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Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917

Kapitel 5: Die deutschen Abwehrkämpfe im Westen 1915   (Forts.)
Generalleutnant William Balck

5. Die Frühjahrsschlacht von La Bassée und Arras.23

General Joffre hatte schon frühzeitig dieses Angriffsfeld ins Auge gefaßt für einen Durchbruch durch die deutschen Linien in Richtung auf Valenciennes und Brüssel, um dann die deutschen Stellungen in Richtung auf das Meer oder nach Süden aufzurollen, während deutsche Kräfte in Rußland gefesselt waren. Von englischer Seite aus wurde diese Absicht schon am 5. April der deutschen Führung bekannt und bestimmte diese, der Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit von Lille größere Beachtung zuzuwenden. Beobachtungen an der Front bestätigten jedoch diese Angaben nicht; wohl wurde eine größere Tätigkeit des seit Januar begonnenen Minenkrieges bei Souchez festgestellt, auch bemerkte man seit dem [268] 26. April Angriffsvorbereitungen gegen die Stellungen auf der Loretto-Höhe. Die Nachricht von dem Eintreffen deutscher Streitkräfte in Galizien und die Absicht des Lord French, den Ypern-Bogen zu räumen, dann der geringe Erfolg des französischen Gegenangriffs nördlich Ypern bestimmte die Verbündeten, schon Anfang Mai im Artois loszuschlagen. Als Angriffstag war zunächst der 7. Mai bestimmt. Die Gegend war für den gemeinsamen Angriff nicht ungünstig gewählt. Engländer und Franzosen verfügten über gute Bahnverbindungen; das Höhengelände zwischen Arras und Béthune gewährte gute Beobachtung in das deutsche Kampfgelände; die französischen Sturmstellungen waren bis auf 150 m an die deutschen Befestigungen auf der Hochfläche der Loretto-Kapelle herangeschoben. Die Deutschen hielten im wesentlichen eine Linie, in der der deutsche Angriff im Jahre 1914 liegengeblieben war; dann hatte diese Linienführung in den Winterkämpfen24 eine geringfügige Änderung erfahren.

      "In dem fast ebenen Gebiet Flanderns zwischen Armentières und von La Bassée befand sich zwar kein ausgesprochener Geländevorteil in der Hand der Engländer, immerhin gab es, insbesondere in der Gegend östlich Festubert und bei La Bassée, manche vorspringenden Teile der deutschen Linien, an denen eine Umfassung dem Feinde leicht möglich war. Begünstigt wurde hier der Angriff durch die Unübersichtlichkeit des dicht mit baumumpflanzten Gehöften besetzten Geländes. Das im Mai schon hohe Gras verdeckte den geschickt herankriechenden Infanteristen dem Verteidiger. Der Artillerie fehlten natürliche Beobachtungspunkte. Erst hinter der deutschen Linie, von Radinghem über Aubers - Fromelles, zieht eine leichte Welle nach Violaines.
      Ein anderes Bild bietet die südlich davon liegende Landschaft des Artois. Hier bildet den südlichen Abschluß der Tiefebene ein etwa senkrecht zu der deutschen Front verlaufender, langgedehnter und steil abfallender Höhenzug. Weithin erblickt man im Tiefland auf ihm den scharf abgesetzten Ostrand des Bois de Bouvigny, weithin leuchtet die Wallfahrtskirche von Notre-Dame de Lorette. Sie lag am äußersten östlichen Rande der schmalen, gegen Westen noch ansteigenden Hochfläche auf diesem Höhenzug. Hier hatten die Deutschen schon seit dem Oktober 1914 Fuß gefaßt. Schrittweise war es ihnen gelungen, in harten Kämpfen in den Wintermonaten weinige hundert Meter weit vorzudringen. Immer aber noch blieb der ganze Wald von Bouvigny im Besitz der Franzosen. So klammerten die Badener sich nur an einen kleinen Teil dieses Höhenzuges an, der von beiden Seiten umfaßt war, da die von La Bassée über Loos und Angres geführte Stellung von dort mit einer scharfen Spitze vorsprang über die Loretto-Höhe zu den beiden südlich davon in zwei durch die niedrige Höhe 125 geschiedenen Bachgründen tiefgelegenen Orten Ablain und Carency. Von diesen Dörfern, deren Ausläufer noch in Feindeshand geblieben waren, zog die deutsche Linie scharf nach Südwesten zurück und lief auf die östliche Vorstadt von Arras, [269] St. Laurent, zu. Sie führte hier über La Targette dicht östlich des großen Dorfes Neuville im allgemeinen in der Tiefe zwischen zwei Höhenzügen. Der westliche, auf dem die zerschossenen gewaltigen Türme von Mont St. Eloy eine Landmarke des ganzen Gebietes bilden, bot den Franzosen treffliche Artilleriestellungen und in den Dörfern Ecurie und Roclincourt gute Stützpunkte.
      Der östliche Höhenzug steigt von dem im Carency-Bachtal tief gelegenen Orte Souchez aus stark zur Höhe 140 empor und senkt sich dann über La Folie zwischen Thelus und Bailleul hindurch gegen die Scarpe. Die Besitznahme dieser Höhen, die die weite Ebene um Douai nach Westen abschließen und einer von dieser Stadt vordringenden Armee die erste günstige Stellung bieten, war im Oktober 1914 von größter Wichtigkeit gewesen. Ihr Verlust konnte die deutsche Stellung schwer treffen.
      So bot für die Franzosen der Angriff auf den vorspringenden Winkel bei der Loretto-Höhe und die anschließenden Stellungen gute Aussichten."25

Die Gegend um La Bassée zeigte ausgesprochen flandrischen Charakter: Einzelgehöfte, viele Wassergräben, Wege von Bäumen begleitet. Der hohe Grundwasserstand zwang zu weniger tiefen Deckungsgräben, die nötige Deckungshöhe war nur durch aufgesetzte Brustwehren zu erreichen. Südlich des La Bassée-Kanals breitete sich ein offenes welliges Hügelgelände aus, um Lens befand sich das Großindustriegebiet von Nordfrankreich mit zahlreichen gewerblichen Anlagen.

Mit der Verteidigung dieses Geländes war betraut die 6. Armee unter dem Generalobersten Rupprecht, Kronprinzen von Bayern (Armee-Hauptquartier Douai), Chef des Stabes General Krafft v. Dellmensingen, dann Oberst Graf v. Lambsdorff, der am 24. Mai abends eintraf. Vom rechten Flügel ab standen außerhalb des eigentlichen Kampffeldes das II. bayerische und XIX. (sächsische) Armeekorps; das erstere hatte nordöstlich Wytschaete Anschluß an die 4. Armee. Dann kam das VII. Armeekorps (General der Infanterie v. Claer bis 29. Juni 1915). Das Armeekorps stand noch unter dem Eindruck der Winterkämpfe, dessen Last es hauptsächlich zu tragen gehabt hatte; zugeteilt war die 6. bayerische Infanterie-Division. Weiter folgte das XIV. Armeekorps (General v. Hänisch), das seit Dezember nicht recht zur Ruhe gekommen war, und schließlich das I. bayerische Reservekorps (General der Infanterie v. Fasbender) und das IV. Armeekorps (General der Infanterie Sixt v. Armin).26

[270] Die Aliierten hatten die Absicht, mit der 1. englischen Armee (Sir Douglas Haig), bestehend aus dem indischen, dem I. und IV. Korps, zusammen 9 Divisionen (etwa 90 000 Mann), das VII. Armeekorps (17 000 Mann) zwischen Festubert und Neuve-Chapelle anzugreifen, um es gegen den La Bassée-Kanal zu drücken. Der hauptsächlichste Angriff sollte von der französischen X. Armee (d'Urbal) mit dem XXI. und XXXIII. Korps zu je drei Divisionen, dem XVII., IX., III. und XII. Korps und der 48., 53. und 55. Infanterie-Division ausgeführt werden, und zwar sollte der linke Flügel (IX. Korps) von Vermelles und Grenau gegen den rechten Flügel des XIV., dann mit dem linken Flügel aus der Linie Berthinval, Ecurie, Roclincourt, St. Laurent gegen die Bayern vorgehen. Etwa 170 000 Franzosen waren gegen 80 000 Deutsche eingesetzt. Erdrückend war die Überlegenheit der Gegner in der Luft und an Artillerie. Bereitgestellt wurden für die Angriffsvorbereitung 800 Feldgeschütze und 350 schwere Kanonen auf den Höhen von Bouvigny und St. Eloy, die die Flanken der Loretto-Höhe und die deutschen Stellungen von Angres, Ablain, St. Nazaire und Carency, die Mulden von Souchez und Givenchy sowie die Schlackenhalden von Lens beherrschten. Auf der 24 km breiten Angriffsfront sollen bereitgestellt gewesen sein: auf den Höhen von Bouvigny und Berthinval und bei La Targette die 58., 92. Infanterie-Division, XXI., XXIII. und Teile des X. Armeekorps; bei Ecurie und Roclincourt das IX. Armeekorps; südlich von Arras das XI. Armeekorps. Heeresreserven und Fremdenregimenter in den Geländesenken von Bouvigny und St.Eloy....

In einem Korpsbefehl hatte der kommandierende General des XXXIII. Korps, General Pétain, das Ziel des Angriffs angegeben:

      "Nach neunmonatiger Feldzugsdauer ist es an der Zeit, eine endgültige Anstrengung zu machen, die feindlichen Linien zu durchbrechen und zunächst als erstes die Deutschen von Frankreichs Boden zu verjagen. Der Augenblick ist günstig. Niemals war das Heer stärker, noch von größerem Mut beseelt. Der Feind scheint nur einige Divisionen vor unserer Front zu haben, unsere Kräfte sind viermal so stark als die seinigen. Wir verfügen über die stärkste Artillerie, die je auf einem Schlachtfeld verwendet worden ist. Es handelt sich heute nicht um einen Handstreich oder um die Wegnahme von einigen Schützengräben. Es handelt sich darum, den Feind mit äußerster Heftigkeit anzugreifen, ihn zu schlagen, mit beispielloser Hartnäckigkeit und Zähigkeit zu verfolgen, ohne Rücksicht auf Strapazen, Hunger, Durst und Leiden."

Der Angriff wurde, da schlechtes Wetter die Beobachtung des Artilleriefeuers erschwerte, vom 7. auf den 8., dann auf den 9. Mai verschoben. Am 7. setzte das Vorbereitungsfeuer der Artillerie ein, was schon deutlich die Angriffsstellen kennzeichnete; am 8. folgte ein Erkundungsstoß der Franzosen, denen es gelang, bei Lievin, östlich Lens, in einem deutschen Graben auf einige Stunden festen Fuß zu fassen. Beim I. bayerischen Reservekorps machten die Franzosen [271] Gebrauch von Geschossen mit übelriechenden, betäubenden Gasen; bei diesem Korps wurde am 8. der Einschlag von 17 000 Granaten und 1600 schweren Minenwürfen beobachtet. Erheblich geringer war die Artillerietätigkeit im englischen Abschnitt.


Der französische Angriff.

Anfang Mai schränkte ungünstiges Wetter die deutsche Luftaufklärung sehr ein, so daß der französische Eisenbahnverkehr hinter der Front nicht in seinen Einzelheiten festgestellt werden konnte. Sehr geschickt verheimlichten die Franzosen auch sonst ihre Verschiebungen. Patrouillen durften, um nichts durch Aussagen von Gefangenen zu verraten, die französischen Gräben nicht verlassen. Seit dem 1. Mai lag schweres Artilleriefeuer auf dem Abschnitt von der Loretto-Höhe nach Süden bis in die Gegend von Roclincourt. Schwer litten Gräben und Drahthindernisse, die wiederherzustellen die Besatzung bei dem ununterbrochenen Feuer trotz aller Aufopferung keine Möglichkeit fand. Südlich Carency sappierte der Feind sich auch näher heran. Zweifel über den bevorstehenden Angriff gewaltig überlegener Kräfte hatte die deutsche Führung nicht.

So brach der strahlend schöne, doch drückend heiße Sonntag des 9. Mai an. Planmäßig, aber wirkungslos weckten Bombenwürfe feindlicher Flieger einige höhere Kommandobehörden und das Personal aller wichtigen Bahnhöfe. Die Absicht, durch Zerstörungen Verwirrung in der Befehlsgebung zu erzielen und den Antransport von Verstärkungen zu vereiteln, war aber dem Feinde mißglückt.

Auf den Stellungen nördlich Arras, unter besonderer Berücksichtigung der bekannten Beobachtungsstellen und Annäherungswege, lag von 4 Uhr morgens ab schwerstes Feuer. Bald versagten die Drähte zu den vorgeschobenen Befehlsstellen, nur selten und lagsam kamen Meldegänger zurück. Daß der Feind seine Hindernisse wegräume, teilten sie mit. Von der Höhe von La Folie aus sah man, wie die deutschen Gräben in dichten Rauch gehüllt waren. Eine feindliche Granate nach der anderen fuhr in die schwarze Wolke, die sich bald haushoch türmte. Höher noch schleuderten Minenwürfe Erdschollen und Trümmer des weißen Kalkgesteins in die Luft.

