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Zweites Kapitel
Liberia, die Negerrepublik • Auf Fußtour ins Innere • Nachts ist der Urwald lebendig.

Es war noch früh am Morgen, als das Schiff vor Monrovia, der Hauptstadt Liberias, stoppte. Hier wollte ich den Dampfer verlassen. Aber noch lag ich zu Bett in meiner Kabine. Der Ventilator blies mir die Luft so kühlend ins Gesicht, und ich war so phlegmatisch durch die Hitze der vergangenen Tage, daß ich mich bloß faul streckte. Ich werde noch leicht fertig mit Packen; es ist ja noch so früh am Morgen und so wunderbar still. Plötzlich dringt ein furchtbarer Schrei an mein Ohr, daß ich mich entsetzt aufrichtete, Ketten klirrten, nackte und beschuhte Füße tappten und schlürften über Deck, begleitet von einem schrecklichem Gezeter und Gekeif, das unangenehm durch mein Kabinenfenster drang. Vorbei war es mit Ruhe und Schlaf. Ich sprang aus dem Bett und machte mich in Eile fertig. An Deck beruhigte mich lächelnd der Kapitän.

"Keine Sorge, das sind keine Piraten, sondern die Kruboys. Mit der himmlischen Ruhe an Bord ist es nun allerdings vorbei."

''Kruboys''.
[64a]      "Kruboys": Jeder Frachtdampfer, der Westafrika befährt, nimmt 40 - 60 dieser Kruneger zum Ein- und Ausbooten an Bord.
Die Kruneger, deren Stamm an der Pfefferküste in Liberia zu Hause ist, tragen auf ihrer Stirne ein Zeichen, das wahrscheinlich in der Sklavenzeit entstanden ist. Die Angehörigen des Krustammes malten sich dieses auf, um sich von den anderen Eingeborenen zu unterscheiden und sich den Sklavenhändlern als Kru kenntlich zu machen, da solche nicht gehandelt wurden. Man hatte nämlich schlechte Erfahrungen mit dieser "Ware" gemacht. Der größte Teil der Krusklaven starb an Heimweh (die [23] Händler behaupteten, aus purer Bosheit), so daß der Handel mit ihnen nicht mehr lohnend genug erschien. Diese "empfindsamen und boshaften" Menschen wurden nun, um sie sich doch nutzbar zu machen, zum Einbooten der Sklaven verwendet. Seit dieser Zeit - Mittelalter - ist nun die Zuhilfenahme von Kruboys auf Schiffen erhalten geblieben. Jeder Frachtdampfer, der Westafrika befährt, nimmt in Monrovia oder einem anderen nahen Hafen 40 - 60 Kruneger zum Ein- und Ausbooten an Bord, da diese Arbeit für Weiße in den Tropen zu anstrengend ist. Haben sie nun früher auf Segelschiffen Menschen verfrachtet, so schleppen sie sich heute auf modernen Dampfern mit Kaffee und Pfeffersäcken, mit Palmölfässern, Bananen- und Piassavabündeln ab.

An der ganzen westafrikanischen Küste entlang bleiben sie an Bord und werden auf der Rückreise in ihrem Heimathafen wieder abgesetzt. Diese Boys sind nicht schlecht bezahlt. Sie erhalten bei voller Verpflegung 2 Schilling pro Tag. Da viele Frachtdampfer 2 Monate für die Tour benötigen, so kommt es nicht selten vor, daß so ein Boy nach Ablauf der Fahrt zirka 100 Mark erhält. Aber da kommt der liberianische Staat und fordert seine nicht unerhebliche Steuer. Der Gouverneur der Krutown in der Hafenstadt, dem Sammelplatz der Boys, nimmt seine Prozente, der Headmann bekommt pro Mann soundsoviel. Den kläglichen Rest seiner Entlohnung nimm der Kru mit fatalistischer Ergebenheit.

Als 27. Gegner erklärte Liberia Deutschland den Krieg.
Da erschien ein deutsches 
U-Boot von Monrovia, und die Liberianer sahen ihr einziges Kriegsschiff
im Meer versinken.
[64a]      Als 27. Gegner erklärte Liberia Deutschland den Krieg. Da erschien ein deutsches U-Boot von Monrovia, und die Liberianer sahen ihr einziges Kriegsschiff im Meer versinken.
Die Kruneger bilden einen der fleißigsten, von der herrschenden Klasse der Schwarzen unterdrückten Stamm in Liberia, der einzigen Negerrepublik unseres Erdballes, jener Republik, die als 27. Gegner Deutschland den Krieg erklärte. Liberia war vor dem Kriege deutschfreundlich eingestellt, und die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern waren sehr rege. Nur auf schärfsten Druck und Zwang der Alliierten ist Liberia in den Kriegszustand mit Deutschland getreten. Lange hat sich der damalige Präsident dagegen gewehrt. Doch er konnte dem Druck von Englands und Frankreichs Seite auf die Dauer nicht widerstehen, wollte er nicht die Eigenstaatlichkeit seines Landes aufs Spiel setzen. Also Kriegserklärung an Deutschland! Formsache nur! Deutschland war ja eingekreist, abgeschnitten, man würde vom Kriege nichts spüren, saß man doch beinahe am anderen Ende der Welt. Und sie schliefen ruhig, die guten Liberianer, während die Geschütze europäischen Boden zerpflügten. Da störte sie der böse Michel, dem sie die Feindschaft angesagt hatten, eines Tages jäh und unangenehm aus ihrem Schlummer auf. Die Deutschen kehrten sich nicht an Einkrei- [24] sungen und Entfernungen, und eines Tages stand im fernen Afrika plötzlich ein U-Boot vor des neuen Feindes Hauptstadt Monrovia. Das Ultimatum erging an die Regierung, innerhalb einer bestimmten Zeit ihre Funkstation abzubrechen. Das schreckte die Liberianer auf, und mit flinken Beinen und aufgereckt liefen sie zu den alliierten Konsuln.

"Ihr habt uns in den Krieg hineingetrieben, nun helft uns auch."

Aber so groß die Alliierten erst in Versprechungen waren, so klein und hilflos waren sie nun, und so sahen die Liberianer ihre Funkstation in Trümmer und ihr einziges kleines Kriegsschiff ins Meer versinken. Das war ein schwerer Schlag für die nationalstolzen schwarzen Republikaner, die sich selber gerne Amerikaner nennen, denn sie kamen aus der Neuen Welt. Sie sind die Nachkommen freigewordener amerikanischer Negersklaven, zum Teil Mischlinge aller Schattierungen. Die sogenannte Pfefferküste, an der Liberia liegt, war seit ihrer Entdeckung durch die Portugiesen, im Mittelalter, der Schauplatz eines schwunghaften Sklavenhandels, in den sich hauptsächlich Spanien und Portugal teilten. Die steten Kämpfe zwischen den Eingeborenenstämmen ließen es an Zufuhr von "Ebenholz" nicht fehlen. Regelrechte Sklavenstraßen bildeten sich, auf denen lange Züge von gefangenen Negern zur Küste getrieben wurden. Man schätzt die jährliche Zahl auf etwa 10 - 12 000 und den "Umsatz" innerhalb drei Jahrhunderten auf etwa 8 - 10 Millionen.

Nach der Freilassung der Sklaven in Amerika kamen zahlreiche von ihnen in große Not und begannen den weißen Amerikanern lästig zu werden. Um diesem Übelstande abzuhelfen, bildete sich in Amerika eine Kolonisationsgesellschaft mit dem Zwecke der Grunderwerbung in Afrika, zur Ansiedlung freigelassener Neger. Man dachte an Westafrika, denn von dort waren die meisten Sklaven importiert worden. Man versprach sich auch viel Gutes von dem moralischen Einfluß, den eine christliche Kolonie von Negern auf die anderen "Barbarenvölker" ausüben würde.

