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Von der Gründung Deutschösterreichs zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.

31. Der Staatsbesuch des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg in Rom

Österreichisches Kommuniqué vom 21. November 1934.

In den Unterredungen (mit Mussolini) wurden... die Voraussetzungen erörtert, unter welchen das politisch und wirtschaftlich gefestigte Österreich, unterstützt durch die Freundschaft Italiens und Ungarns, in die Lage versetzt werden könnte, in vollem Maße wieder der ihm zukommenden historischen Aufgabe gerecht zu werden, die darin besteht, dem Ausgleich der im Donauraum zusammentreffenden Kräfte zu dienen... Als nützlich wurde schließlich erkannt, die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Staaten durch den Abschluß neuer Vereinbarungen über die Gründung beiderseitiger Kulturinstitute in Rom und Wien zu vertiefen.



31a. Das Ergebnis von Stresa. (Im Zeichen der Paktpolitik und "Nichteinmischungs"frage.)

Nach dem Schlußcommuniqué vom 14. April 1935.

Punkt 3 (Österreich). Die englisch-französisch-italienischen Erklärungen vom 17. Februar und 27. September 1934 sind neuerlich bestätigt worden. Hinsichtlich des im französisch-italienischen Protokoll vom 7. Jänner 1935 (Laval-Besuch in Rom!) und im englisch-französischen Communiqué vom 3. Februar 1935 (Flandin-Laval in London) aufgenommenen Beschlusses einer gemeinsamen Beratung im Falle der Bedrohung der Unabhängigkeit Österreichs ist vorgeschlagen worden, eine Konferenz aller beteiligten Regierungen ehestens nach Rom einzuberufen. (Als Termin geben die Zeitungen den 20. Mai an.)

(Vgl. Keesings Archiv der Gegenwart, Jg. 1935.)



31b. Zweite Führer-Erklärung über Österreich

Aus der Reichstagsrede.

21. Mai 1935.        

Deutschland hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren österreichischen Verhältnisse einzumengen, Österreich etwa zu annektieren oder anzuschließen. Das deutsche Volk und [245] die deutsche Regierung haben aber aus dem einfachen Solidaritätsgefühl gemeinsamer nationaler Herkunft den begreiflichen Wunsch, daß nicht nur fremden Völkern, sondern auch dem deutschen Volk überall das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet wird. Ich selbst glaube, daß auf die Dauer kein Regime, das nicht im Volk verankert, vom Volke getragen und vom Volke gewünscht wird, Bestand haben kann. Wenn zwischen Deutschland und der zu einem großen Prozentsatz auch deutschen Schweiz solche Schwierigkeiten nicht bestehen, dann einfach deshalb, weil die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz eine tatsächliche ist, und weil niemand zweifelt, in ihrer Regierung den wirklichen legalen Ausdruck des Volkswillens zu sehen.

Wir Deutsche haben aber allen Anlaß, zufrieden zu sein, daß sich an unserer Grenze ein Staat mit einer zum hohen Teile deutschen Bevölkerung bei großer innerer Festigkeit und im Besitze einer wirklichen und tatsächlichen Unabhängigkeit befindet. Die deutsche Regierung bedauert die durch den Konflikt mit Österreich bedingte Spannung um so mehr, als dadurch eine Störung unseres früher so guten Verhältnisses zu Italien eingetreten ist, einen Staat, mit dem wir sonst keinerlei Interessengegensätze besitzen.



31c. Erklärungen des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg

Aus der Rede im Bundestag.

30. Mai 1935.        

... Daß Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Innern des Landes erforderlich seien, beweisen nicht nur die bitteren Erlebnisse des vergangenen Jahres. Sie sind auch in der Tatsache begründet, daß immer noch, wenn auch zahlenmäßig unbedeutend (!) und in versteckter Weise agitierend, Kräfte im Lande am Werke sind, die ihre Aufgabe darin erblicken, nach Möglichkeit Unruhe zu erzeugen. Eines sei vorweggenommen: Die Wehrkraft Österreichs ist auch heute stark genug, um jede Abenteuerlust (!), sofern sich eine solche zeigen sollte, im Keime zu ersticken. Weil das allgemein bekannt ist, halte ich jede Befürchtung in dieser Richtung für vollkommen [246] unzutreffend und ich hoffe, daß wir einem ruhigen Sommer entgegengehen. Ich gebe der sicheren Hoffnung Ausdruck, daß dem Lande jede weitere Wunde erspart bleiben möge...

Der weiter kundgegebenen Auffassung, daß das Regime in Österreich nicht vom Volke getragen sei, muß entgegengehalten werden, daß diese Auffassung als sachlich unzutreffend, größtes Befremden zu erregen geeignet ist. Abgesehen davon handelt es sich hierbei um eine typische, rein innerösterreichische Angelegenheit, die einer offiziellen Beurteilung oder Wunschmeinung dritter Stellen niemals unterliegen kann... Aber auch weitere, gegen das neue Österreich erhobene Argumente vermögen einer sachlichen Prüfung nicht standzuhalten, so der Versuch einer künstlich großgezogenen Propaganda für eine Volksabstimmung. Mancher österreichischer Nationalsozialist rechnet vielleicht darauf, bei den parlamentarisch-demokratisch orientierten Mächten mit einer solchen Forderung auf Sympathie und Verständnis zu stoßen. Aber hier gilt das Gleiche: Zu spät! wir hatten Volksabstimmung am 25. Juli!... Seither gibt es fast Sonntag für Sonntag landaus, landein keine Gemeinde, in der nicht aus Erz und Stein der Stimmzettel Dollfuß-Platz, Dollfuß-Straße, Dollfuß-Gedächtnis zu finden sind...

So möchten wir, gerade wir, die wir aus eigenem Erleben einmal schon den Verlust des Vaterlandes mitgemacht haben, uns an die Zeit des Zusammenbruchs erinnernd, niemals vergessen, daß es auf uns und auf uns in erster Linie ankommt, daß eine Wiederholung eines ähnlichen Vorgangs in unserem Lande vermieden werde; daß es darauf ankommt, trotz aller Schwierigkeiten alles zusammenzufassen, was aufrichtig österreichischen Willens ist...



32. Aufruf der österreichischen "illegalen" Nationalsozialisten

In Flugzetteln und Plakaten in ganz Österreich verbreitet.

17. Januar 1936.        

Im Namen des deutschen Volkes von Österreich erheben wir Nationalsozialisten vor aller Welt unsere Stimme, um folgendes festzustellen, zu fordern und zu erklären:

[247] Wir stellen fest, daß die Regierung des derzeitigen österreichischen Regimes durch Rechtsbeugungen und Verfassungsbrüche den Boden der Legalität verlassen, den Volkswillen ausgeschaltet und damit die den Staat tragende Rechtsgrundlage zerstört hat.

Wir stellen fest, daß das derzeitige System sich nur mit Mitteln gewaltsamer Unterdrückung und mit fremder Hilfe an der Macht erhält. Tausende der Besten des Volkes, die für Freiheit und Recht der Nation eintraten, werden verfolgt, entrechtet und in die Gefängnisse geworfen.

Wir stellen fest, daß das derzeitige Gewaltsystem zur Erhaltung seiner eigenen Macht gegen den Willen des Volkes ungeheure Summen sinnlos verschleudert, während es der immer mehr um sich greifenden Verelendung des Volkes nicht zu steuern vermag.

Wir stellen fest, daß die Regierung des gegenwärtigen Systems, indem sie vorgab, zum Besten des gesamten Deutschtums Österreichs Unabhängigkeit zu wahren, diese längst völlig preisgegeben hat zugunsten fremder Mächte, die den deutschen Staat Österreich als Werkzeug ihrer deutschfeindlichen Politik mißbrauchen.

Wir stellen fest, daß die vom gegenwärtigen Regierungssystem mißbräuchlich durchgeführte Vermischung von Religion und Staat das Ansehen der Kirche weitgehend herabgesetzt hat.

Im Bewußtsein dessen, daß das deutsche Volk von Österreich aus diesen Gründen in seiner überwältigenden Mehrheit das derzeitige System mit aller Schärfe ablehnt, hat dieses es bisher ängstlich vermieden, sich offen einer Volksbefragung zu stellen. Wir Nationalsozialisten Österreichs fordern aber im Namen des unterdrückten Volkes vor aller Welt: Recht, Freiheit und Frieden durch Volksbefragung!

Wir fordern: Wiederherstellung eines unanfechtbaren Rechts- und Verfassungszustandes in Österreich. Wir bekämpfen die Aufspaltung der Volksgemeinschaft in eine Minderheit von Bevorrechteten und eine Mehrheit von Rechtlosen.

Wir fordern restlose Einstellung der Rachepolitik nach den beiden Volkserhebungen vom Februar und Juli 1934 und die [248] Wiedergutmachung ihrer Auswirkungen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Wir fordern eine freie, allgemeine und geheime Abstimmung zur Ermittlung des unverfälschten Volkswillens. Durch sie soll eine vom Vertrauen des Volkes getragene Regierung an die Macht gebracht werden, deren Aufgabe es sein wird, im Innern Arbeit und Brot für jeden Volksgenossen zu schaffen und die wahre deutsche Volksgemeinschaft zu verwirklichen und nach außen eine Politik gesamtdeutscher Solidarität zu treiben, die in Ablehnung jeder volksfremden Abhängigkeit aus dem bisherigen Unruheherd Österreich ein Element der Sicherheit und des Friedens im Herzen Europas schafft.

Unerschütterlich auf dem Boden des nationalsozialistischen Programms stehend, erklären wir österreichischen Nationalsozialisten uns entschlossen, in eigener Verantwortung und aus eigener Kraft bis zur äußersten Grenze der Zurückhaltung mit den Waffen des Geistes und Charakters dafür zu kämpfen, daß die kostbarsten nationalen Güter - Vaterland, Volkstum, Heimat, Religion, Freiheit, Ehre und Recht - dem eigennützigen Mißbrauch der Gegenwart entzogen und in einer größeren Zukunft Gemeingut aller deutschen Volksgenossen in Österreich sein werden!

(Abdruck jetzt auch bei Fritz Berber,        
Das Diktat von Versailles, Bd. 1, S. 588 ff.)        



33. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen

a) Der öffentliche Staatsvertrag.

11. Juli 1936.        

In der Überzeugung, der europäischen Gesamtentwicklung zur Aufrechterhaltung des Friedens eine wertvolle Förderung zuteil werden zu lassen, wie in dem Glauben, damit am besten den vielgestaltigen wechselseitigen Interessen der beiden deutschen Staaten zu dienen, haben die Regierungen des Deutschen Reichs und des Bundesstaates Österreich beschlossen, ihre Beziehungen wieder normal und freundschaftlich zu gestalten.

[249] Aus diesem Anlaß wird erklärt:

1. Im Sinne der Feststellungen des Führers und Reichskanzlers vom 21. Mai 1935 anerkennt die deutsche Reichsregierung die volle Souveränität des Bundesstaates Österreich.

2. Jede der beiden Regierungen betrachtet die in dem anderen Lande bestehende innerpolitische Gestaltung, einschließlich der Frage des österreichischen Nationalsozialismus, als eine innere Angelegenheit des anderen Landes, auf die sie weder unmittelbar noch mittelbar Einwirkung nehmen wird.

3. Die österreichische Bundesregierung wird ihre Politik im allgemeinen, wie insbesondere gegenüber dem Deutschen Reiche, stets auf jener grundsätzlichen Linie halten, die der Tatsache, daß Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspricht. Hierdurch werden die Römer-Protokolle ex 1934 und deren Zusätze ex 1936 sowie die Stellung Österreichs zu Italien und Ungarn als den Partnern dieser Protokolle nicht berührt.

In der Erwägung, daß die von beiden Seiten gewünschte Entspannung sich nur verwirklichen lassen wird, wenn dazu gewisse Vorbedingungen seitens der Regierungen beider Länder erstellt werden, wird die Reichsregierung sowohl wie die österreichische Bundesregierung in einer Reihe von Einzelmaßnahmen die hierzu notwendigen Voraussetzungen schaffen.


b) Punkt 5 des Gedächtnisprotokolls vom 10./11. Juli 1936.

Der Bundeskanzler erklärt, daß er bereit ist mit dem Zweck eine wirkliche Befriedung zu fördern, in dem geeigneten Zeitpunkte, der für eine nahe Zeit in Aussicht genommen ist, Vertreter der bisherigen sogenannten nationalen Opposition zur Mitwirkung an der politischen Verantwortung heranzuziehen, wobei es sich um Persönlichkeiten handeln wird, die das persönliche Vertrauen des Bundeskanzlers genießen und deren Auswahl er sich vorbehält. Hierbei besteht das Einverständnis darüber, daß die Vertrauenspersonen des Bundeskanzlers mit der Aufgabe betraut sein werden, nach einem mit dem Bundeskanzler zuvor festgelegten Plan für die innere Befriedung der nationalen Opposition und ihre Beteiligung an der politischen Willensbildung in Österreich zu sorgen.


[250] c) Telegrammwechsel Schuschnigg - Mussolini.

11. Juli 1936.        

Es gereicht mir zur Freude, Euer Exzellenz mitzuteilen, daß ich soeben mit dem deutschen Gesandten, der hierzu vom Führer und Reichskanzler des Deutschen Reiches bevollmächtigt ist, ein Übereinkommen unterfertigt habe, das dazu bestimmt ist, die Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland wieder normal und freundschaftlich zu gestalten. Bei diesem Anlaß erinnere ich mich gern der wiederholten, so überaus wertvollen Gespräche mit Euer Exzellenz, zuletzt in Rocca delle caminale. Ich bin überzeugt, daß Euer Exzellenz meine Befriedigung über das erzielte Abkommen teilen werden, das einen wertvollen Beitrag zum allgemeinen Friedenswerk darstellen soll. Ich möchte diesen Anlaß benutzen, um Euer Exzellenz neuerlich meiner aufrichtigen Freundschaft und meiner Entschlossenheit zu versichern, mit dem unter der starken und erfolgreichen Führung Euer Exzellenz stehenden Italien auf Grund der bewährten Römer-Protokolle auch weiterhin im Einvernehmen mit Euer Exzellenz zusammenzuarbeiten.
von Schuschnigg.        

Ich danke Euer Exzellenz für Ihr freundliches Telegramm. Das Abkommen, das Euer Exzellenz mit dem Vertreter des Führers und Reichskanzlers unterzeichnete, muß von allen, denen die Sache des Friedens am Herzen liegt, mit Befriedigung begrüßt werden. Das Abkommen bedeutet einen bemerkenswerten Schritt auf dem Wege des Wiederaufbaues Europas und der Donauländer. In diesem Geiste wurde, wie Sie sich entsinnen, die Frage in Rocca delle caminale besprochen und ferner auf dem Boden der italienisch-österreichisch-ungarischen Abkommen geprüft.

Mussolini.        

d) Aufruf der "illegalen" Landesleitung Österreich (Hauptmann Leopold) an die Nationalsozialisten.

Juli 1936.        

Wir Nationalsozialisten Österreichs haben den Führer verstanden. Wir werden in unerhörter Disziplin uns einfügen in die Lage, die er geschaffen hat, und dabei gern unsere Wünsche [251] zurückstellen gegenüber den Interessen des ganzen deutschen Volkes. Wir wollen darüber hinaus dem großen Friedenswerk des Führers ein Hüter sein. Wir werden den Vertrag, den er schloß, Punkt für Punkt genauestens befolgen, werden aber solches auch vom Gegner verlangen. Ehrlicher Friede und gerechte Verständigung kann nie diktiert werden, kann immer nur durch Recht und Freiheit garantiert und bewiesen werden. Soll der Friede dauerhaft sein, so muß er der Tatsache des Bestehens einer geschlossenen, unzerreißbaren nationalsozialistischen Bewegung und Gesinnungsgemeinschaft in Österreich Rechnung tragen. Jede Täuschung darüber oder Fortsetzung der Verfolgungen würde nur erneut Unfrieden und eine zu jedem Kampf entschlossene Abwehr hervorrufen. Wir stehen zu unsern Forderungen und Friede oder Kampf wird von der Ehrlichkeit der österreichischen Regierung abhängen.

(Wiederabdruck in der Essener National-Zeitung, 13. 3. 1939.)



34. Der 11. Juli in der Auffassung des Vizebürgermeisters Dr. E. K. Winter

Aus dem Buche "Monarchie und Arbeiterschaft" (erschienen September 1936).

Das neue Österreich ist nicht gerade arm an erschütternden Daten. Der 7. März 1933 (Ausschaltung der gewählten Volksvertretung), der 12. Februar 1934 (die sozialistische Revolte), der 25. Juli 1934 (die nationalsozialistische Erhebung) haben das österreichische Volk politisch und menschlich aufs tiefste aufgewühlt. Nach diesen Ausbrüchen folgte bleierne Apathie. Der 11. Juli traf auf ein vielfach apathisches Volk. Eben deshalb war er möglich. Aber nun scheint es fast genug. Nach unserer Auffassung ist der 11. Juli, falls es bei ihm bleibt, der endscheidendste Tag der österreichischen Geschichte seit dem 12. November 1918. Wenn diese Auffassung richtig ist, dann wird das österreichische Volk aus der politischen Apathie, in die es versunken ist, in den nächsten Monaten überraschend erwachen! Die politischen Kräfte in diesem Lande rüsten sich zum letzten [252] Absprung. Mitreißen werden nur diejenigen Kräfte das Volk, die sich der historischen Stunde bewußt sind: Entweder finis Austriae oder eine nuova creatura, eine Neuschöpfung Österreichs, durch die wir der Mittelpunkt des Weltkampfes gegen das Dritte Reich werden! Ein Drittes gibt es nicht!...

Österreich ist erfüllt vom Ringen zweier Prinzipien, die vor dem Forum rationalen Denkens unvereinbar sind... Der eine Standpunkt betrachtet Österreich als deutsches Schicksal, das österreichische Volk als deutschen Stamm, die österreichische Kultur als ein Stück Deutschtum, den österreichischen Staat als eine deutsche Aufgabe. Der andere Standpunkt hingegen sieht das historische Gesetz der Auseinanderentwicklung Österreichs und Deutschlands in den Jahrhunderten. Das Heraustreten Österreichs aus Deutschland. Nicht wie das Kind aus dem Mutterleibe herauswächst, sondern wie sich Schicksale scheiden, die ein historisches Mißverständnis vorübergehend verkettet hatte... Es setzt sich nun ein integrales Österreichertum durch, das mit der verhängnisvollen Zuneigung zu Deutschland radikal bricht und die Idee des österreichischen Volkes, der österreichischen Kultur, des österreichischen Staates kompromißlos zu Ende geht.

(Auszug in der Schrift Wie es kommen sollte! von Dr. Anton Fellner, Linz 1938.)



35. Ein Neujahrsbrief des Thronprätendenten Otto

Überreicht Neujahr 1937 an die Bürgermeister sämtlicher österreichischer "Kaisergemeinden".

25. Dezember 1936.        
Nach mir wird gerufen, weil die Heimat in Not ist!

.......

Die Zeiten sind vorbei, wo wir es an Wünschen und Erwartungen genug sein lassen konnten. Was wir in diesen flüchtigen Stunden versäumen, bringt keine Ewigkeit zurück.

Darum zu dieser ernsten Jahreswende ein ernstes Wort!

Kommt meine Herrschaft zur rechten Zeit, so wird sie Österreich, soweit es an mir liegt - die Erfüllung seiner berechtig- [253] ten Hoffnungen bringen. Von den Gefühlen schwerer Verantwortung vor dem Ewigen Richter durchdrungen, werde ich die Pflichten getreulich erfüllen, die mir durch die Wiederherstellung des am 12. November 1918 verletzten Rechtes zufallen werden.

Ich will Österreich den Frieden geben, den Frieden nach außen und im Innern...

Unser Vaterland muß endlich die Brücke über die Kluft finden, die der 12. November 1918 zum namenlosen Unglück Österreichs aufgerissen hat. Die Revolution kann zur Erinnerung werden, wenn die Gemeinden, die mich zu ihrem Ehrenbürger erwählt haben, sich nunmehr fest zusammenschließen und ihrem Geiste immer neue Gemeinden gewinnen. In der Eintracht liegt die Kraft, die Wünsche Wirklichkeit werden läßt...

Allen Ihren Gemeindegenossen übersende ich, lieber Bürgermeister, meinen bewegten Gruß mit dem heißen Wunsch:

Auf baldiges Wiedersehen in der geliebten Heimat!

In der Fremde.                   Am Weihnachtstag 1936.                   Otto.

(Aus der legitimistischen Wochenzeitung Der Österreicher vom 8. 1. 1937.)



35a. Die Antwort des Bundeskanzlers auf die legitimistische Forderung

"Grundsätzliches zu einer wichtigen Frage" in der amtlichen "Wiener Zeitung".

10. Februar 1937.        

Es ist durchaus zu verstehen, wenn manche annehmen, die Zusammenführung zu einer neuen Form der Friedens- und Rechtsgemeinschaft würde leichter vor sich gehen, wenn Österreich seine außenpolitische Sendung, die ihm durch die Geschichte und durch die geographische Lage gewiesen ist, durch die legitimistische Lösung der Staatsform mit einem gewissen Nimbus umgeben würde.

Deutet man auf diese mannigfachen Fragen hin, so appelliert man auch schon an das Verständnis dafür, daß die Neubegrün- [254] dung der Monarchie nicht als spontaner Akt, sondern nur als eine Folge der hierfür gereiften Verhältnisse vor sich gehen kann. Ein Monarch, der sich für seine Aufgabe legitimiert fühlt, braucht nicht wie ein Usurpator auf Hintertreppen oder durch Gewalt in sein Erbe zurückkehren. Er wird sich niemals durch die Ungeduld jener hinreißen lassen, die ihn zu einem voreiligen und damit verhängnisvollen Schritte bereden möchten... Nicht die Monarchie hat den "Revolutionsschutt" zu beseitigen. Dieser muß erst weggeräumt sein, bevor ein Monarch in sein Erbe wiederkehren kann. Ist es einerseits gewiß, daß die staatspolitische Entwicklung Österreichs die Vertiefung des autoritären Gedankens fordert, so ist auch daran nicht zu zweifeln, daß wir die letzte Etappe noch nicht erreicht haben. Gerade darum darf die Staatsführung von jenen Kräften, die für Autorität und Tradition wirken wollen, eine eifrige Mitarbeit in der V. F. erwarten, weil nur in der V. F. und nirgendwo anders eine tatsächlich einflußreiche politische Willensbildung möglich ist.



36. Vor dem Neurath-Besuch

Drei Neujahrsgrüße nach Berlin.

1. Januar 1937.        

Bundeskanzler Dr. Schuschnigg:

Die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich seit dem 11. Juli läßt erkennen, daß die Wiederherstellung des freundnachbarlichen Verhältnisses auf beiden Seiten als Entlastung empfunden und mit Befriedigung begrüßt wird. Ein beiderseits als unnatürlich beurteilter Zustand ist beseitigt und dadurch die Möglichkeit geschaffen, gemeinsame Interessen im gegenseitigen Einverständnis wahrzunehmen und alle Kräfte zum Zwecke des wirtschaftlichen Aufbaues und der Erhaltung des Friedens zu vereinen.


Bundesminister Dr. h. c. Glaise-Horstenau:

Trauervolle Jahre liegen hinter uns wie ein böser Traum. Eine tausendjährige Gemeinschaft schien zerrissen zu sein. Nun ist der Alpdruck von uns gewichen. Die Lehre war bitter genug. Nie mehr soll neuer Zwist uns trennen!


[255] Staatssekretär Dr. Guido Schmidt:

Dankbar gedenken wir an der Jahreswende des österreichischen Bundeskanzlers und des deutschen Reichskanzlers, die durch das Werk vom 11. Juli das Herzstück in die Friedenskarte Europas eingefügt haben: Das ist die Versöhnung der beiden deutschen Staaten.

(Auszug nach Wiener Neueste Nachrichten vom 1. 1. 1937, bzw. Berliner 12-Uhr-Blatt vom 31. 12. 1936.)



36a. Ein Zwischenspiel um die innere Befriedung

Aus dem Informationsdienst der "Essener National-Zeitung".

Die Linzer Neue Zeit, die häufig von Bundesminister Neustädter-Stürmer inspiriert wird, schreibt unter der Überschrift "Der deutsch-soziale Bund in Österreich":

In der Rede des Herrn Bundeskanzlers (vom 14. Feber) wurde der Gründung des Vereins Deutsch-sozialer Bund Erwähnung getan. Wir haben bisher über die Vereinsgründung keine nähern Daten mitgeteilt, da uns bekannt war, daß der Streit um die Vereinsgründung die Öffentlichkeit in der nächsten Zeit nicht mehr beschäftigen soll. Soviel uns bekannt ist, wurde dieser Wunsch des Bundeskanzlers der gesamten österreichischen Presse bekanntgegeben. Wir sind nicht besonders erstaunt, daß jene Blätter, welche sich seit jeher eindeutig als gegen die Befriedung gerichtet gezeigt haben, den Wunsch des Bundeskanzlers mißachtet und nunmehr die Diskussion über die Gründung des Vereins in gehässiger Weise aufgenommen haben. Unter diesen Umständen kann man auch von uns nicht verlangen, daß wir uns weiter schweigend verhalten, und wir sind daher gern bereit, die Neugierde, die in gewissen Blättern geäußert wurde, weitgehend zu befriedigen:

Nach den Statuten setzt sich der Verein die Aufgabe, die nationalkulturellen und sozialen Interessen des deutschen Volkes in Österreich, namentlich aber auch die kulturelle Gemeinschaft mit dem gesamten deutschen Volk zu pflegen und den Gedanken der Volksgemeinschaft insbesondere durch soziale Werke zu [256] verwirklichen. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben steht der Verein auf dem Boden der christlichen Weltanschauung. Was die Bedeutung der als Proponenten unterschriebenen Personen anlangt, so glauben wir der Sache am besten zu dienen, wenn wir die Namen der Betreffenden veröffentlichen.

Es folgt nun auf vier Seiten eine Auswahl wahrhaft klingender Namen von 493 Persönlichkeiten aus allen Gebieten der Politik, der Wirtschaft und des Kulturlebens - darunter Hauptmann Leopold als Führer der "nationalen Opposition".

(Schon im folgenden Monat entließ Schuschnigg den Minister Neustädter-Stürmer und die Linzer Neue Zeit verfiel der Einstellung.)



36b. Das Ergebnis des Neurath-Besuches

Amtliche österreichische Mitteilung.

24. Februar 1937.        

Der Reichsminister des Auswärtigen, Freiherr von Neurath, hat in Erwiderung des Besuches des Staatssekretärs für die Auswärtigen Angelegenheiten Dr. Guido Schmidt in Berlin am 22. und 23. d. M. der österreichischen Regierung einen Besuch abgestattet. Der zweitägige Aufenthalt des Reichsministers in Wien hat den beteiligten Staatsmännern Gelegenheit zu eingehenden Aussprachen, die sich in einer überaus freundschaftlichen Atmosphäre abwickelten, geboten.

Diese betrafen in erster Linie die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Mit Befriedigung konnte festgestellt werden, daß sich das Abkommen vom 11. Juli 1936 als eine geeignete Grundlage für die Wiederherstellung eines vertrauensvollen und freundschaftlichen Verhältnisses erwiesen hat und geeignet erscheint, eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit in diesem Sinne zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang wurde auch auf den Abschluß des letzten Wirtschaftsabkommens vom 27. Jänner l. J. hingewiesen und dabei der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die hierdurch erzielte Anbahnung eines regeren Austausches im Güter- und Fremdenverkehr sich günstig auf die allgemeine Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen auswirken werde.

[257] In kulturpolitischer Hinsicht wurden die einzelnen vordringlichen Fragen des gegenseitigen kulturellen Verkehrs eingehend erörtert und der bereits anläßlich des Berliner Besuches des Staatssekretärs Schmidt in Aussicht genommene Ausschuß für kulturelle Angelegenheiten zwischen Österreich und Deutschland bestellt, der bereits am 25. l. M. seine Tätigkeit aufnehmen wird.

Hieran schlossen sich naturgemäß auch Aussprachen über die gegenwärtig im Brennpunkt des allgemeinen Interesses stehenden Fragen der europäischen und insbesondere der mitteleuropäischen Politik, wobei völlige Übereinstimmung über die der Außenpolitik beider Regierungen zugrunde liegenden gleichartigen Bestrebungen zur Erhaltung und dauernden Sicherung des allgemeinen Friedens festgestellt werden konnte.


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Der Staat wider Willen
Österreich 1918-1938
Dr. Reinhold Lorenz