[10=Trennblatt] [11] Erstes Kapitel Ausreise Erste Begegnung mit Afrika Moderne Negerdörfer sind lächerlich Deutsche Arbeit auf Babaque. April 1933! Schiff Nienburg! Noch klangen und zitterten die Glocken von Potsdam in meinem Innern nach, die Glocken, die jubelnd das Erwachen des Volkes, den Anbruch eines neuen, besseren Deutschlands verkündeten, da zog in dunkler Nacht Blankenese an mir vorüber. Terrassenförmig bauten sich die Lichter und über ihnen schwarze Konturen auf, die letzten schemenhaften Schatten der Heimat. So zog ich hinaus und ließ sie hinter mir, die Heimaterde, aber ich war trotzdem guten Mutes. Ich hatte sie noch in Deutschland erleben dürfen: die wunderbaren Tage der Erhebung des Volkes, jene ergreifenden, großen Augenblicke von Potsdam und im Reichstag, in denen Adolf Hitler, in seinem Appell an das Volk, an die Herzen aller Deutschen griff, so daß selbst Männer sich nicht der Tränen schämten. Und nun freute ich mich schon heute auf die Rückkehr in die Heimat. In einem Jahr sollte ich sie wiedersehen. Und es wird ein anderes Deutschland sein, das ich dann betrete. Ein einiges Volk, ein Volk von Brüdern, gereinigt und geläutert, ein schöneres, neues Reich. Der Kapitän und die Offiziere des Schiffes erzählten mir von den uns geraubten Kolonien, von den wunderbaren Palmenwäldern, der ewigen Sonne am blauen Firmament und den treuen Askaris und Schwarzen, die jeden Deutschen mit der sehnsüchtigen Frage begrüßen: "Wann kommen sie wieder, die guten Deutschen?" Ich wollte sie sehen, unsere schönen, verlorenen, afrikanischen Länder und ihre Bewohner, die auf die Deutschen warten! Noch aber war es nicht so weit. Wir standen im brauenden dichten Nebel; die Sirene heulte hinein, in die tückische graue Masse, warnend und drohend. Gefahr! Ein dünnes Stimmchen, verschüchtert und ängstlich, gab [12] Laut, nah, sehr nah. Unser Schiff mäßigte die Fahrt und brüllte dringlich. Da stiegen gespensterhaft vor uns zwei Segel undeutlich empor, wuchsen und wurden unheimlich groß und zogen an uns vorüber, zum Greifen nahe und doch so geisterhaft ferne, eingehüllt in die Schleier der Nebel. Das war noch im Norden, an der holländischen Küste. Bald aber ging es dem Süden, der Wärme zu. Madeira, Las Palmas und Teneriffa, die glücklichen Inseln im Atlantischen Ozean, zogen kaleidoskopartig an mir vorüber; typische spanische Häuser mit blumengeschmückten Balkonen und flachen Dächern, hochstrebenden Palmen, dazwischen Blitze von blauem Meer und leuchtendem Lagunensand, flammende rote, gelbe und weiße Blüten und betäubende Düfte. Heiße Blicke aus dunklen Männeraugen faßten mich bald, mich, die Fremde, und ließen mich nicht los. Geschäftig und geduldig trippelten kleine Esel schwerbepackt einher. Auf ihren Rücken saßen in imponierender Haltung die Reiter, stolze Spanier selbst noch in Lumpen auf dem Esel. Am Abend auf der Promenade in Teneriffa ging die Musik unter in dem lebhaften Gewimmel und Gewirr. Aber Seidenkleider knisterten, rote Lippen und dunkle Augen leuchteten betörend und sinnverwirrend unter Palmen und lauer, südlicher Abendluft. "Auf zum Bremer Ratskeller!" forderten mich zwei Schiffsoffiziere auf. Schiffsleute wissen Bescheid in allen Erdenwinkeln. "Bremer Ratskeller?" fragte ich ganz erstaunt. "Jawohl!" Originell ist dieser Weinkeller und sein Besitzer. Vor zwei langen Reihen von Fässern, deren einzelne Exemplare mit vielsagenden Bezeichnungen und Jahreszahlen versehen waren, ließen wir uns an einem kleinen Tischchen nieder. Von einem großen Tisch im Hintergrund klangen deutsche Laute zu uns herüber. Der Bremer Ratskeller scheint in deutschen Kreisen bekannt zu sein. Nachdem wir von diesem und jenem Faß probiert hatten, kam der Kellermeister, José Benetiz, heran. "Dieser 1902er", er schnalzte mit der Zunge, "is gut, gut." Weiter reichte sein deutscher Sprachschatz nicht, aber in seiner Miene lag ein vielsagendes, verschmitztes Lächeln, so daß man nicht widerstehen konnte. Also einen 1902er! Mit viel Umständlichkeit, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, holte er nun aus dem Faß, das die Aufschrift 1870 trug, ein Glas hervor. Er rieb sich den Bauch und verdrehte die Augen vor Entzücken. Also auch noch einen 1870er. Unter allen Umständen! Ist er doch [13] der Präger der Jahreszahl eines großen Geschehens deutscher Vergangenheit. Er versteht sich auf Weine, Senor Benetiz, wozu hätte er auch die vielen ersten Preise; aber du heiliger Bimbam, hätte ich dich doch lieber nicht gesehen, du Bremer Ratskeller in Las Palmas. "Jetzt noch in ein Café, eine Tasse des schwarzen Gebräus wird uns guttun." "Hallo! Herr Vogt", grüßt erfreut der eine Offizier einen ihm bekannten Deutschen. Und Herr Vogt schleppte uns vom Café mit in sein Büro. Und da kam die große Überraschung für den anderen Offizier. Vor einer Fotografie von acht Seeleuten stand er still und rief dann aufgeregt: "Die deutsche Prisenbesatzung des von der 'Möve' gekaperten englischen Dampfers 'Westburn', meine Kameraden." Und nun erzählten Herr Vogt, der die Westburntat hier, und der Offizier, der sie auf der 'Möve' erlebt hatte, wechselseitig ihre Erlebnisse. Der gekaperte Dampfer, der 200 Gefangene an Bord hatte, wurde mit nur 8 Mann Prisenbesatzung nach Teneriffa geschickt, die Internierten an Land zu setzen. Vor dem Hafen, außerhalb der neutralen Zone, lauerte ein englischer Kreuzer, um den Dampfer beim Auslaufen, das innerhalb 24 Stunden zu erfolgen hatte, abzufangen. Aber "leider" ereilte die 'Westburn' auf dem Rückwege das Mißgeschick, eine Kesselexplosion zu haben und abzusacken. Der englische Kreuzer wartete vergebens. Von den nun in Teneriffa internierten 8 Mann Prisenbesatzung gelang es dem Führer, Badewitz, zu flüchten und nach Deutschland und auf die 'Möve' zurückzukehren. Überall auf weitem Erdenrund sprechen Zeugen von unerhörtem deutschen Mut, von übermenschlichen Anstrengungen und Taten. Sie fehlen auch auf den Kanarischen Inseln nicht.
Hinter der Stadt kletterte ich einen sandigen Berg empor. Nicht ein Gräschen sproß aus dem grauen Geröll, und doch war hier eine Ziege an einen Pfahl gebunden. Ich sah wirklich in weitem Umkreis nicht die geringste Nahrung für sie. Dicht daneben zerrte eine Henne an ihrem Strick, an den sie gebunden war, so daß ich fürchtete, sie würde sich noch das Bein ausreißen. Sie war ein wertvoller Besitz, die einzige Henne einer Familie. Ich kam oben auf dem Hügel an und sah in ein anderes Tal hinein. Und Häuser, Sand und Geröll, nicht die mindeste Vegetation auch dort. Wovon die Menschen nur leben? Ein Deutscher gab mir darauf die Antwort: Zum großen Teil hungern sie, zum andern leben sie von Fischen und einer Handvoll Mais, der schon eingeführt werden muß. Und trotz dieser Genügsamkeit würden sie hier nicht durchkommen, würde nicht eine Menge Arbeiter saisonweise nach Südamerika gehen und von dort mit einigem Ersparten nach Hause zurückkehren. So fristen sie ihr Leben. Man kann sich die Armut hier kaum vorstellen. "Kommen Sie einmal mit mir in dieses Restaurant, dort werden Sie gleich etwas erleben, was kaum anderswo auf der Welt möglich wäre." Im Gasthof bestellten wir Rühreier. Aber damit brachten wir die Wirtsleute in große Verlegenheit. "Wir haben nur ein Ei hier, wir können uns nicht mehr herlegen, denn es kommt niemand zum Essen. Aber wir könnten schnell zum Markt gehen, welche zu holen." Ich ging selber zum Markt. Mein Erscheinen erweckte einiges Aufsehen, und für Momente vergaßen die Menschen ihr Geschäft. Dann aber streckten sich mir Dutzende von Händen bettelnd entgegen. Eine Frau bot mir aus einer Hand ihre wahrscheinlich einzige Henne und aus der anderen drei Eier zum Kaufe an, während sie mir den Rauch aus ihrer Pfeife ins Gesicht blies. Die Menschen hockten am Boden und hinter schmalen Brettern, die mit ein paar Palmwedeln überdeckt waren. Einige halbverfaulte Bohnen, ganz winzig kleine Orangen, dazwischen einige Kartoffeln und Eier in ganz geringen Mengen, das waren die Erzeugnisse des Landes, der spärliche Markt von Mindelo auf Sao Vicente. Dabei aber lagen noch dicke [15] Rollen von Tabak, und um sie hauptsächlich feilschten die schwarzbraunen Frauen, ihre Kinder auf dem Rücken, und pafften mächtige Wolken aus ihren Pfeifen, die Händlerin und ihre Kundin. Man sah es ihnen an, daß sie eher auf das Essen als auf ihr Pfeiflein verzichten konnten. Es ist ein Glück für die Leute, daß sie sich selbst kaum ihres traurigen Daseins bewußt sind. Sie sind hier geboren und kennen nichts anderes. Aber furchtbar ist das Los einiger monarchistischer Verbannter, hoher portugiesischer Adeliger, die die republikanische Regierung gerade auf diese, ihre unwirtlichste und trostloseste Kolonie verbannt hat. Für sie ist Sao Vicente die Hölle. Mich schaudert, wenn ich um mich blicke. Steine, Geröll, sengende Sonne, kein Gräschen, keine Blüte, kein Vogelsang - muß nicht der Wahnsinn nach einem greifen? Ich bin wieder am Schiff und atme auf, während ich mir den geheimnisvollen schlafenden Riesen, diesen sonderbaren Bergriesen betrachtete. Bist du der böse Geist, der die Eindringlinge mit seinem Haß verfolgt und ihnen das Allernötigste zum Leben versagt? Ich fliehe dich. Du bist mir unheimlich, du rätselhaftes Ungetüm und du, Insel der Verbannten und Verdammten! Die tiefe Stimme eines der Offiziere schreckte mich auf: "Deutsche Siedler würden anderes aus dieser Insel schaffen. Ich habe Kiautschau kurz nach der deutschen Pachtung gesehen. Das Land sah aus wie dieses hier, so leer, so trostlos. Und kurz vor dem Kriege erkannte ich es nicht wieder. Eine saubere deutsche Stadt mit herrlichen Parkanlagen war daraus geworden." Gewiß, sie würde bestimmt anders aussehen unter deutscher Herrschaft, die Insel, aber Gott behüte uns vor derartigen oder ähnlichen Kolonien. Deutscher Geist und deutsches Blut ist wirklich zu wertvoll, um in frucht- und nutzlosem Ringen an untauglichen Objekten vergeudet zu werden. Deutschland will seine alten geraubten, mit viel Mühe und Fleiß aufgebauten Kolonien wiederhaben, denn für das Deutsche Reich handelt es sich nicht bloß um Beaufsichtigung und Ausnutzung schwarzer Arbeiter, wie das bei anderen, mit Kolonien überreich gesegneten Ländern der Fall ist, sondern um wirkliche Ansiedlung, um eigene Arbeit, um Entlastung der zum Bersten gespannten Grenzen des Reiches. Langsam voran brach das Schiff sich Bahn. Die drohenden Schatten des schlafenden Riesen verschwammen in Abenddämmerung und Ferne. Das südliche Kreuz stieg auf am Horizont. Matrosen sangen mit gedämpf- [16] ter Stimme heimweherfüllte Lieder. Da war auch mir die Fremde ihres Glanzes, ihres lockenden Zaubers entkleidet, und an das Herz griff die Sehnsucht nach dem deutschen Wald, nach blumigen Wiesen, nach der Heimat.
Verdammt nochmal, ihr impft einem ja Malaria ein, mit jedem Wort, ihr suggeriert einem Malaria. Ich bin auf meiner Fahrt um die Welt auch durch einen malariaschwangeren Teil Asiens gekommen, ohne je das Wort Malaria zu hören, ohne eine Pille Chinin zu sehen, geschweige denn zu schlucken, und dabei habe ich nicht einmal an Malaria gedacht. Und nun macht ihr mich nervös! In der Kammer höre ich eine Fliege summen, ein Moskito — Malaria ! Lächerlich — und wenn es ein Moskito wäre, Hunderte haben mich gestochen in Indochina und Indien. Aber vorbei ist es nun mit Schlaf und Ruhe! Das gilt nicht, meine Herren, ich protestiere! Malaria und Hitze! Die Hitze - uff! Das flimmert von Hitze und Licht, und das Schiff scheint in Glut getaucht. An den Eisenteilen verbrennt man sich die Hände, und der Teer in den Fugen der Schiffsplanken beginnt zu schmelzen. Die Sonne stand senkrecht über dem Deck, brannte mir ihre Strahlen auf Kopf und Körper und erfüllte mich mit versengender Glut. Ich hatte das Gefühl, Wasser auf meinem Körper müßte mit Zischen verdunsten. Ich flüchtete mich in die Kammer; aber dort war es schwül und heiß wie in einem Backofen, und die Glieder wurden schlaff und phlegmatisch. Nur keine Bewegung, keine unnötige Anstrengung. Das Gehirn war müde, wie ausgetrocknet, es wollte nicht denken, nur Ruhe. Die Küste von Westafrika, Portugiesisch-Guinea kam in Sicht, gesäumt von Palmen und Busch. Ein schwarzer Pilot, in europäischen Kleidern, [17] kletterte mit unbeholfenen, steifen Beinen die Leiter empor. War das Afrika, Neger in europäischen Kleidern, mit gichtischen Gliedern? Der Ort Bissao ist der Sitz der portugiesischen Behörde, ein kleines Nest an der Küste, mit versandeten Straßen, doch immerhin mit elektrischer Lichtanlage. 10 Kilometer weiter im Lande ist Busch und Urwald. Die Portugiesen fühlen sich als Herrenvolk. Auf einstige Größe pochend und verweisend legen sie nicht selbst Hand an die Arbeit, sondern beschränken sich darauf, von den Negern ihre Steuern einzuziehen. In ihren vielen und großen Kolonien, die sie seit Jahrhunderten innehaben, ist wenig an Aufbau- und Erschließungsarbeiten geschehen. Glückliches Land, das es nicht nötig hat, sich zu plagen, denn es kennt keinen Mangel an Raum und hat daher keine Siedlungen in seinen Kolonien. Ich ging hinein in das Eingeborenendorf Bissao. Zwischen den mit Stroh gedeckten Lehmhütten stampften Menschen, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, ihren Reis, schmutzverkrustete Schweinchen und Kinder wälzten sich auf dem sandigen Boden. Vor einem primitiven Webstuhl saß ein schwarzer Geselle, und eine Frau flocht einem in ihrem Schoße liegenden Mädchen kleine Zöpfe und fuhr mit flinken Fingern immer wieder einmal zum Munde. Das war Afrika, echtes Afrika. Doch ich traute meinen Augen kaum! Durch dieses afrikanische Idyll zogen hohe Masten und spannten sich Drähte - die elektrische Leitung im Negerdorf. Ein blitzblankes, neues Motorrad stand an ein Lehmhaus gelehnt, und ein in tadelloses europäisches Weiß gekleideter Wuschelkopf hantierte fachkundig und auch ein bißchen prahlerisch daran herum, während schwarze, runde Bäuchlein um ihn herumstrichen und Kinderkugelaugen ihn bewunderten. Auf seinen eingeknickten Beinen, im Staub, hockte der eine, während ein anderer, nackt und faul, sich im Liegestuhl rekelte. Ich konnte mich nicht erinnern, im Leben krassere und lächerlichere Gegensätze gesehen zu haben. Irgendwo im Dorf stand ein ausgemergelter Lastwagen, der beinahe über die spitzzulaufenden runden Schilfdächer hinausragte. Eine Frau saß an ihrer Lehmhütte an einer Nähmaschine; zu ihren Füßen streckte sich ein dickes Schwein. Auf einer verbeulten, großen Blechbüchse trommelte auf einem freien Platz ein Schwarzer in rhythmischem Takt, und eine kunterbunte Gesellschaft, wie es gerade traf, mit oder ohne Kleider, tanzte einen Niggertanz. Ein lächerliches Gemisch von europäischen Dingen und wirklichem, afrikanischem Leben. Ich wußte nicht, sollte ich lachen oder heulen. Wie lange [18] wird es noch dauern, dann dringt durch das Radio "Beethoven" zusammen mit dem Abzugsrauch aus den Schilfdächern der Negerhütten. Das Telefon wird hineinschrillen in das Urwaldidyll, und der Jüngling im Lendenschurz und Wollhaar wird seiner Schönen im Grasrock, am anderen Ende des Busches, über den Draht seine Zärtlichkeiten zuflüstern. Das Flugzeug wird auch Urwaldferne überwinden, die Krokodile aus ihrer beschaulichen Ruhe aufschrecken und die Geier kreischend in die Flucht jagen, Innerafrika ist dann erschlossen und entzaubert. Halbeuropäisierte Negerdörfer sind lächerlich.
Die Bewohner dieses Archipels, die Bissagosneger, sind denn auch ein freies, stolzes Volk. Sie sehen absolut nicht ein, warum sie arbeiten sollen, da die Natur ihnen doch alles zum Leben Notwendige spendet. Noch viel weniger aber können sie begreifen, daß sie den Portugiesen Steuern zahlen sollen. Dagegen haben sie eine große Abneigung, wie das überall so ist auf weiter Welt, und es hat aus diesem Grunde schon einige Male kleine Aufstände gegeben. Vor nicht allzulanger Zeit verweigerten sie wieder einmal die sogenannte Taxe. Da nahmen die Portugiesen ihre Königin gefangen. Die "hohe Frau" aber trat in den Hungerstreik, so daß man sie schließlich, um einen allgemeinen Aufstand zu vermeiden, wieder freiließ. Auf die Dauer müssen natürlich doch die Eingeborenen den kürzeren ziehen. [19] Auf den Bissagosinseln herrscht das Mutterrecht. Die Frau ist Gebieterin und Herrscherin, wählt sich ihren Mann und stellt, wenn es ihr nicht gefällt, ihn wieder auf die Straße. Eine Königin ist das Haupt des Volkes und Gebieterin über Land und Leute. Trotz vierhundertjährigem Besitz der Portugiesen herrscht auf den Inseln noch ursprüngliches Leben und Treiben; in das Innere sind nur wenige Weiße gekommen. 1925 pachtete die Deutsche Kamerun-Eisenbahngesellschaft für eine Zeitdauer von 99 Jahren einige der Eiländer, und schon heute rührt und regt es sich auf der Insel Babaque. Am Meeresufer sind an einer Stelle die Urwaldpalmen gelichtet, schwarzer Rauch steigt zwischen ihnen empor, und das Stampfen und Knirschen von Maschinen dringt in diesem Tropenparadies wenig harmonisch, doch zeugend von deutscher Tatkraft an das Ohr. Die wildwuchernden Ölfrüchte werden hier verwertet und das Öl in großen Fässern versandbereit aufgespeichert. Das stampft und knirscht, und schwarze Gesellen im Lendenschurz stehen an dampfenden Kesseln und mächtigen Pressen und bedienen die Hebel. Von der Fabrik ging ich einen Weg am Strand entlang, der mit kleinen Muscheln gepflastert war. Zur täglichen Speise der Bissagos gehört der Inhalt dieser Schalen, die sie im Schlamm, vom Meere angeschwemmt, finden. Ein ganzer Kübel davon ist das gewöhnliche Quantum für eine Familie. Die entleerten Muscheln fanden die Deutschen bei ihrer Ankunft in großen Haufen vor und benutzten sie als Straßenschotter, wobei sie sich gut bewährten. An blitzblanken kleinen Villen mit luftigen Terrassen in blühenden Gärten kam ich vorüber, Blüten sprühten Farben, überreife Mangos hingen beinahe zum Fenster hinein, und alle europäischen Gemüse und Salate und dazu die Ananas und andere Tropenfrüchte strotzten von Saft und Kraft. Sie haben es schön, diese drei deutschen Ehepaare und die drei Junggesellen, die in diesem Paradiese hausen. Und doch! Sind sie wirklich so sehr zu beneiden? Sie sind deutsche Pioniere und haben deren Leiden und Freuden auszukosten. Das Land und das Klima sind gut und schön, wenn auch heiß, manchmal zu heiß, und das gelbe Fieber hat in diesem Jahr zwei Portugiesen hinweggerafft. Doch das ist nicht das Schlimmste. Fieber gibt es in ganz West- [20] afrika. Aber die Inseln sind klein und abgelegen und nicht allzuoft kommen Grüße von der Heimat in Gestalt von Dampfern hierher. Die paar Menschen sind einzig und allein auf sich angewiesen, und das wird mitunter langweilig, besonders für die Junggesellen. Mein Weg ging weiter durch halbgerodeten Urwald. Bei Ankunft der Deutschen gab es hier keine Straßen, und nun durchziehen sie die Inseln nach allen Richtungen. Zwei Affen hintereinander sprangen über den Weg hinein ins Gebüsch. Riesige, hundertjährige Kapokbäume, mit Lianen umwachsen, verknorrt, streckten ihre Äste mit gewaltigem Schwung in die Luft. Unheimlich große Eidechsen, deren Oberkörper grünlich schillerten, sonnten sich auf Steinen. Ein hübscher, reiherartiger Vogel stolzierte über eine Lichtung. Und nun wurde es dunkel um mich. Der Urwald wollte sich hier nicht eindämmen lassen und machte Anstalten, die ihm mühsam abgerungene Straße wieder zu überbrücken. Wie eine Mauer, so dicht aneinandergewebt ist das Gestrüpp, und die leicht wiegenden Palmwedel strecken sich über meinem Kopf sehnsüchtig einander entgegen und streicheln sich wie nach langer, gewaltsamer Trennung verliebt und zärtlich. Es flüsterte und wisperte um mich der Urwald mit geheimnisvoller, mächtiger Sprache. Vogelstimmen, Gezirp und sonderbare dumpfe Rufe. Nun ein helles Klopfen, mächtige Schläge und - dort - hoch oben am Wipfel einer Palme hockt ein Neger und schlägt mit einer Hacke die in traubenförmige Büschel verwachsene, reife, rote Frucht vom Baume. Behend, durch einen Gurt um den Leib am Baum gehalten, klettert er herab und mit seinen nackten Füßen durch das Gestrüpp kriechend, sammelt er die geschlagenen Früchte. Da wird mir ordentlich bange um ihn. Es gibt viele giftige Schlangen hier, und besonders eine von ihnen ist gefährlich. Nach einigen Stunden ist stets jeder von ihr gebissene Mensch gestorben. Keiner konnte bis jetzt gerettet werden. Es kommt mitunter auch vor, daß sich diese ungemütlichen Tiere auf die Veranda eines Europäerhauses verirren. Da gibt es ein einfaches Mittel sich ihrer zu entledigen. Eine auf den Boden gestellte brennende Lampe zieht die Schlange mit magischer Gewalt an und unbeweglich, hypnotisiert, starrt sie auf das Licht. Das ist der günstigste Moment, ihr den Garaus zu machen. Eine Lichtung tauchte an meinem Wege auf, und romantische Eingeborenenhütten, niedere Lehmmauern mit rundem, oben spitz zulaufendem Grasdach liegen vor mir. Wie Gott sie geschaffen, mit nur einem [21] Grasröckchen angetan, Frauen und Männer, schöne Figuren, aber auch scheußliche Gestalten, stampften sie ihren Reis, trugen ihre Lasten auf dem Kopf oder rekelten sich faul im spärlichen Schatten ihrer Hütten. Zwei herrliche Mädchengestalten hockten malerisch auf einer Matte. Ich zückte meine Contax. Doch in diesem Moment sprangen sie auf und husch! in die Hütte hinein. Aber die eine von ihnen kam bald wieder. Sie war bloß eitel und wollte sich nicht im "Werktagskostüm" knipsen lassen, die Kleine. Nun prangte sie in ihrem Festtagsgewand, in einem blendend weißen Hemd, das von der Schulter bis zur Ferse reichte. Soviel also haben sie in den paar Jahren den Weißen bereits abgeguckt. Nun bot sie sich mit Gebärden zum Fotografieren an. Aber jetzt war mein Interesse für sie dahin. Mehr und mehr der schwarzen Menschen sammelten sich um mich, aber scheu und mißtrauisch umschlichen sie mich in sicherer Entfernung, verdächtig verzogen sich die Mündchen in den Gesichtern der kleinen Dickwänste, die sich an Mutters Grasrock hingen, wenn man den Blick auf sie richtete. "Kinder, was macht ihr für Umstände, ich beiße nicht. Aber hier seht doch mal, ihr sollt auch ein kleines Vergnügen haben." Ich zeigte ihnen meine Kamera, drücke sie schließlich dem einen der erwachsenen Krausköpfe in die Hand und bedeutete ihm, durch den Sucher zu gucken. Er kann erst nichts entdecken, dann aber macht er plötzlich einen Sprung in die Luft, und gestikulierend und mit aufgeregtem Kauderwelsch übergibt er die Kamera einer schwarzen Schönen. "Da, du holde Maid, schau dir einmal die Welt durch dieses Loch hier an, wie sie klein und wunderlich ist", so oder ähnlich mag er wohl zu ihr gesagt haben. Mit ängstlich zittrigen Fingern nahm sie das unheimliche Ding entgegen, dann aber strahlte sie und wollte sich gar nicht mehr von ihm trennen. Aber ein ungeduldiger, halbwüchsiger Junge nahm es ihr aus der Hand. Er guckte erst hindurch, aber er war sehr wißbegierig und versuchte an einem der Rädchen zu drehen. Da bekam ich Bedenken über das weitere Wohlergehen meiner Kamera. "Kinder, nun ist es aber genug, nun gebt mir bitte meine Contax wieder." Sie aber reagierten gar nicht auf die höfliche Aufforderung, und so war ich leider gezwungen, mit einem etwas unhöflichen Griff mein Eigentum wieder an mich zu bringen. Aber sie nahmen es nicht krumm. Im Gegen- [22] teil! Sie waren nun sehr zutraulich geworden, prüften mein Kleid auf Güte des Stoffes mit den Fingern, worauf ich dasselbe mit ihren Grasröckchen tat und meinte, sie wären viel schöner wie mein Kleid. Aber sie schüttelten energisch den Kopf, sie hatten also den Sinn erfaßt und, wie Evastöchter nun einmal sind, gleich Gefallen an dem Fremden gefunden, mag es auch unpraktisch und wenig geeignet für das Klima hier sein. Ich seufzte wirklich etwas neidisch, während ich mir den Schweiß von der Stirne wischte und dachte, könnte ich jetzt doch mein Kleid für eures eintauschen. Auf dem Rückwege gab mir noch ein Teil der Bewohnerschaft das Geleit. Ich hatte die kindlichen Herzen dieser naiven Menschen im Sturm erobert.
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