Von der Gründung
Deutschösterreichs
zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.
37. Das Ausbleiben der inneren
Befriedung
Aus den Briefen eines "Landarztes" in der Linzer "Tagespost".
22. Mai 1937.
Unser Lebensraum muß durchflutet sein von einer lebensbejahenden Idee,
die aus dem Volke wie aus tiefstem Borne emporsteigt. Eine Idee aber, die das
Volk mit Glauben und Vertrauen an seine Zukunft erfüllen soll, muß
wurzelverbunden mit der Heimaterde sein. Was nicht wurzelecht ist, verdirbt im
rauhen Klima unserer Berge, okulierte Rosen sterben in der Strenge unserer
Winter. Leidvolle Jahre hat Österreich hinter sich. Bruder stand gegen
Bruder, der Sohn gegen den Vater. Die Ideen der Welt kreuzten sich im
Schnittpunkt Österreich. Diese Zeit hat der Geburtenentwicklung mehr
geschadet als die Zeit des Marxismus. Was soll ich Mutter sein, wenn mein Sohn
gegen den Vater steht? Es ist töricht, sich und der Welt vorzumachen,
daß diese Zeit abgeschlossen ist. Noch steht Bruder gegen Bruder, noch
steht Vater gegen Sohn, wenn auch meist auf einer Seite der Kampf nur
verbissener Ingrimm und heimlich in der Tasche verkrampfte Faust ist. Aber der
latente, der schleichende Kampfzustand ist da und hindert das deutsche Weib an
das Graserl für sein Haserl zu glauben. Tief in des Volkes Seele, wurzelecht
und wurzelverbunden mit dem Heimatboden ist die Idee des innern
Frie- [258] dens längst
erstanden. Die Idee muß nur arm am Boden ranken, weil tausend
Wichtigtuer mit Justamenten und Prinzipien und Klauseln ihr das Dasein
verargen. Die Idee der innern Befriedung erstand nicht im Interesse derer, die sich
gegen die Regierung des Staates stellten und dafür büßen. Sie
erstand im Interesse des Staates. Der Staat kann nur dann in die Jahrhunderte
ragen, wenn ihm seine Mütter Kinder schenken. Sie schenken ihm Kinder
aber nur dann, wenn sie an ihn glauben. Sie glauben aber nur dann an ihn, wenn
ihnen alle sagen, daß der Glaube begründet ist. Es sagen
ihnen aber nur dann alle das, wenn alle von dem Geist der Eintracht und
des Friedens im Dienste der Heimat erfüllt sind.
Man kann mir nun sagen, der Wunsch sei Vater des Gedankens, weil mir die
innere Befriedung gerade in meinen Kram passe. Es wird an Stimmen nicht
fehlen, die sagen, Geburtenzuwachs und innere Befriedung hätten nichts
mitsammen zu tun. Sie haben aber mitsammen gar sehr zu tun. Den Beweis
dafür kann ich freilich erst erbringen, wenn die innere Befriedung noch Jahr
und Tag ausbleibt und als Folge davon, die Lawine des Geburtenrückgangs
in ein beschleunigtes Tempo kommt. Dann wird es allerdings zum Erkennen zu
spät sein. Der Beweis würde sich schließlich von selbst
erbringen, wenn die innere Befriedung kommt und als Ausdruck dafür,
daß nunmehr der Glaube an unseres Volkes Zukunft ein allgemeiner ist, die
Zahl der Kinder steigt. Als in Deutschland und in Italien der Glaube an den Staat
ein fanatischer und vom ganzen Volke getragener wurde, da stieg die
Geburtenzahl sofort, denn da wußten die Mütter: Gibt Gott ein
Haserl, so gibt er auch das Graserl!
38a. Staatsrat Dr. Seyß-Inquart über
nationale und soziale Aufgaben in Österreich
Ansprache in der Union auswärtiger Journalisten.
6. Oktober 1937.
Nationale Aufgaben sind soziale Aufgaben und es gibt keine sozialen Aufgaben,
die nicht nationale sind. National sein heißt heute die Erkenntnis besitzen
von der Bedeutung des Volks- [259] tums, in dem wir
stehen, heißt fühlen, was wir sind, und umfaßt alles, was in den
Kräften des Volkstums gelegen ist.
Was heißt sozial sein? Einordnung des einzelnen und seiner Kräfte in
die Volksgemeinschaft ist die Grundhaltung jeglichen sozialen Denkens. Das, was
wir sind, erfließt aus dem Volkstum und daraus ergibt sich die
Verpflichtung, das, was wir aus dem Volkstum geworden sind, für die
Volksgemeinschaft einzusetzen.
Meine Auffassung ist eine absolut gesamtdeutsche. Wir haben unsere Aufgabe
hier im Donauraum zu erfüllen, aber immer als Deutsche.
Was nun die Unabhängigkeit Österreichs betrifft, so ist diese
ausschließlich eine Sache des deutschen Volkes. Der einzige Garant
für die Unabhängigkeit und Selbständigkeit Österreichs
ist das deutsche Volk in Kenntnis seiner Aufgaben im deutschen Raum. Alle
übrigen sind nur Interessenten an der Unabhängigkeit. Wenn ich das
sage, möchte ich feststellen, daß nicht erst der 11. Juli die
gesamtdeutsche Schicksalsgemeinschaft hergestellt hat, sondern daß es das
gesamtdeutsche Schicksal war, das zum 11. Juli führte.
(Gekürzte Wiedergabe nach Die Warte, Oktober 1937.)
38b. Programm des Volkspolitischen Referats
Dr. Walter Pembaur: "Die Aufgabe", abgedruckt in den "Wiener Neuesten
Nachrichten".
17. Oktober 1937.
Nach der Errichtung des jüngsten Referats im Rahmen der Front stellten
sich von allen Seiten die Fragen ein: was bringt das Volkspolitische Referat,
welche sind seine Aufgaben und Ziele, wie lautet sein Programm, und wird es die
Hoffnung erfüllen, die man bei seiner Gründung schöpfte?
Den berechtigten Fragen ließ ich bisher keine Beantwortung zuteil werden,
ich widerstand jeder Verlockung, mich als Prophet zu versuchen. Diese
Zurückhaltung hatte ich mir hauptsächlich deshalb auferlegt, weil ich
der Überzeugung bin, daß die Bevölkerung nicht Worte
hören, sondern Taten sehen will, und weil es mir nicht [260] um die Betonung
meiner Person, sondern um die Durchführung der Sache zu tun ist.
Nun hat das Volkspolitische Referat einen ersten grundlegenden Schritt getan, und
dieser gibt den berechtigten Anlaß, von den Aufgaben des Referates zu
sprechen. In jedem Lande wurde im Rahmen der Landesführung der
Vaterländischen Front ein Referat bestellt. Dadurch steht das
Volkspolitische Referat auf breiterer Grundlage, seine Verankerung einerseits in
der Führung der Vaterländischen Front, andererseits in weitesten
Kreisen des Volkes, ist eine wesentlich stärkere geworden. Es wird nun die
nötigen Verbindungen herstellen können, das bisher bestehende
Mißtrauen muß mit der Betätigungsmöglichkeit der neu
bestellten Landesreferenten behoben werden. Gewiß werden auch einzelne
der Persönlichkeiten, deren Auswahl der Herr Bundeskanzler
bestätigte, noch der Kritik von dieser oder jener Seite ausgesetzt sein;
indessen wird man dem Referat und allen seinen Mitarbeitern die Zeit
gönnen müssen, sich zu bewähren und die Absicht
aufrichtiger, zielbewußter und rückhaltloser Arbeit unter Beweis zu
stellen.
Die Aufgaben, die durch den Namen Volkspolitik umfaßt werden, sind
groß, bedeutsam und darum nicht minder verantwortungsvoll. Die
Errichtung des Referates bezweckt zunächst die Lösung jener
innerpolitischen Spannungen, die sich immer wieder zum Nachteil des ganzen
Volkes in Österreich auswirkten. Die Gegensätze hatten sich
verkrampft und der positiven Aufbauarbeit stand eine verbitterte Opposition
gegenüber; aus den Erfahrungen der letzten Jahre muß aber endlich
die Erkenntnis reifen, daß sich eine negative Einstellung zum Staate in
erster Linie zum Nachteil der Nationalen selbst ausgewirkt hat. Es muß
darum den Nationalen wieder zum Bewußtsein kommen, daß sie in
Österreich, ihrem Vaterlande, eine deutsche Aufgabe zu erfüllen
haben!
Soll es aber möglich sein, die bisher abseits stehenden Kreise zu einer
legalen Mitarbeit heranzuziehen, müssen die Voraussetzungen
hierfür geschaffen sein: wir wollen in die Front, die durch Gesetz als
Träger der politischen Willensbildung bestimmt ist, mit loyaler Gesinnung
und mit offenem Visier eintreten; wir wollen uns der gegebenen Verfassung
einordnen. [261] Aber wir dürfen
auch erwarten, daß wir in dem Augenblick, da wir den Willen zu positiver
Mitarbeit erwiesen haben, auch als gleichberechtigte Bürger betrachtet
werden. Das Kriterium der Wertung soll nicht mehr das sein, was einer einst
gewesen, sondern was er ist, und was er leistet.
Über die vielen Fakten, die eine traurige Zeit der Zerklüftung der
Deutschen in Österreich über uns gebracht, muß sich endlich
das milde Vergessen senken. Das Volkspolitische Referat wird sich in seiner
Arbeit nicht darin erschöpfen dürfen, für hunderte von
Einzelfällen eine versöhnende und verzeihende Einstellung zu
erwirken, es wird vielmehr seine Aufgabe darin zu erblicken haben, für die
Zukunft jene Richtlinien zu erstellen, die eine Wiederholung der
überwundenen Gegensätze für immer verhindern.
Die Heimatliebe ist in ganz besonderem Maße dem deutschen Volk eigen;
aus der Heimatliebe erwuchs erst in neuerer Zeit das wache Bewußtsein der
Volkszusammengehörigkeit. Wer die Heimatliebe austilgen wollte,
schüfe darum kein stärkeres Volksbewußtsein. Deshalb
muß auch dem deutschbewußten Österreicher klar werden,
daß er in diesem Lande seiner Väter eine nationale Aufgabe besitzt;
in der Pflege der heimischen Scholle, der heimischen Kultur wird er seine
deutsche Sendung finden. Unsere schöne österreichische Heimat war
ja auch immer das erste Ziel der Wandersehnsucht der Deutschen aus dem Reich.
Wenn uns die Möglichkeit einer legalen Arbeit für unser Volk im
Rahmen der Heimat offen steht, dann, glaube ich, wird jeder von uns wieder
bekennen müssen: wir lieben dieses Land, denn in ihm ist unsere deutsche
Aufgabe geborgen, wir lieben Österreich, weil wir Deutsche sind!
Das kommende Jahr soll das der Verwirklichung der Verfassung sein. Das
Volkspolitische Referat wird in seinem Rahmen daran mitzuarbeiten haben,
daß die Tüchtigen und Berufenen, die positiven Kräfte nach
den Grundlagen der ständischen Verfassung zum Dienst am Staat
herangezogen werden. Unser Bundeskanzler hat beim großen Appell am
Rathausplatz seinem letzten Gruß das Wort Freiheit eingefügt. Wir
alle, die wir als aufrechte Deutsche unser Vaterland Österreich bewohnen,
freuen uns dieses Wortes; Freiheit nach außen soll [262] dem Staate werden,
Freiheit im Inneren allen denen, die des guten Willens sind. Dann wird
Österreich seiner Aufgabe gerecht werden, die eine deutsche ist!
39. Ein "Katechismus der
Führenden"
Aus der Einleitung des Buches: "Österreich im Prisma der Idee" von Baron
Leopold Andrian.
Graz 1937.
Das weitere Schicksal des Buches aber ist unzertrennbar von jenem der
österreichischen Idee. Ist dieser nach Gottes Ratschluß Untergang
und dem Volke, das ihr Träger ist, Verlust des Eigendaseins bestimmt, so
wird die Geschichtsschreibung der Zukunft seiner nur als literarischer
Seltsamkeit, als Zeugnis der Geisteshaltung seit langem entschwundener
Kämpfer für eine besiegte Sache Erwähnung tun. Wenn aber
Kaiser Karl auf Madeira und Engelbert Dollfuß im Wiener Ballhauspalast
nicht umsonst ihr Leben für Österreichs Auferstehung und Triumph
geopfert haben, dann wird dieser vaterländische Katechismus von
künftigen österreichischen Geschlechtern als klassisches Denkmal
aus der Zeit ferner heroischer Daseinskämpfe, als eine der ersten
Offenbarungen des sehend gewordenen Patriotismus, als eines jener
grundlegenden Ahnenwerke, welche jede Generation der nachfolgenden
ehrfürchtig überliefert, gepriesen werden.
... Dieses Buch ist keine Apologetik, es richtet sich nicht an die
Ungläubigen, vielmehr an die österreichischen Patrioten, die
gefühlsmäßig und über alle Worte hinaus dasjenige
erfaßt haben, was den duftartigen Reiz ihres Vaterlandes und ihres Volkes
ausmacht... Die österreichische Nation zu sichern ist der
gegenwärtigen Generation erste Pflicht; sie ihr einzuprägen, ist
dieses Buch geschrieben worden... Unersetzlich kostbar für Deutschland ist
eine in voller Eigenpersönlichkeit lebende, das zartschimmernde Gewebe
ihrer Kultur aus sich herausspinnende österreichische Volksgemeinschaft.
Denn nur eine solche vermag außer den eigenen die größten
deutschen Werte einer Welt, die sie sonst verloren geben würde, zu
vermitteln und steigert solchermaßen die Wirkungsfähigkeit des
deutschen Geistes ins Unberechenbare.
[263] Der Erhaltung und
Ausgestaltung der österreichischen Volkswesenheit, durch die allein die
österreichische Sendung verwirklicht werden kann, haben die Patrioten
dieser Zeit, derselben Aufgabe auch hat nach dem Vorsatze des Verfassers (der
auch eine "österreichische" Sprache propagiert) dieses Buch zu dienen.
(Im weiteren gliedert sich das Buch in drei
Kapitel - ein philosophischer, ein geschichtlicher und ein politischer
Abend - die durch Wechselreden zwischen einem Adligen, einem
Jesuitenpater, einem Dichter und einem jungen Heimwehroffizier ausgefüllt
werden und in einem gemeinsamen Hoch auf
den - Kaiser ausklingen. Hier nur eine kurze Testprobe aus dem politischen
Abend: "Man relegiert ein paar hochverräterische Studenten, pensioniert
wohl einmal auch einen allzu offenkundig hochverräterischen Professor.
Aber die Ideologien, deren Frucht der Verrat ist, werden ungestraft vorgetragen,
weil sie sich wissenschaftlich verkleiden. Ich habe mir von Fakultäten
erzählen lassen, in denen sich keiner habilitieren kann, der
österreichischer Gesinnung verdächtig ist. Sicherlich kann das
österreichische Kulturwerk nicht zu gutem Ende gebracht werden, solange
die Phalanx seiner Feinde die Hochschulen hält...")
39a. Schuschniggs Kanzlerbuch "Dreimal
Österreich"
Ende 1937.
In dem Abriß altösterreichischer Geschichte betont der Verfasser
besonders, daß der Kaiserstaat als Hort deutscher Kultur und nationaler
Mission anzusehen war, und daraus schöpft er seine Ideologie für das
dritte Österreich.
Ausführlicher kommt er auf die legitimistische Bewegung zurück
und erneuert eine frühere Erklärung, wonach die Staatsform als eine
rein innerösterreichische Angelegenheit zu betrachten sei, "die keine
Einmischung von dritter Seite zulasse". Er zieht dann auch die Grenzen für
die monarchistische Agitation.
An anderer Stelle wiederholt er eingehend diese Grundtendenzen seiner Ideologie
und seiner Ziele: Diese (österreichische) vermittelnde Aufgabe ist auf
wirtschaftspolitischem wie auf kulturpolitischem Gebiet gelegen; sie
unterscheidet sich von [264] früher dadurch,
daß sie dem machtpolitischen Bereich entrückt bleibt.
Zu dem Vorwurf, das Juli-Abkommen sei von Österreich nicht restlos
eingehalten worden, heißt es u. a.: "Das Jahr (1937) hat nicht alles
gehalten, was 1936 versprochen hatte. Demnach wäre es ungerecht, den
Fortschritt zu übersehen. Aber wir sind der Lösung, zumindest doch
der Klarheit über die Lösungsmöglichkeiten, näher
gekommen."
Im Schlußwort zitiert Schuschnigg ein Wort
Hammerstein-Equords (Kulturreferent der Regierung, früher
Sicherheitsdirektor und -staatssekretär!) aus dem Jahre 1935, daß es
nicht leicht sei, die österreichische Geschichte zu verstehen, schwerer aber
noch die österreichische Idee faßbar zu machen. Auf die Frage, was
Österreich sei, könne man witzige Antworten hören, kaum
eine erschöpfende und befriedigende, manche zweifelnde, und ich
fürchte, keine, die eine rechte Glaubensstärke sprüht. Aber
kommen nicht manchem von uns immer wieder in trüben Stunden auch
heute noch Zweifel an Österreich? Ob es noch einen Sinn hat, ob es sich
wird behaupten können? Ob es dafür steht, sich weiter als
Österreicher zum österreichischen Vaterland zu bekennen? Der
Bundeskanzler will als Antwort nur ein tausendfaches Ja!
(Auszüge nach Die Warte, Dezember 1937.)
39b. Schuschniggs
Neujahrs-Interview 1938
5. Januar 1938.
Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat einem Sonderkorrespondenten des Daily
Telegraph, Kees van Hoek, ein ausführliches Interview gewährt,
das bemerkenswert ist wegen der scharfen Ablehnung des Nationalsozialismus
für Österreich. "Ein Abgrund trennt Österreich vom
Nationalsozialismus", erklärte der Kanzler, "wir sind nicht für
willkürliche Gewalt, wir wollen, daß Recht unsere Freiheit bestimmt,
wir lehnen eine Zentralisation ab und halten an dem Gedanken der Autonomie
fest. Das Christentum ist in dem Boden unseres Staates fest verankert, wir kennen
nur einen Gott, das ist nicht der Staat oder die Nation oder der dehnbare Begriff
Rasse. [265] Unsere Kinder sind die
Kinder Gottes, die nicht vom Staate mißbraucht werden dürfen. Wir
verabscheuen den Terror. Österreich ist immer ein humanitärer Staat
gewesen. Als Volk sind wir von Natur aus tolerant."
Auf die Frage des Korrespondenten, ob der Bundeskanzler für die Wahrung
des Status quo sei, erwiderte Dr. Schuschnigg, ich war es nicht
1918, aber ich bin es heute. "Jede Änderung könnte nur zum
Schlechten sein. Unsere Außenpolitik, so wie sie durch unsere besondere
Zivilisation und unsere geographische Lage bestimmt ist, hat nur einen Zweck:
Sie will unserm Volke ermöglichen zu leben und ihm seinen Anteil an
einem allgemeinen Wohlstand sichern. Dieses Ziel kann im Rahmen unseres
jetzigen Staates erreicht werden. Ich scheue mich nicht zuzugeben, daß ich
eine große Sympathie für Mussolini habe, indem ich anerkenne,
daß er niemals den leisesten Versuch gemacht hat, sich in unsere
auswärtigen oder inneren Angelegenheiten einzumischen. Die Behauptung
aber, daß wir uns im Schlepptau Italiens befinden, ist reine Erfindung."
Auf die Frage, ob der Kanzler für die Wiederherstellung der Monarchie
eintrete, erwiderte Dr. Schuschnigg: "Ich bin der Tradition und meiner
Überzeugung nach ein Monarchist. Ich kann aber nicht vorgehen, wie es
einige meiner Anhänger wünschen würden. Eine Restauration
ist zur Zeit unmöglich. Die Rückberufung Ottos würde heute
zu ernsthaften Schwierigkeiten führen, nicht nur mit der Kleinen Entente
und mit Deutschland, sondern würde den Vorwand zu einer allgemeinen
Konflagration in Europa bieten. Die Bedingungen müssen langsam
geschaffen werden. Jeder Patriot muß sich mit dem Regime abfinden, das
die geringsten Widerstände bietet. Die Habsburgerfrage darf nicht die
Rekonstruktion von Zentraleuropa hintanhalten. Die Beziehungen zwischen den
Donauländern sind seit 1918 niemals so erfreulich gewesen wie heute und
ich hoffe, daß die wachsende Einsicht in die Gemeinsamkeit unserer
Interessen eines Tages Resultate zeitigen werde, die etwas für die Zukunft
des Friedens in Europa bedeuten."
Der Bundeskanzler setzte abschließend auseinander, daß
Österreich sich der Bindung an Deutschland wohl bewußt sei. Indem
wir die historische Mission Österreichs in Zentraleuropa
er- [266] füllen, sagte
Dr. Schuschnigg, werden wir auch weiterhin dem deutschen Volke als
Ganzem einen großen Dienst leisten, aber nicht im Wege des Anschlusses,
durch den Österreich ein zweites Bayern werden und zum Range einer
Provinz herabsinken würde, sondern als selbständiger
Staat.
(Nach Mittagausgabe des Neuen Wiener Tagblatt.)
40. Die Verfolgung des Nationalsozialismus
Aus dem Salzburger Strafregister.
Januar 1938.
Das Salzburger Volksblatt veröffentlichte einen Auszug der
politischen Strafen, die das Salzburger Landesgericht in der Verbotszeit gegen
Nationalsozialisten fällte. In dieser Bilanz sind nur die gerichtlichen
Strafen, nicht aber die unzähligen Verwaltungsstrafen und Parallelstrafen
enthalten. Auch die zahllosen Geldstrafen und Geiselinhaftierungen sind hierin
nicht erwähnt.
Aus dem Strafregister des Salzburger Handesgerichtes sind drei große
Gruppen ersichtlich:
Jugend-Schöffengericht, Einzelrichter und
Schöffen- und Schwurgericht.
Vor dem Jugend-Schöffengericht standen 176 Jugendliche zwischen 14 und
18 Jahren. Das Jugendgericht fällte Strafen im Ausmaße von
20½ Jahren, 223 Monaten, 244 Wochen und
24 Tagen. Die Monats- und Wochenstrafen dominieren also, wenngleich
auch die Jahresstrafen in diesem Ausmaß für Jugendliche ganz
erklecklich sind. Die meisten Strafen vor dem Jugendgericht fielen im Jahre 1937
mit 112. Vor den Einzelrichter wurden 300 Nationalsozialisten gezerrt. Er
verhängte Strafen von insgesamt 401½ Monaten,
502 Wochen und 446 Tagen. Die meisten Fälle (159) standen
1934 zur Verhandlung, 1937 gab es nur zwei Fälle. Anscheinend war der
Einzelrichter dem System zu human, denn er wurde im Laufe der Jahre immer
seltener. Der ganze Sadismus des Systems tobte sich vor dem
Schöffen- und Schwurgericht aus. Hier wurden 748 Fälle
"verhandelt". Die meisten Verurteilungen (342) erfolgten im Jahre 1937. Das
Höchstmaß der Strafen [267] wurde 1934
verhängt: 206¼ Jahre, 239½ Monate,
111 Wochen, 23 Tage.
Zum Tode durch den Strang wurden im Salzburger Landesgericht 30
Parteigenossen verurteilt. Im Jahre 1934 neun, im Jahre 1935 21 Parteigenossen.
Einer von diesen wurde zu lebenslänglichem schweren Kerker, 29 zu
Kerkerstrafen von insgesamt 405 Jahren "begnadigt".
Sehr aufschlußreich wird diese traurige Statistik, wenn man die
Gesamtziffer betrachtet. Insgesamt wurden in dem kleinen Land Salzburg 1224
Nationalsozialisten vor Gericht verurteilt. Sie erhielten 1042 Jahre,
8 Monate und 23 Tage. Das Höchstausmaß der Strafen
fiel im Jahre 1934 mit 487 Jahren, 2 Monaten und 17 Tagen.
Die meisten Verurteilungen (456) erfolgten jedoch im Jahre 1937. In dem Jahre
nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936! So sah Schuschniggs
"Befriedungsaktion" aus! Bedingt wurden von 1224 nur 139 Verurteilungen
ausgesprochen, wobei jedoch 98 Fälle allein dem Jugendgericht
gutzuschreiben sind.
Welchen Schwung sich das System für 1938 nahm, geht daraus hervor,
daß allein im Jänner 1938 nicht weniger als 124 Parteigenossen vor
dem Salzburger Gericht standen und in diesem einen Monat allein vier Jahre,
284 Monate und 173 Wochen ausfaßten.
(Das Bundesland Salzburg zählte, was bei der richtigen Einschätzung
dieser von den Wiener Neuesten Nachrichten am 30. April 1933 als
Beispiel vorgenommenen Veröffentlichung zu beachten ist, rd.
250 000 Einwohner!)
41. Das Berchtesgadener Abkommen mit
Schuschnigg
Amtliche Mitteilung, erschienen nach der Wiener Regierungsumbildung.
Außerdem erfolgte bis 19. Feber eine Amnestieerklärung und im
Zuge der sogen. "Liquidierung der Illegalen" die Zusicherung der
nationalsozialistischen Gesinnungsfreiheit.
Wien, 15. Februar 1933.
In der Aussprache, die am 12. Februar zwischen dem Führer und
Reichskanzler und dem Bundeskanzler
Dr. Schusch- [268] nigg auf dem
Obersalzberg bei Berchtesgaden stattgefunden hat, wurden alle Fragen der
Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich eingehender
Erörterung unterzogen. Ziel dieser Aussprache war, die bei
Durchführung des Abkommens vom 11. Juli 1936 aufgetretenen
Schwierigkeiten zu bereinigen.
Es ergab sich Übereinstimmung darüber, daß beide Teile an
den Grundsätzen dieses Abkommens festzuhalten entschlossen sind und
dasselbe als den Ausgangspunkt einer befriedigenden Entwicklung der
Beziehungen zwischen den beiden Staaten betrachten.
In diesem Sinne haben nach der Unterredung vom 12. Februar 1938 beide Teile
die sofortige Durchführung von Maßnahmen beschlossen, die
Gewähr leisten, daß ein so enges und freundschaftliches
Verhältnis der beiden Staaten zueinander hergestellt wird, wie es der
Geschichte und dem Gesamtinteresse des deutschen Volkes entspricht.
Beide Staatsmänner sind der Überzeugung, daß die von ihnen
beschlossenen Maßnahmen zugleich ein wirksamer Beitrag zur friedlichen
Entwicklung der europäischen Lage sind.
(In Berlin erschien ein gleichlautendes Communique.)
41a. Abschiedsworte des Botschafters von
Papen
Aussprache in der Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft (Vorsitz:
Friedrich Tilgner und Richard Riedl).
18. Februar 1938.
Wenn ich nach dem Befehl des Führers in wenigen Tagen diesen Posten
verlassen werde, so glaube ich, dies mit gutem Gewissen gegenüber
meinem Auftraggeber und den Interessen des deutschen Volkes zu tun. Mein
Streben in dieser Zeit war es gewesen, dem Gedanken der deutschen Einheit auf
friedlichem Wege Raum zu schaffen, zu verhindern, daß die Tragik der
deutschen Geschichte um eine weitere Katastrophe vermehrt werde.
Der 11. Juli war nur ein Anfang und Sie werden sich erinnern, daß ich an
dieser Stelle vor Jahresfrist die Ansicht
aus- [269] gesprochen habe, dem
Sturm über Österreich (hier liegt ein Wortspiel
vor - so hieß das haßerfüllte, Schuschnigg nahestehende
Wochenblatt der Ostmärkischen Sturmscharen) werde ein neuer
Frühling folgen. Kommen aber werde er, so sicher wie die Welt sich um
ihre Achse dreht. Die am 12. Februar auf dem Obersalzberg stattgehabte
Besprechung der beiden führenden Staatsmänner wird ein weiterer
Markstein in der Geschichte der deutschen Frage sein.
Ein selbständiges Österreich kann seine Aufgabe nur sehen im
Rahmen der gesamtdeutschen Entwicklung und nur als Mitwirkender und
Mitgestalter an dem großen Geschehen dieser Tage, an der Wiedererringung
der Stellung und des geistigen Einflusses des Reiches im Abendlande...
41b. Aus der Erklärung der V. F. zur neuen
Lage
19. Februar.
Wenn ein aus dem früheren (!) nationalsozialistischen Lager stammender
Österreicher heute von der Möglichkeit der legalen Tätigkeit
Gebrauch machen will, so steht ihm die legale politische Betätigung offen.
Das wurde von österreichischer Seite auch in der letzten Zeit immer wieder
betont (!). Ebenso wie es möglich ist, daß einzelne Mitglieder
einen bestimmten andern Programmpunkt der Front bei voller Aufrechterhaltung
aller als ihre besondere Herzenssache betrachten, so kann auch etwa der nationale
und soziale Gesichtspunkt bei Anerkennung aller Gesichtspunkte besonders
betont werden. Aus der Ablehnung der Sektionierung der Front kann die absolute
Unteilbarkeit des Programms logisch gefolgert werden. Das ehrliche Bekenntnis
zur Unteilbarkeit des Programms ist die unerläßliche Voraussetzung
für die weitgehende politische Toleranz der Front im einzelnen. Für
den Fall, daß diese großzügige Aktion, die von wirklichem
Versöhnungswillen zeugt, doch von einzelnen gestört würde,
ist vorgesehen, solche Elemente neben den gesetzlichen Straffolgen dazu zu
veranlassen, ihren Wohnsitz ins Ausland zu verlegen (!).
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