1822 langten die ersten Emigranten in Westafrika an, und 1847 wurde die unabhängige Republik Liberia ausgerufen.

Die neugegründete Republik erfüllte nicht alle Hoffnungen, die vor allem Amerika in sie gesetzt hatte. Die ersten Einwanderer zeigten wohl einen erstaunlichen Eifer für Siedlungsarbeit, aber ihre Nachkommen ergriff bald eine Art Größenwahn, und sie betrachteten Siedlungsarbeit als untergeordnete Tätigkeit. Alles drängte zur Futterkrippe des Staates und so kam es, daß allmählich 50% der Liberianer als Beamte tätig waren. [25] Dadurch entstand bald ein Stillstand im Siedlungswesen und eine chronische Leere im Staatssäckel. Anleihen wurden aufgenommen. Aber das Geld zerrann unter den Händen der Neger, ohne daß etwas von praktischem Wert geschaffen wurde. Man legte das ganze Gewicht auf Äußerlichkeiten und wollte es unter allen Umständen großen Mächten gleichtun. Man mußte ein Kabinett nach amerikanischem Muster haben, mit einem Postminister für das einzige Postamt in der Hauptstadt Monrovia, einen Kriegsminister für einige hundert Mann Soldaten und ein kleines Liliputanerkriegsschiff, das nicht den geringsten Verteidigungswert besaß. Dadurch wurden die Verwaltungskosten für das Land, das etwa 15 000 Liberianer (die Nachkommen der freigelassenen Sklaven in Amerika) und 1½ Millionen Eingeborene zählt, unverhältnismäßig hoch. Das Land befindet sich daher in schweren finanziellen Nöten und hat seinem Schuldner Amerika seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Die Verhandlungen über diese Angelegenheit finden in Genf statt. Ich wünsche dem liberianischen Ministerpräsidenten, der sein Land in Genf vertritt, ein hohes Alter, damit er ein Ergebnis in Genf auch noch erleben wird.

 
Grand Bassa! Ich sitze in der lauschigen Ecke auf der Veranda einer deutschen Faktorei in Gesellschaft meiner liebenswürdigen Gastgeber und wundere mich. Ist das Afrika? Afrika am Äquator? Es ist so kühl und angenehm. Und doch ist es Afrika! Auf das Dach, auf die Fensterscheiben prasselt der Monsumregen, wie Hagel so schwer und hart. Die mächtigen Kapokbäume am Strande vor uns verschwimmen im Regen, und der freie Blick auf das Meer ist gehemmt durch einen grauen Schleier. Die Regenzeit setzt ein. Auf der Veranda ist es gemütlich. Bei duftendem Kaffee erzählt ein Missionar, der aus dem Innern kam, vom Bassaland und fordert die junge Frau des Hauses und meine Wenigkeit zu einem Besuch seiner Mission auf. Wir sagen beide erfreut zu. Die Tour wird besprochen.

"Sie brauchen je einen Boy für den Koffer, vier Boys für die 'Hammer' und zwei zum Wechseln", so sprach der Missionar.

Naiv frage ich: "Eine Hammer? Was ist denn das?"

"Nein, nicht Hammer, sondern H-a-m-m-o-ck, Hammock."

"Na, und was ist das für ein Ding, eine Hammock?"

"Das ist eine Hängematte mit einem Dach darüber, in der Sie getragen werden."

[26] "Was? Tragen? Ich denke, wir laufen."

Der Missionar lächelt überlegen, so daß ich wie ein unerfahrenes Grünhorn erröte.

"Ja, das wollen sie alle, wenn sie herauskommen, bis sie dann ihren Knacks weg haben. Was denken Sie denn? Hier in den Tropen wollen Sie eine ganze Tagestour laufen und noch dazu jetzt, zur beginnenden Regenzeit, in der Wege und Stege überschwemmt sind. Das können Sie nicht. Ich selber gehe ja auch per Hammock."

Ich füge mich. Dieser Herr, der das Land durch und durch kennt, muß es wohl besser wissen, obwohl mir der Gedanke, getragen zu werden, unangenehm ist.

Montag morgens. In dem Hof der Faktorei sammeln sich schwarze Jungens und drei Hammocks werden herangetragen. Es gibt noch einiges Hin und Her und Zwistigkeiten und Geschrei unter den Schwarzen, bis wir unsere Hängematten besteigen können, die Boys ihre Lasten aufnehmen und die Karawane sich in Bewegung setzt. Und sie ist stattlich, ich staune, fünfundzwanzig Jungens für eine Tagesreise für drei Weiße. Es ist eine lange Reihe von Menschen, und wir nennen sie unseren Extrazug.

Nun schwanken wir vorbei an den paar Häusern der "Stadt" mit dem großzügigen Namen "Grand" Bassa, hinaus in freieres Gelände, und mir wird beinahe übel. Aber es ist nicht Seekrankheit, die mich befällt ob der Schaukelei, sondern ein moralischer Katzenjammer. Ich sehe die vier Burschen, die mich tragen, schon nach kurzer Zeit in Schweiß gebadet, und das gleiche unangenehme Gefühl, das ich in Japan bei meiner ersten Rikschafahrt hatte, stellte sich in verstärktem Maße wieder ein. Es geht wirklich gegen mein inneres Gefühl, mich mit gesunden Gliedern von anderen Menschen, ganz gleich welcher Rasse, in dieser Weise tragen zu lassen. Es nützt mir Neuling auch nicht viel, daß ich mir selber die oft gehörten Worte vorsage, der Weiße ist Strapazen in den Tropen nicht gewachsen, während sie dem Eingeborenen nicht schaden, also hat er das Recht und sogar die Pflicht gegen sich und seine Rasse, sich der Schwarzen zu seiner Hilfe zu bedienen. Ich sitze in meiner Hammock, ganz in Gedanken versunken, da stört mich der Missionar aus meinem Sinnen auf.

"Hier eine Kaffeepflanzung."

Ich sehe auf; wir sind noch auf einem leidlich guten Weg, der von Pflanzungen aller Art eingefaßt ist. Hier wechselt Kaffee mit Pfeffer- [27] sträuchern und Ölpalmen. Kakaobäume tragen ihre Schoten und daneben dehnen sich langgestreckte Kassawafelder aus, deren Knollenfrüchte neben Reis die Hauptnahrung der Eingeborenen bilden.

An Früchten ist die Gegend überaus reich, und außer Orangen und Zitronen gedeihen hier Bananen, Ananas, Mangos, Popaias, Butterbirnen, die sehr fett sind und mit Salz und Pfeffer gegessen werden, und vieles andere. Das Land ist ja so fruchtbar, und ein kahler Stock, von irgendeinem Strauch gebrochen und in die Erde gesteckt, beginnt zu wachsen. Hölzerne Zäune treiben aus und werden grün und lebendig.

Urwüchsiger wird das Land um uns herum, die Pflanzungen hören auf und dichter Busch umgibt uns. Nur hier und dort sind noch Lichtungen; Feuer brennen die üppige Vegetation weg, und die großen Palmstrunke ragen schwarzverkohlt in die Luft.

Zusammen drängt sich der Weg, und die Hammockboys haben Mühe, sich im Gebüsch und mannshohen Gras vorwärtszuarbeiten. Der scharfe Geruch ihrer dampfenden Körper umweht meine Nase unangenehm. Nun beginnen sie zu singen, um sich im monotonen Rhythmus die Arbeit zu erleichtern. Anstrengend ist für uns diese Tour nicht, so getragen in der Hängematte.

