bayerische Reservekorps allein richtete. Bei dem VII.
Armeekorps und dem anschließenden Korps war noch alles ruhig, so
daß das XIX. Armeekorps sieben Batterien und das II. bayerische
Armeekorps außer Artillerie auch noch einige Bataillone zur
Verfügung stellen konnte.
[273] Das
Armee-Oberkommando erbat von der Obersten Heeresleitung die 115.
Infanterie-Division in Douai, die um 10 Uhr 50 Minuten, und die 58.
Infanterie-Division in Roubaix, die um 1 Uhr 35 Minuten zur Verfügung
gestellt wurden. Um 12 Uhr mittags schien es fast, als wenn bei Carency den
Franzosen ein Durchbruch gelungen wäre. In einer Breite von 4 km
und einer Tiefe von 3 km war das Gelände zwischen den
Dörfern Neuville, Carency und Souchez in ihrer Hand. Auch südlich
Neuville war der Feind in das Grabengewirr eingedrungen, das sein Bericht
bezeichnenderweise "Labyrinth" nannte. Bis über die Straße, die im
Hohlweg von Ecurie nach Norden führte, war der Feind gelangt.
Aber jetzt zeigte die deutsche Truppe, welch Geistes sie ist. Nördlich
Ecurie machten die von Süden und Westen angegriffenen Söhne des
Allgäus nun auch nach Norden Front und wehrten dem Feind in erbittertem
Nahkampf das Vordringen gegen den Rücken des Regiments. Kein Mann
dachte daran, die Stellung zu räumen. In Neuville warfen sich die
Verteidiger in die Häuser und hielten die östliche Hälfte des
Orts. In einem Garten stand ein Geschütz, dessen Bedienung gefallen war.
Ein Pionierleutnant und zwei Pioniere feuerten damit auf nächste
Entfernung in den Feind. Am Weg von Neuville nach La Folie bildete sich
eine Schützenlinie, die den eingedrungenen Feind von Süden
flankierte. Von Norden her lösten eine badische Batterie und ein
bayerischer Haubitzzug, auf 600 m feuernd, glänzend diese Aufgabe,
bis auch im Dorf schwache Unterstützungen, zuerst ein einziger
Jägerzug, der Handvoll Verteidiger zu Hilfe kam. Von Ablain her
verhinderten Badener das Vordringen des Feindes gegen Norden.
Gegen die Front des Durchbruchs aber warfen sich auf den Höhen westlich
Givenchy und Vimy die Reserven des Abschnitts. Jeder Mann wußte, um
was es sich handelte. Sah doch der hier befehligende Kommandeur der 5.
bayerischen Reserve-Division von La Goulette aus schon
französische Schützen auf dieser Höhe im Vorgehen. Wer nur
Waffen hatte, schloß sich den Kompagnien an; Mannschaften der Kolonnen
und Pferdewärter stürmten den steilen Osthang hinauf. Und der
Angriff gelang. Auf den Höhen 119, 140 und an den Waldrändern
südlich davon gebot die Artillerie und Infanterie den Eindringlingen halt,
nachdem deren vorderste Abteilungen niedergemacht waren. 1 Uhr war vorbei,
die Krisis hier überwunden und bis zum Abend änderte sich die Lage
nicht.
Inzwischen aber tobte auch an anderer Stelle der Front der Kampf. Auf den
nördlich anschließenden Teilen lag seit dem Morgen heftiges
feindliches Artilleriefeuer. Die von Gräben, unzähligen
Geschoßlöchern und Minentrichtern durchfurchte
Loretto-Höhe bildete sein hauptsächliches Ziel. Dann folgte auch
hier der Angriff. Auserlesene
Jäger-Bataillone des französischen XXI. Korps führten ihn.
Sie drangen in die Gräben ein. Trotz tapferer Gegenwehr mußte
Infanterie-Regiment 111 die vorderste Stellung räumen, nur eine
Kompagnie hielt sich dort noch, obgleich der Feind sie umringte.
[274] Auch weiter
nördlich in der Gegend von Loos gelangte ein Angriff in die deutsche Linie.
Wieder wurde hier ein neues französisches Korps, das IX., festgestellt.
Überall auf diesem Teil des Schlachtfeldes gelangte der Feind nicht
über die erste Stellung hinaus. Seine Erfolge blieben daher weit hinter dem
erstrebten Ziele zurück.
Ablain-St. Nazaire, die Höhe 125 und Carency wurden gehalten.
Fortschritte vermochte der Feind nur an den Osthängen der
Loretto-Höhe, am rechten Ufer des
Carency-Baches zu erreichen. In Souchez war es zu erbitterten Kämpfen
gekommen, da Franzosen, in einem Verteidigungsgraben vordringend, den Weg
in das Dorf gefunden hatten. General Urbal meldete schwere Verluste, nur nach
Einsatz starker Reserven sei noch an Weiterführung des Durchbruchs zu
denken.
Am meisten Fortschritte hatten die Franzosen südlich Souchez gemacht,
hier mußten die Reserven eingesetzt werden. Die Sonne des Schlachttages
senkte sich zum Untergang. Französische Reserven wurden jetzt zum
entscheidenden letzten Stoß vorgeführt, gegen Neuville, Höhe
123, Carency, Ablain-St. Nazaire. Die Verbindung von Carency und Ablain nach Osten
war unterbrochen. Von Süden aus wurde Souchez bestürmt, die
Malon-Mühle bei Carency genommen, der Westteil von
Ablain-St. Nazaire wurde von den Franzosen erobert, dann aber im
Gegenstoß von einem Bataillon des
Infanterie-Regiments 106 (58. Infanterie-Division) der Kirchhof und das Cabaret
rouge südlich Souchez von den Deutschen wieder genommen.
Überall hielten die deutschen Verteidiger zähe aus, sie wichen
schließlich nur der Übermacht. Auch der Angriff des IX.
französischen Korps an der Straße
Vermelles - Loos konnte über das schon am Vormittag
erreichte Ziel in den ersten deutschen Gräben nicht weiter vorwärts
kommen. - Auch die englischen Divisionen wurden
zurückgeschlagen. So erhielt General Foch von allen Seiten nur
unbefriedigende Nachrichten; er war jedoch fest entschlossen, in den
nächsten Tagen den Einbruch zum Durchbruch zu erweitern. Aber schwere
Aufgaben harrten seiner Truppen, den Widerstand der noch aushaltenden
Ortsbesatzungen zu brechen und dann die Höhe von Vimy zu nehmen. In
der Nacht sollte heftiges Artilleriefeuer gegen die von den deutschen Truppen
noch gehaltenen Stäben und Stützpunkte gerichtet werden. Es war
nicht leicht, da die Linien keineswegs einen gradlinigen Verlauf hatten. So wurde
die Mitte von Souchez noch von deutschen Truppen gehalten; dann bog die Linie
scharf nach Osten zu den Höhepunkten 119 und 140 zurück, sprang
dann wieder bis zur Mitte von Neuville vor. La Targette war in
französischer Hand, während südlich Targette deutsche
Truppen noch weiter aushielten.
Das deutsche Armee-Oberkommando 6 sah seine Lage am Abend des ersten
Schlachttages nicht ungünstig an. Trotz vielfacher Überlegenheit des
Feindes war die Stellung bis auf geringe Einbuße gehalten. Gegen das XIV.
Armeekorps waren dreieinhalb französische Armeekorps angerannt, das I.
bayerische [275] Reservekorps hatte sich
noch größerer Überlegenheit zu erwehren gewußt. Mit
Recht glaubte das Armee-Oberkommando, daß die Kämpfe tagelang
dauern könnten, verbrauchte seine Reserven nur bataillonsweise und
begrüßte dankbar, daß von der Obersten Heeresleitung jetzt
auch die 117. Infanterie-Division aus der Gegend von Reims nach Douai
vorgeführt wurde.
Die englischen Angriffe.27
Die erste englische Armee (Sir Douglas Haig) stand noch unter dem Eindruck der
Winterkämpfe; sie hatte aus den Kämpfen von Ypern die
Überzeugung mitgebracht, daß ihre
Geschütz- und Munitionsausrüstung noch nicht den Forderungen
einer neuzeitlichen Schlacht genüge. Der Armee war ein großes Ziel
gesteckt: "Durchbruch der deutschen Linien bis zur Straße
La Bassée - Fournes, um dann in Richtung auf Don
weiterzustoßen", d. h. in der allgemeine Richtung auf Douai.
Im Norden wurde das IV. Korps bereitgestellt, von dem die 8.
Infanterie-Division, die Brigaden in schmaler Front hintereinander, bei Rouges
Bancs vor Fromelles die Stellung des II. bayerischen Armeekorps in Richtung auf
Lille durchstoßen sollte. Der Angriff nach nur kurzer Artillerievorbereitung
von 40 Minuten scheiterte unter blutigen Verlusten. Die vordere Brigade verlor
von 3200 Mann 70 Offiziere 1492 Mann. Fast alle Bataillonsführer waren
in vorderster Linie gefallen. Nicht weniger als 143 tote englische Offiziere der
drei Brigaden wurden später gezählt, diese Zahl blieb nur
unerheblich hinter der Zahl der deutschen gefallenen Mannschaften zurück.
Wie erbittert die Kämpfe waren, zeigt, daß nur 140 Gefangene
gemacht und sieben Maschinengewehre erbeutet wurden, während 1500
englische Leichen hinter der deutschen Front begraben wurden.
Der gegen den Abschnitt von Givenchy (südwestlich Festubert) und
Neuve-Chapelle (gegen VII. Korps und rechts gegen die 6. bayerische
Infanterie-Division) mit den aus früheren Kämpfen stark gelichteten
indischen Korps und der rechts anschließenden 1.
Infanterie-Division gerichtete Angriff hatte bei der geringen Wirksamkeit der
Artillerievorbereitung keinen Erfolg. Ebensowenig in den Abendstunden
wiederholte Angriffe, sie erhöhten nur die Verluste. Namentlich war es das
Feuer in der Flanke herausgeschobener deutscher Maschinengewehre gewesen,
die auf die dichten Angriffswellen eine vernichtende Wirkung hatten. Der 9. Mai
war für die englische Infanterie ein ganz besonderer Ehrentag, wenn ihm
auch keine Erfolge beschieden waren; sie zeigte eine Unempfindlichkeit gegen
Verluste, wie in dem Halbinselkriege und in der Krim, während man ihr im
Burenkriege Verlustscheu vorgeworfen hatte. Hier war sie noch dazu auf einen
besonders tüchtigen, taktisch auf der Höhe stehenden Gegner
gestoßen.
[276] Die
Fortführung der Angriffe.
Der 9. Mai hatte mit einem vollen englischen Mißerfolg, bei den Franzosen
nur mit geringem örtlichen Erfolg geendet, deren wichtigster die Einnahme
der Loretto-Höhe war. General Foch hatte nur an einer einzigen Stelle
angegriffen, und das gab die Möglichkeit, von anderen Stellen der
deutschen Front, sogar aus dem noch im Kampf stehenden
Ypern-Bogen, Verstärkungen herauszuziehen. Foch entschoß sich
zum Weiterführen des Angriffs; seine Angriffe am 10. stießen mit
deutschen Gegenangriffen der von allen Seiten herangeführten
Verstärkungen zusammen. Von Loos hatte ein Gegenstoß des
badischen Infanterie-Regiments 114 gegen Flanke und Rücken der
Franzosen gleicher Regimentsnummer Erfolg. 700 Gefangene und sechs
Maschinengewehre wurden erbeutet.
Ablain (28. Infanterie-Division) und Carency, von Teilen der 28.
Infanterie-Division und 5. bayerischen Reserve-Division verteidigt, wurden
vollständig eingeschlossen,
Infanterie-Regiment 111 mußte durch Reserven abgelöst werden. Im
Lauf der Kämpfe waren die Franzosen beim XIV. Armeekorps
eingedrungen, wurden aber durch schnellen Gegenstoß wieder
herausgeworfen. Beim I. bayerischen Reservekorps tobte ein besonders heftiger
Kampf um Neuville, ein deutscher Abendangriff kam nicht vorwärts, so
daß das Generalkommando die Lage recht ernst ansah, aber schon konnte
die Artillerie um zehn schwere Batterien verstärkt werden, so daß die
Möglichkeit eines Durchbruchs ausgeschlossen erschien.
Am 11. gingen die Kämpfe weiter. Der sächsischen 58.
Infanterie-Division gelang es, auf dem Hang der
Loretto-Höhe Fortschritte zu machen und die seit dem 9. eingeschlossene
Kompagnie der 111er zu befreien; weitere Angriffe waren nicht möglich.
Beim XIV. Armeekorps wurden alle Reserven eingesetzt, das Korps erhielt das
Reserve-Infanterie-Regiment 22 von der 117.
Infanterie-Division. Auch beim bayerischen Reservekorps vermochten die
französischen Angriffe, die hauptsächlich gegen Neuville gerichtet
wurden, nichts zu erreichen.
In den späten Abendstunden setzte ein großer französischer
Angriff gegen Souchez, Höhe 140, ein, der noch am 11. bis Loos, am 12.
bis Lens weitergeführt werden sollte. Nach heftiger Beschießung
durch Artillerie griffen die 17. französische
Infanterie-Division und Teile der 58. zwischen der Straße
Hulluch - Vermelles und
Lens - Béthune in breiter Front an; den vordersten Wellen
folgten dichte Kolonnen. Vor den Hindernissen brachen sie im Feuer der
deutschen Geschütze und Gewehre zusammen. Noch einmal erneuerten
frische Truppen in gleicher Form den Versuch, aber nur, um ebenso zu scheitern.
Gefangene des IX. französischen Korps, die später gemacht wurden,
gaben an, daß die 17.
Infanterie-Division an diesem Tage 6000 Mann habe liegen lassen.
Auch auf der Loretto-Höhe setzte das XXI. französischer Korps zum
Angriff an. Er brach zusammen. Am gewaltigsten tobte jedoch die Schlacht am
11. Mai [277] nachmittags
südlich von Carency. Zwischen diesem Dorf und der Scarpe einheitlich
vorzubrechen, war die Absicht des Feindes. Schwerstes Artilleriefeuer aus allen
Geschützen leitete sie ein. Doch durch die Wand von Rauch und Feuer
hindurch sah die deutsche Artillerie aus dem Wäldchen südlich
Carency und aus den Trümmern von La Targette die Massen
vorbrechen. Unter den Garben der Schrapnells zerstob die 77.
Infanterie-Division und was von der marokkanischen Division noch mit angriff.
Was hier Kanone und Haubitze leisteten, das fiel von Roclincourt nach
Süden dem Gewehr zu. Obgleich hier das XVII. und X. Korps in dichten
Linien bis an die durch das französische Artilleriefeuer stark
zerstörten Hindernisse herankamen, obgleich die bayerische
Grabenbesatzung durch die Beschießung stark gelitten hatte, sanken die
stürmenden Regimenter vor der deutschen Linie niedergemäht zu
Boden, ohne irgendwo einzudringen.
Einzig und allein bei und südlich Neuville, wo man schon in engster
Gefechtsberührung stand, kam es zu Nahkämpfen. Sechs
französische Minenwerfer feuerten in diesem Orte schon seit dem Morgen
des 11. Mai auf die von den Deutschen besetzten Häusergruppen.
Der Tag ging zu Ende. Wenn auch die Überzeugung, daß die Gefahr
beseitigt sei und der kommandierende General glaubte, weiter halten zu
können, so machten die feindliche Überlegenheit an
Geschützen und die eigenen Verluste es unmöglich, die
Entscheidung selbst durch einen Angriff herbeizuführen. Beim XIV.
Armeekorps sollten die vor der ausgesprochenen Kampflinie noch immer
behaupteten Abschnitte weitergehalten werden, sie waren für alle neuen
französischen Angriffe die Eisbrecher. Am Abend ging beim
Armee-Oberkommando 6 die Mitteilung ein, daß das Generalkommando
des VIII. Armeekorps und die 16.
Infanterie-Division und eine Brigade der 15.
Infanterie-Division im Anrollen nach Douai seien. Das
Armee-Oberkommando erbat, die Truppenzüge in Richtung auf Lens nach
Lietard und Billy Montigny weiterzuführen.
Am Morgen des 12. Mai meldete das I. bayerische Reservekorps erneute
feindliche Angriffe gegen Neuville, dann folgte um 3 Uhr vormittags Meldung,
daß bei Neuville ein Durchbruch drohe, der die eigene Artillerie
gefährde. Um 8 Uhr waren aber alle Angriffe abgewiesen, so daß das
Generalkommando befahl, bei Carency auszuharren und die am 11. verlorene
gegangene Malon-Mühle wiederzunehmen. Auch beim XIV. Armeekorps
besserte sich sichtlich die Lage, so daß zwei Bataillone
Reserve-Infanterie-Regiments 22 zurückgenommen werden konnten, um
mit einer Artillerieabteilung der 117.
Infanterie-Division die - einzige - Armeereserve zu bilden. In den
ersten Nachmittagsstunden wurde vor dem XIV. und I. Reservekorps das
Losbrechen eines feindlichen Angriffs verhindert; nur bei Carency erfolgte
zweimal ein Angriff, aber die deutsche Stellung wurde gehalten; ebenso war es
auch bei Neuville, wo die umstellte [278] Besatzung sich bis zum
12. Mai hielt und erst die Waffen streckte, als jede Hoffnung geschwunden war.
Ursprünglich waren im Orte nur zwei Kompagnien, die im Laufe des 11.
durch Teile von drei Bataillonen und zwei Regimentern verstärkt wurden.
Am 10. war der Franzose in das Dorf eingedrungen. In hartnäckigem
Gegenangriff wurde er wieder zurückgedrängt, so daß am
Abend nur mehr das Westende der Ortschaft mit der dort eingebauten 3. Batterie
bayerischer Reserve-Feldartillerie-Regiments 5 in seiner Hand war. Die
übrigen in Neuville eingebauten fünf Geschütze konnten
gerettet werden.
An dieser Lage änderte sich trotz zahlreicher weiterer Angriffe der
Franzosen infolge hartnäckiger Gegenstöße der Verteidiger
nichts Wesentliches mehr, bis die 5. bayerische
Reserve-Division in der Nacht vom 15. zum 16. Mai aus der Stellung
herausgezogen wurde. Auch dann wurde der Kampf von der Ablösung
weitergeführt. Auch ein Angriff der Bayern, um den vom Feinde
genommenen Friedhof südlich Souchez am Cabaret Rouge
wiederzunehmen, hatte trotz glücklichen Beginnens keinen dauernden
Erfolg. Einem allseitigen Angriff fiel nun endlich Carency zum Opfer, dann die
Malon-Mühle. - Der Befehlshaber in Ablain entschloß sich,
den Westteil des Ortes zu räumen, um noch die Verbindung mit der
Loretto-Stellung, den Barrikaden-Weg, zu halten. Auf der Höhe waren
endlich die Trümmer der
Loretto-Kapelle in französische Hand gefallen, aber der Kampf ging
unentwegt weiter. Erst am 21. Mai konnte der
Barrikaden-Weg von den Franzosen genommen werden. Für alle
Fälle aber wurde durch von den Nachbararmeen herangezogenen
Pionier-Kompagnien eine neue Stellung ausgehoben.
Von der Obersten Heeresleitung ging die Weisung ein, zur Wiedernahme des
verlorenen Geländes den Befehl "einem mit den lokalen
Verhältnissen genau vertrauten General, der Glauben an Erfolg und
Interesse an der Sache hat, z. B. den kommandierenden General des VII.
Armeekorps, zu übertragen". Da dieser aber an der entscheidenden Stelle,
d. h. bei Souchez die Verhältnisse gar nicht kannte, so bestimmte das
Armee-Oberkommando zur Befehlsübernahme dieser Angriffsgruppe den
kommandierenden General des I. bayerischen Reservekorps, den General der
Infanterie v. Fasbender, dem am 13. mittags der Befehl über das
XIV. Armeekorps, I. bayerische Reservekorps und über das
Generalkommando des VIII. Armeekorps übertragen wurde.
Von der Obersten Heeresleitung war, ohne das
Armee-Oberkommando in Kenntnis zu setzen, mit dieser Aufgabe betraut:
General der Infanterie v. Lochow (kommandierender General III.
Armeekorps), zu dem sich auch ein Nachrichtenoffizier der Obersten
Heeresleitung begab. So zweckmäßig an sich auch die Unterstellung
mehrerer Einheiten mit gleicher Kampfaufgabe unter einem Befehl war, so war
diese Lösung wegen der Unklarheit der Befehlsverhältnisse nicht
zweckmäßig. General v. Lochow kannte auch das
Kampfgelände [279] nicht.28 Es war dieses die Quelle recht
überflüssiger Reibungen. Als dann das
Armee-Oberkommando weitere Verstärkungen beantragte, lehnte dieses die
Oberste Heeresleitung ab. Die Form dieser Ablehnung "erregte beim
Armee-Oberkommando Mißstimmung, zumal verlangt wurde, daß
das Armee-Oberkommando den General v. Lochow über den
weiteren Bedarf an Verstärkungen hören solle". (Kriegstagebuch des
Armee-Oberkommandos.)29
Der 13. Mai begann unter Regenschauern. Es hätte für die Franzosen
nahe gelegen, ihren Erfolg vom Nachmittag des 12. auf der
Loretto-Höhe und bei Carency durch einen Nachstoß weiter
auszunutzen. Von den deutschen Truppen war die 28.
Infanterie-Division sehr stark mitgenommen, etwas weniger die 29.
Infanterie-Division; die 5. bayerische
Reserve-Division war völlig verbraucht, auch die 115. und 1. bayerische
Reserve-Division hatten stark gelitten. Verstärkungen der Nachbararmee
sollten nach Pont à Vendin und Vitry en Artois geführt werden, wo
sie dem General v. Fasbender unterstellt wurden. Es waren in
Pont à Vendin die 85.
Reserve-Infanterie-Brigade der 4. Armee mit sieben Bataillonen bestimmt
für das XIV. Armeekorps, dann in Vitry en Artois von der 2. Armee die 52.
Infanterie-Brigade (6, 1, 3) für das I. bayerische Reservekorps. Auch die 16.
Infanterie-Division und eine Brigade der 15. Infanterie-Division wurden dem
General v. Fasbender nach Eintreffen in Douai unterstellt. Am Mittag
wurde das Armee-Oberkommando benachrichtigt, daß eine Division (2.
Garde-Reserve-Division) des X. Reservekorps aus dem Elsaß nach Douai
im Anrollen sei.
Der Feind hatte am Vormittag des 13. keine weiteren Angriffe mehr
unternommen; das französische III. Armeekorps war noch im Anmarsch.
Erst am Nachmittag fand ein erfolgloser Angriff von der
Loretto-Höhe und von Carency gegen Souchez statt. Der Vormittag des 14.
verlief ebenfalls ruhig, so daß die deutschen Truppen Atem schöpfen
konnten; so konnte am Nachmittag ein französischer Angriff nach geringen
Anfangserfolgen an der Straße
Souchez - Aix Noulette wiederum abgewiesen werden. Nach
Anordnung des Generals v. Fasbender sollte das eintreffende VIII.
Armeekorps die Stellung auf den Höhen südlich Souchez bis
südöstlich Neuville übernehmen. Die 2.
Garde-Reserve-Division (X. Reservekorps) wurde dem VII. Armeekorps zugeteilt,
vor dessen Front Beobachtungen auf eine baldige Wiederholung feindlicher
Angriffe hinwiesen; auch dem XIX. Armeekorps wurden zwei Bataillone und
zwei schwere Feld-Haubitz-Batterien überwiesen; weiter von der noch im
Kampf stehenden 4. Armee die 38.
Landwehr-Brigade (v. Kotze) zur Verfügung gestellt [280] und nach Seclin
befördert. Abendliche Angriffe des Feindes gegen die Front des XIV.
Armeekorps und I. bayerischen Reservekorps konnten abgewiesen werden. In der
Nacht zum 16. konnte das VIII. Armeekorps seinen Abschnitt von Souchez bis
südöstlich Neuville übernehmen und abgekämpfte
Truppen herausziehen lassen. Kurz vor Mitternacht fand auf der Front des VII.
Armeekorps ein englischer Nachtangriff großen Stils statt.
Kräfteverteilung am 16. Mai früh.
Auf dem rechten Flügel das nicht ernstlich angegriffene XIX. Armeekorps,
dann folgen die 6. bayerische
Reserve-Division, Teile der 13., 2.
Garde-Reserve-Division, Teile der 14.
Infanterie-Division unter dem Befehl des kommandierende Generals VII.
Armeekorps bis zur Linie
Cambrai - Haisnes.
Dann das XIV. Armeekorps mit der 29. und 117.
Infanterie-Division, das VIII. Armeekorps, 16., 58. und 15.
Infanterie-Division von Souchez bis südöstlich Neuville, dann das I.
bayerische Reservekorps (gemischte 52.
Reserve-Infanterie-Brigade um Thelus - östlich Neuville), 1.
bayerische Reserve-Division bis in die Gegend von Gavrelle (an der Straße
Douai - Arras), daran anschließend das IV. Armeekorps.
In Reserve befanden sich in Lille die 122., in Douai die 111.
Infanterie-Division. Östlich La Bassée Teile der 13. und 14.
Infanterie-Division. Zur Auffrischung zurückgenommen um Lens die 117.,
um Arras die 115. und um Sailly, südwestlich Douai, die 5. bayerische
Reserve-Division.
Der englische Angriff in der Nacht vom 16./17. Mai.
Den englischen Divisionen konnten nach ihrem Mißerfolg am 9. Mai nur
einige Tage zur Umgruppierung und Ruhe gewährt werden. Die
schlachterprobte 7. Infanterie-Division wurde nach dem rechten Flügel
genommen, die 1. durch die 2. abgelöst; die stark in den
Ypern-Kämpfen mitgenommene 2. Kanadische Division bildete die
Reserve. Verstärktes Artilleriefeuer hatte den Verteidiger vorbereitet und ihn
veranlaßt, Verstärkungen heranzuziehen, auch war es der
aufmerksamen deutschen Artillerie möglich gewesen,
Truppenansammlungen zu beschießen. Um 11 Uhr 30 Minuten abends
(englische Zeit) trat gleichzeitig eine indische und die 2.
Infanterie-Division an. Die Inder wurden frühzeitig entdeckt und
aufgehalten; sie schienen nur die Aufmerksamkeit von der 2.
Infanterie-Division ablenken zu sollen. Diese hielt eine Brigade in Reserve und
hatte sich mit sechseinhalb Bataillonen im ersten Treffen in etwa 1000 m
Frontbreite in vier Wellen vor dem ersten englischen Graben hingelegt,
während dreieinhalb Bataillone zur Unterstützung folgten. Vier
Stunden später sollten von Festubert die 7.
Infanterie-Division mit je vier Bataillonen im ersten und zweiten Treffen antreten.
Durch zwei nebeneinander erfolgende Angriffe hoffte man, wenigstens mit einem
Angriff einbrechen zu können, erwartete, daß [281] der zunächst
noch nicht angegriffene Teil sich verleiten lassen würde, die Besatzung
seiner Stellung zu schwächen und dem angegriffenen Nachbar zur Hilfe zu
kommen. Der englische Hauptangriff wurde frühzeitig erkannt und
beleuchtet, das linke Bataillon durch ein nicht zerstörtes Drahthindernis
aufgehalten; der Mitte gelang es, an zwei Stellen südlich Neuve Chapelle
bei den Flügelbataillonen
Infanterie-Regiments 57 einzubrechen und bis zum zweiten Graben
durchzustoßen und sich zu behaupten, obwohl deutsche Artillerie durch
Sperrfeuer jeden Nachschub verhinderte. Ein Gegenstoß der Korpsreserve
hatte keinen Erfolg. Im andauernden Grabenkampf gelang es, die beiden
Einbruchsstellen auf 600 und auf 1000 m zu erweitern. Schließlich
mußte auch das mittlere Bataillon der 57er zurückgenommen werden,
so daß eine Lücke von 3 km gerissen wurde. Das
Infanterie-Regiment 57 hatte sich, wie auch vom Feinde anerkannt,
vorzüglich geschlagen, aber sehr schwere Verluste erlitten. Auch der
Angriff der 7. englischen
Infanterie-Division war frühzeitig erkannt und zusammengebrochen; am
17. mußten die beiden englischen Divisionen abgelöst werden. Die
nächsten Tage brachten nur noch Grabenkämpfe. Auch der Angriff
der 47. Infanterie-Division am 24. und 25. Mai hatte keinen Erfolg. So
entschloß sich Marschall French, die Angriffe einzustellen; als Erfolg war
ein Einbruch von 600 m Tiefe auf einer Strecke von 5 km zu
verzeichnen. Auf deutscher Seite hatte man kein Interesse an
Weiterführung der Gegenangriffe.
Das Ende der Schlacht auf französischer Seite.
Auf der Loretto-Höhe hielten deutsche Truppen noch immer einen Graben
östlich der Kapelle und von diesem Punkte einerseits nach der Kirche von
Ablain, den "Barrikaden-Weg" anderseits in 900 m Ausdehnung in beinahe
nördlicher Richtung durch die Mulde, dem Fond du Buval, zur
großen Straße
Béthune - Souchez. In die Vorbereitungen der
Angriffsgruppe Lochow für einen Gegenangriff zur Wegnahme der
französischen Gräben an der
Wallfahrts-Kapelle fiel ein französischer Angriff am Nachmittage des 16.
südlich der Loretto-Höhe, der restlos abgewiesen wurde. General
v. Lochow beabsichtigte, die
Loretto-Höhe so stark unter Feuer zu nehmen, daß die
Widerstandskraft des Feindes gebrochen wurde, mittlerweile sich näher an
die Höhe heranzuschieben, dann den Angriff über
Ablain - Carency weiterzuführen. Längere Ruhe der
Angriffstruppen wurde indessen für erforderlich gehalten. Der Angriff
Lochows, am 19. begonnen, mißglückte, da die Oberste
Heeresleitung mit Rücksicht auf den Munitionsmangel
äußerste Sparsamkeit empfahl, da ferner auf der Linie
Vermelles - Arras 16, zum Teil sehr starke französische
Divisionen standen, denen nur neun entgegengesetzt werden konnten, die fast alle
schon schwer gelitten hatten; so entschied das
Armee-Oberkommando für ein Festhalten des bislang Gewonnenen.
Die Kriegslage der österreichisch-ungarischen Verbündeten gegen
den neuen [282] Gegner Italien machte
Neubildungen für ein "Alpenkorps" erforderlich, zu dessen Führer
der bisherige Armeechef, General Krafft v. Dellmensingen30 ernannt wurde. Zwei preußische
und zwei bayerische Jäger-Bataillone wurden zur Neubildung nach dem
Lechfeld abbefördert, dann aus neugebildeten 13. und 14. Kompagnien
beim IV. und XIX. Armeekorps je ein neues Regiment formiert. Vom 9. bis zum
20. Mai hatten die deutschen Truppen, allerdings unter erheblichen Verlusten, die
auf 30 000 Mann geschätzt wurden,31 einer gewaltigen Überlegenheit
standgehalten.
In den letzten Maitagen und im Juni kam es noch zu Kämpfen, die im
wesentlichen von den Franzosen unternommen wurden, um einzelne noch
gehaltene Stellungen zu gewinnen. Die französischen Angriffe forderten
deutsche Gegenstöße heraus. Gekämpft wurde in der Gegend
von Angres um den deutschen Graben im Fond du Buval; am 22. wurde auch der
Barrikaden-Weg genommen, am 29. Mai sollte auch endlich das zäh
behauptete Ablain verlorengehen. Blutige Kämpfe entbrannten um die
Malon-Mühle und die Zuckerfabrik von Souchez. Besonders erbitterte
Kämpfe spielten sich seit dem 30. Mai um die von den Franzosen als
Labyrinth bezeichneten Gräben südöstlich Neuville ab. Im
Labyrinth standen noch dieselben Truppen, die dort am 9. Mai gekämpft
hatten. Auch sie hatten nur noch eine einzige, bei Tag nicht gangbare Verbindung
nach rückwärts. Wie es bei Neuville stand, ahnten sie nicht. Sie
sahen dort nur Rauchschwaden und Flammen. Ob Deutsche das Dorf
besaßen oder der Feind, war ihnen nicht bekannt; ob sie im Osten schon
abgeschnitten waren, sie wußten es nicht. Von allen Seiten hagelten
Granaten, Minen, Infanteriegeschosse in die Trümmer. Von drei Seiten mit
starker Überlegenheit angegriffen, konnten sie doch noch aushalten. Erst
am 15. Juni wurde das Werk den 161ern nach langer zäher Verteidigung
entrissen. Das Dorf Neuville wurde im blutigen schrittweisen Ringen endlich kurz
vor Mitternacht des 8. Juni endgültig erobert. Der lange Kampf war
dadurch ermöglicht, daß der Boden, auf dem die Häuser
standen, durchzogen war von Kellern und Höhlen. "Als Unterstände
ausgebaut, boten sie selbst gegen schwere Beschießung sicheren Schutz.
Deutsche wie Franzosen nutzten dies aus, so konnte man wochenlang ausharren
gegenüber einem Feinde, den nur eine schmale Straße von den
Mauerresten trennte, die die eigene Stellung bildeten."
Die Frühjahrsschlacht im Artois war beendet; feindliche
Überlegenheit hatte nicht vermocht, die Widerstandkraft der deutschen
Verteidigung zu brechen. Obwohl die Führung rechtzeitig Kunde von den
bevorstehenden Angriffen erhielt, so war es doch nicht gelungen, ausreichende
Reserven an Truppen [283] und Schießbedarf
hinter der Front bereitzuhalten. Anfangserfolge des Feindes waren daher nicht
ausgeschlossen; der Angreifer vermochte aber nicht seine Angriffsbewegung in
Fluß zu erhalten und damit seine Erfolge auszunutzen. Jedenfalls haben die
Engländer und Franzosen diesen toten Punkt eines jeden Angriffs nicht
schnell genug überwinden können. Auch hierin lag die Ursache
für die tagelangen Kämpfe im Stellungskriege. Das
Armee-Oberkommando 4 mußte trotz der kameradschaftlichen Aushilfe der
Nachbararmee, und obwohl man rechtzeitig von dem Drohen eines Angriffs
wußte, mit unzureichenden Mitteln die Schlacht durchkämpfen.
Deutschland hatte - darauf muß immer wieder hingewiesen
werden - im Frieden nicht die Wehrkraft des Volkes voll herangezogen und
auch nicht verstanden, die Arbeitsleistung des Volkes für den
Munitionsersatz auszunutzen. So fehlte es auch jetzt noch an Reserven; es fehlte
noch immer an Munition; zu spät eintreffende Reserven wurden mehrfach
überhastet eingesetzt und zerschellten im Feuer der schnell geordneten
Eindringlinge in den eroberten deutschen Stellungen.
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