Von der Gründung
Deutschösterreichs
zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.
[216] 21. Lausanner Anleiheprotokoll
15. Juli 1932.
In Anbetracht,
daß die Regierung der österreichischen Bundesrepublik an den
Völkerbund ein Unterstützungsgesuch gerichtet hat, um bei der
Fortführung des Werkes des wirtschaftlichen und finanziellen
Wiederaufbaues unterstützt zu werden, welches infolge der Entscheidung
des Völkerbundsrates vom 4. Oktober 1922 und der Unterzeichnung der
drei Protokolle vom gleichen Datum unternommen wurde;
daß die österreichische Regierung von neuem ihren Willen versichert
hat, ihren äußeren Verpflichtungen pünktlich
nachzukommen;
daß die Regierungen Belgiens, des Vereinigten Königreiches von
Großbritannien und Nordirland, Frankreichs, Italiens bereit sind,
Österreich zu diesem Zwecke neue Hilfe zu bringen;
daß die vorerwähnten Regierungen, darunter die
österreichische Regierung, erklären, diese Hilfe auf das am
4. Oktober 1922 unterzeichnete Protokoll Nr. 1 mit allen
Verpflichtungen, die es mit sich bringt, gründen zu wollen; wird ein
Protokoll aufgenommen, dessen Bestimmungen wie folgt lauten:
Die Regierungen Belgiens, des Vereinigten Königreiches von
Großbritannien und Nordirland, Frankreichs und Italiens einerseits und
die Regierung der Österreichischen Bundesrepublik andererseits,
haben in einmütigem Beschluß die folgenden Bestimmungen
vereinbart:
Artikel I.
Um der österreichischen Regierung im Ausland die Erlangung einer frei
und sofort verfügbaren Summe in fremder Währung
zu erleichtern, deren Nettobetrag den Gegenwert von dreihundert Millionen
österreichische Schilling, berechnet nach der gegenwärtigen
gesetzlichen Goldparität, erreichen darf, verpflichten sich die Regierungen
Belgiens, des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und
Nordirland, Frankreichs, Italiens ohne Verzug die möglicherweise durch ihr
inneres [217] Recht geforderten
Vollmachten einzuholen, sei es, um unter den untenstehenden Bedingungen einen
Teil dieser Anleihe, Zinsen oder Kapital, garantieren zu können, sei es, um
damit der österreichischen Regierung den Betrag auf andere Art zu
verschaffen. Im Falle der Emission auf ihrem eigenen Markt erleichtern
sie die Emission des Betrags, den sie garantiert haben.
Artikel 4.
Die österreichische Regierung verpflichtet sich, die notwendigen
Maßnahmen zu ergreifen, um das Gleichgewicht der Einnahmen und
Ausgaben des Staates ohne Verzug wiederherzustellen und zu erhalten; sie
verpflichtet sich gleichfalls, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen,
um ohne Verzug das finanzielle Gleichgewicht der österreichischen
Staatseisenbahnen wiederherzustellen und namentlich das Programm der Reform
des Haushaltes und der Finanzen durchzuführen, wie es im
Anhang II entworfen ist.
Artikel 5.
Die Währungspolitik Österreichs nimmt sich vor, in möglichst
kurzer Frist und mit der nötigen Vorsicht den bestehenden Unterschied
zwischen dem Wert des Schillings im Innern und im Ausland abzuschaffen, und
wird folglich auf fortschreitende Aufhebung teils der gegenwärtig
über die (Geld)Wechseloperationen eingeführten Kontrolle, teils der
Hindernisse des internationalen Austausches gerichtet sein.
Artikel 5.
I. Es ist vereinbart, daß die Regelung der Frage der Kreditanstalt ein
Teil des finanziellen Reformprogramms sein soll, das den Gegenstand dieses
Protokolls bildet.
II. Die österreichische Regierung wird ohne Aufschub alle
Anstrengungen machen, um zu einer Vereinbarung mit den ausländischen
Gläubigern der Kreditanstalt zu kommen, einer Vereinbarung, die der
Notwendigkeit Rechnung trägt, zu vermeiden, daß ein
übermäßiger Druck auf den Schilling ausgeübt wird.
III. Die österreichische Regierung verpflichtet sich, die Schuld der
Kreditanstalt gegen die Nationalbank zu ordnen und in
mög- [218] lichst kurzer Zeit eine
oder mehrere innere Anleihen zu emittieren, deren Gesamtbetrag nicht unter 200
Millionen Schilling liegt und für die teilweise Rückzahlung der
Schuld des Staates bei der Nationalbank verwandt wird.
Artikel 7.
Die österreichische Regierung fordert den Völkerbund auf, einen
Vertreter des Völkerbundes zu ernennen und einen Beirat für die
österreichische Nationalbank zum Zwecke der Fortsetzung der
Zusammenarbeit zu ernennen, die mit der Erklärung des
österreichischen Bundeskanzlers vom September 1931 wie durch die
Bestimmungen dieses Protokolls und seiner Anhänge ins Auge gefaßt
worden ist.
Artikel 8.
Der Ausschuß der garantierenden Staaten wird seine Tätigkeit bis zur
vollständigen Rückzahlung der im gegenwärtigen Protokoll
vorgesehenen Anleihe ausüben.
22a. Volksdeutsches Bekenntnis der jungen
Generation
Sommer 1932.
Aus der Einführung des Sammelwerkes Bekenntnis zu
Österreich.
(Hg.1932 im
Volk- und Reich-Verlag Berlin unter Mitarbeit von
A. Böhm, F. Riedl, O. Brunner, H. Neubacher, F. Flor, R. Lorenz u.
a.)
In diesen Wochen wandern aus allen deutschen Siedlungsgebieten junge deutsche
Menschen nach Österreich, nach Eisenstadt im Burgenland, an die
Stätte, an der Josef Haydn das Lied der Deutschen geschaffen hat. Sie
tragen Erde ihrer Heimat als Zeichen der Verbundenheit aller Deutschen
über alle Grenzen, als Verpflichtung und Gelöbnis zum
gemeinsamen Handeln in der kommenden Zeit.
So wie die Erde aus Ost und West, Nord und Süd zusammenfließen
wird, aus Preußen und Österreich, aus Bayern und
Schleswig-Holstein, aus Südtirol und Memel, dem
Kor- [219] ridor und von der Saar,
von den Ufern der Ostsee bis hinauf nach Narwa, von Ödenburg bis
hinunter zu den letzten Sprachinseln im unteren Donauraum,
zusammenfließen wird zu einer Erde des Vaterlandes deutschen
Lebens - so ineinander muß der Pulsschlag jener Jugend
fließen, die das Reich will, das alle Deutschen eint und das den Raum der
Mitte Europas führt, leitet, aufbaut und entscheidet.
Bekenntnis zu Österreich haben wir das Buch genannt, das junge Menschen
schrieben über Erbe und Aufgabe ihres Landes. Bekenntnis zu
Österreich tut not in einer Zeit, in der die Enge des Raumes, den uns der
Feind gelassen, die Bitternis der Gegenwart, die Not des täglichen Gebens
uns in eine Resignation zu treiben droht. Sie verwirrt, sie läßt
verzichten, sie trübt den Blick, das Ganze zu sehen und weiß nichts
um die große Pflicht und um das Gesetz der Freiheit des Reiches aller
Deutschen.
Bekenntnis zu Österreich ist das Bekenntnis, alle Halbheit und allen
Verzicht in uns zu überwinden, uns allen hinzugeben, die Streiter sein
wollen um eine kommende Gemeinschaft.
Bekenntnis zu Österreich ist das Bekenntnis zum Deutschen Reich, zu dem
unsere Sehnsucht uns treibt als unsere letzte Erfüllung, ist das Bekenntnis
zu dem Dienst und der Herrschaft in dem Raume, um den durch die Jahrhunderte
unser Blut floß und unsere Seelen rangen.
Dieser Bereitschaft, die unser ganzes Sein umschließt, ist dieses Buch
gewidmet mit dem Gelöbnis:
Deutschland, Deutschland über alles!
22b. Landesleiter der NSDAP., Alfred Proksch:
Heim ins Reich!
Beitrag in dem Sammelband: "Deutscher Geist in Österreich," hg. Karl
Wache (Dornbirn 1933, alsbald nach Erscheinen beschlagnahmt).
Jahreswende 1932/33.
Als im Spätherbst 1918 mit dem Zusammenbruch der Front die alte
Donaumonarchie zerfiel und aus dem großen
Österreich-Ungarn sich Nationalstaaten bildeten, da hätten die
ungeheuren [220] Opfer an Gut und Blut,
die insbesondere die Deutschen gebracht hatten, noch Sinn und Zweck bekommen
können, wenn statt der Reden, die über den Anschluß der
Deutschösterreicher an das Deutsche Reich gehalten und statt der
Beschlüsse, die dazu gefaßt wurden, sofort eine Tat gesetzt worden
wäre, eine Tat, die der geschichtlichen Größe des
Augenblickes würdig, mit der staatengründenden Entschlossenheit
anderer Völker auf einer Linie und der großen Hoffnung der
Deutschen des zerbrechenden alten Österreichs entsprechend gewesen
wäre.
Es blieb leider bei Reden und Beschlüssen, bis der große Augenblick
vorbei und das Anschlußverbot von den Feinden ausgesprochen war.
Deutschösterreich stand damals zur Umsturzzeit geschlossen auf dem
Boden des Anschlusses und hat seinen Heimkehrwillen aus der
Bevölkerung heraus auch in der Folge unausgesetzt bekundet, ja es
führte länderweise noch Abstimmungen selbst gegen den Willen der
Regierung durch.
Wir wissen, daß wir Schweres zu schaffen haben, denn wir kennen die
Kräfte, die diesem Ziele entgegenstehen, und wir kennen die Mittel, die
angewendet werden, um zu verhindern, daß es erreicht wird.
Wir wissen vor allem, daß es den Anschlußfeinden darum zu tun ist,
Gegensätze zwischen den Deutschen in Österreich und denen im
Reiche, besonders zu den Preußen, zu schaffen. Wir wissen, daß man
gerne das Selbstbewußtsein des Österreichers anruft und es
beschwört, ja nicht früher dem Anschlußwillen Geltung zu
verschaffen, als nicht im eigenen Hause Ordnung gemacht ist, da doch der
Österreicher nicht als Habenichts und Bittender heimkehren
könne.
Wir wissen, daß man gerne von Nichtswürdigen oder gar vom
Verlust unserer Stammeseigenart im großen Reiche redet und von der
Unterjochung des Österreichers durch die schnauzigen Norddeutschen. Und
wir wissen schließlich, daß man von der Gefährdung der
katholischen Religion durch den im Reiche herrschenden Protestantismus spricht,
um zu erreichen, daß die gut katholische Bevölkerung im Anschlusse
an das Reich eine Auslieferung an Glaubensvernichter erblickte.
All diesen sogenannten zwingenden Gründen, die nur zur Verschleierung
der Absicht aufgetischt werden, den Anschlußwillen [221] in der
Bevölkerung auszutilgen und dafür den Willen zu setzen, die
christlichsozial-legitimistischen, franzosenfreundlichen Pläne verwirklicht
zu sehen, muß begegnet werden.
Am 20. August v. J. brachte der Bauernbündler, die Zeitung des
christlichsozialen niederösterreichischen Bauernbundes, einen Leitartikel
zur Rechtfertigung der Lausanner Politik, jener besonderen Leistung zur
Verhinderung des Anschlusses, in dem er erst vermeldet, daß er nicht gern
bei jeder Bierrunde von nationaler Pflicht redet, "...weil wir sie täglich und
stündlich erfüllen".
Gleich aber setzt er fort: "Nun ist heute der hehre Anschlußgedanke zum
Schlagwort geworden. Wer die preußische Anmaßung je kennen oder
gar fühlen lernte, jene Überheblichkeit, die durch die
Hakenkreuzbewegung zum Superlativ gesteigert wurde, wer das
'Vergnügen' schon erlebte, mit Ostelbiern und Brandenburgern
darüber zu reden, der weiß, wie diese immer 'von aus dem Drecke
ziehen' zu reden wissen. So werten sie den Anschluß. Anders wohl die
Süddeutschen. Sinn und Art und Denken ist bei denen loyal, aufrichtig; sie
reden auch darum geflissentlich von einem 'Zusammenschluß'. Und wir
sind schon so: wenn wir wo bei einer Türe hineingehen, so dort am
liebsten, wo uns die heimatliche Kost wartet und nicht Weißbier und
Himbeersaft..."
So also sieht der Anschlußwille der Christlichsozialen aus. Die wenigen
Sätze sprechen für ihre famosen Absichten Bände. Damit aber
für dieses edle Bekenntnis eine Maske gefunden wird, heuchelte man
weiter: "Wir... wünschen ein großes, einiges Reich. Doch wollen wir
als Gleichberechtigte dort gelten, wollen unsere Kultur und Brauchtum gesichert
wissen. Daher heißt es vorerst im eigenen Hause Ordnung zu machen. Und
der Vertrag von Lausanne soll uns Gesundung und Belebung unserer Wirtschaft
bringen. Und soll einst der große Tag eines Zusammenfindens in einem
großen Mutterreiche möglich sein, dann binden nicht papierene
Verträge. Nicht als zerlumpte, herabgekommene Bettler wollen wir dann
bei der Mutter Germania uns einfinden, sondern als gesunde, starke und stolze
Österreicher, als Ostmärker, als getreue Partisane deutscher Kultur
im gefährdeten Osten."
[222] Höher geht die
Heuchelei wirklich nicht mehr. Was soll das schöne Reden vom
großen Reiche, wenn man mit dem Weißbier und
Himbeersaftverzehren einfach nicht will, was bedeutet alle Rede von Stolz,
Gesundheit und Stärke, wenn wir vor den Franzosen am Bauche kriechen,
um Anleihe betteln und uns damit zu Bettlern machen und in diesem Zustand um
Gesundheit auf allen Gebieten bringen lassen?
.........
Wir Österreicher werden, das steht fest, im Reiche das bleiben, was wir
sind, eben Deutsche der Ostmark, und wir werden unsere Eigenart so wahren, wie
die stammesverwandten Bajuwaren und Franken, treu der ererbten Scholle und
unbeirrbar in Erfüllung der uns gesetzten Aufgaben.
Wir wollen uns aber wehren gegen die Feinde der Heimkehr, gegen die
Verräter an unserer Zukunft, die nur im großen, starken, alle
deutschen Stämme umfassenden Reiche liegen kann.
23. Die Parteien vor der
Entscheidung
3. März 1933.
Die Reichspost (christlichsozial):
"... Der Staat mag in Fransen gehen, wenn nur die Partei profitieren kann. Der
Marxismus vergißt, daß dieser Profit seine Grenzen hat. Sein Weg
muß zwangsläufig zur Vernichtung der Freiheit um der
Selbsterhaltung des Volkes willen führen! Beweis: Die deutsche
Entwicklung des Hitlerismus übersieht, daß Österreich trotz
Not und Wirtschaftskrise nicht der geeignete Raum ist, um mit akustischem Tenor
allein sich durchsetzen zu können. Mag sein, daß
Betäubungserfolge zu erwarten sind. Beide vergessen, daß
Revolution in Österreich die Brücke in eine neue deutsche Zukunft
gefährdet. Alles steht auf dem
Spiele! - So nicht! Man darf in Österreich heute nicht mit einem
Generalstreik drohen wollen. Wer es dennoch tut, aus Kurzsichtigkeit oder
Prestigemotiven, der befördert die ohnedies kranke Demokratie
endgültig in die Geschichte. Der Hakenkreuzler mag sich dann am Ziele
seines Wunschtraumes sehen. Ob er mehr als ein bloßer Beckmesser
[223] ist, wird die Zukunft
weisen. Vorderhand werden jedenfalls um uns nur Trümmer sein.
Die Christlichsozialen aber mögen die Zeichen der Zeit nicht
übersehen. Der Umbau des Staates wird zwangsläufig kommen
müssen. Es ist nicht wahr, daß die Demokratie nicht zu retten ist,
daß Diktatur und alles, was damit zusammenhängt, zur
unvermeidlichen Ablöse in den Kampf genommen werden muß.
Demokratie und Parlamentarismus dürfen nur nicht verfälscht
sein...
Aufgabe der Christlichsozialen wäre es, dies klar zu erkennen und ebenso
klar sich zum unerläßlichen Umbau des Staates sich zu bekennen.
Ihre Parole müßte daher lauten: Im Zeichen der Autorität
für wahre, dauernd gesicherte Freiheit und für geläuterte
Demokratie. Es geht um das geistige Antlitz und um die Freiheit
Österreichs!"
Die Arbeiterzeitung (sozialdemokratisches Hauptorgan): Die
Christlichsozialen am Scheidewege.
"... In der Tat, das österreichische Bürgertum überhaupt und
die Christlichsoziale Partei vor allem stehen am Scheidewege. Sie werden sich
nun entschließen müssen, welche Schlüsse sie aus den
Ereignissen im Deutschen Reiche ziehen wollen. Es ist eine Entscheidung von
allergrößter Tragweite. Zwei Wege öffnen sich hier:
Die eine Möglichkeit ist die folgende: Dir fascistische Diktatur in
Deutschland wird sehr bald abwirtschaften... Die große Enttäuschung
wird kommen. Gerade wenn Hitler regiert, wird der Nationalfascismus in einem
Jahre jede Anziehungskraft verloren haben, nicht nur in Deutschland sondern
auch in Österreich.
Die Christlichsoziale Partei könnte sich also entschließen, eine
Politik zu treiben, die es ihr ermöglicht, das Schwinden der
Anziehungskraft der Nazi in Ruhe abzuwarten. Was wäre das für
eine Politik? Sie müßte hierzulande eine Zeitlang alle
Herausforderungen vermeiden, allen großen politischen Kämpfen
ausweichen, das Einvernehmen mit der großen Partei der Arbeiterklasse
suchen...
Die Christlichsozialen können aber aus den Ereignissen im Deutschen
Reiche auch einen andern Schluß ziehen... Sie [224] können
versuchen, Hitler zu kopieren. Sie können mit den Nazi einen Wettbewerb
im 'Antimarxismus', eine Konkurrenz in Angriffen auf die Rechte der Arbeiter
und Angestellten aufnehmen. Das scheint die Politik des Herrn Dollfuß zu
sein..."
23a. Das kriegswirtschaftliche
Ermächtigungsgesetz als politisches Fundament
Amtliche Mitteilung, veröffentlicht im NS.-Organ
"Deutsch-Österreichische Tageszeitung" unter dem Titel "Kalter Putsch der
Regierung Dollfuß".
8. März 1933.
Gestern fand ein Ministerrat statt, der sich mit der durch die Parlamentskrise
verursachten politischen Lage befaßte. Der Ministerrat beschloß den
Text eines Aufrufes an das österreichische Volk. Darin wird von einem
Versammlungs- und Aufmarschverbot, gültig bis auf weiteres, für
das Bundesgebiet, Mitteilung gemacht und die Erlassung einer Verordnung mit
gesetzändernder Kraft betreffend presserechtliche Bestimmungen
angekündigt. Als Begründung wird die wirtschaftliche Notlage
angegeben.
Wie die amtliche Mitteilung weiter angibt, begab sich Bundeskanzler
Dr. Dollfuß nach dem Ministerrat zum Bundespräsidenten, um
ihm die Demission des Kabinetts mitzuteilen. Der Bundespräsident hat
jedoch die Demission nicht zur Kenntnis genommen, die Regierung seines
Vertrauens versichert und sie ersucht, die Geschäfte mit ruhiger Festigkeit
fortzuführen und die innenpolitischen Verwicklungen möglichst im
Geiste der Verfassung zu entwirren.
Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz (24. Juli 1917):
Die Regierung wird ermächtigt, während der Dauer der durch den
Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse durch
Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und
Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen Lebens, zur Abwehr wirtschaftlicher
Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit
Nahrungsmitteln und andern Bedarfsgegenständen zu treffen.
[225] 24. Aufruf des Landesleiters der NSDAP., Alfred
Proksch
9. März 1933.
Die Regierung Dollfuß hat die vom Landesleiter der NSDAP.
Österreichs (Hitlerbewegung) an sie gerichtete Aufforderung,
zurückzutreten, den Nationalrat aufzulösen und damit die
Voraussetzungen zur Bildung einer starken, nationalen Regierung zu
schaffen - eine Forderung, die am 6. März in über 1000
Massenversammlungen in ganz Österreich von Hunderttausenden von
Volksgenossen einmütig und mit Nachdruck unterstützt
wurde - damit beantwortet, daß sie unter Bruch der Verfassung auf
unbegrenzte Zeit alle politischen Versammlungen, Kundgebungen und
Aufmärsche verbot, die Pressefreiheit aufhob und damit die gesamte
Opposition, d. h. zwei Drittel des Volkes mundtot machte und politisch
entrechtete. Diese Gewaltmaßnahmen der Regierung sind gedacht und
richten sich praktisch ausschließlich gegen die NSDAP. Sie sollen den
Durchbruch der großen, deutschen Freiheitsbewegung in Österreich
verhindern und einer Regierung das Leben sichern, die von der
überwältigenden Mehrheit des Volkes abgelehnt wird. Dagegen
erhebt die NSDAP. Österreichs vor der ganzen Nation leidenschaftlichen
Protest...
Sie empfindet es als eine unerhörte Schmach, von der Regierung
Dollfuß - durch die Berufung auf das Vorbild des
Reiches - gleichgestellt und gleich behandelt zu werden mit dem
landesverräterischen Marxismus; sie sieht aber weiter aus dieser Haltung
und Betätigung der Regierung Dollfuß die ungeheure Gefahr einer
Entfremdung zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche entstehen,
deren Folge nur ein erneutes und verstärktes Abgleiten Österreichs in
das Fahrwasser der französischen Politik sein kann...
Die NSDAP. wird daher ihren Kampf um die Befreiung Österreichs und
seinen Zusammenschluß mit dem
Reiche - d. h. den Kampf gegen Dollfuß, Starhemberg und
Winkler, gegen den Legitimismus innerhalb und außerhalb der
Regierung - mit verdoppelter Kraft und Zähigkeit
weiterführen, im Bewußtsein, daß der Sieg nur eine Frage
kurzer Zeit sein kann, da noch immer in der Geschichte die Kraft einer
großen Idee... gesiegt hat.
[226] 25. Die auswärtige Presse und die
"Österreichische Mission" von Marcel Dunan
Aus einem Beitrag des Wiener französischen Presseattachés in der
Reichspost.
16. Juli 1933.
"Der österreichische Gedanke, der zwar nie gestorben war, aber doch
schlummerte, ist gleichsam unter dem Schock der Geschehnisse in gewissen
Nachbarstaaten in der großen Masse des Volkes erwacht. Der
österreichische Mensch, der liebenswürdige, künstlerisch und
träumerisch veranlagte Kulturträger Zentraleuropas, ist sich in der
letzten Zeit immer mehr, immer deutlicher bewußt geworden, welche
bedeutende Rolle er zu spielen hat. Das Volksbewußtsein sagt es allen, die
es gern oder ungern hören wollen: 'Wir sind Menschen, denen die
geschichtliche Entwicklung seit vielen Jahrzehnten eine ganz besondere Mission
auferlegt hat: Mittler zu sein zwischen Ost und West, Nord und Süd. In
unserm Blut, unserm Geist treffen sich soviel verschiedene Eigenheiten, so viele
Eigentümlichkeiten, daß wir ohne Anstrengung, ganz von selbst die
andern Völker verstehen können, besser oft als sie selbst sich
untereinander. Darum wollen wir bleiben, was wir waren, was wir sind,
selbständige Österreicher!'
So spricht heute Österreichs Volk durch den Mund zahlreicher mutiger,
unerschrockener und vaterlandstreuer Männer, allen voran: Bundeskanzler
Dr. Dollfuß, der Chef der
Christlich-sozialen Partei, General Vaugoin, Justizminister
Dr. Schuschnigg und vieler anderer. Jedem, der dieses Land liebt,
muß bei diesem Ausdruck des echten Volksbewußtseins das Herz
höher schlagen! Auch ich empfinde aufrichtigste und innigste Freude
darüber... Habe ich doch für den österreichischen Gedanken
gekämpft und geschrieben, als das Ausland ihn für erledigt hielt und
als selbst so mancher Österreicher verzagt und entmutigt war und viele
mich für einen Utopisten hielten..."
(Dunans Schrift Österreich erschien 1921, deutsch übersetzt
1922, wurde von der Academie française preisgekrönt!)
[227] 25a. Aus der Programmrede des Bundeskanzlers
Dr. Dollfuß
In der Versammlung der V. F. auf dem Wiener Trabrennplatz.
11. September 1933.
"Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit
kapitalistisch-liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber; die Zeit
marxistisch-materialistischer Volksführung und Volksverführung ist
nicht mehr! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! Wir lehnen Gleichschalterei
und Terror ab. Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat
Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer
Führung! Die äußeren Organisationsformen der
berufsständischen Vertretung neu zu gestalten, ist die Aufgabe dieser
Regierung in den nächsten Wochen und Monaten...
Ich habe bei allen Gelegenheiten, wenn ich im Auslande über unsere
Heimat zu reden und für sie zu werben hatte, niemals unterlassen zu sagen,
daß wir Österreicher sind und daß wir ein deutsches Land sind.
Diese Tatsache hat niemanden abgestoßen und war niemandem
Anstoß. Wir haben uns in der Welt Freunde erworben und ich
erkläre, manche verstehen nicht, warum wir in dem Kampf, der in sehr
übler Weise von einer Partei über die Grenze hereingetragen
wurde (!), nicht schärfer zugegriffen haben.
......
So ist die Vaterländische Front heute eine Bewegung und
nicht eine Addition von zwei oder drei Parteien, sondern eine innen
unabhängige, große, vaterländische Bewegung, die alle, die
sich zu Österreich als ihrem deutschen Vaterlande bekennen, in sich
schließen will, eine Bewegung, die jeden, der das Abzeichen der
V. F. trägt, dazu verpflichtet, das Einigende zu betonen, das
Trennende beiseite zu schieben und keiner Bewegung anzugehören, die den
Klassenkampf oder den Kulturkampf zum Ziele hat. Das sind die Grenzen, die wir
stecken, und so soll der Gedanke der Gemeinschaft von heute ausgehen und mit
organisatorischer Gewalt über ganz Österreich hinbrausen."
[228] 26. Führererklärung zur
österreichischen Frage
30. Januar 1934.
Zum großen Bedauern der Deutschen Reichsregierung sind
demgegenüber die Beziehungen des Reichs zur derzeitigen
österreichischen Regierung keine befriedigenden. Die Schuld liegt nicht
allein auf unserer Seite. Die Behauptung, daß das Deutsche Reich
beabsichtige, den österreichischen Staat zu vergewaltigen, ist absurd und
kann durch nichts belegt oder erwiesen werden. Allein, es ist
selbstverständlich, daß eine die ganze deutsche Nation erfassende
und sie auf das tiefste bewegende Idee nicht vor den Grenzpfählen eines
Landes haltmachen wird, das nicht nur seinem Volke nach deutsch ist, sondern
seiner Geschichte nach als deutsche Ostmark viele Jahrhunderte hindurch
integrierender Bestandteil des Deutschen Reiches war, ja, dessen Hauptstadt ein
halbes Jahrtausend lang die Ehre hatte, Residenz der deutschen Kaiser zu sein, und dessen Soldaten
noch im Weltkrieg Seite an Seite mit den deutschen Regimentern und Divisionen
marschierten. Aber auch davon abgesehen ist diese Tatsache keine
absonderliche, wenn man berücksichtigt, daß fast alle
europäischen geistigen, revolutionären Gedanken und Vorstellungen
bisher noch immer über die Grenzen einzelner Länder hinweg
wirksam wurden. So haben die Ideen der Französischen Revolution in ganz
Europa über die staatlichen Schranken hinweg die Völker
erfüllt, genau wie heute die nationalsozialistische Idee auch vom
österreichischen Deutschtum verständlicherweise in
natürlicher Geistes- und Seelenverbindung mit dem ganzen deutschen Volk
aufgegriffen wurde. Wenn die derzeitige österreichische Regierung es
für notwendig hält, diese Bewegung unter Einsatz
äußerster staatlicher Mittel zu unterdrücken, so ist dies
selbstverständlich ihre eigene Angelegenheit. Sie muß aber dann auch
selbst für die Folgen ihrer eigenen Politik die Verantwortung
übernehmen und für sie einstehen.
Die deutsche Reichsregierung hat aus dem Vorgehen der derzeitigen
österreichischen Regierung gegen den Nationalsozialismus überhaupt
erst in dem Augenblick gewisse Konsequenzen gezogen, da deutsche
Reichsangehörige, die in Österreich lebten [229] oder sich dort als
Fremde aufhielten, davon betroffen wurden. Es kann der Deutschen
Reichsregierung nicht zugemutet werden, ihre Bürger als Gäste in
ein Land zu schicken, dessen Regierung unmißverständlich zum
Ausdruck gebracht hat, im Nationalsozialisten an sich ein unliebsames Element zu
erblicken. So wenig wir auf einen amerikanischen oder englischen Reiseverkehr
in Deutschland rechnen dürften, wenn diesen Reisenden auf deutschem
Gebiet ihre nationalen Hoheitszeichen oder Fahnen abgerissen würden, so
wenig würde es die Deutsche Reichsregierung hinnehmen, daß jenen
Deutschen, die als Fremde und Gäste in ein anderes und noch dazu
deutsches Land kommen, diese entwürdigende Behandlung zuteil wird;
denn das Hoheitszeichen und die Hakenkreuzfahne sind Symbole des heutigen
Deutschen Reiches! Deutsche aber, die heute in das Ausland reisen, sind,
abgesehen von den Emigranten, immer Nationalsozialisten. Wenn die
österreichische Regierung sich darüber beklagt, daß
Deutschland seine Bürger zurückhält, in ein Land zu reisen,
dessen Regierung selbst den einzelnen Angehörigen einer hier herrschenden
Weltanschauung so feindlich gegenübertritt, so mag sie bedenken,
daß sich bei einer Vermeidung dieser deutschen Maßnahmen
zwangsläufig Zustände ergeben würden, die dann
tatsächlich unerträglich und bedenklich wären; denn da der
heutige deutsche Reichsangehörige zu stolz und selbstbewußt ist, um
sich sein nationales Ehrenzeichen widerstandslos herunterreißen zu lassen,
bleibt nichts anderes übrig, als ein solches Land mit unserem Besuche zu
verschonen.
Die weitere Behauptung der österreichischen Regierung, daß von
seiten des Reiches aus irgendein Angriff gegen den österreichischen Staat
unternommen werde oder auch nur geplant sei, muß ich schärfstens
zurückweisen. Wenn die Zehntausende politische Flüchtlinge aus
Österreich im heutigen Deutschland einen heißen Anteil nahmen an
dem Geschehen in ihrer Heimat, so mag das in manchen Auswirkungen
bedauerlich sein, ist aber von seiten des Reiches aus um so weniger zu verhindern,
als auch die übrige Welt bisher nicht in der Lage war, den tätigen
Anteil der deutschen Emigranten im Ausland an der deutschen Entwicklung
irgendwie abzustellen. Wenn die österreichische Regierung sich über
eine politische Propaganda beklagt, die von [230] Deutschland aus gegen
Österreich stattfände, so könnte sich die deutsche Regierung
mit mehr Recht über die politische Propaganda beklagen, die in den
anderen Ländern von den dort lebenden politischen Emigranten gegen
Deutschland getrieben wird. Daß die deutsche Presse in deutscher Sprache
erscheint und daher auch von der österreichischen Bevölkerung
gelesen werden kann, ist für die derzeitige österreichische Regierung
vielleicht bedauerlich, aber durch die deutsche Reichsregierung nicht zu
ändern...
Sie hat diese innere Sicherheit erhalten, indem sie es nicht unterließ, zu
ihrer eigenen Beruhigung und zur Aufklärung der übrigen Welt in
einem Jahre allein einige Male an das deutsche Volk zu appellieren und sich
dieses Vertrauen auf dem Wege der Abstimmung bestätigen zu lassen, ohne
dazu irgendwie gezwungen zu sein. Es würde den Wert der gegen die
heutige österreichische Regierung gerichteten Angriffe sofort erledigen,
wenn diese sich entschließen könnte, das deutsche Volk in
Österreich ebenfalls aufzurufen, um die Identität seines Willens mit
dem Wollen der Regierung vor aller Welt festzustellen.
Ich glaube nicht, daß z. B. die Regierung der Schweiz, die auch Millionen
Bürger deutscher Nationalität besitzt, irgendeine Klage über
den Versuch einer Einmengung deutscher Kreise in ihre inneren Angelegenheiten
vorbringen könnte. Der Grund scheint mir darin zu liegen, daß dort
eine ersichtlich vom Vertrauen des schweizerischen Volkes getragene Regierung
besteht, die es daher auch nicht nötig hat, innere Schwierigkeiten auf
außenpolitische Motive zurückzuführen.
Ohne uns im geringsten in die inneren Verhältnisse anderer Staaten
einmischen zu wollen, glaube ich doch das eine sagen zu müssen: nur mit
Gewalt allein kann auf die Dauer kein Regiment bestehen. Es wird auch in der
Zukunft daher jederzeit eine ernste Sorge der nationalsozialistischen Regierung
des Reiches sein, immer wieder von neuem festzustellen, inwieweit sich der Wille
der Nation verkörpert in der sie führenden Regierung, und in diesem
Sinne sind wir Wilde doch wirklich bessere Demokraten.
Im übrigen muß ich, der ich mich selbst mit stolzer Freude zum
österreichischen Bruderlande als meiner Heimat und der [231] Heimat meines
Vaterhauses bekenne, Protest einlegen gegen die Auffassung, als ob die deutsche
Gesinnung des österreichischen Volkes überhaupt irgendwelcher
Aufreizungen aus dem Reiche bedürfe. Ich glaube meine Heimat und ihr
Volk auch heute noch gut genug zu kennen, um zu wissen, daß der
Pulsschlag, der 66 Millionen Deutsche im Reiche erfüllt, auch ihre
Herzen und Sinne bewegt. Möchte das Schicksal es fügen, daß
aus diesen unbefriedigenden Zuständen endlich dennoch der Weg zu einem
wirklichen versöhnenden Ausgleich gefunden wird. Das Deutsche Reich ist
bei voller Respektierung des freien Willens des österreichischen
Deutschtums jederzeit bereit, die Hand zu einer wirklichen Verständigung
zu reichen.
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