SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

 
Von der Gründung Deutschösterreichs zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.

37. Das Ausbleiben der inneren Befriedung

Aus den Briefen eines "Landarztes" in der Linzer "Tagespost".

22. Mai 1937.        

Unser Lebensraum muß durchflutet sein von einer lebensbejahenden Idee, die aus dem Volke wie aus tiefstem Borne emporsteigt. Eine Idee aber, die das Volk mit Glauben und Vertrauen an seine Zukunft erfüllen soll, muß wurzelverbunden mit der Heimaterde sein. Was nicht wurzelecht ist, verdirbt im rauhen Klima unserer Berge, okulierte Rosen sterben in der Strenge unserer Winter. Leidvolle Jahre hat Österreich hinter sich. Bruder stand gegen Bruder, der Sohn gegen den Vater. Die Ideen der Welt kreuzten sich im Schnittpunkt Österreich. Diese Zeit hat der Geburtenentwicklung mehr geschadet als die Zeit des Marxismus. Was soll ich Mutter sein, wenn mein Sohn gegen den Vater steht? Es ist töricht, sich und der Welt vorzumachen, daß diese Zeit abgeschlossen ist. Noch steht Bruder gegen Bruder, noch steht Vater gegen Sohn, wenn auch meist auf einer Seite der Kampf nur verbissener Ingrimm und heimlich in der Tasche verkrampfte Faust ist. Aber der latente, der schleichende Kampfzustand ist da und hindert das deutsche Weib an das Graserl für sein Haserl zu glauben. Tief in des Volkes Seele, wurzelecht und wurzelverbunden mit dem Heimatboden ist die Idee des innern Frie- [258] dens längst erstanden. Die Idee muß nur arm am Boden ranken, weil tausend Wichtigtuer mit Justamenten und Prinzipien und Klauseln ihr das Dasein verargen. Die Idee der innern Befriedung erstand nicht im Interesse derer, die sich gegen die Regierung des Staates stellten und dafür büßen. Sie erstand im Interesse des Staates. Der Staat kann nur dann in die Jahrhunderte ragen, wenn ihm seine Mütter Kinder schenken. Sie schenken ihm Kinder aber nur dann, wenn sie an ihn glauben. Sie glauben aber nur dann an ihn, wenn ihnen alle sagen, daß der Glaube begründet ist. Es sagen ihnen aber nur dann alle das, wenn alle von dem Geist der Eintracht und des Friedens im Dienste der Heimat erfüllt sind.

Man kann mir nun sagen, der Wunsch sei Vater des Gedankens, weil mir die innere Befriedung gerade in meinen Kram passe. Es wird an Stimmen nicht fehlen, die sagen, Geburtenzuwachs und innere Befriedung hätten nichts mitsammen zu tun. Sie haben aber mitsammen gar sehr zu tun. Den Beweis dafür kann ich freilich erst erbringen, wenn die innere Befriedung noch Jahr und Tag ausbleibt und als Folge davon, die Lawine des Geburtenrückgangs in ein beschleunigtes Tempo kommt. Dann wird es allerdings zum Erkennen zu spät sein. Der Beweis würde sich schließlich von selbst erbringen, wenn die innere Befriedung kommt und als Ausdruck dafür, daß nunmehr der Glaube an unseres Volkes Zukunft ein allgemeiner ist, die Zahl der Kinder steigt. Als in Deutschland und in Italien der Glaube an den Staat ein fanatischer und vom ganzen Volke getragener wurde, da stieg die Geburtenzahl sofort, denn da wußten die Mütter: Gibt Gott ein Haserl, so gibt er auch das Graserl!



38a. Staatsrat Dr. Seyß-Inquart über nationale und soziale Aufgaben in Österreich

Ansprache in der Union auswärtiger Journalisten.

6. Oktober 1937.        

Nationale Aufgaben sind soziale Aufgaben und es gibt keine sozialen Aufgaben, die nicht nationale sind. National sein heißt heute die Erkenntnis besitzen von der Bedeutung des Volks- [259] tums, in dem wir stehen, heißt fühlen, was wir sind, und umfaßt alles, was in den Kräften des Volkstums gelegen ist.

Was heißt sozial sein? Einordnung des einzelnen und seiner Kräfte in die Volksgemeinschaft ist die Grundhaltung jeglichen sozialen Denkens. Das, was wir sind, erfließt aus dem Volkstum und daraus ergibt sich die Verpflichtung, das, was wir aus dem Volkstum geworden sind, für die Volksgemeinschaft einzusetzen.

Meine Auffassung ist eine absolut gesamtdeutsche. Wir haben unsere Aufgabe hier im Donauraum zu erfüllen, aber immer als Deutsche.

Was nun die Unabhängigkeit Österreichs betrifft, so ist diese ausschließlich eine Sache des deutschen Volkes. Der einzige Garant für die Unabhängigkeit und Selbständigkeit Österreichs ist das deutsche Volk in Kenntnis seiner Aufgaben im deutschen Raum. Alle übrigen sind nur Interessenten an der Unabhängigkeit. Wenn ich das sage, möchte ich feststellen, daß nicht erst der 11. Juli die gesamtdeutsche Schicksalsgemeinschaft hergestellt hat, sondern daß es das gesamtdeutsche Schicksal war, das zum 11. Juli führte.

(Gekürzte Wiedergabe nach Die Warte, Oktober 1937.)



38b. Programm des Volkspolitischen Referats

Dr. Walter Pembaur: "Die Aufgabe", abgedruckt in den "Wiener Neuesten Nachrichten".

17. Oktober 1937.        

Nach der Errichtung des jüngsten Referats im Rahmen der Front stellten sich von allen Seiten die Fragen ein: was bringt das Volkspolitische Referat, welche sind seine Aufgaben und Ziele, wie lautet sein Programm, und wird es die Hoffnung erfüllen, die man bei seiner Gründung schöpfte? Den berechtigten Fragen ließ ich bisher keine Beantwortung zuteil werden, ich widerstand jeder Verlockung, mich als Prophet zu versuchen. Diese Zurückhaltung hatte ich mir hauptsächlich deshalb auferlegt, weil ich der Überzeugung bin, daß die Bevölkerung nicht Worte hören, sondern Taten sehen will, und weil es mir nicht [260] um die Betonung meiner Person, sondern um die Durchführung der Sache zu tun ist.

Nun hat das Volkspolitische Referat einen ersten grundlegenden Schritt getan, und dieser gibt den berechtigten Anlaß, von den Aufgaben des Referates zu sprechen. In jedem Lande wurde im Rahmen der Landesführung der Vaterländischen Front ein Referat bestellt. Dadurch steht das Volkspolitische Referat auf breiterer Grundlage, seine Verankerung einerseits in der Führung der Vaterländischen Front, andererseits in weitesten Kreisen des Volkes, ist eine wesentlich stärkere geworden. Es wird nun die nötigen Verbindungen herstellen können, das bisher bestehende Mißtrauen muß mit der Betätigungsmöglichkeit der neu bestellten Landesreferenten behoben werden. Gewiß werden auch einzelne der Persönlichkeiten, deren Auswahl der Herr Bundeskanzler bestätigte, noch der Kritik von dieser oder jener Seite ausgesetzt sein; indessen wird man dem Referat und allen seinen Mitarbeitern die Zeit gönnen müssen, sich zu bewähren und die Absicht aufrichtiger, zielbewußter und rückhaltloser Arbeit unter Beweis zu stellen.

Die Aufgaben, die durch den Namen Volkspolitik umfaßt werden, sind groß, bedeutsam und darum nicht minder verantwortungsvoll. Die Errichtung des Referates bezweckt zunächst die Lösung jener innerpolitischen Spannungen, die sich immer wieder zum Nachteil des ganzen Volkes in Österreich auswirkten. Die Gegensätze hatten sich verkrampft und der positiven Aufbauarbeit stand eine verbitterte Opposition gegenüber; aus den Erfahrungen der letzten Jahre muß aber endlich die Erkenntnis reifen, daß sich eine negative Einstellung zum Staate in erster Linie zum Nachteil der Nationalen selbst ausgewirkt hat. Es muß darum den Nationalen wieder zum Bewußtsein kommen, daß sie in Österreich, ihrem Vaterlande, eine deutsche Aufgabe zu erfüllen haben!

Soll es aber möglich sein, die bisher abseits stehenden Kreise zu einer legalen Mitarbeit heranzuziehen, müssen die Voraussetzungen hierfür geschaffen sein: wir wollen in die Front, die durch Gesetz als Träger der politischen Willensbildung bestimmt ist, mit loyaler Gesinnung und mit offenem Visier eintreten; wir wollen uns der gegebenen Verfassung einordnen. [261] Aber wir dürfen auch erwarten, daß wir in dem Augenblick, da wir den Willen zu positiver Mitarbeit erwiesen haben, auch als gleichberechtigte Bürger betrachtet werden. Das Kriterium der Wertung soll nicht mehr das sein, was einer einst gewesen, sondern was er ist, und was er leistet.

Über die vielen Fakten, die eine traurige Zeit der Zerklüftung der Deutschen in Österreich über uns gebracht, muß sich endlich das milde Vergessen senken. Das Volkspolitische Referat wird sich in seiner Arbeit nicht darin erschöpfen dürfen, für hunderte von Einzelfällen eine versöhnende und verzeihende Einstellung zu erwirken, es wird vielmehr seine Aufgabe darin zu erblicken haben, für die Zukunft jene Richtlinien zu erstellen, die eine Wiederholung der überwundenen Gegensätze für immer verhindern.

Die Heimatliebe ist in ganz besonderem Maße dem deutschen Volk eigen; aus der Heimatliebe erwuchs erst in neuerer Zeit das wache Bewußtsein der Volkszusammengehörigkeit. Wer die Heimatliebe austilgen wollte, schüfe darum kein stärkeres Volksbewußtsein. Deshalb muß auch dem deutschbewußten Österreicher klar werden, daß er in diesem Lande seiner Väter eine nationale Aufgabe besitzt; in der Pflege der heimischen Scholle, der heimischen Kultur wird er seine deutsche Sendung finden. Unsere schöne österreichische Heimat war ja auch immer das erste Ziel der Wandersehnsucht der Deutschen aus dem Reich. Wenn uns die Möglichkeit einer legalen Arbeit für unser Volk im Rahmen der Heimat offen steht, dann, glaube ich, wird jeder von uns wieder bekennen müssen: wir lieben dieses Land, denn in ihm ist unsere deutsche Aufgabe geborgen, wir lieben Österreich, weil wir Deutsche sind!

Das kommende Jahr soll das der Verwirklichung der Verfassung sein. Das Volkspolitische Referat wird in seinem Rahmen daran mitzuarbeiten haben, daß die Tüchtigen und Berufenen, die positiven Kräfte nach den Grundlagen der ständischen Verfassung zum Dienst am Staat herangezogen werden. Unser Bundeskanzler hat beim großen Appell am Rathausplatz seinem letzten Gruß das Wort Freiheit eingefügt. Wir alle, die wir als aufrechte Deutsche unser Vaterland Österreich bewohnen, freuen uns dieses Wortes; Freiheit nach außen soll [262] dem Staate werden, Freiheit im Inneren allen denen, die des guten Willens sind. Dann wird Österreich seiner Aufgabe gerecht werden, die eine deutsche ist!



39. Ein "Katechismus der Führenden"

Aus der Einleitung des Buches: "Österreich im Prisma der Idee" von Baron Leopold Andrian.

Graz 1937.        

Das weitere Schicksal des Buches aber ist unzertrennbar von jenem der österreichischen Idee. Ist dieser nach Gottes Ratschluß Untergang und dem Volke, das ihr Träger ist, Verlust des Eigendaseins bestimmt, so wird die Geschichtsschreibung der Zukunft seiner nur als literarischer Seltsamkeit, als Zeugnis der Geisteshaltung seit langem entschwundener Kämpfer für eine besiegte Sache Erwähnung tun. Wenn aber Kaiser Karl auf Madeira und Engelbert Dollfuß im Wiener Ballhauspalast nicht umsonst ihr Leben für Österreichs Auferstehung und Triumph geopfert haben, dann wird dieser vaterländische Katechismus von künftigen österreichischen Geschlechtern als klassisches Denkmal aus der Zeit ferner heroischer Daseinskämpfe, als eine der ersten Offenbarungen des sehend gewordenen Patriotismus, als eines jener grundlegenden Ahnenwerke, welche jede Generation der nachfolgenden ehrfürchtig überliefert, gepriesen werden.

... Dieses Buch ist keine Apologetik, es richtet sich nicht an die Ungläubigen, vielmehr an die österreichischen Patrioten, die gefühlsmäßig und über alle Worte hinaus dasjenige erfaßt haben, was den duftartigen Reiz ihres Vaterlandes und ihres Volkes ausmacht... Die österreichische Nation zu sichern ist der gegenwärtigen Generation erste Pflicht; sie ihr einzuprägen, ist dieses Buch geschrieben worden... Unersetzlich kostbar für Deutschland ist eine in voller Eigenpersönlichkeit lebende, das zartschimmernde Gewebe ihrer Kultur aus sich herausspinnende österreichische Volksgemeinschaft. Denn nur eine solche vermag außer den eigenen die größten deutschen Werte einer Welt, die sie sonst verloren geben würde, zu vermitteln und steigert solchermaßen die Wirkungsfähigkeit des deutschen Geistes ins Unberechenbare.

[263] Der Erhaltung und Ausgestaltung der österreichischen Volkswesenheit, durch die allein die österreichische Sendung verwirklicht werden kann, haben die Patrioten dieser Zeit, derselben Aufgabe auch hat nach dem Vorsatze des Verfassers (der auch eine "österreichische" Sprache propagiert) dieses Buch zu dienen.

(Im weiteren gliedert sich das Buch in drei Kapitel - ein philosophischer, ein geschichtlicher und ein politischer Abend - die durch Wechselreden zwischen einem Adligen, einem Jesuitenpater, einem Dichter und einem jungen Heimwehroffizier ausgefüllt werden und in einem gemeinsamen Hoch auf den - Kaiser ausklingen. Hier nur eine kurze Testprobe aus dem politischen Abend: "Man relegiert ein paar hochverräterische Studenten, pensioniert wohl einmal auch einen allzu offenkundig hochverräterischen Professor. Aber die Ideologien, deren Frucht der Verrat ist, werden ungestraft vorgetragen, weil sie sich wissenschaftlich verkleiden. Ich habe mir von Fakultäten erzählen lassen, in denen sich keiner habilitieren kann, der österreichischer Gesinnung verdächtig ist. Sicherlich kann das österreichische Kulturwerk nicht zu gutem Ende gebracht werden, solange die Phalanx seiner Feinde die Hochschulen hält...")



39a. Schuschniggs Kanzlerbuch "Dreimal Österreich"
Ende 1937.        

In dem Abriß altösterreichischer Geschichte betont der Verfasser besonders, daß der Kaiserstaat als Hort deutscher Kultur und nationaler Mission anzusehen war, und daraus schöpft er seine Ideologie für das dritte Österreich.

Ausführlicher kommt er auf die legitimistische Bewegung zurück und erneuert eine frühere Erklärung, wonach die Staatsform als eine rein innerösterreichische Angelegenheit zu betrachten sei, "die keine Einmischung von dritter Seite zulasse". Er zieht dann auch die Grenzen für die monarchistische Agitation.

An anderer Stelle wiederholt er eingehend diese Grundtendenzen seiner Ideologie und seiner Ziele: Diese (österreichische) vermittelnde Aufgabe ist auf wirtschaftspolitischem wie auf kulturpolitischem Gebiet gelegen; sie unterscheidet sich von [264] früher dadurch, daß sie dem machtpolitischen Bereich entrückt bleibt.

Zu dem Vorwurf, das Juli-Abkommen sei von Österreich nicht restlos eingehalten worden, heißt es u. a.: "Das Jahr (1937) hat nicht alles gehalten, was 1936 versprochen hatte. Demnach wäre es ungerecht, den Fortschritt zu übersehen. Aber wir sind der Lösung, zumindest doch der Klarheit über die Lösungsmöglichkeiten, näher gekommen."

Im Schlußwort zitiert Schuschnigg ein Wort Hammerstein-Equords (Kulturreferent der Regierung, früher Sicherheitsdirektor und -staatssekretär!) aus dem Jahre 1935, daß es nicht leicht sei, die österreichische Geschichte zu verstehen, schwerer aber noch die österreichische Idee faßbar zu machen. Auf die Frage, was Österreich sei, könne man witzige Antworten hören, kaum eine erschöpfende und befriedigende, manche zweifelnde, und ich fürchte, keine, die eine rechte Glaubensstärke sprüht. Aber kommen nicht manchem von uns immer wieder in trüben Stunden auch heute noch Zweifel an Österreich? Ob es noch einen Sinn hat, ob es sich wird behaupten können? Ob es dafür steht, sich weiter als Österreicher zum österreichischen Vaterland zu bekennen? Der Bundeskanzler will als Antwort nur ein tausendfaches Ja!

(Auszüge nach Die Warte, Dezember 1937.)



39b. Schuschniggs Neujahrs-Interview 1938
5. Januar 1938.        

Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat einem Sonderkorrespondenten des Daily Telegraph, Kees van Hoek, ein ausführliches Interview gewährt, das bemerkenswert ist wegen der scharfen Ablehnung des Nationalsozialismus für Österreich. "Ein Abgrund trennt Österreich vom Nationalsozialismus", erklärte der Kanzler, "wir sind nicht für willkürliche Gewalt, wir wollen, daß Recht unsere Freiheit bestimmt, wir lehnen eine Zentralisation ab und halten an dem Gedanken der Autonomie fest. Das Christentum ist in dem Boden unseres Staates fest verankert, wir kennen nur einen Gott, das ist nicht der Staat oder die Nation oder der dehnbare Begriff Rasse. [265] Unsere Kinder sind die Kinder Gottes, die nicht vom Staate mißbraucht werden dürfen. Wir verabscheuen den Terror. Österreich ist immer ein humanitärer Staat gewesen. Als Volk sind wir von Natur aus tolerant."

Auf die Frage des Korrespondenten, ob der Bundeskanzler für die Wahrung des Status quo sei, erwiderte Dr. Schuschnigg, ich war es nicht 1918, aber ich bin es heute. "Jede Änderung könnte nur zum Schlechten sein. Unsere Außenpolitik, so wie sie durch unsere besondere Zivilisation und unsere geographische Lage bestimmt ist, hat nur einen Zweck: Sie will unserm Volke ermöglichen zu leben und ihm seinen Anteil an einem allgemeinen Wohlstand sichern. Dieses Ziel kann im Rahmen unseres jetzigen Staates erreicht werden. Ich scheue mich nicht zuzugeben, daß ich eine große Sympathie für Mussolini habe, indem ich anerkenne, daß er niemals den leisesten Versuch gemacht hat, sich in unsere auswärtigen oder inneren Angelegenheiten einzumischen. Die Behauptung aber, daß wir uns im Schlepptau Italiens befinden, ist reine Erfindung."

Auf die Frage, ob der Kanzler für die Wiederherstellung der Monarchie eintrete, erwiderte Dr. Schuschnigg: "Ich bin der Tradition und meiner Überzeugung nach ein Monarchist. Ich kann aber nicht vorgehen, wie es einige meiner Anhänger wünschen würden. Eine Restauration ist zur Zeit unmöglich. Die Rückberufung Ottos würde heute zu ernsthaften Schwierigkeiten führen, nicht nur mit der Kleinen Entente und mit Deutschland, sondern würde den Vorwand zu einer allgemeinen Konflagration in Europa bieten. Die Bedingungen müssen langsam geschaffen werden. Jeder Patriot muß sich mit dem Regime abfinden, das die geringsten Widerstände bietet. Die Habsburgerfrage darf nicht die Rekonstruktion von Zentraleuropa hintanhalten. Die Beziehungen zwischen den Donauländern sind seit 1918 niemals so erfreulich gewesen wie heute und ich hoffe, daß die wachsende Einsicht in die Gemeinsamkeit unserer Interessen eines Tages Resultate zeitigen werde, die etwas für die Zukunft des Friedens in Europa bedeuten."

Der Bundeskanzler setzte abschließend auseinander, daß Österreich sich der Bindung an Deutschland wohl bewußt sei. Indem wir die historische Mission Österreichs in Zentraleuropa er- [266] füllen, sagte Dr. Schuschnigg, werden wir auch weiterhin dem deutschen Volke als Ganzem einen großen Dienst leisten, aber nicht im Wege des Anschlusses, durch den Österreich ein zweites Bayern werden und zum Range einer Provinz herabsinken würde, sondern als selbständiger Staat.

(Nach Mittagausgabe des Neuen Wiener Tagblatt.)



40. Die Verfolgung des Nationalsozialismus

Aus dem Salzburger Strafregister.

Januar 1938.        

Das Salzburger Volksblatt veröffentlichte einen Auszug der politischen Strafen, die das Salzburger Landesgericht in der Verbotszeit gegen Nationalsozialisten fällte. In dieser Bilanz sind nur die gerichtlichen Strafen, nicht aber die unzähligen Verwaltungsstrafen und Parallelstrafen enthalten. Auch die zahllosen Geldstrafen und Geiselinhaftierungen sind hierin nicht erwähnt.

Aus dem Strafregister des Salzburger Handesgerichtes sind drei große Gruppen ersichtlich: Jugend-Schöffengericht, Einzelrichter und Schöffen- und Schwurgericht.

Vor dem Jugend-Schöffengericht standen 176 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Das Jugendgericht fällte Strafen im Ausmaße von 20½ Jahren, 223 Monaten, 244 Wochen und 24 Tagen. Die Monats- und Wochenstrafen dominieren also, wenngleich auch die Jahresstrafen in diesem Ausmaß für Jugendliche ganz erklecklich sind. Die meisten Strafen vor dem Jugendgericht fielen im Jahre 1937 mit 112. Vor den Einzelrichter wurden 300 Nationalsozialisten gezerrt. Er verhängte Strafen von insgesamt 401½ Monaten, 502 Wochen und 446 Tagen. Die meisten Fälle (159) standen 1934 zur Verhandlung, 1937 gab es nur zwei Fälle. Anscheinend war der Einzelrichter dem System zu human, denn er wurde im Laufe der Jahre immer seltener. Der ganze Sadismus des Systems tobte sich vor dem Schöffen- und Schwurgericht aus. Hier wurden 748 Fälle "verhandelt". Die meisten Verurteilungen (342) erfolgten im Jahre 1937. Das Höchstmaß der Strafen [267] wurde 1934 verhängt: 206¼ Jahre, 239½ Monate, 111 Wochen, 23 Tage.

Zum Tode durch den Strang wurden im Salzburger Landesgericht 30 Parteigenossen verurteilt. Im Jahre 1934 neun, im Jahre 1935 21 Parteigenossen. Einer von diesen wurde zu lebenslänglichem schweren Kerker, 29 zu Kerkerstrafen von insgesamt 405 Jahren "begnadigt".

Sehr aufschlußreich wird diese traurige Statistik, wenn man die Gesamtziffer betrachtet. Insgesamt wurden in dem kleinen Land Salzburg 1224 Nationalsozialisten vor Gericht verurteilt. Sie erhielten 1042 Jahre, 8 Monate und 23 Tage. Das Höchstausmaß der Strafen fiel im Jahre 1934 mit 487 Jahren, 2 Monaten und 17 Tagen. Die meisten Verurteilungen (456) erfolgten jedoch im Jahre 1937. In dem Jahre nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936! So sah Schuschniggs "Befriedungsaktion" aus! Bedingt wurden von 1224 nur 139 Verurteilungen ausgesprochen, wobei jedoch 98 Fälle allein dem Jugendgericht gutzuschreiben sind.

Welchen Schwung sich das System für 1938 nahm, geht daraus hervor, daß allein im Jänner 1938 nicht weniger als 124 Parteigenossen vor dem Salzburger Gericht standen und in diesem einen Monat allein vier Jahre, 284 Monate und 173 Wochen ausfaßten.

(Das Bundesland Salzburg zählte, was bei der richtigen Einschätzung dieser von den Wiener Neuesten Nachrichten am 30. April 1933 als Beispiel vorgenommenen Veröffentlichung zu beachten ist, rd. 250 000 Einwohner!)



41. Das Berchtesgadener Abkommen mit Schuschnigg

Amtliche Mitteilung, erschienen nach der Wiener Regierungsumbildung. Außerdem erfolgte bis 19. Feber eine Amnestieerklärung und im Zuge der sogen. "Liquidierung der Illegalen" die Zusicherung der nationalsozialistischen Gesinnungsfreiheit.

Wien, 15. Februar 1933.        

In der Aussprache, die am 12. Februar zwischen dem Führer und Reichskanzler und dem Bundeskanzler Dr. Schusch- [268] nigg auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden stattgefunden hat, wurden alle Fragen der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich eingehender Erörterung unterzogen. Ziel dieser Aussprache war, die bei Durchführung des Abkommens vom 11. Juli 1936 aufgetretenen Schwierigkeiten zu bereinigen.

Es ergab sich Übereinstimmung darüber, daß beide Teile an den Grundsätzen dieses Abkommens festzuhalten entschlossen sind und dasselbe als den Ausgangspunkt einer befriedigenden Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten betrachten.

In diesem Sinne haben nach der Unterredung vom 12. Februar 1938 beide Teile die sofortige Durchführung von Maßnahmen beschlossen, die Gewähr leisten, daß ein so enges und freundschaftliches Verhältnis der beiden Staaten zueinander hergestellt wird, wie es der Geschichte und dem Gesamtinteresse des deutschen Volkes entspricht.

Beide Staatsmänner sind der Überzeugung, daß die von ihnen beschlossenen Maßnahmen zugleich ein wirksamer Beitrag zur friedlichen Entwicklung der europäischen Lage sind.

(In Berlin erschien ein gleichlautendes Communique.)



41a. Abschiedsworte des Botschafters von Papen

Aussprache in der Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft (Vorsitz: Friedrich Tilgner und Richard Riedl).

18. Februar 1938.        

Wenn ich nach dem Befehl des Führers in wenigen Tagen diesen Posten verlassen werde, so glaube ich, dies mit gutem Gewissen gegenüber meinem Auftraggeber und den Interessen des deutschen Volkes zu tun. Mein Streben in dieser Zeit war es gewesen, dem Gedanken der deutschen Einheit auf friedlichem Wege Raum zu schaffen, zu verhindern, daß die Tragik der deutschen Geschichte um eine weitere Katastrophe vermehrt werde.

Der 11. Juli war nur ein Anfang und Sie werden sich erinnern, daß ich an dieser Stelle vor Jahresfrist die Ansicht aus- [269] gesprochen habe, dem Sturm über Österreich (hier liegt ein Wortspiel vor - so hieß das haßerfüllte, Schuschnigg nahestehende Wochenblatt der Ostmärkischen Sturmscharen) werde ein neuer Frühling folgen. Kommen aber werde er, so sicher wie die Welt sich um ihre Achse dreht. Die am 12. Februar auf dem Obersalzberg stattgehabte Besprechung der beiden führenden Staatsmänner wird ein weiterer Markstein in der Geschichte der deutschen Frage sein.

Ein selbständiges Österreich kann seine Aufgabe nur sehen im Rahmen der gesamtdeutschen Entwicklung und nur als Mitwirkender und Mitgestalter an dem großen Geschehen dieser Tage, an der Wiedererringung der Stellung und des geistigen Einflusses des Reiches im Abendlande...



41b. Aus der Erklärung der V. F. zur neuen Lage
19. Februar.        

Wenn ein aus dem früheren (!) nationalsozialistischen Lager stammender Österreicher heute von der Möglichkeit der legalen Tätigkeit Gebrauch machen will, so steht ihm die legale politische Betätigung offen. Das wurde von österreichischer Seite auch in der letzten Zeit immer wieder betont (!). Ebenso wie es möglich ist, daß einzelne Mitglieder einen bestimmten andern Programmpunkt der Front bei voller Aufrechterhaltung aller als ihre besondere Herzenssache betrachten, so kann auch etwa der nationale und soziale Gesichtspunkt bei Anerkennung aller Gesichtspunkte besonders betont werden. Aus der Ablehnung der Sektionierung der Front kann die absolute Unteilbarkeit des Programms logisch gefolgert werden. Das ehrliche Bekenntnis zur Unteilbarkeit des Programms ist die unerläßliche Voraussetzung für die weitgehende politische Toleranz der Front im einzelnen. Für den Fall, daß diese großzügige Aktion, die von wirklichem Versöhnungswillen zeugt, doch von einzelnen gestört würde, ist vorgesehen, solche Elemente neben den gesetzlichen Straffolgen dazu zu veranlassen, ihren Wohnsitz ins Ausland zu verlegen (!).


Seite zurückInhaltsübersichtnächste Seite

Der Staat wider Willen
Österreich 1918-1938
Dr. Reinhold Lorenz