Gegen 8 Uhr schwieg das Feuer auf einen Schlag. Rasch eilten die schon stark gelichteten Reste der Grabenbesatzung, niederrheinische Landwehr sowie bayerische Chevaulegers und bayerische Infanterie, an die Brustwehr, bereit, dem anstürmenden Feind Auge in Auge entgegenzutreten. Sofort schickten die vorne befindlichen Kommandeure zu den Unterstützungen, die in der zweiten Stellung lagen, den Befehl, vorzurücken. Die Artillerie legte starkes Sperrfeuer auf die französischen Gräben. Doch statt des Angriffs erfolgte ein neuer, noch heftigerer Feuerstoß der feindlichen Artillerie. An diesem Tage soll der Abschnitt von Carency 30 000 Schuß erhalten haben. Da - um 9 Uhr - sah die Artillerie von La Folie aus einer zufällig etwas rauchfreieren Stelle zwischen Carency [272] und dem Wäldchen südlich davon eine lange, dunkle Linie vorgehen. Sie erkannte, wie zwischen Carency und La Targette 17 Minen in die Luft gehen. Die Franzosen greifen an! Unter dem Schutze des Rauches drangen sie in Massen vor.

Im Abschnitt zunächst nördlich der Scarpe brachen sie im deutschen Feuer zusammen. Haufen von Toten und Verwundeten der französischen 19. Infanterie-Division und des XVII. Korps lagen vor den Drahthindernissen. 1600 feindliche Leichen zählte ein einziges der dortigen Regimenter vor seinem Abschnitt. Gegenüber Roclincourt drang ein kleiner Teil ein. Bayerische Bajonette warfen ihn hinaus.

Ein besonders schwerer Angriff richtete sich gegen die Stellung der 5. bayerischen Reserve-Division, rechts bei Carency angelehnt an die 28. Infanterie-Division, links südlich Neuville anschließend an die 6. bayerische Reserve-Division. Bei der 5. bayerischen Reserve-Division standen in erster Linie fünf Bataillone, die Batterien vielfach geschützweise verteilt. Carency wurde verteidigt von dem 1. Reserve-Jäger-Bataillon, dann noch von zwei badischen Kompagnien.

Neuville lag vor der Schlacht 500 m hinter der vordersten Linie, wurde aber bald Brennpunkt der Kämpfe.

Allzu mächtig aber war der Ansturm auf den durch Artilleriefeuer besonders beschädigten Abschnitt zwischen La Targette und Carency. Mit gewaltiger Überlegenheit überrannten hier das XX. und XXXIII. französische Korps und mitten zwischen ihnen die marokkanische Division die schwache Besatzung der zertrümmerten Gräben (I. Bataillon Landwehr-Regiment Nr. 39, III. Bataillon Reserve-Regiment 10 und 200 Kavalleristen des Reserve-Reiter-Regiments 5). Verzweifelt wehrten sich die wenigen Überlebenden.

Die zweite Stellung war entblößt. An den vorgeschobenen Geschützen nördlich Neuville und südlich Souchez brach sich die Brandung kurze Zeit, bis der letzte Kanonier zu Boden sank. Dann ging der Ansturm weiter. Die Franzosen drangen auf der Höhe von La Folie weiter vor. Carency und Neuville waren bald völlig eingeschlossen. Die Artilleriebeobachtungsstellen bei La Folie fielen in ihre Hand, schnell näherten sie sich dem Ostabfall des großen Höhenzuges. Und auch gegen Norden gewannen sie Boden. Von der Höhe stürmten sie hinab in das Dorf Souchez. Westlich davon drangen Zuaven und Fremdenlegionäre über den Carency-Bach, nahmen die Malon-Mühle, bedrohten die Loretto-Höhe von Süden und umschlossen auch von Osten das Dorf Carency, gegen das von Süden und Westen die 10. Infanterie-Division anstürmte.

Die von der ganzen Front beim Armee-Oberkommando eingehenden Meldungen ließen die Schwere des Angriffs erkennen, der sich zunächst gegen das XIV. Armeekorps und I. bayerische Reservekorps allein richtete. Bei dem VII. Armeekorps und dem anschließenden Korps war noch alles ruhig, so daß das XIX. Armeekorps sieben Batterien und das II. bayerische Armeekorps außer Artillerie auch noch einige Bataillone zur Verfügung stellen konnte.

[273] Das Armee-Oberkommando erbat von der Obersten Heeresleitung die 115. Infanterie-Division in Douai, die um 10 Uhr 50 Minuten, und die 58. Infanterie-Division in Roubaix, die um 1 Uhr 35 Minuten zur Verfügung gestellt wurden. Um 12 Uhr mittags schien es fast, als wenn bei Carency den Franzosen ein Durchbruch gelungen wäre. In einer Breite von 4 km und einer Tiefe von 3 km war das Gelände zwischen den Dörfern Neuville, Carency und Souchez in ihrer Hand. Auch südlich Neuville war der Feind in das Grabengewirr eingedrungen, das sein Bericht bezeichnenderweise "Labyrinth" nannte. Bis über die Straße, die im Hohlweg von Ecurie nach Norden führte, war der Feind gelangt.

Aber jetzt zeigte die deutsche Truppe, welch Geistes sie ist. Nördlich Ecurie machten die von Süden und Westen angegriffenen Söhne des Allgäus nun auch nach Norden Front und wehrten dem Feind in erbittertem Nahkampf das Vordringen gegen den Rücken des Regiments. Kein Mann dachte daran, die Stellung zu räumen. In Neuville warfen sich die Verteidiger in die Häuser und hielten die östliche Hälfte des Orts. In einem Garten stand ein Geschütz, dessen Bedienung gefallen war. Ein Pionierleutnant und zwei Pioniere feuerten damit auf nächste Entfernung in den Feind. Am Weg von Neuville nach La Folie bildete sich eine Schützenlinie, die den eingedrungenen Feind von Süden flankierte. Von Norden her lösten eine badische Batterie und ein bayerischer Haubitzzug, auf 600 m feuernd, glänzend diese Aufgabe, bis auch im Dorf schwache Unterstützungen, zuerst ein einziger Jägerzug, der Handvoll Verteidiger zu Hilfe kam. Von Ablain her verhinderten Badener das Vordringen des Feindes gegen Norden.

Gegen die Front des Durchbruchs aber warfen sich auf den Höhen westlich Givenchy und Vimy die Reserven des Abschnitts. Jeder Mann wußte, um was es sich handelte. Sah doch der hier befehligende Kommandeur der 5. bayerischen Reserve-Division von La Goulette aus schon französische Schützen auf dieser Höhe im Vorgehen. Wer nur Waffen hatte, schloß sich den Kompagnien an; Mannschaften der Kolonnen und Pferdewärter stürmten den steilen Osthang hinauf. Und der Angriff gelang. Auf den Höhen 119, 140 und an den Waldrändern südlich davon gebot die Artillerie und Infanterie den Eindringlingen halt, nachdem deren vorderste Abteilungen niedergemacht waren. 1 Uhr war vorbei, die Krisis hier überwunden und bis zum Abend änderte sich die Lage nicht.

Inzwischen aber tobte auch an anderer Stelle der Front der Kampf. Auf den nördlich anschließenden Teilen lag seit dem Morgen heftiges feindliches Artilleriefeuer. Die von Gräben, unzähligen Geschoßlöchern und Minentrichtern durchfurchte Loretto-Höhe bildete sein hauptsächliches Ziel. Dann folgte auch hier der Angriff. Auserlesene Jäger-Bataillone des französischen XXI. Korps führten ihn. Sie drangen in die Gräben ein. Trotz tapferer Gegenwehr mußte Infanterie-Regiment 111 die vorderste Stellung räumen, nur eine Kompagnie hielt sich dort noch, obgleich der Feind sie umringte.

[274] Auch weiter nördlich in der Gegend von Loos gelangte ein Angriff in die deutsche Linie. Wieder wurde hier ein neues französisches Korps, das IX., festgestellt.

Überall auf diesem Teil des Schlachtfeldes gelangte der Feind nicht über die erste Stellung hinaus. Seine Erfolge blieben daher weit hinter dem erstrebten Ziele zurück. Ablain-St. Nazaire, die Höhe 125 und Carency wurden gehalten. Fortschritte vermochte der Feind nur an den Osthängen der Loretto-Höhe, am rechten Ufer des Carency-Baches zu erreichen. In Souchez war es zu erbitterten Kämpfen gekommen, da Franzosen, in einem Verteidigungsgraben vordringend, den Weg in das Dorf gefunden hatten. General Urbal meldete schwere Verluste, nur nach Einsatz starker Reserven sei noch an Weiterführung des Durchbruchs zu denken.

Am meisten Fortschritte hatten die Franzosen südlich Souchez gemacht, hier mußten die Reserven eingesetzt werden. Die Sonne des Schlachttages senkte sich zum Untergang. Französische Reserven wurden jetzt zum entscheidenden letzten Stoß vorgeführt, gegen Neuville, Höhe 123, Carency, Ablain-St. Nazaire. Die Verbindung von Carency und Ablain nach Osten war unterbrochen. Von Süden aus wurde Souchez bestürmt, die Malon-Mühle bei Carency genommen, der Westteil von Ablain-St. Nazaire wurde von den Franzosen erobert, dann aber im Gegenstoß von einem Bataillon des Infanterie-Regiments 106 (58. Infanterie-Division) der Kirchhof und das Cabaret rouge südlich Souchez von den Deutschen wieder genommen. Überall hielten die deutschen Verteidiger zähe aus, sie wichen schließlich nur der Übermacht. Auch der Angriff des IX. französischen Korps an der Straße Vermelles - Loos konnte über das schon am Vormittag erreichte Ziel in den ersten deutschen Gräben nicht weiter vorwärts kommen. - Auch die englischen Divisionen wurden zurückgeschlagen. So erhielt General Foch von allen Seiten nur unbefriedigende Nachrichten; er war jedoch fest entschlossen, in den nächsten Tagen den Einbruch zum Durchbruch zu erweitern. Aber schwere Aufgaben harrten seiner Truppen, den Widerstand der noch aushaltenden Ortsbesatzungen zu brechen und dann die Höhe von Vimy zu nehmen. In der Nacht sollte heftiges Artilleriefeuer gegen die von den deutschen Truppen noch gehaltenen Stäben und Stützpunkte gerichtet werden. Es war nicht leicht, da die Linien keineswegs einen gradlinigen Verlauf hatten. So wurde die Mitte von Souchez noch von deutschen Truppen gehalten; dann bog die Linie scharf nach Osten zu den Höhepunkten 119 und 140 zurück, sprang dann wieder bis zur Mitte von Neuville vor. La Targette war in französischer Hand, während südlich Targette deutsche Truppen noch weiter aushielten.

Das deutsche Armee-Oberkommando 6 sah seine Lage am Abend des ersten Schlachttages nicht ungünstig an. Trotz vielfacher Überlegenheit des Feindes war die Stellung bis auf geringe Einbuße gehalten. Gegen das XIV. Armeekorps waren dreieinhalb französische Armeekorps angerannt, das I. bayerische [275] Reservekorps hatte sich noch größerer Überlegenheit zu erwehren gewußt. Mit Recht glaubte das Armee-Oberkommando, daß die Kämpfe tagelang dauern könnten, verbrauchte seine Reserven nur bataillonsweise und begrüßte dankbar, daß von der Obersten Heeresleitung jetzt auch die 117. Infanterie-Division aus der Gegend von Reims nach Douai vorgeführt wurde.


Die englischen Angriffe.27

Die erste englische Armee (Sir Douglas Haig) stand noch unter dem Eindruck der Winterkämpfe; sie hatte aus den Kämpfen von Ypern die Überzeugung mitgebracht, daß ihre Geschütz- und Munitionsausrüstung noch nicht den Forderungen einer neuzeitlichen Schlacht genüge. Der Armee war ein großes Ziel gesteckt: "Durchbruch der deutschen Linien bis zur Straße La Bassée - Fournes, um dann in Richtung auf Don weiterzustoßen", d. h. in der allgemeine Richtung auf Douai.

Im Norden wurde das IV. Korps bereitgestellt, von dem die 8. Infanterie-Division, die Brigaden in schmaler Front hintereinander, bei Rouges Bancs vor Fromelles die Stellung des II. bayerischen Armeekorps in Richtung auf Lille durchstoßen sollte. Der Angriff nach nur kurzer Artillerievorbereitung von 40 Minuten scheiterte unter blutigen Verlusten. Die vordere Brigade verlor von 3200 Mann 70 Offiziere 1492 Mann. Fast alle Bataillonsführer waren in vorderster Linie gefallen. Nicht weniger als 143 tote englische Offiziere der drei Brigaden wurden später gezählt, diese Zahl blieb nur unerheblich hinter der Zahl der deutschen gefallenen Mannschaften zurück. Wie erbittert die Kämpfe waren, zeigt, daß nur 140 Gefangene gemacht und sieben Maschinengewehre erbeutet wurden, während 1500 englische Leichen hinter der deutschen Front begraben wurden.

Der gegen den Abschnitt von Givenchy (südwestlich Festubert) und Neuve-Chapelle (gegen VII. Korps und rechts gegen die 6. bayerische Infanterie-Division) mit den aus früheren Kämpfen stark gelichteten indischen Korps und der rechts anschließenden 1. Infanterie-Division gerichtete Angriff hatte bei der geringen Wirksamkeit der Artillerievorbereitung keinen Erfolg. Ebensowenig in den Abendstunden wiederholte Angriffe, sie erhöhten nur die Verluste. Namentlich war es das Feuer in der Flanke herausgeschobener deutscher Maschinengewehre gewesen, die auf die dichten Angriffswellen eine vernichtende Wirkung hatten. Der 9. Mai war für die englische Infanterie ein ganz besonderer Ehrentag, wenn ihm auch keine Erfolge beschieden waren; sie zeigte eine Unempfindlichkeit gegen Verluste, wie in dem Halbinselkriege und in der Krim, während man ihr im Burenkriege Verlustscheu vorgeworfen hatte. Hier war sie noch dazu auf einen besonders tüchtigen, taktisch auf der Höhe stehenden Gegner gestoßen.


[276] Die Fortführung der Angriffe.

Der 9. Mai hatte mit einem vollen englischen Mißerfolg, bei den Franzosen nur mit geringem örtlichen Erfolg geendet, deren wichtigster die Einnahme der Loretto-Höhe war. General Foch hatte nur an einer einzigen Stelle angegriffen, und das gab die Möglichkeit, von anderen Stellen der deutschen Front, sogar aus dem noch im Kampf stehenden Ypern-Bogen, Verstärkungen herauszuziehen. Foch entschoß sich zum Weiterführen des Angriffs; seine Angriffe am 10. stießen mit deutschen Gegenangriffen der von allen Seiten herangeführten Verstärkungen zusammen. Von Loos hatte ein Gegenstoß des badischen Infanterie-Regiments 114 gegen Flanke und Rücken der Franzosen gleicher Regimentsnummer Erfolg. 700 Gefangene und sechs Maschinengewehre wurden erbeutet.

Ablain (28. Infanterie-Division) und Carency, von Teilen der 28. Infanterie-Division und 5. bayerischen Reserve-Division verteidigt, wurden vollständig eingeschlossen, Infanterie-Regiment 111 mußte durch Reserven abgelöst werden. Im Lauf der Kämpfe waren die Franzosen beim XIV. Armeekorps eingedrungen, wurden aber durch schnellen Gegenstoß wieder herausgeworfen. Beim I. bayerischen Reservekorps tobte ein besonders heftiger Kampf um Neuville, ein deutscher Abendangriff kam nicht vorwärts, so daß das Generalkommando die Lage recht ernst ansah, aber schon konnte die Artillerie um zehn schwere Batterien verstärkt werden, so daß die Möglichkeit eines Durchbruchs ausgeschlossen erschien.

Am 11. gingen die Kämpfe weiter. Der sächsischen 58. Infanterie-Division gelang es, auf dem Hang der Loretto-Höhe Fortschritte zu machen und die seit dem 9. eingeschlossene Kompagnie der 111er zu befreien; weitere Angriffe waren nicht möglich. Beim XIV. Armeekorps wurden alle Reserven eingesetzt, das Korps erhielt das Reserve-Infanterie-Regiment 22 von der 117. Infanterie-Division. Auch beim bayerischen Reservekorps vermochten die französischen Angriffe, die hauptsächlich gegen Neuville gerichtet wurden, nichts zu erreichen.

In den späten Abendstunden setzte ein großer französischer Angriff gegen Souchez, Höhe 140, ein, der noch am 11. bis Loos, am 12. bis Lens weitergeführt werden sollte. Nach heftiger Beschießung durch Artillerie griffen die 17. französische Infanterie-Division und Teile der 58. zwischen der Straße Hulluch - Vermelles und Lens - Béthune in breiter Front an; den vordersten Wellen folgten dichte Kolonnen. Vor den Hindernissen brachen sie im Feuer der deutschen Geschütze und Gewehre zusammen. Noch einmal erneuerten frische Truppen in gleicher Form den Versuch, aber nur, um ebenso zu scheitern. Gefangene des IX. französischen Korps, die später gemacht wurden, gaben an, daß die 17. Infanterie-Division an diesem Tage 6000 Mann habe liegen lassen.

Auch auf der Loretto-Höhe setzte das XXI. französischer Korps zum Angriff an. Er brach zusammen. Am gewaltigsten tobte jedoch die Schlacht am 11. Mai [277] nachmittags südlich von Carency. Zwischen diesem Dorf und der Scarpe einheitlich vorzubrechen, war die Absicht des Feindes. Schwerstes Artilleriefeuer aus allen Geschützen leitete sie ein. Doch durch die Wand von Rauch und Feuer hindurch sah die deutsche Artillerie aus dem Wäldchen südlich Carency und aus den Trümmern von La Targette die Massen vorbrechen. Unter den Garben der Schrapnells zerstob die 77. Infanterie-Division und was von der marokkanischen Division noch mit angriff. Was hier Kanone und Haubitze leisteten, das fiel von Roclincourt nach Süden dem Gewehr zu. Obgleich hier das XVII. und X. Korps in dichten Linien bis an die durch das französische Artilleriefeuer stark zerstörten Hindernisse herankamen, obgleich die bayerische Grabenbesatzung durch die Beschießung stark gelitten hatte, sanken die stürmenden Regimenter vor der deutschen Linie niedergemäht zu Boden, ohne irgendwo einzudringen.

Einzig und allein bei und südlich Neuville, wo man schon in engster Gefechtsberührung stand, kam es zu Nahkämpfen. Sechs französische Minenwerfer feuerten in diesem Orte schon seit dem Morgen des 11. Mai auf die von den Deutschen besetzten Häusergruppen.

Der Tag ging zu Ende. Wenn auch die Überzeugung, daß die Gefahr beseitigt sei und der kommandierende General glaubte, weiter halten zu können, so machten die feindliche Überlegenheit an Geschützen und die eigenen Verluste es unmöglich, die Entscheidung selbst durch einen Angriff herbeizuführen. Beim XIV. Armeekorps sollten die vor der ausgesprochenen Kampflinie noch immer behaupteten Abschnitte weitergehalten werden, sie waren für alle neuen französischen Angriffe die Eisbrecher. Am Abend ging beim Armee-Oberkommando 6 die Mitteilung ein, daß das Generalkommando des VIII. Armeekorps und die 16. Infanterie-Division und eine Brigade der 15. Infanterie-Division im Anrollen nach Douai seien. Das Armee-Oberkommando erbat, die Truppenzüge in Richtung auf Lens nach Lietard und Billy Montigny weiterzuführen.

Am Morgen des 12. Mai meldete das I. bayerische Reservekorps erneute feindliche Angriffe gegen Neuville, dann folgte um 3 Uhr vormittags Meldung, daß bei Neuville ein Durchbruch drohe, der die eigene Artillerie gefährde. Um 8 Uhr waren aber alle Angriffe abgewiesen, so daß das Generalkommando befahl, bei Carency auszuharren und die am 11. verlorene gegangene Malon-Mühle wiederzunehmen. Auch beim XIV. Armeekorps besserte sich sichtlich die Lage, so daß zwei Bataillone Reserve-Infanterie-Regiments 22 zurückgenommen werden konnten, um mit einer Artillerieabteilung der 117. Infanterie-Division die - einzige - Armeereserve zu bilden. In den ersten Nachmittagsstunden wurde vor dem XIV. und I. Reservekorps das Losbrechen eines feindlichen Angriffs verhindert; nur bei Carency erfolgte zweimal ein Angriff, aber die deutsche Stellung wurde gehalten; ebenso war es auch bei Neuville, wo die umstellte [278] Besatzung sich bis zum 12. Mai hielt und erst die Waffen streckte, als jede Hoffnung geschwunden war. Ursprünglich waren im Orte nur zwei Kompagnien, die im Laufe des 11. durch Teile von drei Bataillonen und zwei Regimentern verstärkt wurden. Am 10. war der Franzose in das Dorf eingedrungen. In hartnäckigem Gegenangriff wurde er wieder zurückgedrängt, so daß am Abend nur mehr das Westende der Ortschaft mit der dort eingebauten 3. Batterie bayerischer Reserve-Feldartillerie-Regiments 5 in seiner Hand war. Die übrigen in Neuville eingebauten fünf Geschütze konnten gerettet werden.

An dieser Lage änderte sich trotz zahlreicher weiterer Angriffe der Franzosen infolge hartnäckiger Gegenstöße der Verteidiger nichts Wesentliches mehr, bis die 5. bayerische Reserve-Division in der Nacht vom 15. zum 16. Mai aus der Stellung herausgezogen wurde. Auch dann wurde der Kampf von der Ablösung weitergeführt. Auch ein Angriff der Bayern, um den vom Feinde genommenen Friedhof südlich Souchez am Cabaret Rouge wiederzunehmen, hatte trotz glücklichen Beginnens keinen dauernden Erfolg. Einem allseitigen Angriff fiel nun endlich Carency zum Opfer, dann die Malon-Mühle. - Der Befehlshaber in Ablain entschloß sich, den Westteil des Ortes zu räumen, um noch die Verbindung mit der Loretto-Stellung, den Barrikaden-Weg, zu halten. Auf der Höhe waren endlich die Trümmer der Loretto-Kapelle in französische Hand gefallen, aber der Kampf ging unentwegt weiter. Erst am 21. Mai konnte der Barrikaden-Weg von den Franzosen genommen werden. Für alle Fälle aber wurde durch von den Nachbararmeen herangezogenen Pionier-Kompagnien eine neue Stellung ausgehoben.

Von der Obersten Heeresleitung ging die Weisung ein, zur Wiedernahme des verlorenen Geländes den Befehl "einem mit den lokalen Verhältnissen genau vertrauten General, der Glauben an Erfolg und Interesse an der Sache hat, z. B. den kommandierenden General des VII. Armeekorps, zu übertragen". Da dieser aber an der entscheidenden Stelle, d. h. bei Souchez die Verhältnisse gar nicht kannte, so bestimmte das Armee-Oberkommando zur Befehlsübernahme dieser Angriffsgruppe den kommandierenden General des I. bayerischen Reservekorps, den General der Infanterie v. Fasbender, dem am 13. mittags der Befehl über das XIV. Armeekorps, I. bayerische Reservekorps und über das Generalkommando des VIII. Armeekorps übertragen wurde.

Von der Obersten Heeresleitung war, ohne das Armee-Oberkommando in Kenntnis zu setzen, mit dieser Aufgabe betraut: General der Infanterie v. Lochow (kommandierender General III. Armeekorps), zu dem sich auch ein Nachrichtenoffizier der Obersten Heeresleitung begab. So zweckmäßig an sich auch die Unterstellung mehrerer Einheiten mit gleicher Kampfaufgabe unter einem Befehl war, so war diese Lösung wegen der Unklarheit der Befehlsverhältnisse nicht zweckmäßig. General v. Lochow kannte auch das Kampfgelände [279] nicht.28 Es war dieses die Quelle recht überflüssiger Reibungen. Als dann das Armee-Oberkommando weitere Verstärkungen beantragte, lehnte dieses die Oberste Heeresleitung ab. Die Form dieser Ablehnung "erregte beim Armee-Oberkommando Mißstimmung, zumal verlangt wurde, daß das Armee-Oberkommando den General v. Lochow über den weiteren Bedarf an Verstärkungen hören solle". (Kriegstagebuch des Armee-Oberkommandos.)29

Der 13. Mai begann unter Regenschauern. Es hätte für die Franzosen nahe gelegen, ihren Erfolg vom Nachmittag des 12. auf der Loretto-Höhe und bei Carency durch einen Nachstoß weiter auszunutzen. Von den deutschen Truppen war die 28. Infanterie-Division sehr stark mitgenommen, etwas weniger die 29. Infanterie-Division; die 5. bayerische Reserve-Division war völlig verbraucht, auch die 115. und 1. bayerische Reserve-Division hatten stark gelitten. Verstärkungen der Nachbararmee sollten nach Pont à Vendin und Vitry en Artois geführt werden, wo sie dem General v. Fasbender unterstellt wurden. Es waren in Pont à Vendin die 85. Reserve-Infanterie-Brigade der 4. Armee mit sieben Bataillonen bestimmt für das XIV. Armeekorps, dann in Vitry en Artois von der 2. Armee die 52. Infanterie-Brigade (6, 1, 3) für das I. bayerische Reservekorps. Auch die 16. Infanterie-Division und eine Brigade der 15. Infanterie-Division wurden dem General v. Fasbender nach Eintreffen in Douai unterstellt. Am Mittag wurde das Armee-Oberkommando benachrichtigt, daß eine Division (2. Garde-Reserve-Division) des X. Reservekorps aus dem Elsaß nach Douai im Anrollen sei.

Der Feind hatte am Vormittag des 13. keine weiteren Angriffe mehr unternommen; das französische III. Armeekorps war noch im Anmarsch. Erst am Nachmittag fand ein erfolgloser Angriff von der Loretto-Höhe und von Carency gegen Souchez statt. Der Vormittag des 14. verlief ebenfalls ruhig, so daß die deutschen Truppen Atem schöpfen konnten; so konnte am Nachmittag ein französischer Angriff nach geringen Anfangserfolgen an der Straße Souchez - Aix Noulette wiederum abgewiesen werden. Nach Anordnung des Generals v. Fasbender sollte das eintreffende VIII. Armeekorps die Stellung auf den Höhen südlich Souchez bis südöstlich Neuville übernehmen. Die 2. Garde-Reserve-Division (X. Reservekorps) wurde dem VII. Armeekorps zugeteilt, vor dessen Front Beobachtungen auf eine baldige Wiederholung feindlicher Angriffe hinwiesen; auch dem XIX. Armeekorps wurden zwei Bataillone und zwei schwere Feld-Haubitz-Batterien überwiesen; weiter von der noch im Kampf stehenden 4. Armee die 38. Landwehr-Brigade (v. Kotze) zur Verfügung gestellt [280] und nach Seclin befördert. Abendliche Angriffe des Feindes gegen die Front des XIV. Armeekorps und I. bayerischen Reservekorps konnten abgewiesen werden. In der Nacht zum 16. konnte das VIII. Armeekorps seinen Abschnitt von Souchez bis südöstlich Neuville übernehmen und abgekämpfte Truppen herausziehen lassen. Kurz vor Mitternacht fand auf der Front des VII. Armeekorps ein englischer Nachtangriff großen Stils statt.


Kräfteverteilung am 16. Mai früh.

Auf dem rechten Flügel das nicht ernstlich angegriffene XIX. Armeekorps, dann folgen die 6. bayerische Reserve-Division, Teile der 13., 2. Garde-Reserve-Division, Teile der 14. Infanterie-Division unter dem Befehl des kommandierende Generals VII. Armeekorps bis zur Linie Cambrai - Haisnes.

Dann das XIV. Armeekorps mit der 29. und 117. Infanterie-Division, das VIII. Armeekorps, 16., 58. und 15. Infanterie-Division von Souchez bis südöstlich Neuville, dann das I. bayerische Reservekorps (gemischte 52. Reserve-Infanterie-Brigade um Thelus - östlich Neuville), 1. bayerische Reserve-Division bis in die Gegend von Gavrelle (an der Straße Douai - Arras), daran anschließend das IV. Armeekorps.

In Reserve befanden sich in Lille die 122., in Douai die 111. Infanterie-Division. Östlich La Bassée Teile der 13. und 14. Infanterie-Division. Zur Auffrischung zurückgenommen um Lens die 117., um Arras die 115. und um Sailly, südwestlich Douai, die 5. bayerische Reserve-Division.


Der englische Angriff in der Nacht vom 16./17. Mai.

Den englischen Divisionen konnten nach ihrem Mißerfolg am 9. Mai nur einige Tage zur Umgruppierung und Ruhe gewährt werden. Die schlachterprobte 7. Infanterie-Division wurde nach dem rechten Flügel genommen, die 1. durch die 2. abgelöst; die stark in den Ypern-Kämpfen mitgenommene 2. Kanadische Division bildete die Reserve. Verstärktes Artilleriefeuer hatte den Verteidiger vorbereitet und ihn veranlaßt, Verstärkungen heranzuziehen, auch war es der aufmerksamen deutschen Artillerie möglich gewesen, Truppenansammlungen zu beschießen. Um 11 Uhr 30 Minuten abends (englische Zeit) trat gleichzeitig eine indische und die 2. Infanterie-Division an. Die Inder wurden frühzeitig entdeckt und aufgehalten; sie schienen nur die Aufmerksamkeit von der 2. Infanterie-Division ablenken zu sollen. Diese hielt eine Brigade in Reserve und hatte sich mit sechseinhalb Bataillonen im ersten Treffen in etwa 1000 m Frontbreite in vier Wellen vor dem ersten englischen Graben hingelegt, während dreieinhalb Bataillone zur Unterstützung folgten. Vier Stunden später sollten von Festubert die 7. Infanterie-Division mit je vier Bataillonen im ersten und zweiten Treffen antreten. Durch zwei nebeneinander erfolgende Angriffe hoffte man, wenigstens mit einem Angriff einbrechen zu können, erwartete, daß [281] der zunächst noch nicht angegriffene Teil sich verleiten lassen würde, die Besatzung seiner Stellung zu schwächen und dem angegriffenen Nachbar zur Hilfe zu kommen. Der englische Hauptangriff wurde frühzeitig erkannt und beleuchtet, das linke Bataillon durch ein nicht zerstörtes Drahthindernis aufgehalten; der Mitte gelang es, an zwei Stellen südlich Neuve Chapelle bei den Flügelbataillonen Infanterie-Regiments 57 einzubrechen und bis zum zweiten Graben durchzustoßen und sich zu behaupten, obwohl deutsche Artillerie durch Sperrfeuer jeden Nachschub verhinderte. Ein Gegenstoß der Korpsreserve hatte keinen Erfolg. Im andauernden Grabenkampf gelang es, die beiden Einbruchsstellen auf 600 und auf 1000 m zu erweitern. Schließlich mußte auch das mittlere Bataillon der 57er zurückgenommen werden, so daß eine Lücke von 3 km gerissen wurde. Das Infanterie-Regiment 57 hatte sich, wie auch vom Feinde anerkannt, vorzüglich geschlagen, aber sehr schwere Verluste erlitten. Auch der Angriff der 7. englischen Infanterie-Division war frühzeitig erkannt und zusammengebrochen; am 17. mußten die beiden englischen Divisionen abgelöst werden. Die nächsten Tage brachten nur noch Grabenkämpfe. Auch der Angriff der 47. Infanterie-Division am 24. und 25. Mai hatte keinen Erfolg. So entschloß sich Marschall French, die Angriffe einzustellen; als Erfolg war ein Einbruch von 600 m Tiefe auf einer Strecke von 5 km zu verzeichnen. Auf deutscher Seite hatte man kein Interesse an Weiterführung der Gegenangriffe.


Das Ende der Schlacht auf französischer Seite.

Auf der Loretto-Höhe hielten deutsche Truppen noch immer einen Graben östlich der Kapelle und von diesem Punkte einerseits nach der Kirche von Ablain, den "Barrikaden-Weg" anderseits in 900 m Ausdehnung in beinahe nördlicher Richtung durch die Mulde, dem Fond du Buval, zur großen Straße Béthune - Souchez. In die Vorbereitungen der Angriffsgruppe Lochow für einen Gegenangriff zur Wegnahme der französischen Gräben an der Wallfahrts-Kapelle fiel ein französischer Angriff am Nachmittage des 16. südlich der Loretto-Höhe, der restlos abgewiesen wurde. General v. Lochow beabsichtigte, die Loretto-Höhe so stark unter Feuer zu nehmen, daß die Widerstandskraft des Feindes gebrochen wurde, mittlerweile sich näher an die Höhe heranzuschieben, dann den Angriff über Ablain - Carency weiterzuführen. Längere Ruhe der Angriffstruppen wurde indessen für erforderlich gehalten. Der Angriff Lochows, am 19. begonnen, mißglückte, da die Oberste Heeresleitung mit Rücksicht auf den Munitionsmangel äußerste Sparsamkeit empfahl, da ferner auf der Linie Vermelles - Arras 16, zum Teil sehr starke französische Divisionen standen, denen nur neun entgegengesetzt werden konnten, die fast alle schon schwer gelitten hatten; so entschied das Armee-Oberkommando für ein Festhalten des bislang Gewonnenen.

Die Kriegslage der österreichisch-ungarischen Verbündeten gegen den neuen [282] Gegner Italien machte Neubildungen für ein "Alpenkorps" erforderlich, zu dessen Führer der bisherige Armeechef, General Krafft v. Dellmensingen30 ernannt wurde. Zwei preußische und zwei bayerische Jäger-Bataillone wurden zur Neubildung nach dem Lechfeld abbefördert, dann aus neugebildeten 13. und 14. Kompagnien beim IV. und XIX. Armeekorps je ein neues Regiment formiert. Vom 9. bis zum 20. Mai hatten die deutschen Truppen, allerdings unter erheblichen Verlusten, die auf 30 000 Mann geschätzt wurden,31 einer gewaltigen Überlegenheit standgehalten.

In den letzten Maitagen und im Juni kam es noch zu Kämpfen, die im wesentlichen von den Franzosen unternommen wurden, um einzelne noch gehaltene Stellungen zu gewinnen. Die französischen Angriffe forderten deutsche Gegenstöße heraus. Gekämpft wurde in der Gegend von Angres um den deutschen Graben im Fond du Buval; am 22. wurde auch der Barrikaden-Weg genommen, am 29. Mai sollte auch endlich das zäh behauptete Ablain verlorengehen. Blutige Kämpfe entbrannten um die Malon-Mühle und die Zuckerfabrik von Souchez. Besonders erbitterte Kämpfe spielten sich seit dem 30. Mai um die von den Franzosen als Labyrinth bezeichneten Gräben südöstlich Neuville ab. Im Labyrinth standen noch dieselben Truppen, die dort am 9. Mai gekämpft hatten. Auch sie hatten nur noch eine einzige, bei Tag nicht gangbare Verbindung nach rückwärts. Wie es bei Neuville stand, ahnten sie nicht. Sie sahen dort nur Rauchschwaden und Flammen. Ob Deutsche das Dorf besaßen oder der Feind, war ihnen nicht bekannt; ob sie im Osten schon abgeschnitten waren, sie wußten es nicht. Von allen Seiten hagelten Granaten, Minen, Infanteriegeschosse in die Trümmer. Von drei Seiten mit starker Überlegenheit angegriffen, konnten sie doch noch aushalten. Erst am 15. Juni wurde das Werk den 161ern nach langer zäher Verteidigung entrissen. Das Dorf Neuville wurde im blutigen schrittweisen Ringen endlich kurz vor Mitternacht des 8. Juni endgültig erobert. Der lange Kampf war dadurch ermöglicht, daß der Boden, auf dem die Häuser standen, durchzogen war von Kellern und Höhlen. "Als Unterstände ausgebaut, boten sie selbst gegen schwere Beschießung sicheren Schutz. Deutsche wie Franzosen nutzten dies aus, so konnte man wochenlang ausharren gegenüber einem Feinde, den nur eine schmale Straße von den Mauerresten trennte, die die eigene Stellung bildeten."

Die Frühjahrsschlacht im Artois war beendet; feindliche Überlegenheit hatte nicht vermocht, die Widerstandkraft der deutschen Verteidigung zu brechen. Obwohl die Führung rechtzeitig Kunde von den bevorstehenden Angriffen erhielt, so war es doch nicht gelungen, ausreichende Reserven an Truppen [283] und Schießbedarf hinter der Front bereitzuhalten. Anfangserfolge des Feindes waren daher nicht ausgeschlossen; der Angreifer vermochte aber nicht seine Angriffsbewegung in Fluß zu erhalten und damit seine Erfolge auszunutzen. Jedenfalls haben die Engländer und Franzosen diesen toten Punkt eines jeden Angriffs nicht schnell genug überwinden können. Auch hierin lag die Ursache für die tagelangen Kämpfe im Stellungskriege. Das Armee-Oberkommando 4 mußte trotz der kameradschaftlichen Aushilfe der Nachbararmee, und obwohl man rechtzeitig von dem Drohen eines Angriffs wußte, mit unzureichenden Mitteln die Schlacht durchkämpfen. Deutschland hatte - darauf muß immer wieder hingewiesen werden - im Frieden nicht die Wehrkraft des Volkes voll herangezogen und auch nicht verstanden, die Arbeitsleistung des Volkes für den Munitionsersatz auszunutzen. So fehlte es auch jetzt noch an Reserven; es fehlte noch immer an Munition; zu spät eintreffende Reserven wurden mehrfach überhastet eingesetzt und zerschellten im Feuer der schnell geordneten Eindringlinge in den eroberten deutschen Stellungen.


23 [1/267]Vgl. hierzu als Anhalt Skizze 13 (Anlage 2), Herbstschlacht im Artois. Die deutschen Stellungen sind im allgemeinen die gleichen, wie dort eingetragen, die Truppenverteilung ist verschieden. ...zurück...

24 [1/268]Siehe Teil I Seite 416 und 445. ...zurück...

25 [1/29]Berichte aus dem Großen Hauptquartier. ...zurück...


26 [2/269:]Korps-Gefechtsstärken:
IV.
Armee-
korps
 I. bayerisches
Reserve-
korps 
XIV.
 Armee- 
korps
VII.
 Armee- 
korps
 6. bayerische 
Infanterie-
Division
XIX.
 (sächsisches) 
Armee-
korps
II.
bayerisches
Armee-
korps
Offiziere 415 484 462 328 166 461 418
Mannschaften 19 257          26 321 24 337  17 203        7 426     22 114   22 224
Zahl d. Bataillone  18 23 24 19 12 20 18
Frontbreite     km 20 14 18 14   7 17 12
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27 [1/275]Die Engländer bezeichnen die Kämpfe als Schlacht von Festubert und Roclincourt. ...zurück...

28 [1/279]Der Oberbefehlshaber meldete, "daß er den General v. Lochow befragen würde, wenn er es für gut befände". ...zurück...

29 [2/279]Erst am 29. Juni wurde die Angriffsgruppe Lochow aufgelöst, nachdem der kommandierende General des VI. Armeekorps (v. Pritzelwitz) Bedenken hatte, sich einem jüngeren General unterzuordnen. ...zurück...

30 [1/282]Nachfolger: Oberst Graf v. Lambsdorff, bisher Chef des Stabes des X. Armeekorps. ...zurück...

31 [2/282]Es hatten verloren: VII. Armeekorps 8 Offiziere und etwa 4700 Mann, das XIV. Armeekorps ohne 28. Infanterie-Division etwa 4700 Mann, die 115. Infanterie-Division etwa 1280 Mann, das VIII. Armeekorps mit der 58. Infanterie-Division rund 4100 Mann. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte