SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915

Kapitel 4: Der Feldzug im Westen
bis Mitte September 1914
  (Forts.)

Oberstleutnant Paul Krall

3. Die Schlachten und Verfolgungskämpfe
in der zweiten Hälfte des August 1914.
  (Forts.)

Kämpfe und Bewegungen bei den deutschen Armeen.   (Forts.)

3. Armee. Vormarsch gegen die Maas. Schlacht bei Dinant und Vormarsch bis zur Aisne.

Die 3. Armee - unter dem Generalobersten Freiherrn v. Hausen - trat am 18. August aus ihrem Aufmarschraum St. Vith - Clerf nach rückwärts bis zur Mosel mit dem XI., XII. und XIX. Armeekorps in erster, dem XII. Reservekorps in zweiter Linie den Vormarsch gegen den Maasabschnitt Namur - Givet an. Vor der Front klärte seit den ersten Augusttagen der Höhere Kavalleriekommandeur 1 (Garde-Kavallerie-Division und 5. Kavallerie-Division) auf.

General v. Richthofen setzte seine Divisionen zu rücksichtslosem Angriff ein und erreichte eine ziemlich genaue Klärung der Lage beim Gegner, der mit zwei Kavallerie-Divisionen vor dem linken Flügel der 3. und dem rechten Flügel der 4. Armee auftrat, mit etwa einem Armeekorps den Maasabschnitt von Namur südwärts besetzt hielt und mit einem weiteren Armeekorps in diesen Raum von Süden her in Anmarsch war. Nachdem der schnelle Fall von Lüttich den Generalissimus Joffre der Hoffnung beraubt hatte, den deutschen rechten Heeresflügel so lange aufzuhalten, bis der große französische Durchbruch durch Luxemburg zur Auswirkung kommen würde, mußte mit starkem Widerstand der Franzosen und Belgier an der Maas von Charleville bis Namur und an der Sambre [180] gerechnet werden. Namur - als Eckpfeiler dieser Aufstellung - mußte ferner für die feindliche Heeresleitung als Bindeglied mit den bei Antwerpen stehenden Hauptteilen der belgischen Armee und den (wie man deutscherseits annahm) in den Raum Namur - Antwerpen vormarschierenden Engländern von größtem Wert sein.

In der Weisung der Obersten Heeresleitung für den 18. August war dieser Auffassung Rechnung getragen; dem rechten Flügel der 3. Armee war die Südostfront von Namur als Ziel gegeben, das rechte Flügelkorps (XI.) wurde für den Angriff auf die Festung der 2. Armee unterstellt, der 3. Armee im übrigen der Schutz dieses Angriffs durch Vorgehen gegen den Maasabschnitt Namur - Givet übertragen worden. Der linke Armeeflügel sollte enge Verbindung mit dem rechten Flügel der 4. Armee halten.

Am 20. August traf das XI. Armeekorps vor der Südostfront Namurs ein, gleichzeitig rückte das XII. Reservekorps rechts neben das XII. Armeekorps in die vordere Linie. Die Anfänge der drei Korps: XII. Reserve-, XII. und XIX. Armeekorps erreichten an diesem Tage die Linie Spontin - Celles - Ciergnon (östlich Dinant). Der Höhere Kavalleriekommandeur 1 wurde unter den Befehl des Armeeoberkommandos 2 gestellt und marschierte, östlich um Namur ausholend, in sein neues Wirkungsgebiet ab. Von großem Wert waren die letzten Meldungen der Kavallerie, daß die Gegend südlich Givet vom Feinde frei sei, daß sich also zwischen Givet und Bouillon, den inneren Flügeln der der 3. und 4. Armee gegenüberstehenden feindlichen Heeresteile, ein nicht unbeträchtlicher leerer Raum befände.

Die am 20. August eintreffende Weisung der Obersten Heeresleitung: "den Angriff der 2. Armee gegen die untere Sambre mit dem Maasangriff der 3. Armee in Übereinstimmung zu bringen, muß den Vereinbarungen beider Armeeoberkommandos überlassen bleiben", und zugleich den Anschluß zwischen der 3. und 4. Armee aufrechtzuerhalten, stellte die Armeeoberkommandos 2 und 3 vor eine überaus schwierige Aufgabe. Jedes Armeeoberkommando beurteilte naturgemäß die Verhältnisse unter dem Einfluß des ihm direkt gegenüberstehenden Gegners; die beiderseitigen Ansichten ließen sich, da eine völlige Klärung der Dinge nicht erreicht war, nur schwer zu einem Ausgleich bringen, den ein Befehl der Obersten Heeresleitung vielleicht sofort geschafft hätte. Nach mehrfachen Erwägungen wurde schließlich als Angriffstag für die 2. und 3. Armee der 23. August früh festgelegt; der linke Flügel der 2. Armee sollte über Jemeppes auf Mettet vorgehen. Ob die 3. Armee, in südwestlicher Richtung über die Maas vorstoßend, dem von der 2. Armee zu schlagenden Gegner in den Rücken kommen und versuchen sollte, ihn unter Ausnutzung der erkannten Lücke von dem gegen die deutsche 4. Armee fechtenden französischen Heeresteil zu trennen, oder ob ein Vorstoß mehr in ost-westlicher Richtung über die Maas zur unmittelbaren Unterstützung der 2. Armee zweckmäßiger sein würde, blieb zunächst offen.

[181] Am 21. und 22. August schloß die 3. Armee weiter in sich auf, warf die auf dem östlichen Maasufer stehenden französischen Postierungen über den Fluß und vollendet den artilleristischen Aufmarsch. Während bisher mit dem rechten Flügelkorps (VIII.) der 4. Armee Fühlung bestand, meldete diese am 22. August, daß sie gegen eine in allgemein süd-nördlicher Richtung im Anmarsch befindliche französische Armee zum Angriff nach Süden einschwenke; eine gemischte Brigade des VIII. Armeekorps solle aber bei Beauraing (östlich Givet) zur Verbindung mit dem linken Flügel der 3. Armee stehen bleiben. Obgleich dadurch die bisher bestehende Verbindung mit der 4. Armee abriß und ein erheblicher Zwischenraum zwischen 3. und 4. Armee entstehen mußte, entschloß sich das Armeeoberkommando 3, den Angriff am 23. August in engstem Zusammenwirken mit der 2. Armee zu führen. Überraschenderweise teilte aber Armeeoberkommando 2 am 22. August spät abends mit, daß es mit seinem Ostflügel bereits an diesem Tage die Sambre überschritten habe, und daß schleuniges Vorgehen der 3. Armee mit rechtem Flügel auf Mettet dringend erwünscht sei. Um die erwarteten Erfolge der 2. Armee auszunutzen, wurde dem linken Flügelkorps der 3. Armee noch in der Nacht aufgegeben, ungesäumt die Maas bei Haftière - Lavaux zu überschreiten, um dem vor der 2. Armee kämpfenden Feinde den Rückweg abzuschneiden. Im übrigen brauchte nichts Weiteres zu dem bereits ergangenen Angriffsbefehl für den 23. August hinzugefügt werden.

Der Angriff begann, wie beabsichtigt, am 23. August früh, stieß aber auf die größten Schwierigkeiten, hervorgerufen durch Gelände, Feind und die mitkämpfende Bevölkerung. Das Armeeoberkommando griff daher eine am 23. August früh eintreffende Weisung der Obersten Heeresleitung mit Freuden auf, alle verfügbaren Kräfte über die Maas südlich Givet vorzuführen, um dem der 3. und 2. Armee frontal gegenüberstehenden Feinde den Rückzug zu verlegen. Zum Vorstoß in Richtung Fumay über die Maas wurde Generalleutnant Götz von Olenhusen mit den Hauptteilen des XIX. Armeekorps in Marsch gesetzt. Im übrigen brachte der 23. August den ersehnten Erfolg in der Front nicht. Durch verlustreichen Kampf in, nördlich und südlich Dinant aufgehalten, gelang es nur kleineren Abteilungen der gegen die Maas frontal anstürmenden Korps, den Fluß zu überschreiten. Obgleich der linke Flügel der 2. Armee (Gardekorps) bereits am 22. August die Sambre überschritten hatte, kam auch der Angriff der 2. Armee am 23. August nicht derart vorwärts, daß er den Widerstand des Feindes gegenüber der 3. Armee entscheidend beeinflußt hätte. Das Armeeoberkommando 3 hielt trotz allem an der Auffassung vom Vormittag des 23. August fest, daß ein weiteres Vorgehen der Armee in südwestlicher Richtung die Aussichten auf stärksten Erfolg in sich schlösse. In diesem Sinne war für den 24. August der Vormarschbefehl gerade ausgegeben, als ein dringender Hilferuf der 2. Armee ein sofortiges Vorgehen der 3. Armee in westlicher Richtung forderte.

[182] Trotz schwerer Bedenken gab das Armeeoberkommando 3 diesem Ersuchen nach und änderte seinen ersten Befehl entsprechend ab. Im Laufe des Vormittags des 24. August wurde aber der allgemeine Rückzug des Gegners auf Givet - Philippeville - Beaumont erkannt; Armeeoberkommando 3 ordnete nunmehr in einem dritten Armeebefehl neue Marschrichtungspunkte in südwestlicher Richtung an. Am Abend des 24. August erreichten: XII. Reservekorps Florennes - hier auch linker Flügel der 2. Armee -, XII. Armeekorps Rosée, XIX. Armeekorps (außer Abteilung Götz) Romedenne. Die Abteilung Götz v. Olenhusen - zehn Bataillone, drei Eskadrons, sechs Batterien - gelangte, durch außerordentlich schwierige Wegeverhältnisse und feindliche Nachhuten aufgehalten, am Abend des 23. August nur bis in die Gegend östlich Fumay; es gelang ihr am 24. August aus Mangel an Brückengerät nicht, die Maas bei diesem Ort zu überschreiten; erst am 27. August wurde sie über Revin an das XIX. Armeekorps wiederherangezogen.

Vom 25. bis 31. August folgte die 3. Armee nunmehr in allgemein südlicher Richtung dem in Nachhutgefechten sich hartnäckig wehrenden Gegner. Während dieser Märsche trat in der Zusammensetzung der 3. Armee eine Änderung ein, die ihre Kampfkraft erheblich herabsetzte. Die bedrohliche Lage in Ostpreußen veranlaßte die Oberste Heeresleitung, am 26. August der 3. Armee das XI. Armeekorps (wie der 2. Armee das Garde-Reservekorps) zu entziehen und für den Abtransport nach dem Osten nach Malmedy - St. Vith in Marsch zu setzen. Der 24. Reserve-Division wurde die Wegnahme der Sperrfeste Givet aufgetragen, auch sie schied also für die nächsten Tage aus. Der nunmehr nur noch 2½ Korps zählenden Armee blieb die schwierige Aufgabe, nicht nur in der Verfolgung jeden Widerstand in der Front zu brechen, sondern auch, falls nötig, zur Unterstützung der Nachbararmeen jederzeit nach Westen oder Osten einzuschwenken.

Am 26. August abends erreichte sie die Linie Régniowez - Rocroi - les Mazures, am 27. August wurde der Sormonne-Abschnitt überschritten. Die Entschlußfähigkeit der 3. Armee wurde in diesen Tagen stark beeinflußt. Hier forderte die 2. Armee ein Heranrücken an den linken Flügel, dort verlangte die 4. Armee ihr Eingreifen und ihre Hilfe, weil sie in schwerem Kampf bei Donchery ohne Unterstützung der 3. Armee nicht vorwärts komme. Als dann am 28. August früh in einer ausführlichen Weisung an alle Armeen die Oberste Heeresleitung der 3. Armee den Weitermarsch in südwestlicher Richtung anbefahl, wurde die Entschlußfreiheit der 3. Armee auf eine besonders harte Probe gestellt. Schließlich gab das Armeeoberkommando erneuten, dringenden Hilferufen der 4. Armee, die von rückgängigen Bewegungen auf ihrem linken Flügel berichtete, entgegen der Weisung der Obersten Heeresleitung nach und beauftragte das XIX. Armeekorps, dem rechten Flügel der 4. Armee in Richtung Vendresse zu Hilfe zu eilen.

[183] Der 29. August brachte erhebliche Kämpfe des XII. Armeekorps mit feindlichen Kräften bei Novion Porcien, des XIX. Armeekorps nördlich Launois.

Gegenüber dem Entschluß, mit starken Teilen dem rechten Flügel der 4. Armee zu Hilfe zu eilen, wirkte störend ein Hilferuf der 2. Armee, die - seit dem 28. August in hartem Kampfe bei und östlich Guise stehend - dringend Unterstützung der 3. Armee forderte. Diese zu gewähren, war letzterer aber bei der Entfernung und Lage vor der eigenen Front und in ihrer linken Flanke nicht möglich. Vielmehr forderte ein Funkspruch der 4. Armee vom 29. August abends ihren Vormarsch gegen Linie Rethel - Attigny, da der vor der 4. Armee zurückweichende Gegner über Linie Vendresse - Sauville nach Westen zurückgehe.

Diesem Ansuchen wurde stattgegeben. Das XII. Armeekorps sollte noch am 29. August Rethel erreichen, die 23. Reserve-Division am 30. August Château Porcien, das XIX. Armeekorps Attigny. Während es der 23. Reserve-Division verhältnismäßig leicht gelang, das südliche Aisneufer zu gewinnen, waren die Kämpfe beim XII. und XIX. Armeekorps sehr schwer und führten nur das erstere in den Besitz von Rethel. Die 23. Infanterie-Division trieb den Feind durch diesen Ort hindurch und gewann die Höhen südlich der Aisne. In der Stadt kam es nach dem Durchmarsch zu heftigen Kämpfen, bei denen zahlreiche Häuser nahe der Kathedrale in Flammen aufgingen. Die Unterdrückung der Feuersbrunst war unmöglich, da die Franzosen alles Löschgerät entfernt hatten. Zurückgebliebene Verbände hatten die der 23. folgende 24. Division mit Feuer überfallen. Mit Zustimmung der Obersten Heeresleitung wurde dann am 31. August die Verfolgung in südlicher Richtung, in enger Anlehnung an die 4. Armee, fortgesetzt; die Armee erreichte am Abend des 31. August die Linie Avançon - Perthes - Ménil; nur dem XIX. Armeekorps gelang es auch an diesem Tage noch nicht, die Aisne zu überschreiten.

Dagegen fiel, nach zweitägiger Beschießung, Givet in die Hand der 24. Reserve-Division.

Wenn der 3. Armee nicht der Erfolg beschieden war, der sich ihr im Verlauf der ersten Kriegswochen bot, so lag das jedenfalls zum großen Teil an dem Verzicht der Obersten Heeresleitung, selbst durch unmittelbaren Befehl einzugreifen, und in ihren nur formell wirkenden Weisungen an die Oberkommandos, bei gemeinsamen Aufgaben selbst die Einheitlichkeit des Geschehens herbeizuführen. Eine straffe Befehlsführung, sei es durch die Oberste Heeresleitung selbst oder durch ein mehreren Armeen übergeordnetes Gruppenkommando, hat, wie die wechselnden Absichten und Entschlüsse bei der 3. Armee zeigen, gerade hier gefehlt und größere, vielleicht entscheidende Erfolge verhindert.


2. Armee. Vormarsch gegen die Sambre. Schlachten bei Namur und St. Quentin.

Am 14. August waren auch die letzten Forts von Lüttich auf dem westlichen Maas-Ufer gefallen. Die vorher bis zur Linie Julémont - Fraipont - Esneux - [184] Hamoir vorgeführte 2. Armee - VII., X., Gardekorps in erster, VII. Reserve-, X. Reserve- und Garde-Reservekorps in zweiter Linie - schloß bis zum 15. August in sich auf, schlug bei Hermalle eine Kriegsbrücke über die Maas, auf der die 9. Kavallerie-Division am 14. August überging, um in Richtung Waremme die Vereinigung mit den beiden anderen Kavallerie-Divisionen (4. und 2.) des Höheren Kavalleriekommandeurs 2 nördlich Tongres zu suchen, leitete die Wegnahme von Huy ein und trat dann zum Weitermarsch an.

Am 16. August erreichten mit Anfängen: VII. Armeekorps Liers, X. Armeekorps Hermalle, Gardekorps Modave; VII. Reservekorps schloß bis zur Ourthe, Garde-Reservekorps bis Basse Bodeux auf. Huy wurde nach kurzem Widerstande vom X. Armeekorps besetzt. Am 17. August schloß die Armee erneut in sich auf und nahm das X. Reservekorps zwischen das VII. und X. Armeekorps in die vordere Linie. Das Garde-Reservekorps erreichte mit Anfang Bomal.

Am 17. August traf dann von der Obersten Heeresleitung der Befehl zum allgemeinen Vormarsch ein: 1. und 2. Armee und Höherer Kavalleriekommandeur 2 wurden dem Oberbefehlshaber der 2. Armee für das Vorgehen nördlich der Maas unterstellt. Beginn des Vormarsches am 18. August. Aufgabe der beiden Armeen war es, die in Linie Diest - Tirlemont - Wavre gemeldeten belgischen Kräfte unter Sicherung gegen Namur von Antwerpen abzudrängen; später sollten beide Armeen aus Linie Brüssel - Namur, unter Sicherung gegen Antwerpen, weiter in südwestlicher Richtung vorgehen. Der 1. Armee wurde daher der nördlich umfassende Angriff gegen die genannte belgische Stellung befohlen, ihr die 2. Kavallerie-Division unterstellt, die 2. Armee bis zum Abend des 18. August in die Linie Ophey (VII. Armeekorps, dahinter VII. Reservekorps ohne 13. Reserve-Division, letztere in Lüttich) - Wansin (X. Reservekorps) - Branchon (X. Armeekorps) - Waseiges (Gardekorps) vorgeführt. Dem Gardekorps wurde der Schutz der linken Armeeflanke gegen die Nordostfront, dem Garde-Reservekorps - das dem Gardekorps über Huy folgte -, gegen die Südostfront von Namur übertragen. Vor der Front der 2. Armee trieb die 4. und 9. Kavallerie-Division feindliche Kavallerie vor sich her; ob feindliche Infanterie die Sambre nach Norden bereits überschritten, war noch nicht bestimmt erkannt.

Am 19. August erreichte die 2. Armee die Linie südöstlich Wavre bis Mehaigne. Teile dreier französischer Kavallerie-Divisionen gingen in Richtung Charleroi zurück. Mit Leitung des Angriffs auf Namur wurde General der Artillerie v. Gallwitz beauftragt, dem hierzu das Garde-Reservekorps und XI. Armeekorps (letzteres von der 3. Armee) unterstellt wurden.

Am 20. und 21. August setzten 1. und 2. Armee ihre Linksschwenkung um Namur fort; 2. Armee erreichte am letzteren Tage die Linie Nivelles - Frasnes - Pont de Loup - Tamines - Avelais - Jemeppes. In der Weisung der Obersten Heeresleitung vom 20. August war der 2. und 3. Armee aufgegeben, ihre Maß- [185] nahmen zum Angriff über die Sambre und Maas gegenseitig in Einklang zu bringen. Das 1. Kavalleriekorps wurde von der Front der 4. und 3. Armee östlich von Namur herumgezogen und dem Armeeoberkommando 2 unterstellt, das 2. Kavalleriekorps vor dem rechten Flügel der 1. Armee in Richtung Ath vereinigt. Verabredungsgemäß sollte der Angriff der 3. und 2. Armee über Maas und Sambre am 23. August beginnen, da die 3. Armee ihre Vorbereitungen nicht früher beenden konnte. Für den 22. August sollte die 2. Armee in Linie Binche - Jemeppes aufschließen, um am 23. August durch Vorgehen über die Sambre der 3. Armee den Übergang über die Maas zu ermöglichen. Die 1. Armee sollte im allgemeinen westlich Maubeuge vorbeigehen.

Da die Nachrichten über den Feind am 22. August vormittags vermuten ließen, daß nur schwächere Teile den Sambre-Abschnitt verteidigten, beschloß Generaloberst v. Bülow die günstige Lage auszunutzen und sich schon am 22. August in der Besitz der Flußübergänge zu setzen. Es gelang, mit dem linken Armeeflügel das südliche Sambre-Ufer schon an diesem Tage zu erreichen. Auch hier beteiligte sich wieder die Bevölkerung am Kampf, unterstützt von der Eigenart des Geländes: Im Tal der Sambre ein Bergwerk, eine Fabrik neben der anderen, endlose Reihen von Arbeiterhäusern, Schlackenberge, Schornsteine und Hochöfen. Überall die bekannten, belgischen Blusenmänner, mit teils tierisch-stumpfem, teils heimtückisch-unterwürfigem Gesichtsausdruck. Mit Beginn der Kämpfe setzte auch hier sofort das Feuer der Bevölkerung aus Häusern und Hecken ein. Um sich den Rücken zu decken, mußten die Deutschen die Bewohner ganzer Dörfer zusammentreiben; Tausende kohlengeschwärzter Grubenarbeiter wurden auf Wiesen gesammelt und warteten hier, in großen Haufen, auf den Hacken sitzend, ihr weiteres Schicksal ab. Die Bewachung entzog naturgemäß der Truppe nicht unbeträchtliche Kräfte; ein Abtransport nach rückwärts war bei der Menschenmenge ausgeschlossen. Die Leute mußten später wieder freigelassen werden. Trotz dieser Schwierigkeiten ging der Angriff des X. und Gardekorps über die Sambre flott vorwärts. Die 3. Armee, die auf Grund des zeitlich geänderten Entschlusses zur Unterstützung aufgefordert wurde, erklärte erneut, daß sie erst am folgenden Tage angriffsbereit sei.

Am 23. August wurde der Angriff in südlicher Richtung fortgesetzt. Der Gegner - die französische 5. Armee, also erheblich stärkere Kräfte, wie anfangs angenommen - griff aber auch seinerseits an diesem Tage mit Wucht an; trotzdem erreichte die 2. Armee bis zum Abend die Linie Merbes le Château - Thuin - St. Gérard.

Für den 24. August wurde die Fortsetzung des Angriffs befohlen. Eine Unterstützung der 2. durch die 3. Armee war bisher nicht fühlbar geworden, da diese nur mit schwachen Teilen die Maas hatte überschreiten können. Auch die 1. Armee, die am 24. August in fortschreitendem Angriff gegen die Engländer in Linie Strepy - Mons - St. Ghislain sich befand, war aufgefordert, mit einem [186] Armeekorps westlich um Maubeuge ausholend, den der 2. Armee gegenüber kämpfenden französischen Kräften in linke Flanke und Rücken zu stoßen. Aber auch diese Unterstützung konnte nicht gewährt werden, da der der 1. Armee gegenüberstehende Gegner noch heftigen Widerstand leistete. Es gelang der 2. Armee aber, am 24. August ohne Hilfe den Feind zu werfen und zum Rückzug zu zwingen. Am Abend erreichte die Armee die Linie Beaumont - Hemptinne. Die 2. Armee hat es vermocht, die gegenüberstehenden überlegenen Korps aus eigener Kraft zu schlagen. Die von der 3. Armee ausgehende Bedrohung der rückwärtigen Verbindungen hat möglicherweise den feindlichen Führer schneller zu einer Preisgabe der starken Flußabschnitte von Sambre und Maas veranlaßt. Bedauerlich bleibt, daß die 3. Armee durch die wechselnden Entschlüsse und Anforderungen der 2. Armee verhindert wurde, durch ein weiter südlich angesetztes Ausholen die 5. französische Armee in eine entscheidende Niederlage zu verwickeln.

Während dieses Ringens um die Flußabschnitte ging der Sturm auf Namur seinen unwiderstehlichen Gang. Dem Kommandierenden General des Garde-Reservekorps, General der Artillerie v. Gallwitz, im Frieden Inspekteur der Feldartillerie, wurden zur Wegnahme der Festung außer dem Garde-Reservekorps und XI. Armeekorps zwei Pionier-Regimenter, zwei Bataillone schwerer Flachbahnkanonen, eine Zahl schwerer Steilfeuer-Bataillone, fünf Bataillone 21-cm-Mörser, vier österreichische 30,5-cm-Batterien und eine 42-cm-Mörser-Batterie überwiesen. Das VII. Reservekorps sollte ferner die Westfront der Festung abschließen und Entsatzversuche aus westlicher Richtung verhindern. Es setzte dazu die 13. Reserve-Division ein.

Skizze 5: Angriff auf Namur.

[187]
  Skizze 5: Angriff auf Namur.
Die Festung Namur, am Zusammenfluß der Maas und Sambre gelegen, beherrscht die dort aus allen Himmels-richtungen zusammen-führenden Straßen und Bahnen; ihr Besitz war naturgemäß für Angreifer und Verteidiger von höchstem Wert. Die Befestigungsart ähnelte derjenigen von Lüttich: neun Panzerforts krönten die umgebenden Höhen; am Südrand der Stadt überragte die Zitadelle auf schroffem Felsen die Umgebung (Skizze 5).

General v. Gallwitz entschloß sich, die Nordost- und Südostfront der Festung, mit den Forts de Marchovelette, de Maizeret und d'Andoy anzugreifen; vom Garde-Reservekorps entwickelte sich am 20. August die 3. Garde-Infanterie-Division nördlich der Maas gegen den Abschnitt Hingeon - Vezin, das XI. Armeekorps wurde südlich des Flusses über Faulx bis Florée eingesetzt. Die zweite Division des Garde-Reservekorps, die 1. Garde-Reserve-Division, wurde zunächst hinter der Mitte in Reserve gehalten, dann aber auf die Nachricht von starken Ansammlungen des Feindes auf der Nordfront der Festung hinter den rechten Flügel der Angriffsfront gezogen. Beim Abmarsch der Division aus Andenne kam es zu heftigen Straßenkämpfen; auf ein Glockenzeichen vom Kirchturm brach schlagartig aus allen Fenstern und Luken der Häuser ein mörderisches Feuer [187] seitens der Einwohner los. Der Aufstand wurde bald unterdrückt; aus den Papieren des erschossenen Bürgermeisters ging klar hervor, daß der Überfall auf das sorgfältigste vorbereitet gewesen war.

[188] Die Erkundungen der deutschen Vortruppe und Flieger ergaben, daß - im Gegensatz zu Lüttich - der Feind das Vor- und Zwischengelände zwischen den Werken sorgfältig zur Verteidigung ausgebaut hatte. Trotzdem gelang es dem Angreifer, bis zum 20. August mit der Infanterie genügend weit nach vorwärts Gelände zu gewinnen, um sich in einer Schutzstellung zum Aufmarsch der Artillerie festzusetzen. Da der Angriff südlich der Maas im Gelände zu große Schwierigeiken fand, wurde durch Einsatz der 1. Garde-Reserve-Division rechts neben der 3. Garde-Infanterie-Division und Herausziehen und Bereitstellung der 38. Infanterie-Division hinter der 22. Infanterie-Division der Schwerpunkt des Angriffs nach rechts verlegt. Am 21. August mittags erfolgte die Feuereröffnung der Angriffsartillerie. In weiterem Ausbau des Entschlusses, den Hauptnachdruck des Angriffs auf den rechten Flügel, gegen die Forts de Cognelée und de Marchovelette zu legen, wurde auch die 38. Infanterie-Division auf das nördliche Maas-Ufer gezogen; auf dem Südufer sollte nur ein Scheinangriff geführt werden. Die Divisionen: 1. Garde-Reserve-Division, 38. Infanterie-Division, 3. Garde-Infanterie-Division vereinten ihre Kräfte nunmehr auf verhältnismäßig schmalem Raum: im allgemeinen zwischen den von Tirlemont und St. Trond auf Namur führenden Chausseen. Die Bereitstellung der Infanterie sollte am 22. August abends beendet sein, der Durchbruch durch die Frontszwischenräume schon am folgenden Tage ausgeführt werden. Wenn auch die Fortsartillerie noch nicht niedergekämpft war, gelang es doch in tapferem Draufgehen Teilen der 1. Garde-Reserve-Division und des Infanterie-Regiments 71, am 23. August vormittags östlich Fort de Cognelée die stark ausgebauten feindlichen Zwischenstellungen zu durchbrechen. In energischem Nachstoßen fiel ein Schützengraben nach dem anderen. Nachmittags schlugen 71er, 95er und Teile der Garde zu Hilfe gekommene französische Verstärkungen in den Vororten der Stadt und drangen in Namur selbst ein. Inzwischen hatte am frühen Nachmittag Fort de Marchovelette die weiße Flagge gezeigt. Die 3. Garde-Infanterie-Division drang südlich des Forts durch Wälder und Dörfer vor und vereinigte sich bei Namur mit den Truppen der 38. Infanterie-Division. Inzwischen hatte auch Fort de Cognelée kapituliert. Bis zum Abend gelangten die unablässig weiter vorrückenden Angreifer bis zur Sambre. Die Aufforderung an den Kommandanten, die Festung zu übergeben, blieb unbeantwortet. Daher befahl General v. Gallwitz für den 24. August die Fortsetzung des Angriffs; die 38. Infanterie-Division hatte über die Sambre gegen die Südwestfront der Festung: Fort de Malonne und de St. Héribert, vorzugehen; 1. Garde-Reserve-Division die Sicherung nach Westen zu übernehmen; die 3. Garde-Infanterie-Division hielt die Stadt besetzt. Die schwere Artillerie nahm die Forts der Nordwestfront: d'Emines und de Suarlée, unter Feuer. Die 22. Infanterie-Division, die den Fall des Forts de Maizeret meldete, hatte gegen die Forts der Südfront: d'Audoy und de Dave vorzugehen. Durch die durch Fall des Forts de Maizeret entstandene Lücke der Befestigungslinie [189] schoben sich bald starke Teile der 22. Infanterie-Division nach Westen und gelangten so in die Kehle des Forts d'Audoy; es fiel nach tapferer Verteidigung mittags in die Hand des Infanterie-Regiments 32. Auch die 38. Infanterie-Division trat am frühen Nachmittag von Namur in allgemein südlicher Richtung an, als die überraschende Nachricht eintraf, daß das Fort de Malonne von dem Leutnant v. der Linde und vier Mann vom 5. Garde-Regiment zu Fuß in Besitz genommen sei; dem jungen Offizier war es, in tollkühnem Vorgehen gegen das noch vollkommen intakte Werk gelungen, der Besatzung die Anwesenheit starker Angriffstruppen vorzutäuschen und sie zur Übergabe zu bewegen. Am späten Abend wurde, nach kurzer Beschießung, auch Fort de St. Héribert vom angreifenden

Der Bahnhofsplatz der Festung Namur kurz nach der Übergabe am 25. und 26. August 1914.
Der Bahnhofsplatz der Festung Namur kurz nach
der Übergabe am 25. und 26. August 1914.
Namur konnte sich trotz der neun Sperrforts
gegen die überwältigende Wirkung der
Kruppschen 42-cm-Mörser und der
österreichischen 30,5-cm-Mörser nicht halten.
[Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 23.
Infanterie-Regiment 71 besetzt. In der Nacht vom 24./25. August ergaben sich dann auch die letzten drei Forts der Festung, die Moral ihrer Besatzung war durch das überwältigende Feuer der deutschen schweren Artillerie derart erschüttert, daß sie jede Hoffnung auf Entsatz aufgaben.

Die Wirkung der schweren und schwersten Angriffsartillerie war auch bei den Forts von Namur vernichtend gewesen. Eine 42-cm-Granate hatte nicht nur den Panzer der Kuppel eines großen Panzerturms, sondern auch noch eine 3 Meter starke Betondecke durchschlagen. Der Kommandant des Forts d'Andoy berichtet: "Mein Fort hat 450 schwere Schuß erhalten. Dadurch ist es nahezu in einen Schutthaufen verwandelt worden. Die Zugbrücke war zertrümmert, starke Eisengitter waren wie Zündhölzchen geknickt, die Tore aus den Angeln gehoben, alle Beleuchtungsanlagen zerstört, die Panzerkuppel gesprengt, kein einziges Geschütz war mehr imstande zu schießen; von der Besatzung hatte sich gleich zu Beginn der Beschießung ein recht erheblicher Teil aus dem Staube gemacht." Ehre der deutschen Technik, die derartige Geschütze erzeugt, Ehre aber auch dem deutschen Artilleristen, der durch treffliches Schießen der stürmenden Infanterie die Breschen schlug.

Die Gesamtbeute von Namur betrug 6.700 Gefangene, 12 Feldgeschütze und die gesamte Bestückung der Werke; ferner gewaltige Mengen an Ausrüstung und Gerät. Den bereits am 25. August ihren Armeen wieder nachstrebenden Korps (XI. Armee- und Garde-Reservekorps) fielen noch namhafte Teile der Festungsbesatzung, die den Anschluß an die seit dem 24. August von der Sambre in Rückzug nach Süden befindliche französische 5. Armee suchten, in die Hände. In Namur blieb nur eine Brigade des Garde-Reservekorps zurück; das XI. Armeekorps wurde zur 3. Armee in Marsch gesetzt, das Garde-Reservekorps hinter dem X. Armeekorps, das VII. Reservekorps (ohne 13. Reserve-Division) bis Charleroi nachgezogen.

Am 25. und 26. August setzte die 2. Armee die Verfolgung, nunmehr scharf südwestlicher Richtung, fort. An letzterem Tage erreichte die Armee die Linie Aulnoye (14. Infanterie-Division) - Marbaix (X. Reservekorps) - Boulogne (X. Armeekorps) - Féron - Ohain (Gardekorps).

[190] Obgleich die 3. Armee beim weiteren Vormarsch infolge ihrer Unterstützung der 4. Armee den Anschluß an die 2. Armee nicht innehalten konnte, beharrte die 2. Armee in ihrer scharf südwestlichen Marschrichtung, in der Absicht, in Anlehnung an die 1. Armee den Gegner nach Möglichkeit dauernd zu überflügeln.

Am 27. August stand die Armee in Linie St. Souplet - Wassigny - la Capelle entfaltet bereit, da vor der Front der Armee starke feindliche Truppenansammlungen im Raume Fourmies - Hirson - Guise festgestellt waren. An diesem Tage wurde die Unterstellung der 1. Armee unter das Armeeoberkommando 2 auf Antrag des Armeeoberkommandos 1 von der Obersten Heeresleitung aufgehoben, eine Tatsache, die das Armeeoberkommando 2 natürlich schmerzlich empfand. Die Gefahr lag damit nahe, daß das Zusammenwirken der Armeen auf dem westlichen Heeresflügel noch mehr als bisher in Frage gestellt wurde, war doch bereits durch den Marsch der 3. Armee in ausgesprochen südlicher Richtung ein erheblicher Zwischenraum zwischen 3. und 2. Armee entstanden.

Auch die Verbindung mit der 1. Armee drohte am 28. August verloren zu gehen, da der linke Flügel dieser Armee an diesem Tage über Vermand auf Nesle vorgehen sollte. Anderseits glaubte auch die 3. Armee nicht, sich den Bitten der 4. Armee um sofortige unmittelbare und stärkere Unterstützung entziehen zu können. Sie teilte ihre Absicht mit, über Signy l'Abbaye nach Südosten einzuschwenken. Mit beiden Armeen drohte somit die Verbindung abzureißen.

Vom Feind war bekannt, daß er den Oise-Abschnitt in unbekannter Stärke zwischen Guise und Etréaupont besetzt hielt (Skizze 6). Für den 28. August wurde daher, um die Verbindung mit der 1. Armee nicht ganz zu verlieren, der rechte Armeeflügel weiter in südwestlicher Richtung vorgeschoben: VII. Armeekorps (ohne 13. Infanterie-Division) über Bohain nach St. Quentin, wo es zu Straßenkämpfen mit französischen Territorialtruppen kam; X. Reservekorps bis Linie Fonsomme - M. Carotte, Höherer Kavalleriekommandeur 1 - St. Quentin südlich umgehend - gegen den Rücken der Engländer; X. und Gardekorps traten zum Angriff gegen die feindliche Stellung an der Oise über den Iron-Bach an, während die rechte Flügelkolonne der 3. Armee etwas näheren Anschluß in Richtung Rumigny erstrebte. Auf Ersuchen der 1. Armee, englische Kräfte, die auf la Fère auszuweichen schienen, abzuschneiden, wurde am 28. August mittags der rechte Flügel der 2. Armee noch weiter vorgetrieben: 14. Infanterie-Division mit vordersten Teilen über Ham, X. Reservekorps bis St. Simon - Urvillers. Das X. und Gardekorps erstiegen an diesem Abend, im Kampfe hartnäckigen Widerstand überwindend, die Höhen des südlichen Oise-Ufers.

In der Annahme, daß es sich nur um - wenn auch ernste - Nachhutgefechte handele, befahl das Armeeoberkommando 2 für den 29. August die Bereitstellung zum Angriff auf la Fère, zu dessen Wegnahme die 19. Reserve-Division in Gegend Essigny le Grand, die 19. Infanterie-Division in Gegend [191] Villers de Sec vorgehen sollte, während der rechte Armeeflügel die Linie Ham - St. Simon, der linke die Linie Parpeville - Marfontaine zu erreichen hatte. Diese Absichten und Anordnungen deckten sich auch mit der "Weisung der Obersten Heeresleitung für das ganze Westheer", die am 28. August abends eintraf, wonach die 1. Armee westlich der Oise gegen die untere Seine, die 2. Armee über Linie la Fère - Laon auf Paris vorzugehen habe.

Skizze 6: Schlacht bei St. Quentin (28. bis 30. 
August 1914).

[191]
  Skizze 6: Schlacht bei St. Quentin (28. bis 30. August 1914).

Der 29. August brachte dem Armeeoberkommando 2 insofern eine Überraschung, als das X. Reservekorps bei seinem Marsch in Richtung Essigny le Grand plötzlich aus südöstlicher Richtung in der Flanke angegriffen wurde; die Franzosen hatten sich zu einem starken Gegenstoß entschlossen, der wohl die deutschen Divisionen in die Oise werfen sollte. Beide Divisionen des X. Reservekorps drehten nach Südosten ein und traten über die Linie Benay - Urvillers - Menil - St. Laurent in den Kampf. Der Kampf beim X. und Gardekorps südlich und südöstlich Guise gestaltete sich im Anschluß daran zur vollen Schlacht aus; es wurde klar, daß man es nicht nur mit hartnäckigem Widerstand, sondern mit dem energischen angriffsweisen Vorgehen eines starken Gegners zu tun hatte. Zur Schließung der Lücke zwischen dem linken Flügel des X. Reservekorps und dem rechten Flügel des X. Armeekorps wurden starke Teile der 13. Infanterie-Division, die - bei der Einschließung Maubeuges durch das VII. Reservekorps [192] abgelöst - auf dem Marsch nach St. Quentin war, in Richtung Marcy eingesetzt. 14. Infanterie-Division mußte in einem Nachtmarsch wieder über Ham zurückgeholt und auf dem äußersten rechten Flügel eingesetzt werden. Eine Unterstützung durch die 3. Armee war nicht zu erwarten, da diese bei Novion-Porcien und südöstlich Thin selbst in Kämpfe verwickelt war. Dagegen wurde das linke Flügelkorps der 1. Armee (IX. Armeekorps), das sich westlich St. Quentin befand, aufgefordert, am 30. August über St. Quentin - Homblières in den Kampf der 2. Armee einzugreifen.

Für den 30. August wurde der vereinte Angriff des verstärkten Westflügels der 2. Armee über die Oise in östlicher Richtung befohlen: VII. Armeekorps (ohne 13. Infanterie-Division) über Essigny le Grand in Richtung Alaincourt, X. Reservekorps über Linie Mézières - Ribémont, 13. Infanterie-Division über Lucy, die 17. Infanterie-Division des IX. Armeekorps über Homblières auf Origny Ste. Bénoite. - Aus den Papieren des gefangengenommenen Chefs des Generalstabes des französischen III. Armeekorps wurde entnommen, daß der Hauptstoß des Feindes in Richtung St. Quentin erfolgen solle. Der 30. August brachte noch einen Versuch des Feindes, in nördlicher Richtung die deutschen Korps zurückzuwerfen; als dann das Eingreifen des rechten deutschen Armeeflügels sich fühlbar machte, trat der Gegner den Rückzug an. Trotz großer Ermüdung wurde die sofortige Verfolgung mit Teilen befohlen und für die Masse des VII. Armeekorps (ohne 13. Infanterie-Division) westlich der Oise um Sissy und Châtillon, die 13. Infanterie-Division um Origny - Courjumelles, X. Reservekorps um Ribémont - Pleine Selve, X. Armeekorps um Parpeville - Landifay - Fauconzy, Gardekorps um la Hérie - Richaumont die Versammlung angeordnet. Die 17. Infanterie-Division, deren Artillerie am 30. August wirksam die Kräfte der 2. Armee beim Oise-Übergang unterstützt hatte, blieb östlich St. Quentin, um demnächst wieder zu ihrem Korps zurückzukehren.

Am 31. August stellte die Armee Teile des VII. Armeekorps und X. Reservekorps zur Wegnahme von la Fère bereit; im übrigen blieb die 2. Armee stehen, bereit, nach kurzer Atempause, der neuen Weisung der Obersten Heeresleitung vom 30. August entsprechend, nunmehr in südlicher Richtung, linker Flügel auf Reims, dem Feind zu folgen.


1. Armee. Vormarsch über Brüssel gegen Linie Condé - Mons. Schlacht bei Mons. Verfolgungskämpfe bis zur Aisne.

Der 1. Armee, die in ihrem Aufmarschraum: Aachen - Erkelenz - Crefeld - Bergheim - Jülich mit dem II., IV. und III. Armeekorps in zweiter Linie aufmarschierte, fiel die bedeutungsvolle Aufgabe zu, auf dem rechten Heeresflügel in gewaltiger Schwenkung durch Belgien und Nordfrankreich eilend, die belgische und englische Armee zu zersprengen und durch Umfassung des feindlichen Heereswestflügels die Ent- [193] scheidung bei der Niederringung des Gegners zu bringen. Das IX. Armeekorps, kriegsgliederungsgemäß zur 1. Armee gehörend, zunächst aber noch bei der Wegnahme von Lüttich beteiligt, sollte sich demnächst dem linken Armeeflügel wieder anschließen. Der Oberbefehl über die 1. Armee war dem General v. Kluck übertragen; ihm ging der Ruf eines besonders tatkräftigen, befähigten Truppen- und Heerführers voraus. In den Tagen vom 13. bis 17. August vollzog sich der äußerst schwierige, vom Generalstabe des Armeeoberkommandos 1 unter Leitung des als glänzender Kenner der französischen Armee bekannten Generals v. Kuhl meisterhaft geregelte Vormarsch der 1. Armee durch Aachen, über die Maas-Enge zwischen Lüttich und der holländischen Grenze bis zur Linie Kermpt, westlich Hasselt - St. Trond.

Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 hatte bereits am 12. August versucht, die Belgier aus der von ihnen besetzten Gette-Stellung Diest - Tirlemont zu werfen; blieb auch der Enderfolg aus, so war doch Klarheit über den Gegner gewonnen, der 1. Armee das zunächst greifbare Ziel gewiesen. Der Befehl der Obersten Heeresleitung vom 17. August unterstellte die 1. Armee und den Höheren Kavalleriekommandeur 2 dem Oberbefehlshaber der 2. Armee und bezeichnete als nächste Aufgabe: Abdrängung der Belgier von Antwerpen und Erreichung der Linie Brüssel - Namur. In dieser Anordnung sprach sich der Wunsch aus, den rechten Flügel des deutschen Heeres in einheitlichem Sinne zu führen. In der Beibehaltung des Befehls über die 2. Armee lag aber ein Moment der Unsicherheit, insofern, als die Interessen dieser Armee die Entschlüsse des Führers auch für das Ganze beeinflussen mußten. Die verschiedene Auffassung der beiden Armeeführer machte sich schon in den nächsten Tagen fühlbar.

Während die 4. und 9. Kavallerie-Division des Höheren Kavalleriekommandeurs 2 vom Armeeoberkommando 2 weitgehende, tief nach Westen zielende Aufgaben erhielten, wurde die 2. Kavallerie-Division der 1. Armee unterstellt. Am 18. August setzte die 1. Armee zum nördlich umfassenden Angriff auf die Gette-Linie Diest - Tirlemont, mit dem II., IV., III. und IX. Armeekorps in vorderster Linie an, während III. Reserve- und IV. Reservekorps in zweiter Linie folgten, ersteres bereit, wenn nötig, mit starken Kräften gegen die Südfront von Antwerpen einzuschwenken.

Nach heftigem Widerstand auf den Flügeln wichen die Belgier - 1., 2. und 3. Division - in Richtung Löwen zurück. Die 1. Armee erreichte, den Widerstand von Nachhuten und Freischarlern brechend, am 20. August die Linie Brüssel - Waterloo, das II. Armeekorps folgte rechts gestaffelt. Die 2. Kavallerie-Division erhielt den Auftrag, sich vor den rechten Flügel der 1. Armee zu setzen und zwischen Antwerpen und Brüssel vorgehend, den Anmarsch der Engländer festzustellen.

Mit dem Erreichen Brüssels war die erste Aufgabe des rechten deutschen Heeresflügels gelöst. Aufmarsch und einheitliches Zusammenwirken [194] der Belgier, Engländer und Franzosen in Belgien waren gescheitert. Wenn es auch nicht gelungen war, die Belgier von Antwerpen abzudrängen, so waren sie doch so empfindlich geschlagen, daß sie mit geschwächten Kräften in die Schelde-Festung zurückgeworfen und von der unmittelbaren Mitwirkung bei den weiteren Entscheidungskämpfen ferngehalten werden konnten. Die Engländer hatten die Landung auf belgischem Gebiet aufgeben müssen und strebten von den Ausladehäfen Dünkirchen, Calais und Boulogne ihrem neuen Aufmarschraum Condé - Mons - Maubeuge zu.

Wie weit dieser Aufmarsch der englischen Armee am 20. August gediehen war, darüber herrschte Unklarheit. Die Oberste Heeresleitung war der Ansicht, daß Landungen in größerem Umfange noch nicht erfolgt seien; angenommen wurde ihr voraussichtlicher Einsatz über Lille. Während aber das Armeeoberkommando 1 mit einem baldigen Zusammentreffen rechnete und daher den Vormarsch der 1. Armee in südwestlicher Richtung, westlich um Maubeuge ausholend, befürwortete, um sich Entwicklungsraum zu sichern, ordnete das Armeeoberkommando 2 enges Heranhalten des linken Flügels der 1. an die 2. Armee an, um der Unterstützung der 1. Armee bei dem bevorstehenden Kampf um die Sambre-Übergänge sicher zu sein. Der 1. Armee wurde - unter Deckung gegen Antwerpen rechts und demnächst Abschließung der Nord- und Nordostfront von Maubeuge links - der Marsch westlich an dieser Festung vorbei aufgegeben.

Die Auffassungen beim Armeeoberkommando 1 über die Schlagbereitschaft der englischen Armee erwiesen sich als richtig. Die Engländer standen am 21. August bereits mit ihren Hauptkräften am Kanal Condé - Mons.

Die Notwendigkeit, sichere Aufklärungsergebnisse für den rechten Heeresflügel zu schaffen, führte am 21. August zur Vereinigung des zweiten Kavalleriekorps (2., 4. und 9. Kavallerie-Division) vor dem rechten Flügel der 1. Armee in Richtung Ath und seiner Entsendung in nordwestlicher Richtung (Courtrai); es blieb dem Armeeoberkommando 2 unterstellt.

Der 22. August brachte die 1. Armee, unter starker Staffelung rechts, bis zur Linie Ninove - Silly  - Mignault (östlich Soignies). Das III. Reservekorps deckte nordwestlich Löwen gegen Antwerpen, das IV. Reservekorps erreichte Brüssel.

Ein nochmaliger Antrag des Armeeoberkommandos 1 beim Oberbefehlshaber der 2. Armee, mehr Bewegungsfreiheit nach Westen zu erhalten, um die nunmehr im Raum Condé - Mons - Maubeuge festgestellte englische Armee westlich umfassend und gegen die französische 5. Armee hinter der Sambre werfen zu können, wurde abgelehnt. Dem Armeeoberkommando 2 schien die Notwendigkeit der unmittelbaren Unterstützung des eigenen rechten Flügels durch die 1. Armee wichtiger, die Gefahr, selbst vereinzelt geschlagen zu werden, zu groß; nur von der Einschließung der Nordfront von Maubeuge wurde die 1. Armee entbunden, dagegen hatte sie eine Division bei Givry (nördlich Maubeuge) bereit- [195] zustellen, da die 2. Armee am 23. August den Sambre-Abschnitt, mit rechtem Flügel von Binche auf Solre erzwingen wollte.

Um sich für die Entscheidungskämpfe mit der englischen Armee möglichst stark zu machen, wurden die inzwischen von der Obersten Heeresleitung zur Verfügung gestellten Landsturmtruppen zur Ablösung der an den Etappenstraßen zurückgebliebenen Verbände des III. Reserve- und IV. Reservekorps eingesetzt und letztere beschleunigt nachgezogen.

Der 23. und 24. August brachten endlich den ersehnten Zusammenstoß mit den Engländern. Das englisch Expeditionskorps - vier Infanterie-Divisionen und eine Kavallerie-Division - war in den Tagen vom 9. bis 18. August von Southampton mit der Masse nach Le Havre, mit einzelnen Transporten nach Rouen und Boulogne, von dort mit der Bahn nach der Gegend von Le Cateau befördert worden. Den Oberbefehl führte Marschall French, während Lord Kitchener zum Staatssekretär des Krieges ernannt wurde. General French galt nach seinen Erfolgen in zahlreichen Kolonialkriegen als hervorragender Truppenführer. Für eine Heerführung gegen einen ebenbürtigen, in der Manövrierkunst überlegenen europäischen Gegner reichten aber seine Erfahrungen nicht aus. Die ihm vor seiner Abreise von der englischen Regierung übergebene Anweisung war überdies nicht geeignet, das Zusammenwirken mit der französischen Armee unter allen Umständen sicherzustellen; er wurde mit Rücksicht auf die geringe Stärke seiner Armee dringend ermahnt, unnötige Verluste zu vermeiden und seine Truppen nicht mehr als nötig aufs Spiel zu setzen. Träten zu weitgehende Aufgaben an ihn heran, so solle er rechtzeitig bei der Regierung anfragen. Er sei völlig unabhängig und unterstehe unter keinen Umständen einem anderen Befehl.

Die englische Armee setzte sich zusammen aus: dem I. Armeekorps, General Douglas Haig, mit der 1. und 2. Infanterie-Division, dem II. Armeekorps, General Smith Dorrien, mit der 3. und 5. Infanterie-Division, sowie der Kavallerie-Division unter General Allenby. Hierzu traten nach der Schlacht bei Mons noch die 19. Infanterie-Brigade, später die 4. Infanterie-Division, die nach dem 25. August zum III. Armeekorps vereinigt wurde. Erst an der Aisne traf Mitte September die 6. Infanterie-Division bei der englischen Armee ein.

Der Aufmarsch der Engländer südlich Maubeuge war am 20. August beendet; im ganzen mögen rund 100 000 Mann vereinigt gewesen sein. Der englische Soldat wurde von den maßgebenden deutschen Stellen als Gegner hoch bewertet, er war durch Aufenthalt in den Kolonien, zahlreiche Kämpfe, lange Dienstzeit und natürliche körperliche und geistige Veranlagung, vorzüglich geschult, seine Ausrüstung mit Kriegsmaterial entsprach allen neuzeitlichen Anforderungen; das Offizierkorps war tapfer, in der Führung größerer Verbände aber wenig geübt.

Am 21. August marschierte die englische Armee nach der Gegend von Mau- [196] beuge, am 22. August rückte sie in die Kanalstellung von Mons (Skizze 7) ein, und zwar mit dem II. Armeekorps in die Linie Condé - Mons - Obourg, den rechten Flügel nach Villers St. Ghislain zurückgebogen; das I. Armeekorps wurde rechts gestaffelt hinter dem Ostflügel bereitgehalten. Die 19. Infanterie-Brigade war noch im Anmarsch von Valenciennes. Die Masse der englischen Kavallerie-Division befand sich auf dem linken Flügel. Die Stellung hinter dem Kanal war denkbar günstig. Zahlreiche sumpfige Gräben und Stacheldrahtzäune durchzogen die nördlich des Kanals gelegenen Wiesen; Baum- und Buschgruppen erschwerten dem Angreifer die Übersicht und artilleristische Beobachtung; den Engländern selbst boten die südlich des Kanals und östlich Mons liegenden Hügel und Schlackenhalden des hier beginnenden Bergwerkgebietes hervorragende Aufstellungspunkte für ihre Batterien, Maschinengewehre und für die Beobachtung. Die Kanaldämme sowie die Häuserreihen an den Ufern waren in ausgiebigster Weise zur Verteidigung eingerichtet.

Skizze 7: Schlachten bei Mons und Le Cateau (23. bis 26. 
August 1914).

[196]
  Skizze 7: Schlachten bei Mons und Le Cateau (23. bis 26. August 1914).

Zuerst trat am 23. August das deutsche IX. Armeekorps am Kanalbogen bei Nimy - Obourg ins Gefecht. Somit war Klarheit gewonnen, daß man die englische Armee kampfbereit an der Klinge hatte. Das III. Armeekorps erhielt mittags Befehl, über St. Ghislain - Jemeppes, das IV. Armeekorps auf [197] Thulin - Hensies vorzugehen; die Kanalübergänge seien noch am selben Tage in Besitz zu nehmen. Dem IX. Armeekorps war das Kriegsglück hold; die Kolonnen der östlichen - 17. - Infanterie-Division gelangten ohne größere Kämpfe bei La Bryuère und südlich Thieu über den Kanal und erreichten am Nachmittag die Linie St. Symphorien - Villers St. Ghislain. Von dort schwenkten sie nach Westen ein, um dem der 18. Infanterie-Division gegenüberstehenden Gegner in die Flanke zu kommen. Der 18. Infanterie-Division war es nur unter heftigen Kämpfen und nicht unbeträchtlichen Verlusten gelungen, den Widerstand der Engländer an den Kanalbrücken von Nimy und Obourg zu brechen. Am Abend rückte das Infanterie-Regiment 84 in Mons ein. - Erheblich schwerer war der Kampf, den das III. Armeekorps zu bestehen hatte. Die 6. Infanterie-Division war auf Jemappes, die 5. Infanterie-Division auf St. Ghislain angesetzt. In drückender Hitze arbeiteten sich die Schützenlinien springweise durch das dichte Gewirr von Drahtzäunen und Hecken vor; springend und watend mußten zahlreiche Wassergräben überwunden werden. Furchtbar wütete das Feuer der gut gedeckten, für den Angreifer unsichtbaren englischen Schützen, Geschütze und Maschinengewehre unter den Deutschen. Schließlich gelang es Teilen des Infanterie-Regiments 24, unterstützt durch einzelne Geschütze des Feldartillerie-Regiments 3, die Brücke bei Jemappes zu nehmen; am Abend des 23. August stand die ganze 6. Infanterie-Division auf den Höhen südlich dieses Ortes. Nicht so glücklich verlief der Tag bei der 5. Infanterie-Division. Mit derselben Bravour, wie die Regimenter der Schwester-Division, stürmten die Grenadier-Regimenter 8 und 12, später am rechten Flügel noch das Infanterie-Regiment Nr. 52 gegen den Kanal an. Nur dem Leib-Grenadier-Regiment sollte an diesem Tage noch Erfolg beschieden sein. Unterstützt durch den rücksichtslosen Einsatz einzelner Geschütze des Feldartillerie-Regiments 18 setzten sich am späten Nachmittag Teile der "Leiber" in den Besitz der Kanalübergänge von Mariette und eroberten den südlich des Abschnitts liegenden Ort im Häuser- und Barrikadenkampf. Dem Grenadier-Regiment 12 dagegen gelang es nicht, an diesem Tage an den Kanal heranzukommen. Teile des weiter westlich eingesetzten Infanterie-Regiments 52 besetzten noch am Abend die Brücke von la Hamaide. Im Hinblick auf den schweren Kampf beim III. Armeekorps wurde am Nachmittag das IV. Armeekorps trotz bereits ergangenen Befehls zum Übergang zur Ruhe nochmals in Marsch gesetzt. Ungeachtet einer bereits vollbrachten Tagesleistung von 40 km bei drückender Hitze strebten die braven Truppen dem Schlachtfeld zu. Nach heftigem Kampf in Pommeroeul gelang es den 26ern und 66ern gegen Mitternacht, den Kanal südlich dieses Ortes zu überwinden und einen Brückenkopf südlich des Kanals anzulegen. Von der 8. Infanterie-Division erreichte das Spitzen-Regiment 93 in der Nacht die von den Engländern gesprengte Brücke nordöstlich Hensies.

Die Maßnahmen des Armeeoberkommandos 1 für den 24. August sahen [198] neben Vollendung des Kanalüberganges das Zurückwerfen und Abdrängen der Engländer nach Maubeuge und südlich vor, zugleich wurde zur Verstärkung des rechten Armeeflügels das II. Armeekorps auf Conde, das IV. Reservekorps (ohne eine Infanterie-Brigade, die in Brüssel zurückblieb) bis in die Gegend nordöstlich Leuze vorgezogen, während der Höhere Kavalleriekommandeur 2 - nunmehr dem Armeeoberkommando 1 unterstellt - aus Gegend südöstlich Courtrai über Tournai in Richtung Denain zur Aufklärung und Sicherung der rechten Flanke entsandt wurde.

Da inzwischen die Sicherungen gegen Antwerpen durch General v. Beseler eingeleitet und ihm zu dem ihm unterstellten III. Reservekorps auch noch das IX. Reservekorps zugeführt wurde, war das Armeeoberkommando 1 von der Sorge der Rückendeckung gegen Antwerpen enthoben.

Ein am 23. August abends eingehender Befehl des Armeeoberkommandos 2, sofort das IX. und III. Armeekorps, westlich um Maubeuge herum, zum umfassenden Angriff gegen die linke Flanke des der 2. Armee gegenüberstehenden Feindes vorzuführen, war unausführbar, da die ganze 1. Armee mit dem noch nicht geschlagenen Feinde in engster Gefechtsberührung stand.

Am 24. August erreichten IV., III. und IX. Armeekorps nach heftigem Kampf die Linie Onnaing - Dour - Harveng. II. Armeekorps nahm Fort Condé, die Forts Maulde und Flines wurden ohne Kampf besetzt. Die Engländer gingen - zum Teil stark erschüttert - in die vorbereitete Stellung Valenciennes - Curgies (Kavallerie-Division, 19. Infanterie-Brigade, II. Armeekorps) - Bavai in Anlehnung an die Westforts von Maubeuge (I. Armeekorps) zurück.

Am 25. August wurde die Verfolgung fortgesetzt: II. Armeekorps sollte, über St. Amand (westlich Valenciennes) ausholend, die Umfassung des englischen Westflügels sicherstellen; die übrigen Korps in erster Linie folgten frontal. Der Gegner hielt aber in der Linie Valenciennes - Bavai nicht stand, sondern wich auf Coudry - le Cateau - Landrecies aus. Wieder wurden der Höhere Kavalleriekommandeur 2 und II. Armeekorps zur überholenden, IV. und III. Armeekorps zur frontalen Verfolgung angesetzt, während dem IX. Armeekorps die Deckung der Bewegungen gegen die Nordwest- und Südwestfront von Maubeuge übertragen wurde.

Am Abend des 25. August stand die Armee in Linie Bouchain (II. Armeekorps) - Solesmes - Landrecies (IV. Armeekorps) - Marvilles - Aulnoye (III. Armeekorps), nachdem die Engländer aus Solesmes und Landrecies nach heftigen Kämpfen vertrieben waren; das IX. Armeekorps deckte gegen Maubeuge, IV. Reservekorps erreichte Valenciennes. Die Kämpfe und Mißerfolge erschütterten die Moral der englischen Verbände sehr. Sie selbst geben die ungünstige Wirkung dieser Rückzüge auf Stimmung und Widerstandskraft ihrer Truppen zu. "Die großen Anstrengungen der Märsche, die Hitze, Schlaflosigkeit, [199] die ständigen Gefechte, das stete Eingraben in Stellungen ermüdete die Truppe aufs äußerste. Durch die ständige Bedrohung, das bedrückende Gefühl des Rückzuges, dessen Notwendigkeit die Truppe nicht erkannte, sank die Stimmung tief hinab."

Am 26. August mußten von der 1. Armee wiederum große Marschleistungen gefordert werden; es kam zu heftigen Kämpfen bei Cambrai (II. Armeekorps) - Cattenières (IV. Reservekorps) gegen französische Kräfte, bei Haucourt - Caudry -Troisvilles - le Cateau (IV. Armeekorps) gegen Engländer. Auf englischer Seite hatte das I. Armeekorps an diesem Tage den Rückzug von Landrecies auf Guise fortgesetzt, während das II. Armeekorps in einer Stellung bei le Cateau - Caudry stehenblieb, verstärkt durch die eben ankommende 4. Infanterie-Division und unterstützt durch die Kavallerie-Division Allenby. Der kommandierende General des II. Armeekorps, General Smith Dorrien, glaubte, seinen angestrengten Truppen den Weitermarsch am 26. August früh nicht zumuten zu können; er beschloß, den Kampf aufzunehmen. Marschall French hatte sein Hauptquartier am 25. August nach St. Quentin, also sehr weit rückwärts, verlegt. Sein Befehl an Smith Dorrien, sofort abzumarschieren, kam zu spät. Zunächst griff der Höhere Kavalleriekommandeur 2 den feindlichen linken Flügel erfolgreich an; dann traf das IV. Armeekorps in Gegend Caudry - Reumont auf den Feind. Das Korps trug die Hauptlast des Kampfes, faßte aber derart kräftig an, daß der Gegner in ärgste Bedrängnis geriet. Durch den Abzug des I. Armeekorps drohte dem englischen II. Armeekorps die Gefahr, in der rechten Flanke umfaßt zu werden. Am Nachmittag mußte sich der englische Führer zum Rückzug entschließen, und zwar mitten aus dem Kampf heraus. Selbst die gegnerischen Darstellungen geben zu, daß der Rückzug unter diesen Umständen überstürzt werden mußte, also keineswegs freiwillig war. Zum Teil drang der Befehl nicht rechtzeitig durch; Verwirrung war die Folge. Schließlich gelangte die englische Kampfgruppe am 28. August über St. Quentin bis hinter die Somme bei Ham. French gibt die englischen Verluste am 26. August auf 15 000 Mann, 80 Geschütze und viel Material an. "Der Zustand der Armee war beklagenswert." Am Schlachttage von le Cateau muß ein Versagen der englischen Obersten Führung festgestellt werden; ein Armeekorps marschiert ab, das andere bleibt, entgegen dem Befehl, stehen!

Von dem Zwange, eine Division zur Einschließung von Maubeuge zurückzulassen, wurde die 1. Armee am 26. August durch Aufhebung der Unterstellung unter das Armeeoberkommando 2 befreit; die 2. Armee wurde mit Einschließung der Festung allein betraut. Für den 27. August sollte der Höhere Kavalleriekommandeur 2 in Richtung Bapaume zur überholenden Verfolgung, II. Armeekorps noch in der Nacht aus der am 26. August erreichten Linie Hermies - Marcoing auf Manaucourt - Guyencourt, IV. Reservekorps von Crevecoeur auf Villers Faucon, das IV. Armeekorps auf Vendhuille und Bellicourt, das [200] III. Armeekorps auf Nauroy antreten. Die gesteckten Ziele wurden im allgemeinen erreicht. Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 und II. Armeekorps warfen bereits am Tage vorher aufgetretene französische Kräfte der Armeegruppe d'Amade und die 3. französische Kavallerie-Division erneut zurück, IX. Armeekorps erreichte Bohain. Am 28. August erzwang die 1. Armee den Übergang über den schwer zu überschreitenden Somme-Abschnitt in Linie Bray (II. Armeekorps) - St. Christ (III. Armeekorps) -  Berthaucourt (IX. Armeekorps); nur auf dem rechten Flügel wurde der Höhere Kavalleriekommandeur 2, IV. Reservekorps und eine Division des II. Armeekorps durch heftige, aber glücklich durchgeführte Kämpfe mit mehreren französischen Reserve-Divisionen der Gruppe d'Amade bei Manaucourt, Sailly-Saillifel und Morval gefesselt und nach Westen abgelenkt. Das IV. Reservekorps geriet im Verlauf dieser Kämpfe hinter das II. Armeekorps, ein Umstand, der sich später noch unliebsam bemerkbar machte, als diesem an Infanterie nicht vollzähligen und mit Artillerie unzureichend ausgestatteten Reservekorps nunmehr die Sicherung der rechten Armeeflanke zufiel.

Mit der Besitznahme der Somme-Linie war wiederum ein wichtiger Abschnitt in den Operationen der 1. Armee beendet; die Engländer waren in mehrtägiger offener Feldschlacht und hartnäckigen Verfolgungskämpfen geschlagen; sie hatten es zwar verstanden, sich der Einkreisung zu entziehen, brachten aber durch ihren überstürzten Rückzug die französische Nachbararmee und Heeresleitung in eine schwierige Lage. Die zur Entlastung des Ententewestflügels herangeführte Armeegruppe d'Amade wurde in ihrer Versammlung überrascht, ein großer Teil zersprengt.

In der am Abend des 28. August eintreffenden "Allgemeine Weisung der Obersten Heeresleitung für den Fortgang der Operationen" wurde feindlicher Widerstand an der Aisne mit vorgenommenem feindlichen linken Flügel über Laon - la Fère - St. Quentin, später an der Marne, linker Flügel an Paris angelehnt, für wahrscheinlich gehalten. Durch baldigen Vormarsch auf Paris, und zwar 1. Armee mit dem Höheren Kavalleriekommandeur 2 westlich der Oise gegen untere Seine, 2. Armee über Linie la Fère - Laon auf Paris sollte der Feind in Atem gehalten werden. Auf Grund dieser Weisung gab das Armeeoberkommando 1 zunächst seine Absicht auf, gegen den Oise-Abschnitt Compiègne - Noyon zum umfassenden, den Gegner von Paris abdrängenden Angriff einzuschwenken.

Der 29. August brachte die 1. Armee unter Verfolgungskämpfen bis in die Linie Villers Bretonneux (II. Armeekorps) - Proyart - Chaulnes - Nesle (IX. Armeekorps). Das IV. Reservekorps bestand heftige Kämpfe zur Sicherung der rechten Armeeflanke gegen Truppen d'Amades bei Combles; es stieß noch am Abend bis Albert vor. Neue feindliche Kräfte wurden in Ausladung bei Amiens und Moreuil festgestellt, Roye und Noyon besetzt gemeldet; die fran- [201] zösische Heeresleitung warf neue, anscheinend an anderer Stelle aus der Front gezogene Verbände der 1. Armee entgegen. Es durfte ihnen keine Zeit zum Sammeln gelassen werden.

Am 30. August sollte zur Sicherung der rechten Flanke das IV. Reservekorps auf Amiens vorgehen, die frontal verfolgenden Korps gegen Moreuil - Roye antreten. Der Höhere Kavalleriekommandeur 2 mußte auf den linken Armeeflügel gesandt werden, da die 17. Infanterie-Division des IX. Armeekorps auf dringendes Ersuchen des Armeeoberkommandos 2 zur Entlastung des schwerringenden Westteiles der 2. Armee über St. Quentin ostwärts in Marsch gesetzt worden war. Die Teile der Armeegruppe d'Amade, nordöstlich der Avre, gingen vor dem Angriff des IV. Reservekorps zurück; die Lage bei der 2. Armee ließ aber ein weiteres Beharren der 1. Armee in der südwestlichen Marschrichtung nicht zu. Generaloberst v. Kluck bereitete daher die Schwenkung nach Süden und demnächst nach Südosten vor. Am Abend des 30. August erreichten von der 1. Armee: IV. Reservekorps die Gegend nordöstlich Amiens, II. bis IX. Armeekorps die Linie Moreuil - Roye.

Der Aufforderung der 2. Armee, zur Ausnutzung des von ihr am 30. August erzielten Sieges ein Einschwenken der 1. Armee mit Drehpunkt Chauny auf la Fère - Laon gegen den in allgemein südlicher Richtung zurückgehenden Feind anzuordnen, konnte das Armeeoberkommando 1 nicht entsprechen. Eine überholende Verfolgung über Compiègne - Noyon erschien zweckdienlicher; der Entschluß fand auch die Zustimmung der Obersten Heeresleitung.

Der 31. August forderte von den angestrengten Korps erneute, gewaltige Marschleistungen. Während IV. Reservekorps über Amiens Ailly (westlich Moreuil) erreichte, gelangten II. und IV. Armeekorps bis in die Linie Margnelay - Tricot - St. Maur - Mareuil, der Höhere Kavalleriekommandeur 2 und III. Armeekorps sogar bis zur Aisne nach Attichy - Vic, ½ IX. Armeekorps bis Vezaponin (nordöstlich Vic); 17. Infanterie-Division erreichte St. Simon, östlich Ham. So hatte an diesem Tage, an dem die 2. Armee im allgemeinen auf dem Schlachtfelde von St. Quentin ruhte, die 1. Armee mit einem Armeekorps die Aisne erreicht, durch die rechte, rechts rückwärts gestaffelte Armeehälfte und das IV. Reservekorps südlich Amiens in ihrer rechten Flanke nach Westen gesichert. Der Höhere Kavalleriekommandeur 1 der 2. Armee deckte in Gegend Soissons den linken Flügel und stellte die Verbindung mit der 2. Armee sicher.

Voll Bewunderung sieht man immer wieder auf die Leistungen der deutschen Truppe: Das III. Armeekorps legte am 31. August über 50 Kilometer zurück. Dabei hatte der 1. Armee seit Beginn des allgemeinen Vormarsches ein Ruhetag nicht gewährt werden können; bis jetzt war jeder Tag durch Kämpfe oder Gewaltmärsche ausgefüllt. Die erstaunlichen Leistungen und die zähe Kraft der Truppe erklären sich nur aus dem in ihr lebenden hohen Pflichtgefühl und dem festen Willen, den Feind, was es auch koste, zu erreichen und zu schlagen.

[202] Wenn dies der 1. Armee auch nicht in dem erhofften und entscheidenden Umfange gelungen ist, so machte sich das scharfe Nachdrängen der Deutschen doch bei der englischen Armee außerordentlich fühlbar. Sie geriet allmählich in einen beunruhigenden Zustand. Die Anstrengungen des Rückzuges waren, wie der englische General Maurice berichtet, sehr groß. Die Soldaten hatten keine Zeit, warme Verpflegung zuzubereiten. Es herrschte eine drückende Hitze. Wurde Halt gemacht, fielen die Mannschaften vor Müdigkeit um. Während des beständigen Rückzuges witterten sie überall Gefahren. Ein Augenzeuge schildert den Durchmarsch der Engländer am 28. August durch Noyon: "Ununterbrochen wurde durch die Stadt marschiert. Ein Durcheinander, Pferde ohne Reiter, Reiter ohne Pferde, vereinzelte Hochländer, deren Knie unter dem Rock leuchteten, Artilleristen, Infanteristen, Leichtverwundete auf Wagen, alle eilten in Unordnung und in fieberhafter Hast weiter."

Veröffentlichungen einzelner feindlicher Führer über diese kritischen Tage ergänzen diese Schilderung. Feldmarschall French versucht in seinem Bericht über die Kriegsereignisse im Jahre 1914, die Ereignisse so zu schildern, wie sie sich ihm darstellten. Eigenartig beleuchtet wird dieser Bericht durch eine Äußerung des Führers der französischen 5. Armee, General Lanrezac, in der er sich gegen Vorwürfe des englischen Oberbefehlshabers wendet. Dies ist bezeichnend für die Schwierigkeiten, die beim Zusammenwirken zweier fremder, wenn auch verbündeter Armeen immer in Erscheinung treten werden. Schon bei der ersten Zusammenkunft zwischen French und Lanrezac am 17. August kam es zu Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten über das beiderseitige Zusammenarbeiten. Die Urteile, die General French und General Lanrezac übereinander aussprechen, sind wenig schmeichelhaft. Die Enthüllungen Lanrezacs geben einen interessanten Einblick in die damaligen Gedankengänge und Anschauungen der feindlichen Führer.

General Lanrezac entwickelte bei der Unterredung am 17. August den Operationsplan; danach sollte die 5. französische Armee die Offensive über die Sambre ergreifen, sobald der Aufmarsch beendet sei; der englischen Armee fiele die Aufgabe zu, "en échelon refusé" links der französischen Armee über Mons nach Nivelle zu marschieren. Es solle dann gemeinschaftlich eine Schlacht nicht weit von den berühmten Feldern von Waterloo geliefert werden. Auf die Frage, wann die Engländer vormarschbereit seien, erwiderte French: nicht vor dem 24. August; dann brauche er noch eine Woche, um seine Infanteriereserve heranzuziehen. Lanrezac bedauerte diese Verzögerung und meinte, die Deutschen würden die Engländer wahrscheinlich zwingen, schneller zu handeln. Den Vorschlag Lanrezacs, die englische Kavallerie-Division mit dem französischen Kavalleriekorps Sordet gemeinsam auf dem äußersten linken Flügel operieren zu lassen, lehnte French schroff ab und betonte nochmals, daß er zunächst seine drei Korps zur Stelle haben müsse, bevor er antreten könne. Zur Zeit habe er nur zwei; [203] seine Kavallerie werde er als Reserve behalten. - Damit sei die Unterhaltung im wesentlichen beendet gewesen. General Lanrezac vermutet, daß General French bei der Niederschrift seines Berichts auf ihn erbittert gewesen sei, weil er ihn in der Schlacht bei Mons nicht unterstützt habe. Der Vorwurf, vom Nachbarn im Stich gelassen worden zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch die Schilderungen beider feindlicher Führer. Lanrezac versichert, er wäre gern dazu bereit gewesen, hätte aber nicht verhindern können, daß sich die Engländer, von einem gewaltigen deutschen Angriff überrascht, auf eine überstürzte Flucht hätten begeben müssen, um der gänzlichen Zertrümmerung zu entgehen. Er sagt über die Geschehnisse: "Am 21. August schwenkten die deutschen Armeen (1. und 2.) um Namur als Drehpunkt, und zwar so, daß die Schlacht am 21. August abends am rechten Flügel der französischen 5. Armee begann und sich allmählich nach links verschob. Am Abend des 23. August kam Klucks linker Flügel bei Mons mit den Engländern in Berührung. Um diese Zeit hatten die Franzosen schon 48 Stunden in heftigem Kampf gestanden; ihre Lage verschlechterte sich, da sich die französische 4. Armee auf das oberhalb Mézières befindliche Stück des Maaslaufes zurückziehen mußte. Meine rechte Flanke wurde dadurch stark bedroht. Links gingen die Engländer zurück. Ich befahl daher den Rückzug der 5. Armee, die am Morgen des 24. August auf die Linie Givet - Maubeuge zurückging. Feldmarschall French gab ich von meinem Befehl Kenntnis. Für den 25. August hatte ich einen Gegenangriff nach Norden befohlen, der aber nicht ausgeführt werden konnte, weil die Engländer zurückgingen. Demzufolge nahm auch ich meinen Rückzug wieder auf."

Lanrezac schildert dann den durch das überraschend schnelle Vordringen der Deutschen erzwungenen eiligen Rückzug der Engländer, die nicht mehr zu halten gewesen wären, bis sie die Seine hinter sich hatten. - "Am 27. August - fährt Lanrezac fort - blieb die 5. Armee bei Guise - St. Quentin stehen und errang einen unbestreitbaren Erfolg, während die Engländer ihren Rückzug in Gewaltmärschen fortsetzten. Für den 29. und 30. August standen wir hinter der oberen Oise zur Schlacht bereit. French ging weiter zurück und entfernte sich zwei Märsche von meinem linken Flügel. Wir ordneten uns am Abend des 31. August in der Linie nördlich vom Walde von St. Gobain - Laon - Marais de Sissonne. Die Engländer gingen währenddessen bei Soissons hinter die Aisne zurück." Am 31. August sei es ihm nur mit Mühe gelungen, den General Haig zu veranlassen, die Aisnehöhen nördlich Soissons bis zum 1. September besetzt zu halten, um der deutschen Heereskavallerie den Übergang über den Fluß und ein Vorstoßen in den Rücken der französischen 5. Armee zu verwehren. - Lanrezac kommt dann auf die dem Feldmarschall French durch Lord Kitchener erteilte Instruktion zu sprechen, aus der nur das eine herauszulesen sei: "Setzen Sie das Expeditionskorps nicht aufs Spiel." Der englische Führer habe, wenn vielleicht auch nur widerwillig, nur nach diesem Befehl gehandelt, wenn er hartnäckig [204] darauf bedacht gewesen sei, zwei Märsche weiter vom Feinde abzubleiben, als die französische 5. Armee. - Weitere Schlußfolgerungen aus diesen interessanten Enthüllungen zu ziehen, erübrigt sich; dem Einsichtigen genügen die Tatsachen.


Rückblick.

Schon am 22. August abends nach dem Rückzug seiner für den Durchbruch in Lothringen und Luxemburg bestimmten Heeresteile mußte es dem französischen Generalissimus klar sein, daß sein großer Angriffsplan gescheitert war; seine weiteren Maßnahmen konnten zunächst auch nur dahin zielen, den Zusammenhalt seiner Heeresfront sicherzustellen, um damit die Freiheit des Handelns wiederzugewinnen. Allerdings mußte auch die deutsche Oberste Heeresleitung bald feststellen, daß trotz aller glänzenden Waffentaten ihrer Armeen nicht alles so verlaufen war, wie sie es erhofft hatte. Infolge der ungünstigen Entwicklung der Lage an der russischen Front mußten Kräfte der Westfront freigemacht und nach dem Osten abbefördert werden. In dem Streben, hierzu leistungsfähige, anderseits aber auch für den schnellen Abtransport möglichst günstig stehende Korps auszuwählen, wurden - neben einem Korps (V.) der Mitte, dessen Abtransport allerdings wieder rückgängig gemacht wurde - am 25. August das XI. Armeekorps der 3. und das Garde-Reservekorps der 2. Armee, die nach der Wegnahme Namurs hinter ihren Armeen marschierten, zur Abgabe bestimmt. Diese Abgabe schwächte aber den rechten deutschen Heeresflügel, der nach Anlage des Feldzugsplans die Entscheidung bringen sollte, empfindlich. Auch weitere, in der Heimat aufgestellte und verfügbar gewordene Verbände (Ersatz-Divisionen) wurden, in der Sorge vor feindlichem Einbruch, den Armeen des linken Flügels zugeführt. So kam es, daß auch zur Beobachtung und späteren Belagerung von Antwerpen keine Ersatz-Divisionen, sondern wieder zwei Armeekorps (III. Reserve- und IX. Reservekorps) dem deutschen Stoßflügel entnommen werden mußten; ein Armeekorps der 2. Division (VII. Reservekorps) wurde durch die Festung Maubeuge, eine Division der 3. Armee (24. Reserve-Division) vor Givet festgehalten; sie alle fielen - bis auf letztere - in den bevorstehenden Entscheidungskämpfen aus. Zunächst trat die Schwächung des rechten Heeresflügels zwar noch nicht fühlbar in Erscheinung. Noch gelang es, trotz mancher Reibungen zwischen den einzelnen Armeen, von denen die eine den Anschluß nach links nicht verlieren wollte, während die Armee des rechten Flügels nach Südwesten drängte, um die Umfassung des feindlichen Westflügels sicherzustellen, die immer wieder Front machende französische 5. Armee und die Engländer durch fortwährende Bedrohung ihrer linken Flanke zum Rückzug zu zwingen.

Die französisch-englische Heeresfront war durch die Maas in zwei große Abschnitte geteilt. Die linke Heeresgruppe (französische 5. Armee und Engländer) war nicht nur der Umfassung von links ausgesetzt gewesen; ihr drohte auch auf ihrem rechten, am Maasabschnitt bis Givet zurückgebogenen Flügel die Um- [205] fassung von rechts, wenn es der französischen 4. Armee nicht gelang, durch Vorstoß über den Semois auf Neufchâteau diese Gefahr abzuwenden. Als dieser Vorstoß mißglückte, hatte General Lanrezac sich nur durch rechtzeitigen Rückzug der Umfassung entziehen, nur hierdurch hatte ein strategischer Durchbruch der Deutschen zwischen französischer 4. und 5. Armee vermieden werden können. Am 25. August war die französisch-englische Angriffsbewegung auf der ganzen Linie gescheitert; Belgien hatte preisgegeben, das deutsche Lothringen und Elsaß geräumt und damit die strategische Grundlage des allgemeinen Feldzugsplans der Entente aufgegeben werden müssen.

Die französische Heeresleitung hoffte nunmehr, an der Oise und Maas die Freiheit des Handelns wiederzugewinnen. Vor allem galt es, der immer wieder drohenden Gefahr der Umfassung des Westflügels durch Umgruppierung der französischen Streitkräfte und Verstärkung des linken Flügels zu begegnen. Joffre hatte hierzu am 25. August befohlen: "Durch Vereinigung der französischen 4. und 5. Armee, des englischen Expeditionskorps und weiterer Kräfte, die von der Ostfront herangezogen werden, wird eine starke Angriffsmasse gebildet. Die 3., 4. und 5. Armee halten untereinander Verbindung und wehren die feindliche Angriffe ab. Die allgemeine Linie, aus der zur Offensive angetreten werden soll, ist bezeichnet am rechten Flügel durch Verdun, läuft längs der Aisne bis in die Gegend von Craonne, dann über Laon - la Fère - St. Quentin - Vermand und längs der Somme von Ham auf Bray sur Somme." Die allgemeine Zusammenziehung einer Stoßgruppe sollte bei Amiens erfolgen. Dazu wurden in der Zeit vom 27. August bis 2. September herangeführt: das VII. Armeekorps, bestehend aus der 14. Infanterie- und 63. Reserve-Division aus dem Elsaß, die 55. und 56. Reserve-Division aus Lothringen, 61. und 62. Reserve-Division aus dem befestigten Lager von Paris, eine Marokkaner-Brigade (Ditte); für später wurden als Verstärkung noch das IV. Armeekorps von der 3. Armee und die aus Afrika im Antransport befindliche 45. Infanterie-Division in Aussicht gestellt. An die Spitze dieser neuen 6. Armee trat General Maunoury. Auf dem äußersten linken Flügel blieb das Kavalleriekorps Sordet mit dessen Schutz betraut; und noch weiter westlich sperrten mehrere Territorial-Divisionen den unteren Lauf der Somme von Picquigny bis zum Meere.

Der Vormarsch der Armee Maunoury war über Arras - Bapaume geplant. Der Sammelpunkt war aber zu nahe der feindlichen Vormarschrichtung gewählt; man hatte nicht genügend mit der Schnelligkeit und Stoßkraft der Deutschen gerechnet. Schon am 26. August waren die ersten Teile der neuen 6. Armee, zwei französische Reserve-Divisionen unter d'Amade, in der Niederlage des englischen linken Flügels verwickelt worden. Am 27. August sollte Maunoury mit dem inzwischen eingetroffenen VII. Armeekorps aus Gegend Albert auf Combles in die deutsche rechte Flanke stoßen; auch dieser Teilversuch mißlang; Maunoury wich auf Amiens und am 29. August auf Paris zurück. Seine Armee befand [206] sich nach französischen Darstellungen in einem Zustand äußerster Ermattung, erliegend unter den Anstrengungen der letzte Märsche, der Hitze, der Entbehrungen, der Gefechte, der Anhäufung aller Schwierigkeiten, durch die eine eben zusammengestellte Truppe auf die Probe gestellt werden kann (Hanotaux). Der erste Versuch einer strategischen Wiederaufrichtung der französischen Armee nördlich der Somme und Oise war also gescheitert.

Auch ein Ausfall der Belgier am 24. und 25. August aus Antwerpen erreichte das Ziel, die Zerstörung der wichtigsten rückwärtigen Verbindungen der Deutschen, der Bahn Lüttich - Löwen - Brüssel, nicht, zwang allerdings die deutsche Oberste Heeresleitung zum Festlegen starker Kräfte vor der Schelde-Festung.

Joffre beschloß nunmehr, die englisch-französische Armee hinter die Aisne und Marne zurückzunehmen, ohne aber den Gedanken eines rétablissement stratégique aufzugeben.

Demgegenüber schien die Lage des deutschen Westheeres günstig. Der Feldzugsplan, im Westen die feindlichen Streitkräfte in kurzer Zeit zu vernichten oder doch ihrer Bewegungsfreiheit zu berauben, um dann für den Osten freie Hand zu haben, schien der Verwirklichung entgegenzugehen. Die Oberste Heeresleitung ordnete daher an, dem Feinde an der Klinge zu bleiben, ihm keine Ruhe zu lassen und die von manchen Stellen gemeldeten bedenklichen Zersetzungserscheinungen beim Feinde zur vollsten Auswirkung zu bringen.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte