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Von der Gründung Deutschösterreichs zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.

27. Drei-Mächte-Garantieerklärung für Österreichs Unabhängigkeit

17. Februar 1934.        

Die österreichische Regierung hat sich an die Regierungen Frankreichs, Englands und Italiens gewandt, um ihre Auffassung über die Akten einzuholen, die sie vorbereitet hat, um die deutsche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs festzustellen, und die sie ihnen übermittelte. - Die Besprechungen, die zwischen den drei Regierungen hierüber stattfanden, haben zu einer übereinstimmenden Auffassung über die Notwendigkeit geführt, die Unabhängigkeit und Integrität Österreichs gemäß den geltenden Verträgen aufrechtzuerhalten.



27a. Genfer Garantieerklärung für Österreich
27. September 1934.        

Die Vertreter Frankreichs, Großbritanniens und Italiens haben von neuem die Lage Österreichs geprüft und sind übereingekommen, im Namen ihrer Regierungen anzuerkennen, daß die Erklärung vom 17. Februar 1934 im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit und Unversehrtheit Österreichs aufrechtzuerhalten, im Einklang mit den bestehenden Verträgen ihre ganze Kraft behält und auch weiterhin für ihre gemeinsame Politik maßgebend sein wird.



[232] 28. Aus den Römischen Protokollen

Österreichische Ausfertigung.

17. März 1934.        

Der Bundeskanzler der Republik Österreich,
Der Regierungschef Seiner Majestät des Königs von Italien,
Der königlich ungarische Ministerpräsident.

In dem Bestreben, der Erhaltung des Friedens und dem wirtschaftlichen Aufbau Europas auf der Grundlage der Achtung der Selbständigkeit und der Rechte jedes einzelnen Staates zu fördern,

in der Überzeugung, daß die Zusammenarbeit in diesem Sinne zwischen den drei Regierungen die realen Vorbedingungen einer breiteren Korporation mit andern Staaten zu schaffen vermag,

verpflichten sich zwecks Erreichung der oben angegebenen Ziele:

Über jene Fragen, welche sie im besondern angehen, sowie über die Fragen allgemeinen Charakters zu dem Zwecke, das Einvernehmen zu pflegen, um im Sinne der bestehenden Freundschaftsverträge zwischen Italien und Österreich, Italien und Ungarn und Österreich und Ungarn, welche auf der Erkenntnis vom Bestehen zahlreicher gemeinsamer Interessen beruhen, ihre auf die Förderung einer wirklichen Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas und insbesondere zwischen Italien, Österreich und Ungarn gerichtete Politik aufeinander abzustimmen. Zu diesem Behufe werden sich die drei Regierungen, so oft zumindest eine derselben es für zweckmäßig erachten sollte, gemeinsam beraten.

Dieses Protokoll ist in drei Exemplaren, in deutscher, italienischer und ungarischer Sprache verfaßt. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten ist der italienische Text maßgebend.

Zu Urkund dessen haben die Unterfertigten vorliegendes Protokoll unterzeichnet.

Rom, den 17. März 1934.

Dollfuß, Mussolini, Gömbös.

(Die Protokolle II und III enthalten im Sinne der Stresa-Konferenz von 1932 und des italienischen Donau-Memorandums vom September 1933 die Ankündigung von baldigst abzuschließenden zweiseitigen Verträgen über die Erleichterung des [233] gegenseitigen Exports und eine stufenweise Ergänzung ihrer nationalen Wirtschaften. Im besonderen wird für Italien und Österreich ein System von Vorzugszöllen "zugunsten einer großen Anzahl von zur Einfuhr nach Italien bestimmten, in Österreich erzeugten und aus Österreich stammenden Produkten" festgelegt werden.)



29. Die sogenannte Gesetzwerdung der "Maiverfassung 1934"

Nach Mitteilungen des Abg. Dr. Ernst Hampel an den Schriftleiter Hans Ambroschitz der "Wiener Neuesten Nachrichten".

30. April 1934.        

Am 30. April 1934 fand nach einer unfreiwilligen Pause von vierzehn Monaten die letzte Sitzung des österreichischen Rumpf-Nationalrats statt, dem die damalige Regierung Dollfuß die Aufgabe zugedacht hatte, 471 auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erlassene Verordnungen, darunter die neue Maiverfassung 1934, zu sanktionieren.

War schon die Ausschaltung des Nationalrats - dessen drei Präsidenten am 4. März 1933 ihre Ämter niederlegten, ohne daß der letzte derselben, Dr. Sepp Straffner, die Sitzung geschlossen hätte, ein Verfassungsbruch, begangen dadurch, daß die Regierung den Nationalrat am 15. März 1933 durch Brachialgewalt am Wiederzusammentritt hinderte, so war die pflichtwidrige Nichtaktivierung des Nationalrats ein weiterer Verfassungsbruch.

Nach dem Verbot der NSDAP. und der Ausschaltung der Sozialdemokraten nach dem Februarputsch 1934 war durch Aberkennung der Mandate der Nationalrat nicht mehr vollzählig, er zählte nur mehr etwa drei Fünftel der seinerzeit gewählten 165 Abgeordneten. Davon gehörten gegen 70 der Christlichsozialen Partei an, der Rest entfiel auf die Großdeutschen, Landbündler und Heimatschutzabgeordneten. Einer der Wortführer der Großdeutschen in der für den 30. April einberufenen [234] Sitzung des Rumpf-Nationalrats war der Abgeordnete Dr. Ernst Hampel, der gestern einem Schriftleiter unseres Blattes Mitteilungen über den Verlauf der Sitzung machte, über die seinerzeit in der Presse nur höchst mangelhafte Berichte erschienen waren, da Bundeskanzler Dr. Dollfuß höchstpersönlich den Zensurstift gehandhabt und insbesondere von den oppositionellen Reden nur einige wenige, den Sachverhalt entstellende Sätze zur Veröffentlichung freigegeben hatte.

"Worauf, Herr Doktor, kam es den Vertretern der nationalen Opposition bei dieser Sitzung vor allem an?"

"Uns war es vor allem darum zu tun", erwiderte Doktor Hampel, "die Zahl der im Sitzungssaal anwesenden Abgeordneten unter der Ziffer 83 zu halten. Denn, abgesehen von der an und für sich verfassungswidrigen Einberufung der Sitzung selbst, waren geschäftsordnungsmäßige und verfassungsändernde Beschlüsse nur gültig, wenn von den 165 Abgeordneten des österreichischen Nationalrates wenigstens die Hälfte, also 83, anwesend waren und von diesen wieder eine Zweidrittelmehrheit den Beschlüssen zustimmte.
      Im vollen und stetigen Einvernehmen mit der Landesleitung der NSDAP. mußten deshalb die nationalen Abgeordneten an diesem Tag außerhalb des Sitzungssaales bleiben, da im Fall ihrer Anwesenheit eben mehr als 83 Abgeordnete anwesend gewesen wären. So konnten bloß der Parteiobmann der Großdeutschen, Abg. Hermann Foppa, der jetzt in den Großdeutschen Reichstag gewählt worden ist, und ich als Klubvorsitzender namens der nationalen Opposition ihre feierlichen Rechtsverwahrungen vor der ganzen Welt abgeben."

"Welche Vorlagen hatte die Bundesregierung dem Rumpfnationalrat zur Beschlußfassung vorgelegt?"

"Die sogenannte Maiverfassung 1934, in die das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl eingebaut war, und 470 weitere Verordnungen, die auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erlassen worden waren. Also etwas viel für eine einzige Sitzung."

"War es nicht möglich, diese Sitzung überhaupt zu verhindern?"

"Das Parlament, selbst die Couloirs vor dem Sitzungssaal, [235] waren zum förmlichen Polizeilager geworden. Der Versuch die Sitzung zu behindern, wäre schon aus diesem Grund unausführbar, ja auch vollkommen unzweckmäßig gewesen. Galt es doch, den eklatanten Eid- und Verfassungsbruch der Dollfußregierung eindeutig und klar vor der ganzen Welt aufzuzeigen und zu beweisen."

"Wurde in der Sitzung selbst darauf hingewiesen, daß die Einberufung gesetzwidrig erfolgte?"

"Selbstverständlich! Gleich zu Beginn der Sitzung legte ich als erster Sprecher der nationalen Opposition unter Heranziehung der betreffenden Verfassungsbestimmungen dar, daß auf Grund der Argumentation der Dollfuß-Regierung selber die Einberufung dieser Parlamentssitzung vollkommen gesetzwidrig sei, daß einzig und allein nur der Bundespräsident durch Auflösung des alten Parlaments und Ausschreibung von Neuwahlen der Verfassung entsprechen könne."

"Welche Gründe führten Sie ins Treffen?"

"In erster Reihe den klaren und eindeutigen Wortlaut des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes selbst, weiters aber den ebenso klaren Wortlaut des Notverordnungsrechtes des Bundespräsidenten, die beide jede Änderung verfassungsrechtlicher Bestimmungen ausschlossen."

"Wie verhielt sich der 'Präsident' (Dr. Ramek) zu Ihren verfassungsrechtlichen Einwendungen?"

"Der ad hoc bestellte 'Präsident' machte sich die Sache mehr als einfach. Er erklärte mir, daß er sich meinen Rechtsausführungen nicht anschließen könne, weil die Regierung am 27. April eine Verordnung erlassen und diese im Bundesgesetzblatt veröffentlicht habe, mit der diese Sitzung einberufen worden sei. Diese Verordnung sei deshalb für ihn und die anderen Abgeordneten bindend. Mit mehr Schamlosigkeit hat man sich wohl noch nie in einem Staat der Welt über eine Staatsauffassung hinweggesetzt!"

"Sie erwähnten früher, daß die Regierung dem Rumpfnationalrat nicht weniger als 471 Verordnungen zur Genehmigung vorlegte, darunter auch die umfangreiche und inhaltsschwere Verordnung über die Mai-Verfassung 1934. Da hat der Verfassungsausschuß, dem ja diese Vorlagen zur Vorbera- [236] tung überwiesen werden mußten, wohl tagelange Sitzungen abgehalten, um diese Riesenarbeit zu bewältigen?"

"Gar keine Spur! Der Rumpf-Verfassungsausschuß erledigte diese 471 Vorlagen in wenigen Minuten in Bausch und Bogen. Die nationale Opposition legte natürlich auch im Ausschuß Protest ein, doch wurde er ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen."

"Es war also nunmehr der Weg frei zur 'Verhandlung' im Rumpf-Nationalrat selbst. Was tat die nationale Opposition in diesem Stadium?"

"Nun trat der zweite Oppositionsredner, Abg. Prof. Hermann Foppa in Aktion. Namens der großdeutschen Abgeordneten gab er eine feierliche Erklärung ab, in der er vor dem deutschen Volk, vor der ganzen Welt Einspruch erhob gegen das Regime, das mit der Brachialgewalt der Bajonette den wahren Volkswillen zu beugen versuchte. Er erhob feierlichen Einspruch gegen die verfassungs- und gesetzwidrigen Beschränkungen der geistigen und körperlichen Freiheit, gegen die maßlosen Verfolgungen unschuldiger Menschen, gegen die willkürliche Vernichtung von Existenzen, gegen das jeder Humanität hohnsprechende Geiselverfahren, gegen das System der Anhaltelager und gegen das Denunziantenwesen, Einspruch gegen die verfassungswidrige Tagung des Parlaments, das verfassungswidrig in seiner Zusammensetzung, gar nicht in der Lage sei, einfache Beschlüsse, geschweige denn verfassungsmäßig zu qualifizierende Beschlüsse, zu fassen, Einspruch dagegen, daß der Artikel 44 der Verfassung 1929, der für eine Gesamtänderung der Verfassung eine Volksabstimmung vorsehe, durch ein illegales Parlament und eine illegale Abstimmung beseitigt werden solle."

"Welche Gegenvorschläge machte Abg. Prof. Foppa?"

"Er warnte die Regierung, das Konkordat mit dem heiligen Stuhl oder andere Staatsverträge (das Konkordat war bereits in die vorliegende Mai-Verfassung eingebaut) auf dieser ungesetzlichen Grundlage zu schließen, da solche Staatsverträge schon heute und für alle Zukunft als null und nichtig angesehen werden müßten. Er appellierte in letzter Stunde an den Bundespräsidenten, diesem beabsichtigten Eid- und Verfassungsbruch [237] der österreichischen Regierung die Bestätigung zu versagen und forderte ihn auf, das deutschösterreichische Volk zur Abstimmung darüber aufzurufen."

"'Was sagte Abg. Professor Foppa über die Beziehungen Österreichs zum Deutschen Reich?"

"Professor Foppa schloß seine denkwürdige Rede nach einem Hinweis auf den am 12. November 1918 vom Parlament einmütig gefaßten Beschluß: 'Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik' mit folgenden Worten:
      'Wir erklären daher feierlich, vor aller Welt, daß es das unveräußerliche Naturrecht unseres Volkes ist, seine Beziehungen zum Deutschen Reich so innig zu gestalten, wie es seinen völkischen Zielen und seinem nationalen Selbstbestimmungsrecht entspricht.
      Wir grüßen in dieser entscheidenden Stunde als freigewählte österreichische Volksvertreter mit dem Bekenntnis unserer Treue und leidenschaftlichen Liebe zu unserer österreichischen Heimat trotz aller Not, doch frohen Mutes unsere Brüder im Deutschen Reich und geloben, auf unserem völkischen Vorposten auszuharren, bis die Lebensforderung des österreichischen Volkes erfüllt ist: Keine Lösung der österreichischen Frage ohne das Deutsche Reich, keine Lösung des mitteleuropäischen Problems ohne Deutschland.'"

"Ergriffen auch Pro-Redner das Wort, um das Ermächtigungsgesetz zu verteidigen?"

"Außer dem Berichterstatter Ing. Winsauer sprach noch Abg. Dr. Aigner, der mit wenigen Sätzen die zustimmende Auffassung der Christlichsozialen zum Ausdruck brachte."

"Von der nationalen Opposition ergriff vor der Abstimmung selbst niemand mehr das Wort?"

"Doch, ich selbst! Ich stellte abermals fest, daß das österreichische Parlament 165 Abgeordnete zähle. Wenn die sozialdemokratischen Abgeordneten, zumeist hinter Schloß und Riegel, also durch Brachialgewalt, verhindert seien, ihrer Abgeordnetenpflicht zu entsprechen, ja, selbst wenn man sich wieder den Standpunkt der Regierung zu eigen machte, daß deren Mandate als ungültig anzusehen seien, müßte bis zur entsprechenden [238] Ersatzwahl jederzeit das Haus formal mit 165 Stimmen und die Mindestzahl eines beschlußfähigen Hauses für verfassungrechtliche Beschlüsse unter allen Umständen mit einer Anwesenheit von mindestens 83 Abgeordneten angenommen werden. Ich beantrage deshalb die Auszählung des Hauses."

"Wurde diese vorgenommen?"

"Ja. Sie ergab eine Präsenz von nur 76 Abgeordneten. Aber der Vorsitzende erklärte mit frecher Stirn, daß das Haus aus 91 Mandataren bestehe und daß daher mehr als die Hälfte der Mitglieder des Nationalstes anwesend seien."

"Und welches Ergebnis hatte die Abstimmung?"

"Der Vorsitzende erklärte die neue Verfassung, das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl und die 471 Gesetze mit 74 gegen 2 Stimmen (Foppa und Doktor Hampel) als angenommen. Ich verlangte nochmals das Wort zur Abstimmung, doch wurde es mir verweigert, worauf Prof. Foppa und ich mit einem feierlichen Protest gegen diesen offenen Verfassungsbruch und die ganze ungesetzliche Abstimmung den Sitzungssaal verließen. Noch im Abgehen erhielt ich einen Ordnungsruf."



30. Die Juli-Tragödie. (Wie Planetta und Holzweber starben.)

Aus dem Augenzeugenbericht von Ward Price in der "Daily Mail".

4. August 1934.        

So schrecklich auch die Ermordung des Bundeskanzlers und der damit verbundene Hochverrat waren, so wird doch keiner, der der Verhandlung beiwohnte, bestreiten, daß Planetta, der den Bundeskanzler erschoß, und Holzweber, der die ganze Aktion gegen das Bundeskanzleramt leitete, beide sehr tapfere Männer waren, vor denen jeder Achtung haben muß. Ich habe dem ganzen Ablauf des Verfahrens gegen sie von Anfang bis zum bittern Ende beigewohnt und sah keinen von beiden auch nur den geringsten Augenblick durch eine Miene, durch einen Ton, eine Bewegung oder durch einen sonstigen Ausdruck auch [239] nur das geringste Zeichen von Furcht oder Zurückweichen verraten, obwohl sie von Anfang an wußten, welcher Würgetod sie in dem düstern, kleinen Hof hinter den Fenstern des mit Menschen vollgestopften Saales erwartete, in dem die Verhandlung (des Militärgerichtssenates) vor sich ging. Die letzten Worte, die sie in die Öffentlichkeit mit scharfer militärischer Stimme und strammster militärischer Haltung sprachen, werden mir für meine Lebzeit unvergeßlich bleiben.

"Ich glaube kaum", sagte Otto Planetta zum Gerichtshof, "ob ich die Sonne von morgen noch werde aufgehen sehen. Aber ich bin kein feiger Mörder und nichts lag mir ferner, als den Bundeskanzler zu töten. Die unmotivierten Bewegungen, die er mit seinen Armen machte, die unruhigen Schatten, die dadurch hervorgerufen wurden, und die ungeheure Aufregung, in der ich mich befand, haben vielleicht die Schüsse hervorgerufen. In meiner Absicht lagen sie nicht und dies ging auch dem schärfsten Befehl zuwider, den wir erhalten hatten. Ich bedaure den tödlichen Ausgang und bitte hier in aller Öffentlichkeit, der Witwe des Kanzlers mein schmerzliches Bedauern zu übermitteln." Planetta sprach in lautem Ton und überzeugte wohl alle, die ihn hörten.

Dann sprach Holzweber auch, lebhaft, wie während den ganzen Verhandlung... "Alles, was ich getan habe, tat ich für mein Vaterland. Getreu dem Grundprinzip des Führers aller Deutschen habe ich die Aufgabe der Besetzung des Bundeskanzleramtes nur unter der Bedingung und Voraussetzung übernommen, daß sie nicht mit Blut befleckt sein dürfe. Ich mußte auch annehmen, daß das gesamte Ministerium versammelt und vor allem, daß Dr. Rintelen zur Stelle sei. Denn wir gingen von der Voraussetzung aus, daß Dr. Rintelen uns als neuer Kanzler mit seiner Autorität schützen würde. Als ich festgestellt hatte, daß der neue Kanzler nicht anwesend war, besprach ich mit dem Minister Fey ganz freundlich die Wege, auf denen wir die Aktion ohne Blutvergießen abblasen könnten. Ich sagte ihm, daß ein großes Mißverständnis vorliegen müsse und daß ich nun nicht mehr wüßte, was ich ohne Gefährdung einerseits meiner Leute, andererseits der verhafteten Minister zu tun hätte. Minister Fey gab uns sein Ehrenwort [240] als Offizier, daß uns nichts passieren würde. Wenn er dieses Wort bricht, wird es sich an ihm rächen..."

Franz Holzweber fuhr dann mit erhöhter Stimme fort: "Alles, was ich getan habe, tat ich für mein Vaterland! Ich bin ganz und gar darauf gefaßt, die nur offenbaren Konsequenzen meiner Handlungsweise auf mich zu nehmen..."

Drei Stunden später fand die Vollstreckung des Urteils statt, die um 4.30 Uhr nachmittags angesetzt war... Dem Urteil entsprechend mußte Holzweber als erster sterben. Er wurde in Begleitung eines evangelischen Geistlichen auf den düsteren Hof geführt. Festen Schrittes bestieg er das Gerüst und sagte mit weithin schallender Stimme: "Ich bitte doch, daß die militärischen Richter uns wenigstens die ehrliche Kugel des Soldaten gegönnt hätten. Die Schande des Hängens fällt nicht auf uns, sondern auf sie zurück. Ich sterbe für die Zukunft des deutschen Volkes. Heil Hitler!"

Dieser Ruf schallte wie durch ein Wunder von den Mauern des Gefängnisses zurück und in der Aufregung bemerkte ich erst nach einigen Sekunden, daß er eine vielseitige Antwort durch die Ventilationslöcher der Mauer gefunden hatte. Wahrscheinlich durch die Antworten angeregt, wiederholte auch Holzweber diesen Nazi-Gruß noch viele Male. Und es war das grauenhafte Erlebnis, von den toten Mauern des Gefängnisses, an denen man kein menschliches Wesen sah, diesen widerhallen zu hören...

Als Holzweber endlich nach einer entsetzlich langen Zeit vom Galgen gelöst war, bestieg Planetta das Gerüst. Er stieß die Henker, die sich seiner bemächtigen wollten, beiseite und sagte mit lauter Stimme: "Ich bete im Gnadenschutze zu Gott. Es lebe Deutschland! Es lebe Hitler!"

Als alles zu Ende war, suchte ich den Priester auf. Es ging ein Leuchten von ihm aus, nicht so, als ob er soeben erst einem Hingerichteten den letzten Trost der Kirche gespendet hätte. Ich fühlte, daß die Kraft des Glaubens stärker ist als der Tod.

(Sonderabdruck der Leipziger Neuesten Nachrichten, 5. August 1934.)



[241] 30a. Der Sinn der Befriedungsaktion Ing. Reinthaller

Aus der Sonderausgabe "Stunden der Entscheidung" der Zeitschrift "Der Weg," hg. Frauenfeld-Stuppäck (polizeilich eingestellt im Dezember 1934).

August 1934.        

In der Beurteilung der unglückseligen Vorgänge der letzten Wochen (Juli-Aufstand) hat die Öffentlichkeit vornehmlich die persönliche und die moralische Seite der Ereignisse behandelt... Die politischen Wirrnisse, in die wir uns seit mehr als zwei Jahren verwickelt finden, können in ihrer völligen Bedeutung nur dem offenbar werden, der die Einmaligkeit der österreichischen Situation begreift und es aufgibt, nach politischen Analogien in der Zeitgeschichte zu suchen...

Es möchte ein zeitraubendes und überflüssiges Unternehmen bedeuten, die psychologische Verfassung des österreichischen Stammes seit dem Kriegsende und die aus ihr entsprungene Einstellung des Österreichers zu seinem Staate zu beleuchten, wenn nicht gerade diese längst entschieden geglaubten Dinge durch die politische Entwicklung der letzten Zeit in den Kern des Problems getragen worden wären. Aber selbst wenn die Frage, ob die österreichische Selbständigkeit auch noch aus andern als lediglich vernunftpolitischen Gründen erhaltenswert sei, unerörtert bleiben könnte, müßten die Verteidiger dieser Selbständigkeit zumindesten das entscheidende Zugeständnis machen, daß ihrer Argumentation alle Voraussetzungen fehlen würden, wäre dem auf den Anschluß gerichteten Kardinalwunsch des österreichischen Volkes und seiner Vertretung im Jahre des Friedensschlusses entsprochen worden. Auch die folgenden Jahre bezog der Grundsatz der Unabhängigkeit dieses Landes seine zwingende politische Kraft weder aus dem Willen der österreichischen Bevölkerung noch aus dem seiner oft wechselnden Regierungen. Seine Verankerung war keine zentrale, sondern eine periphere; die Wirksamkeit des Axioms war durch den Willen der im Weltkrieg siegreich verbliebenen Mächte bestimmt, die dem großösterreichischen Staate ein Ende gemacht und die Selbständigkeit des kleinösterreichischen wahrlich nicht [242] deshalb dekretiert hatten, damit er in irgendeiner Form die Traditionen und den Beruf seines Vorgängers fortsetze. Das Anschlußverbot wurde von diesen Mächten in der richtigen Erkenntnis verhängt, daß die Zertrümmerung der Monarchie für das mit nichts als ihrem Namen ausgestattete Restgebiet eine politische und ideologische Neuorientierung notwendig mache, deren unerwünschte Richtung man zur Kenntnis zu nehmen indes nicht geneigt war. Es mußte damit auch dem überzeugtesten Anhänger der österreichischen Selbständigkeit ein bedenklicher Schönheitsfehler, wenn schon nicht ein organisches Gebrechen seiner Idee sein, daß gerade jene Kräfte, die der altösterreichischen Sendung, in welcher ja schließlich auch der kleinösterreichische Gedanke restlos verwurzelt ist, ein Ende bereitet hatten, die Schöpfer und Garanten der Unabhängigkeit des restösterreichischen Staates waren. Tatsächlich hatte diese Überlegung bis vor kurzem auch das Ergebnis, daß nur jener geringe Teil der Bevölkerung, der mit vollem Bewußtsein die Wiedererrichtung der Monarchie, und zwar mit einem größeren, über die Grenzen des gegenwärtigen Staates hinausreichenden Umfange, erstrebte, in der Ablehnung des Anschlusses eine programmatische Angelegenheit erblickte. Und auch dieser Teil fußte nicht deshalb auf dem Grundsatz der österreichischen Unabhängigkeit, weil er in ihm ein Idealprogramm von zeitlos gültiger Dauer erblickte, sondern weil er ihn zum Ausgangspunkt der Entwicklung einer auf größere Ziele gerichteten Politik für geeignet erachtete. Daß sich mit Ausnahme dieser bedeutungslosen Gruppe alle Parteien, auch jene, deren Programm eher alle andern Züge als die eines betonten Nationalismus aufwies, dem Anschlußgedanken verpflichtet glaubten, beweist, daß sie in ihm den politischen Zentralgedanken des österreichischen Volkes sahen, dessen Verwirklichung zwar angesichts der widrigen Umstände zeitlich nicht bestimmbar war, der aber nach Möglichkeit doch auch den ideellen Mittelpunkt aller Gegenwartspolitik bilden sollte. Durch die Stimmen des österreichischen Volkes und seiner Vertretungen wurde oft und unzweideutig zum Ausdruck gebracht, daß die Einheit des Volkstums in den beiden deutschen Staaten die Beseitigung der politischen Grenzen zwischen ihnen fordere. Aus solchen [243] Manifestationen durfte ein Recht abgeleitet werden, die Beziehungen der beiden Staaten unter andern Gesichtspunkten, als denen einer formalistischen Außenpolitik zu betrachten. Wer - aus welchen Gründen immer - darüber anderer Meinung wurde, mußte dartun (wollte er seine Auffassung zur offiziellen machen), daß die allgemeine Mentalität von dieser Gesinnungswandlung in der gleichen Breite ausgefüllt werde, wie sie von dem nunmehr verworfenen Grundsatz bisher besessen worden war.

In dem Gegensatz der deutschen zur österreichischen Auffassung streitet im wesentlichen ein Grundsatz gegen eine Aufgabe. Der Grundsatz, daß das Gemeinsamkeitsgefühl des Deutschtums letzten Endes auch die Verwirklichung der politischen Einheit fordert, steht gegen die Aufgabe, das reale Leben des abgetrennten deutschösterreichischen Volksteiles unter Beachtung der gegebenen politischen Verhältnisse zu fristen. Diese beiden Auffassungen sind untereinander durchaus des Kompromisses fähig. Erst als das durch die ungeheure Entwicklung einer überwältigenden Massenbewegung gesteigerte Nationalempfinden den Grundsatz der künftigen politischen Einheit als eine ehestens lösbare Aufgabe zu betrachten begann und die mit wichtigen Fragen der Gegenwartspolitik befaßte Regierung des österreichischen Volksteiles in der Reaktion auf diesen Standpunkt die von ihr zu lösende Aufgabe zu einem auch für die Zukunft verpflichtenden Programm erhob, war der Zwist zwischen den beiden deutschen Bruderstaaten gesät... Sofern nur dieser Standpunkt (der Regierung) es nicht unternimmt, durch seine Behauptung in der Gegenwart die auf die Zukunft gegründeten Rechte des andern zu bestreiten, ist er legitimiert, den gegenwärtigen Gang der Dinge zu beherrschen und den Nöten der Zeit durch die Mittel des Augenblicks abzuhelfen. Konstituiert er sich aber unter Verdrängung des auf eine künftige nationale Einheit gerichteten Programms als oberster Staatsgrundsatz, so überschreitet er das Maß, und entfacht in jener gehobenen Sphäre der Politik, in der alle Mitglieder eines Gemeinwesens einig sein sollen, einen Kampf, den auch nur mit äußern Mitteln zu bestehen, alle Mittel materieller Macht dauernd aufgeboten werden müssen.


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Der Staat wider Willen
Österreich 1918-1938
Dr. Reinhold Lorenz