Wohl brennt die Sonne vom Himmel, aber das Dach der Hammock und unser Tropenhelm schützen uns. Und doch ist diese Art des Reisens nicht angenehm. Die Boys stolpern über Stock und Stein, kommen ins Gleiten, fallen beinahe hin, und unser Transportmittel schwankt und fällt und stolpert mit. Ein jäher plötzlicher Fall auf einen Stein kann ein gebrochenes Rückgrat bedeuten. Aber die Burschen sind gewandt und mögen sie taumeln und in die Knie sinken, und mag die Hammock schwanken, nie berührt sie den Boden. Aber ein unangenehmes Gefühl bleibt trotzdem.

Der Weg wird steil und felsig und beinahe unbegehbar. Wir steigen aus und gehen zu Fuß weiter. Plötzlich macht der Missionar vor mir einen Satz. Ich ihm nach, obwohl ich nicht weiß, was los ist.

Ich sehe nur einen schwarzen Streifen quer über den Weg, ohne unterscheiden zu können, was es war.

"Das sind Treiber!"

"Oh! Treiber sind das? Wanderameisen!"

"Ja, und sehr gefährlich für Tiere und unter Umständen selbst dem Menschen. Sogar der Elefant ergreift die Flucht vor ihnen, und ein Pferd vermögen sie zu töten. Sie sind fast immer auf dem Weg, auf Raubzügen. [28] Dieser dicke Strang der Karawane, den Sie hier sehen, mag vielleicht 2 - 3 Meilen lang sein. Alles, was ihnen auf ihrer Wanderung in den Weg kommt, wie Mäuse, Vögel, Schlangen, sind im Nu aufgefressen. Wenn so eine Ameisenkarawane durch ein Haus geht, so knistert es eigenartig in demselben, und nach ihrem Abzug ist es von allem Ungeziefer wie Ratten und Insekten gesäubert. Aber der Mensch möge sich vor ihnen in acht nehmen."

"Das ist ja überaus interessant."

Ich mache kehrt und nähere mich dem schwarzen Band, das wie ein kleiner, über den Weg liegender Baumast aussieht. Ich beuge mich vorsichtig darüber und stelle fest, daß besonders große Tiere, mit hirschkäferartigem Kopf, auf beiden Seiten des Heereszuges mit hocherhobenem Oberkörper wie Soldaten unbeweglich stehen, Wächter! Sie scheinen mich, die ich mich geräuschlos über sie bücke, nicht als Feind oder Beute zu betrachten und stehen steif und still.

Am Rande des Weges, wo die Karawane aus dem Busch tritt, ist sie überdacht von einem Gewölbe aus Erde. Etwa zwei Zentimeter im Wege tritt sie offen zutage. Die Überdachung ist hier wohl von einem Menschenfuß zerstört. Aber hier bilden Ameisen selber einen lebendigen Wall für den Heereszug. Wie ein Netz, so hängen sie aneinander und überspannen die kleine, von Millionen dieser wandernden Wesen ausgetretene Rinne, in der ein unendlicher Strom von Ameisen seines Weges zieht, deutlich sichtbar durch das etwas durchsichtige Gitterwerk des lebendigen Schutzdaches. Ich stehe wirklich staunend vor dieser Disziplin und Organisation der etwas unheimlichen Tiere.

Weiter wandern wir, da der Weg hier sehr schlecht ist, stundenlang, balancieren auf schwankenden Stämmen über kleine Gewässer oder werden, wenn Balken fehlen, von den Negern hindurchgetragen.

Wir kamen durch Dörfer, in denen die Kinder entsetzt und schreiend vor den weißen Gespenstern in die schützenden Hütten flohen, Frauen sich zaghaft näherten, dann aber beherzt die unschöne weiße Farbe von unseren Armen abzukratzen versuchten, in dem Glauben, es müßte dann doch ein normaler schwarzer Mensch zum Vorschein kommen.

"Das hier ist der Baum, an dem vor einigen Jahren ungefähr dreißig Leopardenmänner hingerichtet wurden", sprach der Missionar, indem er uns auf einen großen Kapokbaum am Eingang eines Dorfes aufmerksam machte.

[29] "Leopardenmänner?"

Der Missionar rief einen der ihn begleitenden Missionsjungen zu sich und ließ ihn erzählen:

"Die Leopardenmänner sind eine Vereinigung von Negern, die nachts ihre Zusammenkünfte haben und geheimes Gericht halten, also eine Art Femegericht. Der verurteilte Angeklagte, der keine Ahnung davon hat, wird in ein Kanu gelockt, das beim Überqueren des Flusses umgekippt wird. Während er im Wasser plätschert, wird ihm ein eiserner Haken in die Ferse gestoßen, und nun erst weiß der Unglückliche, daß ihn der Wasserleopard gefaßt hat und er dem Tode verfallen ist. An das Ufer gebracht, wird durch grausame Foltern versucht, noch alles mögliche über andere verdächtige oder auch nur mißliebige Personen aus ihm herauszupressen. Schließlich wird er durch einen langen, durch den Kopf getriebenen Nagel getötet und irgendwo verscharrt."

"Vor einigen Jahren wurden die Leopardenmänner hingerichtet? Dann gibt es also heute keine derartige Vereinigung mehr?"

"Trotz aller Anstrengungen der Regierung, sie auszurotten, soll sie doch im geheimen weiterbestehen. Es sind auch in den letzten Jahren auf geheimnisvolle Weise Menschen von hier und der Umgebung spurlos verschwunden. Doch ist das nicht unbedingt mit den Leopardenmännern in Verbindung zu bringen. Die Medizinmänner benötigen für ihren Zauber, soll er wirksam sein, Herz und Magen, Fingerspitzen und große Zehen von Menschen."

"Und in den letzten Jahren sind Menschen verschwunden?"

"Im letzten Jahr!"

Mir wird es etwas unheimlich, und ich betrachte sie nun mit ganz anderen Augen, die Menschen hier herum, die mir in ihrer scheuen Art so harmlos erschienen sind.

Eine Tagesreise von der Küste entfernt — doch was verwundere ich mich? Hat mir nicht Frau Hinrichsen, meine Gastgeberin, erzählt, daß einer ihrer früheren Köche in Grand Bassa nicht den Mut hatte, abends den einstündigen Weg nach Hause zu machen, da er Angst vor den Lebermännern hatte, die angeblich die Menschen töten und ihnen die Leber nehmen.

Voller schrecklicher Geheimnisse bist du, schwarzer Erdteil!

Um 5 Uhr erreichen wir die Mission, die im tiefen Busch im Bassalande liegt, herzlich aufgenommen von der Frau des Missionars.

[30] Wir planen weitere Reisen ins Innere des Landes. Wie wäre es bis Banga, einer siebentägigen Tour durch Liberia bis zur französischen Grenze? Der Missionar wehrte entsetzt ab.

"Unmöglich! Jeden Tag Regenschauer! Die Flüsse sind überschwemmt, die Baumstämme darüber hinweggerissen. Sie kommen bestimmt nicht weit. Versuchen Sie sich lieber erst an einer weiteren Tagesreise, bis zur nächsten Mission Geah-barzondo. Sie haben dann wahrscheinlich genug. Alles was Sie auf der siebentägigen Reise sehen und erleben können, das kann Ihnen, wenn Sie Glück oder auch Pech haben, schon an diesem einen Tag begegnen. Leoparden gibt es schon hier und Herden von Elefanten über dem New-Ceß-River - und sonst - na, Sie werden ja sehen!"

Die Missionsfrau nahm eine Hammock, und Frau Hinrichsen und ich bestiegen je eines der zwei Missionspferde, Träger mit dem nötigen Gepäck folgten. Wir ritten auf langsamen Pferden durch üppigste Tropenlandschaften, durch Sümpfe und Geröll und auf Eingeborenenpfaden durch Urwald, daß die Baumstämme auf beiden Seiten unsere Knie abschürften, heimtückisch hängende Lianen sich um den Hals legten, um uns zu erdrosseln oder aus dem Sattel zu heben. Wir kamen in Dörfer, und die Kinder stoben schreiend und heulend in den Schutz der Hütten.

Aber oft mußten wir gezwungenerweise haltmachen. Die Pferde wollten einfach nicht mehr weiter, sie waren so störrisch wie auch Negerboys es sein können. Dann wieder versperrten uns Flüsse den Weg. Wir mußten absteigen. Auf schmalen, gebogenen Baumstämmen turnten wir in hohem Bogen über die Wellen oder planschten durch dieselben, wenn die angeschwollenen Gewässer den Steg und unsere Füße überspülten. Langsam setzte ich wieder einmal auf zwei übereinanderliegenden Pfählen vorsichtig Fuß vor Fuß. Schneeweiße Wasserlilien, die einen wunderbaren Geruch verbreiteten, zu meinen Füßen. Wie herrlich! Da rollte plötzlich einer der Stämme unter meinem Fuß davon und plumps, - da lag ich selber inmitten der Herrlichkeit und plätscherte, bis zur Brust im Wasser stehend, etwas übereilig ans Ufer. Der Gedanke an möglicherweise vorhandene Krokodile hatte mich derart angetrieben.

Mit vieler Mühe bringen die Boys die Pferde über die verschiedenen Gewässer. Um 4 Uhr sind wir an dem breiten New-Ceß-River, übermüdet von dem Ritt, von dem Kampf mit den störrischen Pferden, vom Überqueren der Flüsse und der schwülen Tropenatmosphäre. Kein Stamm, [31] keine Brücke überspannt den New-Ceß. Aber am anderen Ufer, da ist ein Floß, von einigen Baumstämmen gebildet. Einer der Neger wirft sich ins Wasser, schwimmt ans andere Ufer und kommt mit dem Floß wieder zurück. Nach einer Stunde sind Menschen und Gepäck übergesetzt. Die Pferde bleiben hier mit ein paar der Jungens zurück. Es ist zu schwierig, sie über das Wasser zu bringen.

"Den Rest können wir laufen. Meiner Berechnung nach ist es noch ungefähr eine Stunde bis zur Mission. Wir können also vor 6 Uhr, gerade vor Nachteinbruch dort eintreffen", so meinte Frau L., die Missionarsgattin.

Es ist 8 Uhr abends. Dunkle Tropennacht! Ein Wetterleuchten in der Ferne glitzert über zittrige Palmen und Baumriesen. Die Karawane zieht stumm und still durch Busch und Urwald. Stumm und still! Dreizehn Stunden geht die Trägerkolonne - seit frühestem Morgen, hindurch bis zum Abend, hinein in die Nacht. Dreizehn Stunden in den Tropen! Die Köpfe der muskulösen schwarzen Burschen senken sich, und tastend und unsicher tappen die Füße vorwärts. Der nimmermüde Mund der Wuschelköpfe schweigt und vergißt sogar Palaver (Streit) und Dasch (Trinkgeld) vor Müdigkeit. Ein schwankendes Licht an der Front des Zuges beleuchtet matt den Weg, und wir drei weißen Menschen suchen in seinem flackernden Schein mit brennenden Augen den Pfad, mit zittrigen Knien. Apathisch setzen wir Fuß vor Fuß, stolpern, richten uns auf und taumeln weiter. Das Ziel, die Mission in der Wildnis, kann nicht mehr weit sein. Vorwärts! Der Körper reißt sich zusammen und schwankt weiter durch den Busch. Hin und wieder ist ein leises Stöhnen zu vernehmen. Wie mit scharfen Messern zieht ein Schlinggewächs mit feinen, dünnen Blättern über Arme und Hände und ritzt sie auf, daß sie bluten. Man kann ihr nicht ausweichen in der Dunkelheit, der heimtückischen Pflanze. Die Schwarzen spüren sie nicht.

Wann endlich kommt das nächste Dorf; nimmt dieser Weg denn gar kein Ende?

Es ist schwül und drückend, die Kleider kleben am Leib und schmerzen, die Füße, naß vom Durchqueren der Flüsse, brennen wie Feuer und die Zunge klebt am Gaumen. Durst!

"Boy, the bottle!"

Die Flasche ist leer, kein Tropfen Wasser mehr.

Ein unterdrücktes Seufzen.

Weiter schwanken die Menschen, und der Busch geht über in Kassawa- [32] und Reisfelder, und über den Bananensträuchern mit ihren gewaltigen, gespenstischen Armen gleichenden Blättern heben sich runde, spitzzulaufende Palmdächer gegen den dunklen Nachthimmel nur undeutlich ab. Ein Dorf! Mit neuem Mut und neuer Kraft streben wir darauf zu und schlängeln uns hindurch, durch dicht aneinandergedrängte Hütten, aus denen der Schein glimmender Feuer dringt. Es ist geheimnisvoll still. Das Negerdorf schläft und macht in der dunklen Nacht mit seinen sonderbaren, mir noch ungewohnten Formen einen unheimlichen Eindruck. Leicht werden in solch fremder Umgebung unangenehme Gedanken wach. Wir sind weit ab von zivilisierten Menschen, inmitten von Buschnegern, die vielleicht noch keine Weißen gesehen haben. Was soll die schreckliche Stille bedeuten? Ein Belauern? Überfall auf drei einsame Weiße? Eine Gestalt schleicht vorsichtig heran und drückt sich um uns herum. Was will sie?

"Eeh Moan — Mami", grüßt die Missionsfrau, mehr vertraut mit dem Völkchen. Da kommt die Greisin im Lendenschurz nahe heran. Über ihr verwittertes Gesicht zieht ein breites Grinsen, daß selbst in der Nacht ihre Zähne blendend weiß aufleuchten.

"Eeeeeh", grüßt sie langgedehnt.

Der Bann, der auf dem Dorfe lag, war nun gebrochen. Die Bewohner, über unseren nächtlichen Einbruch in ihr Dorf mißtrauisch und ungewiß über unsere wahren Absichten, faßten nun Mut, und schemenhaft traten sie aus dem Schatten ihrer Häuser auf uns zu. Nackte Männer, Frauen und Kinder.

Wir grüßen wieder und wieder: "Eeeh Moan!"

Da werden sie allmählich lebhaft und zutraulich. Mit Geschnatter drängen sich hauptsächlich die Frauen an uns heran. Erstaunen und Verwunderung und dann wieder so etwas wie Furcht spiegelt sich in ihren Mienen, und aufgeregt werden ihre Gesten und schreiend ihre gegenseitigen Zurufe, während sie unsere Arme betasten und uns mit ihren Fingern in die Haare fahren, daß es mir wie ein leises Gruseln durch das Herz zieht. Kannibalismus hat hier geherrscht, soll zwar heute ausgerottet sein, aber was soll das Betasten, das aufgeregte Wesen? Es wird immer unheimlicher.

"Unsere weiße Hautfarbe und die langen glatten Haare setzen sie so in Erstaunen und Aufregung", sagt Frau L., während das Gekreisch um uns her weitergeht.

[33] "Wasser, Wasser! Ich kann es nicht mehr aushalten!" stöhnt Frau Hinrichsen. Ein Missionsjunge übersetzt die Worte. Im Nu erscheint eine der schwarzen Frauen mit einem Gefäß, vollgefüllt mit Wasser. Vor unseren Augen trinkt sie erst, um uns zu zeigen, daß es nicht vergiftet ist. Frau Hinrichsen schöpft mit unserem Becher. Ich will warnen: Tun Sie es nicht, es ist ungekochtes Wasser, wer weiß von woher. Und doch presse ich die Lippen aufeinander und schweige. Es ist hier nutzlos. Ich greife selber nach dem Becher und trinke das zweifelhafte Naß, das doch so köstlich schmeckt, und lächle der schwarzen Mami meinen Dank ins Gesicht.

"Wieweit ist es noch zur Mission?"

"Oh, weit, sehr weit!"

"Wie weit?"

"Drei Dörfer noch!"

Sie haben keine Zeitberechnung und messen die Entfernung nach Dörfern. Drei Dörfer! Die einzelnen Orte können eine Viertelstunde, aber auch eine Stunde auseinanderliegen. Wahrscheinlich in dieser Wildnis ist sogar letzteres. Also drei Stunden möglicherweise noch. Wir sehen uns an, und aus unseren Augen spricht ein gelindes Grauen. Drei Stunden! Der Körper will versagen, doch der Geist zwingt ihm seinen Willen auf, daß er sich wieder strafft. Wir wollen hinauf zur Mission. Vorwärts!

Während wir durch die typischen, alle Dörfer umgebenden Bananengürtel gehen, tönt uns noch einige Zeit der Abschiedsgruß der hilfsbereiten Dorfbewohner nach:

Hoahoo! Hoahoo!

Die Lampe schwankt weiter in der Nacht; das Licht versucht hinaufzukriechen an den langen Stämmen des "high bush", vergeblich! Nur einige Meter hoch sind sie schwach erhellt und in mystisches Dunkel gehüllt. Von oben sind die Wipfel der Riesen vom magischen Schein des aus den Wolken brechenden Mondes umgleist und erscheinen dadurch himmelstürmend, wie verschmolzen mit Wolken und Mond.

Und im "high bush" rührt und regt sich's. - Nachts wird der Urwald lebendig. Das zirpt und trillert von tausenderlei Stimmen und krächzt und tutet dumpf. Durch das Laub leuchtet es hier und dort wie von Augen gefährlicher Ungetüme, und es raschelt im Gebüsch. Der Urwald ist lebendig!

"Die Elefanten sind längst schlafen gegangen", versuche ich zu scherzen und auch ein bißchen gegen meine Überzeugung zu trösten. Hat jemand [34] die Frage danach überhaupt gestellt, die ich mit diesem Satz beantworte? Ich weiß es nicht. Sie lag auf jeden Fall in der Luft, sie lag bestimmt auch in den Gedanken meiner Begleiterinnen.

"Und die Leoparden?"

"Die scheuen vor der Lampe zurück", konnte ich mit mehr Zuversicht behaupten.

"Und die Schlangen?"

"Ja, die Schlangen — "

Schweigen!

Frau Hinrichsen macht plötzlich einen Satz nach vorne. Ich springe auch ohne zu wissen warum und fühle dann ein Kribbeln und Krabbeln, und dann beißt und zwickt es wie mit hundert kleinen Zangen. Verdammt! Nun bin ich gerade in einen Strang von Treibern gehopst. Ich wehre mich mit den Händen nach Kräften, doch der Biester sind zu viele, und nur mit Mühe kann ich mich ihrer erwehren.

Der Hochwald geht zu Ende, mündet in ein Tal und der Weg in einen greulichen Sumpf, dem wir nicht ausweichen können. Wir müssen durch. Und wir tappen hinein in der Dunkelheit, daß der Schmutz hochspritzt, wir mit den Beinen versinken und sie kaum wieder hochziehen können. Wir sind ja so müde und noch ist kein Ende abzusehen, noch ist nicht das erste Dorf in Sicht. Wir queren Gewässer über schwankende dünne Holzstämme und wundern uns kaum, daß wir uns in der Dunkelheit noch über dieselben tasten können, so apathisch sind wir. Automatisch setzen wir unsere Füße vorwärts, durch Urwald, Busch und Sumpf, über Bäche und Felsen. Und dann kommt wieder ein Bananengürtel und ein Dorf, und schwarze Menschen umdrängen uns.

Die Missionsfrau und Frau Hinrichsen sinken auf eine unserer Kisten, und ich lasse mich auf einen Stein, der dabeisteht, nieder. Plötzlich entdecke ich daneben ein Tintenglas. Ich sitze also vermutlich auf dem Grabstein eines Häuptlings inmitten des Dorfes. Mit dem unglaublichsten europäischen Tand, wenn möglich mit farbigen Porzellanscherben oder leeren Flaschen, schmücken die Menschen hier ihre Gräber.

Mir ist es nun nicht mehr recht geheuer auf dem gewählten Ruheplatz, zumal die in Halbdunkel gehüllte Umgebung und die aufgeregten Schwarzen nicht dazu angetan sind, zu meiner Beruhigung beizutragen. Deshalb wechsle ich meinen Sitz. "Wie weit ist es noch zur Mission?"

[35] "Weit, sehr weit! Drei Dörfer noch!"

Wieder noch drei Dörfer und eine Stunde sind wir schon von dem letzten bis hierher gelaufen. Wir glauben den Leuten nicht; sie können wohl nicht bis drei zählen. Doch sie behaupten es fest und steif: Drei Dörfer noch. Da sinken wir auf unseren Sitzen zusammen, und nun fühlen wir so recht unsere Müdigkeit. Können wir noch weiter?

Aber können wir denn hier bleiben, im Freien übernachten? Wir haben kein Zelt. Und wieder raffen wir uns auf, weiter!

Doch die Boys wollen nicht mehr. Durch Drohungen, mit Versprechungen und List gelingt es uns endlich, sie wieder hochzubringen. Nun dürfen wir keine Rast mehr haben, müssen durchlaufen, sonst bringen wir die Schwarzen nicht mehr weiter.

Stumm und still zieht die Karawane durch Busch und Urwald, vierzehn Stunden nun schon. Wir sind Maschinen geworden, die langsam Fuß vor Fuß setzen, die nichts mehr denken und auch Elefanten, Leoparden und Schlangen vergessen haben.

Inmitten eines "high bush" raschelt es plötzlich zu meinen Füßen. Ich sehe nichts in der Dunkelheit, aber es muß eine Schlange sein, ich weiß es. Entsetzt mache ich einen Satz vorwärts. Schlangen schätze ich nicht. Da sprüht es auseinander von meinem neuen Standpunkt, nach rechts und links, und wie ich weitergehe: ein unerträgliches Rascheln und Schleichen vor mir, hinter mir, unheimlich, grauenhaft. Mir sträuben sich beinahe die Haare. Dieser Urwald ist erfüllt von Schlangen; Hunderte ihrer Gattung müssen es sein. Und sie sind fast alle giftig in Liberia, und ihr Biß tötet unfehlbar innerhalb einiger Stunden. Ich höre Frau Hinrichsen vor mir springen und laufen. Wir sprechen nicht, und doch wissen wir alle, daß uns das gleiche Grauen erfüllt, das Grauen vor diesem furchtbar drohenden Geraschel, dem unheimlichen Schleichen, der unsichtbaren und doch so deutlich fühlbaren Gefahr. Wir sehen nicht eine Schlange, doch sie sind um uns, wir müssen förmlich von ihnen eingekreist sein. Sie hängen wahrscheinlich auch von den Zweigen der Äste, streifen gefährlich an unseren Gesichtern und Händen vorbei, sie ringeln sich zu unseren Füßen - wir hören sie schleichen und - das Herz stockt.

Aber wir kamen auch hier heraus mit heiler Haut. Wir passierten Dörfer, ich wußte nicht mehr wie viele, und ich taumelte, sprang und stolperte über Baumstämme, die wie Fußangeln im Elefantengras lagen, und das Schneidegras zog wieder schmerzhaft über Hände und Arme auf [36] diesem furchtbaren endlosen Weg in der Tropennacht. Aber endlich blinkte Licht durch Fensteröffnungen, Lampenlicht. Hunde jagten auf uns zu und warfen uns, die wir nicht mehr allzu fest auf den Beinen standen, beinahe um in einem unerwarteten Begrüßungssturm. Weiße Menschen traten aus dem Haus und hießen uns, wenn auch nicht ganz so stürmisch, so doch nicht weniger herzlich willkommen, als erste weiße Besucher ihrer Mission, inmitten von Busch und Urwald.

 
Am anderen Tag war Ruhetag und die Missionare erzählten von dem Leben der Buschneger, und da war einiges, das mich in Erstaunen setzte.

"Die Negerkinder kommen mit weißer Hautfarbe zur Welt. Nach einigen Stunden beginnt an den Haarwurzeln, den Fingernägeln und anderen Teilen des Körpers sich die Haut zu bräunen, und nach drei bis vier Tagen ist das schwarze Baby fertig. Sind die Kinder etwas größer geworden, so werden sie in wahrstem Sinne des Wortes mit Reis gestopft. In dieser Prozedur klemmt die Mutter ihr Kleines zwischen die Beine und stopft ihm mit einem Löffel den Reis in großen Mengen hinab. Die putzigen drolligen Dickwänste, über die man sich erst so verwundert, sind eine Folge davon. Die Jugend der Neger verläuft, wie die fast aller Kinder, sorglos. Der Kummer so mancher von ihnen mag, wie bei uns, mit der Schulzeit beginnen."

Baß erstaunt wende ich ein: "Schulzeit der Buschneger?"

"Jawohl! Und sie ist eine geheimnisvolle und beinahe unheimliche Angelegenheit und in mystisches Dunkel gehüllt. Besonders vor den Weißen werden nähere Einzelheiten über den Zauberwald oder 'gree-gree bush', wie die Einrichtung heißt, zu verbergen gesucht. Aber doch ist einiges über ihn auch zu ihren Ohren gekommen, obwohl die Geister des Waldes bestimmt jeden töten, der darüber auch nur das Geringste an Uneingeweihte erzählen würde.

Fast jedes Dorf besitzt seinen Zauberwald, und zwar für Knaben und Mädchen getrennt und weit voneinander entfernt. Die Knaben kommen ungefähr im zehnten Lebensjahr dorthin und bleiben etwa ein Jahr. Keinem Unbefugten, zumal aber keiner Frau, ist der Eintritt in den 'belly', Zauberwald für Knaben, gestattet, und es wird mit Bestimmtheit versichert, daß jeder Zuwiderhandelnde von den Waldgeistern gefangen und getötet wird. Die Schüler erhalten von alten Männern Unterricht in [37] Gesang und Tanz, in der Handhabung von Waffen, in der Ausübung der Jagd und in Kriegführung. Ferner wird ihnen beigebracht, Hunger, Durst und große Schmerzen ohne Klage zu ertragen."

"Mit einem Wort, sie erziehen sie zu Männern!"

"Ja, die ganze Schule dient wohl nur dem Zweck, starke mutige Männer aus ihnen zu machen. Bei ihrem Eintritt wird ihnen der Glaube beigebracht, daß sie von den Waldgeistern getötet und im Zauberwald zu neuem Leben erweckt wurden. Die Kinder glauben auch steif und fest daran, so daß die Vermutung naheliegt, daß sie hypnotisiert werden, zumal sie tun, als ob sie alle Erinnerung an ihr früheres Leben verloren hätten und manchmal ihre Verwandten, ja selbst ihre Eltern nicht wiedererkennen.

Alljährlich findet ein großes Austrittsfest, das auch Teufelsfest genannt wird, statt, das vierzehn Tage dauert und zu dem die Menschen aus nah und fern herbeiströmen. Zu diesem Fest werden die Jungens, die in der Schule nackt gehen, in Bastzeug gekleidet, und die Arme und Beine werden ihnen mit Federn geschmückt. Und nun müssen sie zeigen, was sie gelernt haben. Sie führen ihre Tänze auf und singen ihre Lieder."

"Also eine Prüfung ihres Könnens?"

"So ähnlich wohl. Aber die Hauptattraktion des Festes bildet der phantastische Teufelstanz, den die Erzieher, die auch Zauberwaldteufel genannt werden, aufführen. Sie sind dazu in lange Blättermäntel gehüllt und mit hölzernen Masken vermummt. Die gree-gree-Teufel erfreuen sich eines großen Respektes, da man sie mit den Verstorbenen in Verbindung wähnt, die einem bei Feindschaft Schaden zufügen können.

Ähnlich wie der 'belly'- wird auch der 'sandy'-Zauberwald für Mädchen gehandhabt, dem alte Frauen vorstehen. Die Ausbildung der Mädchen umfaßt neben Gesang und Tanz häusliche Arbeiten, Kochen, Netzestricken und auch Schönheitspflege."

"Vorbereitung für die Ehe also?"

"Für die Mädels ausschließlich."

"Der Tod eines Menschen im Bassaland verursacht wie überall ein großes Wehegeheul, und besonders die Frauen gebärden sich mitunter wie wahnsinnig. Vor der Beerdigung wird Reis auf den Körper des Toten gestreut und eine Henne daraufgesetzt. Wenn dieselbe den Reis von dem starren Körper frißt, so ist der Verblichene von den Geistern angenommen, andernfalls verweigert. In diesem Falle wird der Tote nach einem Jahr [38] wieder ausgegraben und der gleiche Versuch gemacht, nachdem man die ganze Zeit hindurch den zürnenden Geist mit Festen, Gesang und Tanz zu versöhnen trachtete. Scheintotbeerdigungen sollen nicht selten vorkommen, und mancher bereits Begrabene hat sich selber wieder ausgegraben und ist ins Dorf zurückgekehrt. Aber das nützte ihm nicht viel. Er war nun einmal tot und hatte tot zu sein. Man glaubte nicht an seine wirkliche Auferstehung, sondern hielt ihn für einen Geist, den man schnell und gründlich nun wirklich ins Jenseits beförderte."

 
Dunkle Tropennacht! Wieder saß ich mit Frau Hinrichsen auf der Veranda der deutschen Faktorei in Grand Bassa. Die Brandung des Meeres brüllte und tobte und ließ das Haus erzittern. Die Lampe flackerte im Luftzug der Seebrise und beleuchtete unsere durch die vorhergegangenen Strapazen noch etwas abgespannten, doch zufriedenen Gesichter. Wohlig rekelten wir uns in unseren Korbstühlen und tauschten Erinnerungen aus über den Rückweg vom Bassaland.

"Wissen Sie noch - im Eingeborenendorf, wo wir übernachteten, wie die ganze Bewohnerschaft um uns herumsaß und uns andächtig beim Essen zusah?"

"Ja, und der schwarze Mombo, der mir plötzlich seine Liebe erklärte. Mir wurde schon bänglich zumute. Wenn er mich nun von der Missionsmami, der er seine plötzliche Entflammung für mich kund tat, kaufen wollte? Vielleicht war es ganz gut, daß mir die freundschaftliche Begrüßung, der schnalzende Ton beim Abgleiten der beiden Mittelfinger nicht gelang. Was sind doch die Weißen dumm, mag der Wuschelkopf sich gedacht haben, nicht einmal einen ordentlichen Gruß bringen sie fertig, und ich bin überzeugt, daß seine spontane Liebe in diesem Moment stark abkühlte."

"Am unangenehmsten waren für mich die Überquerungen der nun ganz hoch angeschwollenen Flüsse. Wenn wir, auf den Nacken von Negern sitzend, denen das Wasser bis zum Hals reichte, unsere Beine bis zu den Knien im Wasser schleiften, kamen mir immer recht unerwünscht die Krokodile in Erinnerung, deren es ja eine Menge hier gibt."

Wir hingen schweigend eine Weile unseren Gedanken nach. Es summte um uns herum von vielen kleinen und großen Insekten, und ein dicker Torpedo schoß brummend und wie verrückt im Zickzack im Raume herum und hinauf zum Licht. Ich dachte gerade daran, wie ich nach Rückkunft [39] von der Tour, nach vierzehn Tagen, meine Sachen wiederfand. Moderluft wehte mir beim Öffnen meines Koffers entgegen. Meine Schreibmaschine war über und über mit grünem Schimmel und die Kleider waren mit grauen Flecken bedeckt. Das sind die Tropen zur Regenzeit.

Ein sonderbares Tier schwirrte auf den Tisch und setzte sich gerade vor mich hin, daß ich es gut betrachten konnte. Welch seltsames Insekt! Mit langem, dünnem, grünem Leib, mit durchsichtigen Flügeln, saß es unbeweglich, mit eigenartig andachtsvoll gefalteten Vorderbeinen. Nur das kleine Köpfchen auf langstieligem Hals drehte sich hinüber und herüber und äugte nach mir. Eine Muttergottesanbeterin, ihrer frommen Stellung wegen so genannt, sonst aber ein sehr gefräßiges Raubtier unter den Insekten. Und nun wurde es noch lebendiger um uns herum. Das schwirrte und krabbelte von kleinen und großen Insekten und sie torkelten in unsere Fruchtsaftgläser, und wir achteten auf die ganz kleinen schon gar nicht mehr, sondern tranken sie einfach mit.

Dann aber wurde es doch ungemütlich. Hunderte von fliegenden Ameisen kamen herein, fielen zu Boden, auf den Tisch, auf unsere Kleider, und ich traute meinen Augen kaum: sobald sie festen Boden unter den Beinen hatten, fielen ihnen die Flügel ab, und sie krabbelten nun mühsam, immer paarweise, eines hinter dem anderen her. Es ist der Hochzeitsflug der Termiten, die ihre Bauten aus Ton 5 - 6 Meter hoch aufführen. Ich konnte nur den Kopf schütteln über die Verschwendung der Natur, als der Boy mit dem Besen Flügel und Ameisen zusammenkehrte und das schwarze Häufchen in eine Schüssel mit Wasser warf. Was bleibt nun übrig von dem ganzen Hochzeitsflug? Doch ich erinnere mich! Ein Stock von einem Strauch gebrochen und in die Erde gesteckt, beginnt hier zu grünen. Die Natur ist so verschwenderisch, wie die Tropen es erfordern!

Die Wellen branden an das Ufer, die ewigen Sterne blinken vom schwarzen Tropenhimmel, und die Uhr tickt ihre Zeit, langsam, unerbittlich.

"Es ist schon 10 Uhr, Frau Hinrichsen. Ihr Mann arbeitet immer noch?"

"Ja, und so ist es Tag für Tag, Sonntag wie Werktag."

So ist es Tag für Tag in den deutschen Faktoreien in Westafrika.

Durch den Versailler Vertrag wurde Liberia gezwungen, alles Eigentum deutscher Firmen zu beschlagnahmen und alle Handelsbeziehungen mit ihnen zu lösen. Doch deutscher Hanseatengeist ließ sich trotz schwerster Verluste nicht unterkriegen, und heute wehen sie wieder lustig und stolz [40] an der liberianischen Küste, die Flaggen der alten Handelsfirmen von West u. Co., Woermann, Jantzen und wie sie alle heißen. Sie wehen stolz und mit Recht, denn deutscher Tüchtigkeit und Zähigkeit ist es nicht nur gelungen, wieder neue Niederlassungen zu gründen, sondern sie sogar führend zu gestalten. Die deutsche Handelsbilanz ist die höchste in Liberia. Aber es ist ein schwerer Kampf, den die deutschen Pioniere draußen durchzukämpfen haben. Die allgemeine schlechte wirtschaftliche Lage zwingt die Firmen, um den Handel überhaupt noch aufrechterhalten zu können, zur radikalen Minderung aller Spesen und zur Einschränkung des Personals. Dort, wo zur Friedenszeit sechs Herren standen, da stehen heute vielleicht nur drei, die das gleiche Arbeitspensum zu bewältigen haben, und daher kommt es nicht selten vor, daß die Agenten und ihre Angestellten nach der praktischen Tagesarbeit, im Laden oder im Hofe, abends noch bis 10 Uhr hinter den Geschäftsbüchern sitzen. Und das ist besonders in dem ungesunden Tropenklima keine Kleinigkeit.

Die Faktoreien, wie sie genannt werden, treiben Ein- und Ausfuhr. In einem großen Laden locken die deutschen Erzeugnisse den Eingeborenen an, und im Hofe gehen die Handelsgeschäfte mit den Negern, die ihre Produkte oft aus dem tiefsten Innern bis an die Küste schleppen, vor sich. Ich selbst trieb mich oft und lange in einem dieser Läden herum, und ich freute mich mit den schwarzen Mamis über

Negerschöne im europäischen Kleid - aber mit der
stammesüblichen Tabakpfeife.
[80b]      Negerschöne im europäischen Kleid - aber mit der stammesüblichen Tabakpfeife.
die bunte Fülle und Mannigfaltigkeit der Waren. Neben dem Buschmesser sind Haufen von Tonpfeifen aufgeschichtet, und Seite an Seite mit Gewehr und Lendenschurz in schönster Eintracht Lippenstift und 4711, billige bunte Stoffe, Ohrringe, Perlen und anderer Schmuck.

Stundenlang konnte ich dem Leben und Treiben im Laden und den interessanten Kunden zusehen. Da drängten sie sich heran an den Ladentisch, die schwarzen Mamis, mit ihren Kindern im Lendenschurz auf dem Rücken, die jungen Mädchen, die zur Schönheitspflege sich Gesicht und Oberkörper mit weißem Ton beschmiert haben. Der Buschneger, der seine Ölfrüchte zur Küste brachte, im kleinen Laberlapp, neben dem liberianischen Geck. Nun kam eine schwarze "Dame", mit wenig Kleidern beschwert. Aber sie trug bei strahlendem Sonnenschein ihren Regenschirm auf dem Kopfe spazieren. Sie will genau so wie viele ihrer weißen Schwestern das auch tun, zeigen, was für wunderbare Sachen sie hat. Und da kamen auch einige halbwüchsige Schwarze an, mit Wollmützen auf dem Kopfe. Wollmützen sind zur Zeit große Mode am Äquator. Wieder ein anderer [41] trug eine Perücke mit langem, glattem Haar auf dem Kopfe. Das weiche lange Haar des Weißen ist es vor allem, das den Neid der Schwarzen erweckt, nicht etwa seine helle Haut. Umdrängt und beliebt ist im Laden jenes Gefäß, durch dessen Hahn der Alkohol fließt. Sonst aber kann die bunte Gesellschaft sich stunden-, ja tagelang im Laden herumtreiben, ohne zu kaufen. Dann allerdings nehmen sie wieder die unmöglichsten Dinge mit sich. Eine Schachtel Haarpomade in wundervoller, bunter Packung erregte die Aufmerksamkeit und Bewunderung einer der schwarzen Mamis. Die neugierige Evatochter kaufte dieses wunderschöne, ihr unbekannte Ding. Noch unter der Ladentür öffnete sie die Packung und leckte mit der Zunge an dem Inhalt. Obwohl sonst die Schwarzen in Lebensmitteln nicht gerade wählerisch sind und Ratten und die Kreide, die zum Weißen von Leinenschuhen und Tropenhelmen dient, geradezu als Leckerbissen betrachten, verzog sich doch ihr Gesicht etwas unangenehm. Aber sie war zumindest nicht verlegen und benützte kurz entschlossen nun die Haarpomade als Hautcreme und beschmierte sich damit das Gesicht.

Der weiße Angestellte hinter dem Ladentisch hat es manchmal wirklich nicht ganz leicht, seinen anspruchsvollen Kunden gerecht zu werden. Doch sicher und gewandt weiß er sie zu behandeln, denn er spricht ja ihre Sprache und das drolligste Intermezzo kann ihn kaum aus seiner Ruhe bringen. Eines Tages habe ich einen von ihnen doch etwas perplex und fassungslos gesehen. Eine schwarze Mami drängte sich vor zu ihm. In ihr Lendentuch gewickelt trug sie ihr Kind auf dem Rücken. Sie löste das Tuch, zog das schwarze zappelnde Baby hervor und streckte es mit einem Wortschwall dem Weißen entgegen. Doch dieser griff nicht danach. Wie erstarrt sah er einen Moment die Schwarze an, dann schoß ihm die Röte der Verlegenheit ins Gesicht. Abwehrend streckte er seine Hände gegen das Kind und die Mutter aus und murmelte nur stoßweise einige Worte. Doch die Mami wurde noch zudringlicher und versuchte das Kind dem Weißen in die Arme zu legen, wobei durch dessen passiven Widerstand das Baby in Gefahr kam, zu Boden zu fallen. Da wurde es dem Weißen doch zu bunt. Er fuhr das Weib empört und ärgerlich an. Sichtlich gekränkt zog sie nun ihr Kind zurück und verließ den Laden. Sie hatte dem Weißen ihr Kindchen zum Kaufe angeboten.

Auch vor dem Laden war noch ein Drängen von Menschen. Dort hatte ein Schneider seine Werkstatt aufgebaut und war umlagert von Schwarzen, die die eben gekauften Stoffe zu Hosen und Hemden verarbeitet haben [42] wollten. Auch im Hofe der Faktorei machte mir das lebhafte Gewimmel großen Spaß. Das kam und ging immerfort. Reihen von schwarzen Körpern, mit Piassavabündeln auf dem Kopfe, stellen sich vor der großen Waage an. Ölfrüchte, Kaffeekörner werden herangetragen, und der weiße Massa steht an der Waage, wiegt die Ware ab, zahlt Geld aus und häuft die Ware auf. Und er hat oft seine schwere Not mit den schwarzen Kindern des Landes.

Mit Vorliebe schleppen sie an regnerischen Tagen ihre Piassava zur Küste, um das Gewicht zu erhöhen. Der Faktoreimann ist gezwungen, diese Negerschlauheit mit
"weis(s)er" Intelligenz zu parieren. Es erfordert von ihm überhaupt eine außerordentliche Geschicklichkeit, in den gegenwärtigen wirtschaftlichen Wirren mit den Wuschelköpfen erfolgreich zu handeln. Für die ständigen Preisschwankungen haben die Buschneger absolut kein Verständnis, und sie können nicht begreifen, warum sie auf einmal für einen Bund Piassava, der vor Monaten noch mit sechs Schillingen bezahlt wurde, heute nur noch drei Schillinge bekommen. Sie schütteln verständnislos den Kopf, wenn der weiße Mann ihnen sagt, das hänge von dem Weltmarkt, der Börse und der Valuta ab. Da kommt der schwarze Mann natürlich noch weniger mit wie ein ehrlicher Weißer. Er meint, ein Stück Ware von gleicher Größe und gleicher Qualität könne nicht einmal sechs und dann wieder nur drei Schillinge wert sein. O, du harmloser beneidenswerter Neger, der du noch keine Ahnung von jenen Mächten hast, die die Völker am Narrenseil herumführen. Aber seine Naivität macht dem weißen Massa das Leben in den Tropen sauer. Wer sollte es ihm verdenken, daß er die Worte des Weißen nicht begreift, nur ungläubig dazu lächelt und den Agenten für denjenigen hält, der ihn betrügen und ausnützen will.

Auch auf dem Hofe spielen sich oft lustige Szenen ab. Mancher Neger aus dem Busch ist doch nur sehr oberflächlich in europäisches Münz- und Zahlenwesen eingedrungen. Kam da eines Tages ein stämmiger Bursche im Laberlapp mit Kaffeekörnern an. 16 Cent (die Zahlen sind mir entfallen und heute willkürlich gewählt) will ihm der Weiße für ein Pfund auszahlen. Aber entrüstet wehrt sich der Buschneger. 16 Cent nur? Das wäre ihm zu wenig, 12 will er unbedingt haben! Unsicher in seiner Berechnung, mißtrauisch auch dem Weißen gegenüber und zu der Annahme geneigt, daß ihn dieser ausnützen und durch den gebotenen Betrag betrügen wolle, wehrt er sich gegen denselben.

[43] Im Hofe der Faktorei klingt der Takt und Rhythmus der Arbeit. Die angekauften Rohprodukte, wie Piassava und Ölfrüchte, müssen in der Faktorei erst versandbereit verarbeitet werden. Erstere, ein Hauptausfuhrprodukt Liberias, diese biegsame braune Holzfaser, die zur Herstellung von Bürsten und Besen dient, kommt von der Raphiapalme. Die Eingeborenen schlagen die Bäume, und die Strünke davon werden längere Zeit ins Wasser gelegt, bis das weiche Fleisch sich löst und nur die zähen Zellen, die Piassava, zurückbleiben. In diesem rohen Zustande bringt sie der Eingeborene zur Faktorei. Hier muß sie erst einmal übertrocknet, dann durchgehechelt und zum Schluß Faser für Faser durchkontrolliert werden. Es erscheint schwer verständlich, wie es bei dieser langwierigen Arbeit, bei den Fracht-, Zoll- und anderen Spesen, noch möglich ist, eine Bürste oder einen Besen in der Heimat für Pfennige herzustellen.

Die Ölfrüchte werden in den Faktoreien in großen Kesseln gekocht, und dadurch wird das Rohöl zur Herstellung von Seife gewonnen. Es ist ein lebhaftes Gewimmel in den Höfen der Faktoreien, in denen oft bis zu fünfzig schwarze Jungens beschäftigt sind. Die Piassava wird auf weitem Gelände ausgebreitet, Säcke werden gefüllt und in Lagerhäusern verstaut, Fässer gerollt, und das alles mit viel Geschrei. Unerträglich aber wird der Radau zur Mittags- und Abendzeit, wenn der Reis verteilt wird. Ohne Palaver, ohne Streit und Gezänk, kann das nicht ein einziges Mal vor sich gehen.

Allmonatlich läuft ein Dampfer die Pfefferküste an. Aber das Verschiffen der Waren ist eine schwierige und nicht ungefährliche Arbeit. Es gibt keinen geschützt angelegten Hafen an der Westküste. Die Dampfer müssen weit draußen vor Anker gehen, da eine gefährliche Felsenbarre das Näherkommen verbietet. Die Faktoreienboote haben ihre Waren selbst an Bord zu bringen, und das ist mit den oft bis zu einer Tonne schweren Ölfässern keine Kleinigkeit in der tobenden Brandung, die hier herrscht. Die Boote müssen mühsam durch die hohen Brandungswellen an den Strand gezogen und dort umgelegt werden. Die Fässer können nun allerdings ohne große Mühe hineingerollt werden. Aber das Aufrichten des Bootes mit der schweren Ladung und das Hinausstoßen durch den Sand in das Meer ist nur mit äußerster Geschicklichkeit und unter richtiger Ausnutzung der Brandung möglich. Manches der Faktoreienboote ist an der Felsenbarre oder in der Brandung gekentert, und es sind dadurch auch schon deutsche Menschenleben vernichtet worden.

Gefallene Helden auf Vorposten, draußen im Handelskrieg!








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter